SWR2 Musikstunde

Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette (4)

Von Katharina Eickhoff

Sendung: 16. Juli 2020 9.05 Uhr Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2020

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SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff 13. Juli 2020 – 17. Juli 2020 Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette

Als 1928 in Wien Emmerich Kálmáns „“ herauskommt, ist das der letzte Beweis dafür, dass Amerika in den Köpfen sogar der härtestgesottenen k.u.k.-Theatermacher angekommen war: In jeder Operette, die jetzt Premiere hat, bricht das Ensemble irgendwann unfehlbar in irgend einen amerikanischen Modetanz aus, die „Shimmysierung des angestammten Polkagemüts“, wie der Chefspötter Karl Kraus das nannte, war schlichtweg unaufhaltsam.

Emmerich Kálmán: : Fräulein bitte wolln sie shimmy tanzen… Ensemble und Orchester des Landestheaters Linz LTG Fritz Zwerenz Hamburger Archiv für Gesangskunst 30118, 1‘00

Tatsächlich ist Emmerich Kálmán schon die ganzen 20-er über mal mehr, mal weniger mit Amerika beschäftigt, „Fäulein bitte, wolln Sie Shimmy tanzen“ ist aus seiner Operette „Die Bajadere“ von 1921 – in der „Herzogin von Chicago“ wird die musikalische Konkurrenz zwischen der alten und der neuen Welt zum zentralen Thema gemacht, Charleston gegen Czardas, und Czardas und Wiener Walzer bleiben dann Könige der Herzen… Und in Sachen Amerika haben Kálmán und seine Librettisten und Ausstatter wirklich sämtliche Klischees übereinandergehäuft, die damals von den so wahnsinnig hippen USA in Umlauf waren: Revuedamen in Star-Spangled-Banner-Montur, Indianermädchen mit Federschmuck und Goldkleidern, Jazzband mit Banjo, Schlagzeug und einem echten, saxofonspielenden Schwarzen samt den damals völlig üblichen rassistischen Ausfällen: „Kein Niggertanz und kein Krawall, sonst demolier ich das Lokal!“ singt der die alte Welt verteidigende Prinz aus dem cisleithanischen Fantasiestaat, später prügelt er unter großem Hallo tatsächlich den Schwarzen zur Türe hinaus…wie gesagt, alles ganz normal seinerzeit. Fast rührend wurschtig dann die Szene in der der mittlerweile der Amerikanerin verfallene Ösi-Prinz auf Cowboy macht und seine „Rose der Prärie“ zum erotischen Stelldichein ins „kleine Liebesboot“ lädt, derweil die Musik im Hintergrund in schönster Pferdeopern-Manier dahertapert und irgendwie indianisch-pentatonisch säuselt… 1‘40

Emmerich Kálmán: Die Herzogin von Chicago, Rose der Prärie 3‘10 Richard Tauber Naxos 8.110779 2

