03.09.2008

Gericht Asylgerichtshof

Entscheidungsdatum 03.09.2008

Geschäftszahl E10 312453-1/2008

Spruch E10 312.453-1/2008-26E

ERKENNTNIS

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Hermann LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des A. R., StA. Serbien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.05.2007 FZ.02 28.553-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.03.2008 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß §§ 7, 8 (1), 8 (2) AsylG Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF, BGBl. I Nr. 129/2004 iVm § 75 Abs. 1 AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2008/4 als unbegründet abgewiesen.

Text E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

I. Der Asylgerichtshof nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:

1. Bisheriger Verfahrenshergang

1.1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von (nunmehr) Serbien, reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 28.09.2002 einen Asylantrag ein. Dazu wurde er an den im bekämpften Bescheid ersichtlichen Daten von einem Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenem Bescheid vollständig wiedergegeben.

Der BF brachte zusammengefasst vor, er gehöre der albanischen Minderheit Südserbiens an, wäre als solcher den von ihm näher genannten Repressalien ausgesetzt gewesen, hätte schließlich in der UCBMP gekämpft und im Anschluss Serbien verlassen. 2003/2004 hätte er einen Einberufungsbefehl zum serbischen Militär erhalten. Es würde wegen der Nichtableistung des Wehrdienstes in Serbien nach ihm gefahndet.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.05.2007 FZ. 02 28.553-BALwurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in dessen Herkunftsstaat wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat ausgewiesen (Spruchpunkt III).

Das Bundesasylamt erachtete die vom BF vorgebrachten Ausreisegründe bzw. Rückkehrhindernisse aus den im erstinstanzlichen Bescheid genannten Gründen als nicht glaubwürdig. Weiters ging das Bundesasylamt davon aus, dass dem BF eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat aus der Sicht des § 8 Abs. 1 zumutbar wäre und auch keinen unrechtmäßigen Eingriff in sein gem. Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Privat- und Familienleben darstellen würden.

1.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 29.05.2007 innerhalb offener Frist "Berufung" [nunmehr: "Beschwerde"] erhoben. Der BFV bekräftigte das Vorbringen des BF, trat dem erstinstanzlichen www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Erhebungsergebnis entgegen und beantragte weitere Ermittlungen. Ebenso ging der BFV davon aus, der BF würde in Serbien keine weitere Existenzgrundlage vorfinden.

Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

1.4. Im Rahmen des Berufungsverfahrens richtete der Unabhängige Bundesasylsenat Anfragen an die ÖB Belgrad, sowie an die OSCE-Mission in Serbien, welche von dieser Behörde jedoch völlig unberücksichtigt blieben und nicht beantwortet wurden, weshalb das zuständige Senatsmitglied die in der nachfolgend beschriebenen Berufungsverhandlung beschriebenen -eine Anfragebeantwortung durch die ÖB Belgrad gleichwertige- Quellen zur Entscheidungsfindung heranzog.

1.5. Am 11.3.2008 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine öffentlich mündliche Verhandlung durch. Deren wesentlicher Verlauf wird wie folgt wieder gegeben:

"...

VL: Sind Sie heute in der Lage der Verhandlung aufmerksam zu folgen, und an Sie gerichtete Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

BW: Ja.

VL: Wie ist die Verständigung mit dem Dolmetscher?

BW: Gut.

VL eröffnet die Beweisaufnahme

VL: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (psychisch und physisch)?

BW: Es geht mir gut, aber ich bin in letzter Zeit sehr vergesslich, wenn es um Daten geht. Danach gefragt gebe ich an, dass ich nicht in ärztlicher Behandlung bin und auch keine Medikamente einnehme. Danach gefragt gebe ich an, dass ich nicht so vergesslich bin, dass ich den Alltag nicht mehr bewältigen könnte.

VL: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor dem Bundesasylamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

BW: Ich hätte etwas hinzuzufügen. Was ich vor dem BAA sagte, entsprach der Wahrheit. Danach gefragt gebe ich an, dass auch andere Gründe hinzugekommen sind.

Der Akteninhalt einschließlich der erstinstanzlichen Entscheidung und der Inhalt der Berufung werden mit dem BW erörtert.

Hierzu gibt der BW Folgendes an: Der Akteninhalt und der Inhalt der Berufung wurden richtig wiedergegeben.

VL: Ist Ihnen der Inhalt der Berufungsschrift bekannt?

BW: Ja.

VL: Halten Sie den Inhalt der Berufungsschrift und die dort gestellten Anträge aufrecht?

BW: Ja.

VL: Schildern Sie Ihre privaten und familiären Verhältnisse in Österreich.

BW: Ich lebe mit meiner Verlobten die deutsche Staatsbürgerin ist zusammen. Ich habe einen Onkel der in M. lebt. Danach gefragt gebe ich an, dass mein Onkel Asylwerber ist und die Arbeitsbewilligung hat. Sein Name ist J. R.. Danach gefragt gebe ich an, dass ich mit meiner Verlobten in Österreich lebe. Wir leben gemeinsam seit 2006 in einer Wohnung.

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Die Verlobte des BWs Frau L. N. (ausgewiesen mit deutschen Personalausweis, bestätigt die Angaben des BWs als Auskunftsperson)

BWV an Auskunftsperson: Haben Sie vor zu heiraten?

Auskunftsperson: Ja.

BWV: Wo wollen Sie dann leben?

Auskunftsperson: Wir würden gerne in Deutschland leben, weil dort meine Familie ist. Das geht aber nicht, weil er nicht einreisen darf. Wir erhielten in Linz eine Heiratserlaubnis, ich habe aber das verlangte Ehefähigkeitszeugnis der deutschen Behörden noch nicht erhalten, weil sie mich verdächtigen, eine Aufenthaltsehe eingehen zu wollen.

BWV: Ist dieser Verdacht zutreffend?

Auskunftsperson: Nein.

Sowohl BW als auch BWV verzichten auf eine förmliche Befragung der Auskunftsperson als Zeugin, der VL erachtet eine solche als ebenfalls nicht notwendig.

VL: Wollen Sie noch etwas zu Ihren familiären und privaten Verhältnissen in Österreich angeben?

BW: Ich bekomme 180 Euro im Monat und werde von meiner Verlobten unterstützt. Danach gefragt gebe ich an, dass ich zu meinem Onkel in M. keine besondere qualifizierte Bindung gibt.

VL: Aus welchem Teil von Serbien stammen Sie?

BW: Aus X.

VL: Schildern Sie Ihre privaten und familiären Verhältnisse in Serbien.

BW: Zurzeit bin ich im Kontakt mit meinem Bruder. Mit meinem Vater habe ich seit ungefähr einem Jahr den Kontakt abgebrochen, weil er ein streng muslimischer Mensch ist. Ein Bekannter, der in Deutschland lebt, hat ihm erzählt, dass ich mich nicht an die muslimischen Regeln halte. Er möchte nichts mehr von mir wissen. Danach gefragt gebe ich an, dass mein Bruder auch sehr streng muslimisch lebt. Er ist auch in die Koranschule gegangen.

VL: Warum spricht dann Ihr Bruder noch mit Ihnen, wenn er auch streng muslimisch ist?

BW: Ich weiß es nicht, aber wir haben nur telefonischen Kontakt. Wir sprechen ein oder zwei Mal im Monat miteinander.

VL: Wovon lebt Ihre Familie in Südserbien?

BW: Sie arbeiten zu Hause auf der Landwirtschaft. Danach gefragt gebe ich an, dass die Landwirtschaft meinen Vater gehört.

VL: Wie würde Ihr Vater reagieren, wenn Sie auf einmal zu Hause vor der Haustüre stehen würden?

BW: Er würde mich als Sohn nicht akzeptieren. Er sagte mir am Telefon, dass ich nicht mehr sein Sohn bin.

VL: Waren Sie, als Sie aus X weggingen ein isolierter Einzelgänger oder hatten Sie einen Freundes- und Bekanntenkreis?

BW: In der Kriegszeit war ich eher ein Einzelgänger, weil die verschiedenen Leute ihre eigenen Wege gingen.

VL: Haben Sie noch zu anderen Personen Kontakt in Serbien?

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BW: Nein. Die Freunde, die ich in Serbien hatte, sind alle im Ausland. Einer von denen lebt in Wels.

VL: Aufgrund des Akteninhaltes ist davon auszugehen, dass Sie der Volksgruppe der Albaner angehören, aus einem mehrheitlich von Albanern bewohnten Gebiet stammen und sich zum Islam bekennen.

BW: Ja, das stimmt.

VL: Ich war im Jahre 2004 kurz in X. Beim dortigen Straßenbild und den Auftreten der Menschen hat man nicht das Gefühl, dass man sich in einer fundamentalistisch-islamischen Gesellschaft befindet, sondern die Menschen eher sekulär geprägt sind.

BW: Dort wo ich aufgewachsen bin, im Dorf XY, sind die Menschen streng muslimisch und gehen in die Koranschule. Mein Vater ist auch einer von denen.

VL: Haben sich Sie und Ihre Verlobte in Deutschland oder Österreich kennen gelernt?

BW: In Deutschland.

VL: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Serbien verlassen haben vollständig und wahrheitsgemäß. Falls Sie sich auf konkrete Ereignisse beziehen, benennen Sie auch den Zeit wann und den Ort wo diese stattfanden und die Personen die daran beteiligt waren.

BW: Ende 1999 hatten wir eine Kontrolle im Dorf. Diese Kontrolle führte die serbische Polizei durch. Ich war damals 15 Jahre alt und bin in meinem Zimmer gesessen und habe die albanische Flagge gezeichnet. Dann kam mein Vater ins Zimmer und ein paar Leute der Armee sind ins Haus gekommen und haben gesehen, was ich zeichnete. Einer hat ein Messer herausgenommen und sprach von einem Massaker. Dann hat meine Mutter geschrieen und sagte, dass sie mir nichts antun sollen. Dann haben sie mich geschlagen. Ich war drei Wochen lang im Koma. Nachdem sie mich schlugen bin ich nicht ins Spital gegangen, sondern war in häuslicher Pflege. In dieser Zeit wurden in meinem Dorf viele Leute von der serbischen Armee und der Polizei geschlagen. Die Personen der Armee waren alle maskiert. Anfang 2000 bin ich mit dem Traktor auf dem landwirtschaftlichen Grundstück gefahren. Auf der Rückfahrt haben mich drei Polizisten aufgehalten, einer von denen hat mich nach Geld gefragt und der andere danach, ob ich etwas von einem Zug aus der Nähe mitgenommen hätte. Einer hat mich mit der Faust ins Gesicht geschlagen, der andere trat mich von hinten. Ich war bewusstlos und ein Nachbar fuhr mich mit dem Traktor nach Hause. 2000 bin ich der UCBMP beigetreten. Im Mai 2001 gaben wir die Waffen ab. Die Waffen haben wir an der Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo der NATO übergeben. Dann bin ich nicht mehr nach Hause gegangen, sondern wohnte bei Verwandten meines Vaters, bis 2002. Dann bin ich nach Österreich gekommen.

VL: Bei welchen Verwandten wohnten Sie?

BW: Väterlicherseits. Danach gefragt gebe ich an, dass sie in G. wohnten.

VL: Hat es nach dem Verlassen Ihres Heimatstaates noch Verfolgungshandlungen, die gegen Sie gerichtet wurden, gegeben?

BW: Nein.

VL: Überhaupt nichts?

BW: Das weiß ich nicht direkt. Ich habe mich nicht ins Dorf zurück getraut. Keine Soldaten trauten sich zurück.

VL: Sie haben beim BAA noch weitere Verfolgungshandlungen geschildert, die der serbische Staat bzw. serbische Organe gegen Sie setzten?

BW: Bis 2003 war nichts. 2003/2004 als ich in Österreich war, bekam ich einen Einberufungsbefehl.

VL: Passierte sonst noch etwas?

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BW: Diejenigen die der UCBMP beigetreten sind, haben die Abschlusszeugnisse bekommen, ohne dass sie die Schule ganz beendet haben. So habe ich auch den Pass bekommen, der Original ist und den ich über meinen Onkel bekam, der die Behörden schmierte.

VL: Passierte sonst noch irgendetwas Erwähnenswertes bei Ihnen zu Hause, nachdem Sie bereits weg waren, was mit Ihnen im Zusammenhang steht?

BW: Nein, sonst kam nichts vor. Ein Nachbar, der 16 Jahre alt war, ist ermordet worden. Danach gefragt gebe ich an, dass er vor einem Jahr von der serbischen Armee ermordet wurde. Wenn behauptet wird, dass die Lage zwischen Serben und Albanern in Südserbien gut ist, dann ist das nur Propaganda und stimmt nicht. Seit 5/6 Jahren hört man, dass die Albaner malträtiert werden, die Fälle werden aber nicht veröffentlicht. Es gibt keine Gerechtigkeit.

VL: Auf Seite 8 des erstinstanzlichen Aktes brachten Sie vor, dass noch weitere Verfolgungshandlungen gegen Sie gesetzt wurden? Warum brachten Sie das heute nicht vor?

BW: Ja, das stimmt. Ende 2005 war ich kurz in G., vielleicht hat mich dort jemand gesehen. Meine Mutter war krank.

Fragen des BWV:

BWV: Stimmt es, dass Sie von der Polizei 2002,2005 und 2006 gesucht wurden?

BW: Ich war der erste Schüler, der damals die Schule verließ und der UCBMP beitrat. Ein Polizist, mit dem Namen S. schlug mich damals.

BWV: Von wem wissen Sie, dass Sie gesucht werden von der Polizei?

BW: Ich habe mit meinem Bruder telefoniert.

VL: Wissen Sie auch, weshalb Sie gesucht werden?

BW: Wegen der Einberufung zur Armee. Keiner weiß, warum die kommen. Sie kontrollieren.

VL: Die in Beilage 1 ersichtlichen und während der Verhandlung einsehbaren Quellen sowie die daraus ableitbaren Kernaussagen werden Ihnen nunmehr Zur Kenntnis gebracht deren Inhalt erörtert. In Ergänzung wird dem BW das Ermittlungsergebnis gem. Beilage 2 zur Kenntnis gebracht, woraus ableitbar ist, dass sich die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo auf die Lage in Südserbien nicht maßgeblich auswirkte. Ergänzend wird festgehalten, dass sich aus der Anfragebeantwortung der Staatendoku d. BAA vom 19.12.2007 und dem Bericht des AA Berlin vom 23.4.2007 ergibt, dass die Angehörigen der Minderheiten in der serbischen Armee nicht systematisch benachteiligt werden, Übergriffe im Einzelfall jedoch nicht ausgeschlossen werden können.

BW: Mein Bruder erzählte mir, dass überall Leute der Armee zu sehen sind. Ich glaube, es ist ein Unterschied zwischen dem, was hier geschrieben wird, und was uns passierte. Ich weiß von verschiedenen UCBMP- Angehörigen, die jetzt im Gefängnis sind. Von 12 weiß ich, dass sie im Gefängnis sind.

VL: Waren Sie als Sie bei der UCBMP waren an schweren Menschenrechtsverletzungen oder Gräueltaten beteiligt, bzw. nahmen Sie eine führende Stellung ein?

BW: Ich war ein gewöhnlicher Soldat. Ich war an solchen Sachen nicht beteiligt.

VL: Personen, welche o.a. Taten begingen, sind teilweise von der Amnestie nicht umfasst.

BW: Nein, ich war ein gewöhnlicher Soldat.

BWV: Die herangezogenen Länderdokumente nehmen auf die aktuelle Entwicklung in Serbien und Kosovo nicht Bezug. Aufgrund der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos ist es bereits innerhalb weniger Tage zum Rücktritt der serbischen Regierung gekommen und es stehen Neuwahlen an. Die politische Lage ist unsicher und ist zu befürchten, dass es in Südserbien in naher Zukunft zu schwerwiegenden Übergriffen auf der albanischen Minderheit kommt und dass dagegen kein wirksamer staatlicher Schutz zur Verfügung steht. Es wird daher eine www.ris.bka.gv.at Seite 5 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass der Berufungswerber im Falle seiner Rückkehr nach Südserbien asylrelevanter Verfolgung aus ethnischen Gründen ausgesetzt wäre. In diesem Gutachten soll insbesondere auf die aktuelle Entwicklung (Unabhängigkeitserklärung des Kosovos und die konkreten Lebensumstände des BW) Rücksicht genommen werden.

Im Übrigen bitte ich um eine 14-tägige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme.

VL: Wollen Sie abschließend noch etwas angeben, was Sie bis jetzt noch nicht sagen konnten?

BW: Nein.

Die Niederschrift wird den Anwesenden zur Durchsicht vorgelegt und dem Berufungswerber durch den Dolmetscher rückübersetzt.

Der BW gibt auf Befragung durch den VL an, dass er den Dolmetscher während der Verhandlung einwandfrei verstanden hat und er hat nach Rückübersetzung keine Beanstandungen am Inhalt der Verhandlungsschrift und der Rückübersetzung selbst.

Der VL schließt die Verhandlung und die Beweisaufnahme

Die Verkündung des Bescheides entfällt, den Parteien wird eine schriftliche Ausfertigung des Bescheides zugestellt werden.

..."

1.6. Aufgrund der vorliegenden Beweisanträge und Stellungnahmen wurde mit im Akt ersichtlichen Schreiben die Ländersachverständige Dr. Violeta Demaj mit der Erstellung eines Gutachtens beauftrag.

1.7. Am 16 Juli 2008 übermittelte die Sachverständige nachfolgendes Gutachten per E-Mail, dessen wesentlicher Inhalt wie folgt wiedergegeben wird:

"...

Die niederschriftliche Aussage des BW vor dem BAA vom 24.3.206 und vor dem UBAS vom 11.03.2008 wurden der Autorin mit dem Auftrag übermittelt ein Gutachten zu nachfolgenden Fragen zu erstellen:

Werden Albaner aus dem Presevotal zum serbischen Militär eingezogen?

Wird die Amnestie gegenüber ehemaligen Mitgliedern der UCBMP eingehalten?

Stellt das Zeichnen der albanischen Flagge in Serbien einen Straftatbestand dar? Wenn ja: existiert eine Verjährungsfrist?

Hatte die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo Auswirkungen auf die Lage im Presevotal, wie etwa verstärkte serbische Truppenpräsenz, vermehrte Übergriffe auf Albaner, Unruhen in der Region, etc?

Hat der BW aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit damit zu rechnen, im Presevotal von Angehörigen der serbischen Polizei- bzw. Militärkräfte misshandelt zu werden?

Stammt der BW aus einer streng muslimischen Familie bzw. einem streng muslimischen Dorf und wurde er von seinem Vater wegen seines "unmuslimischen" Lebenswandels verstoßen?

Können die vom BW gegen seine Person ausgeführten Übergriffe verifiziert werden?

Welche materiellen Möglichkeiten hätte der BW im Presevotal für seinen notdürftigen Unterhalt zu sorgen? Existieren im Presevotal staatliche Stellen bzw. NGOs, welche Bedürftige bzw. Rückkehrer unterstützten?

Hätte eine deutsche Staatsbürgerin, welche mit dem BW verheiratet bzw. verlobt ist, die Möglichkeit, eine Niederlassungsbewilligung für Serbien zu erhalten? www.ris.bka.gv.at Seite 6 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Aufgrund von Expertenauskünften und eigenen Recherchen vor Ort nehme ich zu den Fragen wie folgt Stellung:

Werden Albaner aus dem Presevotal zum serbischen Militär eingezogen?

Bis Ende 2003 waren Albaner aus dem Presevotal dazu verpflichtet, in der jugoslawischen Armee ihren Militärdienst zu verrichten. Dieser Verpflichtung kamen die Albaner Südserbiens, wie auch die des Kosovo seit dem Jahre 1990 nicht nach. Einer Rekrutierung in die Armee wurde zumeist durch eine Flucht ins Ausland entgangen. Die Armee war nicht ernsthaft daran interessiert Albaner tatsächlich in die Armee einzugliedern, dies aus loyalitätsgründen. Die Versendung der Einberufungsbefehle und die damit verbundenen Hausdurchsuchungen zur Ergreifung von Personen, die der Einberufung keine Folge leisteten, erfolgte nur als Vorwand, die Bevökerung einer Repression auszusetzen und die Jugendlichen einzuschüchtern und letztendlich in die Flucht zu treiben. Auch nach der Befriedung der Region im Mai 2001 durch ein Abkommen zwischen der UÇPMB und der serbischen Regierung, leisteten die wehrdienstpflichtigen Männer den Einberufungsbefehlen keine Folge. Albanische Politiker forderten von der im Dezember 2000 gegründeten Koordinierungsgruppe, dafür zu sorgen, dass keine Einberufungsbefehle an Albaner geschickt, und diese aus dem Grund der Nichtbefolgung von Einberufungsbefehlen nicht mehr verfolgt werden. Anfang 2003 erließ die Koordinierungsgruppe ein Dekret. Dieses Dekret untersagt der serbischen Armee Albaner nicht die Armee ein zu berufen. Im Jänner 2003 wurden von der serbischen Armee, die letzten Einberufungsbefehle entsandt, aufgrund dieses Dekretes aber wieder zurückgezogen. Seit Anfang des Jahres 2003 werden keine Einberufungsbefehle an Albaner adressiert und auch keine Albaner in die serbische Armee rekrutiert. Dieses Dekret behält solange ihre Gültigkeit bis eine neue Vereinbarung mit den albanischen politischen Vertreten getroffen wird. Die bereits eingeleiteten Reformen in der serbischen Armee, sollen dazu führen, dass diese ab dem Jahre 2010 durch ein Berufsheer ersetzt wird. Es ist davon aus zu gehen, dass auch weiterhin keine Albaner in die serbische Armee rekrutiert werden.

