10.06.2015

Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 10.06.2015

Geschäftszahl W201 1436242-1

Spruch W201 1436242-1/10E

IM NAMEN der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela Schidlof als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, afghanischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 20.06.2013, XXXX, beschlossen/erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 01. Juli 2016 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 07.06.2012 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag, ihm internationalen Schutz zu gewähren. Er gab dazu im Rahmen der in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari in der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, als afghanischer Staatsangehöriger am XXXX in der Provinz Tachar, in Afghanistan, geboren zu sein und als Moslem der schiitischen Glaubensrichtung der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören. Er habe in Afghanistan in der Provinz Tachar, in XXXX, gewohnt. Er habe von 2001 bis 2003 eine Grundschule besucht, sonst habe er keine Ausbildung und habe nie gearbeitet. Sein Vater sei vor ca. 2 Jahren verstorben, seine Mutter sei ca. 40 Jahre alt, er habe auch eine Schwester und einen Bruder. Die Familie besitze 1 oder 2 Jirib Grund. Sein Bruder sei Soldat und versorge die Mutter. Die Schwester sei verheiratet und werde von ihrem Ehemann versorgt. Die finanzielle Situation der Familie in Afghanistan sei schlecht. Er habe Afghanistan vor ca. 3 Monaten aus Tachar verlassen, und sei mithilfe eines Schleppers bis nach Iran gefahren und habe hier ca. 2 Monate verbracht. Anschließend sei er weiter zur iranisch-türkischen Grenze gebracht und sei diese zu Fuß überquert worden. Die Grenze zu Griechenland wurde in einem Schlauchboot überquert, wo er und die anderen Flüchtlinge von der Polizei aufgegriffen worden seien. Sodann hätten sie einen Landesverweis bekommen. Vor ca. 2 Tagen habe sich der www.ris.bka.gv.at Seite 1 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Beschwerdeführer auf der Ladefläche eines Lkw mit weiteren vier Personen versteckt und seien sie in diesem Lkw bis nach Österreich gefahren. Der Beschwerdeführer habe in keinem anderen Land einen Asylantrag gestellt. Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er sei wegen der in Lebensgefahr gewesen, da er Schiite sei. Die Taliban wollen die Schiiten töten. Sein einziger Ausweg sei die Flucht gewesen.

2. In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 12.06.2013 gab der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari an, er besuche zurzeit einen Deutschkurs, er sei Mitglied in keinem Verein und besuche, dort wo er lebe, die Moschee. Er habe einen Freund aus Afghanistan, der in Graz lebe. Er sei in der Provinz Tachar, im Distrikt XXXX geboren und sei 18 Jahre alt, dies habe ihm seine Mutter gesagt. Sein Geburtsdatum in afghanischer Zeitrechnung wisse er nicht. Der Beschwerdeführer habe keine Identitätsdokumente, er habe aber Beweismittel, dass er in Afghanistan religiöse Probleme gehabt habe.

Zur Frage, welcher Volksgruppe und Religionsgemeinschaft er angehöre, sagte der Beschwerdeführer, er sei Tadschike und sei "Sunni", nein er sei Schiite/Ismaeli. Er sei nicht in eine Schule gegangen, sondern zu einem Mullah. Er könne weder schreiben noch lesen. Nach längerem Nachdenken gab der Beschwerdeführer weiter an, dass seine Mutter XXXX heiße und ca. 48 Jahre alt sei. Er habe nur eine Schwester, woher solle er den Namen finden. Nach weiterem Nachfragen gibt der Beschwerdeführer an, sie heiße XXXX. Sie sei 24 Jahre alt. Die Mutter lebe nach wie vor an der angegebenen Adresse, sie lebe alleine in dem Haus, welches ihnen gehöre. Die Schwester sei verheiratet und lebe in einem anderen Dorf. Die Mutter lebe von der Landwirtschaft. Den einzigen Verwandten, den der Beschwerdeführer noch habe, sei der Cousin - der Sohn seiner Tante väterlicherseits. Dieser lebe in Kunduz und besuche ab und zu seine Mutter. Er könne sich nicht erinnern, wann und woran der Vater gestorben sei, der BF sei noch sehr jung gewesen. Er könne nicht erklären, wieso seine Angaben in der Erstbefragung von diesen abweichen, er vergesse alles schnell. Der Beschwerdeführer glaube nicht, dass er einen Bruder habe. Er sei so vergesslich. Er habe weder Onkel väterlicherseits noch mütterlicherseits.

Der Beschwerdeführer habe sein ganzes Leben bis zur Ausreise in dem Dorf XXXX verbracht, dieses Dorf umfasse ca. 100-150 Häuser. Es gebe auch eine große Moschee. Er habe dort im Elternhaus mit seiner Mutter gelebt. Den Lebensunterhalt hätten sie von der Landwirtschaft bestritten, diese sei 4 oder 5 Jirib groß. Sie hätten Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln und Weizen angebaut. Die Käufer seien vom Distrikt gekommen. Er habe noch Kontakt ins Heimatland, vorgestern habe er mit seiner Mutter und seinem Cousin telefoniert.

Zu den Gründen seiner Ausreise gab der Beschwerdeführer an, er habe ein paar sunnitische Freunde gehabt, als diese von seiner Religion, dass er Schiite und Ismaeli sei, erfahren hätten, hätten sie ihn für 3 oder 4 Tage in einem Zimmer eingesperrt. Von dort sei ihm dann die Flucht gelungen und sei er direkt nachhause gegangen. Er habe es seiner Mutter erzählt. Diese habe dann Geld von einem Nachbarn geborgt, dem Beschwerdeführer gegeben und habe ihm gesagt, er solle Afghanistan verlassen. Über Nachfragen der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer weiter an, in seinem Dorf gebe es keine Sunniten, es lebten dort ausschließlich Schiiten, ismaelische Schiiten. Er könne nicht angeben, seit wann er die Freunde gekannt habe, sie seien nicht lange miteinander befreundet gewesen. Sie hätten im selben Dorf gelebt. Auf Vorhalt gab der Beschwerdeführer an, es lebten doch auch Sunniten dort, er glaube, diese seien die Mehrheit.

Einer der Freunde, XXXX, habe den Beschwerdeführer in ein Haus gelockt und ihn in einem Zimmer eingesperrt. Er habe 2 oder 3 Tage weder getrunken noch gegessen. Danach habe er dann das Fenster aufgemacht. Er habe das Fenster einfach öffnen können. Er sei dort weggelaufen und zu seiner Mutter nachhause gegangen. Seine Mutter habe gemeint, dass er vielleicht wegen seiner Religionsrichtung eingesperrt worden sei. Es sei die Vermutung seiner Mutter gewesen. Er sei in dem Zimmer gesessen und habe nichts gemacht. Er habe darauf gewartet, dass man ihm die Tür öffne. Er habe die Freunde nicht mehr wieder gesehen, wenn er sie gesehen hätte, dann hätten sie ihn umgebracht. Dann wäre er jetzt nicht hier. Auf Vorhalt der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer an, er habe das Fenster erst nach drei Tagen geöffnet, da er nicht gewusst habe, dass dies möglich sei.

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.06.2013, 12 06.925-BAT, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Weiters wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III).

Das Bundesasylamt traf im angefochtenen Bescheid nach Wiedergabe der oa Einvernahme Feststellungen zur Lage in Afghanistan unter besonderer Berücksichtigung der Sicherheitslage und der Lage in der Hauptstadt Kabul. Die Lage der Minderheiten, Religionsfreiheit innerstaatliche Fluchtalternative sowie Rückkehrfragen werden in diesen Länderfeststellungen ebenfalls dargestellt. www.ris.bka.gv.at Seite 2 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Die belangte Behörde stellte weiters fest, die vom Beschwerdeführer behauptete Furcht vor Verfolgung in Afghanistan sei nicht glaubhaft. Gesamt betrachtet habe der Beschwerdeführer nicht vermocht der Behörde ein nachvollziehbares, gehaltvolles und glaubhaftes Fluchtvorbringen darzulegen. Insbesondere aufgrund der vagen, oberflächlichen und widersprüchlichen, sowie teils überhaupt nicht plausiblen Angaben sei der BF nicht glaubwürdig und scheine die Fluchtgeschichte vielmehr ein ausgedachtes Konstrukt zu sein. Es sei dem Beschwerdeführer insgesamt nicht gelungen, das Vorbringen glaubhaft zu machen und habe die von ihm behauptete Verfolgungs- bzw. Bedrohungssituation nicht als maßgeblicher Sachverhalt festgestellt werden können.

Es seien keine Umstände amtsbekannt, dass in Afghanistan eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne des Artikels 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer verfüge in seiner Heimatprovinz über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte, er sei in seinem Heimatort aufgewachsen und habe dort mit seiner Mutter in einem familieneigenen Haus mit angeschlossener Landwirtschaft gelebt. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr wieder bei seiner Familie unterkommen könne und er dort Unterstützung finde. Es handle sich beim Beschwerdeführer um einen jungen und gesunden Mann. Es sei durchaus zumutbar, dass er einer Arbeit nachgehen und allenfalls auch durch diverse Hilfstätigkeiten in der Lage sei, auch aus eigenen Kräften für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Zudem sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in der familieneigenen Landwirtschaft mitarbeiten könne und er dadurch in der Lage sei, seine Grundbedürfnisse abzudecken. Es sei daher aufgrund obiger Ausführungen nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in sein Heimatland in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt werde

Bezüglich seines Antrages gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 führte die Behörde aus, der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung seiner Person oder eine wohl begründete Furcht vor einer Verfolgung im Sinne der GFK nicht glaubhaft machen können. Auch sonstige Fluchtgründe könnten nicht festgestellt werden. Betreffend der behaupteten Religionszugehörigkeit zu den ismaelitischen Schiiten werde ergänzend ausgeführt, dass die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylbewerbers für sich allein nicht geeignet sei, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun. Eine solche habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft zu machen vermocht. Zwar blieben innerhalb der moslemischen Mehrheitsbevölkerung die Beziehungen zwischen den verschiedenen Strömungen schwierig und sei die schiitische Minderheit immer noch sozialen Diskriminierungen ausgesetzt, dennoch gebe es leichte Verbesserungen in der Beziehung zur sunnitischen Mehrheit. Einem Bericht des UNHCR zufolge vom 08.04.2010 würden Ismaeliten nicht generell zum Ziel von Verfolgungen oder Diskriminierungen. Laut NGOs würden Ismaeliten nicht generell ins Visier genommen oder ernsthaft diskriminiert.

In Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erklärte die belangte Behörde, dass sich aus dem Ermittlungsverfahren keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, welcher gemäß § 8 AsylG zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen würde, ergeben hätten. Die belangte Behörde sei zu Ansicht gelangt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebungsgefahr laufe, in Afghanistan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Zur Frage der Ausweisung gelangte die belangte Behörde zum Schluss, dass sich aufgrund der Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände ergebe, dass die Ausweisung des Beschwerdeführer gerechtfertigt sei. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ergäben sich keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, welcher gemäß Art 8 Abs 1 iVm Abs 2 EMRK zum Absehen von der Ausweisung führen und auf unzulässige Weise in das Recht des BF auf Schutz des Familien-und Privatlebens eingreifen würde.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 04.07.2013 mit dem Vorbringen, der Beschwerdeführer sei stets bemüht gewesen, seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen und aktiv im Verfahren mitzuwirken. Sowohl in der niederschriftlichen Befragung vor der Polizeiinspektion als auch bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt habe er wahrheitsgetreu ausgeführt, dass er massiver Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt sei. Zum Beweis seiner nochmals wiederholten Fluchtgeschichte führt der Beschwerdeführer einen Ausschnitt des Berichtes zur allgemeinen Sicherheitslage der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 03.09.2012 an. Auch die Behauptung der Behörde, es wäre für den BF möglich, eine Arbeit zu finden, entspreche nicht der Realität in Afghanistan. Die Bevölkerung sei vom Krieg noch immer schwer betroffen, es herrsche Arbeitslosigkeit und Armut, so dass die Lebensexistenz der Menschen bedroht sei. Der Beschwerdeführer hätte auch keine Art der innerstaatlichen Fluchtalternative, sein Heimatland könne ihm in keinem Teil des Landes Schutz vor der angegebenen Verfolgung geben. Selbst wenn die Behörde finden sollte, www.ris.bka.gv.at Seite 3 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015 dass es innerhalb Afghanistans ein Gebiet gebe, wo es dem Beschwerdeführer bei wertender neutraler Betrachtung zumutbar sei zu leben, so wäre dieser Behauptung Art 8 Abs 1 Statusrichtlinie entgegenzuhalten. Art 8 Abs 1 der Statusrichtlinie fordert, dass es vom "Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann", sich in diesem konkreten Landesteil aufzuhalten. Demnach sei ein Aufenthalt in konkret zu prüfenden Landesteilen nur dann zumutbar, wenn für den Beschwerdeführer vorab die reale Möglichkeit der tatsächlichen Erreichbarkeit dieses Verfolgungs- und gefahrenfreien Gebietes bestehe. Es müsse dem Beschwerdeführer prinzipiell möglich sein, in dem sicheren Landesteil ein weitgehend geregeltes Leben ohne wesentliche Beeinträchtigungen von außen zu führen. All dies wäre dem Beschwerdeführer im konkreten Fall nicht möglich. Falls seinem Vorbringen dennoch keine Asylrelevanz zugebilligt werden könne, stelle der Beschwerdeführer in eventu den Antrag auf Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Die aktuellen Berichte zur Situation in Afghanistan würden der Behauptung der Behörde widersprechen - auch in den im Bescheid angeführten Länderfeststellungen sei nachzulesen, dass es zuletzt einen erheblichen Anstieg von sicherheitsrelevanten Zwischenfällen gegeben habe.

5. Mit Eingabe vom 26.08.2013 richtete der Beschwerdeführer ein in seiner Muttersprache verfasstes Schreiben an das Gericht, in welchem im Wesentlichen auf seine religiösen Probleme hingewiesen wird sowie darauf, dass seine Angaben mit Beweisen belegt werden konnten und dies bedeute, dass keine Zweifel und Lügen existierten.

6. Mit Eingabe vom 06.03.2014 wurde das Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl benachrichtigt, dass ein gegen den Beschwerdeführer eingeleitetes Strafverfahren beendet wurde und der BF aufgrund der am 30.06.2012 und am 01.07.2012 begangenen strafbaren Handlungen wegen § 218 StGB zu einer Geldstrafe unbedingt von 120 Tagessätzen à € 4, im Falle der Uneinbringlichkeit zu 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurde. Das Urteil ist seit dem 23.01.2014 rechtskräftig.

7. Laut Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Kärnten vom 16.08.2014 wurde der Beschwerdeführer am 11.08.2014 wegen Verdacht auf versuchten Einschleichdiebstahl vorläufig festgenommen und gegen ihn Anzeige erstattet.

8. Im Akt befindet sich eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs im Ausmaß von 2 Wochenstunden vom März 2013 bis Mai 2013, an einem weiteren Deutschkurs für AnfängerInnen des Kärntner Caritasverbandes vom 13.03.2013 bis zum 05.06.2013 sowie eine Teilnahmebescheinigung, dass der Beschwerdeführer seit dem 24.03.2013 den laufenden Deutschkurs Alphabetisierungs- und Grundkurs, GER Kompetenzstufen A1 - A2, besucht.

9. Weiters befindet sich im Akt ein auf Englisch verfasstes Schreiben mit dem Briefkopf "His Highness Prince Aga Khan Shia Imami Ismaili Council for Afghanistan", vom 01.06.2013, in welchem bestätigt wird, dass der Beschwerdeführer ein ismaelischer Schiite sei. Das weitere in Dari verfasste Schreiben, übersetzt durch die belangte Behörde, trägt zwei Daten - den 24. und 30.05.2013. Hier bestätigen die Dorfbewohner (Namen unleserlich, Unterschriften unleserlich, Stempel unleserlich), dass der Beschwerdeführer Einwohner des Dorfes XXXX sei und aufgrund von Problemen sein Land verlassen habe.

II. Gesetzliche Grundlagen:

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBL I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen www.ris.bka.gv.at Seite 4 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28 VwGVG lautet:

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art 130 Abs1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 1 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG, BGBl I Nr 87/2012 in der Fassung BGBl I Nr 144/2013, bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-VG, BGBl I Nr 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß § 75 Abs 19 AsylG sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 vom BVwG nach Maßgabe des Abs 20 zu Ende zu führen.

III. Feststellungen:

III.1.Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers :

Der Sachverhalt gründet sich auf dem Antrag auf internationalen Schutz vom 07.06.2012, auf den Ersteinvernahme des Beschwerdeführer sowie der Einvernahme vor der belangten Behörde, der Beschwerde vom 04.07.2013 gegen den Bescheid gegen den angefochtenen Bescheid, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahme in das zentrale Melderegister, Ausländer- und Fremdeninformationssystem und den Strafregisterauszug.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Tachar. Der Beschwerdeführer konnte zum Zeitpunkt der Einreise weder lesen noch schreiben. Der Beschwerdeführer verfügt über keinerlei Berufsausbildung.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich nicht unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) in Afghanistan ausgesetzt war bzw. ihm solche Verfolgung (Ausreise, Nachfluchtgründe) im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die Mutter des Beschwerdeführers lebt noch in Afghanistan.

Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan wäre der Beschwerdeführer nicht in der Lage, sich dort selbst zu erhalten und würde in eine aussichtlose Lage geraten.

III.2. Feststellungen zur Lage in Afghanistan:

III.2.1. Im Fortschrittsbericht Afghanistan 2014 zur Unterrichtung des Deutschen Bundestags, Presse- und Informationsamt der Deutschen Bundesregierung, Stand 1. November 2014, S 18 ff, heißt es zur Sicherheitslage in Afghanistan:

www.ris.bka.gv.at Seite 5 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Insgesamt haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) im Jahr 2014 trotz weiterhin hoher personeller Verluste in den Bevölkerungszentren und entlang bedeutsamer Hauptverkehrsachsen eine "ausreichend kontrollierbare" Sicherheitslage gewährleistet. Auch während der Hauptkampfsaison der regierungsfeindlichen Kräfte (RFK) haben sich die ANSF erneut ihrer landesweiten Sicherheitsverantwortung gestellt und kommen dieser überwiegend nach. Immer wieder waren die ANSF sowohl während der Absicherung von Großereignissen, als auch in der Fläche regional unterschiedlich stark ausgeprägt, erhöhten Herausforderungen durch die RFK ausgesetzt. Die Absicherung beider Wahlgänge zur Präsidentschaftswahl sowie der Inauguration des neuen afghanischen Staatspräsidenten am 29. September 2014 unterstreichen erneut die durch Schwerpunktsetzung erzielte Leistungs-fähigkeit der ANSF. Im Sommer und Herbst 2014 unterlag die Sicherheitslage vor allem in den bekannten Kernräumen der RFK den erwarteten teilweise erhöhten Schwankungen.

