SWR2 Musikstunde
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SWR2 Musikstunde Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette (4) Von Katharina Eickhoff Sendung: 16. Juli 2020 9.05 Uhr Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2020 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. 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Juli 2020 Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette Als 1928 in Wien Emmerich Kálmáns „Die Herzogin von Chicago“ herauskommt, ist das der letzte Beweis dafür, dass Amerika in den Köpfen sogar der härtestgesottenen k.u.k.-Theatermacher angekommen war: In jeder Operette, die jetzt Premiere hat, bricht das Ensemble irgendwann unfehlbar in irgend einen amerikanischen Modetanz aus, die „Shimmysierung des angestammten Polkagemüts“, wie der Chefspötter Karl Kraus das nannte, war schlichtweg unaufhaltsam. Emmerich Kálmán: Die Bajadere: Fräulein bitte wolln sie shimmy tanzen… Ensemble und Orchester des Landestheaters Linz LTG Fritz Zwerenz Hamburger Archiv für Gesangskunst 30118, 1‘00 Tatsächlich ist Emmerich Kálmán schon die ganzen 20-er über mal mehr, mal weniger mit Amerika beschäftigt, „Fäulein bitte, wolln Sie Shimmy tanzen“ ist aus seiner Operette „Die Bajadere“ von 1921 – in der „Herzogin von Chicago“ wird die musikalische Konkurrenz zwischen der alten und der neuen Welt zum zentralen Thema gemacht, Charleston gegen Czardas, und Czardas und Wiener Walzer bleiben dann Könige der Herzen… Und in Sachen Amerika haben Kálmán und seine Librettisten und Ausstatter wirklich sämtliche Klischees übereinandergehäuft, die damals von den so wahnsinnig hippen USA in Umlauf waren: Revuedamen in Star-Spangled-Banner-Montur, Indianermädchen mit Federschmuck und Goldkleidern, Jazzband mit Banjo, Schlagzeug und einem echten, saxofonspielenden Schwarzen samt den damals völlig üblichen rassistischen Ausfällen: „Kein Niggertanz und kein Krawall, sonst demolier ich das Lokal!“ singt der die alte Welt verteidigende Prinz aus dem cisleithanischen Fantasiestaat, später prügelt er unter großem Hallo tatsächlich den Schwarzen zur Türe hinaus…wie gesagt, alles ganz normal seinerzeit. Fast rührend wurschtig dann die Szene in der der mittlerweile der Amerikanerin verfallene Ösi-Prinz auf Cowboy macht und seine „Rose der Prärie“ zum erotischen Stelldichein ins „kleine Liebesboot“ lädt, derweil die Musik im Hintergrund in schönster Pferdeopern-Manier dahertapert und irgendwie indianisch-pentatonisch säuselt… 1‘40 Emmerich Kálmán: Die Herzogin von Chicago, Rose der Prärie 3‘10 Richard Tauber Naxos 8.110779 2 3 Was er gesungen hat, wurde auf jeden Fall zum Hit: Richard Tauber war das mit „Rose der Prärie“ aus Emmerich Kálmáns „Die Herzogin von Chicago“. Tauber, der Tenor aller Tenöre damals zwischen Oper und Operette, Lehárs Liebling, wird zwar schon 1933 in Berlin von SA-Schlägern als „Judenlümmel“ verprügelt, harrt aber noch bis zum „Anschluss“ Österreichs aus, bis er ins britische Exil flieht, wo er dann immerhin eine eigene Operette herausbringt und ab und zu das London Philharmonic Orchestra dirigieren darf. Kálmán selber will es nicht so recht wahrhaben, aber im Grunde ist die „Herzogin von Chicago“ kein echter Erfolg mehr, jedenfalls nicht in dem Maße, wie es die „Czardasfürstin“ oder die „Gräfin Mariza“ waren. Als das Stück dann 1933 verspätet auch noch in Frankfurt herauskommt, da liefert der Kritiker der Zeitschrift „Die Musik“ einen bitterbösen Verriss: „Man weiß, dass der frühere Kálmán in seiner kunstgewerblichen Weise manches Hübsche und Einfallsreiche zustande brachte. Heute ist selbst davon nichts mehr übrig; es herrscht eine Komponierschablone, die das Plagiat an der eigenen Vergangenheit zum System erhebt; dazu ein Text, der einen läppischen Krieg zwischen ungarischer Zigeunermusik und Jazz inszeniert; das Ganze gewürzt durch einen Serenissimus-Humor, der vor dem Ernst dessen, was heute in Deutschland geschieht, nicht anders als zynisch genannt werden kann.