Kommission von und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung Arbeitsunterlage 0001 Zur internen Verwendung

Deutscher Bundestag Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Öffentliche Anhörung zur "Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland" (Protokoll 15/18) Deutscher Bundestag Protokoll 15/18 15. Wahlperiode

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

Kurzprotokoll 18. Sitzung Öffentliche Anhörung zur „Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständig- keiten in der Bundesrepublik Deutschland“

(nicht korrigiert durch die Sachverständigen und Abgeordneten)

Berlin, 20. Oktober 2003, 10.00 Uhr Sitzungsort: Reichstagsgebäude, Berlin Sitzungssaal: 3.N 001 (Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion)

Vorsitz: Ulrike Flach, MdB Jörg Tauss, MdB 9

Ausschussmitglieder Seite

SPD

Dr. Ernst-Dieter Rossmann 12, 15, 16, 22, 25, 26, 34, 35, 43

Jörg Tauss 19, 21, 31, 38

Ulrich Kasparick 30

CDU/CSU

Katherina Reiche 13, 14, 23, 32, 33, 44

Dr. Christoph Bergner 16, 17, 27, 35, 36

Michael Kretschmer 20, 40, 41

Marion Seib 26

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grietje Bettin 14, 17, 20, 24, 27

Hans-Josef Fell 33, 36, 41, 46

FDP

Christoph Hartmann 18, 21, 25, 28, 34, 37, 42, 47

Ulrike Flach 29, 41, 48

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Sachverständige Seite

Dr. Christoph Anz, 22 Vertreter der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände

Prof. Dr. Christoph Degenhart, Universität Leipzig 18, 26, 27, 45, 46

Prof. Dr. Karl Max Einhäupl, 33, 34, 35, 36, 42, 43, 44, 46, 48 Vorsitzender des Wissenschaftsrates

Prof. Dr. Peter Gaehtgens, 35, 38, 41 Präsident der Hochschulrektorenkonferenz

Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel, 14, 28, 29, 32, 34, 41, 42, 45 Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V.

Dr. Jürgen Kluge, McKinsey, Düsseldorf 15, 19, 24, 25, 30, 36, 37

Prof. Dr. Helmut Pütz, 20, 21, 22, 23, 27 Generalsekretär des Bundesinstituts für Berufsbildung Bonn

Helmut Rau, Staatssekretär im Ministerium für 17, 21 Kultus, Jugend und Sport, Land Baden-Württemberg

Steffen Reiche, Minister für Wissenschaft, Forschung 19, 21, 22, 29 und Kultur des Landes Brandenburg Stellvertretender Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder

Prof. Dr. Ingo Richter, Berlin 14, 15, 17, 18, 23, 24

Dr. Matthias Rößler, Staatsminister im 23, 37, 40, 41 Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst

Dr. Eva-Maria Stange, Vorsitzende der Gewerkschaft 13, 17, 18, 24, 25, 26, 29, 34 Erziehung und Wissenschaft

Prof. Dr. Erich Thies, Generalsekretär 13, 14, 16 der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder

Prof. Dr. Heinrich Wilms, Universität Konstanz 16, 18, 19, 27, 28, 38, 39, 40, 42

Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, 31, 32, 33, 36, 37, 46, 47 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Prof. Dr. Jürgen Zöllner, 12, 25, 26, 43, 44, 47, 48 Staatsminister für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur, Land Rheinland-Pfalz

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Einziger Punkt der Tagesordnung:

- Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspoli- tischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland -

Vorlagen:

Antrag der Abgeordneten Dr. , Jörg Tauss, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Hans-Josef Fell, (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN sowie der Abgeordneten Ulrike Flach, (Homburg), Cornelia Pie- per, Dr. und der Fraktion der FDP Für eine erfolgreiche Fortsetzung der gemeinsamen Bildungsplanung von Bund und Ländern im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) BT-Drucksache: 15/935* A-Drs. 15(17)117* (Position des Bundes) A-Drs. 15(17)118* (Ergebnisprotokoll der Besprechung der Regierungschefs der Länder) A-Drs. 15(17)131* (Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Fachbereichs VIII) A-Drs. 15(17)132* (Fragenkataloge der Fraktionen)

A-Drs. 15(17)130 a - (ff) Stellungnahmen der Sachverständigen

A-Drs. 15(17)134 a - (ff) weitere Stellungnahmen

Schwerpunkte der Anhörung:

I. Bildungsplanung II. Forschungsförderung III. Hochschulbau

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Beginn der Sitzung: 10.00 Uhr I. Bildungsplanung Der V o r s i t z e n d e (Abg. Jörg Tauss, SPD, stellvertretend für die Vorsitzende Frage des Abg. Dr. Ernst Dieter Abg. Ulrike Flach, FDP) begrüßt herzlich R o s s m a n n (SPD) an Prof. Dr. Jürgen die Sachverständigen, dankt ihnen für die Zöllner: vorab dem Ausschuss zugesandten schrift- lichen Stellungnahmen und die Bereit- Welche Gründe sehen Sie für eine Fort- schaft, dem Ausschuss Rede und Antwort führung der Arbeit der Bund-Länder- zu stehen. Man habe es heute mit einem Kommission für Bildungsfragen und Thema zu tun, das über die Positionen in- Forschungsförderung (BLK) und wo nerhalb der klassischen Fraktionsgrenzen sehen Sie bei der BLK Reformbedarf? hinausgehe. Der Bildungs- und For- schungsausschuss wolle mit der Anhörung Prof. Dr. Jürgen Z ö l l n e r führt aus, im Zusammenhang mit dem Einsatz der dass im Beschluss der KMK festgehalten Kommission zur Reform der bundesstaatli- worden sei, dass die Aufgaben der BLK chen Ordnung frühzeitig Flagge zeigen und neu organisiert werden sollten. Die Be- deutlich machen, dass er bei der kommen- schlussfassung sei geleitet worden von den Debatte seine Position mit einbringen folgenden Prinzipien: wolle. Zur Erarbeitung dieser Positionen sei die Mitwirkung der Sachverständigen 1. Die verfassungsmäßigen Zuständig- sehr hilfreich. keiten müssten klar und eindeutig ge- regelt werden. Der V o r s i t z e n d e verweist auf den 2. Es sollten möglichst keine Mischzu- gemeinsamen Antrag der Koalitionsfrakti- ständigkeiten geben. onen und der Fraktion der FDP auf Bun- 3. Ein ordnungspolitisch geregelter destags-Drucksache 15/935, der zur feder- Wettbewerb könne zur Qualitätsver- führenden Beratung an den Bildungs- und besserung beitragen. Wo innerhalb Forschungsausschuss überwiesen worden Deutschlands der Wettbewerb sei. fruchtbar sei, sollten die Länder zu- ständig sein. Wo der Wettbewerb ü- Der V o r s i t z e n d e informiert über berregional und international bedeut- den organisatorischen Ablauf und die sam sei, sollte der Bund zuständig Strukturierung der Anhörung in folgende sein. Themenblöcke: Auf der Grundlage dieser Prinzipien kom- I. Bildungsplanung, me man zu dem Ergebnis, dass die Zustän- II. Forschungsförderung, digkeiten für den Schulbereich bei den III. Hochschulbau. Ländern liegen sollten. Das selbe gelte auch für die Hochschulen aber unter der Er weist darauf hin, dass keine Eingangs- Beibehaltung der gemeinsamen Finanzie- statements der Fraktionen und der Sach- rung des Hochschulbaus (HBFG) und eine verständigen vorgesehen wären, damit un- gemeinsame Verantwortung für die For- mittelbar mit der Befragung begonnen schungsförderung. werden könne. In jeder Fragerunde könn- ten die Fraktionen entweder eine Frage an Frage des Abg. Dr. Ernst Dieter zwei oder zwei Fragen an einen Experten R o s s m a n n (SPD) an Frau Dr. Eva- richten. Maria Stange: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 13

Ein Instrument, mit dem in Deutschland Welche Gründe sehen Sie aus der Sicht die gemeinsame Bildungsplanung ver- der Gewerkschaft Erziehung und Wis- pflichtend durchgeführt werden könne, sei senschaft (GEW) für eine Intensivierung der Artikel 91b GG. Hier müsse eine For- der gemeinsamen Bildungsplanung von mulierungsverschärfung hinsichtlich der Bund und Ländern, und wie kann sie Verpflichtung zur gemeinsamen Bildungs- optimiert werden? planung stattfinden. Die Bund-Länder- Kommission (BLK) sei ein Gremium, das Dr. Eva-Maria S t a n g e führt aus, dass derzeit in seiner Zusammensetzung ge- die OECD mit der PISA-Studie den An- währleiste, dass eine gemeinsame Bil- stoß zur aktuellen Bildungsdiskussion ge- dungsplanung über alle Bildungsbereiche geben habe. Die Ergebnisse der Studie hinweg - und eben nicht nur im Schulbe- wären für viele nicht überraschend gewe- reich - erfolgen könne. sen. Es wäre sehr deutlich geworden, dass Bildung und lebenslanges Lernen eine Frage der Abg. Katherina R e i c h e enorme Bedeutung für die Wirtschaftskraft (CDU/CSU) an Prof. Dr. Erich Thies: und die gesellschaftliche Entwicklung in einem Lande habe. Auch auf der Ebene der Welchen Reformbedarf sieht die Kul- EU sei das Bildungssystem als wichtiger tusministerkonferenz (KMK) bei sich Standortfaktor für eine Beschäftigungssi- selbst? cherung stärker in das Blickfeld gerückt. Qualifikation, Mobilität und Innovations- Prof. Dr. Erich T h i e s weist darauf hin, kraft der jungen Menschen wären mit ent- dass die KMK auf ihrer letzten Sitzung scheidend für den Erfolg Europas im inter- eine Ministerarbeitsgruppe eingesetzt habe, nationalen Wettbewerb. die möglichst bis zum Ende diesen Jahres Reformvorschläge erarbeiten solle. Der Das führe zu dem Schluss, dass es in Reformprozess in der KMK sei etwa seit Deutschland verstärkt notwendig sei, eine fünf Jahren im Gange, er habe auch bereits Strategie zur Weiterentwicklung des Bil- zu sichtbaren fundamentalen Veränderun- dungssystems zu verfolgen. Zum Bil- gen ihrer Arbeitsweise geführt. Ohne die- dungssystem gehörten indes nicht nur die sen Prozess wären nationale Bildungsstan- Schule und die Hochschule. Die jüngste dards und der jetzt abgeschlossene Bil- Studie im Kindertagesstättenbereich habe dungsbericht nicht möglich gewesen. Man gezeigt, dass Deutschland auch hier den werde sich in der Ministerarbeitsgruppe Status eines „Entwicklungslandes“ habe. z. B. auch um die Frage der Mehrheitsent- Sie fasst zusammen, dass jetzt eine ver- scheidungen in der KMK kümmern müs- stärkte gemeinsame Bildungsplanung im sen, oder wie die Sichtbarkeit seiner Präsi- nationalen Rahmen benötigt werde. Damit dentin oder seines Präsidenten entspre- solle auch der Verfassungsgerechtigkeit chend der neuen Bedeutung angemessen entsprochen werden. Denn so werde gesi- vergrößert werden könne. Das Sekretariat chert, dass alle in Deutschland lebenden sei erheblich umstrukturiert worden im Kinder, Jugendliche und Erwachsenen die Hinblick auf die Qualitätssicherung. Eine gleichen Möglichkeiten hätten, ein hohes neue Abteilung werde sich mit Bildungs- Bildungsniveau zu erreichen. standards und einer Agentur, die hier in diesem Bereich eine Evaluation durchfüh- ren solle, befassen. Die Aufgabe der A- gentur werde auch die zukünftige Bil-

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 14 dungsberichterstattung sein. Die Arbeit der sein könnten. Die PISA-Studie habe vor KMK werde damit stärker inhaltlich oder allem auch auf die Defizite der Integration „output-orientiert“. an den Schulen hingewiesen. Die KMK habe auch über ihre sieben Arbeitsfelder Frage der Abg. Katherina R e i c h e die Problematik aufgegriffen und z. B. mit (CDU/CSU) an Herrn Prof. Dr. Hans-Olaf der Einrichtung von Sprachkursen für aus- Henkel: ländische Kinder im Vorschulbereich be- gonnen, Defizite auszugleichen. Herr Bert- Welche Auswirkungen hat die angekün- ram von der Humboldt-Universität Berlin digte Zuständigkeitsverlagerung vom habe in der letzten Konferenz über die Bund auf die Länder für die Leibniz- Dramatik der Bevölkerungsentwicklung in Gemeinschaft besonders im Hinblick auf manchen Bundesländern berichtet, in de- die neuen Bundesländer? nen junge wirtschaftsorientierte Menschen weggehen würden, so dass die Schere zwi- Der V o r s i t z e n d e bittet Prof. Dr. schen Nord und Süd immer größer werde. Hans-Olaf Henkel, die Frage von Abg. Die KMK habe sich auf diese Problemfel- Reiche vor allem auf den Bildungsbereich der eingelassen und werde daraus die Kon- zu beziehen, da das Thema Forschung im sequenzen für den Schulbereich ziehen. zweiten Themenblock der Anhörung be- handelt werde. Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) fragt Herrn Prof. Dr. Ingo Richter: Prof. Dr. Hans-Olaf H e n k e l ist davon überzeugt, dass mehr Wettbewerb im Bil- Wie stehen Sie zu einem Bundesrah- dungssystem bessere deutsche Ergebnisse mengesetz „Schule“ hinsichtlich der An- der PISA-Studie zur Folge gehabt hätte. erkennung der Schulabschlüsse auch in Die Forschung allerdings gehöre nicht ent- einem europäischen Zusammenhang? sondern verflochten. Prof. Dr. Ingo R i c h t e r antwortet auch Frage der Abg. Grietje B e t t i n auf die Frage der Abg. Grietje Bettin. Er (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) an Prof. führt aus, dass im Bildungswesen Ab- Dr. Ingo Richter und Prof. Dr. Erich Thies: schlüsse, Zugangsberechtigungen, Geld und Personal Steuerungsinstrumente seien. Wie kann auf grundlegende gesell- Diese müssten bundesweit greifen. Auf der schaftliche Veränderungen wie die He- Ebene der mittleren Abschlüsse und der terogenität der Bevölkerung reagiert Sekundarstufe II sei eine bundesweite werden, damit trotz der föderalen Steuerung notwendig. Dies sei aus Grün- Struktur Deutschlands die interkultu- den der europaweiten Anerkennung erfor- relle Schule als Regelschule anerkannt derlich. Die Frage nach einem Bundes- wird? Wie kann ein so grundlegendes schulgesetz wolle er eher restriktiv beant- Problem gelöst werden, wenn die Auto- worten. Ein Bundesschulgesetz sei aber nomie der Institutionen dem nicht ge- hinsichtlich der Frage der Regelung von recht werden kann? Abschlüssen und Berechtigungen notwen- dig. Dies solle allerdings nicht in einem Prof. Dr. Erich T h i e s stellt fest, dass Bundesrahmengesetz erfolgen, sondern die KMK schon in der Vergangenheit auf durch die Aufnahme in Artikel 74 GG grundlegende gesellschaftliche Verände- (Gegenstände der konkurrierenden Gesetz- rungen reagiert habe, auch wenn die Reak- gebung). Die Länder könnten dies verhin- tionen insgesamt noch nicht befriedigend dern, indem sie sich einigen, mit einer neu- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 15 en Formulierung des Artikels 72 Absatz 2 Abiturstandards fest. Anschließend würde GG das Bedürfnis nach einer bundesweiten über Inhalte diskutiert, als drittes schlösse Regelung zu ändern. sich schließlich die Organisationsdebatte an. Im politischen Raum sei es schwieri- Von einer Grundsatzkompetenz des Bun- ger, diese Reihenfolge einzuhalten, da des für das Bildungswesen halte er nichts. mögliche Stellhebel die Organisations- Eine Entflechtung sei sinnvoll, d.h. eine struktur und die Prozesse wären. Doppelgesetzgebung müsse vermieden werden. Er sei Anhänger einer deutlichen Die nächste Bemerkung möchte er zum Entflechtung und einer Flexibilisierung Qualitätssicherungssystem machen. In die- durch Zugriffs- und Öffnungsklauseln. sem Bereich gebe es viele Gestaltungs- möglichkeiten. Heute sei ein bipolares Abg. Jörg T a u s s (SPD) schließt die Modell für Europa empfehlenswert, das erste Fragerunde und übergibt den Vorsitz folgende zentrale und sehr schlanke Kom- an die Vorsitzende Abg. Ulrike Flach petenzen beinhalte: (FDP). Bildungsstandards, eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse und eine flächendeckende, nach objektiven Gesichtspunkten durchge- führte Messung der Qualität. Dieses Quan- Abg. Ulrike F l a c h (FDP) eröffnet die titätssicherungssystem solle zentral ange- zweite Runde und erinnert noch einmal siedelt sein und europaweit wirken. Wenn daran, dass im ersten Block nur der Bil- dies nicht möglich sei, solle es zunächst dungs- und nicht bereits der Forschungsbe- nur für die Bundesrepublik gelten. Da reich abgehandelt werden solle. Qualität vor Ort erzeugt werden müsse, sollte den Bildungseinrichtungen eine hö- Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n here Selbständigkeit zugestanden und mehr (SPD) stellt die erste Frage an Dr. Jürgen Wettbewerb unter den Bildungseinrichtun- Kluge: gen gefördert werden.