Wird die Amnestie gegenüber ehemaligen Mitgliedern der UCBMP eingehalten?

Am 21 Mai 2001 wurden die bewaffneten Auseinandersetzungen in Südwestserbien, im Grenzgebiet zum Kosovo, zwischen der albanischen Rebellenbewegung Ushtria Çlirimtare e Preshevas, Medvegjas e Bujanovcit (UÇPMB, Befreiungsarmee Pre¿evo, Medvedja und ) und der serbischen Sicherheitsorgane durch das Abkommen von Konculje über die Entwaffnung und Demobilisierung der UÇPMB offiziell beendet. Als Gegenleistung für die Demobilisierung wurde den UÇPMB Kämpfern Straffreiheit garantiert. In der Praxis wurde diese zugesagte Amnestie zunächst nicht eingehalten. Bis zum 13 Januar 2001 hatte die Staatsanwaltschaft in bereits 43 Anklagen gegen 32 Personen erhoben, die des Terrorismus verdächtigt waren, weitere Anklagen folgten auch nach dem 21 Mai 2001. Nach ehemaligen UÇPMB Kämpfern wurde gefahndet, jene die verhaftet wurden, wurden verurteilt. So wurde Luan Sadilu zu einer Haftstrafe von 7 Jahren wegen des Verbrechens des Terrorismus verurteilt. Besim Leka verbrachte 2 Jahre in Untersuchungshaft.

Am 4 Juni 2002 beschloss das Belgrader Parlament schließlich ein Amnestiegesetz. Demnach umfasst die Amnestie alle jugoslawischen Staatsbürger, die im Zeitraum vom 1. Januar 1999 bis 31. Mai 2001 Verbrechen gemäß Art. 125 (Terrorismus) und Art. 136 (Verschwörung zur Begehung feindlicher Aktivitäten), bzw. diese Tatbestände in Verbindung mit Art.139 Strafgesetzbuch (qualifizierte Tatbestände) begangen haben oder dieser Taten verdächtig sind. Die Amnestie bedeutet den Verzicht auf Strafverfolgung, bereits laufende Verfahren sollten eingestellt, bereits erfolgte Verurteilungen nicht vollstreckt und inhaftierte Personen entlassen werden. Erst dieses Gesetz verpflichtete die Staatsanwaltschaft alle Verfahren einzustellen. Bereits erfolgte Verurteilungen wurden basierend auf dem Gesetz wieder aufgehoben. Seit der Verabschiedung des Amnestiegesetzes wird die Amnestie respektiert. Zahlreiche Personen, die als einfache Soldaten in der UÇPMB gedient haben, leben nach wie vor in Presevo, ohne einer Verfolgung ausgesetzt zu sein. So wurde auch das Urteil gegen Luan Sadilu wieder aufgehoben und die Freilassung des ehemaligen Angehörigen der UÇPMB angeordnet. Das Verfahren gegen Besim Leka wurde ebenfalls eingestellt.

Die vom BW genannte Person, Shefqet Musliu, wurde von den KFOR Truppen im Kosovo verhaftet. Am 25 Juni 2004 wurde er zu einer Haftstrafe von 12 Jahren vom Gericht in G., unter anderem wegen Entführung, illegalen Waffenbesitz und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, verurteilt und verbüßt diese Person derzeit die Haftstrafe im Kosovo. Die Verurteilung erfolgte durch einen Senat von drei internationalen UNMIK Richtern. Die beiden Mitangeklagten Personen, Besim Tahiri und Feriz Qerimi wurden gleichfalls zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Hingegen wurden die Mitangeklagte Jeton Arifi und der Bruder des Shefqet Musliu, nämlich Xhevdet Musliu, von allen Anklagepunkten frei gesprochen.

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Die folgende Aussage des BW wonach sich 12 Personen in Haft befinden, kann nicht bestätigt werden.

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem BAA vom 24.03.2006

"F: Es gibt ja die Amnestie.

A: Es sind trotzdem 12 Mitglieder unserer Armee in Haft.

F: Wie heißen diese Personen.

A: Das weiß ich nicht. Shefqet Musliu und Sokol, aber es sind 12 Personen."

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem UBAS vom 11.03.2008

"Ich weiß von verschiedenen UCBMP-Angehörigen, die jetzt im Gefängnis sind. Von 12 weiß ich, dass sie im Gefängnis sind".

Anzumerken an dieser Stelle ist, dass die Amnestie sich lediglich auf den Zeitraum bis 31.5.2001 erstreckt. Es gab eine Reihe von Anschlägen und Übergriffen, die sich nach diesem Zeitpunkt ereignet haben. Der Anschläge verdächtigt wurden ehemalige UÇPMB Angehörige. Es gab einzelne Personen, welche gegen das Friedensabkommen mit der serbischen Regierung eintraten und nach wie vor eine Vereinigung mit dem Kosovo zum Ziel haben. Diese Personen machten auch nach der Auflösung der UÇPMB mit Anschlägen auf sich aufmerksam.

So wurden im Zeitraum November 2001 bis Juli 2002 zahlreiche Angriffe auf Personen bzw. deren Eigentum gerichtet, die der multhieethnischen Polizei angehörten bzw. die sich für eine Aufnahme in die Polizei beworben hatten.

Am 10. November 2001 wurde ein Anschlag auf Besnik Mustafa verübt, als er sich mit seinem Auto auf den Rückweg nach Hause befand. Er hatte sich zuvor für die Polizeieinheit beworben.

Am 14 Mär 2002 wurde eine Handgranate in das Haus des Hajredin Salihu, dessen Sohn für die Polizei zuvor rekrutiert worden war, geworfen.

Am 17 März wurde eine Handgranate in das Haus des Samet Shabani, dessen Sohn für die Polizei zuvor rekrutiert worden war, geworfen.

Am 29 November 2001 wurde ein Anschlag auf die Station der multiethnischen Polizei verübt.

Ein ähnlicher Anschlag ereignete sich am 17 Mai 2002 in dem Dorf Lucane.

Am 24 Juni 2002 wurde der Polizist, Blerim Mustafa brutal zusammen geschlagen. Die Täter sind der Polizei bekannt und wird nach den Personen gefahndet.

Im genannten Zeitraum ereigneten sich zahlreiche weitere Sprengstoffanschläge gegen staatliche Unternehmen oder gegen serbische Lokale.

Am 16 Februar 2002, explodierte eine Bombe exploded im Hof des staatlichen Unternehmens in Bujanovc. Einem Monat später zerstörte eine Handgranate das Cafe des Obrad Ristic aus dem Dorf Lucane in der Gemeinde Bujanovac gelegen.

Am 18 April 2002 wurde das Cafe des Dragija Pe¿ic in Pre¿evo, von einem Sprengkörper zerstört.

Am 27 Februar 2002 wurde ein Sprengkörper im Garten des Lokals des Slobodan Dimitrijevic, in Bujanovac entdeckt.

Vereinzelte Anschläge wurden auch in den Jahren danach verübt. Der letzte Vorfall ereignete sich am 7 Juni 2008. In der Nacht explodierte ein Sprengkörper im Hof der Polizeistation von Bujanovac. Es entstand erheblicher Sachschaden, verletzt wurde jedoch niemand. Zahlreiche Autos sowie umliegende Gebäude www.ris.bka.gv.at Seite 8 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

(Sportzentrum "Rinia", das OSZE Büro, das Büro der NGO "Nansen Dialogue Centre", u. w.) wurden durch die Explosion beschädigt. Ermittlungen sind bis dato im Gange, bisher ist allerdings nichts über die Urheber bekannt.

Das Amnestiegesetz umfasst diese Taten nicht und die Urheber müssen sich für Verbrechen gemäß Art. 125 (Terrorismus) und Art. 136 (Verschwörung zur Begehung feindlicher Aktivitäten) verantworten. In vereinzelten Fällen wurden die Urheber verhaftet und verurteilt.

Muhamed Murati (18 Jahre) von Vranje, Naser Aliu (19) von Bujanovac, Sami Islami (22) von Lojane (Mazedonien) und Arban Murati (20) von Vranje wurden verhaftet und am 3 März 2002 angeklagt. Ihnen wurde vorgeworfen 10 kg Sprengstoff im Zentrum von Bujanovac deponiert zu haben. Das Gericht in Vranje verurteilte Muhamed Murati und Naser Aliu zu einer drei jährigen Gefägnisstrafe, hingegen wurde Sami Islami von der Anklage freigesprochen.

Zusammenfassend ist fest zu halten, dass das Amnestiegesetz gegenüber ehemaligen Mitgliedern der UÇPMB eingehalten wird.

Stellt das Zeichnen der albanischen Flagge in Serbien einen Straftatbestand dar? Wenn ja: existiert eine Verjährungsfrist?

Das serbische Strafrecht verbietet nicht explixit das Zeichnen der albanischen Flagge. Eine solche Bestimmung ist dem Strafrecht fremd.

Wohl aber ist die Verwendung von staatlichen Symbolen geregelt. Die Verwendung von Staatssymbolen anderer Staaten im Territorium der Republik Serbien ist verboten. Ein solches Verbot findet sich im Gesetz über den Schutz der Rechte und Freiheiten nationaler Minderheiten (Law on the Protection of the Rights and Freedoms of National Minorities). Artikel 16, Absatz 1 garantiert zunächst nationalen Minderheiten das Recht nationale Symbole zu verwenden. Im zweiten Absatz wird dieses Recht aber wieder eingeschränkt, demnach dürfen nationale Symbole und Wappen nicht verwendet werden, die ident mit den Symbolen anderer Staaten sind. Zitat: "a nationality symbol and emblem shall not be identical with a symbol and emblem of another state'.

Die albanische Nationalflagge (schwarzer Adler auf rotem Hintergrund) darf in Serbien öffentlich nicht verwendet werden, da diese ident mit der Staatsfahne der Republik Albanien ist. Die Verwendung der albanische Flagge in Presevo bot Anlass zu zahlreiche Polizeiübergriffen. So ist es Tradition bei den Albanern, wenn der Dachstuhl eines neuen Hausbaus fertig gestellt wird, auf dem Dach die albanische Flagge zu hissen. Traditionsgemäß wird auch bei Hochzeitszügen, die albanische Flagge mitgeführt. In der Regel führt das Auto mit der Fahne den Autokonvoi an.

Nachdem es jahrelang zu brutalen Polizeiübergiffen, insbesondere bei Hochzeiten, gekommen war, wird die Verwendung der albanischen Flagge im privaten Bereich nunmehr von der Polizei großteils geduldet. Laut Aussage des Menschenrechtskommittees von Bujanovac werden aber vereinzelt weiterhin Personen von der Polizei gemäß dem Tatbestand der Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung angezeigt und zu Geldstrafen verurteilt.

Das Menschenrechtskomitee von Bujanovac brachte im August 2002 eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof der Föderation Jugoslawien ein, um die Verfassungsmäßigkeit des Artikel 16 des Gesetzes über den Schutz der Rechte und Freiheiten nationaler Minderheiten prüfen zu lassen. Das Menschrechtskomitee argumentierte in der Beschwerde, dass dieses Gesetz die albanischen Minderheit gegenüber anderen Minderheiten benachteiligt, da die Albaner keine anderen Symbole haben und die von ihnen verwendete Flagge seit dem Jahre 1443 Nationalsymbol der Albaner ist. Zudem verstoße das Gesetz gegen Absatz 1, Artikel 11 der Verfassung der Föderation und gegen Absatz 1 Paragraph 26 des International Covenant on Civil and Political Rights, wurde vom Menschrechtskomitee vorgebracht. Das Verfassungsgericht wies die Beschwerde am 25 September 2002 ab und argumentierte, das Verbot verbiete nicht den Minderheiten ihre nationalen Symbole zu verwenden, sondern das Verbot umfasse lediglich Symbole, die von anderen Staaten als Staatssymbole verwendet werden.

Das Menschenrechtskomitee von Bujanovac wendete sich mit einer Beschwerde an den High Commissioner for Minority Rights der OSCE. Diese vertritt die Ansicht, dass die Verwendung nationaler Symbole im privaten Bereich von dem Verbot Symbole anderer Staaten nicht verwenden zu dürfen, nicht erfasst sei und appellierte an die serbischen Organe die Verwendung der albanischen Flagge im Privaten Bereich zu erlauben.

www.ris.bka.gv.at Seite 9 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Die serbischen Behörden haben das Hissen der albanischen Flagge an öffentlichen Gebäuden mehrfach verurteilt und die Albaner aufgefordert, von solchen Provokationen Abstand zu nehmen. Im 28 November 2001 wurde am Tag der Flagge (Nationalfeiertag aller ethnischen Albaner) die albanische Fahnen bei Feierlichkeiten und an Kundgebungen verwendet. Am Jahrestag, nämlich 24 Mai 2002, der Tötung des Ridva Qazimi wurde die Flagge bei der Kundgebung gehisst. Am Monument für den getöten UÇBMP Kommandaten, im Dorf , ist die albanische Flagge ständig angebracht. Die gewaltsame Entfernung wurde durch die Polizei bisher unterlassen, um eine Destabilisierung der Situation zu vermeiden.

Zusammenfassen ist fest zu stellen, die Verwendung der albanischen Flagge ist in Presevo verboten, da diese ein Staatssymbol der Republik Albanien ist. An öffentlichen Gebäuden, wie etwa der Gemeindeversammlung, darf die albanische Fahne nicht angebracht werden. Im privaten Bereich (etwa Feierlichkeiten) wird die Verwendung der albanischen Flagge von der Polizei geduldet. Das Zeichnen der Flagge auf einem Blatt Papier stellt gemäß serbischer Rechtslage jedoch kein Vergehen dar.

Hatte die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo Auswirkungen auf die Lage im Presevotal, wie etwa verstärkte serbische Truppenpräsenz, vermehrte Übergriffe auf Albaner, Unruhen in der Region, etc?

Die Sicherheitslage im Presevotal blieb auch nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo stabil. Zwar verstärkte die serbische Polizei und Armee ihre Truppenpräsenz, Unruhen blieben allerdings aus. Es wurden keine Übergriffe auf die albanische Bevölkerung registriert. Die serbischen Sicherheitskräfte sind bestrebt, jegliche Provokation der albanischen Bevölkerung, die zu einer erneuten Eskalation des interethnischen Konflikts führen könnten, zu vermeiden. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hatte bis dato keinerlei negative Auswirkungen auf die Region. Die Bevölkerung des Presevotals ist hinsichtlich des Status für die Region allerdings weiterhin gespalten. Ein Teil fordert die Vereinigung mit dem Kosovo, der größere Teil ist jedoch bestrebt ihre Rechte innerhalb des serbischen Staates zu verwirklichen und fordert die Umsetzung der, in der serbischen Verfassung, garantierten Minderheitenrechte. Der Wunsch einiger politischer Parteien nach einer Vereinigung mit dem Kosovo stellt allerdings die Stabilität der Region in Frage. Die weiteren Entwicklungen in Presevo hängen von der Situation im Kosovo ab. Gegenwärtig gib es aber keine Anzeichen für einen Bruch des Friedens in der Region.

Die politischen Entwicklungen im Kosovo hatten auch in der Vergangenheit immer Auswirkungen auf die Menschenrechtslage der Albaner in Südserbien. Die albanische Bevölkerung in den drei Gemeinden Preshevo, Bujanovc und Medvegja wurde während Jahrzehnten gezielt diskriminiert. Es können mehrere Phasen der Repression unterschieden werden.

Erste Phase der Repression

Die erste Phase umfasst den Zeitraum 1989 bis zum Ausbruch des Krieges im Jahre 1999 im Kosovo. Im Jahre 1989 wurden die Albaner in Preshevo, genauso wie jene des Kosovo einer systematischen Diskriminierung ausgesetzt. Nachdem 1989 dem Kosovo die Territorialautonomie entzogen wurde, verloren auch die Albaner in Südserbien alle kollektiven Minderheitenrechte. So wurden im Jahre 1989 zunächst alle 11 albanischen Professoren aus dem einzigen pädagogischen Zentrum in Presevo entlassen und in weiterer Folge die albanischen Schulen geschlossen. Das Erscheinen der einzigen albanischen Tageszeitung wurde verboten. Albaner wurden in der Folge aus ihren Arbeitsplätzen in Betrieben und dem lokalen Sicherheitsapparat (Polizei) entlassen. Das einzige Gesundheitszentrum in Presevo wurde geschlossen und das gesamte albanische Personal gekündigt. Die einizige Gynäkologische Ambulanz wurde ebenfalls geschlossen. Dies führte in den Folgejahren zu einem Anstieg der Kindersterblichkeitsrate in der Region.

Auf die gezielte Diskriminierung reagierte die Bevölkerung mit einer politischen Deklaration. Im Jahre 1992 wurde von der albanischen Bevölkerung ein Referendum organisiert, indem sich die Mehrheit der Albaner für einen Autonomiestatus aussprachen. Auch ein späterer Anschluss an das Kosovo wurde befürwortet. Diese Forderung führte wie im Kosovo zu einer weiteren Repressionspolitik des Belgrader Regimes, wodurch es auch zu Polizeiübergriffen kam.

Zweite Phase der Repression

Die meisten Übergriffe ereigneten sich allerdings während der NATO Angriffe gegen Serbien im Kosovokrieg, somit in den Monaten März bis Juni 1999, das die zweite Phase der Repression markierte.

Nachdem der Kriegszustand in Serbien ausgerufen worden war, wurden die Albaner in Südserbien Opfer zahlreicher Gewaltakte und Menschenrechtsverletzungen durch Paramilitärs, Armee und Polizei. Die Muster der serbischen Übergriffe entsprachen dem Vorgehen im Kosovo. So wurde am 31.3.1999 zunächst das albanische www.ris.bka.gv.at Seite 10 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Dorf Veliki Ternovac von der serbischen Armee und Spezialeinheiten umzingelt und den männlichen Bewohnern wurden zwei Stunden Zeit gegeben, sich den Truppen zu stellen. Zahlreiche Personen wurden verhaftet und brutal zusammen geschlagen. In den folgenden Monaten wurden Hausdurchsuchungen in den Dörfern Ranatovce, Buhic, Madare, Bustranje, Gospodince, und durchgeführt im Zuge dessen zahlreiche Personen gefoltert wurden. Bis Ende Juni 1999 starben insgesamt 11 Albaner an den Folgen von Übergriffen durch die Polizei und die Armee. 6 Opfer stammen aus Presevo, 2 aus Bujanovc und 4 aus dem Kosovo. Allein in der Gemeinde Presevo wurden insgesamt 243 Anzeigen wegen Polizeiübergiffen erstattet. Zahlreiche Häuser wurden von der serbischen Armee zerstört bzw. beschädigt. Der Schaden wurde mit 6 Millionen Euro beziffert.1

Dritte Phase der Repression

Im Juni 1999 wurde der Krieg im Kosovo beendet. Aufgrund eines militärisch-technischen Abkommens vom 9. Juni 1999 (Kumanovo Abkommen) wurde entsprechend den NATO-Vorschlägen ein fünf Kilometer breiter Sicherheitsstreifen (Ground Security Zone, GSZ) entlang der Grenze zu Kosovo installiert. Serbiens Militär durfte sich nicht innerhalb dieser Zone bewegen und keine schweren Waffen installieren, lediglich leicht bewaffneten Polizeikräften war das Betreten der Zone gestattet. Die Zone umfasste 50% der albanischen Dörfer von Südserbien. Insbesondere die Bevölkerung jener Ortschaften außerhalb der Zone wurden von Angehörigen der paramilitärischen Formationen, der serbischen Armee und der Spezialeinheiten der Polizei terrorisiert. Obgleich der Kriegszustand im Juni 1999 aufhoben worden war, kam es auch danach zu zahlreichen Übergriffen auf die albanische Bevölkerung.

