des Kantons Bern Bau-, Verkehrs- undEnergiedirektion AWA AmtfürWasser undAbfall Möglichkeiten undGrenzen Regulierung Brienzersee

awa fakten

Titelbild: Grosse Staatsschleuse (Frank) Titelbild: Grosse

Eines der beiden Regulierwehre, mit denen der Ausfluss aus dem Brienzersee gesteuert wird, ist die Kleine Staatsschleuse in , die auch Mühleschleuse genannt wird (Bild- mitte). Rechts daneben wird das Flussgefälle vom Kleinwasser- kraftwerk Mühle Burgholz genutzt. Damit unter anderem Forellen, Barben, Felchen und hin und wieder sogar Äschen diese beiden Aufstiegshindernisse passieren können, ist inzwischen auch

an dieser Stelle ein Fischpass (im Vordergrund) erstellt worden. Frank

2 Zur Sache Keystone

Der Brienzersee ist ein typischer Alpenrand- Natürlicherweise hätte der Brienzersee viel grös- Im August 2005 ergoss see, eingebettet in die imposante Bergkulisse sere Schwankungen, als wir es heute gewohnt sich während Tagen sint- des Berner Oberlands. Seine steilen Ufer set- sind. Regulierwehre können unerwünschte Ex- flutartiger Regen auf weite zen sich auch unter dem Wasserspiegel fort, treme allerdings nur begrenzen, wenn sie über Teile der Alpennordseite, weshalb kaum Flachwasserzonen existieren. eine ausreichend grosse Abflusskapazi- und dort insbesondere auf Aber der Brienzersee ist nicht nur ein berei- tät beim Seeausfluss verfügen. Das ist aller- das Berner Oberland. cherndes Landschaftselement, er ist auch ein dings beim Brienzersee nur in beschränktem Dadurch stieg auch der bedeutender Wasserspeicher. Das zeigt sich Mass der Fall, und das hat sowohl topografi- Spiegel des Brienzersees besonders in jenen Zeiten, in denen nach anhal- sche als auch hydraulische Gründe. rasch an und erreichte am tenden Regenfällen, bei Unwettern oder wäh- Dennoch hat sich das Reguliersystem für den 23. August einen Höchst- rend der Schneeschmelze besonders viel Was- Brienzersee, das seit rund 160 Jahren existiert stand von 566.05 m ü. M. ser in seinem Einzugsgebiet anfällt. Dann hält er und seither mehrfach optimiert worden ist, weit- Zeitweise flossen daher zumindest einen Teil des anfallenden Wassers gehend bewährt. Allerdings konnten gerade in pro Sekunde mehr als zurück und hat dadurch eine ausgleichende jüngerer Zeit – im Frühjahr 1999 und dann 300 Kubikmeter Wasser Wirkung auf den unterliegenden Abfluss. vor allem im Sommer 2005 – zwei extreme durch die aus dem Schon in alten Zeiten ist erkannt worden, dass Hochwasser nicht mehr schadenfrei bewäl- Brienzersee ab. Solche mit baulichen Massnahmen auf die jahres- tigt werden. Denn je grösser der Zufluss in den Mengen vermag der Aare- zeitlichen Schwankungen reagiert werden kann: Brienzersee ist, umso weniger kann das Ereig- lauf auf dem Bödeli nicht • Sogenannte Regulierwehre geben einerseits nis durch die Regulierung beeinflusst werden, zu schlucken. Das Wasser den Ausfluss frei, wenn der See zu hoch an- da sowohl der Speicherraum im See selbst als brach an mehreren Stellen steigt (Schutz der Seeanstösser vor Aus- auch die Abflusskapazität begrenzt sind. aus und überflutete auch uferungen und Grundwasseraufstössen). Für diejenigen, die an den Ufern des Brienzer- das Bahnhofsgelände von • Andererseits kann mit Regulierwehren der sees oder in Flussnähe auf dem Bödeli wohnen -Ost (Foto oben). Ausfluss gedrosselt werden, um im See oder arbeiten, mag dieses Fazit enttäuschend winterliche Niederwasserstände anzuheben sein. Aber es erinnert daran, dass in Gewässer- oder sommerliche Mittwasserstände inner- nähe der Objektschutz notwendig bleibt, und halb mehrheitlich akzeptierter Bandbreiten auch bei der Nutzungsplanung (Ortsplanung) zu halten. muss der Hochwassergefahr weiterhin grösste Beachtung geschenkt werden.