Die RFK stellen auch Ende 2014 landesweit eine erhebliche Bedrohung für die afghanische Bevölkerung, die Sicherheitskräfte, afghanische Regierungsorgane und Vertreter der internationalen Gemeinschaft dar. In den bevölkerungsreichen Gebieten und entlang der Hauptverbindungsstraßen stehen die RFK weiterhin unter Druck durch die ANSF. In diesen Gebieten haben die RFK aber bis zum Ende der Hauptkampfsaison 2014 keine entscheidenden und dauerhaften Raumgewinne erzielt. Wie bereits im Frühjahr 2014 in mehreren Landesteilen festgestellt, haben jedoch die RFK ihre Handlungsfähigkeit insbesondere in den ländlichen, vornehmlich paschtunisch geprägten traditionellen Kernräumen erhöhen können. Hier waren über das Jahr gesehen in einigen Gebieten mehrfach abwechselnde Raumgewinne und -verluste durch RFK und ANSF zu beobachten. Weiterhin nutzen die RFK die bekannten Vorgehensweisen und Techniken bei der Durchführung von Anschlägen und Angriffen. Diese richten sich nach weiterer Reduzierung der ISAF-Präsenz in der Fläche mit Masse gegen die ANSF.

Die ANSF wirken grundsätzlich landesweit, konzentrieren sich jedoch aufgrund begrenzter Ressourcen und weiterhin bestehender Defizite - insbesondere bei Durchhaltefähigkeit, Aufklärung und Luftnahunterstützung - noch stärker als zum Beginn des Jahres auf die urbanen Zentren und auf die bedeutsamen Hauptverkehrsachsen. Dies ermöglicht ihnen entweder kurzzeitig in der Fläche (Absicherung der Stichwahl) oder längerfristig (in den strategisch bedeutsamen Gebieten) die Wirkungsüberlegenheit gegenüber den RFK zu behalten. Somit kommen sie ihrer Schutzaufgabe weitgehend nach. In den ersten acht Monaten des Jahres 2014 sind die personellen Verluste mit rund 3.450 gefallenen Angehöri-gen der ANSF im Vergleich zu rund 3.650 Gefallenen im Vorjahreszeitraum um rund fünf Prozent nur leicht gesunken. Aufgrund fortlaufender Rekrutierung bleiben die ANSF regenerationsfähig. ISAF war 2014 in weiter zunehmendem Maße nur noch ein Gelegenheits- und "Prestige"ziel für Anschläge. Mit 33 Gefallenen in den Reihen der ISAF in den ersten acht Monaten des Jahres 2014 sanken die Opferzahlen gegenüber dem Vorjahreszeitraum mit 105 Gefallenen um rund 70 Prozent deutlich. Allerdings war ISAF wegen des begonnenen Rückbaus insgesamt auch weniger exponiert.

Die Anzahl der Sicherheitsrelevanten Zwischenfälle (SRZ), deren Aussagekraft als quantitativer Teilindikator bei der Bewertung der Sicherheitslage immer weiter abnimmt, sank - sogar trotz der statistischen Sondereffekte an den Wahltagen - in den ersten acht Monaten 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum landesweit von rund 20.900 um rund 23 Prozent auf rund 16.100.

Zivile Opfer werden unverändert durch die RFK billigend in Kauf genommen und in einigen Fällen als Mittel der Abschreckung und Vergeltung - trotz wiederholt gegenteiliger Aussagen der RFK-Führung - gezielt eingesetzt. Die Vereinten Nationen berichteten am 9. Juli 2014, dass für das erste Halbjahr 2014 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2013 ein Anstieg von getöteten afghanischen Zivilpersonen um 17 Prozent auf 1.564 und von verletzten Zivilpersonen um 28 Prozent auf 3.289 zu verzeichnen war. Erneut ist diesem Bericht zu entnehmen, dass die RFK mit 74 Prozent für die große Mehrheit der zivilen Opfer verantwortlich waren (gegenüber 8 Prozent von ANSF und 1 Prozent von internationalen Truppen). 12 Prozent der Fälle konnten nicht zugeordnet werden, weitere 5 Prozent wurden von Kampfmittelrück-ständen verursacht.

Die Sicherheitslage in Kabul ist durch die ANSF trotz unveränderter Volatilität durch einzelne medienwirksame Anschläge und Bedrohungsmeldungen "überwiegend kontrollierbar".

Auch zum Ende des Jahres 2014 herrscht in den ländlichen - vorwiegend paschtunisch geprägten - Gebieten im Osten und Süden des Landes eine "überwiegend nicht kontrollier-bare", in einigen wenigen Distrikten sogar eine "nicht kontrollierbare" Sicherheitslage.

[Überwiegend nicht kontrollierbare Sicherheitslage: Die Sicherheitslage eines Raumes gilt als überwiegend nicht kontrollierbar, wenn bestehende Bedrohungen eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungs- und Handlungsfreiheit der afghanischen Bevölkerung, afghanischen Regierung und der Vertreter der internationalen www.ris.bka.gv.at Seite 6 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Gemeinschaft darstellen. Es ist kurzfristig keine Verbesserung der Sicherheitslage zu erwarten. Die Autorität der afghanischen Verwaltungs- und Regierungsstrukturen steht in Frage.

Nicht kontrollierbare Sicherheitslage: Die Sicherheitslage eines Raumes gilt als nicht kontrollierbar, wenn bestehende Bedrohungen die Bewegungs- und Handlungsfreiheit der afghanischen Bevölkerung, afghanischen Regierung und Vertreter der internationalen Gemeinschaft drastisch einschränken oder unterbinden. Es ist gegenwärtig keine Verbesserung der Sicherheitslage zu erwarten. Die Autorität der afghanischen Verwaltungs- und Regierungsstrukturen ist de facto nicht gegeben. (Vgl S 33 des oa Berichtes.)]

In Nordafghanistan ist eine "ausreichend kontrollierbare" Sicherheitslage zu konstatieren. Sie ist jedoch heterogen und lokal begrenzt volatil. Auch im Norden wirken die ANSF grundsätzlich in der Fläche, konzentrieren sich jedoch auf die Siedlungsgebiete und auf den Raum entlang der Hauptverkehrsstraßen. Besonderes Kennzeichen auch im zurückliegenden Jahr blieb die enge Verstrickung von RFK mit der Organisierten (Drogen-) Kriminalität und lokalen/regionalen Machthabern. Die Bedrohungslage durch RFK in den nicht-paschtunischen Siedlungsgebieten und größeren Städten des Nordens wird als niedrig bis mittel eingestuft. In den ländlichen Gebieten mit hohem paschtunischen Bevölkerungsanteil bestehen weiterhin überwiegend erhebliche Bedrohungen. In einigen traditionellen Kern-räumen der RFK im Norden wurde im Sommer 2014 eine Erhöhung von deren Bewegungs- und Handlungsfähigkeit registriert, welche regelmäßig eine Gegenreaktion der ANSF auslösen. Dies führt in begrenzten Gebieten des Nordens zu einem wechselseitigen Kontroll-verlust bzw. -gewinn. Insgesamt hat sich die Anzahl von Gebieten mit einer "überwiegend nicht kontrollierbaren" Sicherheitslage im Norden tendenziell vergrößert.

Aus dem EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, European Asylum Support Office, 2015, 32 ff:

Die UNO berichtet, dass zwischen dem 1. März und dem 15. August 2014 zwei Drittel aller Sicherheitsvorfälle im Süden, Südosten und Osten Afghanistans stattgefunden haben. In diesem Berichtszeitraum wurden Angriffe Aufständischer mit dem Ziel verübt, die Stadtteilzentren oder Checkpoints im Süden (Helmand), im Westen (Faryab und Ghor), im Zentrum (Logar), im Osten (Nangarhar und Nuristan) und Nordosten (Kunduz) zu erobern und zu halten. (Vgl UN Security Council, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, report of the Secretary General, A/68/910-S/2014/420, 18 June 2014 (http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2014/420)). Nach Angaben des niederländischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten konzentrierten sich die Aufständischen auf diese Regionen wegen dem Rückzug des IWF (Nederland, Ministerie van Buitenlandse Zaken, Algemeen Ambtsbericht Afghanistan, September 2014 (http:// www.rijksoverheid.nl/ministeries/bz/documenten-en-publicaties/ambtsberichten/ 2014/09/17/afghanistan. html).

III.2.2. Sicherheitslage im Norden und der Provinz Tachar:

Zur regionalen Sicherheitslage im Norden des Landes (Provinzen: Badakhshan, Baghlan, , Faryab, Jawzjan, Kunduz, Samangan, Sari Pul und Takhar) wird in der Länderinformation der Staatendokumentation, Afghanistan, BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Stand November 2014, 94 ff, Folgendes ausgeführt:

Die Provinz Takhar, wird als eine für Landwirtschaft besonders geeignete Provinz erachtet. Sie ist 400 km von Kabul entfernt, im Nordosten umgeben von der Provinz Badakhshan, Kuduz liegt im Westen, Baghlan im Süden und im Norden grenzt sie an Tadschikistan. Die Provinz hat 16 Distrikte: Warsaj, Farkhar, Khawaja Ghar, Khawajah Bahawodin, Baharak, Hazar Sumuch, Dashti Qala, Yangi Qala, Chahab, Rustaq, Bangi, Ishkamish, Kalafgan, Chal, Namakab und Darqad; Taluqan ist die Hauptstadt (Pajhwok o.D.aa).

Takhar zählt zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans. Jedoch haben in letzter Zeit regierungsfeindliche Gruppen ihre Aktivitäten in einer Anzahl von Bezirken erhöht (Khaama Press 29.9.2014a).

Ein hochrangiger Taliban wurde gemeinsam mit seinen drei Anhängern in der nordöstlichen Provinz festgenommen. Der als "Palang" bekannte Mufti der Talibangruppe, war laut Innenministerium in schwere Angriffe (u.a. mit Straßenbomben, Selbstmordattentaten usw.) in den nördlichen Provinzen - speziell in Takhar - involviert. (Khaama Press 26.8.2014).