Können Sie anhand der verschiedenen Im Gegensatz zu diesem bipolaren Modell Systeme der Qualitätssicherung die Er- existiere heute ein Mischmodell, das mit fordernisse einer Bund-Länder- einem hohen Aufwand und 16-fachen, oft Kooperation oder -Koordination be- ähnlichen Lösungen, eine relativ schlechte leuchten und Ihre Empfehlung darüber Qualität erzeuge. Es gäbe auch reinrassige abgeben, welches das beste System einer zentralstaatliche Modelle, wie sie etwa in solchen koordinierten Qualitätssiche- Frankreich und England praktiziert wür- rung darstellt? den. Die Kompetenzen lägen hier in einer Hand. Die moderne Lösung sei aber die Dr. Jürgen K l u g e möchte seine Ant- bipolare. Sie sei z.B. schon in vielen In- wort in drei Teilen geben. dustrieunternehmen eingeführt worden. Erstens würde üblicherweise nicht mit der Große Qualitätsabteilungen seien dort ab- Organisationsdebatte begonnen, stattdessen geschafft worden, da sie nur mittelmäßige würde zuerst über Ziele und Zielvisionen Qualität erzeugt hätten. Das bipolare Sys- gesprochen. Diese Ziele könnten entweder tem beinhalte eine Überwachung und einen quantitativer oder inhaltlicher Art sein. neutralen Standard. Die Qualität vor Ort Man wolle z. B. bei zukünftigen PISA- werde von den Beschäftigten erzeugt. Studien besser abschneiden, oder man lege Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 16

Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n würde durch Bundesgesetze erreicht. Es (SPD) fragt Prof. Dr. Heinrich Wilms: könne nicht darauf gewartet werden, bis 16 Bundesländer ihre Landesgesetze erlas- Was sind die größten Vorteile, die Sie sen hätten. Wenn der Föderalismus der von einer stärkeren Bundeskompetenz Bundesrepublik Deutschland in der Euro- speziell im Bereich der schulischen und päischen Union eine Zukunft haben solle, der beruflichen Bildung erwarten? müsse man sich für mehr Radikalität in diesem Bereich entschließen, als es die Prof. Dr. Heinrich W i l m s führt aus, vorliegenden Papiere vorsähen. dass es nicht beliebt sei, für eine Stärkung der Bundeskompetenz einzutreten. Es sei Abg. Dr. Christoph B e r g n e r (CDU) jedoch wichtig zu bedenken, dass die ge- richtet seine erste Frage an Prof. Dr. Erich genwärtige Föderalismusdiskussion vor Thies: dem Hintergrund des Prozesses der euro- päischen Einigung geführt werde. In der Welche Ergebnisse der bisherigen ge- mittlerweile vorliegenden europäischen meinsamen Bildungsplanung der Bund- Verfassung sei ein dezidierter Grund- Länder-Kommission schätzen Sie als rechtskatalog implementiert, der Aussagen wirkliche vollzugswirksame Ergebnisse zur Bildung enthalte. Wenn diese Verfas- für die Kultuspolitik ein, und welche sung ratifiziert werden sollte, werde aus können Sie in diesem Zusammenhang jenen Grundrechten ein gewisser An- nennen? spruchsstandard - schon im Rahmen von Gleichbehandlungsgrundsätzen - auch im Prof. Dr. Erich T h i e s weist darauf hin, Bildungsbereich abgeleitet werden. Dieser dass sich die Länder nach einem Anhö- Entwicklung sei die Situation in der Bun- rungsverfahren auf Bildungsstandards ge- desrepublik Deutschland mit 16 unter- einigt hätten Auch im Bereich der Interna- schiedlichen Bildungsstandards diametral tionalität der Studienabschlüsse gäbe es ein entgegengesetzt. Qualitätssicherungsverfahren. Man habe Der Bildungsbereich in Deutschland befin- die gestuften Studienabschlüsse BA und de sich heute in der Situation des Deut- MA eingeführt - inzwischen gäbe es mehr schen Reiches vor 1871, d.h. in der Situa- als 1000 solcher Studiengänge - und einen tion eines Vielstaatenwesens. Akkreditionsrat eingerichtet und somit international kompatible Abschlüsse ge- Wettbewerb im Bildungssektor sei zwar schaffen. positiv, führe jedoch zu großen Problemen, da die deutschen Abschlüsse im Ausland Es sei ihm nicht bekannt, dass Bildungs- nicht anerkannt würden. Im Ausland würde planung in der Bund-Länder-Kommission ein System nicht verstanden, in dem 16 je stattgefunden hätte. Bildungsplanung unterschiedliche Länder mit divergieren- erfolge in den Ländern und werde, wo mit den Schul-, Hochschul- und Fachhoch- dem Ziel der Mobilität Regelungen getrof- schulabschlüssen existierten. fen werden müssten, von der KMK koor- Daher sei eine additive Stärkung der Bun- diniert. In der BLK werde über Projekte deskompetenz - ohne den Ländern Kom- diskutiert, Bildungsplanung finde dort petenzen wegnehmen zu wollen - nötig, nicht statt, insofern sei die Bezeichnung um eine erheblich höhere Standardisierung „Ausschuss Bildungsplanung“ irreführend. im Bildungswesen zu erhalten. Ein größe- Bildungsplanung sei eine Aufgabe der rer Zeitgewinn im Erreichen der internati- Länder, da auch dort die Verantwortung onalen Vergleichbarkeit der Abschlüsse Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 17 für das, was im Schulbereich stattfinde, Programm zu modernisieren. Aufgrund der wahrgenommen werden müsse. Freiheit in der Durchführung und der Kon- zeption habe man sich entschlossen, das Abg. Dr. Christoph B e r g n e r (CDU) Projekt anzunehmen. richtet seine zweite Frage an Staatssekretär Helmut Rau: Abg. Grietje B e t t i n (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellt eine Frage an Wie bewerten Sie unter dem Gesichts- Prof. Dr. Ingo Richter und Dr. Eva-Maria punkt föderaler Zuständigkeiten das Stange: Ganztagsschulprogramm der Bundesre- gierung? Die Antwort solle sich explizit Wie stehen Sie zur Reform der Bil- auf den verfassungsrechtlichen Aspekt dungsfinanzierung, die mehr Anreize beziehen: Ist Artikel 104a Grundgesetz - für die Länder setzt, Bildungsangebote Finanzhilfe des Bundes an die Länder - zur Verfügung zu stellen, wie etwa ei- ein wirklich geeignetes Instrument, um nem bundesweiten personengebundenen in Länder- und kommunale Zuständig- Finanzierungsmodell in der Schweiz, das keiten eingreifen zu können? Wie be- innerhalb eines föderalen Systems für werten Sie aus rein föderaler Arbeits- die Länder Anreize setzt, möglichst viele teilungssicht dieses Programm? Menschen gut auszubilden?

Staatsekretär Helmut R a u erklärt, dass Prof. Dr. Ingo R i c h t e r führt aus, dass sich die Landesregierung Baden-Württem- im letzten OECD-Bericht über den relati- berg gefragt habe, ob man zu den Empfän- ven Hochschulbesuch aufgezeigt worden gern des 4-Milliarden-Ganztagsschul- wäre, dass der Prozentsatz in der Bundes- programms gehören wolle, und ob der republik bei 32% läge, der Durchschnitt Bund sich durch die Hintertür Kompeten- der OECD-Länder 50% betrage und einige zen aneignen wolle, die ihm nicht zustehen Staaten sogar 70-80% anstreben würden. würden. Die Einschätzung der Landesre- Falls in der Bundesrepublik angestrebt gierung sei, dass es sich bei jenem Pro- werden sollte, den Prozentsatz des relati- gramm eher um eine aufwendige Werbe- ven Hochschulbesuches zu steigern, sei es maßnahme handele. Für die schulischen dringend erforderlich und von zentraler Konzepte, die im Rahmen des Programms Bedeutung, dass die Auswirkungen eines umgesetzt werden sollen, seien aber wei- solchen gesteigerten Hochschulbesuches terhin ausschließlich die Länder zuständig. auf das duale System der Berufsbildung Daher habe man das Angebot angenom- bedacht würden, da hier gravierende Ver- men. Die BLK wäre im Gegensatz zur änderungen zu erwarten seien. Weiterhin KMK nicht mit dem Thema befasst gewe- könne jenes Ziel nur erreicht werden, wenn sen. Anreizwettbewerbssysteme geschaffen, d.h. eine Konkurrenz um Studenten statt- In diesem Schuljahr gebe es Planungen für findet und eine Subjektförderung nach Ar- die landesweite Einführung des acht- tikel 104a Absatz 3 GG eingeführt werde. jährigen Gymnasiums. Dabei würden viele Die gewünschten Ströme könnten nur über Schulen entstehen, die die Bedingungen die Finanzierung der Subjekte erfolgreich des Programms erfüllen würden, und es geleitet werden. Jene Subjektförderung könne daher zu einem großen Mitnahmeef- nach Artikel 104 Absatz 3 GG gelte auch fekt kommen. Die Kommunen als Schul- für die Ganztagsschulen und Kindergärten, träger würden sehr darauf hinarbeiten, ihre daher sei der momentan beschrittene Weg Gymnasien im Zusammenhang mit dem nicht geeignet. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 18

bei den Ländern belassen werden solle, sei Die Finanzierung der Subjekte in der Se- es in der Tat notwendig, effektive Instru- kundärstufe II sei zur Zeit willkürlich und mente der Koordination bereit zu stellen, ungerecht, denn Gymnasiasten müssten die den Zugriff des Bundes überflüssig kein Schulgeld bezahlen. In der Berufsaus- machten. Die Entscheidungsverfahren auf bildung würde eine Ausbildungsvergütung der Ebene der Kultusministerkonferenz gezahlt, und eine vollschulische Be- und vergleichbarer Gremien müssten ge- rufsausbildung koste bis zu 1000 DM pro stärkt werden. Das Einstimmigkeitsprinzip Monat. sei verfassungsrechtlich nicht dauerhaft vorgegeben, hier seien - zumindest solange Dr. Eva-Maria S t a n g e betont, dass die Koordination der Länder auf dieser sich die Beantwortung ihrer Frage nach Ebene existiere und funktioniere - durch- sinnvollen Anreizsystemen für die Bil- aus andere Vorgehensweisen denkbar. Der dungsfinanzierung gut mit den Ausführun- Zugriff des Bundes durch eine Verfas- gen von Staatssekretär Rau verknüpfen sungsänderung sei nicht gerechtfertigt. ließen. Die Diskussion zur Ganztagsschule und die Anregung, Ganztagsschulen umzu- Prof. Dr. Heinrich W i l m s antwortet, setzen, sei eine von zwölf Anregungen aus die Kultusministerkonferenz und die ge- dem Forum Bildung gewesen. Die BLK samten Planungsinstitute seien ein typi- habe sich mit dem Thema sehr wohl be- sches Produkt des institutionalisierten fasst. Es sei sehr sinnvoll, Anreizsysteme Kompetenzkataloges des Grundgesetzes, zu schaffen, die über einen bestimmten das letztlich von den Alliierten stamme. Zeitraum einen Anschub für notwendige Das System der vorrangigen Gesetzgebung Innovationen leisten könnten. Sie könnten der Länder sei in kaum einem anderen sonst aufgrund fehlender Mittel nicht um- Land der Welt bekannt. Falls sichtbar wer- gesetzt werden. Diese Form der Bildungs- de, dass dieses System in bestimmten Be- finanzierung fände man auch auf europäi- reichen nicht funktioniere, würden entwe- scher Ebene, und sie sei auch im nationa- der Kommissionen eingerichtet oder len Rahmen sehr sinnvoll. Staatsverträge geschlossen. Die Kommis- sionen bedürften der Einstimmigkeit. Dar- Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) aus folge, dass der Prozess der Einigung in richtet eine Frage an Prof. Dr. Christoph die Länge gezogen werde, da alle Einzel- Degenhart und Prof. Dr. Heinrich Wilms: meinungen berücksichtigt würden. Die Berücksichtigung vieler Einzelmeinungen Können Sie etwas zum Einstimmigkeits- und spezifischer Interessen führe allerdings prinzip der KMK sagen, und denken zu einer Komplexität der Gesetze und Re- Sie, dass eine Modernisierung über gelungen. Daran kranke das Land insge- Staatsverträge der richtige Weg ist? samt. Er sei prinzipiell gegen Einstimmig- keit in diesen Bereichen. Bei Gleichwer- Prof. Dr. Christoph D e g e n h a r t be- tigkeit der Länder im Bildungsbereich sei- merkt, dass es - im Widerspruch zur aktu- en Einstimmigkeitsentscheidungen jedoch ellen Föderalismusdebatte - zurzeit eine unvermeidbar. starke Tendenz gäbe, Kompetenzen in Richtung Bundesebene zu verlagern. In Es wären aber auch andere Verfahren jenen Vorschlägen und Ansätzen stecke denkbar. Die Gemeinschaftsaufgaben in eine Radikalität, die möglicherweise das der Verfassung könnten abgeschafft und ganze föderale System kippen könne. durch einen verfassungsrechtlichen Staats- Wenn die bildungspolitische Kompetenz vertrag ersetzt werden. Die jetzigen Rege- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 19 lungen des Grundgesetzes müssten nicht Dr. Jürgen K l u g e führt aus, dass sich bestehen bleiben, es gäbe auch andere Lö- sein Unternehmen deshalb mit dem Thema sungen. Es sollten nicht nur im Bereich der „Bildung“ beschäftigt habe, weil Bildungs- Kultusministerkonferenz Verfahren einge- armut Wachstumsarmut und letztlich Ar- richtet werden, die in erster Linie schnell mut im ganzen Land erzeuge. Das Thema sein mussten. Weiterhin sollte man sich zu Bildung sei das unterschätzte dritte große Mehrheitsentscheidungen durchringen, um Thema neben den Themen „Arbeitslosig- in Europa überlebensfähig zu sein. keit“ und „Sicherung der Sozialsysteme“. Selbst wenn es heute gelingen würde, mit einem Fingerschnipsen das beste Bildungs- system der Welt zu haben, würde es 20 Jahre dauern, bis eine volkswirtschaftli- che Wirkung erzielt werden könnte. Das Abg. Jörg T a u s s (SPD) fragt Minister heutige System sei recht teuer. Es liefere : mittlere bis schlechte Qualität, und es sei im internationalen Vergleich das am Welche Überlegungen gibt es, die Arbeit höchsten sozial differenzierende System. der BLK grundgesetzlich abgesichert. Deutschland dürfe es sich nicht länger effektiver zu gestalten? leisten, in seinem Bildungssystem ein ein- zelnes Talent zu verschenken. Minister Steffen R e i c h e führt aus, dass ein bestehendes Problem der BLK sei, dass Das Bildungsmodell müsse so weit wie sie zu selten von Ministern besucht werde, möglich entflochten werden, und möglichst obwohl die BLK ein Gremium sei, in dem viele Kompetenzen sollten an die Basis Bund und Länder kooperieren und zusam- gegeben werden. Er denke z. B. an die menarbeiten sollten. Daher habe er wie- „selbständige Schule“. Die 16 Bildungsbü- derholt gefordert, die Sitzungszyklen von rokratien und der notwendige Koordinati- BLK und KMK zueinander zu bringen. Die onsaufwand müsse hinterfragt werden. KMK sei die einzige Ministerkonferenz Eine Reparatur der existierenden Struktu- der Republik, in der der Bund nur zu Gast ren sei nicht machbar, es müsse ein radi- sei. Wenn eine Reform der KMK gelänge, kaler Neuanfang gewagt werden. hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem Bund in Form von schnellerer Umsetzung Er empfehle ein bipolares Modell mit einer der KMK-Beschlüsse auch in der BLK schlanken Zentrale, Qualitätsstandards und unter Ministerbeteiligung und hinsichtlich eine flächendeckende Überprüfung. Die der Einstimmigkeitsfrage, würde ein wich- Ausgestaltung des Modells und der Wett- tiger Reformschritt möglich werden. bewerb sollten vor Ort erfolgen. Damit wäre ein System von Checks and Balances Abg. Jörg T a u s s (SPD) befragt Dr. und das Vier-Augen-Prinzip gewährleistet. Jürgen Kluge: Es gebe ein schlankes, effizientes und transparentes System, wenn man sich Was hat McKinsey bewogen, sich mit traue, die obsolet gewordenen Strukturen bildungspolitischen Fragen auseinander abzuschaffen. zu setzen, und welches Modell hinsicht- lich der besprochenen Problematik emp- Man könne trefflich darüber streiten, ob fehlen Sie? das Richtige gemessen werde und die Län- der und Schulen gut in dem neuen Mess- system abschneiden würden. Die vorge- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 20 schlagene Zentrale müsse keine staatliche durch die Kultusministerien als auch durch sein. Es wären viele Modelle denkbar, im die Wirtschafts- bzw. Arbeitsministerien, Extremfall auch privatwirtschaftlich orga- die für die betriebliche Berufsbildung zu- nisierte. Bei der Auswahl des Modells ständig seien, vertreten wären. sollten Qualitäts- und Effizienzgesichts- punkte ausschlaggebend sein. Eine Übertragung von Kompetenzen in der außerschulischen Berufsbildung auf die Abg. Michael K r e t s c h m e r Länder halte er für absolut unangemessen. (CDU/CSU) richtet zwei Fragen an Prof. Das deutsche Berufsbildungssystem habe Dr. Helmut Pütz: zwei große Vorteile: zum einen die Ver- bindung von Praxis und Theorie, die von Hat sich der Länderausschuss beim vielen anderen Staaten z. T. erfolglos Bundesinstitut oder der Koordinie- nachgeahmt würden; zum zweiten die ein- rungsausschuss besser bewährt, auf wel- heitlichen Standards, die bereits seit 1969 chen der beiden Ausschüsse kann man bundesweit gelten und von den allgemein- verzichten, und welcher ist für die Ein- bildenden Schulen erst jetzt aufgegriffen beziehung von Interessengruppen besser würden. Gäbe man die Kompetenzen für geeignet? die außerschulische Berufsbildung an die Länder, würde die Mobilität eingeschränkt Ist es ein gangbarer Weg, die Verant- werden, was weder im Sinne der Unter- wortung für die berufliche Bildung an nehmer, noch der Jugendlichen sei. Die die Länder zurückzugeben? Jugendlichen sollten weiterhin einheitliche Qualitätsstandards und Prüfungen am Ende Prof. Dr. Helmut P ü t z führt aus, dass ihrer Ausbildung vorfinden und somit auch eine radikale Verschlankung der Gremien weiterhin mobil sein können. möglich und notwendig sei und dass diese Umstrukturierung bei der anstehenden No- Abg. Grietje B e t t i n (BÜNDNIS vellierung des Berufsbildungsrechts und 90/DIE GRÜNEN) richtet zwei Fragen an des Berufsbildungsförderungsgesetzes Prof. Dr. Helmut Pütz: vorgenommen werden könne. Es existiere ein Gremienwirrwarr im Bereich der be- Wie schätzen Sie die mittelfristigen Fol- ruflichen Bildung; die Kompetenz könne gen der Tatsache ein, dass das deutsche auf einen verkleinerten Hauptausschuss Berufsbildungssystem von der Europäi- konzentriert werden, in dem sowohl die schen Kommission in die zweitniedrigste Sozialparteien wie Arbeitgeberverbände von fünf Niveaustufen eingeordnet wird, und Gewerkschaften als auch die staatliche und welchen Zusammenhang sehen Sie Seite mit Bundesregierung und Länderre- zwischen dieser Tatsache und der Kom- gierungen zusammenarbeiten könnten. Er petenzaufsplitterung im Bereich der betont, ein Anhänger des föderativen Sys- beruflichen Bildung? tems zu sein, solange es kooperativ und durch entsprechende Instrumentarien gesi- Prof. Dr. Helmut P ü t z stellt das bereits chert sei. Ein funktionsfähiger, doppelter jahrzehntelange existierende Problem im kooperativer Föderalismus sei auch in der Bereich der Europäischen Union dar, dass beruflichen Bildung notwendig: zwischen versucht werde, die Absolventen des deut- Bund und Ländern einerseits und zwischen schen dualen Systems in die zweite Stufe den 16 Ländern andererseits. In jenem ver- einzustufen. Dies sei allerdings bisher kleinerten Hauptausschuss sei es weiterhin nicht gelungen, da alle Bundesregierungen erforderlich, dass die Länderseite sowohl in Brüssel widersprochen und die Stufun- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 21 gen nicht akzeptiert hätten. Daher seien sie schen Ländern noch ein deutsches Schul- auch nicht EU-weit gültig. Es gäbe gute system zu erkennen, fällt schwer“. Gründe dafür, die Absolventen des deut- schen Berufsbildungssystems, sowohl aus Welches Maß an Mitwirkung des Bun- den Berufsfachschulen als auch aus dem des muss es - angesichts dieses Zitates - dualen System kommend, in die dritte Stu- an der Bildungsplanung geben? fe des Systems einzuordnen, falls es in dieser Hinsicht in der Zukunft EU- Staatssekretär Helmut R a u stellt fest, Regelungen geben sollte. dass, wie die PISA-Studie und andere Un- tersuchungen aufgezeigt hätten, in der Tat Er prognostiziert, dass es Schritt für Schritt erhebliche Unterschiede zwischen den zu einer - wenn auch komplizierten und Ländern vorhanden seien. Er sei dennoch langfristigen - Harmonisierung der Curri- der Überzeugung, dass der dadurch ange- cula und Abschlüsse in der beruflichen stoßene Wettbewerb zwischen den Län- Bildung in Europa kommen werde. In die- dern bessere Ergebnisse liefern werde, als ser Hinsicht sei es notwendig, dass in dem die Kompetenzverlagerung auf nur eine Streit um die Qualität der deutschen Be- politisch verantwortliche Ebene erreichen rufsbildung in Brüssel die deutschen Inte- könne. Der Bund habe in der BLK die ressen noch stärker dargelegt werden soll- Möglichkeit, mit 50% Mitwirkungsrecht ten. jegliche Initiativen der Länder zu sperren. Die KMK, in der der Bund auch zu Gast Auf Nachfrage von Abg. Jörg T a u s s sei und mitwirken könne, sei die richtige (SPD) stellt Prof. Dr. Helmut Pütz klar, Ebene, um eine Abstimmung in mehreren dass dies noch nicht hinreichend und noch Bereichen vorzunehmen. In Bezug auf die nicht energisch genug getan werde. In Ein- Themenbereiche der Abschlüsse, Berechti- zelfällen sei es schon gelungen, gleiche gungen, Bildungsstandards und Evaluation Berufsbilder wie z.B. in der Gastronomie- sei die KMK die richtige Ebene, um zu und Tourismusbranche in der EU zu schaf- weiterführenden Ergebnissen zu gelangen. fen. Auf diesem Gebiet müsste allerdings noch wesentlich mehr vorangebracht wer- Minister Steffen R e i c h e erläutert, dass den. die Gleichwertigkeit der Bildung in der Bundesrepublik derzeit stark gefährdet sei, Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) wie die PISA- und die Iglu-Studie gezeigt stellt eine Frage an Staatssekretär Helmut hätten. Es gäbe kein „deutsches“ Schul- Rau und Minister Steffen Reiche. system, sondern nur das jeweilige der 16 Länder. Damit existierten in Deutschland Er möchte seiner Frage an Staatssekretär 2000 verschiedene Rahmenlehrpläne. Ab Rau und Minister Reiche ein Zitat aus dem Dezember 2003 würden erstmals in ersten Bildungsbericht der KMK voran- Deutschland Bildungsstandards für die stellen: „Die Unterschiede in der ökonomi- Sekundarstufe eingeführt für die Schulfä- schen Kraft reicher und armer Bundeslän- cher Mathematik, Deutsch und die erste der verstärken auch im Bildungsbereich Fremdsprache. Auch für die Primarstufe Tendenzen der Auseinanderentwicklung seien solche Bildungsstandards geplant. der Regionen; die Wahrung gleichwertiger Mit Blick auf das Gelingen der Berufsbil- Lebensverhältnisse überall in Deutschland dungsstandards und die dort schnell funk- wird schwieriger; in der Vielfalt schul- tionierende Erneuerung der Curricula wer- struktureller Ausprägungen in den deut- de deutlich, dass dies offensichtlich der effizientere Weg sei. Das Problem sei, dass Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 22 erst Standards für die Sekundarstufe II che Bestimmungen zum Tragen kommen. ausgearbeitet worden wären und nicht von Damit würde die Mobilität der jungen der Basis her, d.h. von gemeinsamen Ele- Menschen stark behindert. Er plädiere da- mentarstandards und Standards für die Se- her dafür, die jetzigen Zuständigkeiten kundarstufe I ausgegangen worden wäre. beizubehalten. Da sich die Berufsschulen Allerdings sei die Ausarbeitung der bun- jedoch in der Zuständigkeit der Länder desweiten Standards für die Sekundarstufe befänden, sei eine Koordinierung durch die II, die Ende des Jahres in Kraft treten wür- BLK durchaus sinnvoll. den, zügig vonstatten gegangen und durch gute Begleitung innerhalb der KMK und Was die Weiterbildung angehe, müssten nah an die Forderungen von Prof. Klieme die Angebote weiter ausgebaut werden. angelehnt worden. Nun stelle sich die Fra- Die Bedeutung der Weiterbildung werde ge, ob es eine bundesweite Bildungsevalu- kontinuierlich zunehmen. Allein die Um- ationseinrichtung unter Mitfinanzierung stellung in den Hochschulen auf das ge- des Bundes oder nur landesweite Evaluati- stufte Studiensystem werde Unternehmen, onseinrichtungen geben solle. Mitarbeiter, aber auch die Hochschulen selbst vor neue große Anforderungen stel- Man versuche zurzeit, die Kollegen aus len. Die Weiterbildung sei bisher von den den Bundesländern zu überzeugen, die Hochschulen nicht als Aktionsfeld in An- Bildungsevaluation mit dem Bund zusam- griff genommen worden. Hier würden e- men zu machen. norme Ressourcen brach liegen. Gleich- Die wichtigste Bildungsstufe sei die Ele- zeitig müsse auch die Durchlässigkeit er- mentarstufe, da das wichtigste Hirn- höht, der Zugang zu Hochschulen für Men- wachstum im Alter von 3-6 Jahren statt- schen ohne Hochschulreife ermöglicht fände. Im Augenblick sei die Verabredung werden. Jede Hochschule müsse selbst von Rahmenplänen für Elementarstufen- entscheiden dürfen, wer ihr Angebot an- standards in der Diskussion. Solche bun- nehmen könne. desweit geltenden Bildungsstandards seien allerdings schwierig durchzusetzen, da die Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n Einstimmigkeit der Länder notwendig sei. (SPD) fragt Prof. Dr. Helmut Pütz.

