Celal Bey (Mehmet Celal Bey)
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ARBEITSGRUPPE ANERKENNUNG e.V. Gegen Genozid, für Völkerverständigung (AGA) Celal Bey (Mehmet Celal Bey) Gouverneur der Provinzen Aleppo und Konya (1863 İstanbul – 11.02.1926 İstanbul) Da Celal über die geographischen Bedingungen Syriens aus seiner Amtszeit in Aleppo heraus bestens informiert war, wusste er auch, was die Deportation nach Dair az-Zur (armenisch: Der Sor; Ter Sor) bzw. in den Nordosten der Provinz Aleppo bedeuten würde. Er setzte auch in Konya nicht nur seine Kritik an einer Politik fort, die mit den Grundsätzen der Menschlichkeit ebenso unvereinbar war wie mit nationalen Interessen, sondern konfrontierte die Verantwortlichen mit Fragen: Wie würden die Unterkünfte und dauerhaften Wohnmodalitäten aussehen? War den Verantwortlichen bewusst, dass es sich bei den Endzielen der Deportation um Wüstengebiete handelte, die keine Besiedlung zuließen? Celal Bey fand während seiner Amtszeit in Konya die Unterstützung der spirituellen Führer des Mevlevi-Ordens. Nach seiner Amtsenthebung wurden auch manche dieser Geistlichen aus der Stadt verbannt. Nach seiner Entlassung aus Konya nahm Mehmet Celal Bey keine öffentlichen Ämter mehr an, in denen er zum Teilnehmer am Genozid hätte werden können. 1919 sehen wir ihn als einen enthusiastisch für die Befreiung von der alliierten Besatzung kämpfenden Gouverneur von Adana, einer Stadt unter französischer Besatzung. Bis 1922 übte er das Amt eines Bürgermeisters in ?stanbul und nach 1923 des Direktors des Nationalen Tabakunternehmens (Reji Amiri) aus. Er starb am 11. Februar 1926. Zu seiner Bestattung erschienen Zehntausende Armenier, so dass der Verkehr zeitweilig zum Erliegen kam. Das Familiengrab wurde im Zuge einer Straßenbaumaßnahme eingeebnet. Auf dem restlichen Areal befindet sich heute das Swiss-Hotel im Ortsteil Be?ikta?. So ist in ?stanbul keine einzige Stätte geblieben, an der wir Mehmet Celals gedenken können. Seite 1 / 10 ARBEITSGRUPPE ANERKENNUNG e.V. Gegen Genozid, für Völkerverständigung (AGA) Schülerinnen des Sahakyan-Lizeums in Konya, 1910 Dank der Recherche von Rober Kopta? und der Übertragung aus dem Osmanischen in die heutige Sprache durch Ari Ekeryan können wir die Zeit des armenischen Genozids aus der Sicht Mehmet Celals verstehen (1). Wir geben dieses Zeitdokument ungekürzt wieder, auch wenn wir aus heutiger Sicht nicht allen Schlussfolgerungen des Autors beipflichten können (siehe Fußnote 2). Die Ereignisse um die Armenier – Gründe und Folgen 29.11., 1.-2.12.1919 Heute auffindbar in: Volksbibliothek Beyaz?t in ?stanbul Seite 2 / 10 ARBEITSGRUPPE ANERKENNUNG e.V. Gegen Genozid, für Völkerverständigung (AGA) Manche meiner Freunde haben mich immer wieder aufgefordert, mein Wissen und meine Meinung zu den Ereignissen um die Armenier aufzuschreiben. Journalisten und manche ehrenwerte Bekannte haben sich zwecks eines Interviews an mich gewandt. Um die Schwierigkeiten und Einwände nicht zu vermehren, schwieg ich bisher. In den letzten Tagen hatte ich eine Begegnung mit einem Journalisten der Zeitung Jamanak (“Zeit”; in Istanbul erscheinende armenische Zeitung–Anm.