Im Jahresvergleich 2011 und 2013, ist die relativ geringe Zahl der regierungsfeindlichen Angriffe in der Provinz Takhar um 3% gesunken. Im Jahr 2013 wurden 33 Vorfälle registriert (Vertrauliche Quelle 1.2014).

www.ris.bka.gv.at Seite 7 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

III.2.3. Aktuelle Sicherheitslage in der Provinz Tachar

Aus: ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Aktuelle Sicherheitslage in der Provinz Tachar; Erreichbarkeit des Distrikts Warsaj bzw. der Provinz Tachar [a- 8802-2 (8803)], 25. August 2014 (verfügbar auf ecoi.net):

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) schreibt in einem monatlichen Update zu freiwilliger Rückkehr vom Juni 2014, dass es sich bei der Provinz Tachar um eine relativ sichere Provinz handle (UNHCR, Juni 2014, S. 3).

Hingegen schreibt die afghanische Online-Zeitung Khaama Press (KP) in einem Artikel vom Mai 2014, dass Tachar zu den relativ unbeständigen ("relatively volatile") Provinzen im Nordosten Afghanistans gehöre, wo die Taliban in einer Reihe von Distrikten aktiv seien:

"Takhar is among the relatively volatile provinces in northeastern Afghanistan where Taliban militants are active in a number of its districts." (KP, 5. Mai 2014a)

In einem Artikel vom August 2014 schreibt die afghanische Tageszeitung Afghanistan Times, dass eine Reihe von lokalen BeamtInnen und BewohnerInnen in der Provinz Tachar mitgeteilt hätten, dass die Zahl der illegal bewaffneten Personen in ("central city of Takhar") und einer Reihe von Distrikten angestiegen sei. Dies trage zu einer Vermehrung der Fälle von Mord, Entführung und bewaffnetem Raubüberfall in der Provinz bei. Laut BewohnerInnen von Taloqan (Taluqan) sei die Sicherheitslage in der Vergangenheit besser gewesen, verschlechtere sich allerdings mit jedem Tag, an dem der Wahlprozess andauere und die Ergebnisse noch nicht feststünden. Ein Bewohner Tachars habe angegeben, dass Instabilität, Schmuggel, Raubüberfälle und Mordfälle in jüngster Zeit zugenommen hätten. Dies stehe in direkter Verbindung mit der Unsicherheit in Tachar. Der Sprecher des Provinzgouverneurs habe bestätigt, dass die Zahl der illegal bewaffneten Personen, Raubüberfälle und bewaffneten Auseinandersetzungen angestiegen sei und dass es der Polizei noch nicht gelungen sei, diesem Problem beizukommen. Dem Sprecher zufolge seien die Distrikte Khwaja Ghar, Ishkamish und Darqad in jüngster Zeit einer ernsten Bedrohung durch regierungsfeindliche Kämpfer ausgesetzt gewesen. Gleichzeitig sei die Zahl der illegal bewaffneten Personen, Straßenkämpfe und Tötungen von ZivilistInnen in Taloqan und einigen Distrikten der Provinz angestiegen:

"A number of local officials and local residents in northern said Tuesday that illegal armed men have surged in the central city of Takhar and a number of its districts. This would add to criminal cases including murder, kidnapping and armed robberies in this province. Taluqan city residents said security situation was better in the past but the situation worsens by passing each day as the election process prolongs and the results are unknown yet. 'Takhar's security was good in the past. But instability, smuggling, robbery and murders have increased in this province recently. Some days back, a woman was killed and another woman's body parts were cut off by unknown armed men. All these are directly connected with insecurity in Takhar,' said Wajihullah Nayil, a resident of Takhar. [...] Takhar governor's spokesman, Sunnatullah Timor, confirmed that illegal armed men, robberies and armed clashes have surged in the province, and said police were not succeeded to overcome this problem yet. 'Recently, districts of Khwaja Ghar, Ishkamish and Darqad were under serious threat by anti- government militants. In the meantime, illegal and unknown armed men, street clashes and civilians killing have surged in Taluqan city and some districts of the province,' he said as quoted by Radio Azadi." (Afghanistan Times, 12. August 2014)

Die unabhängige afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News (PAN) führt in einem Artikel vom Mai 2014 an, dass laut Angaben des Provinzgouverneurs illegale bewaffnete Gruppen weiterhin in Teilen der Provinz Tachar agieren und eine Bedrohung der Sicherheit darstellen würden. Die Gruppen seien für Erpressungen, Raubüberfälle und die Schaffung von Unsicherheit verantwortlich. Weiters habe der Gouverneur mitgeteilt, dass im Vorfeld der Präsidentschaftsstichwahlen Bemühungen zur Entwaffnung von illegal bewaffneten Personen intensiviert worden seien. Einem Bewohner des Distrikts Baharak zufolge würden illegale bewaffnete Personen weiterhin eine Bedrohung der Sicherheit der lokalen BewohnerInnen darstellen. Ein Bewohner von Taloqan habe zudem mitgeteilt, dass Dutzende Personen bei Zusammenstößen mit illegalen bewaffneten Gruppen ums Leben gekommen seien und dass dies weiterhin vorkomme. Die Regierung behaupte zwar seit langem, Versuche zur Entwaffnung illegaler bewaffneter Gruppen zu unternehmen, doch habe diese Kampagne nur wenig Erfolg:

"Illegal armed groups continued to operate in parts of northern Takhar province, posing a security threat, the governor said on Wednesday. Abdul Latif Ibrahimi said these groups were involved in incidents of extortion, robberies and creating insecurity. The governor was speaking after handing over dozens of weapons to Disarmament of Illegal Armed Groups Programme (DIAG) officials. The weapons had been confiscated in a www.ris.bka.gv.at Seite 8 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015 series of operations. The governor said efforts for disarming illegal armed individuals had been intensified in the lead-up to the presidential runoff election in Takhar. [...] Meanwhile, a resident of the Baharak district, Saifur Rahman, told Pajhwok Afghan News that illegal armed individuals continued to pose a serious security threat to local residents. [...] A resident of Taloqan, Naqibullah, said dozens of people lost their lives to clashes between illegal armed groups each year, something that continued uninterrupted. He said the government had long been claiming it was trying to disarm illegal armed groups, but the campaign had little success." (PAN, 28. Mai 2014)

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet im April 2014, dass laut Angaben des Innenministeriums afghanische Sicherheitskräfte vier Tage vor den Präsidentschaftswahlen mehr als 22 Tonnen Sprengstoff in der Provinz Tachar sichergestellt hätten. Tachar sei eine relativ friedliche Provinz, in der die Taliban in den letzten Jahren ihren Einfluss vergrößert hätten:

"Afghan security forces have seized more than 22 tons of explosives, enough to make hundreds of bombs, the interior ministry said on Tuesday, four days before a presidential election. [...] [Interior Ministry spokesman] Sediqqi said the explosives, hidden in some 450 bags, were seized from a basement in the relatively peaceful northern province of Takhar, where the Taliban have gained ground in recent years." (Reuters, 1. April 2014)

Das Free and Fair Election Forum of Afghanistan (FEFA), eine zivilgesellschaftliche Organisation zur Wahlbeobachtung in Afghanistan, geht in einem Bericht auf die Herausforderungen für Kandidatinnen zur Provinzratswahl während der Nominierungsphase ein und präsentiert die Ergebnisse von Verifizierungsaktivitäten, die im Zeitraum vom 6. Oktober bis 21. Dezember 2013 in 34 Provinzen unternommen worden seien. Dem Bericht zufolge sei eine Reihe von Kandidatinnen zur Provinzratswahl nur wegen ihres Kandidatenstatus unter anderem von Parlamentsmitgliedern, Mitgliedern des Provinzrates und aufständischen Gruppen bedroht worden. Außerdem habe es Hassreden und negative Predigten von Mullahs, Stammesältesten, Distriktgouverneuren und einigen illegalen bewaffneten Gruppen gegeben. Die meisten Fälle von Einschüchterung seien in den Provinzen Paktika, Farah, Tachar, Nimrus, Paktia, Daikundi, Kunar, Nangarhar, Baglan und Kandahar verifiziert worden:

"The findings of women political rights verification demonstrated that a number of provincial councils' female candidates have been threatened by local powerbrokers, their male counterparts and insurgent groups only due to their candidacy in the process. Of total 272 candidates interviewed, 67 candidates in Badakhshan, Badghis, Baghlan, Bamyan, Logar, Daikundi, Farah, Faryab, Ghazni, Ghor, Herat, Kabul, Kandahar, khost, Laghman, Nangarhar, Nimroz, Kunar, Samangan, Paktika, Paktia, Parwan, Sar e Pul and Takhar complained on being intimated and submitted complaint forms to FEFA. The main challenges included the threats below:

- Threatening phone calls and night letters from a number of incumbent MPs, members of Provincial Councils and insurgent groups;

- Hate speeches and negative preaches by Mullahs, tribal elders, district governors and some illegal armed groups like Hezb-e-Tahrir against female candidates (abduction of a son of a female candidate in is one of the examples of threats female candidates faced during the nomination period).