Thunersee Brienzersee

Kartengrundlage: Swisstopo Die Fläche des Brienzersees im Berner Oberland misst nur knapp 30 Quadratkilometer, aber das dazugehörige Einzugsgebiet Aare ist 1127 Quadratkilometer gross. Es umfasst mit dem östlichen Brienz Berner Oberland (rot), den bei- Thun den Lütschinentälern (gelb) Gadmerwasser und dem Seeumland (grün) Unterseen Gebiete, aus denen bei lang Interlaken anhaltenden Regenfällen, nach Lütschine Schwarze Aare Unwettern oder während der Lütschine

Schneeschmelze grosse Was- Weisse sermassen zusammenströmen Lütschine können. Das stellt hohe Anforde- rungen an die Seeregulierung.

3 Jahrhundertelanger Streit um den Abfluss

W. H. Bartlett, gestochen von Woolnoth (1836)

Archiv Touristik-Museum der Jungfrau-Region, Unterseen Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts floss die Aare zwischen dem Brienzersee und dem Thunersee in einem breiten Bett und mit vielen Nebenarmen an Unterseen vor- bei durch die Bödeli-Schwemm- ebene (Bild oben). Unterseen hatte damals wegen seiner günstigen Lage an den Aareüber- gängen eine grosse Bedeutung als Umschlagplatz für den Warenverkehr zwischen Thuner- und Brienzersee (Bild links).

4 AKG

Sogar der römisch-deut- Ein durchgehender See von Uttigen bei Thun Bau dauerhafter Stege über den vielfach ver- sche Kaiser Sigismund bis hinauf nach Meiringen? Was heute ge- zweigten Aarelauf und sicherten diesen stra- (hier auf einem zeitgenös- wiss alle Wassersportler entzücken würde, tegisch bedeutsamen Ort schon Ende des sischen Portrait) musste das gab es tatsächlich einmal, und er trägt 13. Jahrhunderts mit einer Festung. Zeit- sich in die Streitereien um sogar einen Namen: Wendelsee. Hinterlas- gleich entstanden die ersten Mühlen und Fi- den Abfluss aus dem sen hatte ihn der Aaregletscher bei seinem schereivorrichtungen, welche die Kraft der Brienzersee einschalten. Rückzug gegen Ende der letzten Eiszeit, also Aare und deren Fischreichtum nutzten – und Im Jahr 1434 forderte er vor rund 10 000 Jahren. die nach und nach allesamt an die mächtige wohl das Kloster Interla- Im Lauf der folgenden Jahrtausende füll- Propstei Interlaken übergingen. ken auf, die grosse ten Zuflüsse den Wendelsee mit Geschiebe Von Bedeutung blieb vor allem eine grosse Schwelle in der Aare wie- und Sedimenten auf. Vor allem das ständig Aareschwelle, die schräg über den Fluss der abzutragen und die wachsende Delta der Lütschine sowie die gelegt wurde, um die Klostermühlen mit Fischerei für alle Anwohner Materiallieferungen des Lombachs und des Triebwasser zu beschicken und die strom- freizugeben. Befolgt wurde Saxetbachs trugen dazu bei, dass der ur- aufwärts ziehenden Fische aufzuhalten. Ins- die kaiserliche Aufforde- sprüngliche See vor etwa 1000 Jahren voll- besondere die leckeren Alböcke (Felchen) rung allerdings nicht. ständig in jene zwei Teile aufgetrennt worden sollten nicht in den Brienzersee gelangen, ist, die uns heute vertraut sind: Thunersee sondern in die Pfannen der Mönche. und Brienzersee. Gegen diesen Anspruch setzten sich die Spätestens seither wird die dazwischenlie- Burger von Unterseen wiederholt zur Wehr, gende Schwemmebene, die wir als Bödeli etwa im Mai 1434, als sie sogar eine Klage- bezeichnen, immer intensiver genutzt. Zu schrift an Kaiser Sigismund richteten, der Die im Aarelauf aufragen- den frühen Siedlern in diesem Gebiet ge- sich damals am Konzil in Basel aufhielt. Ihr den Felsen begünstigten hörten die Mönche der Augustinerpropstei Bitten und Flehen um «kaiserliche Gnad» nicht nur den Bau von Ste- von Interlaken, die erstmals 1133 urkundlich fruchtete aber nichts, und der Streit um die gen zwischen Unterseen erwähnt wird als eine zwischen den Seen Fischrechte in der Aare dauerte jahrhunder- und Interlaken. Sie ermög- («inter lacus») liegende Kirche. telang an. lichten auch die Anlage Auch auf der anderen Seite der Aare, im heu- Die Aareschwelle war aber auch noch aus einer festen Schwelle tigen Unterseen, hatten sich längst Men- anderen Gründen verhasst: Einerseits er- (Bild unten), die während schen angesiedelt. Sie nutzten die aus ei- schwerte sie den Schiffsverkehr auf der der jährlichen Fischzüge ner Stromschnelle aufragenden Felsen zum Aare, andererseits staute sie den Aarelauf die begehrten Alböcke und damit den Brienzersee (wodurch so- (Felchen) in ein Fischfach gar die Talböden am oberen Ende des Sees trieb und in erster Linie der versumpften). Propstei Interlaken reiche Erstaunlicherweise änderte auch die Auf- Erträge brachte. hebung der Propstei Interlaken im Jahre