Sollen Bund und Länder auch gemein- sam für die Weiterbildung zuständig Abg. Dr. Ernst-Dieter R o s s m a n n sein? Das klassische Modell der berufli- (SPD) fragt Dr. Christoph Anz: chen Erstausbildung wird sich nun um aufgesetzte und integrierte Weiterbil- Sind die beruflichen Bildungsfragen und dung verlängern. Was bedeutet das für die Fragen der allgemeinen und berufli- die Kompetenzfrage in Bezug auf die chen Weiterbildung richtig geordnet? Weiterbildung? Wie könnte die berufliche Bildung und die Weiterbildung in ihrer Wirksamkeit Prof. Dr. Helmut P ü t z weist auf die gesteigert werden? größeren Probleme und den stärkeren Re- formbedarf in der beruflichen Weiterbil- Dr. Christoph A n z hält die vorgeschla- dung gegenüber der Berufsausbildung hin. gene Übertragung der Zuständigkeiten für Die innerbetriebliche Anpassungsfortbil- die berufliche Bildung in die Kompetenz dung sollte regelungsfrei bleiben. Daneben der Länder für inakzeptabel. Durch eine gebe es aber den großen Bereich der Auf- Übertragung könnten völlig unterschiedli- stiegsfortbildung. Hier fehle sozusagen die Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 23

Oberstufe des dualen Systems. Es existiere Wo hat die BLK bisher effizient gearbei- in diesem Bereich eine Vielfalt von Kam- tet? An welchen Stellen könnte man et- merregelungen, die ein Hemmnis für ein- was verändern? heitliche Aufstiegsfortbildungen wären. Es gebe auch andere Möglichkeiten, die man Staatsminister Dr. Matthias R ö ß l e r bei der anstehenden Novellierung des Be- weist darauf hin, dass er acht Jahre als rufsbildungsgesetzes regeln könne. Der Schul- und Kultusminister die BLK erlebt Anteil der bundeseinheitlichen Regelungen habe und seit einem Jahr als Staatsminister sollte angesichts von 2.500 Kammerrege- für Wissenschaft und Kunst. Er habe daher lungen in der beruflichen Weiterbildung ein sehr differenziertes Bild von ihrer Ar- vergrößert werden. Er verweist auf das beit. Er schlage vor, sie nicht ersatzlos ab- gute Beispiel der neuen Aufstiegsfortbil- zuschaffen, sondern sie zu reformieren und dungsmöglichkeiten in den IT-Berufen mit umzustrukturieren und sie um die Bil- einer Stufung, mit unterschiedlichen Qua- dungsplanung zu reduzieren. Was man litätsstandards, die auch einen Zugang in bisher unter Bildungsplanung verstanden den Fachhochschulbereich eröffnen wür- habe, gehöre in die KMK. Dort könne man den. den föderalen Wettbewerb um die besten Schul- und Hochschulsysteme organisie- In Deutschland fehle es an Durchlässigkeit. ren. Die BLK sei notwendig als wichtige Die Voraussetzung für die Durchlässigkeit und gut funktionierende Koordinierungs- sei die Umsetzung des kooperativen Föde- stelle für die Forschungsförderung. Wenn ralismus, also auch die Beteiligung der man in Zukunft Wettbewerb der Schul- Länder. Die Beteiligung der Berufsfach- und Hochschulsysteme in Deutschland schulen und der Fachhochschulen sei un- haben wolle, dann sollte dieser Wettbe- bedingt notwendig. In Deutschland wäre werb nicht wie in dem jetzt von der KMK die Verbesserung der Qualität der Weiter- vorgelegten Bildungsbericht betrachtet bildung dringend notwendig, daher habe werden. man auch die Stiftung „Bildungstests“ ge- gründet. Die Qualitätsunterschiede bei den Arme Regionen hätten nicht automatisch Weiterbildungsangeboten, insbesondere schlechte Schulsysteme. Dem widersprä- der freien Träger, wären immens, daher chen auch die Ergebnisse der PISA-Studie. bedürfe es einheitlicher messbarer Stan- Der arme Freistaat Sachsen z. B. hätte auf dards, die dann auch eingehalten würden. Platz 3 gestanden. Er habe aber bundesweit Er erwarte, dass die vorgeschlagenen am wenigsten pro Schüler ausgegeben. In Maßnahmen einen Beitrag zur Beseitigung Zukunft müsse man daher die Effektivität der bisherigen Uneinheitlichkeit der beruf- und den Wirkungsgrad von Schulen und lichen Weiterbildung leisten könnten. Hochschulen im Blick haben.

Abg. Katherina R e i c h e (CDU/CSU) Man müsse bei einer Reduzierung der fragt Dr. Matthias Rößler und Prof. Dr. BLK um die Bildungsplanung jedoch auf- Ingo Richter: passen, dass die laufenden Programme wie das Hochschulsonderprogramm nicht ab- Dr. Rößler habe sich nicht für die Abschaf- gebrochen würden. Man brauche die BLK fung der BLK ausgesprochen, sondern für oder eine ähnliche Struktur für die Koordi- die Überprüfung seiner Struktur, Effizienz nierung der Forschungsförderung. und Arbeitsweise. Prof. Dr. Ingo R i c h t e r führt aus, dass er, was die Frage der BLK angehe, weitge- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 24 hend mit der Meinung des Staatsministers Die nächste Bemerkung könne er nicht als Dr. Rößler übereinstimme. Eine gemein- ein ausgewiesener Experte machen. Er same Bildungsplanung gebe es dort nicht. könne aber auf Beobachtungen seiner Man spreche in diesem Zusammenhang Klienten in der Industrie zurückgreifen. auch mehr von einer Steuerung als von Man müsse die privatwirtschaftlichen und einer Planung. Die Schwerpunktaufgabe staatlichen Angebote verstärken. Der der BLK sollte im Bereich der Forschungs- Markt für die Ausbildung von Erwachse- förderung liegen. Der Bund habe auch nen boome in den entwickelten Ländern. dort, wo er keine Gesetzgebungskompe- Er frage sich, warum die Universitäten tenz habe, eine Anregungs- und Bera- kein passendes Angebot machen würden. tungskompetenz. Die Modellförderungs- Der Großteil der Last werde von der In- programme der BLK könnten seiner Auf- dustrie getragen. Es gebe aber hier noch fassung nach jedoch weitergeführt werden. Verbesserungsmöglichkeiten durch eine Erhöhung der Transparenz und Bündelung Ergänzen wolle er, dass angesichts der des Angebotes und eine Netzwerkbildung vorliegenden Entwürfe zu nationalen Bil- des Mittelstandes und der kleinen Betriebe. dungsstandards geklärt werden müsse, ob Er sehe hier aber keine notwendige Richt- man Regel- oder Mindeststandards haben linienkompetenz und keine Notwendigkeit wolle. Standards machten nur dann einen staatlicher Eingriffe durch den Bund oder Sinn, wenn die Bildungseinrichtungen zentraler Stellen. Autonomie genössen. Schulen oder Bil- dungseinrichtungen könnten durch Stan- Dr. Eva-Maria S t a n g e möchte zu- dards miteinander verglichen werden. Sie nächst Dr. Kluge zustimmen, dass lebens- müssten aber zunächst dazu gebracht wer- langes Lernen nicht erst mit der Erwachse- den, über sich selbst nachzudenken und nenbildung, sondern bereits im frühkindli- eine Selbstevaluation durchzuführen. Auch chen Alter beginne, durch den Aufbau von die Leistungen von Lehrern und Schülern Lernmotivation und Lernkompetenz. Hier könnten miteinander verglichen werden. lägen häufig die Ursachen für Probleme, Das sei gut für die Motivation und den die später im Erwachsenenbildungsbereich Wettbewerb. auftauchen würden. Erwachsene, die nega- tive Erfahrungen mit ihren Lernprozessen Abg. Grietje B e t t i n (BÜNDNIS 90/ bis zur Erstausbildung gemacht hätten, DIE GRÜNEN) fragt Dr. Jürgen Kluge hätten später auch einen schwereren Zu- und Dr. Eva-Maria Stange: gang zur Erwachsenenbildung. Eine stärke- re Verzahnung und Anschlussfähigkeit von Welche Möglichkeiten sehen Sie, das Erstausbildung und lebensbegleitendem lebensbegleitende Lernen strukturell zu Lernen sei notwendig. Die berufliche Bil- stärken? Halten Sie in diesem Zusam- dung und die Ausbildung an den Hoch- menhang eine Rahmenkompetenz des schulen müsse in ihrer Anschlussfähigkeit Bundes für sinnvoll? zur Weiterbildung stärker in Betracht ge- zogen werden. Dr. Jürgen K l u g e führt aus: Der Grundgedanke, warum man das lebenslan- Man benötige eine stärkere Qualitätssiche- ge Lernen schon früh in den Kinderkrippen rung in der Weiterbildung, sie sei heute beginnen sollte, sei die frühe Möglichkeit mehr als unbefriedigend. Ergänzt werden der Optimierung der Lernprozesskette. müsse sie durch ein Zertifizierungssystem und eine klare Zugangsregelung. Es gebe heute eine Chancenungleichheit, was den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 25

Zugang zu Weiterbildungsmöglichkeiten beim Abitur Leistungsunterschiede von bis anbelange. Der Grund läge auch in der zu zwei Jahrgangsstufen feststellen könne, Finanzierung. Sie schlage daher keine dann werde diese Spreizung bei Schulver- Überregulierung vor, sondern einen klaren gleichen noch deutlicher. In England z. B. Rahmen hinsichtlich der Qualität, der könnten Eltern die Leistungsfähigkeit der Evaluierung und der Standards zu setzen. Schulen über das Internet ermitteln. Eine Bundesrahmengesetzgebung wäre hier sehr hilfreich. Defizite in Schulen und auch einzelner Lehrer sollten auch im Kollegium disku- Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) tiert werden können. Das bleibe aber auf fragt Dr. Eva-Maria Stange: dieser Ebene. Daher brauche man auch die selbständige Schule, in der mehr Kompe- Inwieweit sind die jetzt vorgelegten na- tenz in der Evaluierung und mehr Frei- tionalen Bildungsstandards in der Lage, heitsgrade in der Frage der Bezahlung ge- echte Verbesserungen nach den Ergeb- währleistet werden müsse. Die Schulleiter nissen der PISA-Studie zu erreichen? müssten darauf vorbereitet werden und die Möglichkeit zur Weiterqualifizierung er- Dr. Eva-Maria S t a n g e weist darauf halten. Er sehe hier auch keine größere hin, dass es in Deutschland noch keine Belastung auf die Lehrer zukommen. In- Bildungsstandards gebe. Die KMK werde ternetbasierte Tests könne man auch an sie ihres Wissens nach erst im Dezember Stelle einiger Klassenarbeiten durchführen. beschließen. Die GEW sei der Meinung, Wahrscheinlich würden die Lehrer sogar dass die derzeit vorliegenden Bildungs- teilweise von ihren Korrekturstapeln be- standards zwar ein Schritt in die notwendi- freit. Die Qualitätsmessung in den darge- ge Richtung wären, sie bedauere aber, dass legten Zeitabständen würde für ganz die Bildungsstandards losgelöst von über- Deutschland ca. 800 Mio. € kosten. geordneten Ziel- und Qualitätskonzepten diskutiert würden.

Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) fragt Dr. Jürgen Kluge: Die V o r s i t z e n d e leitet die letzte Fragerunde zum Bildungsbereich ein und Würden Sie bitte die Evaluierung der bittet die Mitglieder des Ausschusses, die Bildungseinrichtungen näher präzisie- offenen Fragen zu diesem Bereich – wenn ren? möglich – zusammenzufassen.

Dr. Jürgen K l u g e antwortet, dass man Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n das gesamte Bildungssystem, die Schule, (SPD) fragt Prof. Dr. Jürgen Zöllner: Lehrer und auch die Schüler evaluieren sollte. Sein Unternehmen hätte relativ kon- Wie ist Ihre Stellung zur Einordnung krete Vorschläge dazu gemacht. Evaluie- der Weiterbildung in die Kompetenzen rungen müssten flächendeckend sein. Jeder von Bund und Ländern? Schüler müsste in einem Intervall von zwei oder drei Jahren evaluiert, die gewonnenen Staatsminister Prof. Dr. Jürgen Z ö l l n e r Daten müssten aggregiert werden. Sie erklärt, dass in Deutschland im Bereich würden auch Rückschlüsse auf die Leis- Weiterbildung Anspruch und Wirklichkeit tungen einzelner Schulen erlauben. Wenn am stärksten auseinander klaffen würden. man heute schon im Vergleich der Länder Hier sei eine Menge aufzuholen. Das kön- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 26 ne am ehesten durch eine Verstärkung der men. Die Frage sei, ob man diesen Punkt Zuständigkeiten des Bundes erreicht wer- mit einer stärkeren Verpflichtung versehen den. Die Aufgabe könnten die Länder al- könne, in dem man das Bildungssystem leine nicht bewältigen. Voraussetzung für nicht mehr in seiner Segmentierung be- die Vereinheitlichung der beruflichen trachte, sondern als ein gesamtes, lebens- Weiterbildung wären einheitliche Berufs- langes Bildungssystem. Für diese Aufgabe bilder auf nationaler und internationaler sei besonders die BLK geeignet. Die BLK Ebene. Ferner sei eine bundesweite Ab- nehme bereits heute Aufgaben im Bereich stimmung zwischen der Arbeitgeber- und der Hochschulförderung und beruflichen Arbeitnehmerseite erforderlich. Das könn- Bildung wahr. Diese Zuständigkeit für die ten die Länder, auch wenn sie sehr gut ko- gemeinsame Bildungsplanung sollte auch ordinieren würden, alleine nicht schaffen. auf den Bereich der schulischen und der vorschulischen Bildung ausgedehnt wer- Wenn die Zuständigkeit der Länder für den. Schulen und Hochschulen reklamiert wer- de und Weiterbildung ohne Integration der Abg. Marion S e i b (CDU/CSU) fragt Hochschulen und Beteiligung des berufs- Prof. Dr. Christoph Degenhart: bildenden Systems sinnlos sei, dann benö- tige man eine koordinierende Instanz. Die- Wie bewerten Sie unter verfassungs- se Instanz sei die BLK, sie sollte diese rechtlichen Gesichtspunkten und unter Aufgaben in Zukunft noch stärker als bis- Berücksichtigung der Rückwirkung ei- her wahrnehmen. Das schlösse aber nicht nes europäischen Verfassungsvertrages aus, die BLK auf die Bereiche zu be- auf die Bildungsplanung, insbesondere schränken, wo eine Schnittstellenfunktion der BLK, die Verbindlichkeit der Ko- oder Abstimmung notwendig sei. Dem operation der Länder? widerspreche auch nicht, dass die Länder allein für die Schulen zuständig bleiben Wenn Prof. Dr. Christoph D e g e n h a r t sollten. es richtig verstanden habe, gehe es Frau Seib um die Einflussnahme einer europäi- Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n schen Verfassung auf die Kompetenzver- (SPD) fragt Dr. Eva-Maria Stange: teilung auf bundesstaatlicher Ebene. Er stelle fest, dass das europäische Recht für Wenn die Einschätzung richtig ist, dass den Föderalismus der Bundesrepublik die BLK bisher im Bereich der Bil- Deutschland blind sei. Es interessiere prin- dungsplanung nur Projektförderung zipiell aus europäischer Sicht nicht, wer aber keine reale Bildungsplanung be- innerstaatlich die Standards setze und zu- trieben hat, wie könnte dann eine solche ständig für die Gesetzgebung und den von der BLK gestaltet werden? Vollzug sei. Rechtlich gesehen könne aus einer europäischen Verfassung kein Zwang Dr. Eva-Maria S t a n g e führt aus, dass entstehen, Zuständigkeiten im Bereich des sie der bisherigen Anhörung entnommen innerstaatlichen Rechts zu verlagern. Es habe, dass die BLK offenbar nicht über- könne allenfalls der Zwang entstehen, eine flüssig sei, dass aber die gemeinsame Bil- stärkere Vergleichbarkeit und Verbindlich- dungsplanung dort offenbar nicht so funk- keit der Bewertungsrichtlinien herzustel- tioniert habe, wie es ursprünglich geplant len. Das könne mit dem Instrumentarium worden sei. Sie habe aber keinen grund- des kooperativen Föderalismus aus ge- sätzlichen Zweifel über die Zuständigkeit meinschaftsrechtlicher Sicht aber in glei- der BLK für diese Aufgabe wahrgenom- cher Weise gewährleistet werden wie eine Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 27

Verlagerung auf Bundesebene. Man könne dung und insbesondere der beruflichen jedoch noch nicht absehen, welche Be- Weiterbildung im europäischen Rahmen deutung die Aussagen der Europäischen und darüber hinaus nicht vergleichbar wä- Verfassung erhalten würde. Insbesondere ren. Ein Vergleich wäre möglich in den sei der Grundrechtskatalog sehr heterogen. drei „Dualländern“ Österreich, Schweiz Über die rechtlichen Folgewirkungen be- und Deutschland. Innerhalb kürzester Zeit stehe zudem noch wenig Klarheit. wäre z. B. die Vergleichbarkeit der Ab- schlüsse in Österreich hergestellt worden. Er möchte zusammenfassen, dass ein euro- Im Auftrag des Auswärtigem Amtes habe parechtlicher Zwang, innerstaatlich zu man dasselbe mit Frankreich versucht. zentralisieren, mit Sicherheit nicht bestehe. Man sei aber schnell gescheitert und nicht über zwanzig vergleichbare Abschlüsse Abg. Grietje B e t t i n (BÜNDNIS 90/ hinausgekommen. Daher sei es wichtig, DIE GRÜNEN) fragt Prof. Dr. Helmut dass die Abschlüsse im europäischen und Pütz: internationalen Rahmen von den Abneh- mern, den Unternehmen, akzeptiert wür- Wir kann die Anerkennung der deut- den. Es wäre sehr mühsam, in diesem Be- schen Abschlüsse in der beruflichen Bil- reich voran zu kommen, und es ließe sich dung gestärkt und damit auch die inter- nichts erzwingen. nationale Fortbildung europaweit er- möglicht werden? Wir stehen Sie zu ei- Berufsbildungspraktika oder besser Be- nem rechtlichen Anspruch auf die zeit- rufsbildungsphasen, denn Praktika wären weilige Befreiung von der Berufsschul- meist relativ wertlos, könnten von der Be- pflicht, um Teile der Ausbildung auch rufsschulpflicht befreien, wenn sie im im Ausland absolvieren zu können? Ausland stattfinden würden. Das müsse aber zwischen Bund und Ländern verein- Prof. Dr. Helmut P ü t z möchte zunächst bart werden. Diese Regelung könne auch einiges richtig stellen. Es sei eine Fehlin- im Rahmen der Novellierung des Berufs- formation, dass die Neuordnung von Aus- bildungsgesetzes eingeführt werden. bildungsberufen zu lange dauere. Seit 1997 wären von den 345 staatlich anerkannten Abg. Dr. Christoph B e r g n e r Ausbildungsberufen des dualen Systems (CDU/CSU) fragt Prof. Dr. Heinrich 150 neugeordnet worden. Davon wären Wilms: 50 völlig neue Berufe in Anpassung an die Bedürfnisse der ausbildenden Unterneh- Wer ist der geeignete Träger für Stan- men geschaffen worden. Vor diesem Hin- dardisierungen im Bereich der schuli- tergrund müsse man fragen, warum so we- schen Bildung? Muss man bei der Voll- nige Unternehmen ausbilden würden. Die zugszuständigkeit der Länder für in- Neuordnungsverfahren dauerten knapp ein haltliche Fragen nicht dem Modell der bis zwei Jahre. Er bitte, dies zur Kenntnis KMK den Vorzug geben, weil man sich zu nehmen. sonst bei der bundesrechtlichen Zustän- digkeit für Standardisierungen dem Ri- Er wolle jetzt aber zur Frage von Frau siko einer besonderen Vollzugsferne der Bettin zurückkommen. Man könne nur Standardisierungsprozesse aussetzt? gleich bewerten, was auch gleichwertig sei. Das Bundesinstitut für Berufsbildung habe Prof. Dr. Heinrich W i l m s führt aus, jahrelang die leidvolle Erfahrung gemacht, dass in der Tat der Eindruck entstehen dass die Abschlüsse in der beruflichen Bil- könnte, dass Inhalt und Form bei einer Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 28 stärkeren Ausrichtung auf den Bund aus- dass der europäische Standard ohnehin in einander fallen könnten. Auf der Bundes- Zukunft einiges wegnehmen werde. Man ebene gäbe es eine Kompetenz zur Rege- werde ein einheitliches Bildungsgrundrecht lung der Abschlüsse, aber die Ausführung in der Europäischen Verfassung verankern. übernähmen die Länder. Entscheidend wä- Man müsse daher nicht nur für die nächs- ren aber die Inhalte. Dies sei aber keine ten beiden, sondern die nächsten zehn Jah- zutreffende Wirklichkeitsbeschreibung der re nachdenken. Man komme nicht umhin, beruflichen Bildung. bestimmte Mindestvoraussetzungen schuli- scher Abschlüsse zu regeln. Reduktion von Er möchte ein Beispiel geben. Für die ju- Komplexität und die Vereinfachung von ristische Staatsprüfung gebe es die Anfor- Verfahren könne nicht Gremien überant- derungen des Deutschen Richtergesetzes wortet werden, deren Prinzip letztlich die als Bundesregelung. Aber die konkreten Einstimmigkeit wäre. Einstimmigkeit sei Inhalte und die Ausführungsbestimmungen der Tod jeder Verfahrensidee. Seines Er- gäben die Länder vor. Dies könne in ähnli- achtens könne nur die Bundesebene eine cher Weise auch im schulischen Bereich Abschlusskompetenz erhalten. geschehen. Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) Ihm schwebe eine Art Schulbildungs- oder fragt Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel und Berufsbildungs-Abschlussgesetz vor, in Minister Steffen Reiche: dem bundeseinheitliche Standards vorge- geben würden. Die einzelnen Abschlüsse Würden Sie bitte Stellung nehmen zu müssten dann die Länder in der Form in- den Themen „Einheitlichkeit“ und haltlich füllen, dass auch eine nationale „Mobilität“ im Bereich des dualen Sys- und internationale Wettbewerbsfähigkeit tems? der Schüler gewährleistet sei. Aus europa- und international-rechtlichen Gründen Prof. Dr. Hans-Olaf H e n k e l weist dar- komme man um eine derartige Reform auf hin, dass Deutschland beneidet werde, nicht herum. Man befinde sich in einem weil es das duale System habe. Ihm sei Prozess der Staatenwerdung der Europäi- allerdings aufgefallen, dass kein europäi- schen Gemeinschaft. Dieser Prozess werde sches Land es eingeführt habe. Die Ein- notwendigerweise zu einer Kompetenz- heitlichkeit der Berufsausbildung sei eine verlagerung von der unteren auf die höher- wichtige Errungenschaft. Der Schumacher rangige Ebene hinaus laufen. Europa wür- in Hamburg erhalte die selbe Ausbildung de jetzt schon Regelungen an sich ziehen. wie der Schumacher in Gelsenkirchen. Die Frage sei allerdings, ob man in Zukunft so Er möchte auf die Bedeutung des Meister- viele Schumacher benötige. Das duale briefs in der Handwerksordnung hinwei- System stehe wie alle anderen Bildungs- sen. Seit zehn Jahren fälle der Europäische systeme unter Druck, das sei nur noch Gerichtshof Entscheidungen, die den Stan- nicht so bekannt. Die Berufsbilder wären dard anderer Länder für akzeptabel hielten, nicht mehr so stabil wie vor zwanzig bis wo es keine Meistervoraussetzung für selb- dreißig Jahren. Man sei nicht in der Lage, ständige Betriebe gebe. Man habe bislang schnell neue Berufsbilder zu entwickeln nichts dagegen unternommen mit dem Er- und dem Handwerk oder der Industrie zur gebnis, dass wegen des erlaubten Prinzips Verfügung zu stellen. Er habe erlebt, dass der Inländerdiskriminierung im Europa- die beteiligten Stellen sieben Jahre ge- recht Deutsche gegenüber Ausländern be- braucht hätten, um ein neues Berufsbild zu nachteiligt wären. Es wäre unvermeidbar, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 29 entwickeln. Als es dann fertig gewesen sei, Bildungsinstitutionen nicht abschwächen, habe man es nicht mehr benötigt. sondern erheblich stärken.

16 % der Bewerber um eine Lehrstelle Abg. Ulrike F l a c h (FDP) fragt Dr. könnten sie nicht antreten, weil sie nicht Eva-Maria Stange: richtig rechnen, schreiben oder lesen kön- nen. Im Gegensatz zu früher würden im- Wie stellen Sie sich dezidiert die in der mer mehr Abiturienten in das duale System Verfassung verankerte Zusammenarbeit übernommen. Das könnte auch ein Grund als verpflichtenden Auftrag vor? dafür sein, dass in Deutschland im interna- tionalen Vergleich weniger junge Men- Dr. Eva-Maria S t a n g e hält es für be- schen studieren würden. Im Ergebnis sei merkenswert, dass gemeinsame Abspra- die Vergleichbarkeit ein hohes Gut. Noch chen im Forum Bildung funktioniert hät- wichtiger wäre allerdings die Fähigkeit, ten. Die Frage sei jetzt, wie die Empfeh- schneller auf die Veränderungen in der lungen umgesetzt würden. Anstöße der Berufswelt reagieren zu können. Daher BLK sei u. a. die Einrichtung von Ganz- könne er sich mehr Wettbewerb auch im tagsschulen und die gemeinsame Bil- dualen System gut vorstellen. dungsberichterstattung gewesen. Ihrer Auf- fassung nach sollte jedoch die Berichter- Minister Steffen R e i c h e führt aus, dass stattung aber auf das gesamte Bildungs- die bundesweite Einheitlichkeit der Stan- system beziehen. Die BLK sollte aber als dards fraglos die Mobilität der Beschäf- Evaluierungsauftraggeber und nicht als tigten in Deutschland erhöhe. Diese Mobi- Evaluierungsinstanz auftreten. Die ge- lität wäre im Elementar- oder Sekundarbe- meinsame Bildungsplanung sollte nicht reich der Schulen nicht möglich. Man wer- abgeschafft werden, weil sie in den ver- de nicht umhin können, wenn die Mobilität gangenen Jahren nicht funktioniert habe. auf Europa ausgeweitet werden solle, die Im Westen Deutschlands gebe es offenbar nationalen Standards auch europäisch zu historische Belastungen, die dazu geführt gestalten. Die neuen Berufsbilder würden - hätten, dass die Bildungsplanung in den wie Prof. Henkel bereits angedeutet habe – Hintergrund getreten sei. Sie sollte unter nicht schnell genug entwickelt. Wenn man einem neuen Licht, dem Aspekt der Euro- dies aber dem Wettbewerb der Länder ü- päisierung und der internationalen Ver- berließe, werde es zu erheblichen Diskre- gleichbarkeit des Bildungssystems, gese- panzen kommen. Aus der fehlenden An- hen werden. Sie sehe keine andere Instanz schlussfähigkeit ergebe sich, dass nationale als die BLK, die das im Moment leisten Standards im Elementar, Primar- und Se- könne. kundarbereich vergleichbare Grundlagen für die Berufsausbildung liefern sollten. Im dualen System gebe es neue Herausforde- II. Forschungsförderung rungen, die noch nicht genügend wahrge- III. Hochschulbau nommen würden. In den neuen Bundeslän- dern befänden sich nur 50 – 60 % der Die V o r s i t z e n d e ruft den Themen- Schulabgänger im dualen System. Die an- block „Forschungsförderung“ auf. Sie deren nähmen Vollzeitschulangebote oder weist darauf hin, dass dieser Bereich um auch andere Hilfskonstruktionen wahr. den Themenblock III „Hochschulbau“ er- Eine stärkere Rahmenvorgabe würde den gänzt werde. Der Ausschuss habe gegen- Wettbewerb der Länder und der einzelnen über der Forschung eine deutlich homoge- nere Einstellung als gegenüber den zentra- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 30 len Bildungsfragen. Er mache sich große Er sehe noch eine dritte Entwicklung. Das Sorgen, wie weit man es sich leisten kön- deutsche Hochschulwesen sei im wesentli- ne, die deutsche Forschungslandschaft in chen darauf ausgerichtet, bundesweit ho- Frage zu stellen, in dem man ihre Grund- mogene und relativ gute Abschlüsse zu strukturen ändern wolle. Daher sei der gewährleisten. Das sei aber in Zukunft im Ausschuss hoch interessiert, die Meinung Weltmaßstab kein erfolgversprechendes der betroffenen oder zuständigen Fachleute Modell mehr. Es werde immer offensicht- zu hören. licher, dass ein paar Eliteuniversitäten das Entwicklungstempo ganzer Regionen Abg. Ulrich K a s p a r i c k (SPD) weist bestimmen würden. Mit einem guten Mit- auf ein Interview Dr. Kluges in der Wirt- telmaß – keiner zu langsam und keiner zu schaftswoche hin, wo er dargestellt habe, schnell – werde man in Zukunft nicht mehr dass in der globalisierten Wirtschaft nicht weiter kommen. mehr Nationalstaaten oder Großunterneh- men gegeneinander anträten, sondern For- Eine Entflechtung der Forschungsförde- schungscluster. Er habe darauf aufmerk- rung sei zwar notwendig, aber in erster sam gemacht, dass man die Neuorganisati- Linie werde im internationalen Vergleich on in der globalisierten Wirtschaft stärker zu wenig für die Forschung ausgegeben. Es unter dem Gesichtspunkt verstehen müsse, sei bemerkenswert, dass die Privatwirt- dass die Motoren der wirtschaftlichen schaft weniger Mittel für die Forschungs- Entwicklung in Zukunft diese For- förderung ausgebe als der Staat. Es müsse schungscluster wären. Die Forschungs- eine Konzentration der Finanzmittel zuge- cluster wären in Deutschland sehr ungleich lassen werden. In Deutschland werde die verteilt. Er stellt vor diesem Hintergrund Hälfte der japanischen Mittel und ein Dr. Jürgen Kluge folgende Frage: Viertel bis ein Fünftel der Mittel der USA für die Forschung ausgegeben. Wenn man Wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund in Deutschland den gleichen Prozentsatz dieser internationalen Szenarien die des Bruttoinlandsprodukts für Forschung deutsche Debatte um Entflechtung von und Entwicklung ausgebe, würde man im Zuständigkeiten im Forschungsbereich? Vergleich zu den USA pro Themenfeld nur ein Viertel der Wirkung erzeugen. Entwe- Dr. Jürgen K l u g e stimmt Abg. Ulrich der sollte man daher insgesamt mehr Geld Kasparick zu, dass weltweit Forschungs-, ausgeben, oder man konzentriere die Mittel Entwicklungs-, Unternehmens- und auf weniger Themenfelder. Es müsse das Dienstleistungscluster, bestehend aus einer Prinzip verfolgt werden, das Starke weiter Universität, einem Großkonzern oder meh- zu stärken. Er möchte auf die erfolgreiche reren Großkonzernen und kleinen deutsche Lasertechnik verweisen, die Dienstleistern im internationalen Wettbe- weltweit einen Marktanteil von 30 – 35 % werb bestimmen würden, was in einzelnen habe. Themenfeldern an der Spitze der For- schung und Anwendung geschehe. Er schlägt vor, die Hochschulen in die Länderverantwortung zu übergeben. Das Was die Frage der Mobilität angehe, wäre werde die Konkurrenz zwischen den Spit- in früheren Zeiten das Kapital fluide gewe- zenhochschulen fördern. Die Universitäten sen. Mittlerweile wären aber die am besten sollten eine große Autonomie erhalten, und ausgebildeten Menschen fluide. er plädiere für die Einführung von Stu- diengebühren im international üblichen Maß von ca. 2.500 bis 4.000 € im Jahr. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 31