Polizeicheckpoints wurden in den Dörfern Lucane, Konculj und Veliki Trnovac errichtet, an welchen zahlreiche Personen angehalten und misshandelt wurden.

So wurde am 31. Juli 1999 der Taxifahrer, Fetah Fetahu tot aufgefunden. Er war zuvor von der Polizei im Dorf Konculj angehalten worden. Einige Meter davon entfernt wurde seine Leiche entdeckt.

Am 26. Jänner 2000 wurden die Brüder Shaip und Isa Saqipi im Dorf von der Spezialpolizei getötet, als sie im Wald Holz fällten. Das Begräbnis der Brüder vier Tage später markierte das erstmalige Erscheinen der UÇPMB in der Öffentlichkeit. UÇK-Veteranen, teils Angehörige der lokalen albanischen Minderheit, teils Kosovo-Albaner, sammelten sich daraufhin in der Grenzregion, mit dem Ziel ihre Landsleute vor weiteren Übergriffen der Serben zu schützen. Darüber hinaus wurde der Anschluss des Presevo Tals an das Kosovo als Ziel formuliert.

Am 12. Februar 2000 wurde Ejup Hasani von der serbischen Polizei im Zuge einer Hausdurchsuchung in Dorf verhaftet und 200 Meter von seinem Haus entfernt hingerichtet.

In den folgenden Monaten fasste die UÇPMB in Mazedonien Fuß und nutzte die demilitarisierte Zone, um Angriffe vorzubereiten und Waffen zu schmuggeln. Die UÇPMB erfreute sich somit eines de facto - Schutzes, den die NATO durch das Verbot schwerer Waffen im Sicherheitsstreifen bewirkt hatte. Die Gewalt eskalierte in der Region eskalierte.

Im Dezember 2000 gründeten die jugoslawische Föderation und die Regierung der serbischen Republik in Belgrad eine gemeinsame Koordinierungsgruppe für die Gemeinden Presevo, Bujanovc und Medveda. Ziel war es den Konflikt auf friedliche Art und Weise zu beenden. Die albanischen Repräsentanten wurden aufgefordert einen Dialog mit der serbischen Regierung und der jugoslawischen Föderation zur Beilegung der Konflikts zu führen. Die Internationale Gemeinschaft wurde eingeladen im Konflikt zu vermitteln. In der Folge wurde ein Plan ausgearbeitet, der vertrauensbildende Maßnahmen vorsah, um die Situation der Albaner zu verbessern. Der sog. Covic Plan sah vor, dass Flüchtlinge zurückkehren sollten, zerstörte Häuser repariert, Lokalwahlen abgehalten, eine multiethnische Polizei formiert und die Albaner in die öffentlichen Institutionen wieder integriert werden, von denen sie davor weitgehend ausgeschlossen waren.

Die Umsetzung des Covic-Plans sollte von der Koordinierungsgruppe mit dem damaligen stellvertretenden Premierminister Nebosja Covic an der Spitze erfolgen. Unter Vermittlung der NATO, der EU und der OSCE einigten sich die Konfliktparteien auf eine Einstellung der Kämpfe. Am 12 März wurde zunächst ein Waffenstillstand vereinbart. Im Mai 2001 erlaubte die NATO der serbischen Armee in die Sicherheitszone einzumarschieren. Im Gegenzug für eine Amnestie wurde die UÇPMB dazu verpflichtet einer Demilitarisierung zuzustimmen. Am 4. Mai wurde vereinbart zunächst die Dörfer Lucane und zu demilitarisieren. Am 27. Juni 2001 wurde die Gründung einer multhieethnischen Polizei beschlossen, die OSCE verpflichtete sich zur Ausbildung der zu rekrutierenden Polizisten.

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Insgesamt starben 100 Menschen während der Kampfhandlungen. Zahlreiche Bewohner wurden zur Flucht getrieben. Bis März 2000 flohen über 7000 Personen ins benachbarte Kosovo und nach Mazedonien, insgesamt verließen etwa 15.000 Personen während und nach den NATO-Bombardierungen Südserbien. Nach dem Friedensabkommen kehrte der Grossteil wieder zurück. Nach wie vor leben aber zahlreiche Flüchtlinge als IDPs im Kosovo (vorwiegend G.).

Ende der Systematischen Repression und Entspannung der Lage

Die Implementierung des Covic Plans markierte ein Ende der systematischen Diskriminierung der albanischen Bevölkerung. Die in den folgenden Jahren durchgeführten Dezentralisationsmassnahmen leiteten einen Stabilisierungsprozess ein. Eine Respektierung der Minderheitenrechte nach europäischen Standards wurde aber bislang nicht erreicht. Nach wie vor gibt es eine Reihe von Bereichen, wo weitere Reformen notwendig sind. So etwa in Erziehungswesen, Gesundheitswesen, Beteiligung an staatlichen Institutionen, im Justizbereich, etc.

Die Beteiligung der albanischen Bevölkerung an den politischen Strukturen Serbiens auf zentraler Ebene ist unabdingbar zur vollständigen Integration der albanischen Gemeinden in den serbischen Staat.

Ende 2005 setzten die Verhandlungen über den endgültigen Status von Kosovo ein. Die politische Elite der ethnisch-albanischen Bevölkerung im Presevo-Tal wollte darin beteiligt werden, da sie ihre Situation mit jener der serbischen Bevölkerung im Norden Kosovos vergleichbar hält. Die internationale Gemeinschaft ist jedoch nicht bereit die Grenzen zwischen Kosovo und Serbien zur Diskussion zu stellen. Die Lage in Südserbien wurde daher nicht in die Verhandlungen einbezogen.

Während dieser politisch sehr angeheizten Phase, ereignete sich ein schwerer Zwischenfall an der Grenze. Der 16 jährige H. J. wurde von serbischen Soldaten nahe der Grenze erschossen. Die Tötung des Jugendlichen an der Grenze durch serbische Soldaten stellte einen schweren Zwischenfall dar, der kurzfristig zu einer weiteren Anspannung der politischen Situation führte. Eine Eskalation konnte aber durch die bedachte Politik Serbiens und der albanischen Repräsentanten verhindert werden.

Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar 2008 hatte keine negativen, sondern vielmehr positive Auswirkungen für den Kosovo. Belehrt durch den Kosovokrieg hat die serbische Regierung verstanden, dass sich nur mit Diplomatie und Verhandlung erreichen lässt, was mit Gewalt zerstört wurde, nämlich relativ sichere Grenzen, internationale Unterstützung für diese Grenzen und Frieden in der Region. Ein bewaffneter Konflikt steht im Presevo-Tal nicht in Aussicht, jedoch bilden die desolaten ökonomischen Verhältnisse und die hohe Arbeitslosigkeit besonders unter der albanischen Bevölkerung weiterhin ein Gefährdungspotential. Die Nichtbeteiligung der AlbanerInnen an der von Nebosja Covic geleiteten Koordinierungsgruppe trug dazu bei, dass zahlreiche Probleme ungelöst blieben und die Gruppe ihre Tätigkeit im Jahre 2006 gänzlich einstellte. Fehlende Fortschritte stärkten die extremistischen Kräfte auf beiden Seiten.

Im August 2007 erfolgte eine Reorganisation der Koordinierungsgruppe, um den albanischen Gemeindevertretungen eine Mitwirkung in diesem Organ zu ermöglichen. Erstmals wurden zwei Albaner in die Gruppe integiert, nämlich Driton Redzepi und Seljami Bektashi. Der nunmehrige Leiter der Gruppe unterhält regelmässige Kontakte mit den Bürgermeistern der drei Gemeinden in Südserbien.

Auf Initiative der Koordinierungsgruppe wurden die Gemeinden Presevo, Bujanovac and Medvedja in die Standing Conference of Towns and Municipalities aufgenommen. Die Standing Conference stimmte nach den Lokalwahlen zu, dass Bujanovac Mitglied des neu gegründeten Kommittees für Regionale Entwicklung wird. Die erste Versammlung dieses Kommittees wird in Bujanovc stattfinden.

Die serbische Regierung hat begonnen grössere Investitionen in die Infrastruktur zu tätigen. 310 million dinars (ca. 3.8 million Euro) stehen zur Verfügung, um Projekte in den drei Gemeinden, während des Jahres 2008 zu co- finanzieren. Bis dato wurden bereits zahlreiche Projekte (Strassenbau, Wasserversorgung, Sanierung von Schulen, etc.) implementiert.

Reformen im Gesundheitsbereich sind ebenfalls vorgesehen. Die Integration von Albanern in das südserbische Gesundheitssystem soll voran getrieben werden. In Presevo und Bujanovac gibt es zwei Gesundheitszentren. Die beiden Zentren sind nach wie vor dem Gesundheitszentrum in Vranje administrativ unterstellt, das auch die Direktoren bestimmt. Das Gesundheitszentrum beschäftigt insgesamt 250 Personen, darunter acht albanisch Ärzte, jedoch kein weibliche Gynäkologen. Das Gesundheitszentrum Presevo spiegelt die reale Bevölkerungszusammensetzung nicht wider, von 130 Angestellten sind 86 AlbanerInnen und zwei Roma (der albanische Bevölkerungsteil beträgt 90 Prozent). Reformen sind geplant und die Gesundheitszentren sollen in Hinkunft autonomer verwaltet werden. www.ris.bka.gv.at Seite 12 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Im Erziehungswesen sind nach wie vor zahlreiche Probleme gegeben. Wie alle anderen alltäglichen Bereiche sind auch die Schulen Gegenstand der Polarisierung zwischen Albanern und Serben. Vor den 1990er-Jahren umfasste der Unterrichtsplan auch albanische Geschichte und Kultur, danach nicht mehr. Ethnozentrische Lehrpläne, aggressiver Inhalt von Schulbüchern und zentralistische Entscheidungsprozesse behinderten auch in den letzten Jahren einen adäquaten Unterrichtung in albanischer Sprache. Eine Revision des Unterrichtsmaterials steht noch aus. Möglichkeiten für eine höhere Schulbildung gibt es derzeit nur in Bujanovac, oder in den Städten G. und Pristina im Kosovo gelegen. Eine Hochschulbildung ist nur außerhalb von Serbien, nämlich in Pristina (Kosovo), Tetovo (Mazedonien) oder in Tirana(Albanien) möglich. Die Kosovo-Diplome waren bisher in Serbien nur anerkannt, wenn die Diplome mit einem UNMIK-Stempel versehen waren. Nach der Unabhängigkeitserklärung wird es in Hinkunft zu Schwierigkeiten bei der Annerkennung der Diplome kommen. Albanische Politiker haben seit Jahren darauf gedrängt eine spezielle Kommission zu bilden, um Lehrpläne in albanischer Sprache zu entwickeln. Seit 2008 zeichnet sich eine Annäherung der beiden Seiten in dieser Frage ab.

Die Verwendung der albanischen Sprache ist als offiziele Amtssprache in den südserbischen Gemeinden zugelassen. Da die öffentlichen Institutionen, insbesondere alle Führungspositionen von Serben, die Albanisch nicht sprechen, besetzt werden, ist eine Kommunikation in albanischer Sprache oftmals nicht oder nur mit Übersetzer möglich. So sind beispielsweise beim Gericht in Presevo von den insgesamt 6 Richtern, mittlerweile 3 Richter, albanischer Herkunft. Das gesamte administrative Personal setzt sich jedoch ausschließlich aus Serben zusammen. Verfahren müssen daher weiterhin in serbischer Sprache durchgeführt werden. Reformen sind auch in diesem Bereich geplant.

Ende April 2008 wurde eine "Coordination Body Strategy for 2008-2010" formuliert. In Konsultation mit Gemeindevertretern, politischen Parteien, NGOs und Internationalen Organisationen wurde eine Strategie entwickelt, die folgende Ziele verfolgt, Zitat:"The goal of the Coordination Body is to contribute to a sustainable development of this region in partnership with other ministries of the Government of , international organizations and foreign governments. The Coordination Body strives to strengthen the capacities of local governments and the civil society, so that they would be able to take care of their development themselves, without relying on the one-off assistance, which does not improve the situation over a long period of time, is not sustainable, and contributes to a lasting poverty of these municipalities."

In mehreren Sitzungen wurde die Situation seit 2001 analysiert und Lösungsvorschläge für die zahlreichen Probleme unterbreitet. Die Strategie enthält spezifische Aktionspläne. Seit Anfang 2008 sind positive Schritte gesetzt worden, es bleibt abzuwarten, ob die, in bestimmten Bereichen, immer noch vorherrschende Diskriminierung (Erziehungswesen, Gesundheitswesen, politische Partizipation in zentralen serbischen Strukturen, etc) der Albaner in naher Zukunft vollständig beseitigt wird.

Hat der BW aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit damit zu rechnen, im Presevotal von Angehörigen der serbischen Polizei- bzw. Militärkräfte misshandelt zu werden?

Die Sicherheitslage in Presevo ist gegenwärtig stabil. Folgende drei Institutionen obliegt die Gewährleistung der Sicherheit :

Regionalpolizei in Vranje

Am 27. Juni 2001 wurde die Gründung einer multhiethnischen Polizei vereinbart. Die "Accepted Principles for the Multi-Ethnic Police Element in the Municipalities of Pre¿evo, Medveda and Bujanovac"' wurden vom serbischen Innenminister Du¿an Mihajlovic; dem Bürgermeister von Pre¿evo, Riza Halimi und dem Presidenten der Koordinierungsgruppe, Neboj¿a Covic, unterzeichnet. Der Leiter der OSZE Mission in Jugoslavien, Stefano Sanino, unterzeichnete das Abkommen als Garant und verpflichtete damit die OSZE die Ausbildung der Polizisten zu unterstützen und zu beaufsichtigen. Konkret bedeutete dies, dass die serbische Regierung verpflichtet wurde, Albaner in die gewöhnliche, dem regionalen Hauptquartier in Vranje unterstellte, Polizeieinheiten wieder zu integrieren. Seit 1989 waren die Albaner aus allen Institutionen verdrängt worden. Die Eingliederung in die Polizei sollte ein Gefühl der Sicherheit unter der albanischen Bevölkerung entstehen lassen.

Die Ausbildung erfolgte in drei Phasen. Die erste dauerte vom 21. Mai bis 9. Juni 2001 und umfasste Personen, die in den Jahren 1989/1990, aus dem Polizeidienst entlassen worden waren. Die erste Einheit trat ihren Dienst am 28. Mai 2001 an. Die zweite Phase umfasste 28 Reservisten der Spezialpolizei. Die dritte Phase umfasste 400 im Alter zwischen 20 und 27 Jahren, ohne jegliche Polizeiausbildung.

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Vom 6. August 2001 bis 15. Juli 2002 wurden 4 Gruppen ausgebildet, davon 253 Albaner, 128 Serben, und 3 Montenegriner. In die Einheiten sind 29 serbische und albanische Frauen eingebunden.

Die multhiethnische Polizei, die ausschließlich im Presevo Tal Dienst verrichtet, zählt heute insgesamt 430 Mitglieder.

Die multhiethnische Polizeieinheit ist als erster Ansatz zu werten, vertrauensbildende Massnahmen zu setzten. Wesentliche Sicherheitsfragen werden weiterhin von der Gendarmerie und den Polizisten in der Polizeizentrale in Vranje wahrgenommen, es ist geplant dass diese Einheit in Hinkunft mehr Kompetenzen übernimmt.

Gendarmerie

Die Gendarmerie sind Spezialkräfte des serbischen Innenministeriums (MUP). Sie sind besser trainiert und besser ausgerüstet als die Armee. Der Gendarmarie werden die gravierendsten Menschenrechtsverstösse zugeschrieben. Auch nach dem Friedensabkommen vom Mai 2001 setzte die Gendarmarie ihre menschenverachtende Vorgehensweise fort und sorgte für ein Gefühl der Unsicherheit unter der albanischen Bevölkerung. Im folgenden einige Fälle von Übergriffen durch die Gendarmerie:

Am 15. Juni 2001 wurden 15 Bewohner des Dorfes Konculj von der Gendarmarie misshandelt.

Am 1. Juli 2001 wurde im Dorf Lucane der jugendliche Elhan Behluli von der Polizei mit dem Dienstauto niedergefahren. Er erlitt schwere Verletzungen.

Zwischen dem 5. und 9. Juni 2001 schikanierte und malträtierte die Gendarmarie etliche Albaner der Umgebung, als diese den Polizeicheckpoint nahe des Dorfes Trnava passieren wollten.

Am 17. and 18. November 2001 wurde Nehat Emini aus dem Dorf während einer Hausdurchsuchung von der Gendarmerie misshandelt. Ihm wurde vorgeworfen bei der UÇPMB gewesen zu sein. Aus Furcht vor weiteren Repressalien verließ der Albaner das Dorf und kam vorübergehend bei Verwandten in der Stadt unter.

Am 14. März 2002 wurden im Dorf , Schüsse auf eine Gruppe von Schulkindern, welche sich im Hof der Grundschule befanden, von dem nahegelegen Polizeiposten abgefeuert. Die Kinder wurden schockiert blieben aber unverletzt.

Am 26. Oktober 2002 wurden drei Pre¿evo Albaner, Ekrem Sulejmani, Bejtula Musahu und dessen Sohn Avni auf dem Weg zum Dorf Strezovce von der Gendarmerie angehalten und misshandelt. Am 28. Oktober 2001 brachte das Komitee für Menschenrechte in Bujanovac eine Beschwerde bei der Koordinierungsgruppe wegen Übergriffen durch die Gendarmerie in diesem und weiter Fällen, ein. Die Koordinierungsgruppe ordnete eine Untersuchung der Vorfölle an. Im letztgenannten wurden Disziplinarmassnahmen gegen die Polizisten verhängt.

Am 20. Juni 2001 wurden Lokman Dalipi, Visar Beluli und Afrim Azizi aus dem Dorf , Bujanovac von der Polizeistation von Biljaca zu 'informativen Gesprächen" vorgeladen. Der Stationskommandant, Stanko Todorovic, steht im Verdacht im Jahre 1999, 13 albanianische Zivilisten im Dorf Letovice brutal misshandelt, zu haben. Die EU Beobachter (EUMM) wurden um Intervention gebeten. Todorovic, der nach ehemaligen UÇPMB Mitgliedern ermittelte, wurde aufgefordert solche Befragungen zu unterlassen und jegliche Ermittlungen einzustellen.

Zahlreiche Personen wurden schickaniert, wenn sie um Pässe ansuchten.

Das Menschenrechtskomitee von Bujanovc dokumentierte alle Fälle von Übergriffen durch die Gendarmarie und Armee. Am 21. Dezember 2000 wurde der Koordinierungsgruppe erstmals ein umfassender Bericht vorgelegt. Die Koordiniserungsgruppe leitete Untersuchungen der Vorfälle ein. Nur ein einzelnen Fällen wurde das Ergebnis der Untersuchung mitgeteilt. In der Regel wurde das Verhalten der Polizei und Armee gerechtfertigt.

In die Gendarmerie waren etwa 80 Mitglieder der Staatssicherheitseinheit für spezielle Operationen (Red Berets) integriert. Diese Einheit wurde bereits aufgelöst, da ihr eine Beteiligung an der Ermordung von Premier Djindjic nachgewiesen werden konnte. Die Koordinationsgruppe bestreitet, dass heute noch Mitglieder der Red Berets oder anderer paramilitärischer Einheiten, die während des Kosovo-Kriegs Menschenrechtsverletzungen begangen haben, Teil der Armee, Polizei oder Gendarmerie sind. Die albanische Seite zweifelt diese Feststellung weiterhin an. Die albanische Bevölkerung wünscht eine Reduktion der Zahl der Armee und www.ris.bka.gv.at Seite 14 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Spezialpolizeieinheiten zugunsten einer grösseren multiethnischen Polizei. Die lokalen Serben hingegen betrachten die Gendarmerie und Armee als Schutz gegenüber "terroristischer Bedrohung".

Bis Mitte 2002 wurden insgesamt 120 Vorfälle zur Anzeige gebracht. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2002 wiesen die Zahl der Meldungen über Misshandlungen und Folterungen durch die Polizei eine rückläufige Tendenz auf. Seit Anfang 2003 entspannte sich die Situation in Presevo und sind keine weiteren Vorfälle von Übergriffen durch die Gendarmerie mehr gemeldet worden.

Serbische Armee

Der serbischen Armee obliegt die Grenzsicherung. Seit dem Rückzug aus dem Kosovo wurde die serbische Armee entlang der Grenze zu Mazedonien in Presevo konzentriert. In der serbischen Armee verrichten insgesamt 27.000 Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten ihren Dienst. Die genaue Anzahl der in Südserbien stationierten Truppen ist nicht bekannt. Seit dem Jahre 2005 wurde die Präsenz in der Region zunehmend verstärkt. Dahinter stand die Angst vor Auswirkungen der Verhandlungen über den Kosovo-Status und die Notwendigkeit, die Armee zu restrukturieren, um NATO-Standards zu entsprechen. Bis 2010 soll die serbische Armee in ein Berufsheer umgewandelt werden und dann aus einer Stärke von ca. 21.000 Mann bestehen. Bis dahin werden alle Rekruten durch professionelle Soldaten ersetzt. Die bisherigen Umstrukturierungen führten zu einer Auflösung des Pristina-Corps (frühere 3. Armee), da diese seit dem Abzug aus dem Kosovo im Juni 1999 ihre territoriale Zone, für die es zuständig war, verloren hatte. Das Nis- und das frühere Pristina-Korps gingen im Rahmen einer Reorganisation in ein neues gemeinsames Kommando der Streitkräfte auf.

Besonders kontrovers ist der Bau der Militärbasis "Cepotin", 5 km von der Stadt Bujanovac entfernt und zwischen Bujanovc und Presevo gelegen. Der Bau der Basis begann im Jahre 2003, fehlende finanzielle Mittel führten im Jahre 2005 zunächst zu einer Unterbrechung der Bauarbeiten. Bis Ende 2005 waren 410 Millionen Dinar investiert worden, eine Billion Dinar sind zusätzlich notwendig, um den Bau fertig zu stellen. Die "Cepotin" Basis wird sich auf einem Areal von 38 ha erstrecken. Der serbische Verteidigungsminister, Dragan Sutanovac, erklärte die Fertigstellung der Basis als Priorität für 2008. Im März wurde mit weiteren Bauarbeiten begonnen und soll das Projekt bis Ende 2008 fertig gestellt werden. Die Geldmittel stammen aus dem Fond des National Investment Plan (NIP). Durch den Bau der Basis wird Belgrad in Südserbien seine militärische Präsenz langfristig stärken.

Die örtliche Bevölkerung ist geteilt in der Frage, ob die Ankunft einer neuen militärischen Truppe in der Region eine Provokation (albanische Sicht) oder willkommen (serbische Sicht) ist. In der serbischen Armee sind noch immer Offiziere tätig, die in Kosovo-Krieg kämpften und weiterhin einen starken Hass gegen Albaner hegen. Die serbische Bevölkerung hingegen nimmt die Existenz der neuen Basis als Signal dafür, dass es in der Region für die Serben eine Zukunft gibt und betrachtet sie als stabilisierenden Faktor für die eigene Sicherheit.

Während bis Ende 2002 über Übergriffe durch die serbische Armee berichtet wurde, entspannte sich die Lage bis Ende 2004. Anfang 2005 kam es erneut zu einem schweren Zwischenfall. Der jugendliche H. J., wurde nahe der Grenze von der serbischen Armee erschossen, nachdem er diese zuvor illegal überquert hatte. Seit diesem Zwischenfall liegen keine Berichte über Übergriffe an Albanern durch die serbische Armee vor.

Zusammenfassen ist fest zu halten, dass eine systematische Diskriminierung der Albaner in Presevo seit dem Jahre 2003 nicht mehr gegeben ist. Grund dafür ist, dass die serbische Regierung eine moderatere und kompromissbereitere Haltung eingenommen hat und auf eine Deesklation der Situation bedacht ist. Die Regierung konzentriert sich nunmehr darauf einen wirtschaftlichen Fortschritt in der Gemeinde voran zu treiben. Im Jahre 2003 wurden erstmals insgesamt 7 Millionen Dinar in die Region investiert. Weitere Investitionen wurden in den Jahren danach getätigt. Seit Anfang 2008 konzentriert sich die serbische Regierung auf dem Ausbau der Infrastruktur in der Region.

Eine Misshandlung des BW, aufgrund seiner ethnischen Volkszugehörigkeit, ist unter den momentan vorherrschenden Bedingungen in Südserbien nicht als wahrscheinlich zu werten ist.

Stammt der BW aus einer streng muslimischen Familie bzw. einem streng muslimischen Dorf und wurde er von seinem Vater wegen seines "unmuslimischen" Lebenswandels verstoßen?

Der BW behauptet von seinem Vater aus der Familie ausgestoßen worden zu sein, wegen dessen unreligiösen Lebenswandels.

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem UBAS vom 11.03.2008

www.ris.bka.gv.at Seite 15 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

"BW: Dort wo ich aufgewachsen bin, im Dorf XY, sind die Menschen streng muslimisch und gehen in die Koranschule. Mein Vater ist auch einer von denen."

(...)

"VL: Wie würde Ihr Vater reagieren, wenn Sie auf einmal zu Hause vor der Haustüre stehen würden?

BW: Er würde mich als Sohn nicht akzeptieren. Er sagte mir am Telefon, dass ich nicht mehr sein Sohn bin.

(...)

"Zurzeit bin ich im Kontakt mit meinem Bruder. Mit meinem Vater habe ich seit ungefähr einem Jahr den Kontakt abgebrochen, weil er ein streng muslimischer

Mensch ist. Ein Bekannter, der in Deutschland lebt, hat ihm erzählt, dass ich mich nicht an die muslimischen Regeln halte. Er möchte nichts mehr von mir wissen.

Danach gefragt gebe ich an, dass mein Bruder auch sehr streng muslimisch lebt. Er ist auch in die Koranschule gegangen."

Die Bevölkerung des Dorfes XY gehört der moslemischen Glaubensgemeinschaft an. Die schulpflichtigen Kinder besuchen eine staatliche Schule mit regulärem Unterricht. Zusätzlich bietet die Moschee des Dorfes Religionsunterricht für Kinder an. Das Dorf XY verfügt über keine Koranschule. Die Bevölkerung des Dorfes XY wird allgemein nicht als streng muslimisch betrachtet. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, diese als solche einzustufen.

Die katastrophale wirtschaftliche Lage zwingt viele Junge Männer die Region zu verlassen. Ehen (meistens für einige Jahre) mit Frauen westeuropäischen Länder, oftmals mit dem einzigen Zweck der Erlangung von Aufenthaltstiteln, werden von vielen Albanern eingegangen, in Ermangelung anderer Möglichkeiten zu einem Aufenthalts- und Beschäftigungstitel zu gelangen. Diese Umstände sind bekannt und haben solche Ehen zu keinerlei Diskriminierung der betreffenden Personen, oder gar Ausstoß aus der Dorfgemeinschaft oder Familie geführt.

Ein Ausstoß einer Person aus der eigenen Familie hat weitreichende Konsequenzen und wird gemäß traditionellem albanischem Recht publik gemacht. Bewohnern des Dorfes XY, welche die Familie kennen, ist nicht bekannt, dass ein Ausstoß des BW aus der Familie erfolgte. Der Vater des BW ist zwar religiös, wird aber nicht als strenger bzw. radikaler Moslem angesehen. Die Familie R. wird von den Dorfbewohnern geschätzt und hoch angesehen.

Können die vom BW gegen seine Person ausgeführten Übergriffe verifiziert werden?

Der BW stützt sein Vorbringen einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, auf folgende Verfolgungshandlungen

Misshandlung des BW durch die serbischen Polizeikräfte im Jahre 1999 im elterlichen Haus als auch im März 2000 auf dem Grundstück (Weide) seines Vaters

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem BAA vom 24.03.2006

"Im Jahr 19991 wurden wir in meinem haus von der Polizei kontrolliert' Es wurde das ganze Dorf kontrolliert. Ich wurde zusammengeschlagen. Eines Tages habe ich etwas gezeichnet. Ein Haus und auf dem Dach habe ich die albanische Fahne gezeichnet. Mein Vater wollte mir mitteilen, dass die Polizei schon im Haus ist. Es kamen die Polizei und Soldaten. Meine Mutter wurde ohnmächtig. Sie sahen meine Zeichnung und eine Soldat nahm mich an der Schulter und zwang mich auf die Knie. Ein anderer sagte in serbischer Sprache er solle ziehen, einer zog ein Messer und er sagte, dass er ein Massaker ausüben wird. Meine Mutter, die wieder wach war sprang vor diesen Mann. Ich wurde zusammengeschlagen. 3 Wochen lang, war ich im Koma. Ich war nicht im Spital, was soll ich bei den Serben. Ich wurde mit Hausmittel versorgt.

Im März 2000 war ich auf einer Weide, ich wollte das Laub rechen. Als ich mit dem Traktor zurückfuhr, wurde ich von den serbischen Polizisten aufgehalten. Der eine fragte, ob ich Geld habe und ob ich etwas zum www.ris.bka.gv.at Seite 16 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Nahegelegen Zug brachte. Ich begann zu weinen. Er schlug mir ins Gesicht. Der andere kam von der anderen Seite und schlug mir mit dem Fuß auf die rechte Seite der Niere. Ich flog hinaus auf den Boden. Ich war verletzt. Sie schlugen mich zusammen. Ich war Bewusstlos. Ich weiß von Erzählungen, dass mich ein Dorfbewohner fand. Er brachte mich nach Hause.

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem UBAS vom 11.03.2008

"Ende 1999 hatten wir eine Kontrolle im Dorf. Diese Kontrolle führte die serbische Polizei durch. Ich war damals 15 Jahre alt und bin in meinem Zimmer gesessen und habe die albanische Flagge gezeichnet. Dann kam mein Vater ins Zimmer und ein paar Leute der Armee sind ins Haus gekommen und haben gesehen, was ich zeichnete. Einer hat ein Messer herausgenommen und sprach von einem Massaker. Dann hat meine Mutter geschrieen und sagte, dass sie mir nichts antun sollen. Dann haben sie mich geschlagen. Ich war drei Wochen lang im Koma. Nachdem sie mich schlugen bin ich nicht ins Spital gegangen, sondern war in häuslicher Pflege. In dieser Zeit wurden in meinem Dorf viele Leute von der serbischen Armee und der Polizei geschlagen. Die Personen der Armee waren alle maskiert."

"Anfang 2000 bin ich mit dem Traktor auf dem landwirtschaftlichen Grundstück gefahren. Auf der Rückfahrt haben mich drei Polizisten aufgehalten, einer von denen hat mich nach Geld gefragt und der andere danach, ob ich etwas von einem Zug aus der Nähe mitgenommen hätte. Einer hat mich mit der Faust ins Gesicht geschlagen, der andere trat mich von hinten. Ich war bewusstlos und ein Nachbar fuhr mich mit dem Traktor nach Hause."

Die serbische Armee war im Jahre 1999 oberhalb des Dorfes XY positioniert. Dorfbewohner konnten die vom BW gemachten Aussagen nicht bestätigen, wonach die serbische Armee im Dorf XY Kontrollen durchführten. Wohl aber wurden solche Kontrollen in anderen Dörfern durchgeführt.

Es konnte nicht verifiziert werden, dass das Elternhaus des BW von der Polizei durchsucht wurde im Zuge dessen der BW geschlagen worden ist.

Der Vorfall aus dem Jahre 2000 konnte ebenfalls nicht bestätigt werden. In Presevo gibt es ein Gericht. Ein Strafverfahren kann allerdings nur die Staatsanwaltschaft einleiten. Beim Gericht in Presevo ist bzw. war kein Strafverfahren gegen Polizisten anhängig, noch wurde ein solcher Vorfall dort jemals zur Anzeige gebracht.

Folgende Aussage des BW konnte daher nicht bestätigt werden.

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem BAA vom 24.03.2006

"A: Ja, die drei Polizisten die mich zusammengeschlagen haben. Dies zeigte ich in Presevo beim Gericht an.

F: Gibt es dort nur eines?

A: Ja, der Richter heißt Y., ich weiß nicht mehr."

Hingegen konnte bestätigt werden, dass beim (einzigen) Gericht in Presevo im Jahre 1999 ein Richter, albanischer Herkunft, angestellt war. Mittlerweile sind von den insgesamt 6 Richtern des Gemeindegerichts, 3 Richter, albanischer Herkunft.

Misshandlung des Vaters des BW durch die serbischen Polizeikräfte im Jahre 2006 im Zuge der Fahndung der Polizei nach dem BW

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem BAA vom 24.03.2006

"Im Jahr 2006 waren 6 Polizisten bei meinen Vater zu Hause. Sie malträtierten meinen Vater und durchsuchten das Haus."

www.ris.bka.gv.at Seite 17 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Dieser Vorfall konnte nicht verifiziert werden. Keinem der Befragten Dorfbewohner ist ein solcher Vorfall bekannt. Der multiethnischen Polizei liegt auch keine Anzeige über einen Vorfall in diesem Dorf aus dem Jahre 2006 vor.

Tötung des 16 jährigen Nachbarn des BW, H. J., im Sommer 2005

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem BAA vom 24.03.2006

"Was ist mit dem Dorfbewohner von meinem Dorf, Mein 16 jähriger Nachbar wurde umgebracht.

F:Wann?

A: Vor acht Monaten.

F: Von wem?

A: Von den serbischen Soldaten.

F: Wie heißt dieser?

A: H. J.."

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem UBAS vom 11.03.2008

"Ein Nachbar, der 16 Jahre alt war, ist ermordet worden. Danach gefragt gebe ich an, dass er vor einem Jahr von der serbischen Armee ermordet wurde. Wenn behauptet wird, dass die Lage zwischen Serben und Albanern in Südserbien gut ist, dann ist das nur Propaganda und stimmt nicht.

Die Tötung des jugendlichen H. J. durch die serbische Armee konnte bestätigt werden. Allerdings stammt das Opfer nicht wie der BW aus dem Dorf XY, sondern aus dem Dorf M.. Der Vorfall ereignete sich am 00.00.00 im Grenzgebiet zwischen Serbien und Mazedonien. H. J. wurde von serbischen Soldaten erschossen, nachdem er die Grenze illegal überquert hatte. H. J. befand sich auf dem Weg in sein Dorf. Sein Elternhaus befindet sich in einer Entfernung von 500 m zur Grenze. Die Grenze zwischen Serbien und Mazedonien trennt zwei albanische Dörfer. Einen legalen Grenzübertritt gibt es dort nicht. Der Grenzverlauf teilt die Felder und Äcker der Bewohner, so dass ein Teil ihrer Grundstücke in Mazedonien liegt und ein Teil in Serbien. Im selben Dorf, nämlich M., wurde bereits am 00.00.00 G. G. von der serbischen Armee erschossen, als er sich mit dem Traktor auf den Rückweg zu seinem Haus befand. Gemeinsam mit einem Freund hatte er sein Feld bestellt, über welches die grüne Grenze verläuft.

Insbesondere der letzte Vorfall von 2005 löste große Proteste der albanischen Bevölkerung aus. Etwa 1500 Demonstranten forderten den Rückzug der Armee und die Stationierung von Internationalen Truppen in der Grenzregion. Die Gemeindeversammlung verurteilte in einer Sondersitzung diesen Akt und der Bürgermeister Ragmi Mustafa erhob die Forderung die Grenzkontrolle in die Zuständigkeit der multiethnischen Polizei zu übertragen.

Der damalige serbische Verteidigungsminister, Prvoslav Davinic, ordnete eine Untersuchung des Vorfalls an. Die Untersuchungskommission kam zum Schluss, dass der Zwischenfall Resultat eines Fehlverhaltens des Opfers gewesen sei. Das Opfer habe sich zum Zeitpunkt des Aufgriffs falsch verhalten, weil es Anordnungen stehen zu bleiben, offenbar missachtet habe, wurde in einer offiziellen Erklärung verlautbart. Obgleich H. J. unbewaffnet war und auch keinerlei illegale Tätigkeit ausübte, abgesehen vom illegalen Grenzübertritt, welchen er wie auch alle anderen Bewohner täglich ausübte, eröffneten die Soldaten das Feuer und töteten den Jugendlichen gezielt als er bereits sein Dorf erreicht hatte. Das Erschießen ist wohl als unverhältnissmässige Reaktion der Soldaten zu qualifizieren, und wurde von der Bevölkerung und den albanischen Politikern als ethnisch motivierter Übergriff gewertet. Obgleich es nach wie vor zu illegalen Grenzübertritten kommt, um Verwandte im benachbarten albanischen Dorf in Mazedonien zu besuchen, kam es zu keinen weiteren Zwischenfällen an der Grenze.

Verfolgung ehemaliger UCBMP Angehöriger durch die serbischen Behörden

www.ris.bka.gv.at Seite 18 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Die Amnestie für Taten, die bis Mai 2001 begangen wurden, wird eingehalten. Siehe dazu auch die zu Frage 2 gemachten Ausführungen.

Welche materiellen Möglichkeiten hätte der BW im Presevotal für seinen notdürftigen Unterhalt zu sorgen? Existieren im Presevotal staatliche Stellen bzw. NGOs, welche Bedürftige bzw. Rückkehrer unterstützten?

Es gibt eine Reihe von lokalen und internationalen NGOs die vor Ort tätig sind. Allerdings bot bisher keine dieser NGOs konkrete Hilfe für Rückkehrer an.

Anfang 2008 hat die Koordiniserungsgruppe ein Gremium eingerichtet, an welchem das Büro für Menschen- und Minderheitenrechte der serbischen Regierung, die Presevo und Bujanovac Development Agency (PBDA), die Internationale Organization für Migration (IOM), und einige NGOs mitwirken. Die Schweizer Agentur für Entwicklung und Zusammenarbeit (Swiss Agency for Development and Cooperation) finanziert die Arbeit dieses Gremiums, welches an der Ausarbeitung eines Readmission Reports arbeitet.

Die Schweiz beabsichtigt bis Ende 2008 insgesamt 4 500 Personen nach Südserbien abzuschieben. Gegenwärtig gibt es noch keine konkreten Rückkehrprogramme bzw. Hilfsmassnahmen für Rückkehrer.

Die wirtschaftliche Lage in Presevo ist sehr schlecht. Der Hauptzweig der Wirtschaft besteht aus Landwirtschaft (Weizen, Tabak, Mais, Melonen) und Forstwirtschaft. Im Dorf gibt es einen Stausee, welcher für die Bewässerung der Felder im Tal sowie zum Fischen und auch als Erholungsort genutzt wird. Der Dienstleistungsbereich (Einzelhandel, Gastronomie) ist ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig der Region. Industrielle Strukturen bilden unter den Betrieben die Ausnahme. Die Baubranche hat eine kleinere Bedeutung. Über 60% der Bevölkerung sind im eigentlichen Sinne arbeitslos. Die miserable wirtschaftliche Situation wird als wesentlicher Faktor für potenzielle Unruhen gesehen. Die internationale Gemeinschaft ist daher bestrebt, durch einen wirtschaftlichen Fortschritt der Region potenziellen interethnischen Konflikten den Nährboden zu entziehen. Die Weltbank finanzierte in diesem Jahr ein "Municipal Marketing and Promotion Training" und USAID ein "Municipal Economic Growth Activity program". Eine Reihe von Maßnahmen wurden bereits ergriffen, allerdings sind weiterreichende Investitionen notwendig.

Der BW lebte vor seiner Ausreise bei seinen Eltern. Folgende Aussage des BW kann bestätigt werden.

Zitat niederschriftliche Aussage vor dem BAA vom 24.03.2006

"Ich arbeitete gelegentlich als Maler. Zu hause hatten wir eine Landwirtschaft. Wir hatten 150 Stück Schafe".

Die Familie bestreitet nach wie vor ihren Unterhalt durch landwirtschaftliche Tätigkeit und besitz eine Schafherde. Der notdürftige Lebensunterhalt kann dadurch gesichert werden. Die Möglichkeiten des Zugangs zum Arbeitsmarkt des BW hängen grundsätzlich von der beruflichen Ausbildung und der Berufserfahrung ab. Die Chancen sind aber als gering anzusehen aufgrund des mangels an Jobangeboten.

Die seit 1989 herrschende Diskriminierung der Albaner im öffentlichen Sektor und den staatlichen Unternehmen hat dazu geführt, dass fast auschließlich Serben dort tätig sind. Elektrizitätswerke, Post, Telekom und eine Mineralwasserfabrik in Bujanovac werden nahezu ausschliesslich von serbischer Seite betrieben, selbst in Presevo, wo die AlbanerInnen mehr als 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, halten Serben die Mehrheit der Stellen im öffentlichen Dienst inne.

In der Region herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit vor. Die Beschäftigungsaussichten für den BW sind daher sehr ungewiss.