Peter Birmann, gestochen von Lutz (um 1790) 1528 nichts an der uner freulichen Situa- tion auf dem Bödeli. Es gab zwar unzählige Vorstösse, um die Abflussverhältnisse zwi- schen Brienzer- und Thunersee dauerhaft zu verbessern. Aber erst in den 1850er-Jahren konnte die berüchtigte Aareschwelle end- gültig abgetragen, der Aarelauf korrigiert und der Bau von wirkungsvollen Regulier- wehren – die vor Ort bis heute vielfach als «Schleusen» bezeichnet werden – an die Hand genommen werden. Dadurch senkte sich auch der Spiegel des Brienzersees im Mittel um beinahe zwei Meter ab.

5 So funktioniert die Seeregulierung

Der Brienzerseepegel wird in und gemessen, und beim See- ausfluss bei Goldswil gibt es eine Abflussmessung. Die Brienzersee-Regulierung erfolgt nicht un- mittelbar am Seeausgang, sondern weit davon entfernt inmitten des dicht bebauten Gebiets Grosse Staatsschleuse zwischen Unterseen und Interlaken. Dabei wird (Obere Schleuse) der Pegelstand des Oberwassers samt Brien- zersee nicht nur durch zwei Regulierwehre Kleine Staatsschleuse (Mühleschleuse) beeinflusst, sondern auch durch zwei Klein- wasserkraftwerke, und zudem hat die Re- gulierung Einfluss auf den Betrieb zweier wei- Unterseen terer Wasserkraftwerke im Unterlauf der Aare Kleinwasserkraftwerk (vgl. Grafik rechts). Mühle Burgholz Darüber hinaus ist die Regulierung des Brien- zersees in einen grossräumig abgestimmten Wehranlage mit Dotier- kraftwerk Gurben Kleinwasserkraftwerk Verbund eingebettet, der auch die Regulie- Livta rung des Thunersees und der Jurarandgewäs- ser (Bielersee, Neuenburgersee und Murten- Interlaken see) mit einbezieht.