Diese Maßnahmen würden sofort eine Nobelpreis an deutsche Wissenschaftler Qualitätssteigerung bewirken. Danach gegangen. In den letzten 15 Jahren wären werde es eine Diskussion über Trimester 101 Nobelpreise vergeben worden für her- und Leistung geben müssen. Die Maßnah- vorragende Leistungen in der Medizin, men müssten durch ein völlig neues Förde- Physik und Chemie. 68 Preise hätten Wis- rungssystem unterstützt werden. Die Hoch- senschaftler in den USA erhalten, 23 Preise schulen könnten über 20 % freier Mittel wären nach Europa gegangen, davon verfügen, wenn Hochschulgebühren in 5 nach Deutschland. Das sei der Maßstab, dem erwähnten Umfang erhoben würden. an dem man sich messen müsse. Die Mittel könnten für international füh- rende Professoren und anständige Labor- Er möchte die Frage stellen, wie man mehr ausrüstungen ausgegeben werden. Die Fol- Excellenz hervorbringen könne. Die ge werde eine Ausdifferenzierung der Mischfinanzierungen der Forschungsförde- Hochschulen sein. rung sei ein wichtiges Thema, dem man sich in diesem Zusammenhang auch wid- Die Zuständigkeit für Großforschungsein- men müsse. Es gehe um die Frage der Au- richtungen sollte beim Bund bleiben. Die tonomie und der Forschungsfreiheit. Er Mischfinanzierung sollte entfallen. Man befürworte die Mischfinanzierung. 90 % müsse die Ausgaben für Forschung und der DFG-Forschungsgelder würden die Entwicklung insgesamt verdoppeln. Das Universitäten erhalten. Die Universitäten notwendige Geld sollte aber nicht in die wären der Ort neuer Ideen und des Nach- bestehenden Strukturen gesteckt werden, wuchses. Die Mischfinanzierung garantiere sondern er wünsche sich eine neue aufzu- ein System von Checks and Balances zwi- bauende Struktur auf der grünen Wiese. schen Bund und Ländern auf der Ebene der Man könnte sie z. B. „Albert Einstein- Finanzen und der Inhalte. Die Mischfinan- Gesellschaft“ nennen. Sie würde dann mit zierung könne aber keine unterschiedliche einer Ausrichtung auf die Spitzenfor- Qualität der Forschung verhindern. Die schung die Forschung in Deutschland dort- DFG habe vor kurzem ein Ranking he- hin führen wo sie eigentlich hingehöre. rausgegeben nach Forschungsgebieten und Hochschulen.

Eine Verknüpfung der Frage mit dem Thema Hochschulbau sei gerechtfertigt. Abg. Jörg T a u s s (SPD) fragt Prof. Dr. Die Projektförderung durch die DFG funk- Ernst-Ludwig Winnacker. tioniere nur, wenn sie auf eine angemesse- ne Grundausstattung der zu fördernden Wenn die Plädoyers für eine gemeinsa- Einrichtungen basieren könne. Es gebe in me Forschungsförderung und For- Deutschland aber nicht das System des schungsplanung richtig wären, wie lie- Overheads. In den USA und demnächst ßen sich diese dann trennen von Überle- auch in der Schweiz und in Großbritannien gungen, was die Zuständigkeiten von würden zusätzlich zu den bewilligten For- Hochschulen angehe? schungsmitteln auch noch Mittel für die Finanzierung der beteiligten Hochschulleh- Prof. Dr. Ernst-Ludwig W i n n a c k e r rer, der Gebäude und Einrichtungen zur möchte sich zunächst für die Einladung zur Verfügung gestellt. Die Antragsteller in Anhörung bedanken und spricht die Ver- Deutschland wären darauf angewiesen, auf leihung der Nobelpreise vor 14 Tagen an. eine angemessene Ausstattung zurückgrei- Zum achten Mal hintereinander sei kein fen zu können. Es wäre daher ein Wider- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 32 spruch, wenn man die Forschungsförde- in Kiel, in Bonn, das RWI und das Max- rung weiterhin mischfinanzieren würde Planck-Institut für Bildungsforschung. Die und wenn man den Bund aus der Verant- Leibniz-Gemeinschaft bestehe aus 80 In- wortung für den Hochschulbau entließe. stituten. Er müsse kurz darauf eingehen, da er wisse, dass man über die Leibniz- Abg. Katherina R e i c h e (CDU/CSU) Gemeinschaft oft nur relativ wenig wisse. fragt Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel: In der Leibniz-Gemeinschaft wären 12.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäf- Wie wirkt sich die Umstrukturierung tigt, darunter befänden sich 5.250 Wissen- der Leibniz-Institute auf die neuen Bun- schaftler und 1.400 Doktoranden. Im Jahr desländer bzw. den Forschungsstandort 2002 habe man 3.500 Gastwissenschaftler Ostdeutschland aus? begrüßen können, 1999 wären es nur 1.500 gewesen. Prof. Dr. Hans-Olaf H e n k e l möchte an die Ausführungen von Herrn Winnacker Der Wissenschaftsrat habe alle Institute in anknüpfen. Es habe eine Zeit gegeben, wo den letzten Jahren beurteilt und sei zu dem Deutschland die meisten Nobelpreisträger Ergebnis gekommen, dass die jetzt zu der hervorgebracht habe. Die jungen Men- Gemeinschaft gehörenden Organisationen schen in den deutschen Schulen wären eine gute Arbeit leisten würden und einen besser ausgebildet gewesen als Schüler gesamtgesellschaftlichen Auftrag hätten. anderswo auf der Welt. In diesem Sinne Diese Aussage sei besonders wichtig, denn möchte er seine Bemerkungen zum dualen ihm gegenüber sei durch das Bildungs- und System verstanden wissen. Er möchte klar- Forschungsministerium immer wieder klar stellen, dass er zu jedem Wort seiner Aus- gemacht worden, dass die Leibniz-Institute führungen zum dualen System stehe. Es einen länderspezifischen Auftrag hätten. Er stehe unter Druck, man habe es nur noch sehe aber kein einziges Leibniz-Institut mit nicht wahrgenommen. Die Reaktion auf einem solchen Auftrag. Eine Vorausset- neue Anforderungen wären zu langsam, es zung der Zugehörigkeit zur Leibniz- gebe zu viele irrelevante Berufsbilder, die Gemeinschaft sei der gesamtgesellschaftli- Ausbildungszeiten wären teilweise zu lang che Beitrag der jeweiligen Institute. Die und viele Ausbildungen wären zu teuer. DFG habe festgestellt, dass die Leibniz- Der Anteil der unqualifizierten Bewerber Institute gute Beiträge leisten würden. Von werde zudem immer höher. den 400 Mio. €, die zwischen 1999 und 2001 an außeruniversitäre Einrichtungen Er möchte daran erinnern, dass die west- geflossen wären, wären 20 % an die Leib- deutsche Industrie in den letzten Jahren niz-Gemeinschaft gegangen. Das sei mehr 1,6 Mio. Arbeitsplätze verloren habe. Bei als doppelt so viel, wie die Helmholtz- den 40.000 Pleiten im letzten Jahr wären Gemeinschaft erhalten habe. Von den viele mittelständige Betriebe betroffen 40 außeruniversitären Instituten, die sich gewesen, die auch einmal ausgebildet hät- am besten qualifiziert hätten, wären ten. 11 Leibniz-Institute. Der Senat habe ein Evaluierungssystem für die Leibniz- Er wolle auch noch einmal auf die Bildung Institute übernommen, das dem des Wis- zu sprechen kommen. Es sei seltsam, dass senschaftsrates entspreche. Er möchte in die Bildungsforscher bei der Frage, was in dieser besonderen Situation ausführlich der Bildung zu tun sei, nicht zu Wort ge- zum Ausdruck bringen, dass außer der kommen wären. Es gebe in der Leibniz- Leibniz-Gemeinschaft keine andere For- Gemeinschaft Bildungsforschungsinstitute Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 33 schungsgemeinschaft bedroht sei, in die gemeldet. Die Bundesministerin habe im Obhut der Bundesländer überzugehen. Juli den Präsidenten der MPG und ihn selbst darüber informiert, wie die Stellung Er verweist auf das Tropeninstitut in Ham- des Bundes sei. Er sei dankbar, dass die burg, das als erstes Institut den SARS- wichtige Diskussion heute mit der Anhö- Erreger identifiziert habe. Das sei eine no- rung auf der Ebene des Bundes erneut ins belpreisverdächtige Leistung gewesen. Er öffentliche Bewusstsein gerückt werde. frage sich, ob sich das Institut, wenn es demnächst in der Obhut der freien und Abg. Hans-Josef F e l l (BÜNDNIS 90/ Hansestadt Hamburg wäre, mit der Grip- DIE GRÜNEN) fragt Dr. Eva-Maria peepidemie in Eppendorf befassen solle Stange und Prof. Dr. Karl Max Einhäupl. und ob sich das Institut der Deutschen Sprache in Mannheim um die schwäbische Wie kann man die Demokratisierung oder badische Mundart kümmern solle. von Forschungseinrichtungen und Uni- Das Institut für Klimaforschung in Pots- versitäten im Sinne von mehr Mitbe- dam erfülle ebenfalls weltweite Aufgaben. stimmungsrechten für Forscherinnen und Forscher in Bezug auf die Zuteilung Wenn man die 80 Institute in die Obhut der von Forschungsmitteln und auch die Länder übergebe, würden sie auf die Dauer Evaluierungsprozesse verbessern? zu Grunde gehen. Die Forschungsorgani- sation werde zerstört. Die interdisziplinäre Prof. Dr. Karl Max E i n h ä u p l ist sich Zusammenarbeit und die Qualitätssiche- nicht ganz sicher, ob er die Frage von rung über die Evaluierung des Senats or- Herrn Fell richtig verstanden hat. Die De- ganisiere die Gemeinschaft. Jedes Land mokratisierung der Forschung sei ein wei- müsse demnächst seine eigene Qualitätssi- tes Feld. Herr Fell habe von Mitbestim- cherung aufbauen, wenn die bisherige mungsrechten gesprochen. Er vermute, Struktur aufgelöst würde. dass er wissen wolle, wie man in Großfor- schungseinrichtungen und Universitäten Abg. Katherina R e i c h e (CDU/CSU) Mitbestimmung anders gestalten könne. fragt Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker. Wichtig sei zunächst, jungen Wissen- schaftlern angemessene Arbeitsbedingun- Inwieweit ist die DFG einbezogen wor- gen zu schaffen, damit sie das Land nicht den in die Überlegungen des Bundes in verließen. Die Bundesregierung habe durch Form des Vorschlags von Frau Bundes- ihren Versuch, Juniorprofessuren an den ministerin Zypries, die Forschungsland- Fakultäten zu etablieren, einen Schritt in schaft in Deutschland umzugestalten, diese Richtung gemacht. Junge Wissen- wie es jetzt vorgesehen ist? schaftler würden zu spät Verantwortung übernehmen können. Hier müsse man an- Prof. Dr. Ernst-Ludwig W i n n a c k e r setzen. Wie groß der Anteil der Wissen- führt aus: Die Justizministerin habe in ei- schaftler wäre, die aus diesem Grunde nem Interview erklärt, dass der Bund als Deutschland verlassen würden, dazu gebe Reaktion ankündige, die Forschungsorga- es keine harten Fakten. Viele würden nisationen weitgehend in die Zuständig- Deutschland auch verlassen, weil es im keiten des Bundes und die Leibniz- Ausland bessere Verdienstmöglichkeiten Gemeinschaft in die Verantwortung der gebe. Länder zu übergeben. Die DFG sei aber erst später in die Diskussion einbezogen Die Demokratisierung von Forschungsein- worden und habe sich dann selbst zu Wort richtungen im Sinne der Mitbestimmung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 34 sei kein wirkliches Problem im Wissen- deutschland vier und in Japan acht. Die schaftssystem. Forschung legitimiere sich Leibniz-Gemeinschaft würde einen sehr durch den Wettbewerb der Ergebnisse. wichtigen Beitrag zum Erhalt der For- Man könne schlecht darüber abstimmen, schungslandschaft im Osten leisten. Wenn was wichtiger oder richtiger sei. Dies ent- man durch den Vorschlag von Bundesmi- scheide letztlich der Markt. Daher müsse nisterin Zypries die Leibniz-Gemeinschaft man eine bottom-up-Strategie verfolgen. jetzt abwürge, würde das einen besonders Diese dürfe aber nicht dazu führen, dass schweren Schlag gegen die ostdeutsche man auf der Ebene der Wissenschaft in den Forschungslandschaft bedeuten. Die neuen Gremien über Wissenschaftsfelder, Bundesländer könnten sich die Institute -initiativen oder -förderung Abstimmungen selbst nicht leisten. Viele Einrichtungen durchführe. Er kenne nur wenige Wissen- lägen z. B. in Brandenburg und in Berlin. schaftler, die es für notwendig halten wür- Die Vorschläge hätten insgesamt eine ver- den, in dieser Weise aktiv zu sein. heerende Auswirkung auf die Zukunftsper- spektiven der neuen Bundesländer. Dr. Eva-Maria S t a n g e stellt dar, wo es notwendig sei, die Demokratisierung und Zum Schluss wolle er seine Sorge ausdrü- Mitbestimmung in Hochschulen und For- cken, dass der BMF jetzt schon beginne, schungseinrichtungen voranzutreiben. Zum die Forschungsförderung der Leibniz- einen müsse die Eigenverantwortung der Institute auf die Möglichkeit vorzubereiten, Hochschulen gestärkt werden. Dieser Pro- dass sie in die Länder abwandere. Man zess könne aber nur erfolgreich sein, wenn brauche aber in Ostdeutschland mehr För- die Beschäftigten an den Hochschulen in derung und nicht weniger. den Prozess einbezogen würden und ihn mitgestalten könnten. Das wäre aber nur möglich, wenn sie in demokratischen Gremien mitwirken könnten. Zum anderen werde zurzeit die Diskussion im Bologna- Prozess über die Köpfe der Beschäftigten Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n hinweg geführt. Letztlich könne die Euro- (SPD) fragt Prof. Dr. Peter Gaehtgens: päisierung der Einrichtungen nur gelingen, wenn die Beschäftigten in den Bologna- Prof. Dr. Peter Gaehtgens habe in seiner Prozess einbezogen würden. Stellungnahme auf Seite 3 angedeutet, dass es Reformbedarf in Bezug auf die Wahr- Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) nehmung der Gemeinschaftsaufgaben sehe. fragt Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel: Er spreche sich für eine gemeinsame Bil- dungsplanung auch im Forschungsbereich Soll eine gemeinsame Verantwortung aus. Er zitiert aus der Stellungnahme: „ ... für die Forschungsförderung nach Arti- wenn sich hier gegenwärtig auch deutliche kel 91b GG beibehalten werden, und Schwächen beim Abstimmungsverfahren gehört die Leibniz-Gemeinschaft auf zwischen Bund und Ländern und damit Dauer dazu? Wie soll die Forschungs- Effizienzdefizite offenbaren“. Er bittet förderung zukünftig gestaltet werden? um Erläuterung, wie das konkret ge- meint sei, denn aus dieser Feststellung Prof. Dr. Hans-Olaf H e n k e l führt aus, müssten in der Konsequenz Reformför- dass 39 Institute in Ostdeutschland ange- derungen abgeleitet werden. siedelt wären. Im Osten käme ein Wissen- schaftler auf 1.000 Beschäftigte, in West- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 35

Prof. Dr. Peter G a e h t g e n s antwortet, schullandschaft, sondern auf eine differen- dass man Forschungsplanung und For- zierte mit unterschiedlichen Einrichtungen, schungsförderung nicht vom Hochschulbau die den Interessenlagen der Studierenden getrennt abhandeln könne. Beides könne und künftigen Abnehmern besser gerecht man aber auch nicht von der Bildungspla- werden könne. nung getrennt behandeln. Effizienzdefizite in den Verfahren und Inhalten der BLK Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n wären im ersten Themenblock der Anhö- (SPD) fragt Prof. Dr. Karl Max Einhäupl: rung bereits umfangreich angesprochen worden, so dass er sich dem Statement Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n anschließen könne, dass Bildungsplanung (SPD) verweist auf die Seite 2 der Stel- in der BLK nicht stattgefunden habe. Die lungnahme von Prof. Dr. Einhäupl, wo er Hochschulen würden auf den Ergebnissen vier Optimierungsforderungen im Hinblick der Bildungsvorgänge in den Schulen auf- auf die Forschungsförderung erhoben habe setzen. Daher müssten beide Bereiche auch und möchte vor diesem Hintergrund fol- gemeinsam betrachtet werden. gende Frage stellen: Welche Vorschläge und Konsequenzen leiten Sie aus diesen Es sei offensichtlich, dass Deutschland bei Forderungen ab in Bezug auf die Orga- der Umsetzung des Bologna-Prozesses nisation im Spannungsfeld zwischen weder an der Spitze, noch in der Spitzen- BLK und Wissenschaftsrat? Glauben gruppe angesiedelt sei. Die Ursachen sehe Sie, dass diese Forderungen mit der jet- er in Kompetenzproblemen, dass z. B. bis- zigen Organisationsform lösbar sind? her nur die Bildungsminister beteiligt wor- den wären, obwohl ein dringender Ab- Abg. Dr. Christoph B e r g n e r stimmungsbedarf mit anderen Ressorts wie (CDU/CSU) fragt Prof. Dr. Karl Max Ein- Innen und Finanzen bestehe. Eine große häupl: Reform wäre ohne eine angemessene Fi- nanzierung nicht zu bewältigen. Lässt die Kritik am Kooperationszwang zwischen Bund und Ländern in der For- Die Langsamkeit des Prozesses auf Grund schungsförderung nicht außer Acht, der Zuständigkeiten sei auch begründet in dass durch diesen Zwang auch ein be- der mangelnden Überzeugungsarbeit in sonderer Spielraum für die Wissen- den Hochschulen und den Diskussionen schaftsautonomie entsteht? Haben Sie auf der Ebene der Bundesländer und des die Sorge, dass bei der einseitigen Zu- Bundes sowie der Divergenz in den politi- ständigkeit des Bundes oder der Länder schen Absichten. Daher sollte man sich der die Wissenschaft sich nur einem einzigen Schlussfolgerung anschließen, dass die politischen Meinungsbildungsprozess Koordination des Bundes und das Länder- gegenüber sieht und damit ihre Mög- engagement in allen beschriebenen Feldern lichkeit zur Einflussnahme geschwächt erforderlich sei. Man könne sich sicher wird? über neue Verfahren unterhalten, es gebe aber aus der Sicht der Hochschulen zurzeit Prof. Dr. Karl Max E i n h ä u p l führt keine Alternative zur BLK. Die Hoch- aus, dass die Frage von Herrn Rossmann schulen befänden sich in einem massiven die Überlegungen betreffe, ob der Wissen- internationalen Wettbewerb. Auch die schaftsrat die Aufgaben der BLK über- besten Köpfe befänden sich in einem nehmen könnte. Theoretisch könne er dies Wettbewerb, aber in einem internen. Er zwar, es wäre aber nicht gut für den Wis- setze nicht mehr auf eine homogene Hoch- senschaftsrat. Er sei im Wesentlichen ein Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 36

Beratungs- und kein Entscheidungsorgan. Land Berlin im Mai 2002 plötzlich aus der Wenn er zusätzliche Exekutivfunktionen Forschungsförderung ausgestiegen sei, sei wahrnehmen müsse, würde sich seine Po- der Bund eingesprungen. Als im Novem- sition im Wissenschaftssystem nicht zum ber die Nullrunde angekündet worden sei, Vorteil verändern. Er leiste eine hervorra- hätten die Länder und nicht zuletzt auch gende und allgemein anerkannte Arbeit für der Bildungs- und Forschungsausschuss das deutsche Wissenschaftssystem, aber die DFG unterstützt. Die Frage der Auto- das könne er nur in seiner bisherigen nomie der Wissenschaften stehe daher Funktion leisten. durchaus auch im Mittelpunkt der Diskus- sion. Er sei auch der Auffassung, dass man Bil- dung und Forschung nicht trennen könne. Abg. Hans-Josef F e l l (BÜNDNIS 90/ Er berichtet aus einer neugegründeten Ar- DIE GRÜNEN) führt aus: Im August 2003 beitsgruppe „Hochschulzugang“. Die mit habe eine Emnid-Untersuchung hervorge- dem Hochschulzugang zusammenhängen- bracht, dass leitende deutsche For- den Fragen könne man nicht alleine auf der schungsmanager einfordern würden, dass Hochschul- oder Forschungsseite lösen, der gesellschaftliche Bedarf an Forschung sondern nur gemeinsam mit der Bildungs- schneller in die Forschungsprozesse einge- seite. speist werden müsste. Er fragt Dr. Jürgen Kluge und Prof. Dr. Ernst-Ludwig Abg. Dr. Christoph B e r g n e r Winnacker: Wie kann man in der Re- (CDU/CSU) stellt die selbe Frage an Prof. form der Zuständigkeiten stärker den Dr. Ernst-Ludwig Winnacker: gesellschaftlichen Bedarf aquirieren?

Prof. Dr. Ernst-Ludwig W i n n a c k e r Dr. Jürgen K l u g e möchte vor dem Fla- antwortet, dass die Kooperation zwischen vour of the Day, den gerade modisch ge- Bund und Ländern, die Mischfinanzierung wordenen Tagesthemen in der Forschung und der dadurch erzwungene Interessen- warnen. Man brauche eine Konzentration ausgleich in der Tat etwas mit der Auto- auf ein paar chancenreiche Zukunftstech- nomie der Forschung zu tun habe. Viel- nologien. In jeder dieser Technologien leicht sei die Mischfinanzierung sogar ein gehe man wie ein Venture Capitalist vor. Ausfluss des Artikels 5 Abs. 3 GG. Je Man komme schneller voran, in dem man mehr Schultern ein solches Grundrecht sich traue, auf alte Themen zu verzichten. unterstützen würden, desto eher könne man Das sei der Schlüssel, um Freiräume für es wahrscheinlich aufrecht erhalten. Er moderne Themen schaffen zu können. Er verweist auf die Entlassungen der For- gieße damit Wasser in die ach so gut funk- schungsvorsitzenden in Spanien, in Italien tionierende gemeinsame Zuständigkeit für und Frankreich durch die Regierungen vor die Forschung. Es sei mehr Konzentration einiger Zeit. In Deutschland wäre das in notwendig. Es gebe immer die Gefahr des der Form nicht möglich, um die Autono- Proporzes. Wenn der große Lehrstuhl mit mie der Forschung in Deutschland werde den alten Themen besonders viel Geld er- man daher beneidet. Die Gesellschaft halte, dann führe das zur Perpetuierung könnte dankbar sein, dass das Grundgesetz von Themen. Eine regelmäßige Überprü- damals diese Regelungen aufgenommen fung und Rechenschaftsregelung, entspre- habe. chend der Nachkalkulation in der Industrie, wäre sehr hilfreich. Die Mischfinanzierung gewährleiste den notwendigen Interessenausgleich. Als das Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 37

Man sollte auch Maßnahmen zur For- des Bundes auf die Forschung noch zu schungs- und Entwicklungszeitverkürzung, verstärken. Konzentration des Teams und des Zeitein- satzes diskutieren. Man müsse auch die Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) Frage nach der Sinnhaftigkeit von Lehr- fragt Staatminister Dr. Matthias Rößler: verpflichtungen stellen. Er empfehle Wett- bewerb in der Vorphase durch konkurrie- Wer soll Deutschland auf der EU-Ebene rende Konzepte, eine Entscheidung auf zum Thema Forschungsförderung ver- dieser Basis und eine Vereinigung der treten? Kräfte mit großer Disziplin. Am Ende wä- ren aber die guten Leute ausschlaggebend. Staatsminister Dr. Matthias R ö ß l e r ist Und davon brauche man mehr. Er möchte dankbar, dass heute alle Anwesenden die zum Schluss noch einmal für Transparenz Gemeinschaftsaufgabe Forschung von und die Einführung von Nachkalkulationen Bund und Ländern als gut wahrgenommen werben. sähen. Es gehe auch nicht hauptsächlich um Finanzströme, sondern um die Wahr- Prof. Dr. Ernst-Ludwig W i n n a c k e r nehmung einer gemeinsamen Verantwor- führt aus, dass es den gesellschaftlichen tung. Es sei in Deutschland ein regelrech- Bedarf in der Tat gebe. Die Gesellschaft tes Netzwerk entstanden aus den unter- habe verschiedene Möglichkeiten, ihn zu schiedlichen Forschungsorganisationen. befriedigen. Jede Regierung müsse in der Man müsste dieses Netz eigentlich noch Lage sein, schnell auf bestimmte Heraus- dichter knüpfen durch eine stärkere Ein- forderungen reagieren zu können. Zu die- bindung der universitären Forschung. Da- sem Zweck gebe es die regierungsnahen her könne er Herrn Prof. Henkel nur zu- Forschungs- und Großforschungseinrich- stimmen, dass man mehr Verflechtung und tungen. weniger Entflechtung brauche. Er könne auch als Ländervertreter sagen, dass die Die Forschung funktioniere aber nur als Außenvertretung der Forschungsförderung Pyramide mit einer sehr breiten Basis. Es durch den Bund gut funktioniert habe. Die gehe nicht ohne Forschungseinrichtungen, Länder wären eben nicht selbst Mitglieds- die scheinbar nur indirekt den gesell- staaten in Europa. schaftlichen Bedarf befriedigen würden. Er möchte auf das Beispiel der jahrelangen Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) Forschung an den Korona-Viren verwei- fragt Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker: sen. Ins öffentliche Interesse sei diese For- schung erst im Zusammenhang mit dem Wie beurteilen Sie Aussagen von Seiten Auftreten der SARS-Infektionen im Früh- der DFG oder der MPG, dass die BLK jahr diesen Jahres getreten. Deutschland beizubehalten sei und kein neues Gre- sei als einziges Land in der Lage gewesen, mium geschaffen werden sollte? schnell zu reagieren und über ein Dutzend Experten zur Verfügung zu stellen. Sein Prof. Dr. Ernst-Ludwig W i n n a c k e r Fazit sei, dass es den gesellschaftlichen antwortet, dass man im Zusammenhang Bedarf an Forschung gebe, er müsse aber mit der Mischfinanzierung gut mit der auf unterschiedliche Weise in unterschied- BLK gefahren sei. Rückwirkend betrachtet lichen Institutionen gedeckt werden. Durch habe er keine Anzeichen für Fehlentwick- die diversifizierende Förderstruktur in lungen gefunden. Wenn Bund und Länder Deutschland sei man gut aufgestellt. Es eine Gemeinschaftsaufgabe bewältigen gebe keinen Grund, einen direkten Einfluss wollten, dann brauche man ein gemeinsa- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 38 mes Gremium, in dem Bund und Länder müssten, sondern vor der Ausschließlich- zusammen kommen könnten. Wenn es die keit verfassungsrechtlicher Argumente in BLK nicht gebe, dann müsse man etwas der Auseinandersetzung mit der Thematik. Neues gründen. Es gebe zurzeit in Die Gestaltung der Verfassung sei nur eine Deutschland zwei Konstruktionen: In der Seite der Medaille. Die Frage der inhaltli- KMK sei der Bund nur zu Gast und was chen Ziele, die man mit dem Bildungs- und die DFG und die MPG angehe, sei die Forschungssystem verbinde, müsse mit KMK als Institution nicht geeignet. Auf Priorität beantwortet werden. Zunächst die Frage, ob der Wissenschaftsrat das ge- müsse man wissen, was man insgesamt eignete Gremium sei, habe Herr Prof. erreichen wolle, danach könne man sich Einhäupl bereits ausführlich geantwortet. dann den anderen Themen zuwenden. Es Der Wissenschaftsrat sollte nicht auch sollte nicht sein aber er befürchte, dass die noch neben seiner Aufgabe als Beratungs- Debatte auf der politischen Ebene sehr einrichtung die Entscheidungen treffen. stark von verfassungsrechtlichen Argu- Die BLK habe sich im Übrigen um die menten bestimmt werde. Die Frage, um inhaltliche Gestaltung z. B. der Arbeit der was es eigentlich gehe, rücke dabei in den DFG nicht gekümmert, was er sehr positiv Hintergrund. Er sehe es als sehr positiv, bewerte. Er sehe die Gefahr, dass neu ein- dass der Bildungs- und Forschungsaus- gerichtete Institutionen in die Versuchung schuss sich schnell entschieden habe, sich geraten könnten, ihre Aufgabe ganz anders mit Sachverständigen in einer Anhörung zu sehen. über das Thema Föderalismus zu beraten. Es müsse der Politik und der Öffentlichkeit klar gemacht werden, dass es sich bei der Bildung und Forschung um eines der drei wesentlichen Systeme handele neben dem Abg. Jörg T a u s s (SPD) möchte zu- Gesundheits- und dem Rentensystem, nächst kurz darauf hinweisen, dass der durch die die Bundesrepublik in Zukunft Ausschuss demnächst eine Anhörung zum ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit Thema „Schlüsseltechnologien“ durchfüh- und Wirtschaftskraft sichern könnte. Es ren werde. Die pauschale Aussage, man müsse aber nicht alles reformiert werden. sollte das Alte nicht fördern, könne er nicht Er sei überzeugt, dass sich die Initiatoren teilen. Wenn der Maschinen- und Fahr- der Diskussion über den Föderalismus der zeugbau nicht mehr gefördert werden solle, Konsequenzen für den Bildungs- und For- dann erfülle ihn das mit Entsetzen. Aber schungsbereich nicht bewusst gewesen mit diesen Aspekten werde man sich kon- wären. Wenn man eine revolutionäre Re- kret in der nächsten Anhörung befassen. form vorhabe, dann sollte man die Bun- desländer abschaffen. Wenn man modera- Er möchte folgende Frage an Prof. Dr. ter vorgehen wolle, müsse man die Länder Gaehtgens und Prof. Dr. Wilms stellen: neu gliedern. Das Thema Berlin- Welche Empfehlungen würden Sie im Brandenburg und Sachsen-Sachsen-Anhalt Interesse der Gestaltung der For- sei ein sehr schwieriges. schungslandschaft geben, wenn Sie Mit- glied der Kommission für bundesstaatli- Prof. Dr. Heinrich W i l m s möchte mit che Ordnung wären? Theodor Fontane antworten, das sei ein weites Feld. Der Bildungs- und For- Prof. Dr. Peter G a e h t g e n s erwidert, schungsausschuss habe einen sehr speziel- dass die Hochschulen nicht vor ihren eige- len Fokus. Man könne echte Reformen nen Verfassungsrechtlern geschützt werden aber nur durchsetzen, wenn man in größe- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 39 ren Zusammenhängen denke. Vom Bil- Üblicherweise flössen die Gelder aber in dungs- und Forschungsausschuss werde den allgemeinen Staatshaushalt. Die Hoch- die Finanzkompetenz nicht angesprochen, schulen, die nicht über starke Pressure- weil sie nicht sein Beratungsgegenstand Groups verfügen würden, hätten dann das sei. Sie habe aber für die Fragen der föde- Nachsehen. Wenn man über hochschulpo- ralen Struktur eine immense Bedeutung. litische oder schulpolitische Kompetenzen Das Grundgesetz umfasse die Gesetzge- spreche, müsse man das Finanzierungsmo- bungs-, Verwaltungs- und Finanzkompe- dell immer mitbetrachten. Dazu bedürfe es tenz. Heute beschäftige man sich primär seiner Meinung nach einer neuen Kompe- mit Gesetzgebungsfragen. Man müsse aber tenzordnung des Finanzverfassungsrechts. die anderen Kompetenzen immer auch mitdenken. Prof. Dr. Heinrich W i l m s möchte auch das Problem des Verwaltungsbereichs von Sehr viele Probleme, die scheinbar auf der Hochschulen ansprechen. Ebene der Gesetzgebung oder Verwaltung lägen, wären in Wirklichkeit Finanzprob- Er sehe eine zu geringe Autonomie der leme. Heute wäre z. B. mehrfach gefragt Hochschulen. Das betreffe sowohl das Per- worden, warum die Universitäten keine sonal-, das Finanz- als auch das Verwal- Angebote für den Berufsbildungssektor tungsmanagement. Er fragt, warum z. B. oder für die Post-graduierten-Ausbildung Universitätsprofessoren Beamte sein soll- machen würden. Das könne nur mit einer ten. Man binde damit die Professoren an Lehrkapazitätserhöhung einhergehen, und ein Nebentätigkeitsrecht und nähme ihnen dies bedeute eine Erhöhung der Anzahl der die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit Lehrstühle, und dafür wäre kein Geld da. der Wirtschaft. In den USA wäre es allge- Auf der anderen Seite wolle man aber auch mein üblich, dass Hochschullehrer mehrere keine Anreize schaffen für nebenberufliche Stellen inne hätten. Das System müsse Tätigkeiten der Hochschulprofessoren. durch eine große Autonomie der Hoch- schulen aufgespalten und die Frage gestellt Seines Erachtens müsse man das Steuer- werden, ob das Beamtenrecht an den system der Bundesrepublik Deutschland Hochschulen sinnvoll sei. Er möchte auch rigide neu strukturieren. Dazu gehöre auch den Sinn der Einführung der W-Besoldung eine Definition im Grundgesetz, was Ab- anzweifeln. Er halte dies für wettbewerbs- gaben wären und die Einrichtung einer störend. Die Autonomie wäre keine verfas- sogenannten Zwecksteuer. Das sei eine sungsrechtliche Frage, sie könne aber Steuer, die von ihrem gesetzgeberischen durch gesetzliche Regelungen eingeräumt Zweck her nur für einen bestimmten Aus- werden. gabenkontext zur Verfügung stehen dürfe und nicht in den allgemeinen Staatshaus- Die verfassungsrechtliche Norm der Ge- halt fließen solle. Die Menschen in meinschaftsaufgabe sei 1969 in die Verfas- Deutschland wären bereit, für ein gutes sung aufgenommen worden, weil man als Bildungssystem zu bezahlen. Wenn man Spätfolge der Notstandsverfassung kom- z. B. Landes- und Bundeskompetenzen zur pensatorische Modelle habe einführen Erhebung von Zwecksteuern hätte und man wollen. Das komplizierte Modell mache in würde eine Bildungsabgabe erheben, die seinen Augen keinen Sinn. Was damit be- direkt dem Hochschulbau zu Gute käme, wirkt worden sei, könne man auch mit hätte man keinen großen Widerstand in der Staatsverträgen lösen. Wenn man eine Ver- Bevölkerung zu erwarten. fassungsnorm wolle, die bestimmte Aufga- ben definiere, dann habe man auch eine Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 40

Verfassungsrechtsprechung, die die Eck- senschaftssystem der ehemaligen DDR pfeiler für diese Aufgaben festlege. Da- evaluiert worden. Die positiv evaluierten durch würde das System aber noch weni- Institute wären zum größten Teil Bestand- ger flexibel. Man sollte sich in Zukunft teil der Leibniz-Gemeinschaft geworden. moderneren Märkten öffnen können. Den Zugang zu Großforschungseinrichtun- gen habe man nicht eröffnet. In Sachsen Trotz seines Plädoyers für die Erhöhung gebe es eine kleine Großforschungsein- der Kompetenzen der Hochschulen, kom- richtung, die der Freistaat zu 50 % finan- me man aber nicht umhin, Rahmenvorga- ziere. 1.000 Wissenschaftler wären damals ben für Abschlüsse und begrenzt für In- in ABM-Maßnahmen überführt worden halte zu machen. Die Vorgaben dürften und dann anschließend ganz vom Markt nicht ausschließlich durch die Länder ge- verschwunden. Das wäre auch eine Art, ein macht werden, weil dann auf Grund der Wissenschaftssystem zu transformieren. Vielstaaterei keine Transparenz mehr ge- genüber dem Ausland gewährleistet sei. Mittlerweile sei ein sehr leistungsfähiges Netzwerk aus Leibniz-Gemeinschaft, Im Ergebnis sei er für eine starke Öffnung Helmholtz-Gemeinschaft und Fraunhofer- der Universitäten und die Stärkung ihrer Gesellschaft entstanden. Ein großer Teil Kompetenzen. Neben den Ländern sollte der Investitionen in Sachsen wäre in die auch der Bund bestimmte Rahmeneck- Forschungsinfrastruktur gesteckt worden. pfosten setzen können. Das Thema müsse Er wolle auf die strategischen Bestandteile man notwendigerweise in einem größeren der Forschungslandschaft wie MPG und Verfassungszusammenhang einbetten. Eine FhG nicht verzichten. Es gebe kein Argu- Neuordnung der Finanz-, der Verwaltungs- ment, warum man die Leibniz- und der Gesetzgebungskompetenzen und Gemeinschaft, die ebenfalls überregional –verfahren müsse daher angegangen wer- agiere, anders behandeln wolle als andere den. Forschungsorganisationen. Wenn die In- stitute der ehemaligen Blauen Liste alle in Abg. Michael K r e t s c h m e r den neuen Bundesländern angesiedelt wä- (CDU/CSU) fragt Staatsminister Dr. ren, habe man jedes Jahr die Wahl, überall Matthias Rößler: Mittel zu kürzen oder ein Institut zu schließen. Bisher lege Sachsen auf jeden Welchen Stand hat die Wissenschafts- Euro von außen einen Euro dazu. Dadurch und Hochschullandschaft in Deutsch- habe er bisher in Verhandlungen über den land, vor allem aber auch in den neuen Forschungshaushalt keine Probleme ge- Bundesländern? Welche Auswirkungen habt. könnte eine Entflechtung in der For- schung und im Hochschulbau haben? Der Freistaat Sachsen habe 2 Mrd. € in die Hochschulen investiert. Die Hälfte habe Wir würde sich eine Vernetzung der der Bund beigesteuert. Inzwischen sei die Spitzentechnologie und die Clusterbil- Hochschulinfrastruktur wettbewerbs- und dung auf Europäischer Ebene auswir- leistungsfähig. Dank der DFG funktioniere ken? auch die Hochschulforschung gut. Wenn der Bund sich aus der Hochschulbauförde- Staatsminister Dr. Matthias R ö ß l e r rung zurückziehe, werde man kein neues weist darauf hin, dass auf Sachsen 46 % Hochschulbauprojekt in den neuen und des Forschungspotenzials der neuen Bun- alten Bundesländern mehr starten können. desländer entfielen. Damals sei das Wis- Sachsen investiere jedes Jahr etwa Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 41

200 Mio. € in die Hochschulen. Er möchte Not geäußert, wenn es zu einer Entflech- dringend appellieren, die gemeinsame Ver- tung im Hochschulbau käme, müssten die antwortung fortzusetzen. Finanzströme nicht nur in voller Höhe weiter, sondern auch zweckgebunden für Er möchte auch auf die Forschungscluster den Hochschulbau fließen. zu sprechen kommen. Im Raum Dresden gebe es einen der bedeutendsten Mikro- Abg. Michael K r e t s c h m e r elektronikstandorte Europas. Hier würden (CDU/CSU) fragt Prof. Dr. Peter zwei Drittel der sächsischen Forschungs- Gaehtgens: kapazität konzentriert. Etwas Vergleichba- res könnte im Raum Halle-Leipzig mit der Braucht man in Zukunft noch das Biotechnologie und den Life Sciences ge- Hochschulrahmengesetz auch vor dem lingen. Bei einer Entflechtung werde man Hintergrund der aktuellen Föderalis- den Forschungscluster in Halle-Leipzig mus- und Entflechtungsdebatte? nicht entwickeln können. Sachsen konzent- riere sich strategisch auf die drei Bereiche Prof. Dr. Peter G a e h t g e n s führt aus, Mikroelektronik, Biotechnologie und neue dass man ein Hochschulrahmengesetz Werkstoffe. In dieser Strategiediskussion brauche, erst Recht, wenn man über die wären Bund und Länder einer Meinung. In Länder- und Bundesgrenzen hinausschaue. die Blaue Liste sei ein großes Forschungs- Eine formale und inhaltliche Koordination potenzial in den neuen Ländern aufge- sei dringend notwendig. Das HRG wäre, nommen worden. Die Forschungsland- wenn es vernünftig umgesetzt werde, ein schaft der ehemaligen DDR wäre nur mit notwendiges und sinnvolles Instrument. großen Schwierigkeiten an die neuen Ver- Die beste Lösung wäre aber immer die hältnisse angepasst worden. Das sei aber Förderung der Autonomie und der Selbst- insgesamt gelungen und mit einer Ent- gestaltungsfähigkeit der Universitäten. flechtung werde es zu Rückschlägen in Letztlich trügen die Institutionen die Ver- Ostdeutschland kommen sowohl in der antwortung für die Qualität von Bildung, Forschung als auch im Hochschulbau. Ausbildung und Forschung.

Die V o r s i t z e n d e fragt vor dem Abg. Hans-Josef F e l l (BÜNDNIS 90/ Hintergrund der Ausführungen von DIE GRÜNEN) führt aus, dass die demo- Staatsminister Dr. Rößler warum die neu- kratisch bestimmte Legislative gegenüber en Bundesländer den weitreichenden der Ministerialbürokratie relativ wenig Entflechtungsvorschlägen zugestimmt Einfluss auf die Forschungspolitik habe. Er hätten? fragt Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel und Prof. Dr. Heinrich Wilms: Staatsminister Dr. Matthias R ö ß l e r stellt klar, dass sich die Ministerpräsiden- Welche Möglichkeiten gibt es in der tenkonferenz eindeutig gegen die Ent- Diskussion über neue Förderstrukturen, flechtung im Forschungsbereich ausge- die Legislative wieder stärker in das sprochen habe. Die Konferenz habe sich Blickfeld zu rücken? Was hat Herr Prof. ebenfalls zur BLK und zum Hochschulbau Henkel in seiner Stellungnahme mit dem geäußert. Die Ministerpräsidenten hätten Stichwort „Parlamentsvorbehalt“ ge- zu Protokoll gegeben, dass sie die Finanz- meint? ströme des Bundes in den Hochschulbau in Zukunft in dem selben Umfang wie bisher Prof. Dr. Hans-Olaf H e n k e l antwortet, erwarten würden. Die KMK habe in ihrer dass der Parlamentsvorbehalt sich auf eine Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 42

Schwäche der BLK bezogen habe. Es wür- Prof. Dr. Karl Max E i n h ä u p l führt den dort oft Verabredungen getroffen, an aus, dass es ein starkes Anliegen des deut- die sich die Länder und der Bund dann schen Wissenschaftssystems sein müsse, anschließend nicht halten würden. Das die Universitäten zum Rückgrat der Wis- beträfe speziell die finanzielle Ausstattung, senschaft zu machen. Er habe Zweifel, ob um die man dann beim jeweiligen Minis- man diese Metapher heute immer noch für terpräsidenten oder Regierenden Bürger- die Universitäten verwenden könne ange- meister kämpfen müsse. Ein anderes Bei- sichts der eklatanten Finanzierungsdefizite. spiel sei die Einführung der Kosten- Leistungs-Rechnung, die aber in einigen In Deutschland sei die Grundlagenfor- Ländern nicht eingeführt worden wäre. Es schung in großen Teilen nicht in den Uni- gehe hauptsächlich um die Frage, wie man versitäten verankert, sondern in den Groß- eine größere Verbindlichkeit der BLK- forschungseinrichtungen. Trotz aller Kritik Beschlüsse erreichen könne. Ein Parla- habe sich dies auch bewährt. Es gebe aber mentsvorbehalt bei der finanziellen Aus- eine immer größer werdende Schere zwi- stattung müsse sein, und man sollte ihn schen der Infrastruktur der Großforschung auch akzeptieren. Es gehe dabei aber nicht und der Universitäten. Wenn die Univer- um die Frage der Forschungsinhalte. sitäten allein den Ländern überlassen wür- den, die seiner Voraussage nach immer Prof. Dr. Heinrich W i l m s stimmt Herrn weniger Geld haben würden als der Bund, Fell zu. Die Parlamente wären zu wenig an und man gleichzeitig die Großforschung strukturellen Entscheidungen im Hoch- allein dem Bund unterstellen würde, dann schulbereich beteiligt. Das Parlament wäre würde sich diese Schere noch weiter öff- zwar der Gesetzgeber, die Gesetze würden nen. In den Universitäten werde es ver- aber durch die Ministerialbürokratie ver- stärkt zu einem Problem im Wettbewerb waltet. Er wolle sich da aber als kleiner um die besten Köpfe kommen. Er fragt, Beamter etwas vorsichtig ausdrücken. was einen hervorragenden Wissenschaftler Nach seiner Erfahrung sei das System motivieren könnte, an einer Universität zu teilweise der Effizienz der Wissenschaft arbeiten, wo er neben den Lehrverpflich- abträglich. Er schlägt vor, Parlamentsaus- tungen auch noch schlechtere Möglichkei- schüsse einzurichten, denen die Ministe- ten habe, seine Interessen und seine inter- rien regelmäßig über Entwicklungen und national kompetitive Forschung durchzu- neue Strukturen Bericht erstatten sollten. führen. Die Auswirkungen der anstehenden Entscheidungen werde man erst in zehn Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) oder fünfzehn Jahren vollständig spüren. fragt Prof. Dr. Karl Max Einhäupl: Die Hochschulbauförderung werde auch Welche Auswirkungen hätte ein Aus- dazu verwendet, regionale Strukturpolitik stieg des Bundes aus dem Hochschulbau zu betreiben. Einer Versäulung des Wis- und eine Novellierung des Hochschul- senschaftssystems werde durch eine allei- bauförderungsgesetzes für die Hoch- nige Verantwortung der Länder für den schulforschung? Schafft das derzeitige Hochschulbau nicht entgegengewirkt. Verfahren der Hochschulbauförderung Bund und Länder müssten gemeinsam nicht erst die Grundlage für eine ver- Verantwortung für das System tragen. gleichsweise gute Ausstattung der Uni- versitäten für die Forschung? Zum Schluss möchte er noch die Notwen- digkeit des Aufbaus von Eliteuniversitäten ansprechen. Deutschland habe insgesamt Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 43 ein universitäres System, das sich im Ver- tem hinreichend leistungsfähig, um eine gleich zu anderen Industrieländern durch- Strukturreform bewältigen zu können? aus sehen lassen könne. Nicht umsonst würden die Hochschulabsolventen in ande- Wie will der Wissenschaftsrat es organi- ren Ländern gern aufgenommen. Die An- siert sehen, dass bei einem bestimmten zahl exzellenter Hochschulabsolventen sei Plafond Hochschulbau in einem Wett- aber nicht ausreichend. Er halte zusätzliche bewerbsverfahren besondere Hoch- drei bis vier Eliteuniversitäten in Deutsch- schulbaumittel für zukünftige Schwer- land für notwendig, die auch die Standards punktaufgaben platziert werden, in wel- für die anderen Universitäten vorgeben cher Form könnte das geschehen und könnten. Diese Universitäten könnten aber wie könnte das in einem breiten Konsens nur von Bund und Ländern gemeinsam geschehen? unterhalten werden. Staatsminister Prof. Dr. Jürgen Z ö l l n e r Er möchte die anwesenden Wissen- erläutert den Hintergrund seiner Positionie- schaftsminister fragen, wie sie in Zukunft rung zur Leibniz-Gemeinschaft. Die For- in Kompetition mit anderen Ressorts Geld schungsförderung sollte gemeinsam betrie- für die Wissenschaft und für die Universi- ben werden. DFG und MPG sollten 50:50 täten in ihren Ländern erhalten wollten, finanziert werden. Damit sei der Effekt des wenn sie nicht mehr mit dem Incentive der Wettbewerbs zwischen den Ländern am 50 %-igen Kofinanzierung durch den Bund größten, optimale Einrichtungen anzusie- rechnen könnten. Wenn das Geld des Bun- deln, weil jedes Land eine realistische des den Ländern pauschal zugewiesen Chance habe, DFG-Mittel zu erhalten. Bei würde, wäre es sehr unwahrscheinlich, den Großforschungseinrichtungen bestehe dass das Geld allein der Wissenschaft zu auf Grund ihrer Größe und Bedeutung ein Gute käme. primäres Interesse des Bundes. Er halte es für notwendig, dass es eine Teilfinanzie- rung, vor allen Dingen eine Sitzlandsbetei- ligung gebe, weil es durch die Ansiedlung zu positiven Struktureffekten auf die Regi- Die V o r s i t z e n d e ruft die nächste on komme. Die Fraunhofer-Institute seien Fragerunde auf. unproblematisch, weil sie sich zum größten Teil fremd finanzieren müssten. Abg. Dr. Ernst Dieter R o s s m a n n (SPD) fragt Prof. Dr. Karl Max Einhäupl Er möchte jetzt auf die Leibniz- und Prof. Dr. Jürgen Zöllner: Gemeinschaft zu sprechen kommen. Es sei notwendig zu wissen, wie sie entstanden Er habe in der Stellungnahme des Wissen- sei. Das hätte aber nichts mit der Qualität schaftsrats gelesen, dass der Wissen- der Institutionen zu tun. Er selbst habe die schaftsrat in Zukunft qualitative Entschei- Entwicklung miterlebt. Es habe Institute dungen treffen sollte, wenn es um Investi- gegeben, deren Funktionen nach der Blau- tionen im Hochschulbau in unterentwi- en Liste genau definiert worden wären. Es ckelten Regionen oder international rele- habe sich um Dienstleistungsinstitute für vanten Schwerpunkten gehe. die Wissenschaft gehandelt. Es mache da- her Sinn, sie in der Form zu finanzieren Wie sollte das Verfahren einer Evaluati- und sie vorzuhalten für die gesamte Wis- on, Zuordnung und Profilierung ausse- senschaftsinfrastruktur der Republik. An- hen und ist das jetzige Organisationssys- dere Institute wären spezialisiert auf einen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 44 speziellen Aufgabenbereich. Diesen näh- Das entscheidende Kriterium müsse die men sie dann für das gesamte Land wahr Leistung sein, die man allerdings in der wie z. B. die Tropeninstitute in Hamburg Wissenschaft relativ gut messen könne. und Frankfurt. Die Institute müssten ent- weder von der Ländergemeinschaft insge- Als nächstes möchte er die Flexibilisierung samt oder primär vom Bund finanziert ansprechen. Es sei mehrfach auf die Not- werden. wendigkeit des Abbaus der Versäulung hingewiesen worden. Das sei besonders für Die hochqualifizierten Institute der Leib- die Universitäten wichtig. Man müsste niz-Gemeinschaft wären auf Grund ihrer Cluster bilden. Die Schools der Max- historischen Entwicklungen in vielen Fäl- Planck-Gesellschaft an den Universitäten len nicht nach abstrakten Systemkriterien, wären ein Ansatz in diese Richtung. Auch sondern wegen der Probleme, Finanzie- die HGF mache erste Schritte auf diesem rungswege zu finden der Leibniz- Wege. Man müsse die Möglichkeiten Gemeinschaft zugeordnet worden. Er sei schaffen, jenseits jeglicher demokratischer der festen Überzeugung, dass viele der Hürden gemeinsame Finanzierungen anzu- hervorragenden Institute noch größere streben. Das sollte nicht nur für die Wis- Wirkungsmöglichkeiten entfalten könnten, senschaftsorganisation von Bund und Län- wenn sie z. B. in die Universitäten einge- dern gelten, sondern auch für die Wirt- gliedert würden. Wenn man eine Diskussi- schaft. Auch hier müsse die Tür geöffnet on darüber führe, wie man sinnvoll das werden, damit Finanzierungen aus der Forschungssystem nach Aufgabenstellun- Wirtschaft in die Hochschulen möglich gen konzipiere, dann sollte man auch das würden. Produkt der Vergangenheit, das natürlich sehr viel mit dem Deutsch-Deutschen Ei- Er möchte darauf hinweisen, dass die Me- nigungsprozess zu tun habe, sauber berei- dizin über 30 % des HBFG-Volumens nigen. Andernfalls habe man es auf die ausmache. Ein großer Teil der Medizingel- Dauer mit einer Zwitterfunktion zu tun. der gehe aber nicht in die Wissenschaft, Alle Strukturveränderungen müssten letzt- sondern in die Krankenversorgung. Dort lich kostenneutral ausgeglichen werden, könne sie allerdings nicht wissenschafts- sonst würden die besten Vorschläge nicht förderlich sein. Wenn der Investitionsbeg- wirken. Es dürfe nicht auf Bund- und Län- riff grundsätzlich in Frage gestellt werde, derseite Gewinner und Verlierer geben. müsse man eine Verfassungsänderung an- streben. Andernfalls wäre möglicherweise Prof. Dr. Karl Max E i n h ä u p l führt eine HBFG-Novelle ausreichend. aus, dass man bei der Hochschulbauförde- rung zunächst auf eine Leistungsdifferen- Abg. Katherina R e i c h e (CDU/CSU) zierung hinarbeiten sollte. Einen gewissen fragt Prof. Dr. Hans-Olaf Henkel und Prof. Betrag sollte man für die Förderung von Dr. Christoph Degenhart: Exzellenz, für Leuchttürme reservieren. Das wäre bereits ein Fortschritt gegenüber Wie beurteilen Sie die festgeschriebene der aktuellen Vorgehensweise. Er leite den Forschungsfreiheit im Grundgesetz un- Ausbauausschuss im Wissenschaftsrat. Das ter dem Gesichtspunkt der Neustruktu- Volumen, über das man entscheiden kön- rierung der Forschungslandschaft und ne, sei gemessen am Gesamtvolumen der auch des bestehenden Hochschulrah- Hochschulbauförderung relativ gering. mengesetzes? Man müsste den Wettbewerb steigern und auf diese Weise mehr Exzellenz schaffen. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 45

Prof. Dr. Hans-Olaf H e n k e l schickt Zum Schluss möchte er noch einmal auf voraus, dass die Leibniz-Gemeinschaft das Thema „Flavours of the Day“ zurück- natürlich ein Produkt der Vergangenheit kommen. Vor 15 Jahren sei die Homöo- sei wie alle anderen Forschungsgemein- pathie in Mode gekommen, und man habe schaften in Deutschland auch. Daraus jetzt hier eine Menge Geld verpulvert. Wenn Schlüsse zu ziehen über die Zukunftsfä- heute das Fernsehen über das Umfallen higkeit einer Forschungsgemeinschaft halte einer BSE-verdächtigen Kuh berichte, be- er für etwas gewagt. Die Zusammenarbeit käme die Ressortforschung schnell eine zwischen den Instituten und den Universi- Menge Geld zur Verfügung gestellt. Was täten sei extrem dicht. Es gebe kein einzi- die Forschungsfreiheit angehe, mache ihm ges Institut mit einem Länderbezug. Die in der Forschung auch der Smell of the Struktur solle Qualität und die Zusammen- Day große Sorgen, wenn Leibniz-Institute arbeit zwischen den Instituten sichern. sich z. B. darüber beschweren, dass sie ein Projekt nicht mehr gefördert bekämen, Er möchte auch zum Thema „Freiheit der wenn es Klimaforschung und nicht Klima- Wissenschaft“ Stellung nehmen. Wenn schutz im Titel habe. Er möchte hervorhe- man wirklich entflechten sollte, dann müs- ben, dass die gemeinsame Forschungsver- se die Leibniz-Gemeinschaft insgesamt in antwortung zwischen Bund und Ländern die Verantwortlichkeit des Bundes überge- nicht nur dem föderalen System Deutsch- hen. Das wäre die logische Konsequenz. Er lands entspreche, sondern auch ein großes empfehle dies aber nicht aus den bereits Stück Freiheit für die Forschung sicher angeführten Gründen. stelle.

Er sei in der letzten Woche beim CRNS, Prof. Dr. Christoph D e g e n h a r t der großen zentralen französischen For- möchte sich für das Plädoyer von Prof. schungsorganisation gewesen. Nach dem Zöllner für die Einheit von Lehre und For- Besuch habe er den Eindruck gehabt, dass schung an den Universitäten bedanken. diese Organisation ein schlechtes Beispiel Solche Plädoyers höre man heute nicht sei. Eines ihrer Ziele wäre z. B. die Förde- mehr all zu oft. Er wolle auch Frau Reiche rung der französischen Sprache. Es sei danken, dass sie den Artikel 5 Abs. 3, das durchaus positiv, ein Forschungssystem zu Grundrecht der Freiheit der Wissenschaft, haben, das sich gegen Flavours of the Day der wissenschaftlichen Forschung und oder zentralistische Vorgaben wehren kön- Lehre in den Vordergrund ihrer Frage ge- ne. Insofern wäre die Gemeinschaftsförde- rückt habe. Das Grundrecht stehe wenig in rung von Bund und Ländern eigentlich ein privater Verantwortung. Es sei viel stärker sehr gutes System. Wie gut es wäre, merke von staatlicher Finanzierung abhängig als man erst jetzt, wo es zur Disposition stehe. andere Grundrechte. Organisation und Ver- Forschung brauche Freiheit. fahren müssten das Grundrecht gewähr- leisten. Die Verfassungsrechtler sprächen Seine persönliche Erfahrung in der Wirt- auch vom Grundrechtsschutz durch Orga- schaft sei, dass Größe im Zweifelsfalls nisation. Er plädiere für eine Diversifizie- problematisch sei. Zwei Drittel der Fusio- rung der Finanzierungsquellen und der nen in der Wirtschaft wären gescheitert Abhängigkeiten und damit letztlich für bzw. hätten ihre Ziele nicht erfüllt. Größe eine Mischfinanzierung. Man müsse hier müsse immer auch begründet sein. Die jedoch das labile Gleichgewicht sehen, die Vielfalt mit vier großen außeruniversitären Selbstverwaltung der Wissenschaft einer- Forschungseinrichtungen sei ein Vorteil. seits und die notwendige staatliche Ver- antwortung andererseits. Es sei aber nicht Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 46 immer ausgemacht, ob ein Grundrecht bes- tend einzusetzen. Dies sei auch Intension ser in der Selbstverantwortung aufgehoben des Verfassungsgebers der Verfassungsre- sei oder in staatlicher Obhut. vision von 1994 gewesen. Es stünden aber noch Entscheidungen des Bundesverfas- Aus verfassungsrechtlicher Sicht könne er sungsgerichts in dieser Frage an. Vielleicht einer Erhebung von Sonder- oder Zweck- sollte man diese zunächst abwarten, bevor steuern nicht zustimmen. Zwecksteuern man überstürzt handele. wären einem modernen Steuerstaat völlig fremd. Sie wären auch verfassungsrecht- lich problematisch, weil sie die notwendige Abg. Hans-Josef F e l l (BÜNDNIS 90/ Verantwortung des Parlaments relativieren DIE GRÜNEN) fragt Prof. Dr. Karl Max würden. Das Parlament müsse die Budget- Einhäupl und Prof. Dr. Ernst-Ludwig hoheit behalten. Winnacker:

Prof. Dr. Christoph D e g e n h a r t Die Hochschulbauförderung ist ein we- nimmt zur zweiten Frage der Abg. Kathe- sentliches Instrument, um die For- rina Reiche Stellung. schungslandschaft zu stärken. Gibt es im europäischen Vergleich Defizite in Die Gesetzgebungskompetenz sei zunächst Deutschland, besteht die Notwendigkeit, neutral. Es komme darauf an, was man stärkere Infrastrukturmaßnahmen mit daraus mache. Man habe die Gesetzge- staatlicher Förderung noch auf den Weg bungskompetenz im Bereich des Hoch- zu bringen, um im internationalen und schulrahmenrechts von Seiten des Bundes europäischen Vergleich mithalten zu stets stark regulativ eingesetzt bis hin zu können? der Frage, ob an Universitäten verfasste Studierendenschaften auf freiwilliger oder Prof. Dr. Karl Max E i n h ä u p l erwi- auf öffentlich-rechtlicher Zwangsbasis dert, dass die Fördersteigerungsrate für die bestehen müssten. Wenn das Hochschul- Hochschulen in fast allen europäischen rahmengesetz zu stark regulativ eingesetzt Ländern höher gewesen sei als in werde, sei die Gesetzgebungskompetenz Deutschland. Bei Bedarf könne er die ge- eher selbstverwaltungs- und wissenschafts- nauen Zahlen noch nachliefern. Die Wett- feindlich. Der Vorschlag, die Rahmenge- bewerbssituation in Europa stelle sich so setzgebungskompetenz auf eine Grund- dar, dass man in Deutschland gemessen an satzgesetzgebungskompetenz zurückzufüh- den Ausgaben für Hochschulen im Ver- ren, was ohnehin bereits im Begriff der hältnis zum Bruttoinlandsprodukt auf dem Rahmenkompetenz angelegt sei, würde vorletzten Platz stehe. Deutschland liege gewisse Klarstellungen erzeugen. Er wolle bei 1 %, nur Italien habe das mit 0,9 % nicht unterstreichen was aus einigen Stel- noch unterboten. Der OECD-Durchschnitt lungnahmen hervorgehe, dass die liege bei 1,7 %. Das sei die Situation, und Rahmengesetzgebung etwas Abstruses sei. um diese zu verbessern, säße man heute Der Entwurf des Europäischen Verfas- zusammen. sungsvertrages greife immerhin ausdrück- lich zurück auf die Kategorie der Rahmen- Prof. Dr. Ernst-Ludwig W i n n a c k e r gesetzgebung als Vorgabe für die mit- führt aus, dass die Hochschulbauförderung gliedsstaatliche Gesetzgebung. Man müsse in den europäischen Ländern unterschied- sich darauf besinnen – und das gehe auch lich geregelt sei. In den meisten Ländern ohne Verfassungsänderung – die Rahmen- wäre sie zentral geregelt. Selbst die föde- gesetzgebungskompetenz nur zurückhal- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 47 rale Schweiz habe in diesem Bereich sehr DFG flössen, würden nicht kompensiert zentrale Strukturen. durch die Mittel, die die Hochschulen er- hielten. Eine grobe Rechnung habe erge- Es werde oft vergessen, dass es bei der ben, dass die Gelder nur zu 30 % kompen- Hochschulbauförderung nicht nur um Ge- siert würden. Die DFG sehe sich oft vor bäude, sondern auch um unverzichtbare das Problem gestellt, dass sie exzellente Investitionen gehe, die für die Leistungsfä- Forschungsvorhaben identifiziere und dann higkeit der Einrichtungen im europäischen Investitionen finanzieren müsste, die ei- Vergleich eine große Bedeutung hätten. gentlich zur Grundausstattung der For- Auch das sei ein Grund, die gemeinsame schungseinrichtungen gehörten. Damit Finanzierung und die Verantwortung des stoße die DFG an die Grenze ihrer Mög- Bundes hoch zu halten. lichkeiten. Die Zahl der Anträge wären in den letzten Monaten um 25 % und ihr Wert Der Vergleich in Europa sei aber schwie- um 60 % gestiegen. rig, da das europäische System fragmen- tiert sei. Es gebe zwar einen europäischen Wie es jetzt weiter gehen solle, müsse man Wirtschaftsraum, aber keinen europäischen auch in Zukunft mit der BLK diskutieren. Hochschulraum. Der Bologna-Prozess Er hoffe, dass es sie dann noch gebe. Die werde kommen, aber er sei noch nicht Frage sei, ob die BLK wirklich einstimmig richtig im Gange. Es gebe auch noch kei- entscheiden müsse, oder ob in bestimmten nen gemeinsamen Forschungsraum und Bereichen nicht auch Mehrheitsentschei- keine europäische Institution, die Großge- dungen sinnvoller wären, um eine größere räte für die Forschung priorisiere. Es wür- Flexibilität zu erreichen. den z. B. die gleichen Schiffe in Frankreich und Deutschland zur Erforschung der Ark- Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) tis gebaut. fragt Prof. Dr. Jürgen Zöllner:

Dieser Zustand habe Schwächen, die es Wie können eventuell vorhandene Ab- jetzt zu überwinden gelte. Daher müsse die stimmungsprobleme zwischen Bund und Forschung in Deutschland optimal aufge- Ländern und zwischen den Ländern bei stellt werden. Er plädiere für eine Hoch- der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschul- schulbauförderung in europäischer Sicht. bau“ behoben werden?

Abg. Christoph H a r t m a n n (FDP) Staatsminister Prof. Dr. Jürgen Z ö l l n e r fragt Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker: führt aus, dass es immer wieder Abstim- mungsprobleme prinzipieller Art geben Welche Auswirkungen hätte der Wegfall könne, wenn es um den Ausbau von zwei der Mischfinanzierung auf die Drittmit- ähnlichen Schwerpunkten, die Investiti- telfähigkeit der Hochschulen der Län- onsmittel erfordern würden, gehe. Wenn es der? keine Bundesländer gebe, und man hätte eine einheitliche Situation, würde die Kon- Prof. Dr. Ernst-Ludwig W i n n a c k e r kurrenzsituation auch zwischen Universi- antwortet, dass die DFG bei ihrer Förde- täten auftreten, die um attraktive Profilie- rung von Hochschulen und anderer Ein- rungsmöglichkeiten kämpfen würden. Die- richtungen davon ausgeht, dass eine se Wettbewerbssituation sei aber prinzi- Grundausstattung vorhanden ist. Dieses piell nichts Schlechtes. Vor dem Hinter- Infrastrukturproblem werde zurzeit immer grund sollte es eine Entscheidungsinstituti- größer. Die Gelder, die zusätzlich an die on geben, die mit Politik nichts zu tun ha- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 48 be. Wenn es nicht die wichtige Institution Abg. Ulrike F l a c h (FDP) fragt Prof. des Wissenschaftsrates gebe, die den uner- Dr. Karl Max Einhäupl: sättlichen Bauwünschen der deutschen Professoren ein neutrales Urteil gegenüber Sie haben das Forum für Wissenschaft stellen könnten, würden die Politiker den Anfang des Jahres gefordert und haben Wünschen sicher oft erliegen. Er selbst eine Expertise zu Doppelungen und Lü- sehe sich außer Stande, den lokalen Kampf cken in der Forschungsförderung auf- ohne das objektive Urteil des Wissen- gestellt. Wie sehen Sie die Föderalis- schaftsrates zu führen. Die Mischverant- musdebatte vor diesem Hintergrund? wortung sei daher unbedingt notwendig. Wie würden Sie Ihre Empfehlungen in Es sei gesagt worden, dass die Aufgaben die Praxis umsetzen? der BLK nicht zielführend zum Wissen- schaftsrat übergehen könnten. Ein Bera- Prof. Dr. Karl Max E i n h ä u p l ant- tungs- oder Empfehlungsgeschäft sei nicht wortet, dass der Wissenschaftsrat das Fo- mit einem Entscheidungsgeschäft, in dem rum für Forschungsförderung empfohlen es immer auch um Geld gehe, vergleich- habe. Es habe mehrere Unterredungen in bar. Wenn man das miteinander verwebe, dieser Richtung gegeben. Es gehe nicht werde der ganze wertvolle Entwicklungs- darum, eine oberste Förderorganisation prozess, den der Wissenschaftsrat für die einzurichten, die den anderen dann vorge- deutsche Hochschullandschaft geleistet be, wie sie zu fördern hätten. Im Wesentli- habe, gefährdet. chen gehe es darum, eine Abstimmung zwischen der klassischen Fördereinrich- Er möchte noch einen zweiten Punkt an- tung, der DFG, sowie der VW-Stiftung und sprechen. Er kenne keinen Bereich, der in dem Stifterverband herbeizuführen. Die den letzten 15 Jahren eine derart große Vermeidung von Doppelförderungen wäre Veränderung durchgemacht habe wie die dabei nur ein relativ kleiner Aspekt. deutsche Hochschullandschaft. Er denke etwa an die Verpflichtung, sich als In der Bundesrepublik Deutschland gehe es Dienstleistungseinrichtung für die Men- zunehmend auch um die Schwierigkeit, schen zu sehen, die Drittmitteldiskussion Risikoforschung auf den Weg zu bringen. und die Frage der Nebentätigkeiten der Risikoforschung meine dabei keine ge- Professoren, die seiner Ansicht nach aber fährliche Forschung, sondern Forschung überhaupt kein Problem darstelle. Wer deren Ergebnisse man nicht absehen kön- aber glaube, dass irgendein deutscher Pro- ne. Auch für diesen Bereich bedürfe es der fessor oder Präsident irgendeine Empfeh- Übereinstimung der Forschungsförderer. lung des Wissenschaftsrates lese oder ge- Damit sei auch das Ziel der angesproche- schweige sich darum kümmere, es sei denn nen Einrichtung umschrieben. Es werde er habe die Befürchtung, dass irgendwann auch dazu beitragen, dass die Universitäten eine Begutachtung wegen einer Baumaß- ihren Platz im System der Forschung im nahme ins Haus stünde, der irre. besseren Maße als bisher bekommen wür- den. Die V o r s i t z e n d e dankt Prof. Dr. Jürgen Zöllner für die Aufklärung über das Die V o r s i t z e n d e bedankt sich Wesen des deutschen Professors. Sie sei herzlich für die ausführlichen und sach- zutiefst beeindruckt. kundigen Stellungnahmen der Sachver- ständigen. Sie sei sehr froh, dass der Bil- dungs- und Forschungsausschuss sich be- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland 49 reits frühzeitig in der Debatte für eine An- hörung entschieden habe. Man habe in den letzten Monaten den Eindruck gehabt, dass diejenigen, die über Finanzströme nachge- dacht oder über Länderbereinigungen dis- kutiert hätten, dabei nicht bedacht hätten, dass andere Werte gleichzeitig auch mit abgeschafft würden.

Sie weist darauf hin, dass das Protokoll der Anhörung möglichst schnell an den Föde- ralismuskonvent weitergegeben werde.

Sie möchte noch einmal allen an der Anhö- rung Beteiligten herzlich danken und wünscht den Sachverständigen und ande- ren Gästen eine gute Heimreise.

Ende der Sitzung: 14.00 Uhr

Ulrike Flach, MdB Vorsitzende

Bearbeiter: VA Friedhelm Kappenstein

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung 18. Sitzung, 20. Oktober 2003 Öffentliche Anhörung zur Neuordnung der bildungs- und forschungspolitischen Zuständigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland