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Kiff Aarau We Keep You in the Loop

Kiff Aarau We Keep You in the Loop

SEP.17

Nick Cave EINSCHLAUFEN Betrifft: Sepia-Tinte, Siff und Samt Impressum Nº 07.17 Manchmal sind es tatsächlich nur Menschen Als Ende 1989 mit dem Mauerfall den DER MUSIKZEITUNG LOOP 20. JAHRGANG und Orte. Eine flüchtige Kombination aus Bio- Frontstadt-Status verlor, mochte auch unser Ti- grafie und Geografie, die sich mit Bedeutung telheld nicht mehr dort leben. Sein Ruhm, den er P.S./LOOP Verlag auflädt. William S. Burroughs in Tanger. Jörg sich inzwischen erarbeitet hatte, folgte ihm al- Langstrasse 64, 8004 Zürich Fauser in Istanbul. Malcolm Lowry in Mexiko. lerdings auch auf seinem Schlingerkurs um den Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 Fixe Bezugspunkte in einem Atlas der Sucht, Globus. Und wurde einer Transformation unter- www.loopzeitung.ch die freilich nicht nur endlosen Exzess, sondern worfen. Der Siff der frühen Jahre verschwand, auch Phasen von geradezu manischer Kreativi- zur inzwischen sorgsam gekämmten und ge- Verlag, Layout: Thierry Frochaux tät markieren. Die zugehörigen Romane: «In- tönten Frisur trug man gut sitzende Anzüge, [email protected] terzone», «Rohstoff», «Under the Volcano». diskrete Hemden und hin und wieder gar eine In diese Reihe der Vertriebenen – oder um einen Krawatte. Unter der samtenen Oberfläche hin- Administration, Inserate: Manfred Müller musikalisch-technischen Begriff zu verwenden: gegen brodelte es weiter. Leidenschaftlich arran- [email protected] aus dem Leben Ausgekoppelten – gehört auch gierte Liebe, biblischer Furor und eine archaisch . Ein paar Jahre früher war auch anmutende Weltsicht kondensierten zu Liedern, Redaktion: Philippe Amrein (amp), in der Hauptstadt des Heroins die genau das tun, was man von ihnen erwartet: Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe unterwegs und hat dort wegweisende Alben Sie zerwühlen das Herzfett der Hörerschaft. eingespielt. Aber während Bowie in einer feu- Aber dann sitzt man doch wieder am Rechner, Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden dalen Siebenzimmerwohnung an der Hauptst- ein wenig desillusioniert, vielleicht auch leicht (ash), Reto Baumann (ret), Yves Baer (yba), rasse in Schöneberg residierte, hauste Cave in traurig. Und landet auf einem seltsamen Youtu- Thomas Bohnet (tb), Jean-Martin Büttner, einer Kammer an der Dresdener Strasse. Die be-Kanal, der die gesammelten Kochsendungen Chrigel Fisch (fis), Christian Gasser, Fotos aus jener Zeit zeigen einen verzottelten von Alfred Biolek bündelt. Dort kann man Blixa Michael Gasser, Christa Helbling (hel), jungen Mann, der auf seinem Hochbett sitzt, Bargeld zusehen, wie er dunkel eingefärbten Ri- Gianni Keller (gk), Hanspeter Künzler, umgeben von allerlei Krimskrams, Büchern, sotto kocht (Sepia-Tinte, klar). Und mit einem Tony Lauber (tl), Philipp Niederberger, Haarbüscheln, Papieren, einer Ukulele und Keramik-Messer hantiert. Das hat natürlich eine Thomas Speich (tsp), Sarah Sartorius, weiteren Utensilien, mit denen sich das Leben tragische Komponente, aber solche Kategorien Veit F. Stauffer, Miriam Suter (mis) in der Bohème dekorieren lässt. Dass er es dann verlieren ihre Gültigkeit. Erst recht angesichts aber geschafft hat, in dieser schäbigen Umge- der Tatsache, dass Bargelds langjähriger Arbeit- Druck: Tagblatt Print, St. Gallen bung seinen ersten Roman zu schreiben, ver- geber Nick Cave am 22. September seinen 60. Das nächste LOOP erscheint am 29.9.2017 setzt Weggefährtinnen von damals noch heute Geburtstag feiert. Wir gratulieren. Und singen. in Erstaunen. Guido Down Under

Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected]

DER JUNGE MEISTER Maps) begründete er die fa- Um Nick Caves Frühwerk machen viele mose Band These Immortal Souls, die 1987 und 1992 Fans einen Bogen. Warum das so ist, zwei heute hoch gehandelte bleibt für den Plattenhändler und Alben veröffentlichte. Rec Rec-Gründer Veit Stauffer ein Rätsel. DUNKLE VORAHNUNG Die beiden ersten Nick- Es war ein schwerer Einstieg zu The Birthday Party, Anfang Cave-Soloalben habe ich November 1981. Ein müdes, enttäuschendes Konzert im enthusiastisch begrüsst, Kino Walche, organisiert vom Plattenladen Jamarico, man mich faszinierte die dunk- wollte den Kollegen die Ehre erweisen. Die Band übernäch- le Crooner-Seite, die der tigt nach langer Reise, eingepfercht zwischen Amsterdam Sänger damit zum klingen und Bologna, mit zu grossen Vorschusslorbeeren. Aber die brachte und den Zeitgeist Zeit war noch nicht reif für den Genius Nick Cave. Es waren ergiebig mit seinem roten knapp 80 Leute anwesend. boys next door Faden umwickelte. Mein Szenenwechsel: , Sommer 1982, zwei Monate Prak- Lieblingslied «Avalanche» tikum bei Rec Rec London, in der Freizeit ganz auf mich von als Er- alleine gestellt. Der Tourmanager von Henry Cow, Nick öffnungsstück, dazu die Sin- Hobbs, arbeitete nun in der Booking Agency von Rough gle «» (Elvis Trade. Er lag mir in den Ohren, ich dürfe auf keinen Fall Presley) – das war ein star- Birthday Party verpassen, frisch nach England umgezogen, ker Einstand. Danach verlor häufig auftretend. «If you like Beefheart, give them a chan- sich mein Interesse zuneh- ce.» Ich sah sie dann mindestens zweimal, auch mit meiner mend, wenn mir auch späte- angereisten Zürcher Freundin Barbara Giezendanner, im Ve - re Perlen wie «The Weeping nue nahe Victoria Station, ein schöner Saal mit ähnlichem Song»(1990), «Into My Umfang wie das Palais X-tra. Und das Suchtpotenzial stieg. Arms» (1997) oder «Henry The Birthday Party zauberten eine lässig inszenierte Drama- Lee» (1996, das Duett mit turgie von unglaublicher Intensität auf die Bühne. Sie muss- PJ Harvey) nicht entgangen ten sich gegen «das arrogante Londoner Publikum» durch- sind. Das Drama um seinen setzen und gaben ihr Bestes. Wenig später zogen sie um nach im Sommer 2015 tödlich Berlin und trafen dort . verunglückten Sohn Arthur hätte ich ihm gerne erspart. DIE ESSENZ DES FRÜHWERKS Im Albumtitel seines vierten «Your Funeral … Um 1987/88, während einer nihilistischen Lebensphase in My Trial» (1986) schwang aufwühlender «No Future»-Stimmung, habe ich Birthday bereits eine Vorahnung mit. Party wiederentdeckt. Ihre beiden einzigen Studioalben, Um an den rebellischen «Prayers of Fire» (81) und «Junkyard» (82) sind ein Zwil- Geist der Birthday Party lingspaar, atmen dasselbe Klima. Antreibende, manisch anzuknüpfen, lancierte er überdrehte Hochseilakrobatik, im aufregenden Dualismus 2007 das Nebenprojekt mit schwer geprüften Balladen. Nicht unähnlich den zwei , womit er auch ersten Alben der Stooges mit . Wer das hypnotische, auf Tour ging. Mir ist bis zehnminütige «We Will Fall» (1969) kennt, ahnt die unge- heute unverständlich, dass fähre Stilrichtung. Bass und Schlagzeug halten die abgedun- so viele Cave-Fans um sein kelte Raumtemperatur im Schwebezustand, inmitten funkelt Frühwerk einen Bogen ma- der stolze Gesang hinein. Das ist die Essenz des Frühwerks. chen. Im Notizheft Oktober Die Vorläuferband The Boys Next Door sowie die zehn Stü- 1982 verarbeitete ich meine cke der Minialben «Mutiny» und «The Bad Seed» von 1983 Birthday-Party-Konzerte, dürfen ruhig vernachlässigt werden. Es gab auch Vorteile unter deutlichem Einfluss beim damals aufkommenden CD-Format. Auf «Prayers on der grotesken Metapher von Fire» entdeckte ich meinen absoluten Lieblingstrack «Dull Lautréamonts «Die Gesän- Day», eine versierte Komposition von Gitarrist Rowland S. ge des Maldoror», das von Howard (1959-2009). «My head is a nightclub, club-club- den Surrealisten wiederent- bed to dull drums, beating too slow (...) I’m drinking I’m deckt wurde: «Am Eingang drinking I’m drunk» – und als Bonustrack das mir bisher wurde jedem Besucher ein völlig unbekannte «Blundertown», eine B-Seite der dritten Arm gebrochen, genau auf- Single «Nick the Stripper», aufgenommen in Australien im geteilt nach linke und rechte Januar 1981. Die manische Zeile «I’m drowning and the- Hälfte – und sogleich ein- re is no relief from» befeuerte meine ausweglose Stimmung gegipst! So standen sie nun am Ende oder bereits zu Beginn eines langen Ausflugs ins da und liessen sich vom Zürcher Nachtleben. Diabolisch wird aber im Text nüchtern Unglück nicht abhalten: für nachgeschoben: «Don’t listen to my very dull brother». den Applaus klatschten sich Heute erstaunt es mich keineswegs, dass meine Lieblings- jeweils immer zwei Leute in tracks meist aus der Feder von Gitarrist Rowland S. How- die Hände.» ard stammten. Mit Keyboarderin Genevieve McGuckin und dem Seelenbruder und Drummer Epic Soundtracks (ex-Swell Veit F. Stauffer GOTTGLEICHER ROCKSTAR stellt hatten, änderten sie den Namen in The Birthday Par- er zum Teil dort geschrie- Vom Landei zum Ausnahmekünstler: ty und übersiedelten 1980 von Australien nach London. ben.» Bald war Wydler nicht mehr nur Vermieter, Eine kurze Geschichte der Karriere ALLES SCHEISSE AUSSER THE FALL sondern auch Bandmitglied – und blieb es bis zum heu- von Nick Cave. Dort machten sich Cave und Co nicht gerade beliebt, als tigen Tag. sie verkündeten, alle britischen Bands mit Ausnahme von 1986 markierte einen Wen- In Warracknabeal gibt es keine Rockstars. Warracknabeal The Fall seien scheisse. Mit ihrer Musik aber erspielten depunkt. Waren die ersten ist ein Kaff im australischen Weizengürtel, 330 Kilome- sich The Birthday Party schnell den Ruf, neue Extreme zu beiden Bad-Seeds-Platten in ter von entfernt. Dort wurde Nick Cave am setzen. Cave nannte seine Songs «King Ink» oder «Nick ihrer Schroffheit noch eher 22. September 1957 geboren. In der Schule interessierte er the Stripper» und schrieb sich «Hell» auf die blanke Brust. etwas für Fans der Birthday sich mehr für Kunst als für Sport, darum hielten ihn man- Der Junge aus Australien war jetzt ein kleiner Star. Doch Party, klangen das Cover- che Mitschüler für eine Schwuchtel. Als Teenager trug er Exzesse auf und abseits der Bühne forderten ihren Tribut. «Kicking Against manchmal Frauenkleider, was ihm ein ernsthaftes Vater- 1983 waren die Musiker ausgebrannt, die Beziehungen in the Pricks» und «Your Sohn-Gespräch einbrachte. Ein Transvestit war er nicht. Es der Band zerrüttet, die Party war vorbei. Funeral … My Trial», die war bloss so, dass es einem Mädchen, das er mochte, gefiel, Cave sortierte die Trümmer mithilfe von , Bli- innert weniger Monate er- ihn so einzukleiden. xa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten sowie seiner schienen, auch für weniger Er hörte Iggy Pop und Leonard Cohen und starrte stunden- langjährigen Freundin . Ebenfalls zur frühen hartgesottene Hörer zu- lang auf die Köpfe auf den Plattencovern. Im Fernsehen sah Besetzung der Bad Seeds gehörten und Barry gänglich. er , der ihm Eindruck machte. So einer wollte Adamson (Magazine). Stabil war dieses Line-Up nicht, Dabei ist «Your Funeral … er auch werden. doch die Band funktionierte, weil Mick Harvey als Multi- My Trial» vor allem Mick Als er 19 war, starb sein Vater. Er erfuhr davon, als er Instrumentalist jeweils da einsprang, wo grad einer fehlte. Harveys Platte. Die Band nach einem Einbruch auf dem Polizeiposten gelandet war. Richtig Form nahmen die Bad Seeds Mitte der Achtziger- war mal wieder nicht kom- Als ihn seine Mutter rausholte, kam die Nachricht, dass jahre in Berlin an. In der geteilten deutschen Hauptstadt plett, Cave konnte wegen Cave senior bei einem Unfall ums Leben gekommen war. fand Cave günstige Wohnungen und Proberäume, Heroin zuviel Heroin nicht Viel mehr gab Cave über seine Jugend selten preis. Sein und Speed sowie eine brodelnde Untergrundszene, die ihn spielen, und Wydler fiel für Vater habe ihm aus «Lolita» vorgelesen und die Freude mit offenen Armen empfing. die Aufnahmen mit einer an Büchern vermittelt. Und seine Kindheit sei eine schöne Sehnenscheidenentzündung gewesen. HOCHBETT IN WYDLERS WG aus. «Die Band besteht auf Nach dem Umzug nach Melbourne studierte er Malerei, diesem Album im wesentli- brach aber bald ab und entdeckte dafür Heroin, mit dem er Der ursprünglich aus Zürich stammende Schlagzeuger Tho- chen aus mir und Blixa, der «das Geschnatter in meinem Kopf abstellen» konnte. Mit mas Wydler erzählte dem Schreibenden vor einigen Jahren: auf der Gitarre DOIIING seinem Schulfreund Mick Harvey gründete er eine Band. «Cave wohnte eine Zeitlang bei mir in der WG mit ungari- macht», erinnerte sich Har- Sie nannten sich The Boys Next Door. Nach einem Album, schen Filmemachern. Sein Zimmer war eigentlich nur eine vey später in einem Inter- das nicht so herausgekommen war, wie sie es sich vorge- Kammer mit einem Hochbett. Seinen ersten Roman hat view in dieser Zeitung.