“ – Der Herr, der da so gnadenlos den Finger in die Wunde legte, hieß Theodor W. Adorno. Und wie so oft war Adorno hier ein bisschen ungerecht: Die „Herzogin“ ist von 1928, zu der Zeit haben ja tatsächlich nicht gar so viele vorhergesehen, welcher Horror da 1933 in Deutschland losbrechen würde. Aber Recht hatte Adorno sicher damit, dass Kálmán und seine zwei Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald zuletzt behäbig ihre alten Erfolgsrezepte aufgewärmt haben. „Wien bleibt Wien, Brammer bleibt Grünwald“, spöttelt der Wiener Feuilletonist Ludwig Hirschfeld, den beiden sei „die tiefe Tantiemeneinsicht geworden, dass auf dem Theater nur der immer wieder neue Erfolge hat, der nichts Neues bringt“, so Hirschfeld – auch Hirschfeld war Teil der jüdisch-wienerischen Geisteswelt zwischen den Kriegen, er ist dann 1945 in Auschwitz ermordet worden. Irgendwie verliert Kálmán in den späten 20-ern also ein bisschen den Anschluss an den Puls der Zeit, das hätte ihm spätestens klar werden müssen, als sein ihm vermeintlich treu ergebener und vermeintlich so spießiger Librettist Grünwald ihm untreu wird und sich mit dem neuen Shootingstar aus Ungarn zusammentut: Paul Abraham. Der taucht um 1930 scheinbar aus dem Nichts auf und wird von Kálmán misstrauisch beäugt – zu Recht, in der kurzen Zeit, die beiden als Juden noch bleibt bis zu ihrer Flucht, in diesen paar Jahren jagt Abraham ihm mit seinen schnellen, jazzigen Revuen die Krone als Operettenkönig ab. Mit „Viktoria“, in Deutschland „Viktoria und ihr Husar“, startet Abraham erst in Budapest, dann in Deutschland von null auf hundert, das Stück ist auch ein Konglomerat aus Czardas und Jazz, aber ein wirklich zündendes - ein wilder Ritt von der sibirischen Steppe über die amerikanischen Botschaften in Sankt Petersburg und Tokio bis in ein ungarisches Dorf, und Abraham, das stellt sich dann schnell heraus, trifft in seinen überdrehten Nummern genau den Ton dieser sich auf unheimliche Weise beschleunigenden Zeit… Mama Yokohama SWR 3 4 …mehr zu Paul Abrahams Musik und Schicksal gibt’s dann in der Musikstunde morgen! Von heute aus besehen kommen einem dagegen die Pseudo-Americana in Kálmáns „Herzogin von Chicago“ eher belächelnswert vor, und wirklich, der extra zur Premiere angereiste Kritiker einer New Yorker Zeitung hat ziemlich laut gelächelt – aber die Macher rund um Kálmán haben den Schuss nicht gehört und sich begeistert darauf eingelassen, die „Herzogin“ in einer englischen Fassung am Broadway rauskommen zu lassen – was dann aber nicht stattfand, weil das Stück schon bei den Tryouts jämmerlich abgesoffen ist. Den Amerikanern mit Ösi-Klischees von Amerika zu kommen, war eben keine so gute Idee. Kálmán versiebt also den kurz aufkeimenden Kálmán-Hype in den USA – und ohne dass er es so recht merkt, verpasst er auch langsam in Wien und Berlin ein bisschen den Anschluss. Aber er ist ja jetzt auch schon fünfzig, und in seinem Leben ist eine grundlegende Veränderung eingetreten, die ihn fortan einiges an Energie und Schaffenskraft kostet: Vera ist aufgekreuzt. Vera Kálmán ist tatsächlich ein, ach was, viele Kapitel für sich – was man schon allein daran ablesen kann, dass es so viele Bücher über sie gibt, allein drei davon von ihr selbst gelogen. Über Emmerich Kálmán gibt es heute eigentlich nur eine aktuelle Biographie, die ist von Stefan Frey und dafür besonders lesenswert. Vera Kálmán hatte im Nachgang unter den Komponistengattinnen eine noch schlechtere Presse als Alma Mahler – und das will ja was heißen. Aber egal, was andere von ihr gehalten haben mögen – Emmerich Kálmán hat sie innig geliebt, und sie ihn wohl auch, irgendwie, immerhin ist sie später, in den USA, nachdem sie mit einem Parfümvertreter durchgebrannt war, doch wieder zu ihm zurückgekehrt und hat dann nach Kálmáns Tod die Rolle ihres Lebens als Witwe Kálmán gespielt. Wo genau sie herkam, wie genau sie hieß, ob Vera, Maria, Marietta…wie alt sie war, als sie in Wien auftauchte – alles das ist nicht so ganz klar, weil sie auf den vielen verschiedenen Meldezetteln jedesmal etwas anderes eingetragen hat. Vermutlich kommt sie tatsächlich aus Weißrussland, ganz sicher ist sie aber weder, wie behauptet, siebzehn, noch die Tochter eines russischen Grafen. Aber sie sieht ganz hübsch aus, also will sie es, bevor sie Nacktmodell oder Schlimmeres wird, als Schauspielerin versuchen. Zu dem Behuf drückt sie sich dann, den ganzen Tag an einer Tasse Kaffee nippend, im Café Sacher herum, damals eine Art Zweitwohnzimmer der arrivierten Wiener Theaterszene Und das Märchenhafte – oder soll man sagen: Operettenhafte, geschieht tatsächlich: