Johann Friedrich Reichardt Anmerkungen Zu Person Und Zeitgeschichte
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Kulturgeschichte Preuûens - Colloquien 6 (2018) Detlef Giese Johann Friedrich Reichardt Anmerkungen zu Person und Zeitgeschichte Abstract: In der Geschichte der Königlichen Hofoper und der Königlich Preuûischen Hofkapelle gehört der Goethe- Zeitgenosse Johann Friedrich Reichardt zu den prägenden Persönlichkeiten. Im Dienste dreier Monarchen mit ihren unterschiedlichen ästhetischen Anschauungen und Zielsetzungen bezüglich der Entwicklung der Institutionen Hofoper und Hofkapelle gelang ihm eine spürbare künstlerische Qualitätssteigerung, zudem auch eine Ausweitung der Aktivitäten, vornehmlich im Konzertbereich. Widerständige Kräfte von Seiten der Administration wie aus einflussreichen Künstler- und Intellektuellenkreisen Berlins lieûen seine Reformbemühungen jedoch häufig nicht wie gewünscht zur Wirkung gelangen, so dass sich eine Reihe ambitionierter Vorhaben nicht verwirklichen lieû, sowohl in der Arbeit mit dem Orchester als auch im Blick auf die Etablierung innovativer Konzepte und Formen. <1> Unter jenen Kapellmeistern, die über Jahre und Jahrzehnte im Dienst der preuûischen Könige standen, dürfte Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) eine besonders interessante Gestalt sein, markant und eigenwillig. Nach Carl Heinrich Graun und Johann Friedrich Agricola war Reichardt der dritte Musiker in dieser prominenten Position, der von Friedrich II. (dem "Groûen") mit der Leitung der Königlichen Hofoper Unter den Linden und der Königlich Preuûischen Hofkapelle betraut wurde ‒ schon von Amts wegen rückte er damit an die Spitze des höfischen bzw. staatlichen Musiklebens. <2> Reichardt, mit seinem Geburtsjahr 1752 ein direkter Generationsgenosse von Johann Wolfgang von Goethe und Wolfgang Amadeus Mozart, war gewiss das, was man eine "schillernde Persönlichkeit" nennt. Ihn - zumindest in seinen jungen Jahren, als er am preuûischen Hof Fuû fasste ‒ als "Stürmer und Dränger" zu bezeichnen, trifft durchaus den Kern, war er doch darauf bedacht, mit dem Alten, Überkommenden zu brechen und mit kühnem Schwung Neuland zu erobern. Damit war er Repräsentant der Zeit, welcher der Epoche des Ancien Regime, aus der er stammte, nach und nach entwuchs und sich Pfade in vormals unbekannte Terrains bahnte, sowohl mit Blick auf die ihn leitenden ästhetischen Ideen und seine künstlerischen Aktivitäten als auch hinsichtlich seiner gesamten Persönlichkeitsbildung und -struktur. <3> Johann Friedrich Reichardt als "Multitalent" anzuerkennen, ist wohl kaum übertrieben. Allein die Aufzählung aller seiner Tätigkeiten und Geschäfte, die er bis zu seinem Tod 1814 ausübte und mehr oder weniger intensiv betrieben hat, ist so einfach nicht, weil es derer ungewöhnlich viele sind.1 Zunächst war er ein 1 Siehe etwa Hartmut Grimm/Hans-Günter Ottenberg: Johann Friedrich Reichardt, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Auflage, hrsg. von Ludwig Finscher, Personalteil, Bd. 13, Kassel u. a. 2005, Sp. 1479ff. Zu verweisen ist auch auf die nach wie vor unverzichtbare Leben-Werk-Darstellung von Walter Salmen: Johann Friedrich Reichardt. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ formidabler und ungemein produktiver Komponist, der diverse Genres bediente. Zunächst gehörte dazu, gleichsam als repräsentativste Gattung, die Oper ‒ und zwar in gleich drei musikalischen Kulturen: Auf dem Feld der italienischen Opera seria und der französischen Tragédie lyrique bewies er sich ebenso wie im deutschen Singspiel, das ihm wesentliche Impulse verdankt. Desgleichen widmete er sich verschiedenen oratorischen Formen weltlicher wie geistlicher Art, darüber hinaus Messen, Kantaten, Oden, Hymnen, Psalmvertonungen, Melodramen, Schauspielmusiken, Liederspielen und Balletten. Als Liedkomponist trat Reichardt mit insgesamt ca. 1.500 Einzelstücken prominent hervor, schlieûlich auch auf dem instrumentalen Sektor mit Sinfonien, Ouvertüren, Solo- und Ensemblekonzerten, kammermusikalischen Werke verschiedenster Genres sowie mit Klaviermusik. <4> Ein auûerordentlich breites Spektrum ist es also, das Reichardt mit seinem opulenten kompositorischen Schaffen abdeckte. Und zumindest bei den Zeitgenossen hat er damit auch Resonanz gefunden, insbesondere mit seinen Liedern und Bühnenwerken, die z. T. erstaunlich populär wurden und ihrem Autor viel Anerkennung und Ehre einbrachten. Nicht zuletzt Goethe hat Reichardt ob seiner kreativen Talente sehr geschätzt, intendierte er doch nichts Geringeres, als gemeinsam mit dem lediglich um drei Jahre Jüngeren, das deutsche Singspiel grundlegend zu erneuern, ja überhaupt erst richtig an den Theatern und in der ästhetischen Diskussion zu etablieren.2 Während das im Grunde von gegenseitiger Wertschätzung getragene, durch einen intensiven Briefwechsel bezeugte Verhältnis zu Goethe zwischenzeitlich einigen Trübungen ausgesetzt war, haben andere zeitgenössische Literaten wie Jean Paul oder Ludwig Tieck Reichardt hohe Anerkennung entgegengebracht3. Eine produktive Beziehung zu Schiller kam indes nicht zustande ± persönliche Antipathien verhinderten hier einen fruchtbaren Austausch. <5> Reichardt zeichnete aus, ein resoluter, sorgfältig arbeitender und zugleich reformorientierter Kapellmeister zu sein, der seine Musiker konsequent forderte und förderte und auf die Hebung des Leistungsstandes der ihm unterstellten Ensembles bedacht war. Zudem hat Reichardt sich als originell-witziger wie fachlich kompetenter Musikschriftsteller profilieren können, seit seiner Jugend beständig über seine Aktivitäten reflektierend, nicht selten ein wenig weitschweifig und ichbezogen im Duktus, immer aber mit der sprichwörtlich spitzen Feder, mit Humor und Ironie ‒‒ durchaus auch sich selbst gegenüber , dazu mit reichhaltigen, für die Nachwelt erhellenden Informationen über seine Künstlerkollegen, über das Musikleben Komponist, Schriftsteller, Kapellmeister und Verwaltungsbeamter der Goethezeit, Freiburg und Zürich 1963. 2 Norbert Miller: Die ungeheure Gewalt der Musik. Goethe und seine Komponisten, München 2009, v.a. 134ff. und 160ff; siehe auch den Tagungsband: Johann Friedrich Reichardt (1752±1814): Zwischen Anpassung und Provokation; Goethes Lieder und Singspiele in Reichardts Vertonung, hrsg. vom Händel-Haus Halle, vom Institut für Musikwissenschaft und vom Germanistischen Institut der Universität Halle, Halle (Saale) 2003. 3 Walter Rösler: Die italienische Hofoper 1742-1806, in: Manfred Haedler/Micaela von Marcard/Walter Rösler: Das "Zauberschloû" Unter den Linden. Die Berliner Staatsoper: Geschichte und Geschichten von den Anfängen bis heute, Berlin 1997, 68; siehe auch den Sammelband: Johann Friedrich Reichardt und die Literatur. Komponieren, Korrespondieren, Publizieren, hrsg. von Walter Salmen, Hildesheim u. a. 2003, v.a. 237ff. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ in den europäischen Zentren und an der Peripherie aufwartend, ob er nun aus seiner Heimat Königsberg, aus Berlin, Wien oder Paris schrieb.4 Ein unermüdlich Reisender und aufmerksamer Beobachter war er, nicht zuletzt auch ein glänzender Organisator und ebenso eifriger wie umtriebiger "Netzwerker", der vielfältige Kontakte pflegte, über die Grenzen seines Landes und seiner Kunst hinaus.5 <6> Dass Reichardt zweifellos ein auf vielen Gebieten aktiver, bisweilen unsteter, in jedem Falle aber fachlich kompetenter Protagonist war, wird zuletzt auch dadurch deutlich, dass er neben all dem Genannten auch als Violinvirtuose, Sänger, Schauspieler und Deklamator auftrat. In selbstauferlegter Beschränkung mag an dieser Stelle lediglich versucht sein, seine Tätigkeit als Kapellmeister ansatzweise auszuleuchten, wobei es im Grunde kaum möglich ist, von anderen Handlungsfeldern zu abstrahieren. Immer wieder hat Reichardt nämlich Rechenschaft über sein Denken und Tun gegeben, vornehmlich in seinen autobiographischen Schriften, die sowohl informativ als auch unterhaltsam gehalten sind und die aussagekräftige zeitgeschichtliche Quellen darstellen.6 <7> Besonderes Augenmerk soll hierbei auf sein Engagement in Berlin gelegt sein, auf sein Verhältnis zu König Friedrich II., der mit der Autorität und der Attitüde eines absolutistisch regierenden Monarchen die ästhetischen Leitlinien vorgab, auf die gesuchte Nähe bzw. sich ergebene Distanz zu dessen Nachfolgern Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III., schlieûlich auch auf Reichardts fortgesetztes Bemühen, in Oper wie Konzert immer wieder neue Akzente zu setzen. <8> Drei Ereignisse zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten mögen dabei die Gliederung vorgeben: die Anstellung als Kapellmeister am preuûischen Hof 1775, die versuchte Etablierung der "Concerts spirituels" in den mittleren 1780er Jahren sowie der buchstäblich "neue Schwung" und die Aufbauphase nach dem Tod Friedrichs des Groûen in den späten 1780er Jahren, auf den freilich ein jäher Absturz folgte. Es ist dies eine Geschichte von Verwicklungen und Intrigen ebenso wie von Chuzpe und Fortune, von einer erstaunlichen Anpassungsfähigkeit, aber auch einem kaum zu bändigenden Ehrgeiz, der durchaus auch Züge