The most cases of intimidations have been verified in Paktika, Farah and Takhar, Nimroz, Paktia, Daikundi, Kunar, Nangarhar and Baghlan and Kandahar while the least number of incidents of intimidations occurred in Kabul, Parwan and Samangan." (FEFA, ohne Datum, S. 8)

Die vom privaten, in Kabul ansässigen Fernsehsender Ariana Television Network betriebene Nachrichtenwebsite Ariana News schreibt in einem etwas älteren Artikel vom August 2013, dass laut Angaben von PolizeibeamtInnen in Tachar illegal bewaffnete Personen und Drogenhändler die größte Herausforderung bezüglich der Stabilität und Sicherheit und den anstehenden Präsidentschaftswahlen in der Provinz darstellen würden. Wie der Artikel anführt, sei Tachar größtenteils sicher. Allerdings habe es in den vergangenen zwei Monaten mehrere Berichte über Vorfälle gegeben, bei denen DemonstrantInnen und Kriminelle für Chaos gesorgt hätten:

"Police officials in Takhar said illegal gunmen and drug traffickers are the major challenge against stability and security and the upcoming presidential election in Takhar Province. [...] Though Takhar is mostly secure, the recent incidents from demonstrators and criminals that have caused chaos have been reported in various media reports during the past 2 months." (Ariana News, 25. August 2013)

Im Folgenden findet sich eine Auswahl konkreter sicherheitsrelevanter Vorfälle seit Anfang 2014 (chronologisch absteigend): www.ris.bka.gv.at Seite 9 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Die in Pakistan ansässige afghanische Nachrichtenagentur Afghan Islamic Press (AIP) berichtet im August 2014, dass laut offiziellen Angaben bei Kämpfen im Distrikt Khwaja Ghar (Khoja Ghar), Provinz Tachar, sechs Polizisten ("police soldiers") und fast 20 Taliban-Kämpfer getötet oder verletzt worden seien. Dem Sprecher des Provinzgouverneurs zufolge hätten die Kämpfe begonnen, nachdem bewaffnete regierungsfeindliche Kräfte einen Posten der Lokalpolizei ("security post of local police soldiers") im Gebiet Gol Tapa angegriffen hätten. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels würden die Kämpfe noch andauern. In der Zwischenzeit habe ein Taliban-Sprecher mitgeteilt, dass die Aufständischen bei dem Angriff auf den Polizeiposten drei Polizisten getötet und sechs weitere verletzt hätten. Bei den Kämpfen sei jedoch nur ein Aufständischer verletzt worden:

"Officials in Takhar Province say that six police soldiers and nearly 20 Taleban sustained casualties as a result of a long clash in Khoja Ghar District but the Taleban deny it. The Takhar Province governor's spokesman, Sonatollah Temor, told Afghan Islamic Press [AIP] on Sunday, 10 August, that the fighting started when armed opponents [of the government] attacked a security post of local police soldiers in the Gol Tapa area in Khoja Ghar District two days ago, and the attack was still continuing. [...] Meanwhile, Taleban Spokesman Zabihollah Mojahed told AIP that the Taleban attacked a police post in the Gol Tapa area of Khoja Ghar District and three police soldiers were killed and six others injured as a result. Mojahed confirmed that only one mojahed was injured in this clash." (AIP, 10. August 2014)

Der afghanische Nachrichtensender Tolo News schreibt in einem Artikel vom Juli 2014, dass laut offiziellen Angaben mindestens neun ZivilistInnen bei einem Selbstmordanschlag im Distrikt Khwaja Ghar (Khojaghar), Provinz Tachar, getötet und mehr als 28 weitere verletzt worden seien. Das eigentliche Ziel des Angriffs sei die afghanische Lokalpolizei gewesen, jedoch sei der Sprengsatz vorzeitig explodiert. Keine Gruppierung habe sich zu dem Anschlag bekannt:

"At least nine people were killed and more than 28 others wounded in a suicide attack in Khojaghar district of Takhar province on Thursday morning, according to the provincial head of public health. The incident took place at around 10:30 a.m. in the city of Khojaghar district according to Provincial Spokesman Sunatullah Temor. He added that the explosives were concealed on a motorcycle. According to the local officials, most of the victims were civilians who have been taken to a nearby hospital for treatment. Takhar public health head Hafizullah Safi says that there are nine civilians, including women and children, killed and 28 others wounded. He added that the target was the ALP [Afghan Local Police], but the blast took place before the attacker reached the police. No group including the Taliban has claimed responsibility for the Takhar attack." (Tolo News, 24. Juli 2014)

Die Afghan Islamic Press (AIP) berichtet im Juli 2014, dass laut Sprecher des Gouverneurs von Tachar ein Mitglied des Unterhauses des Parlaments auf dem Weg vom Distrikt Darqad in den Distrikt Khwaja Ghar in einen Hinterhalt geraten sei. Bei dem anschließenden Kampf zwischen den Angreifern und den Leibwächtern des Parlamentsmitglieds sei ein Angreifer verletzt und von Sicherheitskräften verhaftet worden. Ein lokaler Bewohner habe jedoch mitgeteilt, dass bei dem Angriff ein Leibwächter getötet und ein weiterer verletzt worden seien. Lokalen BewohnerInnen zufolge habe es sich bei den Angreifern um Kämpfer eines Mannes gehandelt, der mit dem Parlamentsmitglied seit langem verfeindet sei:

"Sonatollah Temor, spokesman to the governor of Takhar, told Afghan Islamic Press that a representative of the people of Takhar at the lower house of parliament, Qazi Abdol Kabir, was on his way from to Khwaja Ghar District of Takhar Province when he faced an ambush by militants between the two districts at around 1000 o'clock this morning. He added that the fighting between Qazi Kabir's bodyguards and the militants continued until 1300 local time, in which only one militant was injured and detained by security forces. He said that the clash caused no other casualties, but a local resident said that one bodyguard of Qazi Kabir was killed and another injured in the attack. According to local residents, the militants were fighters of a man called Malek Tatar, who has an old enmity of Qazi Kabir's." (AIP, 12. Juli 2014)

Die staatliche afghanische Nachrichtenagentur Bakhtar News Agency (BNA) führt in einem Artikel vom Mai 2014 an, dass laut offiziellen Angaben drei Schülerinnen bei einer Explosion einer Mine am Stadtrand von Taloqan (Taliqan) verletzt worden seien. Die Mine sei von bewaffneten Aufständischen platziert worden und habe eigentlich einem Polizeifahrzeug gegolten:

"Three girl students were wounded in explosion of a mine in Takhar province yesterday. A police official of Takhar said the mine was placed by armed insurgents in a bicycle and wanted to target police vehicle. Abdul Khalil Aseeri spokesman of Takhar security directorate said BNA; the explosion occurred in outskirt of Taliqan center of that province, which caused wounding of three girl students." (BNA, 26. Mai 2014)

www.ris.bka.gv.at Seite 10 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Die afghanische Online-Zeitung Khaama Press (KP) schreibt in einem Artikel vom Mai 2014, dass im Rahmen einer gemeinsamen Operation des afghanischen Geheimdienstes und der afghanischen Polizei in der Provinz Tachar mindestens acht hochrangige Taliban-Anführer verhaftet worden seien. Laut Geheimdienstangaben seien bei der Operation, die im Dorf Khalyan, Distrikt Cha'a, stattgefunden habe, auch vier Taliban-Kommandeure getötet worden:

"At least eight senior Taliban leaders were arrested following a joint military operation by Afghan intelligence and Afghan police forces in northeastern Takhar province of Afghanistan. Afghan intelligence - National Directorate of Security (NDS) following a statement said Monday that four Taliban commanders were also killed during the operation. The statement by NDS further added that the operation was conducted in Khalyan village of Cha'ab district." (KP, 5. Mai 2014b)

Bakhtar News Agency (BNA) erwähnt in einem Artikel vom Februar 2014, dass die Sicherheitskräfte einem Bericht zufolge 77 Minen entdeckt und entschärft hätten. Die Minen seien vor kurzem von bewaffneten Taliban in Gebieten in den Provinzen Tachar, Kandahar, Urusgan, Helmand und Nimrus platziert worden:

"According to another report, the security forces discovered and defused 77 mines. The mines were recently planted by armed Taliban in relevant areas of Takhar, Kandahar, Urozgan, Helmand and Nimrooz provinces." (BNA, 27. Februar 2014)

Erreichbarkeit des Distrikts Warsaj bzw. der Provinz Tachar

Der Distrikt Warsaj findet sich im Süden der Provinz. Er grenzt im Westen an die Provinz Baglan und im Süden an die Provinz Pandschir (OCHA, 9. Februar 2014).

Ein etwas älterer, im August 2013 veröffentlichter Artikel von Pajhwok Afghan News (PAN) zitiert den Sprecher des Gouverneurs von Tachar, dem zufolge mehr als die Hälfte der Straßen, die in die drei Distrikte Warsaj, Farkhar und Darqad führen würden, asphaltiert ("paved") worden seien:

"[The Takhar governor's spokesman] Taimor said more than half of the roads leading to the three districts [Warsaj, Farkhar and Darqad] had been paved and if the central government helped complete the roads' construction, it would result into a considerable increase in the number of tourists." (PAN, 13. August 2013)

In einem undatierten Dokument zu Straßenverhältnissen im Norden und Nordosten Afghanistans schreibt das Logistics Capacity Assessment (LCA), ein Tool des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP), dass die Straße, die vom Distrikt Taloqan in die Stadt Kundus führe, 84 Kilometer lang, asphaltiert und das ganze Jahr über befahrbar sei:

"Taloqan district to Kunduz City (84 kms)

The road from Taloqan to Kunduz primary tarmac and passable throughout the year, the road is passable for all sizes of trucks, average transit time of 21/2 hrs for loaded truck. The road is exposed to flood, fog, rain and snow." (LCA, ohne Datum)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014 (Berichtsjahr 2013), dass Taxi-, LKW- und Busfahrer berichtet hätten, dass die Sicherheitskräfte illegal Kontrollpunkte unterhalten und Geld und Güter von Reisenden erpresst hätten. Die größte Bewegungseinschränkung sei in einigen Teilen des Landes die fehlende Sicherheit gewesen. In vielen Gebieten sei das Reisen, insbesondere nachts, aufgrund von Gewalt durch Aufständische, Banditentum, Landminen und unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen extrem gefährlich gewesen. Auch bewaffnete Aufständische hätten illegale Kontrollpunkte betrieben und Geld und Güter erpresst:

"Taxi, truck, and bus drivers reported that security forces operated illegal checkpoints and extorted money and goods from travelers. The greatest barrier to movement in some parts of the country was the lack of security. In many areas insurgent violence, banditry, land mines, and IEDs made travel extremely dangerous, especially at night. Armed insurgents also operated illegal checkpoints and extorted money and goods. The Taliban imposed nightly curfews on the local populace in regions where it exercised authority, mostly in the southeast. Social custom limited women's freedom of movement without male consent or a male chaperone." (USDOS, 27. Februar 2014, Section 2d)

www.ris.bka.gv.at Seite 11 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) schreibt in ihrem Bericht zu zivilen Opfern, Angriffen auf und Schutz von ZivilistInnen in der ersten Hälfte des Jahres 2014, dass sie weiterhin Vorfälle verifiziert habe, bei denen regierungsfeindliche Elemente unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen an Orten platziert oder eingesetzt hätten, die offenbar kein direktes spezifisches militärisches Angriffsziel dargestellt hätten. UNAMA habe viele Explosionen von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen auf Märkten, öffentlichen Straßen und an anderen öffentlichen Orten, die von ZivilistInnen besucht würden, dokumentiert.

Wie der Bericht weiters anführt, hätten regierungsfeindliche Elemente unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen auf Transitrouten, angefangen bei Fußpfaden bis hin zu Highways, platziert. Bei der Explosion dieser Vorrichtungen seien ZivilistInnen, die zu Fuß, auf Fahrrädern, in Bussen, Taxis oder privaten Fahrzeugen unterwegs gewesen seien, getötet oder verletzt worden:

"Regarding the indiscriminate use of IEDs [improvised explosive devices], UNAMA continued to verify instances of Anti-Government Elements planting or using IEDs in locations that appeared not to be directed at a specific military objective, and detonating IEDs in a manner or location where the effects could not be limited in violation of international humanitarian law. UNAMA documented many IED detonations in markets, public roads and other public areas frequented by civilians." (UNAMA, Juli 2014, S. 12)

"Anti-Government Elements placed IEDs, particularly those equipped with a pressure-plate trigger, on transit routes ranging from small footpaths to highways that killed and injured civilians whether they were on foot, riding bicycles, in buses, taxis or in private cars." (UNAMA, Juli 2014, S. 12)

In einem im Februar 2014 veröffentlichten Artikel berichtet David Pugliese, Journalist der kanadischen Tageszeitung Ottawa Citizen über seine im Dezember 2013 unternommene Reise nach Afghanistan. Über die Fahrt auf dem Highway von Kabul in Richtung Masar-e Scharif und Scheberghan schreibt Pugliese, dass die Straße von schwerbewachten Checkpoints der afghanischen Armee oder Polizei, deren Mauern mit Einschusslöchern überzogen seien, sowie ausgebrannten Treibstofflastern gesäumt sei. Nach dem Sturz der Taliban sei der Norden des Landes eine Region relativer Stabilität gewesen, allerdings hätten sich seitdem die Aufständischen in eine Reihe von Gebieten im Norden ausgebreitet, während andere Gebiete in der Region von schwer bewaffneten Stammesmilizen kontrolliert würden. Wie Pugliese mitteilt, sei eine Fahrt durch den Salang- Tunnel, der eine wichtige Verbindung zwischen Kabul und dem Norden Afghanistans darstelle (und die Provinzen Parwan und Baglan miteinander verbindet, Anm. ACCORD), weiterhin eine tückische Angelegenheit. Stellenweise sei dieser lediglich ein mit Schlamm bedeckter Schotterweg ("slick of gravel"), obwohl die USA 19 Millionen US-Dollar investiert hätten, um den Tunnel auszubauen. Einmal habe sich der Fahrer des Wagens, in dem der Journalist unterwegs gewesen sei, geweigert, an einem Polizei-Checkpoint zu halten, aus Furcht, bei den dort postierten bewaffneten Männern in Uniform könnte es sich um Taliban handeln. Wie der Fahrer mitgeteilt habe, werde der Streckenabschnitt manchmal von Aufständischen übernommen, und mit ausländischen Insaßen sei das Fahrzeug ein offensichtliches Angriffsziel:

"The highway to northern Afghanistan is dotted with bullet-marked military outposts and burned out fuel tankers. After the fall of the Taliban in late 2001, the north emerged as a region of relative stability in an otherwise violent country. But in the years since, despite the massive nationwide effort of foreign troops, the insurgency has expanded to a number of areas in the north while heavily armed tribal militias, with little allegiance to the central government, control other spots in the region.

It's been six years since the Citizen first drove the 560-kilometre route from the capital city of Kabul to the northern cities of Mazar-i-Sharif and Sheberghan. The changes along the way are significant, at times disheartening, and provide glimpse into the ever changing security mosaic in Afghanistan. A half-dozen years ago there were no Afghan army or police outposts along the main highway. Now there are scores of heavily guarded checkpoints and forts, their walls riddled with bullet holes from numerous attacks. [...]

The Salang Tunnel, which sits at 3,400 metres in the Hindu Kush mountains and is a major link between Kabul and the north, remains treacherous to drive. At points it is nothing more than a mud-covered slick of gravel, though the U.S. has spent $19 million to upgrade the structure.

At one point driving through , Mirwais, our driver, refused to stop at a police checkpoint. 'Maybe Taliban,' he said of the armed men in uniforms as he sped by them at 120 km/h. [...] The stretch of highway is sometimes taken over by insurgents, Mirwais says, and with foreigners in the car, the vehicle is an obvious target." (Ottawa Citizen, 17. Februar 2014)

www.ris.bka.gv.at Seite 12 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

In einem Artikel vom Dezember 2013 schreibt Ariana News, dass Entführungen und Raubüberfälle Probleme in der Provinz Baglan seien, die sich vornehmlich auf öffentlichen Straßen ereignen würden (Ariana News, 31. Dezember 2013).

Tolo News erwähnt in einem etwas älteren Artikel vom August 2013, dass der Einsatz von am Straßenrand platzierten Bomben und Selbstmordanschläge durch Aufständische weiterhin ein großes Problem für die Provinz Baglan darstellen würden (Tolo News, 18. August 2013).

III.2.4. Rückkehrfragen:

Während des Untersuchungsjahres, kehrten mehr als 30.000 afghanische Flüchtlinge freiwillig, mit Hilfe von UNHCR, nach Afghanistan zurück. Die durchschnittliche Zahl der Rückkehrer pro Tag deutet einen Rückgang von 40% im Vergleich zum Jahr 2012 an. Die Kapazitäten der afghanischen Regierung Rückkehrer aufzunehmen hielt sich in Grenzen. Obwohl UNHCR berichtet, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten und eine schlechte Sicherheitslage in Pakistan und Iran zu einem Anstieg bei Rückkehrern nach Afghanistan im Jahr 2012 führten, sank die Zahl der Rückkehrer im Untersuchungsjahr aufgrund von Ungewissheit in Bezug auf die Sicherheit und der Transitionsperiode. Zusätzlich gaben Rückkehrer an, dass lokale Verbesserungen der Sicherheitslage in manchen Teilen Afghanistan der primäre Grund für die Rückkehr waren (USDOS 27.2.2014).

Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Schweden haben mit Afghanistan und dem UNHCR sogenannte Drei-Parteien-Abkommen zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Abkommen mit Großbritannien und Finnland werden derzeit verhandelt. Die Abkommen sehen u.a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Von Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien ist bekannt, dass diese Länder abgelehnte Asylbewerber afghanischer Herkunft nach Afghanistan abschieben. Einige Länder arbeiten eng mit IOM in Afghanistan zusammen, insbesondere auch, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet psychologische Betreuung, Unterstützung bei Reiseformalitäten und bei Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche (AA 31.3.2014).

(vgl COI - Country of Origin Information - Herkunftsländerinformation, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 19.11.2014)

Freiwillige Rückkehr: Trotz erhöhtem Druck durch Iran und Pakistan ist die Zahl der Rückkehrenden 2013 wegen der prekären Sicherheitslage sowie der politischen Situation zurückgegangen. Durchschnittlich sollen 2013 etwa 40 Prozent weniger Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt sein als 2012. 2014 ist die Zahl um weitere 56 Prozent gesunken. Seit der Ankündigung des Abzugs der internationalen Sicherheitskräfte 2014, haben zahlreiche gut ausgebildete Afghaninnen und Afghanen das Land verlassen.

Situation der Rückkehrenden: Gemäß UNHCR kehrten etwa 42 Prozent der Rückkehrenden nicht in ihre Heimatgemeinden zurück, da sie dort keine Unterkunft mehr haben, weil es keine Möglichkeiten gibt, ein Einkommen zu erzielen, da öffentliche Dienstleistungen fehlen oder weil die Sicherheitslage als zu prekär erscheint. Zudem verfügten Rückkehrende meist über einen schlechteren Zugang zu Unterkunft, Einkommensmöglichkeiten und Wasser. Die afghanische Regierung unterstützt Rückkehrende aus dem Iran sowie Pakistan nur äußerst dürftig.

Situation der intern Vertriebenen (IDP): Aufgrund des bewaffneten Konflikts stieg 2013 die Zahl der intern Vertriebenen Zivilistinnen und Zivilisten im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent (plus 124'354) an und betrug Ende 2013 rund 631.286 Personen. Insbesondere der Westen, Osten und Norden Afghanistans verzeichnet viele IDP. Im Osten gaben IDP Übergriffe und Einschüchterungen durch regierungsfeindliche Gruppierungen als Grund für die Vertreibung an. IDP leiden oft unter einem beschränkten Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser, angemessener Unterkunft, Gesundheitseinrichtungen, Arbeit und sehen sich mit einer beschränkten Bewegungsfreiheit konfrontiert. Die äußerst limitierten Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, führen oft zu erneuter Vertreibung. Besonders in den harten Wintern sind IDP schutzlos der Kälte ausgeliefert. In und um Kabul existieren mindestens 51 informelle Siedlungen, welche geschätzte 30.400 Personen beherbergen. Viele dieser Menschen leben bereits seit über zehn Jahren in solchen Siedlungen.

Aufnahmekapazität. Gemäß US Departement of State bleibt die Aufnahmekapazität Afghanistans für Rückkehrende weiterhin beschränkt.

(vgl Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 10.10.2014, 20ff)

www.ris.bka.gv.at Seite 13 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

III.2.5. Zu der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan sowie zur Rückkehrlage erstattete der Sachverständige, Dr.Rasuly, Befund und Gutachten im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.05.2015 in einem Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (W201 1438394-1/10E). In diesem wird unter anderem ausgeführt:

"Die Sicherheitslage in Afghanistan ist im heurigen Jahr besonders prekär geworden. Das liegt daran, dass die Taliban ihren Kriegsführungsstil und ihre Kriegsziele geändert bzw. auch erweitert haben. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr versuchen die Taliban im heurigen Jahr Gebiete anzugreifen und möglichst auch unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie gehen nicht nur mit Selbstmordanschlägen gegen die Behörden und gegen Personen vor, die sie als ihre Feinde betrachten, sondern sie liefern sich Gefechte mit den Sicherheitskräften und nehmen Gebiete ein, bewerfen die Städte mit Raketen und parallel dazu verüben sie weiterhin Selbstmordanschläge. Fast aus allen 34 Provinzen wird von Taliban-Anschlägen berichtet, in 13 Provinzen des Landes wird von schweren Gefechten und Einnahmen von Regionen durch die Taliban gemeldet. In Kunduz, Takhar, Badakhan, Kapisa, Nangarhar, Kunar, Kandahar, Badghis, Faryab, Samangan, Sar-e Pul, in Teilen Herats und in der Provinz Ghor herrscht eine Art Kriegszustand. In diesen Provinzen sind zum Teil die meisten Distrikte unter der Kontrolle der Taliban. Das hat dazu geführt, dass tausende Familien aus diesen Kriegsgebieten geflüchtet und derzeit vom UNHCR in Zelten am Rande der Großstädte notversorgt werden. Von Kabul hört man auch in den letzten Tagen ständig von Selbstmordanschlägen in Hotels, am Flughafen und auf Linienbussen, in denen angeblich Militärs sitzen. (...)

Die Versorgungslage in Afghanistan wird insgesamt immer schlechter. Der Grund liegt darin, dass der Abzug der ISAF-Truppen und Schließung ihrer Basen sowie der Abzug der ausländischen NGOs abertausende junge Menschen zu Arbeitslosen gemacht hat, die derzeit keine Aussicht haben, eine adäquate Arbeitsstelle zu finden und ihr Leben finanzieren zu können. Derzeit ist vor allem Europa mit einer hohen Flüchtlingswelle aus Afghanistan konfrontiert. Das afghanische Flüchtlingsministerium und UNHCR sind derzeit mit den Nachbarländern Pakistan, Iran, Tadjikistan und auch mit der Türkei in einem ständigen Kontakt, diese Flüchtlingsbewegung der Afghanen so zu regeln, dass es zumindest weniger Opfer auf dem Fluchtweg gibt. Es wird ständig gemeldet, dass an den Grenzen zwischen dem Iran und der Türkei und Griechenland hunderte von Afghanen erschossen werden oder sie ertrinken in den griechisch-türkischen Gewässern.

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Anzahl der arbeitslosen Jugendlichen in Afghanistan derzeit über 60% liegt und die zurückgeschobenen jungen Menschen sich in einer perspektivlosen Situation in Afghanistan befinden. Es wurde berichtet, dass es derzeit drei Millionen Drogenabhängige in Afghanistan gibt, die Mehrheit dieser abhängigen Personen sind junge Menschen, die aus dem Ausland abgeschoben wurden und in Afghanistan keine familiäre Bindung, aber auch keine andere Bleibe haben. Ein Gutteil der abgeschobenen Menschen versuchen wieder ins Ausland zu gelangen, da sie tatsächlich keine Aussicht auf ein wirtschaftlich menschenwürdiges Leben haben. Personen, die in Afghanistan kein Haus und keine wirtschaftliche Basis haben und ihre Familien nicht mehr in Afghanistan leben, gehören zu den Flüchtlingstypen, die ich zuvor beschrieben habe. Betreffend die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan möchte ich auf folgende Internetquellen hinweisen:

http://www.dw.de/tote-bei-anschlag-auf-ausl%C3%A4nder-in-kabul/a-18454724

http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-mehrere-tote-bei-taliban-anschlag-in-kabul-a-1034535.html http://www.dw.de/refugee-drama-in-kunduz/a-18428454

http://www.longwarjournal.org/archives/2015/05/taliban-touts-success-in-kunduz-offensive.php

http://www.rferl.org/content/afghanistan-taliban-faryab-province-qishloq-ovozi/26957356.html

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-05/afghanistan-taliban-anschlag-polizei

http://www.timesofoman.com/News/50723/Article-Taliban-launch-spring-offensive-attack-US-Bagram-Air- Base-outside-Kabul-with-rocket

www.ris.bka.gv.at Seite 14 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

http://www.khaama.com/taliban-rocket-attack-on-bagram-prison-leaves-at-least-26-injured-8906 http://en.wikipedia.org/wiki/Parwan_Detention_Facility

http://www.tolonews.com/en/afghanistan/19085-six-taliban-insurgents-killed-in-kapisa- operationhttp://www.tolonews.com/en/afghanistan/15502-taliban-control-valley-of-alasay-district-of-kapisa"

IV. Beweiswürdigung:

IV.1. Einleitend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer rechtskräftig (seit 23.01.2014) wegen § 218 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen á € 4.-(€ 480.-) im UEF zu 60 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt wurde. Diese Verurteilung bildet jedoch keine Grundlage den Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 1 Z4 AsylG von der Anerkennung als Asylberechtigten auszuschließen.

IV.2. Die Ausführungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesasylamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

IV.3. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum und Geburtsort) getroffen wurden, beruhen diese auf den vom Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde. Diese Feststellungen gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen-und zur Religionszugehörigkeit, zur Herkunft und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers stützen sich auf die diesbezüglich gleich bleibenden Angaben während des gesamten Verfahrens.

IV.4. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen, bei welchen es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen handelt, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Darüber hinaus erstattete der Sachverständige, Dr. Rasuly, kürzlich ein Gutachten zu Situation in Afghanistan, welches ebenfalls dem gegenständlichen Erkenntnis zu Grunde gelegt wird.

IV.5. Eine Durchsicht der Aussagen des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verwaltungsverfahren sowie die Beschwerde ergeben, dass der Beschwerdeführer in wesentlichen Teilen seiner Angaben gänzlich unglaubwürdig ist.

So gab der Beschwerdeführer in seiner Ersteinvernahme vom0 6.06.2012 an, er habe einen Bruder namens XXXX, der 36 Jahre alt sei. Dieser sei Soldat und versorge derzeit die Mutter des Beschwerdeführers. In der Einvernahme vom 12.06.2013 vor der belangten Behörde hingegen gab der Beschwerdeführer an, nur eine Schwester, jedoch keinen Bruder zu haben. Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang behauptete Vergesslichkeit ist absolut unglaubwürdig und muss auf Falschaussagen des Beschwerdeführers in den Einvernahmen vom 06.06.2012 bzw. 12.06.2013 zurückgeführt werden, die sich der Beschwerdeführer offenbar tatsächlich nicht gemerkt hat.

Ein weiterer Widerspruch in den Aussagen des Beschwerdeführers liegt in den Angaben zur Größe der familieneigenen Grundflächen. So gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung an, die der Familie gehörenden Grundstücke hätten eine Größe von ein oder zwei Jirib. In der Einvernahme vor der belangten Behörde hingegen nannte er eine Größe von vier oder fünf Jirib. Dies stellt eine wesentliche Abweichung von der ersten Aussage dar, die gegen die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers spricht.

Zu seinem verstorbenen Vater gab der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung am 6.6.2012 an, dass dieser vor ca. zwei Jahren verstorben sei. Im Gegensatz zu dieser Aussage gab er am 12.6.2013 vor der belangten Behörde an, er könne sich an seinen Vater nicht erinnern, da er bei dessen Tod sehr jung gewesen sei und weder wüsste wann, noch woran der Vater verstorben sei. Geht man von den eigenen Altersangaben des Beschwerdeführers in der Ersteinvernahme aus, so müsste er beim Tod des Vaters etwa 15 Jahre alt gewesen sein. Einerseits sind die Angaben des Beschwerdeführers zu diesem Thema widersprüchlich und zudem ist es gänzlich unglaubwürdig, www.ris.bka.gv.at Seite 15 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015 dass dem Beschwerdeführer in einem Alter von etwa 15 Jahren nicht bekannt sein soll, woran sein Vater verstorben ist.

Zu seiner Fluchtgeschichte gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung an, er sei von den Taliban verfolgt worden, da er Schiite sei und die Taliban die Schiiten töten würden. In der Befragung vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer hingegen an, er habe mit seiner Mutter friedlich gelebt, eines Tages hätten ihn drei Freunde -in der ersten Aussage für 3 bis 4, in einer späteren Aussage für 2 bis 3 Tage - in einem Zimmer eingesperrt. Seine Mutter habe gesagt, der Grund für diese Gefangennahme sei, dass er Schiite sei. Der Beschwerdeführer gibt selbst zu, dass es sich bei dem Grund für seine Gefangenennahme, nämlich dass er Schiite sei, lediglich um eine Annahme handle, die auf Vermutungen seiner Mutter basieren. Der Beschwerdeführer geht nicht einmal selbst von einer asylrelevanten Verfolgung aus sondern gibt lediglich eine Vermutung seiner Mutter wieder. Dem vom Beschwerdeführer geschilderte Einsperren in ein Zimmer mit einem öffenbaren Fenster kann jedoch keine Verfolgung aus religiösen Gründen entnommen werden. Allein die Tatsache, dass der Beschwerdeführer durch ein Fenster dieses Zimmer verlassen konnte, ist ein Hinweis auf einen Streich von Freunden und nicht auf eine Repressalie aufgrund religiöser Zugehörigkeit. Wenn der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde in weiterer Folge davon ausgeht, dass ihn seine Freunde im Falle eines Wiedersehens umbringen würden, so ist dies gänzlich unglaubwürdig. Die Freunde hätten, falls sie den Beschwerdeführer tatsächlich hätten töten wollen, diesen gar nicht erst in ein Zimmer sperren müssen, das, nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, leicht durch ein offenes Fenster zu verlassen war. Sie hätten jede Gelegenheit gehabt, den Beschwerdeführer zu töten, wenn sie dies gewollt hätten. Offensichtlich handelt es sich bei diesem Einsperren um einen "Lausbubenstreich" unter Freunden, der zu keinem Zeitpunkt mit einer Gefährdung des Beschwerdeführers verbunden war. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer mehrere Tage gewartet haben will, bis er versucht hat, das offenbar ebenerdig gelegene Zimmer durch das geöffnete Fenster zu verlassen.

Zur Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers ist abschließend festzuhalten, dass diese insgesamt jeder Glaubwürdigkeit entbehrt. So ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht wissen will, wo er eingesperrt wurde, da sich, seinen eigenen Angaben zufolge, dieses Zimmer in der Nähe seines Heimatsdorfes befindet und er nach seiner "Flucht" aus diesem Zimmer zu Fuß, in ca. 10 Minuten - "das war für mich ein Spaziergang" - das Heimatdorf erreicht hat.

Die Aussage vor der Erstbehörde, er sei aus Afghanistan geflüchtet, da er als Schiite von den Taliban verfolgt würde, wiederholte der Beschwerdeführer weder in seinen Aussagen vor der belangten Behörde noch in seiner Beschwerde.

Auch zu den Verhältnissen betreffend religiöse Gruppen in seinem Heimatdorf tätigte der Beschwerdeführer widersprüchliche Aussagen. Zuerst gab der Beschwerdeführer an, es würden dort ausschließlich Schiiten leben, auf Vorhalt der belangten Behörde hingegen gab er dann an, die Sunniten bildeten die Mehrheit.

Auch in seiner Beschwerde erstattete der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen kein weiteres Vorbringen. Er beschränkte sich viel mehr auf die Wiedergabe der Länderberichte über die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan sowie die Lage für Rückkehrer. Auch in seiner Eingabe vom 26.8.2013 wies er nur allgemein darauf hin, dass er in Afghanistan religiöse Probleme habe.

V. Rechtliche Beurteilung:

Zum Spruchpunkt A):

V.1 Zum Spruchpunkt A) I:

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, www.ris.bka.gv.at Seite 16 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015 sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl zB VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 2000/01/0131; 2001/20/0011, 2000/01/0131; 2001/20/0011; 2008/19/1031).

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 95/01/0454, 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 95/20/0239; 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl VwGH 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 93/01/0284; 99/20/0128; 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 95/19/0041; 94/20/0836; 99/20/0208; 99/20/0509 99/20/0505; 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH vom 11.06.1997, 95/01/0617; 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 30.06.2005, 2002/20/0205; VwGH vom 23.11.2006, 2005/20/0551-6, VwGH-Beschluss vom 29.06.2006, 2002/20/0167-7).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine www.ris.bka.gv.at Seite 17 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015 wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

Im vorliegenden Fall ist es dem BF nicht gelungen, objektiv begründete Furcht vor aktueller und landesweiter Verfolgung in gewisser Intensität glaubhaft zu machen.

Der BF beschränkte sich in seiner Beschwerde auf die Wiedergabe der Länderberichte über die allgemeine sowie die Sicherheitslage in Afghanistan und über die Rückkehrsituation. Er wies auch in seiner Eingabe vom 26.08.2013 nur allgemein darauf hin, dass er in Afghanistan religiöse Probleme habe.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von internationalem Schutz, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, konnte der Beschwerdeführer aufgrund seiner widersprüchlichen und insgesamt unglaubwürdigen Aussagen nicht glaubhaft machen.

Bezüglich der Zugehörigkeit des BF zu einer religiösen Minderheit ist Folgendes auszuführen:

Die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylwerbers ist - für sich allein - nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (vgl VwGH 2000/20/0358).

Abgesehen davon konnte der BF eine solche - wie oben dargelegt - nicht glaubhaft machen.

V.2. Zum Spruchpunkt A) II:

Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden. Gemäß § 8 Abs 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 leg.cit. offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs 1 oder aus den Gründen des Abs 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs 3a AsylG 2005 idF FrÄG 2009 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs 2 AsylG 2005 idF FrÄG 2009 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Es ist somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht

www.ris.bka.gv.at Seite 18 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015 sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 57 Abs 1 FrG (nunmehr: § 50 Abs 1 FPG bzw. § 8 Abs 1 AsylG 2005) gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 AsylG 1997 iVm. § 57 Abs 1 FrG (nunmehr: § 8 Abs 1 AsylG 2005) die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG (nunmehr: § 50 Abs 1 FPG bzw. § 8 Abs 1 AsylG 2005) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art 3 EMRK iVm. § 8 Abs 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059).

Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sind in der gegenständlichen Fallkonstellation gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 für den BF gegeben:

Wie aus den Feststellungen hervorgeht, kann man derzeit von einer sehr prekären Lage in Afghanistan ausgehen. Einerseits sind die Taliban aktiv und versuchen auch in den Dörfern Gebiete zu erobern, andererseits versucht die Regierung zur Eindämmung der Taliban das Militär stärker einzusetzen. Mittelfristig kann man von einer schlechten Sicherheitslage insbesondere für die Zivilbevölkerung ausgehen. Der Beschwerdeführer ist www.ris.bka.gv.at Seite 19 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Analphabet ohne jegliche Ausbildung. Eine Rückkehr wäre für den Beschwerdeführer schwierig, da er sich ohne Fachausbildung in einer ausweglosen Situation in Afghanistan befinden würde und es für ihn schwierig wäre einen Arbeitsplatz zu finden. Als Hilfsarbeiter verdient man überdies nicht genug, um sich ein menschenwürdiges Leben leisten zu können. Der Beschwerdeführer stammt auch nicht aus Kabul und hat damit dort auch keinen Familienrückhalt, durch den er unter Umständen unterstützt werden könnte.

Wie aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ersichtlich ist, stellt sich die Versorgung mit Wohnraum und Nahrungsmitteln insbesondere für alleinstehende Rückkehr meist nur unzureichend dar. Angesichts der derzeitigen politischen Lage in Afghanistan ist zudem ausreichende staatliche Unterstützung sehr unwahrscheinlich. Vor allem jüngere Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach langer Abwesenheit in Afghanistan zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden ausgereist sind. Es fehlt ihnen an notwendigen sozialen oder familiären Netzwerken sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse. Es ist unter solchen Umständen davon auszugehen, dass eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative (§ 8 Abs 3 iVm § 11 AsylG 2005), etwa in der Hauptstadt Kabul oder anderen Provinzen, in solchen Konstellationen nicht zur Verfügung steht.

Im gegenständlichen Fall kann daher unter Berücksichtigung der den Beschwerdeführer betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Sicherheits- und Versorgungslage mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in Rechten nach Art 3 EMRK verletzt zu werden.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für den Beschwerdeführer nicht, da die maßgebliche Wahrscheinlichkeit in Rechten nach Art 3 EMRK verletzt zu werden, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans zu erwarten ist.

Daher war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

IV.3 Zum Spruchpunkt A) III:

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter sind gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 gegeben.

Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Daher war gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

V.4. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

§ 24 VwGVG bestimmt Folgendes:

(1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn www.ris.bka.gv.at Seite 20 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der BF hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Nach der Rechtsprechung des EGMR kann eine mündliche Verhandlung in Verfahren gemäß Art 6 Abs 1 EMRK unterbleiben, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen. Solche Umstände liegen etwa bei Entscheidungen über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche vor, die ausschließlich rechtliche oder in hohem Maße technische Fragen aufwerfen. Hier kann das Gericht unter Berücksichtigung der Anforderungen an Verfahrensökonomie und Effektivität von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR 12.11.2002, Fall Döry, Appl. 28.394/95, Z37 ff.; EGMR 8.2.2005, Fall Miller, Appl. 55.853/00, Z29).

Es ist vor dem Hintergrund des Art 6 Abs 1 EMRK ferner maßgeblich, welcher Natur die Fragen sind, die für die Beurteilung der gegen den angefochtenen Bescheid relevierten Bedenken zu beantworten sind. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art6 Abs1 EMRK kann dabei im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren regelmäßig unterbleiben, wenn das Vorbringen erkennen lässt, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lässt.

Der EGMR hat zuletzt in seiner Entscheidung vom 2. September 2004, Zl. 68087/01 (Hofbauer/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass die Anforderungen von Art 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung (im Originaltext: any hearing at all), erfüllt sind, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies im erwähnten Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte.

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. In der vorliegenden Beschwerde wurden keine für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes relevanten Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Auch hat der BF in seinen Eingaben keinerlei neue Sachverhaltselemente hervorgebracht, welche zu einer anderen Beurteilung führen würden. Auch im Rahmen des Antrages auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erhellte der BF nicht, welche neuen Fakten oder Beweise er in dieser vorzubringen beabsichtigt um eine anderslautende Entscheidung des Gerichtes herbeizuführen. Bereits in der Beschwerde beschränkt sich sein Vorbringen auf das im Verfahren vor der belangten Behörde Vorgebrachtes.

Art 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2005, Zl. 2002/05/1519 m.w.N.). Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

V.5 Zum Spruchpunkt B):

www.ris.bka.gv.at Seite 21 von 22 Bundesverwaltungsgericht 10.06.2015

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen; in vielen Punkten steht die Tatfrage im Vordergrund.

European Case Law Identifier ECLI:AT:BVWG:2015:W201.1436242.1.00

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