Die Bevölkerung von Presevo ist überwiegend durch Haus, Land, Acker und Hof weitgehend Selbstversorger. Im Falle einer Rückkehr müsste der BW seinen notdürftigen Unterhalt durch Mitarbeit in der elterlichen Landwirtschaft bestreiten. Wie bereits erwähnt, konnte nicht bestätigt werden, dass der BW von seinen Eltern verstoßen wurde, es ist daher davon auszugehen, dass er jederzeit wieder zu seiner Familie zurück kehren kann.

Hätte eine deutsche Staatsbürgerin, welche mit dem BW verheiratet bzw. verlobt ist, die Möglichkeit, eine Niederlassungsbewilligung für Serbien zu erhalten?

EU-Bürgern wird die visumfreie Einreise in die Republik Serbien gestattet. Innerhalb von 24 Stunden nach erfolgter Einreise ist jeder Ausländer verpflichtet, seinen Aufenthaltsort jener Polizeistation, innerhalb dessen www.ris.bka.gv.at Seite 19 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Wirkungsbereich der Wohnort liegt, zu melden. Beabsichtigt der Ausländer sich für mehr als 3 Monate in der Republik aufzuhalten, dann muss eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt werden.

Befristete oder unbefristete Aufenthaltsgenehmigung werden vom Innenministerium ausgestellt. Die Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, sind im Gesetz über Aufenthalt der Ausländer geregelt und werden im folgenden aufgelistet:

Aufenthaltsgenehmigung ( befristet)

Innerhalb von 3 Tagen nach Ankunft in Serbien müssen Ausländer bei der Polizei einen befristeten Aufenthaltsantrag stellen. Benötigte Unterlagen:

- Antragsformular

-gültiger Reisepass

-Registrierung der Unterkunft

Innerhalb eines Monats erteilt die Fremdenpolizei die Aufenthaltsgenehmigung. Bei der ersten Beantragung wird die Aufenthaltsgenehmigung immer für 6 Monate erteilt, mit Verlängerungsmöglichkeit.

Befristete Aufenthaltsgenehmigung für Familienmitglieder

-Antragsformular

-gültiger Reisepass

-Registrierung der Unterkunft

-2 Pass-Fotos ( bei der ersten Beantragung)

-Beweis über Familienangehörigkeit ( Heiratsurkunde, Geburtsurkunde, Original mit beglaubigter Übersetzung)

-Gebühr: bis 3 Monate: 6.120,00 RSD ( ca. 80,00 ¿); über 3 Monate: 9.190,00 RSD ( ca. 115,00 ¿)

Die Aufnahme einer Beschäftigung durch Ausländer hängt von der Erfüllung bestimmter Kriterien ab (Beschluss der serbischen Handelsregisteragentur über die Gründung einer Wirtschaftsgesellschaft, oder Arbeitsvertrag, Meinung des Arbeitsamtes - diese ist nicht erforderlich, wenn ein Vertrag über geschäftlich-technische Zusammenarbeit, Kooperationsvertrag, Vertrag über Technologietransfer oder Investitionsvertrag vorliegt-, Bestätigung über die Steuernummer). Jedenfalls erforderlich ist das Vorliegen einer Arbeitserlaubnis, die der Arbeitgeber beim Arbeitsamt schriftlich zu beantragen hat. In der Regel wir eine solche problemlos erteilt.

Zusammenfassen ist festzustellen, dass eine deutsche Staatsbürgerin, welche mit einem serbischen Bürger verheiratet ist, die Möglichkeit hat eine Niederlassungsbewilligung für Serbien zu erhalten. Sie muss lediglich dass Vorliegen einer Unterkunft in Serbien nachweisen."

1.8. Das oa. Gutachten wurde mit Beweisaufnahme vom 4.8.2008 den Verfahrensparteien gem. § 45 (3) AVG zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht.

1.9. Der BWV nahm zur oa. Beweisaufnahme wie folgt Stellung:

1.9.1. Das Gutachten Stünde hinsichtlich der Feststellung, dass Albaner nicht zum serbischen Militär eingezogen würden, mit der in der Stellungnahme genannten ACCORD-Anfragebeantwortung vom 15.7.2008 im Widerspruch. Ebenso wäre dem Gutachten nicht entnehmbar, dass in der Praxis keine Einberufungsbefehle an serbische Staatsangehörige, albanischer Ethnie zugestellt würden.

1.9.2. Dem BF drohe eine Bestrafung nach der in der Stellungnahme genannten Bestimmung des serbischen Militärstrafrechts. www.ris.bka.gv.at Seite 20 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

1.9.3. Aufgrund der Misshandlung der in der Stellungnahme genannten Person wegen seiner ehemaligen Mitgliedschaft bei der UCBMP befürchte auch der BF im Falle einer Rückkehr aufgrund seiner ehemaligen Mitgliedschaft bei dieser Organisation Misshandlungen.

1.9.4. In weiterer Folge setzt sich der BFV mit der Strafbarkeit der Verwendung von Staatssymbolen anderer Statten auseinander. Ebenso führte der BFV aus, dass die Feststellungen der SV, die Unabhängigkeit des Kosovo hätte auf diesen positive Auswirkungen gehabt und hätte sich nicht negativ auf die Sicherheitslage in Südserbien ausgewirkt mit dem in der Stellungnahme genannten Bericht der SFH vom 12.8.2008 in Bezug auf die Bewertung der Lage im Kosovo im Widerspruch stünden.

1.9.5. Aufgrund der zu errichtenden Militärbasis Cepotin entstünde in Südserbien neuerliches Konfliktpotential. Aufgrund der dort dienstversehenden Militärs (ehemalige Teilnehmer am Kosovokrieg) und der räumlichen Nähe zum Heimatdorf des BFs wäre mit weiteren Übergriffen auf die ortsansässige Bevölkerung zu rechnen.

1.9.6. Der BF stamme aus einer streng muslimischen Familie und wäre verstoßen worden. Die von der SV gegenteiligen Ausführungen basieren auf nicht ausreichende Erhebungen. Dies gelte auch für die Feststellungen, dass die geschilderten Übergriffe nicht verifiziert werden konnten. Ebenso werde erneut auf den Vorfall rund um den 16-jährigen Nachbar verwiesen. Aufgrund der geographischen Lage des Heimatdorfes des BFs wäre dieses von der 3. Phase der Repressalien betroffen gewesen. Darüber hinaus sie die Dunkelziffer der Übergriffe hoch.

1.9.7. Der BF hätte keine Existenzgrundlage. Seitens des BFV wird die materielle Lage der Familie des BF beschrieben.

1.9.8. In weiterer Folge verweist der BF auf die ACCORD-Anfrage vom 15.7.2008, wo auf die gegenwärtige Lage der Albaner hingewiesen wird.

1.9.9. Der Verlobten des BF (Hochzeitstermin: 00.00.00) sei es nicht zuzumuten, mit dem BF in Serbien zu leben.

1.10. Vom Bundesasylamt wurde keine Stellungnahme abgegeben.

1.11. Hinsichtlich des weiteren Verfahrensherganges und Parteienvorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

2. Der Beschwerdeführer

Beim Beschwerdeführer handelt es sich im einen im Herkunftsstaat der ethnischen Minderheit angehörigen Albaner, welcher aus einem überwiegend von Albanern bewohnten Gebiet stammt und sich bezogen auf Serbien zur Minderheits-, in Bezug auf seiner Herkunftsregion zur Mehrheitsreligion des Islam bekennt.

Der Beschwerdeführer ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger, mobiler Mann mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten in dessen Herkunftsstaat und einer -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.

Der Beschwerdeführer hat die im Akt ersichtlichen familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich. Insbesondere ist er mit der deutschen Staatsangehörigen L. N. verlobt, mit der er in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Der geplante Hochzeitstermin ist der 00.00.00.

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

3. Die Lage im Herkunftsstaat Serbien

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Serbien werden unter Heranziehung des in der Berufungsverhandlung vom 11.3.2008, im nachfolgenden Text zitierten Quellenmaterials, des Gutachtens von Dr. Demaj vom Juli 2008, sowie unter Berücksichtigung der in der Stellungnahme vom 26.8.2008 genannten Quellen die nachfolgenden Feststellungen getroffen:

Staatsaufbau

www.ris.bka.gv.at Seite 21 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Am 03.06.2006 erklärte die Republik Montenegro ihre Unabhängigkeit, wodurch die seit 04.02.2003 bestehende Staatenunion von Serbien und Montenegro (Nachfolger der Bundesrepublik Jugoslawien) aufgelöst wurde. Die Republik Serbien erklärte sich durch Parlamentsbeschluss vom 05.06.2006 zum Fortsetzerstaat von Serbien und Montenegro gemäß der Verfassungscharta der Staatenunion. Die autonomen Provinzen Kosovo und Wojwodina, die unter der Verfassung von 1974 noch eine republikähnliche Stellung eingenommen hatten, bekamen nach der serbischen Verfassung von 1990 die Form einer territorialen Autonomie innerhalb des serbischen Einheitsstaates. Diese Autonomie wurde in den neunziger Jahren zusehends eingeschränkt und im Fall des Kosovo schließlich völlig beseitigt. Die rechtliche Stellung des Kosovo wurde 1999 durch die Annahme der Resolution 1244 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen überlagert, die die territoriale Integrität des Gesamtstaates bekräftigt, allerdings mit dem Zusatz, dass über den zukünftigen Status des Kosovo noch zu entscheiden ist. Auf diese Resolution nimmt der Parlamentsbeschluss zur Rechtsnachfolge ausdrücklich Bezug. Die Autonomierechte der Wojwodina wurden mit der Verabschiedung eines Rahmengesetzes im serbischen Parlament ("Omnibus-Gesetz") im Herbst 2001 wieder gestärkt. Seither hat das Parlament der Autonomen Provinz Wojwodina durch die Verabschiedung von Einzelgesetzen und Verordnungen damit begonnen, diese Autonomie stärker auszufüllen. Die verfassungsmäßigen Kompetenzen der Region bleiben jedoch weit hinter dem Status von vor 1989 zurück. Daran hat auch die neue, am 08.11.2006 in Kraft getreten Verfassung der Republik Serbien im wesentlichen nichts geändert.

Die Demokratische Partei (DS) des im März 2003 ermordeten Ministerpräsidenten Zoran Djindjic stellt seit den Präsidentschaftswahlen vom 27.06.2004 den (v. a. repräsentativen) Präsidenten der Republik Serbien, Boris Tadic.

Nach dem nunmehrigen Rücktritt von Premier Kostunica fanden in Serbien am 11.5.2008 Neuwahlen statt. Die Regierung konnte sich nicht auf eine einheitliche Politik in der Kosovo-Frage einigen.

Die europafreundlichen Kräfte rund um Staatspräsident Boris Tadic haben die Wahl zum serbischen Parlament des 11.5.2008 gewonnen. Gewonnen hieß in diesem Fall allerdings vorerst nur, dass sie im neuen Parlament die stärkste Kraft sind.

Eine neue Regierung wurde vom Parlament am 7. Juli 2008 schließlich nach achtwöchigem Koalitionspoker mit knapper Mehrheit gebilligt. Sie will unter dem pro-europäischen Ministerpräsidenten Mirko Cvetkovic das Land rasch in die EU führen und die Wirtschaft ankurbeln.

Dies kündigte der neue Premier Mirko Cvetkovic, 58, früherer Finanzminister, in seiner Regierungserklärung in Belgrad an. Als Hauptziel nannte er dabei so rasch wie möglich der EU beizutreten. Als einer der ersten Schritte werde dem Parlament das im April unterzeichnete Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU zur Ratifizierung vorgelegt. Die Unabhängigkeit des Kosovo werde Serbien nicht anerkennen. Die Kooperation mit dem UNO-Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag werde fortgesetzt.

Die neue Koalition wolle außerdem die Wirtschaft ankurbeln und den Lebensstandard heben. Noch heuer würden Klein-Pensionen um zehn Prozent erhöht. Cvetkovic versprach auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, die Belebung des Exportes und eine Bildungsreform.

Die neue Regierung wird von pro-europäischen Sozialdemokraten um Staatschef Boris Tadic dominiert. Die serbische Sozialistische Partei des früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milo¿evic ist Koalitionspartner.

Die Koalition besteht aus zwei Zusammenschlüssen: einerseits aus dem Bündnis für ein europäisches Serbien (ZES), das sich aus Sozialdemokraten (DS, SDP und LSV), Wirtschaftsexperten (G17+) und Monarchisten (SPO) zusammensetzt. Andererseits aus der Allianz der Serbischen Sozialisten (SPS), der Rentner-Partei (PUPS) und den Ex-Ultranationalisten (JS). (Die Feststellungen zur Regierungsbildung gelten als notorisch aufgrund einer Vielzahl von übereinstimmenden Presseberichten, etwa www.wieninternational.at vom 8.7.2008: "Serbien: Neue Regierung auf klarem EU-Kurs).

Der Staatspräsident sieht den Sieg seiner "Liste für ein europäisches Serbien" trotzdem als Bestätigung für seinen Kurs. Vor seinen Anhängern spricht er von einem großen Sieg, mit dem man aber noch nicht am Ziel sei. Gewonnen habe man erst, wenn man die Regierung gebildet habe.

In Serbien würden Menschen ums tägliche Überleben kämpfen, sagt Tadic weiter; das wolle er ändern. Und: er bekräftigt, dass Serbien unter ihm in die Europäische Union wolle.

www.ris.bka.gv.at Seite 22 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Tadic spielt aber auch auf das Kosovo an, die serbische Provinz, die sich zu einem eigenen Staat erklärt hat. Wie fast alle politischen Kräfte in Serbien ist Tadic dagegen und sagt, man werde auf friedlichem Weg die Unantastbarkeit des serbischen Staatsgebiets verteidigen - das Kosovo gehört für ihn dazu

Nach dem Sturz Milo¿evics im Oktober 2000 begab sich Serbien auf den Weg der Transition. Zwar wurde die Befreiung aus der internationalen Isolation erreicht, jedoch konnte das demokratische Bündnis DOS die hohen Erwartungen der Bevölkerung, gerade bei der Verbesserung des Lebensstandards, nicht erfüllen. Nach der Ermordung von Ministerpräsident Zoran Djindjic im März 2003 verlor die Regierungskoalition zunehmend an Rückhalt und musste Ende 2003 schließlich vorgezogene Neuwahlen ausrufen. Die zwischen März 2004 und Anfang 2007 amtierende Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Ko¿tunica sah sich mit Transitions- und Reformproblemen vor allem im Bereich Wirtschaft und Verwaltung konfrontiert. Die derzeit beherrschenden politischen Themen sind die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo, die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher), Verhandlungen mit Podgorica über die Konsequenzen der Auflösung der Staatenunion und die Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen zur EU, einschließlich des damit verbundenen Annäherungsprozesses an die EU.

Im Herbst 2006 wurde eine neue Verfassung, welche einen umfassenden Grundrechtskatalog enthält, angenommen.

Nach dem 5.10.2000 sind vereinzelt Fälle von Misshandlungen durch Angehörige der Polizei in Serbien (und Montenegro) bekannt geworden. Opfer waren in diesen Fällen, anders als unter dem Milosevic-Regime, nicht politisch missliebige Personen, sondern krimineller Delikte Verdächtige. Gem. dem oa. zitierten Fortschrittsberichts der Europäischen Kommission zu Serbien und Montenegro wurden in Serbien im Berichtszeitraum 2005 von 37 gemeldeten Fällen 20 als unbegründet zurückgewiesen, während 6 Fälle von Folter bestätigt wurden. In 11 Fällen wird noch ermittelt. Maßnahmen zur Umsetzung des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter wurden fortgesetzt. Dazu gehören ua. Schulung des entsprechenden Verwaltungspersonals. Der Mangel an Transparenz und zuverlässigen Informationen in Bezug auf mögliche Folter durch die Polizei und deren Aufarbeitung bleibt jedoch weiter ein Problem. Zum Berichtszeitraum 2006 wurde in den Bericht kein entsprechendes Zahlenmaterial aufgenommen, die grundsätzliche Problematik der Existenz von Übergriffen durch die Polizei in der genannten Art besteht jedoch weiter, laut UK Home Office (Operational Guidance Note Serbia and Montenegro, Februar 2007) ist jedoch die Zahl der Übergriffe weiter zurückgegangen. Laut USDOS (Serbia and Montenegro, Country Report on Humand Rights Practices 2006", veröffentlicht im März 2007) wurden vom im Innenminister angesiedelten "Inspector General¿s Office" seit 2005 gegen 5.000 Polizisten wegen Übertretungen disziplinäre Maßnahmen eingeleitet, wobei es in 587 Fällen zu Verurteilungen gekommen war. Das AA Berlin spricht im Bericht vom 23. April von vereinzelten Fällen von Übergriffen durch Angehörige der Polizei, weiters davon berichtet, dass in einzelnen Fällen Polizisten suspendiert wurden und in mehrern Fällen Folteropfern von den serbischen Gerichten finanzielle Entschädigung aus der Staatskasse zugesprochen wurde.

Aufgrund der geschilderten Berichtslage können im Einzelfall Übergriffe nicht gänzlich ausgeschlossen werden, von systematischen, vom Staat gebilligte oder gar geförderten Übergriffen kann jedoch nicht ausgegangen werden.

Die Arbeitslosigkeit in Serbien und Montenegro ist hoch. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt je nach Zählweise zwischen 20 und 30%, wobei einerseits von weit verbreiteter Unterbeschäftigung, andererseits jedoch auch von zahlreichen nicht statistisch erfassten (illegalen) Beschäftigungsverhältnissen auszugehen ist.

Die öffentliche Sicherheit ist grundsätzlich gewährleistet. Der Staat ist willens und fähig, seine Bürger vor Übergriffen durch Dritte zu schüzten.

Die wesentlichen Grund- und Freiheitsrechte sind grundsätzlich gewährleistet.

Die Todesstrafe gilt als abgeschafft.

Sanktionen wegen der Stellung eines Asylantrages im Ausland existieren nicht.

Die Grundversorgung -wenn auch teilweise auf niedrigem Niveau- der Bevölkerung gilt als gewährleistet. Die allgemeine wirtschaftliche Lage bleibt weiterhin problematisch, der allgemeine Lebensstandard der Bevölkerung niedrig.

www.ris.bka.gv.at Seite 23 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Es existiert das Instrument der Sozialhilfe für Bedürftige. Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist im Wesentlichen gegeben. Empfänger von Sozialhilfe haben grundsätzlich unentgeltlichen Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Wehrdienstentziehung

Für Wehrdienstentziehung und Desertion bis 07.10.2000 wurde am 26.02.2001 vom jugoslawischen Bundesparlament ein Amnestiegesetz verabschiedet, das am 05.03.2001 in Kraft getreten ist. Die Amnestie umfasst allerdings lediglich den Verzicht auf Strafverfolgung. Eine nachträgliche Heranziehung zum Wehrdienst ist grundsätzlich möglich, sofern die Altersgrenze (im Regelfall 28, in besonderen Ausnahmefällen 35 Jahre) noch nicht überschritten ist. (Quelle: Auswärtiges Amt Berlin, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien (ohne Kosovo) Stand: April 2007) Am 17.04.2006 wurde im Amtsblatt der Republik Serbien, Zahl 033/06 ein weiteres Amnestiegesetz kundgemacht.

Laut Artikel 11 tritt das Gesetz am Tag nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der Republik Serbien in Kraft, also am 18.04.2006.

Artikel 1 des neuen Gesetzes:

Amnestie wird gewährt für Personen, die vom 07.10.2000 bis zum Tage des Inkrafttretens Straftaten begangen bzw. unter begründetem Verdacht stehen, sie begangen zu haben, und zwar:

Wehrdienstentziehung gemäß Art. 394, Widersetzen gegen die Wehrerfassung und Musterung gemäß Artikel 395, Nichterfüllen der Abgabepflicht gemäß Artikel 396, Herbeiführen der Wehruntauglichkeit oder Täuschung gemäß Artikel 397, eigenmächtiges Entfernen und Flucht aus der Armee von Serbien-Montenegro gemäß Artikel 399, vorgegeben durch das Strafgesetzbuch der Republik Serbien (Amtsblatt der Republik Serbien, Nr. 85/05, 88/05 und 107/05), respektive durch das frühere Allgemeine Strafgesetzbuch (Amtsblatt der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien Nr. 44/76, 36/77, 34/84, 37/84, 74/87, 57/89, 3/90, 38/90, 45/90, 54/90, Amtsblatt der Föderativen Republik Jugoslawien Nr. 35/92, 16/93, 37/93, 24/94 und 61/01 und Amtsblatt der Republik Serbien Nr. 39/03).

Ebenso trat 1996 ein Amnestiegesetz in Kraft, welches Fälle der Wehrdienstentziehung und Desertion zwischen 1982 und 14.12.1995 erfasst. Ausgenommen hiervon sind aktive Offiziere und Unteroffiziere (Quelle: Auswärtiges Amt Berlin, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien (ohne Kosovo) Stand: April 2007).

Laut einem hier aufliegenden Gutachten des Ländersachverständigen Stephan Müller vom 24.4.2006, Punkt 3, sowie eines Gutachtens von Amnesty International Deutschland vom 22.12.2004 ist davon auszugehen, dass die Amnestie weitestgehend eingehalten wird. Vereinzelte Ausnahmen sind auf Unkenntnis der unteren Verwaltungsebenen des Militärs zurückzuführen. Es liegen keine belegten Berichte vor, dass Deserteure bei ihrer Rückkehr nach Serbien und Montenegro festgenommen, belästigt oder diskriminiert wurden. Soweit das Amnestiegesetz offen lässt, ob Wehrdienstpflichtige neuerlich zum Militär einberufen werden können wird festgestellt, dass sich dieses Problemfeld dadurch entschärft, indem in Serbien Wehrdienstpflichtigen die Ableistung des Zivildienstes offen steht (vgl. Punkt 3 des Gutachtens von Stephan Müller vom 24.4.2006).

Hinsichtlich des Wehrdienstes in Serbien, sowie der Möglichkeit Zivildienst abzuleisten wird im Detail auf die im Akt ersichtliche Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesasylamtes vom 19.12.2007 verwiesen.

Minderheiten

Der Minderheitenminister der vormaligen BRJ hat in intensivem Dialog mit den Minderheiten und der internationalen Gemeinschaft ein neues Minderheitengesetz erarbeitet, das einstimmig im Bundesparlament angenommen wurde und am 07.03.2002 in Kraft trat. Mit diesem Gesetz werden Minderheitenrechte gemäß internationalem Standard verankert. Die praktische Relevanz des Minderheitengesetzes wird freilich durch die Tatsache beschränkt, dass es keinerlei Sanktionen für Verstöße vorsieht und der Staat de facto keine Mittel zu seiner Umsetzung bereitstellt.

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Seit 2003 bestehen so genannte nationale Räte jeder Minderheit zu wählen, die die Interessen ihrer Volksgruppen vertreten. Der "Dienst für Menschen- und Minderheitenrechte", Nachfolgebehörde des am 8.6.2006 abgeschafften Minderheitsministeriums versucht aktiv, die Minderheiten dabei zu unterstützen. Der Unterrepräsentierung von Minderheiten in Verwlatung, Justiz, Polizei etc. wird zumindest in eineigen Regionen aktiv entgegengearbeitet.

Dennoch sind in der serbischen Öffentlichkeit Vorbehalte und Vorurteile gegen Angehörige bestimmter Minderheiten (Albaner, Bosniaken, Roma) unverändert weit verbreitet.

Im Jahre 2006 gab es weitere Maßnahmen die Repräsentation von Minderheiten in der öffentlichen Verwaltung zu verbessern. So wurden öffentliche Ausschreibungen, Berufsfortbildungen in Sprachen der Minderheiten durchgeführt bzw. kommt es zu laufenden Kontrollen der proportionalen Anteile von Minderheiten in den öffentlichen Dienststellen. Weiters wurden Fortschritte beim Unterricht in den jeweiligen Minderheitensprachen erzielt. So wurden u.a. Fakultäten für die ungarische, albanische und auch bulgarische Community errichtet.

(Commission of the European Communities, Serbia 2006 Progress Report, Nov. 2006)

Obwohl nicht weit verbreitet, kam es 2005 zu Akten von Vandalismus, Verbalattacken und gelegentlichen physischen Angriffen gegen Minderheiten, insbesondere gegen Ungarn in der Vojvodina. Allerdings gingen die Anzahl solcher Vorfälle im Vergleich zu 2004 und 2005 zurück. Vorsitzende von Minderheitengruppen bezeichnen die Situation als ruhig. Die Implementierung des 10-Punkte Programms zur Verbesserung der interethnischen Beziehungen in der Provinz Vojvodina, worüber sich die Staats- und Provinzregierung 2005 geeinigt hatten, wurde weiterhin fortgesetzt. Dieses enthält Ausbildungsprogramme, öffentliche Sensibilisierungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils von Minderheitenangehörigen in Polizei und Justiz.

(U.S. Department of State, Serbia (includes Kosovo), Country Reports on Human Rights Practices - 2006, March 6, 2007, ein Trend dessen Fortsetzung im Bericht vom März 2008 bestätigt wird)

Diskriminierung Minderheitsangehöriger ist illegal. Soweit Polizeibeamte im Einzelfall nicht im gebotenen Maß Schutz gewähren, liegt hier nicht eine vom serbischen Staat systematische geförderte Verhaltensweise, sondern individuelles Fehlverhalten einzelner Organwalter vor (UK Home Office: Operational Guidance Note Serbia and Montenegro, Februar 2007). Von Menschenrechtsorganisationen wird der Vorwurf erhoben, dass die Polizei noch immer nicht aktiv genug gegen Übergriffe auf Minderheiten, v.a. Roma, vorgehe. Einzelfälle werden immer wieder über die Medien bekannt. Verantwortlich für diese Haltung ist aber nicht eine Weisung von "oben", sondern vielmehr die traditionellen Vorurteile, die den Roma (und anderen Minderheiten) entgegen gebracht werden. Seit dem 05.10.2000 führen Anzeigen von Roma wegen Körperverletzung auch in der Praxis zu Gerichtsprozessen, dennoch erfolgte die Verfolgung von Übergriffen durch die Polizei laut dem AA Berlin die Verfolgung von Übergriffen durch die Polizei nur zögerlich.

Grundsätzlich ist daher festzustellen, dass es den Angehörigen der Minderheiten grundsätzlich möglich und zumutbar ist, staatlichen Schutz zu erhalten, auch wenn dies im Einzelfall schwieriger sein mag als für Angehörige der Mehrheitsethnie. Im Falle einer nicht entsprechenden Schutzgewährung durch einen einzelnen Organwalter steht es den Angehörigen der der Minderheiten frei, etwa sich an vorgesetzte Stellen, an die Hotline für Minderheiten, oder Justizbehörden (U.S. Department of State: "Serbia and Montenegro, Country Report on Human Rights Practices 2006", veröffentlicht im März 2007), sowie nationale bzw. internationale in Serbien tätige NGOs zu wenden.

Zur Lage in Südserbien wird aufgrund in Ergänzung zum bereits erörterten Quellenmaterial aufgrund der nachfolgenden Quellen Folgendes festgestellt: ecoi.net: Anfragebeantwortung a-474 (ACC-4747) vom 1.2.2006 zur Sitiation der Frauen im Kosovo sowie zur Situation der Albaner in Preshevo und dem übrigen Serbien- Montenegro

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration: Serbien und Montenegro (ohne Kosovo): Gesundheitswesen, März 2006

Amnesty Act "Official Gazette of FRY" No. 37/02, translatet bei ASCO Mission in FRY Legal translation Unit, 15-Jul-02, transalation founded by United Kingdom

www.ris.bka.gv.at Seite 25 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Schweizerische Flüchtlingshilfe: "Serbien - Montenegro, Zur Situation der AlbanerInnen im Preshevo-Tal", Mai 2005

ReliefWeb: Source: Institute for War and Peace Reporting: Date 9 dec 2004 "South Serbia: Rebel village fees cheated by peaceful deal" The end of the 2001 conflict has left ex-fighters feeling they gainde littel from handing over their guns (by Faruk Daliu in Veliki Trnvac (BCR No 532, 9 Dec. 04)

APA v. 25.2.2008: Auseindersetzungen zwischen Demonstranten und Kosovo-Polizei

Südserbien

Die mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnte Grenzregion Südserbiens zum Kosovo (Gebiet der Gemeinden Bujanovac, Pre¿evo, Medvedja) war bis zum Frühjahr 2001 Schauplatz bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen albanischen Rebellen und serbischen bzw. jugoslawischen Sicherheitskräften. Nachdem unter Vermittlung der NATO und der Europäischen Union eine Verhandlungslösung gefunden worden war und die serbischen und jugoslawischen Sicherheitskräfte in die Pufferzone entlang der administrativen Grenze zwischen Kosovo und Südserbien zurückgekehrt waren, hat sich die Lage jedoch zunächst weitgehend beruhigt. Hierzu leistete das im Juli 2002 verabschiedete und am 11.07.2002 in Kraft getretene Amnestiegesetz für jugoslawische Bürger, die in Südserbien 'Terrorakte' oder staatsfeindliche Aktivitäten begangen bzw. geplant hatten, einen wesentlichen Beitrag. Der bisher wichtigste Schritt zur Integration der albanischen Minderheit waren die vorgezogenen Kommunalwahlen am 28.07.2002, aufgrund derer die ethnischen Albaner inzwischen angemessen in den Gemeindeorganen vertreten sind und u.a. die Bürgermeister der beiden größten Ortschaften der Region, Bujanovac und Pre¿evo, stellen. Dank dieser Entwicklung konnten auch die vom UNHCR durchgeführten Rückkehrprogramme für Albaner, die aus Südserbien in das Kosovo geflohen waren, erfolgreich abgeschlossen werden. Von den ca. 12.500 geflohenen Albaner sind ca. drei Viertel zurückgekehrt. Seit Februar 2003 kam es wieder zu vereinzelten Gewaltakten albanischer Extremisten gegen Angehörige serbischer Sicherheitsorgane, seit August 2003 auch gegen (von ethnischen Albanern geleitete) kommunale Einrichtungen mit bisher insgesamt vier Todesfällen (je 2 auf beiden Seiten). Da die albanischen Extremisten nach der Aufhebung der Pufferzone nicht mehr aus einem sicheren Rückzugsraum heraus operieren können und den gut ausgerüsteten serbischen Sicherheitskräften kein auch nur annähernd vergleichbares Potential entgegensetzen können, ist mit Feindseligkeiten größeren Ausmaßes nicht zu rechnen. Hingegen führen politische Rivalitäten innerhalb der albanischen Minderheit zunehmend auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei die Abgrenzung zu allgemeiner Kriminalität nicht immer leicht fällt. Zu vermehrten interethnischen Spannungen kam es auch in Südserbien nach den Unruhen im Kosovo im März 2004. U.a. wurden ethnisch-albanische Patienten im klinischen Zentrum Vranje belästigt und bedroht. Anlass zu periodischen Zwischenfällen sind auch die häufigen illegalen Grenzübertritte zwischen Südserbien, Kosovo und Mazedonien. Die Grenze verläuft durch geschlossenes albanisches Siedlungsgebiet mit engen familiären Bindungen, doch stehen nur wenige legale Übergangsstellen zur Verfügung. Ethnisch albanische Dorfbewohner überschreiten zur Vermeidung großer Umwege und Wartezeiten häufig die grüne Grenze, wobei es seitens der serbisch-montenegrinischen Sicherheitskräfte zu Schusswaffengebrauch kommen kann. Potenziell bleibt die Region weiterhin ein Konfliktherd. Ihre langfristige Stabilität hängt dabei wesentlich von der Entwicklung im benachbarten Kosovo ab. Gegenwärtig zeigt die Erklärung der Unabhängigkeit des Kosovo keine unmittelbaren Auswirkungen auf Südserbien.

In den albanischen Siedlungsgebieten ist eine multiethnische Polizeitruppe im Aufbau. Dank dieser Entwicklung konnten auch die vom UNHCR durchgeführten Rückkehrprogramme für Albaner, die aus Südserbien in das Kosovo geflohen waren, erfolgreich abgeschlossen werden. Nach Einschätzung des UNHCR haben diejenigen Albaner, die nicht nach Südserbien zurückkehren wollten, diese Entscheidung überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen getroffen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass aktuell kein bewaffneter Konflikt in Aussicht steht, die ehemaligen UCBMP-Kämpfer in die Gesellschaft integriert wurden und teilweise sogar bei der Polizei und im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Die Amnestie wird eingehalten. Das Hauptproblem der Region ist die wirtschaftliche Situation.

Die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hat keine relevanten negativen Auswirkungen auf die Lage in Südserbien

Wehrdienst in Südserbien

www.ris.bka.gv.at Seite 26 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Anfang 2003 erließ die Koordinierungsgruppe ein Dekret, welches der serbischen Armee untersagt, Albaner aus Südserbien die Armee ein zu berufen. Im Jänner 2003 wurden von der serbischen Armee die letzten Einberufungsbefehle entsandt, aufgrund dieses Dekretes aber wieder zurückgezogen.

Seit Anfang des Jahres 2003 werden keine Einberufungsbefehle an Albaner aus Südserbien adressiert und auch keine solchen in die serbische Armee rekrutiert. Dieses Dekret behält solange ihre Gültigkeit bis eine neue Vereinbarung mit den albanischen politischen Vertreten getroffen wird. Die bereits eingeleiteten Reformen in der serbischen Armee, sollen dazu führen, dass diese ab dem Jahre 2010 durch ein Berufsheer ersetzt wird. Es ist davon aus zu gehen, dass auch weiterhin keine Albaner in die serbische Armee rekrutiert werden. (Gutachten von Dr. Demaj vom Juli 2008)

Gem. einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesasylamtes vom 19.12.2007, sowie des Berichtes des Auswärtigen Amtes Berlin vom 23.4.2007 werden Albaner aus Südserbien -im Gegensatz zu Moslems aus dem Sandzak- nicht zum Militär eingezogen.

4. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat

Der BF stammt aus Südserbien, namentlich aus der Gemeinde X. Der BF war Mitglied der UCBMP. Der BF leistete keinen Wehrdienst ab und hat diesen im Falle einer Rückkehr nicht abzuleisten.

Individuelle gezielt gegen den BF gerichtete Verfolgungshandlungen konnten nicht festgestellt werden, insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass in Bezug auf den BF ein Einberufungsbefehl zur Serbischen Armee bestünde und er wegen dessen Nichtbefolgung mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen hätte.

Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.

5. Beweiswürdigung

5.1. zu 1. (Verfahrensgang)

Der bisherige Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und im Verfahren unbeanstandeten Aktenlage fest.

5.2.. zu 2. (Beschwerdeführer)

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben.

5.3. zu 3. (Lage im Herkunftsstaat)

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ergeben sich aus den in Punkt 3 genannten Quellen.

Soweit aus Quellen älteren Datums zitiert wurde, geben jüngere, ebenfalls zitierte Quellen das gleiche Bild wieder bzw. dienen diese Quellen älteren Datums der chronologischen Schilderung alsylrelevanter Ereignisse, wofür die Zitierung dieser älteren Quellen erforderlich war.

Zur Auswahl der Quellen wird angeführt, dass sich der Asylgerichtshof einer ausgewogenen Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges bediente, um sich so ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers machen zu können. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich- demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates über den berichtet wird zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. www.ris.bka.gv.at Seite 27 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Bei Berücksichtigung der soeben angeführten Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen unter Berücksichtigung der Natur der Quelle und der Intention derer Verfasser wird angeführt, dass diese in den wesentlichen Punkten hinsichtlich ihres objektiven Aussagekerns grundsätzlich übereinstimmen. Der Asylgerichtshof konnte sich daher bei der Feststellung des Ermittlungsergebnisses auf die streckenweise wörtliche Zitierung dieser Quellen beschränken.

Die im Bescheid getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen.

Im Einzelnen wird zu den unter 1.9. vorgebrachten Einwendungen angeführt:

Einleitend ist zu Dr. Demaj Folgendes anzuführen:

Dr. Demaj verfügt aufgrund ihrer mehrjährigen Wohnsitznahme im Kosovo, sowie die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit vorhandenen beruflichen Kontakte zu nationalen und internationalen Behörden über qualifiziertes Wissen hinsichtlich der allgemeinen Lage im Kosovo und die kosovarische Gesellschaft, sowie über den Kosovo hinaus in Bezug auf die albanische Gesellschaft bzw. die albanische Geschichte.

Das entscheidende Mitglied konnte sich im Rahmen von persönlichen Gesprächen mit der Sachverhständigen von der fachlichen überzeugen. Auch die Verfahrensparteien äußerten sich nicht gegen ihre fachliche Qualifikation. Ihre fachliche Qualifikation steht außer Streit.

Dem entscheidenden Senatsmitglied ist trotz der vermehrten Heranziehung von Dr. Demaj zur Durchführung von Recherchen und Erstellung von Gutachten kein Fall bekannt, in dem sich deren Angaben im Nachhinein als unwahr herausgestellt hätten.

Dr. Demaj hat am Ausgang eines entsprechenden Asylverfahrens -in welche Richtung auch immer- kein rechtliches Interesse. Falsche Ausführungen haben für sie straf- und zivilrechtliche Konsequenzen und würden sie bei Bekanntwerden an ihrem beruflichen Fortkommen hindern. Im Gegensatz hierzu hat gerade der BF ein besonderes Interesse an einem Ausgang des Asylverfahrens in seinem Sinne. Ebenso haben falsche Angaben zu seinen Ausreisegründen in der Regel nicht die oa. Konsequenzen, sodass aus Opportunitätserwägungen allenfalls unwahre Angaben zu seinem Ausreisgrund in der Regel für den BF weder straf- noch zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, was für die erhöhte Glaubwürdigkeit des Ausführungen der Sachverständigen spricht.

Zu 1.9.1.: Die Aussagen im Gutachten von Dr. Demaj sind im Zusammenhang mit den an sie gerichteten Fragen zu stellen. Die Fragestellung hinsichtlich der zum Militär einbezogenen Albaner bezieht sich ausschließlich auf jene aus Südserbien, folglich auch deren Antwort. Aus dem Gutachten ist somit nicht ableitbar, dass Albaner aus anderen Landesteilen ebenfalls nicht zum Militär eingezogen werden, womit das Gutachten mit der in der Stellungnahme genannten Anfragebeantwortung von ACCORD nicht im Widerspruch steht. Ebenso ist dem Gutachten in Übereinstimmung mit der sonstigen Berichtslage eindeutig entnehmbar, dass seit der Zurücknahme der letzten Einberufungsbefehle vom Jänner 2003 keine Albaner aus Südserbien zum Militär einberufen werden und wurden. Ebenso ergibt sich aus der im Gutachten genannten Zukunftsprognose, dass eine Einberufung von Albanern auch zukünftig nicht maßgeblich wahrscheinlich ansteht.

Zu 1.9.2.: Da die Existenz eines aktuellen Einberufungsbefehls nicht festgestellt werden kann, ist auch das Eintreten von strafrechtlichen Konsequenzen wegen Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls nicht feststellbar.

Zu 1.9.3.: Aus dem herangezogenen Quellenmaterial geht zweifelsfrei hervor, dass die erörterte Amnestie gegenüber ehemaligen Angehörigen der UCBMP eingehalten wird. Freilich werden diese Personen damit nicht pro futuro außerhalb des serbischen Strafrechts gestellt und haben sich selbstverständlich für nach der Amnestierung begangene Straftaten vor den serbischen Gerichten zu verantworten. Dass hierin eine Umgehung der Amnestie oder ein sonstiger zielgerichteter Akt gegen die ehemaligen Angehörigen der UCBMP oder die albanische Volksgruppe erblickt werden könnte, kann nicht festgestellt werden.

Sollte ein einzelnes ehemaliges Mitglied im Nachhinein misshandelt worden sein, so kann hieraus nicht die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Misshandlung weiterer ehemaliger Mitglieder, wie etwa den BF abgeleitet werden, da keinerlei Berichte vorliegen, aus denen hervorginge, dass es zu systematischen Misshandlungen ehemaliger Angehöriger der UCBMP käme. Es kann nicht festgestellt werden, dass bei einer derartigen Misshandlung gezieltes, systematisches staatliches Handeln vorliegt. Viel mehr handelt es sich um ein www.ris.bka.gv.at Seite 28 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008 individuelles Fehlverhalten eines einzelnen Organwalters, welches nach dem serbischen Straf- und/oder Disziplinarrecht zu ahnden ist. Mag im Einzelfall letztlich ein Übergriff nicht gänzlich ausgeschlossen und somit möglich, fehlt es diesem möglichen Eintritt (VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) an der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Zu 1.9.4.: Der festgestellten Straflosigkeit des Anfertigens einer Zeichnung, wie vom BF geschildert, wird vom BFV nicht widersprochen, weshalb sich der Gerichtshof den schlüssigen und widerspruchsfreien Ausführungen der Sachverständigen anschließt.

Soweit der BFV meint, die Ausführungen der Sachverständigen stehen mit jenen der SFH vom 12.8.2008 im Widerspruch wird zuerst festgestellt, dass es sich bei der SFH um eine NGO handelt, welche naturgemäß die Entwicklung in den Herkunftsstaaten der Asylwerber aus einem besonders kritischen schildert. Dies ergibt sich bereits aus dem Selbstverständnis der Organisiation (vgl. deren Selbstdarstellung auf der Homepage www.osar.ch: " ... Sie ist der Dachverband der Hilfswerke, die im Asylbereich tätig sind. Es sind dies: Caritas Schweiz, das Hilfswerk der evangelischen Kirchen der Schweiz HEKS, das Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH sowie der Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen VSJF. Assoziierte Organisationen der SFH sind der Christliche Friedensdienst (cfd), die Flüchtlingshilfe der Heilsarmee, das Schweizerische Rote Kreuz (SRK), der Service Social International (SSI), die Flüchtlingshilfe Liechtenstein sowie das Liechtensteinische Rote Kreuz (LRK). Die SFH ist eine eigenständige, parteipolitisch und konfessionell unabhängige Organisation. Sie koordiniert im Auftrag des Bundes die Hilfswerksvertretung bei den Anhörungen von Asylsuchenden. Sie bildet die HilfswerksvertreterInnen aus und stellt ihnen die unabhängigen Hintergrundsinformationen zur Verfügung, die sie für ihre Arbeit brauchen. Sie analysiert die Lage in den Herkunftsländern der Flüchtlinge und macht ihr Wissen den Rechtsberatungsstellen für Asylsuchende und den Anwälten von Flüchtlingen zugänglich. Sie nimmt im Auftrag ihrer Mitglieder zum politischen Geschehen im Asylbereich Stellung.") Zum weiteren wird die im genannten Bericht befindliche Zusammenfassung wie folgt zitiert (Unter Außerachtlassung von Fußnoten und sonstigen Hervorhebungen:

"Nach der Unabhängkeitserklärung verhinderte Russland im UNO-Sicherheitsrat das Konzept des finnischen Unterhändlers Ahtisaari, das eine bedingte Souveränität Kosovos vorsah. Der Einfluss Serbiens in den serbischen Gebieten Kosovos hat seither keineswegs abgenommen, ganz im Gegenteil. Weder die UNO noch die Regierung in Prishtina sehen sich in der Lage, gegen diese Entwicklung etwas zu unternehmen und die Kontrolle auf die nördlichen Gebiete und die Exklaven auszudehnen. Jeder Versuch der kosovarischen Regierung, die Gebiete nördlich des Flusses Ibar unter ihre Kontrolle zu bringen, würde auf massiven Widerstand Serbiens und der Kosovo-Serben stossen und stellt ein erhebliches Konfliktpotenzial dar. Mitrovica wird wahrscheinlich ein Brennpunkt möglicher Eskalationen bleiben.

Nach dem Scheitern des Ahtisaari-Plans, der nur von der kosovarischen Regierung akzeptiert wurde, ist die Situation blockiert. Weder kann die EU ihre Mission auf dem gesamten kosovarischen Territorium entfalten noch die UNO mangels eines neuen Beschlusses im UNO-Sicherheitsrat ihre Mission beenden. Wahrscheinlich ist, dass die UNO für die serbisch besiedelten Territorien und für Kontakte nach Belgrad zuständig sein wird, während die EU auf albanisch besiedeltem Territorium den Aufbau des neuen Staates begleiten soll. Damit gibt es für die Regierung in Prishtina keine Kontrolle über das gesamte Territorium Kosovos und ist eine Überwindung der Teilung Kosovos bis auf weiteres nicht möglich. Grund für das Lavieren der UNO ist die Angst vor Gewalt im Norden Kosovos, die sich auf andere Teile Kosovos aus-breiten könnte. Weder KFOR noch UNMIK sind bereit, das Leben ihrer Leute in einem Konflikt zu riskieren, der von aussen als Konfrontation von Militär und Polizei mit serbischen Bürgern aussehen würde. Zu befürchten ist, dass Kosovo wegen der unvereinbaren Interessen der unter-schiedlichen Akteure zum Schauplatz konkurrierender internationaler Missionen wird. Ein Sicherheitsvakuum ist in der derzeitigen Zuständigkeitskonfusion wohl bereits Realität, zumal die KFOR als einzig allgemein akzeptiertes Sicherheitselement nicht für Polizeiaufgaben vorgesehen ist. Die Situation der ethnischen Minderheiten ist weiterhin gekennzeichnet durch Diskriminierungen, Mangel an Bewegungsfreiheit, Benachteiligungen bei der Arbeitssuche und dem Zugang zu sozialen Diensten. Die UNMIK hat sich in der Vergangenheit bemüht, Massenrückführungen nach Kosovo zu vermeiden und auf die verletzliche Situation der Minderheiten hinzuweisen. Da sie wohl länger als geplant in Koso-vo bleiben wird, erscheint es möglich, dass sie vorläufig Aufgaben in den Bereichen von Rückkehr und Minderheitenschutzes beibehalten wird. Entscheidend für die Zukunft der Minderheiten in Kosovo wird sein, ob auch die europäischen Missionen es als Auftrag sehen, sich um die physische wie auch rechtliche und soziale Sicherheit der Minderheiten zu kümmern. Von der kosovarischen Administration wird das nicht geleistet werden."

Als unbestritten ist anzunehmen, dass sich Unabhängigkeitserklärung nördlich des Flusses Ibar zu einem kurfristigen Aufflammen der Gewalt führte, wobei die Lage in diesen Gebieten aufgrund der Parallelstrukturen auch schon vor der Unabhängigkeitserklärung problematischer war als in den übrigen Gebieten des Landes. Über dieses Aufflammen der Gewalt ergibt sich aus dem Bericht kein fundierter Befund, welcher eine maßgebliche Verschlechterung der Lage bescheinigen würde. Auch decken sich die Ausführungen von SFH zur allgemeinen www.ris.bka.gv.at Seite 29 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Lage im Wesentlichen mit der bisherigen öffentlich zugänglichen Berichtslage dieser Organisation vor der Erklärung der Unabhängigkeit.

Besonderes Augenmerk dient folgende Formulierung der SFH :"Ein Sicherheitsvakuum ist in der derzeitigen Zuständigkeitskonfusion wohl (!) bereits Realität, ...". Dass gerade bei diesem Schlüsselsatz das Wort "wohl" eingefügt wird, bescheinigt für den geübten Leser derartiger Berichte, dass hier eine Aussage getroffen wird, die auf eher Mutmaßungen fußt, als auf durch konkretes Dokumentationsmaterial belegbare Fakten.

Ebenso ist festzustellen, dass sich SFH überwiegend auf Sekundärquellen bezieht, wogegen Dr. Demaj im Kosovo aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit wohnhaft ist und ihre Feststellungen vor dem Hintergrund ihres Sachverständigenwissens auf unmittelbare Wahrnehmungen und Erfahrungen stützen kann, ohne auf Sekundärquellen zurückgreifen zu müssen. Auch ist anzuführen, dass sie das Gutachten als Mitarbeiterin von OSCE verfasste, eine internationale Organisation, welche höchste Objektivität nicht abgesprochen werden kann.

Im Rahmen einer Betrachtung des zitierten Berichts von SFH in Bezug auf den nachvollziehbaren objektiven Aussagewert kann hierauf basierend nicht abgeleitet werden, dass sich die maßgebliche Lage im Kosovo durch die Erklärung der Unabhängigkeit nachhaltig in für gegenständliches Verfahren relevanter Weise verschlechtert hätte. Ob diese positive Auswirkungen hatte ist letztlich Wertungsfrage, wobei einzuräumen ist, dass die Sachverständige bei ihrer Wertung sicherlich die negativen gegen die positiven Aspekte abgewogen hat.

Aufgrund der oa. Ausführungen ist in einer Gesamtschau jedenfalls nicht feststellbar, dass sich die Lage im Kosovo seit der Unabhängigkeitserklärung negativ auf die Lage in Südserbien auswirkte und wurde dies vom BFV auch nicht substantiiert und konkret behauptet.

Zu 1.4.5.: Ob die Errichtung der Militärbasis Cepotin positiv oder negativ zu sehen ist, richtet sich letztlich nach der Sichtweise des Betrachters. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verschlechterung der Lage des BF hierdurch kann jedenfalls nicht festgestellt werden. Rein die Entfernung vom Heimatdorf des BF ist hierzu nicht geeignet. Das Heimatdorf des BF liegt auch nahe ZZ, wo in der Vergangenheit wesentliche Militärkontingente stationiert waren. Wenn eine solche Gefährdung aus der Vergangenheit bzw. Einstellung gegenüber Albanern der dort dienstversehenden Soldaten abgeleitet werden soll, ist anzuführen, dass Personen mit diesem persönlichen Hintergrund auch seit dem Rückzug des serbischen Militärs aus dem Kosovo zu einem erheblichen Teil im südlichen Serbien stationiert waren und sich somit in diesem Punkt keine wesentliche Änderung durch die Errichtung der Militärbasis ergibt. Dem Militär obliegt die Sicherung der Grenze. Wenn nunmehr eine Militärbasis in einer strategisch sensiblen Grenzeregion errichtet wird, heißt das nicht per se, dass sich diese Maßnahme gegen die ansässige Bevölkerung richtet, auch wenn diese zu einem erheblichen Teil nicht der Mehrheits- und Titularethnie des Staates angehört und die Errichtung umstritten ist. Hinweise, dass es sich bei der Errichtung der Militärbasis Cepotin um eine zielgerichtete Verfolgungsmaßnahme gegen die albanische Bevölkerung handelt, kamen im Verfahren nicht hervor.

Zu 1.9.6.: Die Sachverständige ermittelte den entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor Ort, wobei anzuführen ist, dass es sich bei der Herkunftsregion des BFs um eine ländlich-dörfliche Struktur handelt. Würden die vom BF behaupteten Umstände tatsächlich vorliegen, so ist anzuführen, dass solche gerade in ländlich-dörflichen Strukturen allgemein bekannt wären. Aus dem Bericht der Sachverständigen ist entnehmbar, dass von dieser Personen befragt wurden, welche die Familie des BF kennen und deshalb aufgrund der oa. Ausführungen davon auszugehen ist, dass sie über die vom BF behaupteten Umstände bescheid wissen müsste.

Dass die Erhebungen vor Ort im getätigten Umfang nicht zur Bestätigung des Vorbringens führten, lässt daher sehr wohl die schlüssige Folgerung zu, dass diese nicht stattfanden. Auch muss der Sachverständigen, welche Erfahrung in der Durchführung von Recherchen vor Ort, sowie über weitreichende Kenntnisse des albanischen Sozialgefüges verfügt, zugestanden werden, zu erkennen, wann ein Sachverhalt vor Ort ausreichend ermittelt wurde.

Zu 1.9.7.: Aus dem Ermittlungsverfahren ergibt sich, dass der BF über ein familiäres Netz in Serbien verfügt. Dass er von der Familie ausgestoßen wurde, konnte aufgrund der bisherigen Ausführungen nicht festgestellt werden. Ebenso ergibt sich aus der Stellungnahme des BFV, dass der BF über die Kernfamilie hinaus im Heimatdorf über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, wobei der Stellungnahme nicht entnommen werden kann, dass diese in existenzbedrohender Armut leben würden.

Zu 1.9.8.: Aus dem gesamten Dokumentationsmaterial ergibt sich, dass das Verhältnis zwischen der serbischen Mehrheitsbevölkerung und der albanischen Minderheit nicht unproblematisch ist und die Albaner -neben den Roma und Bosniaken- zu jener Minderheit gehören, welcher mit dem größten Misstrauen begegnet wird. Dem gesamten Dokumentationsmaterial ist jedoch nicht entnehmbar, dass sämtliche Angehörigen der albanischen www.ris.bka.gv.at Seite 30 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Volksgruppe in Serbien derartigen Verhältnissen ausgesetzt sind, dass ihnen ein Verbleib in ihrem Herkunftsstaat schlicht unerträglich erschiene.

Zu 1.9.9.: Diesbezüglich wird auf die rechtlichen Ausführungen zur Ausweisung im gegenständlichen Bescheid verwiesen.

5.4 zu 4. (behauptete Ausreisegründe)

Hinsichtlich der vom BF vorgebrachten Ausreisegründe bzw. Rückkehrhindernisse wird auf das bereits erwähnte Gutachten von Dr. Demaj sowie deren Rechercheergebnis verwiesen, wodurch das Vorbringen des BF im dort erörterten Umfang widerlegt wurde.

Jedenfalls ist feststellbar, dass dem BF keine Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner ehemaligen Mitgliedschaft bei der UCBMP droht. Aus dem Beweisverfahren ergab sich, dass die diesbezügliche Amnestier eingehalten wird. Auch kamen keinerlei Hinweise hervor, dass der BF einer Personengruppe angehören könnte, welche von der Amnestie nicht umfasst sind.

Aus den getroffenen Feststellungen ist weiters ersichtlich, dass der behauptete Umstand, der BF hätte 2003/2004 einen Einberufungsbefehl erhalten unglaubwürdig ist. Selbst wenn man im Zweifel für den BF davon ausginge, dass dies noch 2003 der Fall gewesen wäre, so ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen, dass dieser zurückgezogen wurde und deshalb hieraus für den BF keinerlei weitere Konsequenzen zu erwarten sind. Auch könnte in diesem Fall nicht festgestellt werden, dass der BF aus anderen als geschlechts- und altersspezifischen Gründen einberufen worden wäre und es von der Möglichkeit, Wehrersatzdienst zu leisten, ausgenommen gewesen wäre, bzw. im Militär schlechter als andere Wehrpflichtige behandelt worden wäre.

Aufbauend auf die Erwägungen im vorhergehenden Absatz sind jedenfalls die weiteren, der Zustellung des Einberufungsbefehls folgenden Verfolgungshandlungen unglaubwürdig. Dies ergibt sich einerseits aus dem Ermittlungsergebnis von Dr. Demaj und andererseits aus den widersprüchlichen Angaben des BF zwischen den Angaben beim Bundesasylamt und jenen beim Unabhängigen Bundesasylsenat, indem dieser vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat vorerst nicht in der Lage war, die beim Bundesasylamt vorgebrachten Verfolgungshandlungen stimmig und widerspruchsfrei zu wiederholen. Erst nach einem entsprechenden Vorhalt durch den VL bzw. nach auf das erstinstanzliche Vorbringen abgestellte suggestive Nachfragen durch den BFV wiederholte der BF dieses Vorbringen, was gegen den Umstand spricht, dass es tatsächlich stattfand, da ansonsten davon auszugehen wäre, dass dieses vom BF spontan und nicht erst unter den oa. Umständen vorgebracht worden wäre. Auch die vom BF anfänglich behauptete Vergesslichkeit mag nicht die gegenteilige Auffassung zu untermauern, da der BF zu anderen Teilen des Vorbringens sehr wohl spontan und ohne Wissenslücken antwortet. Würde er tatsächlich unter der lediglich behaupteten -jedoch nicht bescheinigten- Vergesslichkeit leiden, wäre davon auszugehen gewesen, dass sich diese auch auf andere Vorbringensteile erstreckte, was offensichtlich nicht der Fall war.

Ergänzend zu den hier getroffenen Ausführungen wird auf Punkt 5.3. verwiesen. Aus den dortigen Ausführungen sind ebenfalls Rückschlüsse auf die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BFs in Bezug im dort genannten Umfang ableitbar.

Aufgrund der oa. Ausführungen ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Ausreisegründen bzw. zu bestehenden Rückkehrhindernissen als unglaubwürdig darstellt und daher den weiteren Erwägungen nicht zu Grunde gelegt werden kann.

Da sich auch aus dem amtswegigen Ermittlungsergebnis bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Bestehen einer relevanten Gefahr des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Belarus ergaben, können solche nicht festgestellt werden.

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

1. Zuständigkeit des erkennenden Einzelrichters

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art.

www.ris.bka.gv.at Seite 31 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

Gem. § 75 (7) Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idgF sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der geltenden Bestimmungen weiterzuführen:

1. Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern dies Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

...

Im Rahmen der Interpretation des § 75 (7) ist mit einer Anhängigkeit der Verfahren beim Unabhängigen Bundesasylsenat mit 30.6.2008 auszugehen (vgl. Art. 151 Abs. 39 Z.1 B-VG). Der in der genannten Übergangsbestimmung genannte 1. Juli 2008 ist im Sinne der im oa. Klammerausdruck genannten Bestimmung des B-VG zu lesen.

Der erkennende Richter, welcher mit Beschluss der Bundesregierung vom 21.5.2007 mit Wirksamkeit vom 1.7.2008 zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, führte im gegenständlichen Verfahren als Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates am 5.6.2008 eine öffentliche Berufungsverhandlung durch. Er hat daher das Verfahren, welches am 30.6.2008 bzw. 1.7.2008 noch anhängig ist, als Einzelrichter weiterzuführen hat.

2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Gericht, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Gem. § 75 (1) des Asylgesetzes 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

Gegenständliches Verfahren war am 31.12.2005 anhängig, weshalb es nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen war.

3. Verweise

Das erkennende Gericht ist berechtigt, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH vom www.ris.bka.gv.at Seite 32 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

4. 10. 1995, 95/01/0045; VwGH 24. 11. 1999, 99/01/0280; auch VwGH 8. 3. 1999, 98/01/0278), weshalb im gegenständlichen Fall im bereits genannten Umfang auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen wird.

Ebenso ist das erkennende Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

4. Abweisung des Antrages auf Gewährung von Asyl

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262).Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert wurde, war dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum behaupteten Ausreisegrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).

Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht im dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).

Auch aus den in der Vergangenheit stattgefundenen Repressalien, wovon die albanische Volksgruppe betroffen war, kann nicht abgeleitet werden, dass sämtliche Angehörigen der Albaner einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Ein weiterer qualifizierter Sachverhalt, welcher etwa zum Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftsstaates (unter Ausschluss des Kosovo [vgl. VwGH 7. 6. 2000, 2000/01/0162; s auch VwGH 7. 9. 2000, 2000/01/0116; 21. 12. 2000, 2000/01/0126; 6. 3. 2001, 2000/01/0402; 18. 2. 2003, 2001/01/0325; 15. 5. 2003, 2002/01/0322; 13.10.2006, 2006/01/0125-7]) des BFs kam bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.

Da sich auch im Rahmen des sonstigen Ermittlungsergebnisses bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorlieben der Gefahr einer Verfolgung aus einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genanten Grund ergaben, scheidet die Gewährung von Asyl somit aus.

5. Feststellung zur Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder

Abschiebung in den Herkunftsstaat www.ris.bka.gv.at Seite 33 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Gem. § 8 Abs 1 AsylG 1997 hat die Behörde im Falle einer Abweisung eines Asylantrages von Amts wegen festzustellen, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

§ 8 AsylG 1997 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300).

Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten. Am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verwiesen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Demnach ist die Verweisung des § 8 Abs. 1 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechende Bestimmung" des FPG zu beziehen und das ist nun § 50 FPG. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich - unmittelbar oder mittelbar - auf § 57 FrG bezieht, lässt sich insoweit auch auf § 50 FPG übertragen.

Die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre (§ 8 Abs 1 AsylG iVm § 50 Abs. 1 FPG) bzw. dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der GFK iVm § 50 Abs. 2 FPG und § 8 Abs 1 AsylG), es sei denn, es bestehe eine inländische Fluchtalternative.

Art. 2 EMRK lautet:

"(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt: a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen; b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern; c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken."

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet:

"Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu www.ris.bka.gv.at Seite 34 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008 gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).

Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).

Unter einer erniedrigenden Behandlung die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein "ausreiched realies Riskiko" für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingdenk des hohen Eingriffschwellenwertes ("high threshold") dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl: "Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin- Verfahren"; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964, oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen {EGMR 02.05.1997 -146/1996/767/964 ("St. Kitts-Fall"), Europ. Kommission für Menschenrechte: B.B. gegen Frankreich, 9.3.1998, Nr. 30930/96; In seiner sonstigen, dem in die Literatur unter der "St. Kitts-Fall" bekannten Fall nachfolgenden Rechtsprechung hat der EGMR (unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen konkreten Umstände) -bezogen auf eine Erkrankung des Beschwerdeführers- in keinem Fall eine derart außergewöhnliche - und damit vergleichbare - Situation angenommen (vgl. z.B. (S.C.C. gegen Schweden, Nr. 46553 /99 [HIV-Infektion beim Vorhandensein von Verwandten und grundsätzlicher Behandelbarkeit im Herkunftsstaat], EGMR 10.11.2005, Paramsothy gegen die Niederlande [Erkrankung an Posttraumatischem Stresssyndrom], EGMR 10.11.2005, Ramadan gegen die Niederlande, Nr. 35989/03 [Erkrankung an Depression, teils mit psychotischer Charakteristik], EGMR 27.09.2005, Hukic gegen Schweden, Nr. 17416/05 [Erkrankung am Down-Syndrom], EGMR 22.09.2005, Kaldik gegen Deutschland, Nr. 28526 [Erkrankung an Posttraumatischem Stresssyndrom mit Selbstmordgefahr], EGMR 31.05.2005, Ovdienko gegen Finnland, Nr. 1383/04 [Erkrankung an schwerer Depression mit Selbstmordgefahr], EGMR 25.11.2004, Amegnigan gegen die Niederlande, Nr. 25629/04 [HIV-Infektion], EGMR 29.06.2004, Salkic gegen Schweden, Nr. 7702/04 [psychische Beeinträchtigungen bzw. Erkrankungen], EGMR 22.06.2004, Ndangoya gegen Schweden, Nr. 17868/03 [HIV-Infektion], EGMR 06.02.2001, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich [Erkrankung an Schizophrenie]) und zeigt somit -auch über den Themenbereich der Erkrankung des Beschwerdeführers hinaus die hohe Eintrittsschwelle von Art. 3 EMRK in jenen Fällen, in denen keine unmittelbare Verantwortung des Abschiebestaates vorliegt}.

Gem. der Judikatur des EGMR muss der Beschwerdeführer die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden.

Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289).

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Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). So auch der EGMR in stRsp, welcher anführt, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt - so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist sohin auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in § 50 Abs. 1 FPG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Gewährung von subsidiärem Schutz somit aus.

Im gegenständlichen Fall wurde Gefährdung iSd § 50 Abs 2 FPG bereits unter Punkt 4. geprüft und ausgeschlossen.

Hinweise auf das sonstige Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige Elementarereignisse) liegen ebenfalls nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Aufgrund der Ausgestaltung des Strafrechts der Herkunftsstaates des BFs (die Todesstrafe gilt als abgeschafft) scheidet das Vorliegen einer Gefahr im Sinne des Art. 2 EMRK, oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe aus.

Da sich der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in wesentlichen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 50 FPG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.

Aus der sonstigen allgemeinen Lage kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 50 FPG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.

Weitere, in der Person des Beschwerdeführers begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden. www.ris.bka.gv.at Seite 36 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers wird weiters festgestellt, dass dieser im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügt. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen mobilen, jungen, gesunden, arbeitsfähigen Mann. Einerseits stammt der Beschwerdeführer aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehört der Beschwerdeführer keinen Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf seine individuelle Versorgungslage schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Der BF war vor Verlassen seines Herkunftsstaates in der Lage, sein Leben dort zu meistern. Aus dem Ermittlungsverfahren ergibt sich, dass der BF in Serbien über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt. Sein Vorbringen, er würde von seiner Familie nicht aufgenommen, konnte widerlegt werden. Es steht somit dem BF frei, in den Familienverband zurückzukehren und wieder am gemeinsam familiären Erwerb mitzuwirken. Ebenso steht es dem BF frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen. Im Falle der Bedürftigkeit steht es ihm auch frei, das serbische Sozialhilfesystem zu beanspruchen.

Im gegenständlichen Fall kommt noch hinzu, dass der BF Verwandte im Ausland hat, welche zumindest zum Teil die Familie in Serbien unterstützen.

Erwähnenswert ist auch der Umstand, dass nach der angekündigten, unmittelbar bevorstehenden Eheschließung auch die zukünftige Gattin entsprechend den einschlägigen ehe- bzw. zivilrechtlichen Bestimmungen verpflichtet sein wird, zum Unterhalt des BF angemessen beizutragen, auch wenn sich dieser nicht in Österreich befinden sollte.

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Serbien in der Lage ist, seine dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen und nicht über anfängliche Schwierigkeiten hinaus in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Mag er auch verglichen mit den Verhältnissen in Österreich in ärmlicheren Verhältnissen leben, so ist dies bei Berücksichtigung der oa. Erwägungen aus der Sicht des Art. 3 EMRK nicht von Bedeutung.

Im Hinblick auf die Richtlinie 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status- bzw- Qualifikationsrichtlinie) wird im Zusammenhang mit dem Bestehen einer zumutbaren Existenzgrundlage aus der nachstehenden deutsche Judikatur auszugsweise zitiert, welcher sich das erkennende Gericht vollinhaltlich anschließt:

"Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, denen der Senat folgt, bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum grundsätzlich dann, wenn sie dort - was grundsätzlich zumutbar ist - durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer 'Schatten- oder Nischenwirtschaft' stattfinden. Der Verweis auf eine entwürdigende oder eine kriminelle Arbeit - etwa durch Beteiligung an Straftaten im Rahmen 'mafiöser' Strukturen - ist dagegen nicht zumutbar (BVerwG, Beschluss vom 17.05.2005 - 1 B 100/05 - ). Maßgeblich ist grundsätzlich auch nicht, ob der Staat den Flüchtlingen einen durchgehend legalen Aufenthaltsstatus gewähren würde, vielmehr ist in tatsächlicher Hinsicht zu fragen, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.08.2006 - 1 B 96/06 - a. a. O.; a. A. OVG Magdeburg, Urteil v. 31.03.2006 - 2 L 40/06 - [35 S., M8244]), d. h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit aufgebracht werden können.

Quelle: VGH Ba-Wü: Zum internen Schutz nach der Qualifikationsrichtlinie

Urteil vom 25.10.2006 - A 3 S 46/06

Aufgrund der getroffenen Ausführungen ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise nicht damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen Gefahr im Sinne des § 8 (1) AsylG betroffen zu sein, weshalb die Gewährung von subsidiären Schutz ausscheidet.

6. Ausweisung in den Herkunftsstaat www.ris.bka.gv.at Seite 37 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG hat die Behörde den Bescheid mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag abgewiesen wird und die Überprüfung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ergeben hat, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig ist.

Der gegenständliche Asylantrag war abzuweisen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat für zulässig zu erklären. Es liegt daher bei Erlassung dieses Bescheides kein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet mehr vor.

Bei Ausspruch der Ausweisung kann ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienleben vorliegen (Art. 8 Abs 1 EMRK).

Zum Prüfungsumfang des Begriffes des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern auch zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK- Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423, vgl. auch VwGH vom 8.6.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder VwGH vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, wo der VwGH im letztgenannten Erkenntnis feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der Begriff des Familienlebens ist darüber hinaus nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua). Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.

Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR in Cruz Varas).

Der BF hat die genannten familiären Anknüpfungspunkte, wobei hier die Existenz der Verlobten besonders erwähnenswert ist. Er möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich bereits ca. 3 Jahre im Bundesgebiet auf. Er reiste bereits 2002 unter Umgehung der Grenzkontrolle und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein.

Die Ausweisung stellt somit einen Eingriff in das Recht auf sein Privat- und Familienleben dar, wenngleich dieser schon alleine durch den erst kurzen Aufenthalt und den niedrigen Integrationsgrad, welcher darüber hinaus nur durch die unbegründete Stellung eines Asylantrages erreicht werden konnte, in Österreich relativiert wird.

Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

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Zweifellos handelt es sich sowohl beim Asylgerichtshof als auch beim Unabhängigen Bundesasylseant um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 8 Abs. 2 AsylG gesetzlich vorgesehen.

Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 (2) EMRK, in verhältnismäßiger Wiese verfolgt.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, uva).

Der VwGH hat festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).

Ebenso wird durch die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung und das nur für die Dauer des Asylverfahrens erteilte Aufenthaltsrecht, das fremdenpolizeiliche Maßnahmen nach (negativer) Beendigung des Asylverfahrens vorhersehbar erscheinen lässt, die Interessensabwägung anders als in jenen Fällen, in welchen der Fremde aufgrund eines nach den Bestimmungen des NAG erteilten Aufenthaltstitels aufenthaltsberechtigt war, zu Lasten des (abgelehnten) Asylsuchenden beeinflusst (vgl. Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, Seite 348).

Es ist nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Notwendigkeit einer Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren kann. Ist das nicht der Fall, könnte sich der Fremde bei der Abstandnahme von der Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.

Gem. Art 8 Abs 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privatleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs 2 leg cit genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des VwGH auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich - abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG- seit 1.1.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG.

Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für den Beschwerdeführer grundsätzlich nicht mehr möglich seinen Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Im gegenständlichen Fall ist bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt ersichtlich, welcher die Annahme rechtfertigen würde, dass dem Beschwerdeführer gem. § 21 (2) und (3) NAG die Legalisierung seines Aufenthaltes vom Inland aus offen steht, sodass ihn mit rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine unbedingte Ausreiseverpflichtung trifft, zu deren Durchsetzung es einer der Ausweisung des Fremden bedarf.

Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ist der Beschwerdeführer somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Es bleibt ihm aber trotz Ausweisung unbenommen -wie anderen Fremden auch- danach vom Ausland aus einen Aufenthaltstitel zu beantragen und bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen so auf legale Art und Weise einzureisen bzw. hier zu leben.

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Der Ausspruch einer Ausweisung bedeutet mit deren Durchsetzbarkeit für den Fremden die Verpflichtung Österreich unverzüglich zu verlassen. Nur im Falle der Verhängung einer Ausweisung kann die Sicherheitsbehörde diese, im Interesse eines geordneten Fremdenwesens notwendige, Ausreiseverpflichtung erforderlichenfalls -dh. mangels Freiwilligkeit des Fremden- auch durch eine behördliche Maßnahme durchsetzen.

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des VfGH 17. 3. 2005, G 78/04 ua erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen sind.

Der EGMR wiederholt in stRsp, dass es den Vertragsstaaten zukommt, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insb. in Ausübung ihres Rechts nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 (1) EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, dh. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und va. dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein.

Der Rechtssprechung des EGMR folgend (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z. B. eine Ausweisungsentscheidung) aber auch in das nach Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in einem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zur Ausweisungs- und Abschiebungspraxis der Vertragsstaaten dürfte es für den Schutzbereich des Anspruches auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 EMRK hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob der Aufenthalt des Ausländers - im Sinne einer Art "Handreichung des Staates" - zumindest vorübergehend rechtmäßig war (vgl. Ghiban gg. Deutschland, 16.09.2004, 11103/03; Dragan gg. Deutschland, 07.10.2004, Bsw. Nr. 33743/03; SISOJEVA (aaO.)) bzw. inwieweit die Behörden durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, dass der Aufenthalt des Betreffenden bislang nicht beendet wurde. Der EGMR hat diese Frage zwar noch nicht abschließend entschieden, jedoch in Fallkonstellationen das Recht auf Privatleben erörtert, in denen ein legaler Aufenthalt der Beschwerdeführer nicht vorlag. Hat er in der Rechtssache GHIBAN (aaO.) zu einem rumänischen Staatsangehörigen, der wegen Staatenlosigkeit nicht abgeschoben werden konnte, die Frage letztlich noch offen gelassen ("Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Aufenthalt des Bf. unter diesen Umständen eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines Privatlebens war..."), so nahm er in der bereits mehrfach zitierten Rechtssache Sisojeva (aaO.) einen Eingriff in das Privatleben an, obwohl die Beschwerdeführer in Lettland keinen rechtmäßigen Aufenthalt hatten.

Wenn man - wie die aktuelle Judikaturentwicklung des EGMR auch erkennen lässt - dem Aufenthaltsstatus des Fremden für die Beurteilung des Vorliegens eines Eingriffes in das durch Artikel 8 EMRK geschützte Privatleben keine Relevanz beimisst, so wird die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Schrankenprüfung nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK Berücksichtigung zu finden haben.

In seinem jüngsten Urteil Rodrigues da Silva and Hookkamer v. the Netherlands vom 31. Jänner 2006, Zahl 50435/99 führte der EGMR unter Verweis auf seine Vorjudikatur aus, dass es ua. eine wichtige Überlegung darstellt, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, an dem sich die betreffenden Personen bewusst waren, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart war, dass der Forbestand des Familienlebens im Gastland vom vornherein unsicher war. Er stellte auch fest, dass die Ausweisung eines ausländischen Familienmitgliedes in solchen Fällen nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bewirkt.

Der GH führte weiters -wiederum auf seine Vorjudikatur verweisendaus, dass Personen, welche die Behörden eines Vertragsstaates ohne die geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen, als fait accompli mit ihrem Aufenthalt konfrontieren, grundsätzlich keinerlei Berechtigung haben, mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu rechnen. Im geschilderten Fall wurde letztlich dennoch eine Entscheidung zu Gunsten der BF getroffen, weil es BF 1 grundsätzlich möglich gewesen wäre, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren, weil sie mit dem Vater von BF2 , einem Staatsbürger der Niederlande vom Juni 1994 bis Jänner 1997 eine dauerhafte Beziehung führte. Es war daher der Fall BF 1 trotz ihres vorwerfbaren sorglosen Umganges mit den niederländischen www.ris.bka.gv.at Seite 40 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Einreisebestimmungen von jenen Fällen zu unterscheiden, in denen der EGMR befand, dass die betroffenen Personen zu keinem Zeitpunkt vernünftiger Weise erwarten konnten, ihr Familienleben im Gastland weiterzuführen. Ebenso wurde in diesem Fall der Umstand des besonderen Verhältnisses zwischen dem Kleinkind und der Mutter besonders gewürdigt.

Weiters wird hier auf das jüngste Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008 (rk. 8.Juli 2008), NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06 verwiesen, wo dieser folgende Kernaussagen traf:

Es ist nicht erforderlich ist, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob durch das Studium der Beschwerdeführerin im UK, ihr Engagement in der Kirche sowie ihre Beziehung unbekannter Dauer zu einem Mann während ihres fast 10-jährigen Aufenthalts ein Privatleben iS von Art. 8 EMRK entstanden ist.

Dies wird damit begründet, dass im vorliegenden Fall auch das Bestehen eines Privatlebens ohne Bedeutung für die Zulässigkeit der Abschiebung wäre, da einerseits die beabsichtigte Abschiebung im Einklang mit dem Gesetz steht und das legitime Ziel der Aufrechterhaltung und Durchsetzung einer kontrollierten Zuwanderung verfolgt; und andererseits jegliches zwischenzeitlich etabliertes Privatleben im Rahmen einer Interessenabwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer effektiven Einwanderungskontrolle nicht dazu führen könnte, dass ihre Abschiebung als unverhältnismäßiger Eingriff zu werten wäre.

Die zuständige Kammer merkt dazu an, dass es sich hier im Gegensatz zum Fall ÜNER gg. Niederlande (EGMR Urteil vom 05.07.2005, Nr. 46410/99) bei der Beschwerdeführerin um keinen niedergelassenen Zuwanderer handelt, sondern ihr niemals ein Aufenthaltsrecht erteilt wurde und ihr Aufenthalt im UK daher während der gesamten Dauer ihres Asylverfahrens und ihrer humanitären Anträge unsicher war.

Ihre Abschiebung in Folge der Abweisung dieser Anträge wird auch durch eine behauptete Verzögerung der Behörden bei der Entscheidung über diese Anträge nicht unverhältnismäßig.

In den Erk. d. VfGH vom 29.9.2007, Zahl B 1150/07-9 und Erk. d. VwGH vom 17.12.2007, Zahl 2006/01/0216 bis 219-6 entwickelten diese unter ausdrücklichen Bezug auf die Judikatur des EGMR folgende Richtlinien (in den Medien der vielgenannte "Kriterienkatalog"):

Folgende Faktoren sind im Rahmen der Interessensabwägung zu berücksichtigen:

- Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.9.2004, Fall Ghiban, Appl. 11.103/03, NVwZ 2005, 1046),

- das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.5.1985, Fall Abdulaziz ua., Appl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.6.2002, Fall Al-Nashif, Appl. 50.963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.4.1997, Fall X, Y und Z, Appl. 21.830/93, ÖJZ 1998, 271)

- und dessen Intensität (EGMR 2.8.2001, Fall Boultif, Appl. 54.273/00),

- die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

- den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungs-fähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Tei-lnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 4.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 5.7.2005, 2004/21/0124; 11.10.2005, 2002/21/0124),

- die Bindungen zum Heimatstaat,

- die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch

- Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und

- Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 11.4.2006, Fall Useinov, Appl. 61.292/00) für maßgeblich erachtet.

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Auch

- die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR 24.11.1998, Fall Mitchell, Appl. 40.447/98; 5.9.2000, Fall Solomon, Appl. 44.328/98; 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562).

Dem Beschwerdeführer musste bei der Antragstellung klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein Vorübergehender ist. Ebenso indiziert die Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle den Umstand, dass es dem Beschwerdeführer in Unmöglichkeit der legalen Einreise und dauerhaften Niederlassung bewusst, war, da davon auszugehen ist, dass er in diesem Fall diese weitaus weniger beschwerliche Art der Einreise und Niederlassung gewählt hätte. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer gerade in diesem Stadium des ungewissen Aufenthaltes seine Anknüpfungspunkte gem. Art 8 (1) EMRK begründete, weshalb er nicht schützenswert erscheint.

Eine Prüfung der sonstigen genannten Kriterien brachte keine weiteren gewichtigen Argumente für den Verblieb des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Asylantragstellung allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrag unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip).

Im Rahmen eines Vergleiches mit den Verhältnissen im Herkunftsstaat sind folgende Überlegungen anzustellen:

Der Beschwerdeführer verbrachte den überwiegenden Teil seines Lebens in Serbien, wurde dort sozialisiert, gehört der dort regional dominierenden Ethnie der Albaner an, bekennt sich zum dortigen regionalen Mehrheitsglauben und spricht die dortige regionale Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass in Serbien Bezugspersonen des Beschwerdeführers existieren. Es deutet nichts darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in dessen Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Im Gegensatz hierzu ist der Beschwerdeführer -in Bezug auf sein Lebensalter- erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig und war nicht in der Lage, der Berufungsverhandlung vom gänzlich ohne die Beiziehung eines Dolmetschers zu folgen. Gem. den serbischen Rechtsvorschriften wäre des der Verlobten des BF möglich, sich in Serbien, aufzuhalten und auch niederzulassen. Ginge man davon aus, dass ihr ein dortiger Aufenthalt aufgrund der kulturellen Unterschiede zwischen Mitteleuropa und Südserbien nicht möglich ist, ist dem entgegen zu halten, dass die hierfür angeführten Argumente spiegelbildlich auch auf den BF in Bezug auf seinen ho. Aufenthalt zutreffen und ihm dennoch ein Aufenthalt in Österreich zugemutet wird. Jedenfalls ist -selbst wenn die Verlobte des BF in Österreich oder Deutschland bliebe- festzustellen, dass durch eine Rückreise des BF dieser nicht gezwungen ist, die familiären Bande zur seiner Verlobten vollständig zu lösen. Es stünde den beiden frei, brieflich, telefonisch oder sonst elektronisch in Verbindung zu blieben, ebenso, könnte die Verlobte den BF in seinem Herkunftsstaat im Rahmen von Urlaubsaufenthalten besuchen. Es ist auch hier neuerlich darauf hinzuweisen, dass es dem BF frei steht, sich von seinem Herkunftsstaat aus darum zu bemühen, seinen Aufenthalt in Österreich zu legalisieren. Diese Ausführungen gelten sinngemäß auch für weitere in Österreich bestehende private und/oder familiäre Bindungen.

Im Rahmen einer Gesamtschau kann daher auch nicht festgestellt werden, dass eine Gegenüberstellung der vom Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung zu einem Überwiegen der privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes führen würde.

Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Verhängung der Ausweisung ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste femdenpolizeiliche Mittel (etwa im Vergleich zu den in §§ 60 ff FPG 2005 idgF) handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erscheint. www.ris.bka.gv.at Seite 42 von 43 Asylgerichtshof 03.09.2008

Aus den o.a. Erwägungen geht somit hervor, dass der Eingriff in die durch Art. 8 (1) EMRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers zulässig ist, weil im Rahmen einer Interessensabwägung gem. Abs. 2 leg. cit. festzustellen ist, dass das das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne eines geordneten Vollzugs des Fremdenwesens, ebenso wie die wirtschaftlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung deutlich den Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen und dieser Eingriff zur Erreichung der genannten Ziele notwendig und darüber hinaus verhältnismäßig ist, wobei hier eine differenzierte Behandlung zwischen Asylwerbern und niedergelassenen Fremden geboten erscheint (vgl. bereits zitierte einschlägige Judikatur).

Aufgrund der getätigten Ausführungen war die Beschwerde unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen in allen Spruchpunkten abzuweisen.

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