Kiff Aarau We Keep You in the Loop
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SEP.17 Nick Cave EINSCHLAUFEN Betrifft: Sepia-Tinte, Siff und Samt Impressum Nº 07.17 Manchmal sind es tatsächlich nur Menschen Als Berlin Ende 1989 mit dem Mauerfall den DER MUSIKZEITUNG LOOP 20. JAHRGANG und Orte. Eine flüchtige Kombination aus Bio- Frontstadt-Status verlor, mochte auch unser Ti- grafie und Geografie, die sich mit Bedeutung telheld nicht mehr dort leben. Sein Ruhm, den er P.S./LOOP Verlag auflädt. William S. Burroughs in Tanger. Jörg sich inzwischen erarbeitet hatte, folgte ihm al- Langstrasse 64, 8004 Zürich Fauser in Istanbul. Malcolm Lowry in Mexiko. lerdings auch auf seinem Schlingerkurs um den Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 Fixe Bezugspunkte in einem Atlas der Sucht, Globus. Und wurde einer Transformation unter- www.loopzeitung.ch die freilich nicht nur endlosen Exzess, sondern worfen. Der Siff der frühen Jahre verschwand, auch Phasen von geradezu manischer Kreativi- zur inzwischen sorgsam gekämmten und ge- Verlag, Layout: Thierry Frochaux tät markieren. Die zugehörigen Romane: «In- tönten Frisur trug man gut sitzende Anzüge, [email protected] terzone», «Rohstoff», «Under the Volcano». diskrete Hemden und hin und wieder gar eine In diese Reihe der Vertriebenen – oder um einen Krawatte. Unter der samtenen Oberfläche hin- Administration, Inserate: Manfred Müller musikalisch-technischen Begriff zu verwenden: gegen brodelte es weiter. Leidenschaftlich arran- [email protected] aus dem Leben Ausgekoppelten – gehört auch gierte Liebe, biblischer Furor und eine archaisch Nick Cave. Ein paar Jahre früher war auch anmutende Weltsicht kondensierten zu Liedern, Redaktion: Philippe Amrein (amp), David Bowie in der Hauptstadt des Heroins die genau das tun, was man von ihnen erwartet: Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe unterwegs und hat dort wegweisende Alben Sie zerwühlen das Herzfett der Hörerschaft. eingespielt. Aber während Bowie in einer feu- Aber dann sitzt man doch wieder am Rechner, Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden dalen Siebenzimmerwohnung an der Hauptst- ein wenig desillusioniert, vielleicht auch leicht (ash), Reto Baumann (ret), Yves Baer (yba), rasse in Schöneberg residierte, hauste Cave in traurig. Und landet auf einem seltsamen Youtu- Thomas Bohnet (tb), Jean-Martin Büttner, einer Kammer an der Dresdener Strasse. Die be-Kanal, der die gesammelten Kochsendungen Chrigel Fisch (fis), Christian Gasser, Fotos aus jener Zeit zeigen einen verzottelten von Alfred Biolek bündelt. Dort kann man Blixa Michael Gasser, Christa Helbling (hel), jungen Mann, der auf seinem Hochbett sitzt, Bargeld zusehen, wie er dunkel eingefärbten Ri- Gianni Keller (gk), Hanspeter Künzler, umgeben von allerlei Krimskrams, Büchern, sotto kocht (Sepia-Tinte, klar). Und mit einem Tony Lauber (tl), Philipp Niederberger, Haarbüscheln, Papieren, einer Ukulele und Keramik-Messer hantiert. Das hat natürlich eine Thomas Speich (tsp), Sarah Sartorius, weiteren Utensilien, mit denen sich das Leben tragische Komponente, aber solche Kategorien Veit F. Stauffer, Miriam Suter (mis) in der Bohème dekorieren lässt. Dass er es dann verlieren ihre Gültigkeit. Erst recht angesichts aber geschafft hat, in dieser schäbigen Umge- der Tatsache, dass Bargelds langjähriger Arbeit- Druck: Tagblatt Print, St. Gallen bung seinen ersten Roman zu schreiben, ver- geber Nick Cave am 22. September seinen 60. Das nächste LOOP erscheint am 29.9.2017 setzt Weggefährtinnen von damals noch heute Geburtstag feiert. Wir gratulieren. Und singen. in Erstaunen. Guido Down Under Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] DER JUNGE MEISTER Maps) begründete er die fa- Um Nick Caves Frühwerk machen viele mose Band These Immortal Souls, die 1987 und 1992 Fans einen Bogen. Warum das so ist, zwei heute hoch gehandelte bleibt für den Plattenhändler und Alben veröffentlichte. Rec Rec-Gründer Veit Stauffer ein Rätsel. DUNKLE VORAHNUNG Die beiden ersten Nick- Es war ein schwerer Einstieg zu The Birthday Party, Anfang Cave-Soloalben habe ich November 1981. Ein müdes, enttäuschendes Konzert im enthusiastisch begrüsst, Kino Walche, organisiert vom Plattenladen Jamarico, man mich faszinierte die dunk- wollte den Kollegen die Ehre erweisen. Die Band übernäch- le Crooner-Seite, die der tigt nach langer Reise, eingepfercht zwischen Amsterdam Sänger damit zum klingen und Bologna, mit zu grossen Vorschusslorbeeren. Aber die brachte und den Zeitgeist Zeit war noch nicht reif für den Genius Nick Cave. Es waren ergiebig mit seinem roten knapp 80 Leute anwesend. boys next door Faden umwickelte. Mein Szenenwechsel: London, Sommer 1982, zwei Monate Prak- Lieblingslied «Avalanche» tikum bei Rec Rec London, in der Freizeit ganz auf mich von Leonard Cohen als Er- alleine gestellt. Der Tourmanager von Henry Cow, Nick öffnungsstück, dazu die Sin- Hobbs, arbeitete nun in der Booking Agency von Rough gle «In the Ghetto» (Elvis Trade. Er lag mir in den Ohren, ich dürfe auf keinen Fall Presley) – das war ein star- Birthday Party verpassen, frisch nach England umgezogen, ker Einstand. Danach verlor häufig auftretend. «If you like Beefheart, give them a chan- sich mein Interesse zuneh- ce.» Ich sah sie dann mindestens zweimal, auch mit meiner mend, wenn mir auch späte- angereisten Zürcher Freundin Barbara Giezendanner, im Ve - re Perlen wie «The Weeping nue nahe Victoria Station, ein schöner Saal mit ähnlichem Song»(1990), «Into My Umfang wie das Palais X-tra. Und das Suchtpotenzial stieg. Arms» (1997) oder «Henry The Birthday Party zauberten eine lässig inszenierte Drama- Lee» (1996, das Duett mit turgie von unglaublicher Intensität auf die Bühne. Sie muss- PJ Harvey) nicht entgangen ten sich gegen «das arrogante Londoner Publikum» durch- sind. Das Drama um seinen setzen und gaben ihr Bestes. Wenig später zogen sie um nach im Sommer 2015 tödlich Berlin und trafen dort Blixa Bargeld. verunglückten Sohn Arthur hätte ich ihm gerne erspart. DIE ESSENZ DES FRÜHWERKS Im Albumtitel seines vierten Albums «Your Funeral … Um 1987/88, während einer nihilistischen Lebensphase in My Trial» (1986) schwang aufwühlender «No Future»-Stimmung, habe ich Birthday bereits eine Vorahnung mit. Party wiederentdeckt. Ihre beiden einzigen Studioalben, Um an den rebellischen «Prayers of Fire» (81) und «Junkyard» (82) sind ein Zwil- Geist der Birthday Party lingspaar, atmen dasselbe Klima. Antreibende, manisch anzuknüpfen, lancierte er überdrehte Hochseilakrobatik, im aufregenden Dualismus 2007 das Nebenprojekt mit schwer geprüften Balladen. Nicht unähnlich den zwei Grinderman, womit er auch ersten Alben der Stooges mit Iggy Pop. Wer das hypnotische, auf Tour ging. Mir ist bis zehnminütige «We Will Fall» (1969) kennt, ahnt die unge- heute unverständlich, dass fähre Stilrichtung. Bass und Schlagzeug halten die abgedun- so viele Cave-Fans um sein kelte Raumtemperatur im Schwebezustand, inmitten funkelt Frühwerk einen Bogen ma- der stolze Gesang hinein. Das ist die Essenz des Frühwerks. chen. Im Notizheft Oktober Die Vorläuferband The Boys Next Door sowie die zehn Stü- 1982 verarbeitete ich meine cke der Minialben «Mutiny» und «The Bad Seed» von 1983 Birthday-Party-Konzerte, dürfen ruhig vernachlässigt werden. Es gab auch Vorteile unter deutlichem Einfluss beim damals aufkommenden CD-Format. Auf «Prayers on der grotesken Metapher von Fire» entdeckte ich meinen absoluten Lieblingstrack «Dull Lautréamonts «Die Gesän- Day», eine versierte Komposition von Gitarrist Rowland S. ge des Maldoror», das von Howard (1959-2009). «My head is a nightclub, club-club- den Surrealisten wiederent- bed to dull drums, beating too slow (...) I’m drinking I’m deckt wurde: «Am Eingang drinking I’m drunk» – und als Bonustrack das mir bisher wurde jedem Besucher ein völlig unbekannte «Blundertown», eine B-Seite der dritten Arm gebrochen, genau auf- Single «Nick the Stripper», aufgenommen in Australien im geteilt nach linke und rechte Januar 1981. Die manische Zeile «I’m drowning and the- Hälfte – und sogleich ein- re is no relief from» befeuerte meine ausweglose Stimmung gegipst! So standen sie nun am Ende oder bereits zu Beginn eines langen Ausflugs ins da und liessen sich vom Zürcher Nachtleben. Diabolisch wird aber im Text nüchtern Unglück nicht abhalten: für nachgeschoben: «Don’t listen to my very dull brother». den Applaus klatschten sich Heute erstaunt es mich keineswegs, dass meine Lieblings- jeweils immer zwei Leute in tracks meist aus der Feder von Gitarrist Rowland S. How- die Hände.» ard stammten. Mit Keyboarderin Genevieve McGuckin und dem Seelenbruder und Drummer Epic Soundtracks (ex-Swell Veit F. Stauffer GOTTGLEICHER ROCKSTAR stellt hatten, änderten sie den Namen in The Birthday Par- er zum Teil dort geschrie- Vom Landei zum Ausnahmekünstler: ty und übersiedelten 1980 von Australien nach London. ben.» Bald war Wydler nicht mehr nur Vermieter, Eine kurze Geschichte der Karriere ALLES SCHEISSE AUSSER THE FALL sondern auch Bandmitglied – und blieb es bis zum heu- von Nick Cave. Dort machten sich Cave und Co nicht gerade beliebt, als tigen Tag. sie verkündeten, alle britischen Bands mit Ausnahme von 1986 markierte einen Wen- In Warracknabeal gibt es keine Rockstars. Warracknabeal The Fall seien scheisse. Mit ihrer Musik aber erspielten depunkt. Waren die ersten ist ein Kaff im australischen Weizengürtel, 330 Kilome- sich The Birthday Party schnell den Ruf, neue Extreme zu beiden Bad-Seeds-Platten in ter von Melbourne entfernt. Dort wurde Nick Cave am setzen. Cave nannte seine Songs «King Ink» oder