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Was er gesungen hat, wurde auf jeden Fall zum Hit: Richard Tauber war das mit „Rose der Prärie“ aus Emmerich Kálmáns „Die Herzogin von Chicago“. Tauber, der Tenor aller Tenöre damals zwischen Oper und Operette, Lehárs Liebling, wird zwar schon 1933 in Berlin von SA-Schlägern als „Judenlümmel“ verprügelt, harrt aber noch bis zum „Anschluss“ Österreichs aus, bis er ins britische Exil flieht, wo er dann immerhin eine eigene Operette herausbringt und ab und zu das London Philharmonic Orchestra dirigieren darf. Kálmán selber will es nicht so recht wahrhaben, aber im Grunde ist die „Herzogin von Chicago“ kein echter Erfolg mehr, jedenfalls nicht in dem Maße, wie es die „Czardasfürstin“ oder die „Gräfin Mariza“ waren. Als das Stück dann 1933 verspätet auch noch in Frankfurt herauskommt, da liefert der Kritiker der Zeitschrift „Die Musik“ einen bitterbösen Verriss: „Man weiß, dass der frühere Kálmán in seiner kunstgewerblichen Weise manches Hübsche und Einfallsreiche zustande brachte. Heute ist selbst davon nichts mehr übrig; es herrscht eine Komponierschablone, die das Plagiat an der eigenen Vergangenheit zum System erhebt; dazu ein Text, der einen läppischen Krieg zwischen ungarischer Zigeunermusik und Jazz inszeniert; das Ganze gewürzt durch einen Serenissimus-Humor, der vor dem Ernst dessen, was heute in Deutschland geschieht, nicht anders als zynisch genannt werden kann.“ – Der Herr, der da so gnadenlos den Finger in die Wunde legte, hieß Theodor W. Adorno. Und wie so oft war Adorno hier ein bisschen ungerecht: Die „Herzogin“ ist von 1928, zu der Zeit haben ja tatsächlich nicht gar so viele vorhergesehen, welcher Horror da 1933 in Deutschland losbrechen würde. Aber Recht hatte Adorno sicher damit, dass Kálmán und seine zwei Librettisten und Alfred Grünwald zuletzt behäbig ihre alten Erfolgsrezepte aufgewärmt haben. „Wien bleibt Wien, Brammer bleibt Grünwald“, spöttelt der Wiener Feuilletonist Ludwig Hirschfeld, den beiden sei „die tiefe Tantiemeneinsicht geworden, dass auf dem Theater nur der immer wieder neue Erfolge hat, der nichts Neues bringt“, so Hirschfeld – auch Hirschfeld war Teil der jüdisch-wienerischen Geisteswelt zwischen den Kriegen, er ist dann 1945 in Auschwitz ermordet worden. Irgendwie verliert Kálmán in den späten 20-ern also ein bisschen den Anschluss an den Puls der Zeit, das hätte ihm spätestens klar werden müssen, als sein ihm vermeintlich treu ergebener und vermeintlich so spießiger Librettist Grünwald ihm untreu wird und sich mit dem neuen Shootingstar aus Ungarn zusammentut: . Der taucht um 1930 scheinbar aus dem Nichts auf und wird von Kálmán misstrauisch beäugt – zu Recht, in der kurzen Zeit, die beiden als Juden noch bleibt bis zu ihrer Flucht, in diesen paar Jahren jagt Abraham ihm mit seinen schnellen, jazzigen Revuen die Krone als Operettenkönig ab. Mit „Viktoria“, in Deutschland „“, startet Abraham erst in , dann in Deutschland von null auf hundert, das Stück ist auch ein Konglomerat aus Czardas und Jazz, aber ein wirklich zündendes - ein wilder Ritt von der sibirischen Steppe über die amerikanischen Botschaften in Sankt Petersburg und Tokio bis in ein ungarisches Dorf, und Abraham, das stellt sich dann schnell heraus, trifft in seinen überdrehten Nummern genau den Ton dieser sich auf unheimliche Weise beschleunigenden Zeit…

Mama Yokohama SWR 3

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…mehr zu Paul Abrahams Musik und Schicksal gibt’s dann in der Musikstunde morgen! Von heute aus besehen kommen einem dagegen die Pseudo-Americana in Kálmáns „Herzogin von Chicago“ eher belächelnswert vor, und wirklich, der extra zur Premiere angereiste Kritiker einer New Yorker Zeitung hat ziemlich laut gelächelt – aber die Macher rund um Kálmán haben den Schuss nicht gehört und sich begeistert darauf eingelassen, die „Herzogin“ in einer englischen Fassung am Broadway rauskommen zu lassen – was dann aber nicht stattfand, weil das Stück schon bei den Tryouts jämmerlich abgesoffen ist. Den Amerikanern mit Ösi-Klischees von Amerika zu kommen, war eben keine so gute Idee. Kálmán versiebt also den kurz aufkeimenden Kálmán-Hype in den USA – und ohne dass er es so recht merkt, verpasst er auch langsam in Wien und Berlin ein bisschen den Anschluss. Aber er ist ja jetzt auch schon fünfzig, und in seinem Leben ist eine grundlegende Veränderung eingetreten, die ihn fortan einiges an Energie und Schaffenskraft kostet: Vera ist aufgekreuzt. Vera Kálmán ist tatsächlich ein, ach was, viele Kapitel für sich – was man schon allein daran ablesen kann, dass es so viele Bücher über sie gibt, allein drei davon von ihr selbst gelogen. Über Emmerich Kálmán gibt es heute eigentlich nur eine aktuelle Biographie, die ist von Stefan Frey und dafür besonders lesenswert. Vera Kálmán hatte im Nachgang unter den Komponistengattinnen eine noch schlechtere Presse als Alma Mahler – und das will ja was heißen. Aber egal, was andere von ihr gehalten haben mögen – Emmerich Kálmán hat sie innig geliebt, und sie ihn wohl auch, irgendwie, immerhin ist sie später, in den USA, nachdem sie mit einem Parfümvertreter durchgebrannt war, doch wieder zu ihm zurückgekehrt und hat dann nach Kálmáns Tod die Rolle ihres Lebens als Witwe Kálmán gespielt. Wo genau sie herkam, wie genau sie hieß, ob Vera, Maria, Marietta…wie alt sie war, als sie in Wien auftauchte – alles das ist nicht so ganz klar, weil sie auf den vielen verschiedenen Meldezetteln jedesmal etwas anderes eingetragen hat. Vermutlich kommt sie tatsächlich aus Weißrussland, ganz sicher ist sie aber weder, wie behauptet, siebzehn, noch die Tochter eines russischen Grafen. Aber sie sieht ganz hübsch aus, also will sie es, bevor sie Nacktmodell oder Schlimmeres wird, als Schauspielerin versuchen. Zu dem Behuf drückt sie sich dann, den ganzen Tag an einer Tasse Kaffee nippend, im Café Sacher herum, damals eine Art Zweitwohnzimmer der arrivierten Wiener Theaterszene Und das Märchenhafte – oder soll man sagen: Operettenhafte, geschieht tatsächlich: Emmerich Kálmán wird auf sie aufmerksam. Der Zeitpunkt ist zufällig auch ideal: Gerade ist seine langjährige Lebensgefährtin Paula Dworzak gestorben, und der trauernde, sowieso immer leicht depressive Mann mittleren Alters, der sich bisjetzt bloß für seine Arbeit und seinen Dackel interessiert hat, ist hin und weg von diesem frischen Mädel – erst redet er sich ein, sie bloß väterlich unterstützen zu wollen und besorgt ihr eine kleine Rolle in der „Herzogin von Chicago“, aber schon kurz drauf wird er bei ihrer Mutter vorstellig und will sie heiraten.

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Heut Nacht hab ich geträumt von dir SWR

Dieses Lied aus „Das Veilchen vom Montmartre“, einer Art La-Bohème-Verschnitt, hat Kálmán angeblich komponiert, nachdem er und Vera sich näher, bzw. ganz nah gekommen waren. Vera zieht also in Kálmáns Leben ein und lässt keinen Stein auf dem anderen, das, O-Ton Kálmán vor der Ehe, „arme, verhungerte, zermürbte, ganz auf sich angewiesene Mädchen“ macht sich umgehend daran, ihren neuen Ehemann „aus seinem Schneckenhaus“ zu holen, wie sie sagt, was in ihrem Fall heißt: den über zwei Jahrzehnte angehäuften Kálmán’schen Operetten-Reichtum mit vollen Händen auszugeben. Für rauschende Parties, Dienstboten, Luxusauto, eine riesige Villa im Wiener Nobelstadtteil Döbling, und für jede Menge Pelz – als sie sich auf einer ihrer Shoppingtouren nicht entscheiden kann, kauft sie einfach alle sechs…

Emmerich Kálmán Die Bajadere: Schatzi, ich möchte einen Zobel von dir Ensemble und Orchester des Landestheaters Linz LTG Fritz Zwerenz Hamburger Archiv für Gesangskunst 30118, 2‘20