Am Brienzersee werden die Pegelstände, Ab- Laufkraftwerk flussmengen und Betriebszustände ständig am Schifffahrtskanal durch Messstellen erfasst. Alle diese Daten werden durch einen Regulierautomaten* Automatische Pegelmessung verarbeitet, mit dem bestehenden Regulier- Kontinuierliche Abflussbestimmung reglement abgeglichen und als Steuerbe- fehle an die elektrisch betriebenen Regulier- Die zentrale Leitstelle Im Normalfall erfolgt der Ab- tore weitergegeben. für alle Regulieranlagen fluss aus dem Brienzersee pri- Bei einem Ausfall des Regulierautomaten arbei- im Kanton Bern befin- mär über die beiden Kleinwas- tet ein Notregler völlig autonom, solange die det sich in den Räumen serkraftwerke Mühle Burgholz Stromversorgung funktioniert. Bei einem vor- des Amts für Wasser und Livta und dann – ab einer übergehenden Ausfall der Stromversorgung und Abfall (AWA) in Wassermenge von 26 m³/s – kann mindestens eine vollständige Torbewe- Bern (Foto unten). auch durch die Tore der Gros- gung über eine Batterie ausgeführt werden, Bei Bedarf kann von sen Staatsschleuse. während ein längerer Stromunterbruch durch dort aus die Regulie- ein Notstromaggregat überbrückbar ist. Im rung manuell vorge- Notfall lassen sich die Tore auch weiterhin von nommen werden. Bei Hand durch eine Kurbel bewegen. ausserordentlichen Überwacht wird das gesamte System in der Wetterlagen ist die Regulierzentrale in Bern. Dort können nicht Regulierzentrale rund nur alle nötigen Informationen über die Betriebs- um die Uhr besetzt. zustände eingesehen werden, sondern auch jene über die Wassermengen, die von der Aare und der Lütschine her – den beiden Hauptzu- flüssen – in den Brienzersee strömen.

* Bereits 1992/93 erhielt die Grosse Staatsschleuse erst- mals einen Regulierautomaten. Das damalige Steuerungs- system bezog aber die anderen Anlagen nicht mit ein, die ebenfalls einen Einfluss auf die Seeregulierung haben. Dieser Mangel ist inzwischen durch einen anderen, 2008 installier- ten Regulierautomaten behoben worden, der sämtliche Anlagen ansteuert, schneller reagiert und ständig einsatz-

bereit ist. Frank

6 Grosse Staatsschleuse (auch Obere Schleuse genannt)

Dieses 1854/1855 erbaute und seither mehrfach

AWA (1): Frank (2) AWA erneuerte Regulierwehr (siehe auch Titelbild) steht auf der Grenze der Gemeinden Interlaken und Unterseen, hat fünf Tore (Tafelschützen) und ist begehbar. Seit 1994 verfügt es über einen Fischpass, der allerdings im August 2005 vom Hochwasser weggespült wurde und danach neu angelegt werden musste (im Vordergrund).

Kleine Staatsschleuse (auch Mühleschleuse genannt) Kleinwasserkraftwerk Mühle Burgholz Mit dem Bau dieser unteren Schleuse wurde bereits 1853 begonnen. Auch dieses Regulier- Kleinwasserkraftwerk wehr ist inzwischen mehrfach erneuert und mit Livta einem Fischpass (siehe auch Foto Seite 2) er- gänzt worden. Seine drei Tore (Tafelschützen) Interlaken werden nur bei ausserordentlich hohen Seestän- den und Abflussmengen geöffnet (oder wenn

Laufkraftwerk die Grosse Staatsschleuse nicht zur Verfügung am Schifffahrtskanal steht, etwa bei Revisionsarbeiten).