-) Da ich begriff, dass viele Armenier die Verantwortung an dem jüngsten Massaker der Gesamtheit der Türken anlasten wollen, erklärte ich ihm einiges, um mein Volk von einem solchen Schandfleck zu befreien. Die letztendliche Wiedergabe war lückenhaft, weil der Journalist leider keine Notizen angefertigt hatte. Auf der anderen Seite gibt es bei diesem grässlichen Ereignis nichts zu verbergen oder verzerren, darum habe ich es für richtig befunden, alles, was ich gesehen und wie ich es verstanden habe, wiederzugeben, mit allen Details und Abscheulichkeiten, um alles der menschlichen Zivilisation im Sinne der Gerechtigkeit weiterzugeben. Ich schreibe nieder, was ich weiß: Als Gouverneur von Erzurum Der Zufall brachte mich bereits am Anfang der Konstitutionellen Monarchie an einen Ort, wo ich über die Armenier recherchieren konnte. Nach den Ereignissen vom 31. März (Revolte von 1908 –Anm.-) bin ich nach Erzurum gesandt worden und blieb dort für zwei Jahre. Damals gab es einige Konflikte zwischen den Armeniern und den Kurden, meist wegen Bodenangelegenheiten. In einem Land, welches seinen Bewohnern Gleichberechtigung schenkte, war es vor allem erforderlich, um dort den guten Willen zu bestätigen und die Sache zum Vorteil beider Seiten zu regeln, allen gerecht zu werden, die Gerechtigkeit zu pflegen und Gewalt sowie zwanghafte Aufrechterhaltung jeglichen Übergriffs zu verbieten. Auch ich verfolgte diese Ziele. Zunächst habe ich Untersuchungen angestellt, um die Gründe dieser Konflikte, das Land und die Bevölkerung richtig verstehen zu können. Ich sprach mit allen. Ich hörte zu. Ich reiste im Vilayet (Provinz; osm. Verwaltungseinheit. - Anm.) umher. Ich war zu Besuch in den Zelten der Kurdengebieter und bei den armenischen Suppenköchen in den Dörfern. In der ganzen Provinz Erzurum gibt es keine Ortschaft, in der ich mich nicht einen oder zwei Tage aufgehalten hätte. Im Ergebnis habe ich begriffen, dass es keine grundsätzlichen Konflikte gab; ganz im Gegenteil, zwischen Türken, Kurden und Armeniern besteht eine seit Jahrhunderten gefestigte Freundschaft und gegenseitiges Vertrauen. Kurden, die als Lastenträger oder Wächter in Istanbul oder Izmir arbeiten, vertrauen ihre Kinder und Familien dem Schutz armenischer Nachbarn an. Ebenso vertrauen Armenier, die in Russland oder Amerika geschäftlich unterwegs sind, ihre Familien den Türken und Kurden an. Beide Parteien achten einander in Güte. Im ganzen Vilayet gab es lediglich zwei Klassen der Bevölkerung: Die erste bestand aus gnadenlosen Tyrannen, die durch Rechtsbrüche ihre Vorteile durchsetzen, und die zweite bestand aus unterdrückten Opfern, die durch die Schlechtigkeit und Gräuel der Ersteren ihre Widerstandsfähigkeit verloren hatten, sprich Türken, Kurden und Armenier! Diese Schicksalsgemeinschaft hatte die Hilflosen derartig zusammengeschweißt, dass man sagen kann, wenn es möglich gewesen wäre, die Brutalität abzuschaffen, hätte es keinerlei Grund für Hass gegeben. Vor allem habe ich versucht, diese gnadenlose Brutalität zu mildern. Ich wollte durch meine Taten zeigen, dass in unserem Land Rechtsgleichheit existiert, und wir haben während meiner Beamtenzeit mein Ziel erreicht. Auch Bodenkonflikte entstanden durch Brutalität, und nicht nur Armenier, sondern auch Türken und Kurden kamen dabei zu