From Her to Eternity Kicking Against Your Funeral … (1988) (1984) (1985) the Pricks (1986) My Trial (1986) «The Mercy Seat» und Das Debüt – ein Säure- Eine auf schwarzes Vinyl Grüezi mitenand! Erstmals Mit dem Titelstück und «Deanna» kennen alle, die angriff. Es beginnt mit gepresste Huldigung des sitzt der Zürcher Thomas «Sad Waters» entdecken nach 1988 an einem Bad- einer ätzenden Interpreta- kargen Mississippi-’. Wydler am Schlagzeug. die Bad Seeds die Balladen. Seeds-Gig waren. Die Band tion von Leonard Cohens Cave verwebt John Lee Und er treibt die Band Die Zirkus-Moritat «The wütet und lärmt («City of «Avalanche» und besteht Hookers Song «Tupelo» in durch 12 Coverversionen. Carny» durften sie auch in Refuge», «Sugar Sugar Su- weitgehend aus dunkler, eine Beschwörung der Er- Diese tritt an, um die Ori- «Der Himmel über Berlin» gar»). Cave klammert sich ungestümer Atmosphäre. eignisse bei Elvis’ Geburt. ginal-Songs zu verbessern. spielen. Dazu das brutale von der Sucht gezeichnet Hier entlädt sich alles, was «The King is born in Tupe- Das gelingt, sagen wir, be- «Jack’s Shadow» und das an die Religion: Er fleht auf im Verlauf der frühen Jah- lo!» – doch Elvis’ totgebo- dingt. Einige Interpretatio- spukhafte «Stranger Than Knien um Gnade («Mer- re aufgestaut wurde: Wut, rener Zwillingsbruder Jesse nen sind zwar toll (Johnny Kindness» (von Blixa und cy»), beobachtet eine Mi- Furor, Aufruhr, Weltleiden verlässt die Welt in einer Cashs «Muddy Water»), Anita Lane verfasst). Ur- nistrantin beim Anziehen und Ekel. Wer die CD- schäbigen Schuhschachtel. die meisten Stücke werden sprünglich eine Doppel-EP («Watching Alice») und Zweitausgabe von 1987 Ein Drama, das sich 2015 aber arg verbissen dekons- mit je vier Songs, enthält evoziert in «New Mor- findet, erhält überdies noch wiederholt, als Caves Sohn truiert. Es wird auch deut- das Album einige der bis ning» Erlösung und Neu- die theatralische Umsetzung Arthur bei einem Unfall lich, wo Nick Caves Stim- heute stärksten Stücke der start. Ein essenzielles Al- von «In the Ghetto.» (amp) stirbt. Sein Zwillingsbruder me an Grenzen stösst. (tsp) Bad Seeds. (ash) bum zwischen Tumult und Earl lebt. Und diese zornige Harmonie. (ash) Musik auch. (fis) DER ZEREMONIENMEISTER NIMMT DEN HUT aller Musikalität der Bad Seeds: Als Qualifikation Harvey war von Anfang an der Vernünftige an Caves Seite, zählte nie Virtuosität, son- musikalisch wie organisatorisch der Zeremonienmeister. dern immer Charakter. Ein GOTTGLEICHER ROCKSTAR Er übernahm diese Rolle im Bewusstsein, dass er dies für Bad Seed ist ein selbstbe- einen herausragenden Musiker tat, wie er im selben Inter- wusster Musiker, der auch view erklärte: «Nick wusste immer, was er wollte, auch als ausserhalb der «Band von er auf Drogen war. Es war damals einfach schwer, ihn dazu Nick Cave» Spuren hinter- zu bringen, dass er es dann auch machte.» lassen hat. Nur im Kreis Diese Zusammenarbeit lief solange gut, bis die Rolle des solcher Typen transfor- Spielmachers zunehmend von Harvey an miert sich Nick aus War- überging, der in den 90ern als Geiger zu den Bad Seeds ge- racknabeal in Cave, den stossen war. Was dann geschah, verrät einiges über Caves Rockstar. Umgang mit seinen Bandkollegen. Als Harvey 2009 den Hut nahm, liess er durchblicken, man habe ihn nicht son- ZWEI SÖHNE IN ZWEI WOCHEN derlich nett behandelt, und in musikalischen Frage sei er übergangen worden. Zurück in die 80er-Jahre. Cave seinerseits äusserte kein Bedauern, im Gegenteil. Er 1988 wurde Cave, unter- fand, dass der Abgang von Harvey und seiner Rhythmus- dessen wieder in London, gitarre die Band aus dem Korsett des Rock’n’Roll befreit mit Drogen erwischt und habe. Das stimmt, wenn man «» und vermied eine Haftstrafe nur, «» hört, wirkt aber ziemlich kaltschnäuzig weil er in die Reha ging. vor dem Hintergrund, dass sich die Männer seit der Schul- Danach machte er hochtou- zeit kennen und über 30 Jahr zusammen in Bands spielten. rig weiter. Auf das Album «Tender Prey (1988) folg- KEINE ZEIT FÜR SENTIMENTALITÄTEN te der Debütroman «And the Ass Saw the Angel», So ist Cave wohl. Schon den Ausstieg von Blixa Bargeld, die Bad Seeds spielten Gig nach Harvey sein zweiter Partner in Crime, hatte er 2003 um Gig, meist vor ein paar einfach hingenommen. Erst 2014 sprachen sie im Film Hundert Leuten. Reich und «20 000 Days On Earth» öffentlich über die Trennung. «Es berühmt war Cave noch gab keine menschlichen Konflikte und auch kein musika- lange nicht, aber zumindest lisches Schisma, es ging ums Management», erklärt Blixa. reichte es für ein paar An- «Ich konnte einfach nicht zwei Bands und eine Ehe unter züge, die er nun als Arbeits- einen Hut bringen.» Und das wars dann. kleidung trug. Das Verhältnis zwischen den Bad Seeds ist primär eine Ar- 1990 zog Cave nach Bra- beitsbeziehung. Für Sentimentalität bleibt kaum Zeit, auch silien zu Viviane Carneiro. wenn Cave gern seine Wertschätzung betont: «Ich könn- Ein Jahr später wurde er te auch mit anderen Leuten arbeiten, aber es würde dabei gleich zweimal Vater. Das nicht annähernd so spannende Musik herauskommen. Das hat vor allem mit den Persönlichkeiten zu tun.» Denn bei bitte umblättern

The Good Son (1990) Henry’s Dream Let Love In (1994) The Boatman’s Call (1992) (1996) (1997) So klingt der Künstler, «?» um- wenn er glücklich ist. Cave Cave mag «Henry» nicht. schliesst diese pompös Das muss man auch erst Die Ehe geschrottet. Die ist nach Brasilien ausge- Inspiriert von Strassenmu- inszenierte Platte in zwei mal hinkriegen: Ein Al- viermonatige Affäre mit PJ wandert und verliebt. Die sikern in Sao Paulo wollte Versionen: als potenter Ab- bum ausschliesslich über Harvey implodiert. Trotz Musik rutscht erstmals in er einen harten, aus akus- gesang auf eine Liebe, die Tod und Totmachen, das Rehab ein Drogenproblem. eine epische Richtung und tischen Gitarren geschlage- erst erblüht, und als samt- massentauglich ist. Es mag Um Nick Cave ist es 1997 ist nun mit Pianoakkorden nen Sound. Doch das Label verhangene Missbrauch- daran liegen, dass die lite- rabenschwarz. Er hadert unterfüttert, aber weiterhin drängte ihm David Briggs serinnerung. «Red Right rarisch dichten Mörder- mit sich und mit Gott. Das dunkel ausgestaltet. Wir (Neil Young) als Produzen- Hand» verbindet Groove geschichten von bestens giesst er in brüchige Lieder, hören ten auf, der das Material und Grusel, «» gelaunten Bad Seeds so traurige Lieder, klagende (, Gun Club) auf Rock bürstete. «John schmeichelt und droht und fröhlich vertont werden: Lieder, auf dem Klavier be- an der Drittgitarre und Finns’ Wife» und «Jack the wurde von Metallica und Ihre wirbligen Waltzes gleitet. Für die Bad Seeds eine Band, die nun deutlich Ripper» zeigen trotzdem Martin Gore gecovert. In funktionieren in der Tanz- ist das neu: Die Band, die selbstsicherer operiert. Und ihre Klasse, und «Straight «Lay Me Low» steigert sich scheune genauso wie im al- sich gewohnt war, Sound mit «The Weeping Song» To You» bleibt die schöns- Cave in eine grössenwahn- ternativen Jugendzentrum. auf Sound zu schichten, gibt es sogar einen kleinen te Liebeserklärung, die sich sinnige Schilderung seiner Und der Bodycount? In muss plötzlich so viel wie Hit, der sich als Klassiker auf ein Mixtape packen eigenen Beerdigung. (ash) 10 Songs sterben insgesamt möglich weglassen. (tsp) etabliert. (amp) lässt. (ash) 65 Menschen. (tsp)

GOTTGLEICHER ROCKSTAR

Ex-Model Beau Lazenby gebar Jethro, der seinen Vater erst Jahre später kennenlernen sollte. Zehn Tage später brachte Carneiro Luke auf die Welt. Cave heiratete und lebte mit Frau und Kind in Sao Paulo, bis die Ehe Mitte der 90er in die Brüche ging. Cave stürzte sich in eine Affäre mit Polly Jean Harvey, der er bei den Aufnahmen zu «Murder Ballads» nähergekom- men war. hingegen fasste er nur im Video zu «Where the Wild Roses Grow» an. Diese Single machte ihn zum Popstar, doch geniessen konnte er das nicht. Bei «Top of the Pops» verbrachte er mehr Zeit mit der Spritze auf dem Klo als vor den Kameras. Während einer neuerli- chen Drogentherapie schrieb er für «The Boatman’s Call» (1997) seine bis dato persönlichsten Texte, in denen er die Trennungen von Carneiro und Polly Harvey verarbeitete. Als ein Journalist suggerierte, der Titel «» könnte auf Spritzen und Heroin anspielen, bestritt er das entschieden. CLEAN UND PRODUKTIV

Kylie hatte ihn in die Charts gebracht, «Boatman» in die Feuilletons. Cave war nahe an der Figur, die er hatte wer- den wollen. Doch er war immer noch ein Junkie, und um das zu ändern, brauchte es Susie Bick. In «20 000 Days on Earth» erzählt er, wie er als Süchtiger morgens erst einmal zum Gottesdienst ging, bevor er sich Stoff besorgte. Das habe für ihn eine Balance zwischen Gut und Böse gebil- det. Erst Susie, ein ehemaliges Vivienne-Westwood-Model, brachte ihn nachhaltig zum Umschwenken: «Sie sagte: Ich will, dass du mir schwörst, nie wieder zur Kirche zu gehen.» 1999 wurde geheiratet, ein Jahr später kamen die Zwillinge Arthur und Earl auf die Welt. Die Familie zog nach Brigh- ton an die südenglische Küste, und Cave stürzte sich in die Arbeit wie noch nie, schrieb Drehbücher, Filmmusik, seinen zweiten Roman «The Death of Bunny Munro» und grün- dete mit Grinderman eine Zweitband. Und Johnny Cash coverte «The Mercy Seat» und lud ihn zu einem Duett ein.

No More Shall We Nocturama (2003) Abattoir Blues / Dig!!! Lazarus Dig!!! Push the Sky Away Part (2001) The Lyre of Orpheus (2008) (2013) «Nocturama» macht es ei- (2004) Unterschätzt und zu wenig nem schwierig: zu ruhig, zu Ein Jahr nach Grinderman- Nach dem Konzert der Bad beachtet. Cave schreibt sein laut und ein schreckliches Das erste Doppel der Bad Entfesselung war es wiede Seeds auf der samtroten eigenes «Halleluja», das Cover. Das Album ist ein Seeds nach dem Abgang Zeit für ein Bad-Seeds- Bühne des Admiralspalasts nicht so populär wurde wie Aussenseiter. Doch es run- von Blixa Bargeld klingt Album. Der Rock’n’Roll- traf ich in der Bar auf Mr. jenes von Leonard Cohen, det die ruhige Trilogie der wie das Werk von einem, Geist der «Mini Seeds» Cave himself. Ich wollte dafür badet es im einmali- beiden Vorgänger perfekt der im besten Blues-Sinn rüttelt denn auch auf «Dig, ihm sagen, dass ich dank gen Harmoniegesang der ab und blickt gleichzeitig in an der Wegkreuzung Lazarus, Dig!!!» ganz ver- ihm wusste, dass sich der McGarrigle-Schwestern. Bei die Zukunft. Das überlange steht: Himmel oder Hölle? nehmlich. Da ist etwa der Himmel schon zum Gu- «Oh My Lord» fiedelt War- «Baby I’m On Fire» blödelt Schwüler Schmus oder fieb- fantastische Titelsong, der ten verschieben wird. Ich ren Ellis die Band in die Eks- und rumpelt bereits Rich- riger Krach? Hier gibts bei- lustig gemeisselte Textbro- konnte sagen: «Thank you, tase, «God Is in the House» tung «Grinderman» und des, tendenziell aber weni- cken in «We Call Upon I love your album a lot!» zeigt Cave als Satiriker, und eignet sich hervorragend ger Sünde als bis anhin und the Author», Brillantes Zum Abschied winkte er dazu gibt es Lovesongs (al- dazu, eine Bar mit Jukebox mehr heiligen Spirit. Da hat wie «Midnight Man» und mir im Innenhof zwischen len voran «Love Letter») in an den Rand der Verzweif- einer mit Gott Frieden ge- mit «More News from Zügen an der Zigarette Serie, aber keineswegs ab lung zu bringen. Wie es schlossen und zeigt viel Be- Nowhere» ein klassischer zu: «Farewell, have a good Stange. (ash) sich für einen Aussenseiter reitschaft zur Karikatur der Cave-Rausschmeisser. Das life!» Seither ist dieses Al- gehört. (gk) eigenen Obsessionen. (ret) letzte Bad-Seeds-Album mit bum für mich: samtrote Mick Harvey. (bs) Zuversicht. (mis) Der Ritterschlag von einem, den er früher im Fernsehen blicken nach vorn, nächstes bestaunt hatte. Jahr will die Familie nach Die Rolle, die früher Harvey und Bargeld innehatten, über- Los Angeles umziehen. nahm Warren Ellis. Seine Soundvorstellungen prägen die Dieses Jahr tut Nick Cave jüngeren Bad-Seeds-Alben. Und gemeinsam erarbeiteten wieder, was er am bes- sie sich mit Soundtracks wie jenem zum Jesse-James-Film ten kann. Er steht auf der mit Brad Pitt die höheren Weihen als Score-Komponisten. Bühne und peitscht Band und Publikum durchs Pro- ÜBER DIE ERSTE REIHE GEBEUGT gramm. Videoschnipsel der laufenden Tournee zei- Parallel dazu entwickelten sich Nick Cave & The Bad Seeds gen ihn dominant, predi- zu einem Act für die grossen Bühnen. Wer die Band im No- gend, über die ersten Rei- vember in Zürich erleben will, kann das nicht mehr im Volk- hen gelehnt. Das ist seine shaus oder im X-tra tun, sondern muss ins Hallenstadion. Rolle, sein Werk. Im Film Cave ist jetzt ein Star, und zwar nach seinen eigenen Regeln. «20 000 Days on Earth» Er fühle die Liebe zwischen Band und Zuschauern, sagte er sagt Ray Winstone («The 2014 dem «.» Doch bedeute das nicht, dass er Proposition») zu Cave, dass mit dem Publikum eins werden wolle: «Es geht um Domi- er als Schauspieler sich im- nanz. Um Schrecken, etwas Monströses. Jeder Popstar, der mer wieder neu erfinden etwas anderes behauptet, ist ein mieser Lügner.» müsse. Cave erwidert: «Ich Cave dominiert nicht, indem er sein Publikum gleichschaltet. kann mich nicht neu erfin- Er ist ein Performer, der sich über die ersten Reihen beugt. den, und ich will es auch Gerne pickt er sich einzelne Leute heraus, mit Vorliebe Frau- nicht. Einen Rockstar musst en, und zersingt sie, bis sie heulen. Der paradoxe Effekt: du aus der Entfernung er- Auch wenn er Einzelne ansingt, folgen ihm alle Anwesenden kennen. Du musst ihn in ei- gebannt und halten selbst in ruhigen Passagen die Klappe. ner Linie zeichnen können. Es hätte eine Geschichte mit Happy End werden können. Rockstars sind gottgleich, Doch dann starb im Sommer 2015 Caves Sohn Arthur beim auch wenn sie bloss eine Er- Sturz von einer Klippe in . In der Presse hiess es, findung sind.» der 15-Jährige sei auf LSD gewesen. Cave reagierte auf die Als Kind schaute er zu Tragödie mit einer überraschenden Entscheidung. Mit den den gottgleichen Stars auf Medien sprach er nicht, dafür liess er den Film «One More Plattencovern auf. Heute Time With Feeling» drehen, der nicht nur die Aufnahmen erschafft Nick Cave auf zum Album «Skeleton Tree» zeigt, sondern auch Nahan- Alben und Bühnen eine sichten von einer Familie im Schockzustand. Welt, die er regiert. Er ist Dass er mit dem Film die private Tragödie öffentlich ver- ein Rockstar aus eigenem handelte, bedauert er im Rückblick nicht. Vielmehr betont Recht. Einer, der er immer Cave in Interviews, die er diesen Frühling zum Release der sein wollte. Werkschau «Lovely Creatures» gab, die Rückmeldung von Menschen, die ähnliche Verluste erlitten haben, hätten ihm Reto Aschwanden und seiner Familie Trost und Kraft gespendet. Die Caves Live: 14. 11., Hallenstadion, Zürich

Gezeichnetes Leben

Die Biographien türmen sich im Regal. Sie tragen Unter- titel wie «Living high in the dirty business of dreams» (Nick Tosches über Dean Martin) oder selbstredende Titel wie «Born to Run» (Bruce Springsteen über Bruce Springsteen). Auf eng beschriebenen, faktenfülligen Sei- ten wird zwischen den Buchdeckeln Werk und Wirkung dokumentiert, man begegnet den Menschen hinter den Mythen hinter der Musik und liest tagelang – vom Eröff- Skeleton Tree (2016) nungsriff bis zum Schlussakkord. Dass es freilich nicht immer das geschriebene Wort sein Was singt einer, der schon muss, das einem den Weg durch die Vita weist, hat Rein- immer Songs über den Tod hard Kleist Mitte der Nullerjahre mit seinem gezeichne- in all seinen Schattierungen ten Bio-Pic «I See a Darkness» demonstriert, das Johnny geschrieben hat, für Lieder, Cashs vielfach gebrochenen Lebensweg nachzeichnet. wenn der Sohn tödlich ver- Nun hat sich der Berliner Künstler mit Nick Cave einen unglückt? Er singt zunächst weiteren «Man in Black» vorgenommen und dessen Bio- gar keine Songs mehr, son- grafie in Bilder gefasst. Schwarz auf Weiss, mit unver- dern berichtet über dunkel schnörkelten Strichen führt er die Leserschaft durch die gestimmte, von Warren El- Irrungen und Wirrungen, die sich zu einem Leben fügen. lis gefertigte Soundscapes Wir treffen auf , Bauhaus, die Einstürzenden vom Unfassbaren. Was Neubauten, Kylie Minogue und Anita Lane, während bleibt, ist unermessliche die Szenerie immer wieder mal wechselt: London, Berlin, Trauer – und um Trost Brasilien, Kälte, Frauen, Phobien. Dabei geht Kleist strikt ringende Trauersongs wie assoziativ vor und verlässt bisweilen die Lebensdaten, um «Distant Sky». (bs) sich in den Liedern zu versenken. So gelingt ihm ein bild- gewaltiger Tanz – nicht zur Musik der Zeit, sondern zum Wahnsinn einer ganzen Epoche. (amp) Die Alben werden in der Schweiz von Limmat Records vertrieben. Reinhard Kleist: «Nick Cave – Mercy on Me», Carlsen-Verlag, 328 Seiten SZENE SILBER UND GOLD APOKALYPSE MUSS SEIN

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SEPTEMBER 2017

DAVID LYNCH EINE ANTHOLOGIE DES GEI STERFILM S

xenix.ch APOKALYPSE MUSS SEIN Seit 1988 ist Nick Cave auch als Schrift- steller tätig – zuletzt veröffentlichte er seine Kollektion «The Sick Bag Song». Zu seinem schreiberischen Oeuvre zählen insbesondere zwei Romane, durch die wir uns gelesen haben.

Klappentexte sind in der Regel nüchtern verfasst, dafür fo- kussieren sie aufs Wesentliche. So auch bei Nick Cave: Er sei ein Songwriter, Musiker und Autor von Romanen sowie Drehbüchern. Das besagt zumindest der PR-Text auf dem Umschlag von «The Sick Bag Song». Die 2015 erschienene Kollektion umfasst Gedanken und (eingebildete) Erinne- rungen – etwa zu seiner Frau, die nicht ans Telefon geht, zu Bryan Ferrys Pool oder zu Caves «carrion songs», die ihm zufolge «ausschliesslich von Düsterheit, Verschleierung, Geheimhaltung und Verschwiegenheit handeln». Festge- halten hat er das Ganze im Flugzeug und auf den Kotz- tüten, die ihm im Verlaufe einer 22-tägigen Nordamerika- Tournee in die Finger geraten sind. Zu den Vielschreibern von Prosa gehört der Australier in Brighton (wo Nick Cave und seine Familie schon seit nicht. Sein erstes Buch, «King Ink» (1988), fühlte sich geraumer Zeit wohnen). Die Handlung eskaliert, als Mun- denn auch wie eine im Rausch zusammengestellte Samm- ros Frau Suizid begeht. Worauf die Tonalität des Werkes lung aus Lyrics und Texten an, teils in Zusammenarbeit zunehmend ins Albtraumhafte kippt. Bunny Munro, ein mit Lydia Lunch. Im Folgejahr veröffentlichte er dann sein Antiheld sondergleichen, fährt die englische Küste hinauf Romandebüt «And the Ass Saw the Angel», dessen Titel und hinunter und versucht, möglichst alle Frauen, die ihm dem Buch Mose entstammt. Das 2003 wieder neu aufge- die Türe öffnen, ins Bett zu bekommen. Gelingt es ihm, legte, überarbeitete, gekürzte und teils sogar neu geglieder- geniesst er nicht etwa die Dame vor sich, sondern denkt an te Werk basiert auf einem unverfilmten Drehbuch Caves Popsängerin Avril Lavigne oder alternativ an Kylie Mino- namens «Swampland». Hauptprotagonist Euchrid Euc- gue. Textpassagen, über welche die beiden Musikerinnen row, ungeliebter, vernachlässigter und stummer Sohn eines nicht sonderlich erfreut gewesen sein dürften. Weshalb der sadistischen Trappers und einer Alkoholikerin, wächst im Autor sich bei seinen Danksagungen bereits vorab bei ih- ebenso sumpfigen wie abgeschiedenen Süden der USA auf, nen entschuldigte: «I would like to thank Kylie Minogue wo religiöse Eiferer und Inzest regieren. Angereichert wird and Avril Lavigne, with love, respect and apologies.» diese Szenerie mit viel 1940er-Jahre-Kolorit, allerlei Sün- Während Caves Erstling noch an den Stil William Faulk- dern, Schwarzbrennern, Idioten und Betrügern. ners denken liess, ist der aus allwissender Perspektive ge- Als die lokale Zuckerrohrindustrie unter anhaltendem Re- schriebene Romannachfolger deutlich näher am Oeuvre gen kollabiert und dem Leser bereits Böses schwant, zieht von John Updike, allerdings mit mehr Hang zum Kaputten. sich Euchrid in die Sümpfe zurück. Worauf endgültig alles Was die beiden Romane von Cave verbindet, ist das Gefühl den Bach heruntergeht: Sein Vater tötet die Mutter, und der unmittelbar bevorstehenden Apokalypse. Im Zweit- der Priester stachelt seine Schäfchen zur Gewalt an. Gejagt ling droht diese in Form eines Subplots, bei dem ein Mas- werden soll nicht zuletzt Euchrid. Dessen Schöpfer, Cave, senmörder zugange ist und zusehends näher an Brighton löst die Geschichte mancherorts nicht auf, weshalb man rückt. Man ahnt: Selbst Bunny Munro Junior, dem neun- vieles eher erahnt als erfährt – falls überhaupt. Dennoch jährigen Sohn des Titelcharakters, wird es nicht gelingen, reisst die Wortgewalt des Künstlers mit. By the way: Der diesen vor seinem Schicksal zu bewahren. Obschon sich mit zahlreichen Prophezeiungen und Bibelzitaten gespickte der hellsichtige Nachwuchs ständig darum bemüht, den Roman dreht sich mit viel Furor insbesondere darum, wie Vater bei Verstand und Menschlichkeit zu halten. grausam der Mensch die Menschen behandelt. Und wer «The Death of Bunny Munro» ist markant zugänglicher als sich mit den frühen Schaffen von Nick Cave and the Bad «And the Ass Saw the Angel». Das Werk – das unter ande- Seeds auskennt, begegnet in «And the Ass Saw the Angel» rem auch als Audiobook mit einem Soundtrack von Nick diversen Liedmotiven aus «» oder Cave und Warren Ellis auf den Markt gelangte – zeichnet «The Firstborn Is Dead». sich nicht zuletzt durch den kreativen Umgang des Schrift- stellers mit fixen Vorstellungen aus. Dass sich das Leben al- EIFER UND WIDERSPRUCH leine mit Wissenschaft erklären lässt, dagegen kämpft Nick Cave an. Nicht immer mit überzeugenden Argumenten, 1997 publizierte Cave «King Ink II», das wiederum Lied- aber mit Eifer und intelligentem Widerspruch. texte, aber auch ein Essay fürs Radio sowie Gedichte ent- hält. Zwölf Jahre später brachte er mit «The Death of Bun- Michael Gasser ny Munro» endlich einen zweiten Roman heraus. In dessen Mittelpunkt steht Bunny Munro, ein in die Jahre gekom- Nick Cave: «And the Ass Saw the Angel» (1989), Harper Collins, 320 Seiten. mener Schürzenjäger und Vertreter von Schönheitsproduk- «The Death of Bunny Munro» (2009), Canongate Books, 304 Seiten. ten. Die Geschichte spielt kurz nach der Jahrtausendwende «The Sick Bag Song» (2015), Canongate Books, 117 Seiten. ORDNUNG IM CHAOS In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich unser London-Korrespondent immer wieder mit Nick Cave zum Interview getroffen. Erinnerungen an einen Mann im Wandel.

Ich befürchte sehr, dass es nicht ganz den rechten Ton treffen würde, wenn ich nun sagte, Nick Cave hätte mein schreiberisches Leben begleitet wie ein treuer alter Hund. Aber es ist schon so. Vom ersten Tag an, seit ich meine Bat- zen an der Schreibmaschine verdiente, stand immer dieser dürre, schwarze Wolfshund hinter mir und hat mir über

Grinderman Grinderman die Schultern geguckt. So erinnere ich mich glockenklar Grinderman daran, wie ich bei meinem allerersten Live-Auftritt in der (Mute) (Mute) Radiosendung «Sounds!» – damals noch in Basel – Nicks allererste Solo-Single im Gepäck hatte, nämlich seine be- Nach der hart erarbeiteten Wie beim ersten Grinder- schwingte Version von «In the Ghetto», in die Hitpara- musikalischen Horizon- man-Album sei man ohne den getragen von Elvis. Das war im Frühling 1984. Später terweiterung mit «Abat- irgendwelche Vorarbeit dann, als Cave zurück aus Berlin war, schwirrten immer toir Blues / The Lyre of oder gar Konzept ins Studio wieder Leute durch meinen Orbit, die mit ihm zu tun hat- Orpheus» hatte Cave Lust gegangen und habe einfach ten. Bleddyn Butcher zum Beispiel, der Fotograf, der 1980 darauf, mal wieder so rich- fünf Tage lang improvisiert, aus Australien nach London gezogen war und Cave da- tig Rock’n’Roll-Dampf ab- sagte Cave damals. Sogar nach in den unterschiedlichsten Umgebungen abgelichtet zulassen. Er liess die Bad die Texte waren improvi- hat (vor zwei Jahren erschien von ihm ein exquisites Buch: Seeds auf den Kern von siert – ganz im Gegensatz zu «A Little History: Photographs of Nick Cave and Cohorts, Warren Ellis/Martyn Casey/ den Lyrics, die Cave für die 1981 – 2013»). Oder eine Freundin, die in der Nähe der schrump- Bad Seeds in langen 9-to- Portobello Road wohnte und sich jeden Tag im portugiesi- fen und komponierte für 5-Sessions im Büro schnei- schen Café in der Golborne Road einen Kaffee und ein Pas- einmal nicht am Klavier, dert. Man habe die musika- tel de Nata gönnte. Dasselbe tat auch Cave, täglich, und so sondern an der Gitarre ein lischen Qualitäten der Band war die Freundin jederzeit in der Lage, Auskunft zu geben paar prächtig schmutzige, vermehrt in den Vorder- über die Verfassung des Meisters. Oder die deutsche Jour- zornige oder einfach zotige grund rücken wollen, sagte nalistin, die damals in London lebte und von Interviews Lieder, bei denen es nur so Cave weiter, darum singe berichtete, die in düsteren Klausen stattfanden und so tief sprühte vor satanischer Lust er weniger laut als auch in den Gruben des existenziellen Infernos wühlten, dass sie am minimalistischen, blue- schon. Tatsächlich klingen befürchtete, nie mehr ans Tageslicht zurückzufinden. sigen Sich-Gehen-Lassen. die Arrangements, als ob Cave lässt das Gitarrenfeed- vor allem Warren Ellis und DIE LÄNGSTE ANTWORT back so richtig schön heu- seine Geige länger daran len, Ellis steuert verfremdete herumgefeilt hätten. Jeden- Meine erste Begegnung mit Nick Cave fand im März 1994 Geigen, Bouzoukis und der- falls ist es wiederum eine statt. Es ging um «Let Love In», ein Album, das mit «Do gleichen Perversitäten mehr hochoktanige Kombination You Love Me» und «» (beide Singles schaff- bei, eine schrecklich billige von Witz, Abenteuergeist ten es in den englischen Charts auf Platz 68!) zwei feiste frühe elektronische Orgel und starken Songs. Man Evergreens enthielt. Ich erinnere mich an ein zappenduste- ist auch dabei. Ungestüm habe das Gefäss «Grinder- res Zimmer im Gore Hotel gleich hinter der Royal Albert fast wie zu den Zeiten von man» vorerst geleert, hiess Hall. Ebenso glaube ich mich an lange Phasen des Schwei- Birthday Party, nur halt mit es danach. Aber «Grinder- gens und stille Wortklaubereien zu erinnern. Aber ein Blick mehr Feingefühl für Dyna- man 3» in zehn Jahren sei ins Transkript zeigt, dass die Erinnerung mir einen Streich mik und Humor. Gross. durchaus möglich. spielt. Das Protokoll umfasst zehn vollgetippte A4-Seiten. Die Antwort auf die Frage, wie er sich bei den Aufnahmen hpk. hpk. für das Album davor, «Henry’s Dream», dermassen vom gefegt. Ich machte reinen Tisch. Es wäre mir richtig peinlich, zu «Grinderman» Fragen zu stellen, sagte ich, ORDNUNG IM CHAOS denn im Schatten dieser ja auch humorigen Musik würden Worte einfach nur lächerlich wirken. Die Band guckte mich ratlos an, Cave machte einen bösen Spruch – aber dann taute man auf, machte Witze über Quer- flöten und interviewte sich gegenseitig: «Warum spie- len sie ausgerechnet Bass?», fragte Cave Martyn Casey – und es war offenbar wirk- lich eine Frage, die selbst in der Band noch nie jemand gestellt hatte. KEINE TABUS

Januar 2008, «Dig, Laza- rus, Dig!!!». Die Gespräche mit Cave sind inzwischen entspannt geworden. Be- sonnen, dann und wann mit Haken und Ösen durchsetzt, aber selbst im Zusammenhang mit den alltäglichsten Nebensäch- lichkeiten immer noch interessant. Tabus gibt es grinderman keine. Wie sein früherer Drogenkonsum seine Muse Produzenten hatte einschüchtern lassen, dass schliesslich ich hasse: Unterdrückung. Einschüchterung. Verlogenheit. beeinflusst habe, fragte ich. niemand happy war mit den Resultaten, nimmt mehr als Und Auberginen.» «Sie sind ein Rockpoet…», hob einer «Ich nahm Drogen aus ei- eine Seite in Anspruch. «Das ist vermutlich die längste Ant- an. «Dem widerspreche ich», entgegnete Cave. «Ich schrei- nem bestimmten Grund», wort, die ich je in einem Interview gegeben habe», meinte be Songtexte.» sagte Cave. «Ich konsu- Cave abschliessend. «Normalerweise sage ich nur: ja, nein, Juli 2004, «Abattoir Blues/The Lyre of Orpheus». Im Zug mierte Heroin mit der Ab- nein, nein, fuck off, shut up, piss off, goodbye.» Er könne nach Brighton hatte ich das Album nochmals angehört, sicht, meinem Leben eine nur in einer Umgebung arbeiten, in der er sich wohl fühle: und – ich gestehe – es waren mir die Tränen gekommen, Ordnung zu geben. Die «Zum Schreiben begebe ich mich in mein zweites ‹Büro›, ein so berührend fand ich die Musik. Wir trafen uns in Nicks Ereignisse, die den Tag be- Pub in der Portobello Road. Es hat Leute, ist lärmig, Musik Büro. «Der Song ‹Lyre of Orpheus› handelte am Anfang gleiten, nehmen eine Regel- läuft. In einer solchen Umgebung kann ich entspannen. Da davon, wie Warren sich eine Mandoline und eine Bouzouki mässigkeit an. Eine Sucht fliessen die Einfälle. Nicht wie in einem sterilen Büro.» kaufte und damit Steine zum Heulen brachte…», erklär- wird nicht umsonst auch te Cave, «…oder was immer dieser Orpheus getan haben ‹habit› genannt. Als ich mit HEULENDE STEINE soll.» Heutzutage sei er ein Krampfer («plodder»), erzählte den Drogen aufhörte, war er weiter. Täglich gehe er ins Büro, setze einen Schritt vor ich in der Lage, die Dro- Bis zur nächsten Begegnung verstrichen sieben Jahre. März den anderen, und so entstehe Song um Song. gengewohnheiten durch 2001, «». Man traf sich in einem andere Gewohnheiten zu Hotel, teilte sich das Interview mit fünf anderen Herren RATLOS IN WESTLONDON ersetzen. Mein geordneter aus dem restlichen Europa. Man wurde in ein getäfertes Tagesablauf, der Gang ins Sitzungszimmer geführt, wo sich die versammelten Herren Grinderman. Die ganze Band war im Party-Zimmer eines Büro, die Fixpunkte, haben emsig einrichteten. Der Kollege vom germanischen Feuil- Pubs neben dem grandiosen Friedhof in Kensal Rise in ihren Ursprung im gleichen leton war unglücklich. Er hielt wenig von der Cave’schen Westlondon versammelt. Tagelang hatte ich mich mit die- Bedürfnis wie damals die Muse: «Wie ich die stupide Pomposität von sowas hasse!», sem monumentalen Werk beschäftigt. Ich war dagesessen in Drogen. Ordnung ins Cha- meckerte er. Gruppen-Interviews werfen selten befriedigen- meinem Büro mit Papier und Bleistift und hatte darauf ge- os zu bringen.» de Resultate ab. Jeder Teilnehmer hat andere Vorstellungen wartet, dass mir Fragen dazu einfielen. Aber jede Frage, die Seither habe ich Cave noch von einem gelungenen Interview. «Der Begriff ‹subversive aufblitzte, wurde von der Musik gleich wieder vernichtet. zweimal getroffen: einmal Musik›, bedeutet er etwas für sie?», fragte der österreichi- Diese Musik liess keine Fragen zu. Andersherum: Jede Fra- beim zweiten Grinderman- sche Kollege. «Was soll das genau heissen?», fragte Cave ge klang überflüssig, absurd oder einfach doof. Ich machte Album im Juli 2010, ein zurück. «Ich begegnete der Beschreibung oft in Rezen- einen Spaziergang durch den Queens Park, es fiel mir immer weiteres Mal im Januar sionen», sagte der Österreicher, «grosse Worte wie ‹sub- noch nichts ein. Am relevanten Morgen musste ich vorher 2013 im Zusammenhang versive Ästhetik›.» «Was – im Zusammenhang mit mir?» noch Air interviewen. Ich hatte keinerlei Probleme, mir zu von «Push the Sky Away». «Genau. Und es fällt Ihnen dazu nichts ein?» «Nicht wirk- ihrer banalen Plätschermusik allerhand belanglose Fragen Beides waren inspirieren- lich. Nein.» Im Januar 2003 sassen wir uns schon wieder einfallen zu lassen. Per Taxi fuhr ich zum Pub, setzte mich de Begegnungen. Aber das gegenüber, wieder in einer Gruppe. «Nocturama». «Wel- nochmals eine Stunde mit Discman und Schreibzeug hin. Zitat mit dem Chaos und che Dinge lieben sie?», wollte einer wissen. «Das kann ich Aber als mich die Plattenfirma abholte, war der Zettel so der Ordnung ist doch der ihnen gern sagen», sagte Cave. «Ich liebe Kieselstrände. leer wie vorher. Nun muss man sagen, dass Grinderman perfekte Schlusspunkt für Kew Gardens. Frühling in London. Wohlgepflegten Rasen. als Meute ziemlich furchteinflössend sein können (wie üb- diese Reminiszenzen, oder? Quaimauern. Alle jungen Tiere. Pinguine. Sonnenschein. rigens auch die Bad Seeds). Fünf Minuten lang versuchte Den Wind. Jede Art von Blumen. Und ein paar Dinge, die ich es mit Grundsatzfragen, dann war mein Gehirn leer- Hanspeter Künzler KT_ZG_07_2017_ZentralCH_Atelier_NY_85x90_ZentralCH_Ati_NY_85x90 14.08.17 13:46 Seite 1

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klippklang.ch [email protected] ELVIS' TOTER ZWILLING In seinem Song «Tupelo» beschwört Nick Cave den Tornado von 1936, der innert drei Minuten Elvis Presleys Heimatstadt vernichtete. Und er beschwört Elvis’ Geburt.

Abgemacht hatten wir im Hansa-Studio am Potsdamerplatz bei der Mauer, früher ein Tanzsaal der Nazis, seither ein in- tensiv genutztes Studio. David Bowie nahm darin einen Teil seiner Berliner Trilogie auf, aber auch Gruppen wie , U2, REM, Nina Hagen und viele andere flogen nach Berlin, um im Hansa-Studio aufzunehmen. Es war der 21. Juli 1986, ein wolkenverhangener Tag. Neben dem Studio standen noch Ruinen aus dem Krieg, und die Mauer zer- schnitt einen Platz, der sich seit dem Mauerfall zu einem Konsumzentrum entwickelt hat. Abgemacht war im Studio, aber Nick Cave war nicht da. Ein Unterhändler der Plattenfirma erreichte ihn und gab mir den Hörer, und Cave fragte: «Do you have any drugs?» Ich hatte keine. Und dachte, das fängt ja gut an. Er komme, sag- te er noch, und hängte auf. Damals stand Cave unter Heroin. Drei Jahre vorher hatte der lange, dünner Australier die Birthday Party aufgelöst, die er in Australien gegründet hatte, war zuerst nach London und dann nach Berlin gezogen, wo er sich mit Blixa Bar- geld von den Einstürzenden Neubauten und anderen zusam- mentat, darunter dem Zürcher Schlagzeug . Und damit begann, die Musik von Leonard Cohen, Hank Williams, Ennio Morricone, und zu erforschen. Er nahm nacheinander zwei Alben auf, die sich mit den Konventionen des Genres auseinandersetzten: «From Her to Eternity» von 1984 sowie, ein Jahr später, «The Firstborn Is Dead». Klang die erste Platte noch wüst genug, um dem Hässlichkeitsgebot des Punk zu genügen, löste Letztere Verwirrung aus. Cave, bemerkten die Fans mit Schrecken, hatte sich dem Blues verschrieben. Dabei ist «The Firstborn Is Dead» keine Bluesplatte, sondern eine Platte über den Blues; eine Etüde über Unerreichtes. Cave singt den Blues nicht, er vollzieht ihn nach. Wie er dabei vorgeht, hatte ich im Sepember 1985 im Zür- cher Volkshaus erlebt. Die Musiker stiegen mit der üblichen Verspätung auf die Bühne, stimmten ihre Instrumente nach, hantierten an den Verstärkern, um dann unvermittelt mit «Tupelo» einzusetzen, dem ersten Song von «The Firstborn Is Dead», ihrer damals neuen Platte. Der Bass legte das Mo- tiv fest, ein monotones Riff im Zweivierteltakt, vom Schlag- zeuger unterstützt, der aber immer wieder ausbrach, sich auf den Tom-Toms nach vorne trommelte, dann die Becken explodieren liess, ein Zischen, Grollen und Zurückfallen. Blixa Bargeld sägte an seiner Gitarre. Er stimmte damals alle Saiten gleich, um nicht in Versuchung zu kommen, wie er behauptete, mehr als drei Akkorde zu spielen. Kalkweisses Licht fiel auf die kleine Bühne und auf die Musiker, die zu Boden schauten. Auch der Sänger machte einen getrübten Eindruck. Cave, ein bleicher, dünner Kerl mit schwarzen Strähnen, taumelte vor dem Schlagzeug, liess sich auf die Knie fallen, rappelte sich wieder hoch, stolperte zum Mik- rofon, begann zu singen. «Looka yonder! Looka yonder! Looka yonder! A big black cloud come! O comes to Tupelo. Comes to Tupelo. Yonder on the horizon. Stopped at the mighty river and sucked the damn thing dry.Tupelo. Tupelo. In a valley hides a town called Tupelo.» bitte umblättern ELVIS' TOTER ZWILLING

Die anderen heulten den Refrain und malträtierten ihre In- strumente. Die Menge blieb stumm und schaute regungslos nach vorne. Einige schienen enttäuscht, dass der Sänger nicht bis zum Äussersten ging. Als ich Cave zum Gespräch traf, knapp elf Monate später in der Kantine des Hansa- Studios, sprach ich ihn auf diese Enttäuschung an. Sie war auch ihm aufgefallen.

«I mean I can only say that when I come off stage I don’t feel a great feeling of release in any way. This is something that’s assumed, I think. Like it’s something like an exorcism on stage, that kind of blurting out emotions, like some kind of primal scream therapy. But it’s quite the opposite… And I’m disappointed lots of times because people feel we’re not pushing it far enough, we are holding back or we are worn out, that we’re too old to get it together and pull off a good show. Often onstage I go through a kind of dilemma whe- re I know exactly what the audience actually wants and I know exactly what I have to do to please them; and I know that I can do it if I want to do it, so I have to sacrifice my own person indulging in some kinds of cheap thrills or so.»

In Zürich wurde Nick Caves Verweigerung spürbar; er hielt sich zurück, während das Stück, in seiner monotonen Konsequenz, seinen Lauf nahm. Unmerklich begann die Musik zu greifen, die harten Schläge zu treffen, die Körper sich einzutakten.

«Distant thunder rumble. Rumble hungry like the Beast. The Beast it cometh. Cometh down. Tupelo bound. Tupe- lo.Yeah. Tupelo. The Beast it cometh. Tupelo bound.Why the hen won’t lay no egg. Can’t get that cock to crow.The nag is spooked and crazy. O God help Tupelo. O God help Tupelo.»

Alle schauten auf den Sänger, wie er sich abmühte, mit den Füssen stampfte, den Kopf schüttelte, den Text her- vorstiess, beide Hände um das Mikrophon geschlungen. Es sah aus, als singe es aus ihm heraus. Dabei ist «Tupelo», so wild der Song sich steigert, sorgfältig choreographiert, sei- ne erzählerische Dramaturgie durchkalkuliert. Erzählt wird von einer Katastrophe, deren Ausmass man ahnt, aus dem Grollen des Schlagzeugs heraushört. Ort der Handlung ist die amerikanische Kleinstadt Tupelo im Mississippi-Del- ta, die 1936 von einem Tornado heimgesucht wurde, der runs this deep.No! No sleep runs this deep.Women at their über 250 Tote und Tausende von Verletzten forderte. «A windows. Rain crashing on the pane.Writing in the frost big black cloud come», singt Cave, und: «Distant thunder Tupelo’s shame. Tupelo’s shame.O God help Tupelo! O rumble». Die Sturmfront naht. Nicht aufzuhalten, sugge- God help Tupelo!» riert das Bass-Riff. «The Beast it cometh. Cometh down.» Dazu das Schletzen der Gitarre, ein maschinelles Rütteln. Strassen werden zu Flüssen, kein Weg geht mehr. «No sleep Caves Sprache klingt alttestamentarisch, ihr Gestus be- runs this deep»: Kein Schlaf der Vernunft reicht tief ge- schwörend. Es kommt einem vor, als habe Tupelo die nug, um den Orkan zu reproduzieren, der über Tupelo he- Sintflut verdient. Cave singt, als werde er mitbestraft. Kein reinbricht. Das «O God» klingt wie der Versuch, in einen historischer, ein psychologischer Präsens. Dabei lässt sich Gospel auszubrechen, sich vom strafenden zum neutesta- der Sänger nicht gehen; er versucht, sich fallenzulassen. mentarischen, vergebenden Gott zu retten, das Schicksal Sein Scheitern ist das, was ihn vom Bluessänger unterschei- beschwörenderweise abzuwenden. Zugleich wird Distanz det. Cave: «I have a very difficult time getting lost in the markiert, das Pathos gemildert. Das «Suck the damn thing rhythm, being born on the other side of Africa. I feel about dry» zu Beginn und jetzt der Buddy zielen auf eine Spra- as much natural rhythm like most Australians have, which chebene, die mit dem epischen Ausdruck, dem Bibelsound is absolutely none. So if I appear to be singing against the kontrastieren. rhythm it is because I am unable to sing with the rhythm. Je länger das Gespräch in der Studiokantine dauerte, desto I think most of the characteristic aspects of this band is deutlicher trat hervor, wie sehr Nick Cave von der Bibel due to some kind of incompetence in this area rather than besessen war, er ist es bis heute. Die Konzepte von Verdam- some sort of deliberate attempt at kind of trying badly or mung und Erlösung dominieren sein Werk und in hohem whatever.» Mass seinen ersten Roman «And the Ass Saw the Angel» Das Schicksal von Tupelo nimmt seinen Lauf. Die Mu- von 1988. «I find myself reading the bible checking on sik wird eindringlicher, dabei knapper, Caves Stimme be- some quote», sagte er mir damals, «and ending up three schwörend, atemloser, die Erzählung angestrengt. hours later still looking through. I mean, it has some hyp- notic quality, and that again has very much to do with re- «You can say these streets are rivers. Ya can call these rivers petition. Particularly the Psalms which have some sort of streets.Ya can tell ya self ya dreaming buddy but no sleep pendulum effect.» TUPELO II: toten Bruder. «The Firstborn Is Dead», der Titel von Nick Caves zweitem Album mit den Bad Seeds, weist auf diese Aber da ist noch etwas anderes, das in diesem Stück statt- Totgeburt zurück. Es ist, als sähe Cave sich selbst als die findet. In «Tupelo» erzählt Cave nicht nur vom Schicksal atrophierte, nicht lebensfähige Version Elvis Presleys, als einer Stadt, er reflektiert auch über die Geschichte seiner eine Rock’n’Roll-Totgeburt. Und weil er nicht irre werden Musik. Schon der erste Ausruf, das «Looka Yonder!», kann an seiner Ekstase, muss er sie sprachlich simulieren. spielt auf ein Stück des Countryblues-Gitarristen Leadbelly Elvis und seine Eltern lebten im Osten von Tupelo, auf der an. Auch der Titel hat Verweisungscharakter. Nick Caves anderen Seite des Highways, an einer Strasse, die damals «Tupelo» spielt auf den gleichnamigen Talking Blues von ungeteert war und namenlos. Es war eine arme, gefährliche John Lee Hooker an, dem schwarzen Bluessänger aus Clar- Gegend, von mittellosen Weissen behaust, White Trash. ksdale, Mississippi. Hooker ist als Sänger und Gitarrist auf Das Haus erweist sich als Holzhütte mit zwei gleich gros- Intensität aus und an Variation nur insofern interessiert, als sen Zimmern und drei in einer Linie angeordneten Türen, sie die Intensität erhöht. «I think John Lee Hooker is the vierzig Quadratmeter gross, ohne Strom und Wasser, die least respected of all the blues musicians», sagt Cave über Amerikaner nennen es shotgun shack, weil man durch die ihn. Und, in der für Interviews so typischen Übertreibung: Hütte schiessen kann, ohne etwas zu treffen. Tisch und «As far as I’m concerned he is really where blues begins Stühle, der Ofen, das gusseiserne Bett, die Tapeten, das Ge- and ends. He’s God to me in a way. If God was black, His schirr, alles ist noch da. Presleys Vater hatte das Haus mit name would be John Lee Hooker.» seinem Bruder für 180 Dollar gebaut. Hier wurde Elvis von Hooker sei «der afrikanischste aller Bluesinterpreten», hat seiner Mutter gehätschelt, während sein Vater herumstrich, der Anthropologe Jacques Demêtre bemerkt. Jedenfalls hat fälschte und stahl, um seine Familie zu ernähren. Als ihm er den Blues bis an den Rand der Selbstauflösung getrie- die Haft drohte, zogen die Presleys nach Memphis, wo El- ben, ihn auf das stompin’ seines linken Fusses reduziert, vis als 19-Jähriger im Sun Studio seine Karriere begann – auf die schweren Schläge seiner elektrischen Gibson 335, ein verwöhnter, aber armer Bub aus dem Süden, cholerisch auf seinen hypnotisch vibrierenden, beinahe lautmaleri- und unterwürfig, als Sänger und Musiker bald brillant, schen Sprechgesang. «He’s just sitting there sort of tapping dann wieder filmsoundtrackmässig seicht. «It was bad mu- away», sagt Cave, «hitting chords incredibly painful … It sic and movies that, as much as drugs, ultimately destroyed really shivers you up.» him», vermutet der schwarze Billboard-Kolummnist Nel- son George. Der Musikkritiker Greil Marcus doppelt nach: TUPELO III: ELVIS PRESELY «Elvis is a central figure for what America is all about – not because of the records he made but because these records Und da ist nochmal was anderes. John Lee Hookers Versi- were so incredibly good and so incredibly bad.» on von «Tupelo», eine Konzertaufnahme, entstand 1977. Cave scheint nicht an Soziologie und noch viel weniger Also in einem entscheidenden Jahr der Rockgeschichte. an Psychologie interessiert. Ihn beschäftigt die Unverein- Nicht nur, weil der Punk ausbrach. Sondern weil eine Ära barkeit von Trieb und Gewissen. Darauf bezieht sich sein endete. Hooker weist in der Ansage darauf hin: «This song «Saturday gives what Sunday steals». Samstagabend und I’m dedicating to a really good friend of mine who now Sonntagmorgen, ein oft beschworener Gegensatz, vollen- passed on, one of the greatest, one of the greatest entertai- det ausgedrückt in T-Bone Walkers «Stormy Monday» mit ners – he was the King. This song called ‹Tupelo› – that was den Zeilen «The eagle flies on Friday / And Saturday I go his hometown. To Mr. Elvis Presley who now passed on. out to play / Sunday I go to church / And I kneel down and That was his favourite. I hope, wherever he is, he’s resting pray». in peace.» Samstags an der Bar, Sonntags in der Bank. Liebe am Damit ist die dritte Ebene von Nick Caves «Tupelo» ge- Abend, Reue am Morgen. An dieser Metapher lässt sich die nannt: die Beschwörung der Geburt des Rock’n’Roll, sym- schwarze Versöhnung von Spiritualität und Sexualität be- bolisiert in der Geburt Elvis Presleys, der die Legierung aus schreiben. Bei Nick Cave findet die Versöhnung nicht statt; Blues und Country, schwarz und weiss nicht nur vollzog was der heidnische Samstagabend gegeben hat, nimmt der – das hatten schon andere getan –, sondern damit berühmt Sonntag, nimmt das Christentum wieder weg. Deshalb wurde. Darauf baut Nick Cave seine Schilderung auf. Er bleibt auch das «you will reap just what you sow» mehr- kombiniert den todbringenden Tornado, den Elvis als Erst- deutig, da es sich auf die zerstörte Stadt, den Erstgeborenen jähriger erlebte, mit dem Blues von John Lee Hooker und wie auch auf den Rock’n’Roll-König bezieht. Mehrdeutig dem Rock’n’Roll von Elvis Presley und einer existentiel- auch, weil nicht klar wird, worauf das Ernten hier anspielt; len Schuld als Lebensgefühl. Cave beschreibt die königli- ob Cave jetzt meint, der Rock’n’Roll sei Ausdruck einer che Geburt natürlich anders als der Bluesmann; wortreich, existenziellen Schuld, oder ob der Rock’n’Roll einen aus überhöht und mit einer aufschlussreichen Ergänzung. Der dieser Schuld befreien kann. Möglicherweise beides. Befrei- Text endet bei ihm so: ung ist nicht schöner, aber aufregender als Freiheit.

«No fish can swim until the King is born! Until the King Jean-Martin Büttner is born! In Tupelo! Tupelo! The King is born in Tupelo! In a clapboard shack with a roof of tin. Where the rain came Der Text ist eine überarbeitete Passage aus dem Buch «Sänger, Songs und down and leaked within. A young mother frozen on a con- triebhafte Rede. Rock als Erzählweise» (Frankfurt/Main: Stroehmfeld, 1997) crete floor. With a bottle and a box and a cradle of straw. Tupelo! O Tupelo! With a bundle and a box and a cradle of elvis presleys geburtshaus straw. Well Saturday gives what Sunday steals. And a child is born on his brother’s heels. Sunday morn the firstborn dead. In a shoebox tied with a ribbon of red. Tupelo! Hey Tupelo! In a shoebox tied with a ribbon of red. O mama rock you lil one slow.»

«Sunday morn the firstborn dead»: Der Hinweis, im Plat- tentitel zum Motiv erhoben, ist historisch belegt; Elvis Pres- leys älterer Zwillingsbruder Jesse Garon starb bei der Ge- burt. Der Mythos besagt, dass die Seele des toten Zwillings in den Überlebenden eingeht, mit der Folge, dass dieser ein Leben lang mit einer ausgeprägten Wesensdualität zu kämpfen hatte, er führte auch innere Monologe mit seinem SZENE

LIVE SALZHAUS 14 Indie-Rock SOLD PORTUGAL. USA OUT 09 THE MAN

Indie-Pop 05 FROM KID CH 10

Indie-Rock 07 SHOUT OUT 10 LOUDS SWE

Experimental-Rock 19 SWANS USA 10 DER ROLLENSPIELER WER IST NICK CAVE? der zeitgleich mit dem neu- Nick Cave liebt die grosse Leinwand – en Album «Skeleton Tree» Auch als Schauspieler ist Nick Cave in seinem Element. erschienen ist, thematisiert und nutzte das Kino zuletzt als Ort der Sein komödiantisches Talent bewies er in der Rolle als mu- den Tod von Caves 15-jäh- sikalischer Mentor von Brad Pitt in «Johnny Suede» (1991) rigem Sohn Arthur. Der ganz persönlichen Trauer. von Tom DiCillo. Er gibt Freak Storm, einen abgehalfter- Film ist letztlich ein Ver- ten Sänger, einen Albino mit weisser Elvis-Tolle. such des Selbstschutzes vor In Berlin gehen Engel um, und sie können die Gedanken Auch «20 000 Days on Earth» ist eigentlich ein Spielfilm der aufsässigen Presse, eine der Menschen hören. In einem stilvoll-abgerockten Kon- mit einem auf den ersten Blick narzisstischen Hauptdar- Vorkehrung, um nicht mit zertlokal steht ein bleicher Sänger mit Augenringen, nacht- steller. Das bildschöne und grandios manipulative Mo- Journalisten über die Trau- schwarzen Haaren und blutrotem Hemd auf der Bühne ckumentary gibt vor, einen Tag – den 20 0000. – im Leben er, Schuldgefühle, Leere und und beendet gerade ein windschiefes Lied über einen Jahr- des Rockstars wieder zu geben. Und niemand spielt Nick Hilflosigkeit sprechen zu markt. «Noch ein Lied und es ist vorbei», denkt er, als er Cave besser als Nick Cave: Vom ersten eitlen Betrachten im müssen. nach dem Applaus wieder vors Publikum tritt. Die Szene in Spiegel nach dem Aufwachen, dem inspirierten Schreiben Es ist herzzerreissend, wenn Wim Wenders «Der Himmel über Berlin» (1987) ist Nick von Songs (natürlich stilecht an der Schreibmaschine) bis im Abspann Marianne Caves erster Auftritt in einem Film. zur entblössenden Sitzung mit seinem Therapeuten. Weder Faithfuls «Deep Water» zu Fast 30 Jahre später sieht man ihn wieder auf der Bühne Warren Ellis’ traumhaftes Haus am Meer noch das Nick hören ist, gesungen vom stehen, dieses Mal im Opera House. «I’m trans- Cave Memorial Museum sind real: Die Orte und Szenari- verstorbenen Arthur und forming, look at me now», singt er, die Haare mittlerweile en stammen aus der Feder des Regiepaares und von Cave seinem Zwillingsbruder schwarz gefärbt, die Band gesetzter. Die Konzertsequenz selbst. Da erscheinen Weggefährten wie Kylie Minogue Earl. Der intime Film, den stammt aus dem Quasi-Dokumentarfilm «20 000 Days on oder Blixa Bargeld plötzlich wie von Zauberhand auf dem Cave bei Dominik in Auf- Earth» (2014) des britischen Künstlerpaares Iain Forsyth Rücksitz von Caves Auto, und die erste Begegnung mit trag gegeben hat, handelt und Jane Pollard, der dem leidenschaftlichen Rollenspieler seiner Frau Susie beschreibt der Sänger einer Erleuchtung aber nicht nur von der Trau- Nick Cave eine grandiose Steilvorlage liefert. gleich. er und dem Leben nach der Cave liebt die grosse Leinwand, das Dramatische prägt sein Was ist Wahrheit, was Mythos, was Fiktion? Wer ist Nick Katastrophe – der Regisseur Songwriting, manche Plattencover ähneln Filmstills («Let Cave wirklich? Was ist nur die Figur Nick Cave? Mit die- meinte in einem Interview Love In», «The Boatman’s Call») oder sind Hommagen sen Fragen spielt der Film auf unterhaltsame Weise, und die mit dem «Guardian», er ans Kino («Henry’s Dream»). Mit dem australischen Re- Selbstironie des Protagonisten durchbricht dabei oftmals habe unbedingt verhin- gisseur verbindet Cave eine enge künstleri- die Eitelkeit. dern wollen «grief porn» sche Partnerschaft. Zusammen mit Bad Seed Warren Ellis zu drehen. Er handelt vor schrieb er die Musik für «The Proposition»(2005), «The SELBSTSCHUTZ UND SCHMERZ allem auch davon, was der Road»(2009) und «Lawless»(2012). Bei Hillcoats Erst- Schmerz mit der Kreativität ling «Ghosts… of the Civil Dead» von 1988 schrieb er am Ganz selten schimmert diese Selbstironie auch im Doku- macht. Musik zu machen, Drehbuch mit und spielte einen psychotischen Gefängnis- mentarfilm «One More Time with Feeling» (2016) von An- Lieder zu schreiben, ist für insassen. Zu den letzten Arbeiten von Ellis und Cave gehö- drew Dominik durch, für dessen «The Assassination of Jesse Nick Cave die einzige Mög- ren der Score für den Neo-Western «Hell or High Water» James by the Coward Robert Ford» (2007) Cave die Musik lichkeit, um zu überleben. (2016) von David Mackenzie und den Netflix-Film «War geschrieben hat. Aber das Thema ist ein zu trauriges, als dass Machine»(2017) von David Michôd. Caves trockener Humor angebracht wäre. Dominiks Film, Sarah Sartorius DIE NEUEN PLATTEN

Ghostpoet Katie Von Ani DiFranco Rat Boy Torres Dark Days + Canapés Schleicher Binary Scum Three Futures (PIAS/MV) Shitty Hits (Righteous Babe Records) (Parlophone/Warner) (4AD/MV) (Full Time Hobby/MV) Ein Album, das mitreisst. Ani DiFranco veröffentlicht Da hat ein 21-Jähriger «This album is entirely Immer weiter hinab in Sie habe immer mal wie- mit «Binary» bereits ihr auf seinem Debüt ganz about using the body that eine unergründliche Tiefe, der mit Depressionen und zwanzigstes Studioalbum. schön viel zu sagen, denn each of us has been given in ein nie enden wollendes Angstgefühlen zu kämpfen, Die Songwriter-Ikone, die in der Deluxe-Version um- as a mechanism of joy», schwarzes Loch. In den erklärte Katie Von Schlei- mit zu den Initiatorinnen fasst Rat Boys «Scum» schreibt die Künstlerin. Abgrund reisst der briti- cher in einem Interview. Ihre der Anti-Folk-Bewegung 25 Tracks. Davon kann Mehr noch: «The body is sche Musiker Obaro Eji- Texte sind denn auch dunkel gehört, aber auch als fe- man aber getrost acht, von something to be celebrated; miwe alias Ghostpoet mit und nachdenklich. «I’m a ministische sowie sozial «Grand Theft Auto»-Stim- it doesn’t just occupy space. sich beissenden Klängen fraud and I know I can’t do engagierte Sängerin und me Lloyd Floyd gespro- And the record celebrates und Stimmungen. Auf sei- it alone», singt sie mit see- Labelgründerin seit den chene Interludes mit unter the space that you’ve been nem vierten Album treffen lenvoller Stimme auf «Life’s Neunzigern vorne mit da- einer Minute Länge abzie- given.» Doch so esoterisch schwere Dunkelbeats, dis- a Lie». Und so kann sich bei ist, steckt hier in elf hen, die in ihrer Häufigkeit und hippiesk sich der Aus- sonante Streichersätze und das «shitty» im Albumtitel Songs die Bandbreite ihres eher nerven. Ansonsten gangspunkt für das dritte charakterstarker Sprechge- auf die Momente beziehen, Schaffens ab. Die Musike- jedoch nutzt Jordan Car- Album von Mackenzie sang auf zuweilen kitschige in denen man sich beschis- rin neigt sich auf «Binary» dy alias Rat Boy aus Essex Scott alias Torres anhören Zweitstimmen. Das irri- sen fühlt. Von Schleicher stark dem Funk und Soul mit seiner Band den Platz mag: Musik und Texte auf tiert. Aber Ejimiwe geht es stellt den Tiefs aber auch die von New Orleans – ihrem für ein Sammelsurium an «Three Futures» sind weit bei «Dark Days + Canapés» Hochs, die Hits und Humor derzeitigen Wohnort – zu. Energieschüben, juvenilen weniger vertrackt, als im genau darum. Er beschreibt gegenüber. Vor allem wird Das ist kein Wunder, spielen Einfällen und Ausflügen in Vorfeld anzunehmen war. pointiert, manchmal pla- das Dunkle durch die Musik doch als Gäste echte Genre- alles Mögliche von Indie- Torres, die vor zwei Jah- kativ eine unangenehme kontrastiert, die sich durch Könner wie Keyboarder Rock, Madchester Rave, ren mit ihrem grossartigen Zeit, eine Zeit der schar- die Pop- und Rock-Ver- Ivan Neville aus der Dy- Big Beat über Hip-Hop bis zweiten Werk «Sprinter», fen Kontraste, eine Zeit gangenheit wühlt, gefällige nastie der Neville Brothers zu Ska. «Get It Over» er- spartanischen Indie-Rock- der steten Unsicherheit: Refrains und beschwingte oder Drummer Terence innert an die Beastie Boys, Songs und famosen Live- unsere Zeit. Produzent Melodien mag und an den Higgins mit. Weitere Gäste «Knock Knock Knock» ist shows die Popwelt begeis- Leo Abrahams unterstützt Kanten trotzdem rau bleibt. sind unter anderem Justin rotznasiger Punk, «Laid- terte, liefert dieses Mal dieses Unbehagen, indem Die New Yorkerin erweist Vernon alias Bon Iver und back» mit Graham Coxon noch ein wenig versponne- er Klanglandschaften kre- sich als sehr versierte Song- Maceo Parker. Obwohl die an der Gitarre eine schöne nere Songs ab, die zwischen iert, die diese Bezeichnung schreiberin. Komponiert Songs vor den US-Wahlen Ballade. Anderswo gastiert Indierock, Electronic und wirklich verdienen: schroff, hat sie alleine mit Gitarre geschrieben wurden, hat auch Damon Albarn. Auf liegen. Dabei dann wieder weich, klar und Piano, das Album nun Ani DiFranco zur Lage des der Insel gilt Rat Boy mit lässt sie den Popeffekt aber und weit, dann wieder neb- mit Band in ihrer Heimat Landes aus feministischer seiner leicht gehetzten Stim- nicht ganz aus. Es fehlen lig. Dass Brian Eno bereits Maryland eingespielt. Mit Sicht einiges zu sagen: Beim me zwischen Rap und Agit- zwar die kleinen Ohrwurm- zu seinen Kunden gehörte, «Midsummer» oder «Sell ruhigeren «Alrighty» übt Gesang bereits als «Essex’ Hits des Vorwerks – doch verwundert nicht. Dass die It Back» sind dabei Hits sie Religionskritik, auf Antwort auf Jamie T» und mit den vorab ausgekop- beiden produktionstech- entstanden, die sich auf je- «Play God» steht sie für als die kommende Stimme pelten Singles «Skim» und nische Vorlieben teilen, ist der Indie-Playlist gut neben das Recht auf Abtreibung der Brexit-Generation. Die «Three Futures» schlägt ebenfalls nicht erstaunlich. Sharon Van Etten oder An- ein, das gerade erodiert. ganz grosse «Revolution», die 26-Jährige aus Geor- So wähnt man sich auf gel Olsen platzieren lassen. Einer der schönsten Tracks wie ein Stück heisst, ist gia in eine ähnliche Kerbe. dem Album immer wieder Und für das Ganze darf man beschliesst das Album der «Scum» zwar noch nicht, Anderes erinnert auf dieser auf einer Kollaboration dann gleich, wie es Katie 46-Jährigen: «Deferred aber ein überzeugendes Ab- interessanten Platte an PJ von Eno und David Bo- Von Schleicher gerne möch- Gratification» kommt mit bild der britischen Jugend Harvey oder auch an die wie – nicht nur klanglich, te, «Shitty Hits» als Genre- wunderbaren Bläsern und im Jahr 2017. alten Au Pairs. sondern auch musikalisch. bezeichnung einführen. einer Geige als Neo-Folk- «Dark Days + Canapés» Song daher und zeigt auch anz. tb. wühlt auf und geht tief, anz. DiFrancos Countryroots. tiefer und noch tiefer unter . tb.

hel. DIE NEUEN PLATTEN Sound Surprisen Ein Aufmarsch von Neonazis, nationalistischen Extrem- Rechten, die rassistische Parolen und Drohungen auss- tossen – und ein weisser Präsident, der sich nicht darüber empört, alles hübsch relativiert und dafür per Twitter von einem früheren Ku-Klux-Klan-Führer verdankt wird. An- Papiro Lali Puna Peter Perrett gesichts dieser Szenen – aber auch der zunehmenden Poli- Automare Two Windows How the West Was zeigewalt Schwarzen gegenüber – fühlt man sich auf ungu- (Muscut) (Morr Music) Won te Weise in die guten alten Fünfzigerjahre zurückversetzt, (Domino/Irascible) als die weisse Welt noch in Ordnung war und der «Neger» Seine analogen Synthesi- Sieben Jahre sind vergan- seinen Platz in der gesellschaftlichen Hackordnung nicht zer hat der Basler Musiker gen, seit Lali Puna ihr Peter Perrett, Autor des infrage stellte. Aber 2017? und Grafiker Marco Papiro letztes Album «Our In- New-Wave-Klassikers Just in diesen Tagen landet die CD «Soul of a Nation. Afro- auch schon mal als seine ventions» veröffentlichten. «Another Girl, Another Centric Visions in the Age of Black Power» im Briefkasten. «Haustiere» bezeichnet. Nun erscheint «Two Win- Planet» (1978), ist zurück. In 13 Tracks mit knapp 80 Minuten Spielzeit lässt das Lon- Mit ihnen zaubert er eine dows», das einen Wende- Fast sein ganzes Erwachse- doner Label Soul Jazz Records den radikalen schwarzen kosmische Musik, die auf punkt in der Geschichte nenleben steckte der Sänger Jazz der Sechzigerjahre wiederaufleben, entschlüsselt den dem letzten Album «Teo- des Münchner Projekts und Songschreiber der von Zusammenhang zwischen der schwarzen Bürgerrechtsbe- patia» noch quasi-heilig um Sängerin und Song- der Kritik gefeierten, doch wegung und der Musik und zeigt auf, wie die die Zivilge- und komplett entrückt von writerin Valerie Trebeljahr kommerziell glücklosen sellschaft bewegenden politischen Themen von Musikern allem Irdischen geklun- markiert: Es ist die erste Londoner Band The Only aufgenommen und nicht nur sprachlich, sondern vor allem gen hat. Auf «Automare» Platte nach dem Ausstieg Ones im Drogensumpf. musikalisch zu aufwühlendem, avantgardistischem und erscheint vieles schwerer von Markus Acher, der vor Erstaunlich, dass er wieder spirituellem Jazz verarbeitet wurden. Gleichzeitig doku- und direkter, selbst in der allem als Notwist-Mitglied auf die Beine gekommen ist. mentiert der Sampler die musikalische Suche nach Wur- knapp 20-minütigen Er- bekannt ist. Die restli- Perrett wurde clean. Er be- zeln, die über die Zeit der Sklaverei hinaus nach Afrika rei- öffnung «Rhenus Rebus», chen drei Bandmitglieder gann wieder Songs zu sch- chen – und den Versuch, zusammen mit Poesie, Tanz und die einer Reise durch den – neben Trebeljahr noch reiben und mit seinen bei- bildender Kunst eine gemeinsame künstlerische Sprache mythischen Äther gleicht Christian Heiss und Chris- den Söhnen Jamie (Gitarre) oder Identität zu finden. und an deren Ende eine toph Brandner – streben und Peter Jr. (Bass) an ei- Der Sampler beginnt klassischerweise mit Gil Scott-Herons sirenenartige Stimme war- mit «Two Windows» nun nem Comeback zu arbeiten. «The Revolution Will Not Be Televised»; es treten auch tet. Dann aber setzt im be- noch etwas mehr Richtung «How the West Was Won» Roy Ayers Ubiquity, Oneness of Juju, Joe Henderson, geisternden Titelstück ein Dancefloor als auf früheren – produziert von Altmeister Mandingo Griot Society with Don Cherry und andere auf. analoger Drum-Computer- Platten. Wobei das relativ Chris Kimsey – ist ein star- Titel wie «Malcolm X» verweisen direkt auf den politi- Beat ein, eine Stimme, die ist. Immer noch ist der elek- kes Album, angeführt vom schen Aufbruch; andere Titel verdeutlichen die musikali- auch aus einer Thai-Pop- tronische Indie-Pop von Titelstück, in welchem sich sche Spurensuche auf dem schwarzen Kontinent. nummer stammen könnte, Lali Puna sehr verspielt und der Musiker zu seinen Vor- In einer Zeit, in der sich die populäre Musik mit Politik schwebt rüber, und es ist poppig und keinesfalls nur bildern Lou Reed und Bob schwertut und sich die Musiker, wenn überhaupt, per Twit- vielleicht das bislang pop- der Rhythmik untergeord- Dylan bekennt. Perretts un- ter, aber nicht musikalisch politisch äussern, ist «Soul of a songähnlichste Stück dieses net. Sei es nun beim Titel- verkennbar lässiger Gesang Nation» ein höchst interessantes Dokument. Politik kann Künstlers, der das Cover zu song oder bei «Bony Fish», ist intakt. Ebenso die Gabe, sich in der Musik nicht auf die sprachliche Ebene allein be- Panda Bears letztem Album wo als Gast die Harfenistin aus wenigen Worten oder schränken – eine politische Haltung muss auch musikalisch gestaltet hat. Eine «Anoma- Mary Lattimore zu hören Nuancen der Phrasierung ihren Niederschlag finden, um tatsächlich zu überzeugen. lie» sei «Automare» in der ist. Überhaupt haben Lali Emotionen rauszuquet- Die Tracks auf «Soul of a Nation» sind heute noch aufre- Tat, sagt Papiro, bevor es Puna diesmal einige Gäste schen. Melancholie, Wär- gend und bewegend – wenngleich in wenigen Fällen auch weitergeht mit kollidieren- eingeladen. Ob nun den me und Ironie treffen auf etwas pathetisch –, weil sie die politischen Entwicklungen den Soundpartikeln, deren Amerikaner Dntel, den bri- Selbstreflexion. Oft trium- ihrer Zeit, Aufbruchsgefühle, Rückschläge, Hoffnungen, Quellen kaum zuordenbar tischen Radioactive Man phieren in den neuen Songs Repression, Gewalt, Spiritualität und schliesslich die gros- sind. Da hilft ein Blick in oder die in Berlin lebende, Humor und Leidenschaft sen Durchbrüche musikalisch hörbar machen, verknüpft den Begleittext des Labels, eher für das Experimen- über Fatalismus. Es gibt mit dem Bedürfnis nach einer die Grenzen des rein Ameri- der neben den Synthies aus telle bekannte Japanerin Momente, in denen man kanischen sprengenden schwarzen Identität. den Häusern Roland und Midori Hirano alias Mimi- glaubt, die Only Ones zu Wird die Revolution am Fernsehen übertragen werden? Moog auch Instrumente Cof. Nicht nur die Single hören, etwa wenn der Re- Womöglich doch, aber bestimmt nicht auf Fox News. Sie wie Gitarre, Bass, Orgel «The Bucket» und «Deep frain von «An Epic Story» wird gestreamt werden, gefilmt von Tausenden von Han- und die oboenähnliche Dream», zu dem es ein erklingt, die Liebeserklä- dy-Kameras. Allerdings stellt sich heute die Frage, welche Shenai aufführt. Doch wie hübsches Animationsvideo rung an Peters Frau Xena. Revolution. Derzeit scheint eine Revolution von längst Papiro das alles zu so kon- gibt, haben Hitcharakter. In anderen, beklemmenden überwunden geglaubten Haltungen im Gang zu sein. Ein zentrierten wie verspielten Songs blickt der 65-Jähri- weiterer Grund, sich «Soul of a Nation» anzuhören – als Tracks zusammenbaut, tb. ge auf verschwendete Jah- musikalisches Gegengift. bleibt sein Geheimnis. Und re zurück. «How the West das ist auch gut so. Was Won» erzählt, wie er Christian Gasser sein Leben zurückgewann. bs. tl. DIE NEUEN PLATTEN London Hotline Ich muss zugeben, dass ich noch immer ein bisschen Zahn- weh bekomme, wenn mir die Worte «Progressive Rock» oder «Prog» aus dem Mund rutschen (autsch!). Wie für viele Altersgenossen waren dies für mich Schimpfwör- ter, ganz nah in ihrer Bedeutung beim englischen «Wan- ker». Am Anfang meinte man es eigentlich nicht schlecht: Polo Hofer Sonny The Dream «Prog» bezeichnete eine neue Generation von Rockmusi- Klassiker Landreth Syndicate kanten, die sich nicht mehr mit ausgelatschten Songstruk- (Sound Service) Recorded Live in How Did I Find turen begnügten, sondern ihre Improvisationen und Kom- Lafayette Myself Here? positionen in alle Richtungen ausufern liessen, ohne sich Irgendwie landete jedes (Provogue/MV) (ANTI) um die Hitparaden zu kümmern. Die Situation änderte Telefongespräch mit Tante sich, als sich die simple Schubladenanschrift in gewissen Monica aus Münchenbuch- Wir hören den in Lafayette, Es ist fast schon eine kleine Kreisen plötzlich in eine Wertbezeichnung verwandelte. see «bim Hofer», und stets Louisiana, aufgewachsenen Sensation: Beinahe dreissig Ich kann mich erinnern, wie gewisse Mitschüler am Re- endete dieser Gesprächsab- Slidegitarristen und Sänger Jahre nach der letzten Ver- algymnasium Rämibühl mit Alben von Stomu Yamash’ta, schnitt mit Tante Monicas Sonny Landreth mit einer öffentlichung erscheint tat- Greenslade und Yes daherkamen und nur noch scheel auf Aussage: «Am liebschte han tollen Band: Dave Ran- sächlich ein neues Album uns Banalköpfe herunterblickten, die gern mit Mott the ig dr ‹Teddybär›». Zu den son (Bass), Brian Brignac der legendären Band aus Hoople den Rock krachen liessen oder säusligen Folkfeen ersten Radioerinnerungen (Drums), sowie den Gästen L.A., die in den Achtzigern wie Bridget St. John zu Füssen lagen. Endlich hatten diese des Autoren gehören der Sam Broussard (Gitarre) und gemeinsam mit Bands wie Strebertypen eine Musik gefunden, welche die vereinende «Kiosk» und «Oh Ramo- Steve Conn (Keyboards, Ak- Green On Red oder Long Kraft des Rock zunichte machte, um zu den alten Hierar- na». Stephan Eicher wird kordeon). Das Konzert ist in Ryders die Speerspitze des chien geistiger und körperlicher Superiorität zurückzukeh- nicht müde zu betonen, zwei Sets gegliedert – in ein «Paisley Underground» bil- ren: Heissa, wie sich einer überlegen fühlte, wenn er beim wie sehr ihn «D Rosemarie akustisches (da bedient die dete. Vier Alben nahmen sie esoterischen Quäken des Yes-Sängers einen spirituellen un i» einst inspiriert hatte. Rhythmusgruppe die afro- damals auf, darunter das Orgasmus hinkriegte. Kurzum: Die Prog-Rocker nannten Letzten November erschien peruanische Cajón) und ein einflussreiche Debüt «The sich Prog-Rocker, weil die Bezeichnung ja schon rein wört- das Album «Balladen», nun elektrisches. CD eins star- Days of Wine and Roses». lich fortgeschrittenere Wesen aus ihnen machte. Und genau folgen mit demselben Titel- tet mit «Blues Attack» von Zusammen mit dem alten darum waren Prog-Rocker in unseren Augen Wanker in bild, aber in blauer Farbe, Sonnys Debüt aus dem Jahr Weggefährten Dennis Duck wankigster Reinkultur. die «Klassiker». Es ist anzu- 1981. Hier und andernorts an den Drums und Jason Anyway: Mit der Zeit merkten auch wir Post-Punks, dass es nehmen, dass dieses Album spielen Landreth, Brous- Victor (Gitarre) sowie Bas- Prog-Rocker gab, die nicht ins Schema passten. King Crim- schon länger geplant war sard und Conn ausgedehn- sist Mark Walton tauchen son etwa, die von Johnny Rotten angehimmelten Van der und keine Spontanveröf- te Soli. Der Gesang und Dream Syndicate in den Graaf Generator oder Brian Eno. Vieles ist anders gewor- fentlichung fünf Wochen die einzelnen Instrumente Strudel aus ausuferndem, den seit jenen ideologisch komplexen Tagen. Inzwischen nach Polos Tod ist. Die kommen wunderbar warm psychedelischem Gitarren- finde ich diverse Prog-Bands saugut, angefangen mit Radio- Songs wurden sorgfältig re- und klar rüber – besonders lärm und krautrockigen head. Und letzthin ersuchte ich gar um ein Interview mit mastered. Besonders bei den in den softeren, bluesigen Rhythmen ein. Herzstück Steven Wilson, der ganz grossen Kühlerfigur dieser Szene. Klassikern aus den 70er- Nummern des Repertoires ist der gut elfminütige Steven Wilson, Jahrgang 1967, wuchs in einer Satelliten- und den 80er-Jahren ist («Key to the Highway», «A Titelsong mit an Can er- stadt von London auf. Schon ein paar Kilometer ausser- dies ein Gewinn. Hofer war World Away»). Andererseits innernden Fragmenten. halb der Metropole war die Wirkung von deren Trenddik- ein Meister der Adaption rockt ein Song wie «The Überraschend für alte Fans: tat deutlich geschwächt. «Dass ich mich für ‹Dark Side of von Songs, «In Memphis» U.S.S. Zydecoldsmobile», Für «Kendra’s Dream» hat the Moon› ebenso begeistern konnte wie für Abba oder und «Wyssebüel» sind die selbst im akustischen Ge- Steve Wynn die alte Wegge- Kate Bush, störte keinen», sagt Wilson. Erst heute erkenne Beispiele auf «Klassiker». wand. Disc zwei startet mit fährtin Kendra Smith aus er aber eine geschichtliche Linie von Prog, die von Floyd «Sennehund», «Giggerig», dem Zydeco-Cajun-Rocker den frühen Tagen der Band über Zeppelin, Can und Neu bis Joy Division, Kate Bush, «Alperose» oder «Im letsch- «Back to Bayou Teche», aufgespürt und sie um die Wire, Magazine, XTC oder Japan geführt habe: «Allen te Tram» sind vorhanden, einem Showcase für Land- Teilnahme am Track gebe- ging es darum, künstlerisch ambitionierte Musik und Texte und eine Kompilation von reths virtuos singendes, per- ten. Sehr toll. zu schaffen. Nur in England wird man schief angeschaut, Hofers Songs zusammen- kussives Gitarrenspiel. Ein wenn man Ambitionen zeigt. Da heisst es schnell, man sei zustellen, ist gewiss keine Trio von Instrumentals führt tb. prätentiös. Inzwischen habe ich gelernt, diese Beschreibung leichte Aufgabe. Dass man in andere Gefilde: verträumt als Kompliment aufzufasssen.» dabei Abstriche machen psychedelisch («Brave New Live: 28.10., El Lokal, Zürich Wilsons ersten Bands hiessen Porcupine Tree und No-Man. muss und nie alle zufrieden- Girl»), finessenreich («Über- Seither hat er allerhand feine Soloalben gemacht und klas- stellen wird, ist verständ- esso»), pulsierend abge- sische Werke von Jethro Tull, King Crimson, aber auch lich. So fehlen beispiels- hoben («The Milky Way XTC für 5.1 Surround abgemischt. Seine Musik mag aus weise «Fishing Chant» und Home»). Mit dem Swamp- dem Kopf kommen. Aber sie hat auch Wucht, ohne bom- «Fellini Nacht», aber Tante Pop-Schleicher «Soul Salva- bastisch zu sein. Dass sich auch einer wie XTC-Kopf Andy Monica selig wäre zufrie- tion» und einer packenden Partridge mit Wilson herumschlägt – er hat einen Text fürs den, denn der «Teddybär» Version des «Walkin’ Blues» neue Album «To the Bone» geschrieben –, sagt alles. ist auf den «Klassikern». kehrt Landreth zu seinen Southern-Roots zurück. Hanspeter Künzler yba. tl. DIE NEUEN PLATTEN 45 Prince Jetzt kann man also an der Tankstelle nicht nur Benzin zap- fen, sondern gar noch per Knopfdruck auswählen, welche Musik man dazu hören will. Ein weiterer Grund, aufs Auto zu verzichten. Korrekt: Es gibt so viel gute Musik auf dieser Welt, dass man sich als Musik-Aficionado (nicht «-adio», Tristen Various Artists Queens Of weil es eben nichts mit R-adio zu tun hat) eine stille Lebens- Sneaker Waves American Epic The Stone Age minute eigentlich gar nicht leisten kann. Wobei die Chance, (Modern Outsider) (Columbia/Sony) Villains an der Tankstelle auf die Big Boys oder in der Metzgerei auf (Matador) Roy Brown zu stossen, dermassen gering ist, dass man sich Unter den zehn neuen Mit dem Aufkommen des trotz Verbotsaversion immer wieder ein Öffentlichkeits- Country-Künstlern, die Radios in den Zwanziger- Ob «Songs for the Deaf» Beschallungsverbot herbeisehnt. Wer nun seinen Austin man im August kennen soll- jahren des 20. Jahrhunderts oder «Lullabies to Para- Maxi ausführt, dreht beim Tanken einfach Admiral Sir te, listete die US-Ausgabe sahen sich die amerika- lyze» das letzte grandiose Cloudesley Shovell lauter. Die drei Engländer widmen sich des «Rolling Stone» gerade nischen Plattenfirmen ge- Album der Queens war, seit 2008 dem deftigen Heavy Rock. «Nightmare» (Rise auch Tristen auf. Zwar lebt zwungen, im ganzen Land sei dahingestellt, denn mit Above) und «In a Damaged Brain» klingen genau so, wie Tristen Gaspadarek schon nach neuen Talenten, Mu- «Villains» knüpfen die man sich die 70er vorstellt, jedoch ausser bei Sir Lord Balti- länger in Nashville, aber als sikstilen und Märkten zu Queens wieder Mitte der more oder Coloured Balls dann nur spärlich findet. Stamp- Country, auch mit dem Zu- suchen. Was sie entdeckten Nullerjahre an. Zu viel ist fen, steigern, Tempowechsel, Gitarren-Ausflüge, psychede- satz «Neo-», möchte man und auf Schellack bannten, seit den gloriosen Tagen vor lische Mittelteile. Fish & Chips eben. ihr drittes Album «Snea- verschaffte eine Vorstel- einem Jahrzehnt passiert, Timmy’s Organism ist das Detroit-Rock-City-Gone-Punk- ker Waves» trotzdem nicht lung davon, was kulturelle als dass ein neues Album Trio schlechthin. Alice-Cooper-Rock, Killed-by-Death- bezeichnen. Schon eher Vielfalt ausmacht. Plötzlich die Rückkehr zur Tagesord- Punk und Chrome-Soundscapes treffen auf ausufernde als Indie-Pop, der sich na- erklangen aus Grammo- nung wäre. Josh Homme Live-Shows. Timmy Vulgars Name tauchte 1997 das erste türlich gerne auch mal bei phonen im ganzen Land spielte mit Them Crooked Mal auf bei den Punks von Epileptix, dann übertrumpfte er Psychedelia, Girlgroup-, Countrysänger aus den Vultures und Iggy Pop, und Garage-Punkers mit seinen Clone Defects und lies Raum- Folk- oder Country-Har- Appalachen, Bluesgitarris- die Alben seines anderen schiffe strudeln mit Human Eye. Seit acht Jahren, vier LPs monien bedient. Vor dem ten vom Mississippi-Delta, Nebenprojekts, den Eagles und über zehn Singles gibt es nun Timmy’s Organism. Da- neuen Album war Tristen Gospelprediger aus dem Bi- Of Death Metal, machten neben malt und kreiert er die besten Plattenhüllen, Bilder länger als Begleitmusikerin ble Belt, Cajun-Fiddler aus teilweise mehr Spass als jene und Figuren. Und auch die Hits sprudeln weiterhin. «Lick von Jenny Lewis unter- Louisiana, Interpreten aus Queens. Zumindest bis zum up Your Town» (Total Punk) lässt anstatt headbangen nur wegs, die auf dem tollen dem Tex-Mex-Grenzgebiet, 15. November 2015, als der sanft nicken oder verführt gar zu laszivem Tanz, kickt aber «Glass Jar» wiederum als indianische Trommler oder IS im Pariser Bataclan einen trotzdem so hart, dass Detroits gefährlichste Gegenden Backgroundsängerin gas- Musiker aus Hawaii. Es war Anschlag auf ein Eagleskon- aus den Rillen triefen. «Sweet Tooth» hat dieses geliebte tiert. Die beiden haben ei- das erste Mal, dass Amerika zert verübte. Homme, der Troggs-Schlagzeug, lässt aber dem Refrain ein wenig zu viel nen ähnlicher Zugang zum sich selbst hörte: die Ge- die Songs mitschrieb, mit- Atem. Im September dann auf Europa-Tour – und dann Pop, der Unbeschwertheit danken und Gefühle einer spielte und die Alben pro- wird hoffentlich auch deine Stadt aufgeleckt. mit Tiefe verbindet. Einge- Baumwollpflückerin in Mis- duzierte, aber kaum mit den spielt hat Tristen die Songs sissippi oder eines Minenar- Eagles auf Tour war, zeigte Philipp Niederberger mehrheitlich im Alleingang beiters in Virginia. Die Kol- sich vom sinnlosen Tö- mit Ehemann und Gitarrist lektion «American Epic» ten ebenso schockiert wie Buddy Hughen. Zusam- vereint 100 dieser Original- Bandmate Jesse Hughes. men schichten sie Gitarren aufnahmen aus den Zwan- Und dann war auch noch und Synthesizer überein- ziger- und Dreissigerjahren die Geschichte mit Josh ander, die einen eigenen auf fünf CDs. Erstaunlich Hommes Herzstillstand Sog entwickeln. Denn eine ist die vitale Tonqualität – 2012. Die Zeit ist nun reif, «Sneaker Wave» ist eine Resultat einer neuartigen um mit den Queens durch- grosse Welle, die plötzlich Transfermethode. Unter zustarten. Dabei wollte die und ohne Vorwarnung eine den Interpreten sind Mis- Band herausfinden, wie sie ansonsten ruhige Brandung sissippi John Hurt, The aktuell klingt. Als Produ- durchbricht. «Diese Wellen Carter Family, Charley Pat- zent wurde Mark Ronson kommen aus dem Nichts ton, Jimmie Rodgers, Lydia gewählt. Und so klingen die und reissen dich einfach Mendoza, Nelstone’s Ha- Queens auf «Villains» wie- mit», sagt Tristen. Das gilt waiians, Big Chief Henry’s der nach sich selbst. In den auch für ihre Songs. String Band, Robert John- härteren Passagen ist man son und viele andere. Wie musikalisch auf dem Pfad anz. Harry Smiths «Anthology der frühen Alben, wenn es of American Folk Music» ist rockt und rollt, befindet auch «American Epic» eine man sich im Panoptikum Schatztruhe der amerikani- der Eagles Of Death Metal. schen Populärmusik. Ein starkes Stück.

tl. yba. SZENE

KANALK.CH

KT_ZG_07_2017_Atelier_Flex_85x90_ZentralCH_Ati_NY_85x90 14.08.17 13:43 Seite 1

Ausschreibung

ATELIER FLEX

Professionelle Kunstschaffende aller Sparten aus dem Kanton ZUG können sich um das Reisestipendium 'Atelier Flex' bewerben. Destination(en), Zeitpunkt und Dauer des Aufenthalts sind frei wählbar.

Anmeldeformulare und Teilnahmebedingungen: www.zg.ch/kultur Auskunft: Hannah Schneidt, 041 728 39 65, [email protected]

Anmeldeschluss: Mittwoch, 11. Oktober 2017 Seestrasse 407 - 8038 Zürich - 044 481 62 42 - www.ziegelohlac.ch KT_ZG_07_2017_Atelier_Berlin_85x90_ZentralCH_Ati_NY_85x90(Eintreffen der Bewerbung) 14.08.1

Ausschreibung

ZUGER ATELIER in BERLIN

Professionelle Kunstschaffende aller Sparten aus den Kantonen ZUG und GLARUS können sich um einen mehrmonatigen Aufenthalt im Zuger Atelier in Berlin im Jahr 2019 bewerben.

Anmeldeformulare und Teilnahmebedingungen: www.zg.ch/kultur Auskunft: Hannah Schneidt, 041 728 39 65, [email protected] SGA AU BE 0 N 1 : Anmeldeschluss: Mittwoch, 11. Oktober 2017 w 33.–h w .c w. g (Eintreffen der Bewerbung) loopzeitun NACHTSCHICHT

Doppelt sehen mit Waxahatchee KiKu mit Blixa und Black Cracker

Über vier Alben hat sich Katie Crutchfield alias Waxahatchee seit 2012 Seit seinem Ausstieg bei den Bad Seeds muss Blixa Bargeld nur noch eine von Do-it-yourself-Rohheit zu geballter Band-Power entwickelt – vom Band und eine Ehe unter einen Hut bringen (siehe Seite 4). Darum hat Schlafzimmer-Folk mit akustischer Gitarre auf «American Weekend» zum er Zeit für Projekte wie jenes mit der Lausanner Jazz-Combo KiKu und Alternative-Rock auf dem aktuellen «Out in the Storm». Wobei ihre Songs dem schillernden Rapper Black Cracker. Das zweite gemeinsame Album immer brutal offene Befindlichkeitsaufnahmen waren, die letzten über das heisst «Eng, Düster und Bang». Die Lyrics entstammen dem «Siebenkäs» Ende einer Liebesbeziehung. So bieten Waxahatchee, mittlerweile eben von Jean Paul, erschienen 1796. Ein Kapitel trägt den Titel «Rede des eine ausgewachsene Band und kein Solo-Projekt mehr, live das ganze Spek- toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei» und ist ein trum von schnellen, energetischen Rocknummern (mit bis zu drei elektri- Text, den Bargeld schon lange mit sich herumtrug. KiKu inszenieren die schen Gitarren) bis zu intimen Balladen mit kleinerem Instrumentarium. Stücke mit kreiselnden Rhythmen und klagenden Trompeten, lassen die Zur Band gehört auch Katies Zwillingsschwester Allison Crutchfield, mit Synthies wuchtig brummen und Soundwände bröckeln. Blixa deklamiert der zusammen sie einst als P.S. Eliot ihre musikalische Laufbahn in Alaba- und kreischt, Black Cracker sorgt mit Rap-Parts für Kontrast, bringt aber ma begann. Allison hat in diesem Frühjahr ihr erstes Soloalbum «Tourist auch kaum Licht in die Gruft. Die Toten erheben sich aus den Särgen, der in This Town» – ebenso ein Break-Up-Werk – veröffentlicht und bestreitet Mensch wandelt verlassen unter dem leeren Himmel und erschauert vor damit das Vorprogramm. Ein Abend also ganz im Zeichen der «hardest klaffenden Abgründen. Als Soundtrack für laue Sommernächte auf dem working twins in indie-rock». (anz) Balkon eignet sich das weniger. Im Konzert aber dürfte «Eng, Düster und Bang» eindrücklich werden. (ash) 13.9., Bad Bonn, Düdingen; 14.9., Rote Fabrik, Zürich 16.9., Le Kremlin, Monthey; 17.9., Moods, Zürich

Wegtreten mit EMA Geburtstag mit Girlpool Gemütlich klang Erika M. Anderson aka EMA noch nie. Ihre Musik ist 28 Minuten dauert «Powerplant», das zweite Album von Girlpool. Songs harsch, die Songs meist hinter Hall versteckt und unter Verzerrung be- unter drei Minuten waren schon immer ein Markenzeichen von Cleo Tu- graben. Das ist auch auf dem pressfrischen Album «Exile in the Outer cker und Harmony Trividad, seit die beiden als 15-jährige Punk-Kids an Ring» nicht anders. Songs wie «Breathalyzer» kriechen zäh aus den Boxen, der High School in Los Angeles Girlpool gründeten. Ein weiteres sind der dräuen und dröhnen, aber ein richtiger Ausbruch zwecks Spannungsabbau Harmoniegesang und der freche Lo-Fi-Rock von Gitarre und Bass, die bleibt aus. «33 Nihilistic and Female» klingt, als würden die Nine Inch auf einem blinden Verständnis fussen. Ein anderes Markenzeichen war Nails in einem Blechcontainer spielen und eignet sich folglich auch nicht der Verzicht auf das Schlagzeug. Das hat sich auf «Powerplant» geän- als Stimmungsaufheller. Und dann ist da noch «Aryan Nation», ein Song dert, das komplett mit einem Drummer aufgenommen wurde. Auch live über und für die Menschen im Mittleren Westen, dem Anderson selber ent- ergänzen Girlpool ihre Duo-Formel mit Drums und zusätzlicher Gitarre. stammt. Das Stück beschreibt die traurigen Reste der US-Arbeiterklasse, Nun 21-jährig, klingen sie aggressiver und weniger minimalistisch, ohne die sich immer weiter selbst zerstört. Selbstzerstörung scheint auch An- ihr Gespür für Harmonien zu verlieren. Und live waren sie sowie schon derson nicht fremd zu sein, wenn man nach ihrem Aussehen im Video immer für überschäumende Auftritte bekannt. Sie liebe das Touren, sag- zu «Down And Out» gehen will. Wobei das möglicherweise täuscht: Bei te Tucker dem US-Modemagazin «W»: «Ich mache jeden Tag mit meiner ihrem letzten Zürcher Auftritt im Bogen F wirkte sich auf der Bühne kom- besten Freundin zusammen Musik, und ich kann irgendwo essen, wo ich plett weggetreten. Doch hinterher am Merchandise-Tisch war sie plötzlich nie zuvor war. Das ist wie jeden Abend Geburtstag haben.» Dann spielen eine umgängliche junge Frau, die anscheinend nüchtern Singles und Shirts Girlpool gerne auch ein bisschen länger als 28 Minuten. (anz) signierte. Mal schauen, wie das diesmal wird. (ash)

19.9., Rote Fabrik, Zürich 28.9., Palace, St. Gallen; 29.9., Rote Fabrik, Zürich SZENE Atlantis_2016_Version_3_Atlantis_2016 26.01.16 18:18 Seite 1

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