…eine charmante Produktion des Landestheaters Linz. …verrückterweise hat Kálmán hier ganz visionär sein eigenes Gattenschicksal vorweggenommen: auch dieses Stückchen ist aus der „Bajadere“ und schon von 1921… Vera kostet Kálmán also Geld und auch schöpferische Energie, aber sie schenkt ihm einen Sohn und Stammhalter, und später noch zwei Töchter, und das macht ihn glücklich. Mit seinen Stücken läuft es nicht so gut, was natürlich auch damit zu tun hat, dass in Deutschland ab 33 die Nazis an der Macht sind, und Berlin als Absatzmarkt bald komplett wegfällt. Deutsche Theaterdirektoren haben sich zwar immer mal wieder hoffnungsvoll in der Berliner Zentrale erkundigt, ob man nicht doch wenigstens die Erfolgswerke von Kálmán weiterhin…aber nein, sämtliche an ihnen Beteiligten waren ja, so wird aus Berlin beschieden, „reinrassige Semiten“. Kálmán wird also im „Deutschen Reich“ zur entarteten Musik, und in den Jahren zwischen 1933 und 1938 wird es dann voll in Wien für Theatermacher, weil sich alle dorthin geflüchtet haben. 1936 kann Kálmán noch „“ in Zürich herausbringen, und dann kommt ja schon das „Anschluss“-Jahr 1938. Georg Kreisler, der damals mit seinen Eltern in Wien gelebt und dann mit seiner Familie gerade noch die Kurve nach Amerika gekriegt hat, Kreisler hat die Begeisterung der Wiener über den sogenannten „Anschluss“ in seinen Erinnerungen aus Sicht eines jüdischen Teenagers beschrieben: „Es kam“, so Kreisler, „mit einem Donnerschlag…Über Nacht wehten an jedem Haus fünf bis zehn Meter lange Hakenkreuzfahnen. Auch alle Geschäfte schmückten sich mit Hakenkreuzfahnen, und aus vielen Wohnfenstern wehten sie in den Wind hinaus. 5

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Die ganze Stadt war ein Hakenkreuzmeer, das uns Juden wie ein Galgenmeer vorkam. Wo hatte man diese vielen großen Fahnen hergenommen? Wenn man bedenkt, dass die Nazipartei und ihre Symbole verboten gewesen waren, konnte es nicht nur an der gründlichen Organisation der deutschen Eroberer gelegen haben. Es mussten zahllose Hauswarte und Wohnungsbesitzer die Flaggen in Kellern und Estrichen heimlich gelagert und auf Hitler gewartet haben. Es gab auch Hakenkreuzabzeichen in jeder Größe, die schon am Tag nach dem Einmarsch der deutschen Truppen jeder…im Knopfloch trug. Die wenigen Ausländer in Wien riskierten nichts und verschafften sich rasch kleine französische oder englische Flaggen, man sah auch ungarische, tschechische oder andere Flaggen…, nur die Juden hatten ein nacktes Knopfloch, und daran erkannte man sie sofort.“ So Georg Kreisler, der auch miterlebt, wie jüdische Bürger während der sogenannten „Wiener Woche“ gezwungen werden, unter dem Gejohle ihrer eben-noch-Nachbarn mit Zahnbürsten die Gassen zu schrubben. Kálmáns Freunde und Weggefährten von der „guten alten jüdischen Operette“ retten sich in letzter Minute – oder auch nicht: Bela Jenbach, der Texter der „Czardasfürstin“, bleibt und muss sich ab 1940 in einem Wiener Keller verstecken, was ihn so krank macht, dass er 1943 stirbt. Fritz Grünbaum, der große Komiker, der mit an Kálmáns Ersterfolg, dem „Zigeunerprimas“ geschrieben hat, stirbt 1941 im KZ Dachau, wo er bis zum Schluss die Mitinsassen zum Lachen gebracht hat. Alfred Grünwald, der 1937 noch mit Paul Abraham ein neues Stück rausgebracht hatte, landet alsbald im zum Gestapogefängnis umfunktionierten Brigittenauer Gymnasium in der Karajangasse, wo für die Transporte nach Dachau gesammelt wird. Als er kurz freikommt, flieht er sofort über Paris und Lissabon in die USA und wird dort einer der vielen, vom eigenen unverschuldeten Unglück gelähmten Heimatlosen, über die Georg Kreisler in seinem anrührenden Chanson „Weder noch“ geschrieben hat.

Georg Kreisler Weder noch PRE 8277334

Als Emmerich Kálmán mit seiner Familie im Juni 1938 ins Exil geht, sind schon nicht mehr allzu viele da, von denen er sich verabschieden kann – den Kálmáns geht es noch vergleichsweise gut, sie werden nicht drangsaliert und bedroht bis zu ihrem Auszug, und ein kleiner Blitzbesuch in Budapest wirkt dann auch noch Wunder: Admiral Horthy, Hitlers williger Handlanger in Ungarn, hat Kálmán persönlich den Passierschein als ungarischer Staatsbürger ausgestellt. In Paris lassen sich alle noch für alle Fälle katholisch taufen, und 1940 geht dann der Dampfer in die USA. Dort wird Kálmán schnell klargemacht, dass die Zeit der Operetten eindeutig vorbei ist. Immerhin ist er noch prominent genug, um gleich nach Ankunft mal das NBC- Orchestra, also Toscaninis Orchester, mit einem nostalgischen Kálmán-Abend leiten zu dürfen. Er lädt sich eine Landsfrau ein dafür: hat, entdeckt von , in Budapest als klassische Koloratursopranistin angefangen und war zuletzt der große Star in Berlin in Paul Abrahams „“, das von den Nazis abgesetzt wurde. Auch sie ist Jüdin, und auch sie geht in Amerika dann als Künstlerin verloren: Ihr

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Englisch ist einfach zu schlecht, und die Ereignisse sind ihr auf die einst so prachtvolle Stimme geschlagen. An jenem Abend mit dem NBC-Orchestra singt sie Kálmáns Lied für Vera „Ich hab heut Nacht geträumt von dir“ in der englischen Fassung:

Emmerich Kálmán Why is it all a dream Gitta Alpar DuoPhon 05 23 3

Emmerich Kálmáns Liebeslied für Vera – das Glück mit ihr bröckelt dann in den schwierigen Jahren in den USA beträchtlich: Zwar organisiert sie, umtriebig, wie sie nun mal ist, jede Menge höchst glamouröse und bald legendäre „Gulaschparties“, auf denen sich dann Berühmtheiten von Erich Maria Remarque über Marlene Dietrich bis zum Milliardär Howard Hughes drängeln, aber ihr Mann, der hier dann nach dem Willen seiner Frau Networking betreiben soll, sitzt lieber bei Frau Pervich, der ungarischen Köchin, am Gulaschtopf in der Küche…Auch sonst haben sie wenig Gemeinsamkeiten: Vera, immer noch jung und schön, geht auf Cocktailparties, flirtet und belässt es wohl auch nicht beim Flirten, sie langweilt sich schrecklich mit ihrem müden, herzkranken Gatten und brennt schließlich mit einem Franzosen durch, den sie in ihren Memoiren als Grafen verkauft, er ist aber nur Parfümvertreter. Kálmán gibt sie frei in einem herzzerreißenden Brief, in dem er schreibt: „Meine Musik kauft niemand, Deine Schönheit und Jugend aber sind Werte, die hier einen großen Preis haben. Ich bin eine lächerliche Figur.“ Das fehlende Kleingeld beim Parfümvertreter und die Aussicht auf eine grandiose Witwenschaft haben dann wohl dafür gesorgt, dass Vera es sich noch einmal überlegt hat – die Scheidung in Reno ist kaum durch, da kommt sie zu Kálmán zurück, der sie glatt ein zweites mal heiratet.

Emmerich Kálmán Why is it all a dream Gitta Alpar DuoPhon 05 23 3

Gitta Alpar – eine der größten Diven der allerletzten Tage der Operette…

Die Gemeinschaft der aus Wien vertriebenen Operettenkönige in den USA ist bei näherem Hinsehen natürlich ein einziges Haifischbecken, in dem einer dem anderen nicht das Schwarze unterm Nagel gönnt – das war daheim in Wien schon so, und das wird unter dem Druck des Exils nicht besser. Und ausgerechnet Emmerich Kálmán, der eigentlich am liebsten bloß in Frieden gelassen werden will, wird dann zum Aufreger der Szene, weil er in einem Zeitungsinterview schonungslos beschreibt, wie alle diese musikalischen Exilanten, ihn selber eingeschlossen, sich zwar mit großer Geste beschäftigt geben und ständig von ihren neuesten Projekten reden, wie aber in Wahrheit eigentlich niemand wirklich etwas zustande bringt, das dann auch aufgeführt wird. „Luftgeschäfte“ seien das, die da getätigt würden, so 7

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Kálmán ironisch. Das hätte er mal besser nicht gesagt, denn damit hat er es sich mit sämtlichen Exilanten-Kollegen verscherzt, umso mehr, als er ja recht hatte. Aber das Ignoriert-Werden zum Thema zu machen, ist nun mal tabu. Oscar Straus ist tödlich beleidigt, Ralph Benatzky nennt Kálmán in seinem Tagebuch einen „ungarischen Händelfänger und Lause-Greis“ und berichtet von einem Anruf von Robert Stolz, der sich darüber echauffiert, dass ja von „so einem ungarischen Pferdedieb“ nichts anderes zu erwarten sei. Reizend. Mit seinem Mariza-Librettisten Alfred Grünwald streitet er sich auch nur noch verbittert herum, der eine wirft dem anderen vor, keine Ideen für ein neues Stück beizubringen – da ist es dann eine echte Erlösung, dass sich tatsächlich ein vielversprechendes Broadway-Projekt auftut. Und das auch noch mit dem wahrscheinlich besten Songtexter, den der Broadway damals hatte: Lorenz Hart. „Sing for your supper“, „Bewitched”, “The lady is a tramp”, “My funny valentine” – alles Lorenz-Hart-Texte. Allerdings gibt es da ein Problem - Dass Larry Hart Zeit für Kálmán hat, liegt nämlich daran, dass ihm sein Partner und musikalisches alter ego Richard Rodgers wegen exzessiver Sauferei gerade die Zusammenarbeit aufgekündigt hat, um zusammen mit Oscar Hammerstein das erste Rodgers & Hammerstein-Stück zu schreiben, das dann für eine Nation im Krieg genau den richtigen Ton trifft und wahnsinnig amerikanisch klingt:

ZITAT Oklahoma!

Richard Rodgers also hat Lorenz Hart für Oscar Hammerstein und „Oklahoma“ verlassen, und Kálmán und Hart tun sich dann tatsächlich 1943 zusammen, und zwar für ein erstaunlich brandaktuelles, völlig un-Kálmán’sches Stück, das man wirklich gern mal gesehen hätte, ein echtes Broadway-Musical, das zwischen Nazi- Kollaborateuren im von den Deutschen besetzten Paris spielen sollte. Aber „Miss Underground“ wird nie vollendet – Lorenz Hart stirbt im November des Jahres an seiner Alkoholsucht. Kálmán wiederum hat ausnahmsweise Glück – er kann die schon geschriebene Musik in ein neues Projekt überführen, das dann 1945 tatsächlich am Broadway läuft und beim Publikum ziemlich gut ankommt, bei den Kritikern weniger. Kálmán erzählt nämlich wieder mal verklärend vom alten Österreich, und ein Kritiker fragt säuerlich, ob das denn sein müsse, man habe doch gerade einen Krieg gegen einen Österreicher namens Hitler hinter sich. „“, so heißt das Ganze etwas unspezifisch, ist eine durch und durch nostalgische Angelegenheit, aber die Geschichte hat Charme: In einer in den Gegenwarts-USA spielenden Rahmenhandlung entpuppt sich Bradley, der Busfahrer, als der eingewanderte Sohn eines Herrn Bratfisch aus Wien, und der war der Kutscher des österreichischen Thronfolgers Rudolph. Der hat sich ja bekanntlich durch Doppelselbstmord mit einer Zufallsbekanntschaft, der jungen Baroness Mary Vetsera, frühzeitig aus dem Habsburger Jammertal verabschiedet. In „Marinka“ erzählt nun Busfahrer Bratfisch einem Trupp junger Leute, die gerade in dem Film „“ waren, dass alles in Wirklichkeit ganz anders war, dort in Mayerling: Es war kein Selbstmord zweier Quasi-Fremder, es war die große Liebe zwischen Rudolph und Mary, hier genannt Marinka, die zwei Liebenden haben sich mit ihren 8

9 liberalen Tendenzen zu Staatsfeinden gemacht und dürfen dann aber, gedeckt von Papa Kaiser persönlich, mit neuen Identitäten ins Ausland fliehen, derweil sie offiziell für tot erklärt werden - and they lived happily ever after. Eine vollgültige Aufnahme von „Marinka“ gibt es nicht, nur die tapfere Klavierversion eines Trupps von Operetten-Enthusiasten an der Jüdischen Universität von Los Angeles, aber die machen das eigentlich gar nicht so schlecht. Und das Erstaunliche ist: Emmerich Kálmán hat da tatsächlich fast sowas wie Broadway-Musik geschrieben:

Emmerich Kálmán Marinka: Finale Foundation Culver City Operette Archives OA 1021, 5‘50

„Only one touch of “… - so endet Emmerich Kálmáns einziges Broadway- Musical “Marinka”, das der Geschichte des Thronfolger-Selbstmords von Mayerling ein neues Ende verpasst – am Broadway-Buch hat übrigens 1945 Karl Farkas mitgeschrieben, auch so ein Urgestein der Wiener Kabarett- und Revueszene, legendär waren vor dem Krieg seine Doppelkonferenzen mit dem im KZ getöteten Fritz Grünbaum zur Revue-Musik von Ralph Benatzky. Aber Karl Farkas ist auch einer der ganz wenigen jüdischen Wiener Künstler, die nach dem Krieg nach Wien zurückgegangen sind und das nicht bereut haben – Farkas hat einfach da weitergemacht, wo er 38 aufgehört hatte, sein Kabarett im „Simpl“ mit Fritz Muliar und Hugo Wiener wurde stilbildend, und 1965 hat ihn der Bundespräsident sogar zum Professor geadelt für seine Verdienste um das österreichische Kabarett. Emmerich Kálmán hat die andere Sorte Heimkehr erlebt – die, von der auch sein Kollege Erich Wolfgang Korngold ein Lied singen konnte: Beide sind sie nach dem Krieg ins sehnsüchtig vermisste Wien zurückgekommen – und aufs Übelste verunglimpft worden. In Kálmáns Fall geht es um ein Benefizkonzert, bei dem Kálmán und seine Frau noch in den USA für kriegsgeschädigte Wiener Kinder gesammelt hatten – mit diesen Spenden kommen sie nach Europa, und in Wien wird dann behauptet, sie hätten dabei Spendengelder unterschlagen. Und zu einem Zeitungsfoto, auf dem die Kálmáns vor ihrer ihnen von den Nazis gestohlenen, verrammelten Villa in Döbling stehen, wird die Frage aufgeworfen, wieso diese Leute denn nun eigentlich so eine große Villa kriegen sollten, wo doch noch so viele Wiener in argen Verhältnissen lebten…Dazu gehässige Zeitungsartikel, in denen der „Dollarmillionär“ daran erinnert wird, was er den Wienern angeblich alles zu verdanken habe – da weiß man doch gleich wieder, was Georg Kreisler meinte, als er sang: „Wie schön wäre Wien ohne Wiener.“ Der alte Freund Alfred Grünwald schreibt ihm: „Ich hatte wirklich schon Angst, dass Sie sich dazu verleiten lassen würden, dort zu bleiben, was leider-leider nicht möglich ist für uns. Wir könnten die Gemeinheit der Wiener ja doch nicht vergessen…“. Trotz allem will Kálmán es dann in den frühen Fünfziger Jahren noch einmal wissen – zusammen mit dem ewigen Partner-in-crime Grünwald arbeitet er mit letzter Kraft an einem neuen Stück: „“ wird eine Pferdeoper mit deutlichen musikalischen Anleihen bei Jerome Kern, die Story erinnert vage und sicher auch nicht zufällig an Puccinis „Mädchen aus dem goldenen Westen“ – das Stück bleibt unvollendet und hat dann 9

10 erst nach Kálmáns Tod am Stadttheater Bern Premiere, mit echtem Pferd, aber wenig Erfolg. Kálmáns letzte Jahre sind schwierig. Vera, immer auf der Suche nach Bewunderung und der noch schickeren Party, schleift ihn erbarmungslos von Paris nach New York und wieder nach Paris, 1950 hat er einen Schlaganfall und dann bald eine Pflegerin, Schwester Irmgard, die sehr viel netter zu ihm ist als seine Frau und bis zu seinem Tod 1953 seine beste Freundin wird. Im Zuge des großen Nachkriegs-Operetten-Hypes werden seine alten Erfolge dann wieder wie verrückt gespielt, verfilmt, in Fernseh-Operettenshows abgenudelt. Aber gleich die Neuverfilmung der „Czardasfürstin“ zeigt den großen Irrtum, der dieser ganzen gigantischen, bis in die Siebziger Jahre dauernden Operetten- Nostalgie innewohnt: Ausgerechnet Marika Rökk und Johannes Heesters, beide große Entertainer von Goebbels‘ und Hitlers Gnaden, spielen die Hauptrollen und setzen den verlogen-künstlichen Ton, in dem fortan Operette gemacht wird, als hätte es Fritzi Massary und Kollegen nie gegeben. Dabei geht es doch auch anders…Bitte, Herr Schenk:

Jaj, Mamam Otto Schenk, Tamara Trojani SWR

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