Schaden. Ein gnadenloser Despot riss einen Ackerboden, welcher ihm gefiel und einem Schwächeren gehörte, gewaltsam an sich und wurde mit allen Mitteln dessen Besitzer. Soweit ich mich erinnern kann, belagerte der Häuptling des Hardaranli-Klans, Kör Hüseyin Pascha, auf diese Weise fünf bis sechs Dörfer. Ein anderer Despot, Hüseyin Beyzade Haydar Bey, hatte sich des Großteils einer Ortschaft bemächtigt. Ein großes Feld zwischen Karakilise und Beyazit, befahrbar in etwa vier Stunden, gehörte einem Höherrangigen aus dem Hamidiye-Reiterregiment (Hamidiye Süvari Alay? –Anm.-). Vielerorts hatten Stärkere Schwächere um ihre Felder gebracht. Zu dieser Zeit kamen auf einen Quadratkilometer lediglich acht Personen und 90% des Bodens hatten keinen Besitzer. Trotzdem bildeten Landstreitigkeiten eine Hauptbeschäftigung der Behörden. Da ein Teil des zu Unrecht erworbenen Bodens sich bereits in dritter Hand befand, würde die Rückgabe an den Erstbesitzer neue Benachteiligungen und Beschwerden, vor allem aber Hass nach sich ziehen. Der Staat hätte nachgeben müssen und die Erst- oder Letztbesitzer entschädigen können. Wenn dieses - im Vergleich zur Relevanz recht geringe - Opfer erbracht worden wäre, hätte es gar keinen Grund mehr für Konflikte gegeben. Meine zweijährige Beamtenzeit in dieser Provinz bestärkte meine Überzeugung, dass unter allen nichtmuslimischen Ethnien die Seite 3 / 10 ARBEITSGRUPPE ANERKENNUNG e.V. Gegen Genozid, für Völkerverständigung (AGA) Armenier diejenigen waren, die uns am Nächsten standen und am fähigsten waren, mit uns einen gemeinsamen Weg zu beschreiten. Ich habe unter den Armeniern Erzurums sehr viele Geschäftsleute kennen gelernt, deren Herz voller Heimatliebe war und die sich ernsthaft mit der Zukunft der Heimat auseinandersetzten. Von diesen Männern ist keiner mehr am Leben. Ohne Ausnahme haben alle entweder in den einsamen Kerkern Erzincans oder in den dornigen Wüsten Diyarbak?rs einen schmerzlichen und grauenvollen Tod erlitten. Diese Äußerungen mache ich deswegen, weil ich erfahren habe, dass die Mehrheit der Armenier seelisch und gedanklich diesem Land verbunden und in jeglicher Hinsicht genauso betrübt war wie wir. Meine feste Überzeugung möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen. Die armenische Tragödie und die daraus resultierenden Katastrophen sind ohne Zweifel größer als die Schäden des Weltkriegs. Wenn diese Morde und die verrückte Politik in Syrien nicht gewesen wären, würden wir, trotz der Niederlage, nicht in einem so traurigen und schwierigen Zustand vor den Zivilisationen der Welt und der Menschheit stehen. Seit ungefähr fünf Jahrhunderten leben wir mit den Armeniern zusammen. Falls die traurigen Ereignisse der letzten Jahre schon damals passiert wären, wären in diesem Land entweder keine Armenier oder keine Türken mehr übrig. Wir haben aber jahrhundertelang mit den Armeniern wie zwei Freunde, auf alle Fälle aber wie Nachbarn gelebt. Wir haben einander geholfen und Sicherheit gegeben. Die Türken haben viel mehr als andere Bürger den Armeniern vertraut und wichtige sowie Verantwortung erfordernde Aufgaben wie z.B. das Direktorat der Staatsdruckerei, Monitionsaufsicht ihnen überlassen. Aus der Geschichte ist kein einziger Fall bekannt,