Pegel- und Abflussmessungen

Grundlage der Seeregulierung sind die kontinu- ierlichen Pegel- und Abflussmessungen, die am Brienzersee, an der Aare beim Seeausfluss und am Oberwasser der Regulierwehre gemacht werden. Aus Sicherheitsgründen werden für diese Messungen verschiedene Methoden ein- gesetzt: Einperl- oder Druckluftverfahren, Lauf- zeitmessungen (Radar, Ultraschall) und Druck- sonden. Die zeitnahe und hohe Verfügbarkeit der Daten ist durch die direkte Anbindung der Messsignale an die Steuerung mittels moderns- ter Kommunikationstechnik gewährleistet.

Regulierautomat

Die Pegelstände und die in den Kraftwerken turbinierten Wassermengen werden laufend erhoben und an die Steuerung übermittelt, die sich vor Ort befindet. Das entsprechende Programm (Grafik links) gleicht die eintreffen- den Daten automatisch mit den Vorgaben des Regulierreglements ab und setzt sie in Steuerbefehle zur Hebung und Senkung der Tore (Tafelschützen) in den Regulierwehren um.

7 Topografische Einschränkungen der Seeregulierung

Regulierwehre 2,6 Kilometer Seeausfluss

Die Tore (Tafelschützen) der Regulierwehre und die beiden Kleinwasserkraftwerke werden nor- malerweise so eingestellt, dass ein Gleich- gewicht besteht zwischen den Zuflüssen in Brienzersee den Brienzersee und dem Abfluss in Interlaken/ Unterseen. Der Handlungsspielraum der Seeregulierung ist allerdings viel kleiner, als häufig vermutet, und das allein schon aus topografischen Grün- den: Die Regulieranlagen sind ziemlich weit vom Seeausfluss entfernt (vgl. Grafik rechts). Das schafft keine Probleme, solange die üb- lichen Wassermengen anfallen. Dann kann der Abfluss durch Hebung und Senkung der

Tore gut auf jener Menge gehalten werden, die Thunersee das Regulierreglement vorschreibt. Dabei wird im Oberwasser vor den Regulieranlagen im Sommer normalerweise ein Pegel von 563.35 bis 563.75 m ü. M. gehalten, damit es entlang [m ü. M.] 566.05 Höchststand (2005) des Aarekanals nicht zu Überschwemmungen 566.00 kommt. 565.30 565.00 Hochwassergrenze Anders ist die Situation im Hochwasserfall. 563.95 564.00 Durch das 2,6 Kilometer lange Zwischenstück Beginn von Aus- uferungen im 562.80 zwischen Seeausfluss und Regulierwehren und Oberwasser der 563.00 Regulierwehre Niederwassergrenze durch den entsprechenden Niveauunterschied 562.00 bleibt der Regulierbereich eingeschränkt. 561.00 Bödeli (Interlaken/Unterseen) Eine wichtige Funktion hat die Regulierung da- gegen im Winter, wenn nur wenig Wasser in den See strömt. Dann verhindert die Regulie- Allein schon aus topografischen Gründen ist rung, dass der See zu tief absinkt – und dadurch der Handlungsspielraum bei der Seeregulierung kaum noch Wasser in die Aare gelangen würde. eingeschränkt: Das Wasser aus dem Brienzer- Der minimale Abfluss (Restwasser) in dieser see gelangt über einen 2,6 Kilometer langen Jahreszeit soll 13 m³/s nicht unterschreiten. Kanal zu den Regulierwehren.

Normalerweise kann ein Gleichgewicht zwi- Seestand mit reguliertem Abfluss Seestand mit maximalem Abfluss gemäss Regulierreglement (Regulierwehre immer offen) schen den Seezuflüssen und dem Abfluss aus dem See eingehalten werden (wobei der See- m ü. M. stand im Sommer generell höher als im Winter 566.00 liegt). Sobald aber nach anhaltenden Regenfäl- len, bei Unwettern oder während der Schnee- 565.00 schmelze besonders viel Wasser in den See strömt, zeigen sich die Grenzen der Seeregulie- 564.00 rung: Selbst bei völlig offenen Regulierwehren kann nicht immer genügend Wasser abgeführt werden, weil die Abflusskapazität der Aare 563.00 auf dem dicht bebauten Bödeli begrenzt ist. Damit wird der Einfluss der Seeregulierung 562.00 umso geringer, je höher der Seestand ansteigt. Einfluss der Seeregulierung 2005 2006 2007

8 Hydraulische Einschränkungen der Seeregulierung

Schon bei normalen Verhältnissen ist der Spiel- raum bei der Seeregulierung recht gering. Noch Hoher Seestand – kleiner wird ihr Einfluss, wenn ausserordentlich Seestand Brienzersee: grosser Abfluss Regulierwehre 565.00 m ü. M. viel Wasser in den Brienzersee gelangt. Dann vollständig geöffnet stösst das Reguliersystem an seine Grenzen Abfluss: (vgl. Grafiken rechts): 225 m³/s • Einerseits kann der Speicherraum des Brienzersees nicht beliebig vergrössert Bödeli (Interlaken/Unterseen) werden, da der Seepegel vorgängig nicht un- Aare ter jene Marke abgesenkt werden kann, wel- che die Schwelle zum Bödeli vorgibt. Tiefer geht nicht, denn diese Stelle bildet Regulierwehre Seestand Brienzersee: sozusagen den «Tellerrand» des Brienzer- vollständig geöffnet 564.00 m ü. M. sees, der nicht weiter ausgeschöpft werden kann. Abfluss: 110 m³/s • Andererseits kann auch die Abflusskapa- zität des Aarekanals nicht beliebig erhöht Bödeli (Interlaken/Unterseen) werden. Der Ausfluss wird erst grösser, wenn Aare der Seepegel steigt – und das selbst bei voll- Legende: ständig geöffneten Regulierwehren. Maxima, Minima undTiefer Mittelwerte Seestand 1868 – bis 2013

Regulierwehre 3x Hochwassergrenzegeringer überschritten Abfluss (extremes Die technischen Möglichkeiten zur Optimie- vollständig geöffnet SeestandEreignis) Brienzersee: 563.00 m ü. M. rung der heutigen Wehranlagen sind inzwischen 36 mal Seepegel über 564.90 (häufiges Ereignis) ausgeschöpft worden, der Einfluss der See- Abfluss: regulierung auf ausserordentlich hohe Was- 40 m³/s serstände bleibt somit beschränkt. Um die Spei- Bödeli (Interlaken/Unterseen) cherkapazität des Brienzersees beziehungs- Aare weise die Abflusskapazität des Aarekanals zu erhöhen, wären umfangreiche bauliche Auch aus hydraulischen Gründen ist der Hand- Massnahmen* notwendig. lungsspielraum bei der Seeregulierung einge- schränkt: Selbst bei vollständig geöffneten Re- * Detaillierte Abklärungen des kantonalen Tiefbauamts (TBA) gulierwehren kann der Abfluss nur gesteigert haben gezeigt, dass solche Massnahmen wegen ihres werden, wenn auch der Seepegel des Brienzer- schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnisses nicht realisiert wer- den können. sees ansteigt.

Im August 2005 strömten aus der Haslital- Aare, der Lütschine und den vielen anderen Zuflüssen zeitweise mehr als 690 m³/s in den Brienzersee. In solchen Situationen ist das gesamte Gewässersystem in diesem Gebiet überfordert. Denn gleichzeitig gelangten we- gen der begrenzten Abflusskapazitäten nur rund 340 m³/s aus dem Brienzersee hinaus. Einerseits stieg dadurch der Brienzersee schliesslich auf 566.05 m ü. M. an, den höchs- ten bisher gemessenen Pegelstand. Anderer- seits brachen die Fluten auf dem Bödeli an Eng- stellen aus dem Aarekanal aus und setzten so- wohl in Interlaken als auch in Unterseen Orts-

teile unter Wasser (Foto rechts). Schweizer Luftwaffe

9 Ansprüche an die Seeregulierung

Durch die verschiedenen Regulieranlagen im Bei der Regulierung des Seestands im Brien- Frank historischen Gewerbegebiet zwischen Unter- zersee bzw. des Abflusses und des Wasser- seen und Interlaken kann der Wasserstand standes im Aarekanal gibt es zwei regulier- des Brienzersees innerhalb eines gewissen technische Besonderheiten: Schwankungsbereichs beeinflusst werden, wo- • Der Brienzersee wird – soweit überhaupt bei ein optimaler Ausgleich verschiedener – möglich – zum Dämpfen von Hochwas- und oft widersprüchlicher – Interessen nötig serzuflüssen genutzt, da ein gewisser ist. Die entsprechenden Vorgaben liefert das Spielraum zwischen dem mittleren Wasser- im Jahr 1992 erlassene «Reglement für die stand während der Sommermonate und der Regulierung des Brienzersees». Verein- Hochwassergrenze besteht. Allerdings muss facht ausgedrückt sieht es vor, dass die win- für einen effektiven Hochwasserschutz immer terlichen Niederwasserstände des Brienzersees auch die hydrologische Situation im gesam- angehoben und die sommerlichen Mittwasser- ten Berner Oberland beachtet werden. stände innerhalb mehrheitlich akzeptierter Diesem Umstand trägt das AWA seit einigen Im Sommer etwas höher Bandbreiten gehalten werden. Jahren Rechnung, indem ein Experten- wegen der kommerziellen An diesen Vorgaben hat sich seither nichts ge- system rechtzeitig Risikosituationen er- Schifffahrt (Foto) und der ändert. Auch mit dem 2008 in Betrieb genom- kennt, wodurch die Regulierung der beiden Berufsfischerei, im Winter menen Regulierautomaten wird dieser Inte- Oberlandseen (Brienzersee und Thunersee) etwas tiefer wegen der ressenausgleich vorgenommen, doch im optimiert werden konnte. Natur – der Seestand wird Unterschied zu früher kann nun sicherer und • Um die niedrigen Ufer des Aarekanals in Anlehnung an die natür- genauer gesteuert werden. Weitere Vorteile zwischen dem Seeausfluss und den Regu- lichen Schwankungen gegenüber früher sind: lieranlagen vor Überflutung zu schützen, jahreszeitlich unterschied- • Die ganzjährige automatische Steuerung muss der Kanalwasserstand tiefer als der lich gehalten, um möglichst und die ständige Überwachung aller Anla- Seestand gehalten werden. Dies lässt sich vielen Interessen gerecht gen, die einen Einfluss auf die Regulierung nur durch ein Fliessgefälle erreichen, was zu werden. haben wiederum einen minimalen Abfluss vor- • Die raschere Abflusskorrektur bei plötz- aussetzt. Denn je langsamer das Wasser im lichen Ausfällen der Kraftwerke oder bei Kanal fliesst, desto mehr nähert sich der Was- Betriebsstörungen serstand im Kanal dem Seestand an. • Der bessere Ausgleich der Abflussmengen (weniger Schwankungen in der Aare) • Die höhere Betriebssicherheit und die ge- naueren Kontrollmöglichkeiten durch die Regulierzentrale in Bern

Die Ansprüche an die Seeregulierung sind Natur zahlreich und klaffen zum Teil weit auseinan- der. Bei der Entwicklung des heute gültigen Fischerei Bestand der Flachmoore Regulierreglements wurde zwar versucht, die-

sen unterschiedlichen Vorstellungen bezüg- Landwirtschaft Laichplätze der Fische lich optimaler Seestände so weit wie möglich gerecht zu werden. Doch allein aus hydrauli- Brutplätze der Wasservögel schen Gründen können nicht alle Wünsche Grundwasserschutz vollumfänglich und gleichzeitig erfüllt werden. Zudem gibt es Nutzungs- und Schutzanlie- See- gen, die sich widersprechen. Seeanstösser regulierung Flusskraftwerke

Schifffahrt Naherholung

Unterlieger (Thunersee; Aare)

10 Seekoten und ihre Bedeutung

M.) ü.

Seepegel BrienzerseeGefahrenstufen (m RegulierkotenBrienzersee Brienzersee

Wichtige Grössen, für die sich sowohl die zu- 5 ständigen Fachleute als auch die Öffentlichkeit 566.50 interessieren, sind die kritischen Seestände. Dabei gibt es, und das schafft mitunter Verwir- 566.05 rung, unterschiedliche Abgrenzungen. Höchststand 566.00 Hochwasser 2005 Regulierkoten Mit Regulierkoten wird der Rahmen abge- 565.50 4 565.36 steckt, in dem sich der Seestand nach allge- 565.30 Höchststand meiner Übereinkunft bewegen soll. Folglich sind Hochwassergrenze Hochwasser 1999 3 Regulierkoten künstlich festgelegte Werte, die sich entweder im Laufe der Zeit eingebürgert 564.95 565.00 Höchststand 2 haben oder die ausgehandelt worden sind – Hochwasser 2007 gegen unten definiert durch eine Niederwas- 1 sergrenze, gegen oben durch eine Hochwas- 564.50 sergrenze. Ziel der Seeregulierung ist es, die 564.30 Wasserstände innerhalb dieser beiden Grenzen Mittlerer Seestand im Sommer zu halten. Bei extremen Wetterlagen (Trocken- 564.00 heit, starker Schneeschmelze oder Dauerregen) können diese Vorgaben allerdings zeitweise un- ter- oder überschritten werden. 563.50 563.40 Gefahrenstufen Mittlerer Seestand im Winter Die fünfstufige Gefahrenskala des Bundes wird verwendet für die Warnung vor Hochwassern, 563.00 die in den nächsten Tagen erwartet werden. 562.80 Niederwassergrenze Gefahrenkartenkoten 562.50 Die Gefahrenkartenkoten wurden bei der Aus- arbeitung der Gefahrenkarten ermittelt. Sie Gefahrenstufe 5: sehr grosse Gefahr zeigen, wie häufig mit Hochwasserständen zu Gefahrenstufe 4: grosse Gefahr rechnen ist, die im statistischen Mittel alle Gefahrenstufe 3: erhebliche Gefahr 30, 100 oder 300 Jahre erreicht oder sogar Gefahrenstufe 2: mässige Gefahr überschritten werden. Gefahrenstufe 1: keine oder geringe Gefahr

Frank

Durch einen Vergleich der Regulierkoten mit den Gefahrenkartenkoten kann abgeschätzt werden, wie häufig mit einer Überschreitung der Hochwassergrenze gerechnet werden muss. Beim Brienzersee (Foto links, Ländte Ringgenberg) sind die Hochwassergrenze (565.30 m ü. M.) und die Kote des 30-jährlichen Hochwassers (565.25 m ü. M.) praktisch gleich hoch. Es ist also im statistischen Mittel alle 30 Jahre mit einem Ereignis zu rechnen, das die Hochwassergrenze zumindest erreicht. Kriti- scher sind die Aussichten bei den 100-jährli- chen bzw. bei den 300-jährlichen Ereignissen: Bei ihnen sind Pegelstände von 565.70 m ü. M. bzw. von 566.10 m ü. M. zu erwarten.

11 www.be.ch/awa

Herausgeber: AWA Amt für Wasser und Abfall, Abteilung Gewässerregulierung Reiterstrasse 11, 3011 Bern Telefon 031 633 38 11 [email protected]

Redaktion: Bernhard Wehren, Bernhard Schudel (AWA)

Konzeption und Realisation: Felix Frank Redaktion & Produktion, Bern

Druck: Jost Druck AG, Hünibach

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Schriftlicher Bezug dieser Broschüre: AWA Amt für Wasser und Abfall, Abteilung Gewässerregulierung Reiterstrasse 11, 3011 Bern [email protected]

© Bern, September 2014