Der Himmel. Wunschbild Und Weltverständnis

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Der Himmel. Wunschbild Und Weltverständnis View metadata, citation and similar papers at core.ac.uk brought to you by CORE provided by Oxford Brookes University: RADAR RASSENKUNDLICHE FORSCHUNG ZWISCHEN DEM GETTO LITZMANNSTADT UND AUSCHWITZ: HANS FLEISCHHACKERS TÜBINGER HABILITATION, JUNI 1943 PAUL WEINDLING Am 8. Juni 1943 hielt der Rassenforscher Hans Fleischhacker vor der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen als letzten Schritt seines Habilitationsverfahrens die Probevorlesung über „Das Hautleistensystem auf Fingerbeeren und Handleisten bei Juden“. Seine erfolgreiche Ver- teidigung ermöglichte es ihm, den Status eines Privatdozenten am Rassenkundlichen Institut zu erlangen. Die dem Verfahren zugrundeliegende Habilitationsschrift galt als verschollen; im Universitätsarchiv Tübingen ist kein Manuskript überliefert.1 Der kürzlich erfolgte Fund von Handabdrücken, die in Litzmannstadt (Łódź) abgenommen und in der Habilitation analysiert wurden, wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie sahen bei diesen Forschungen die genauen Umstände, die praktische Durchführung und die verfolgten Ziele aus? Wie war Fleischhacker 143 an diese Handabdrücke gekommen? Lässt sich Margit Berner ist überdies bekannt, dass möglicherweise noch der Habilitationstext Wiener Anthropologen an Juden aus den Gettos identifizieren? Und schließlich, dies ist wohl am Litzmannstadt und Tarnow Vermessungen durch- schwierigsten zu beantworten: Was lässt sich führten.2 Tatsächlich stellte sich heraus, dass im über die Identität der Probanden sagen? Naturhistorischen Museum Wien ein Beitrag Hans Fleischhackers überliefert ist, der einen mit der Habilitation fast identischen Titel aufweist: FLEISCHHACKERS HABILITATIONSSCHRIFT „Das Hautleistensystem auf Fingerbeeren und Handflächen bei Juden. (Eine Untersuchung über Zur Beantwortung dieser Fragen musste zu- die Rassenmerkmale des Hautleistensystems nächst ein Exemplar der Habilitationsschrift unter besonderer Berücksichtigung der Juden)“. gefunden werden. Angesichts der akademischen Dieses gedruckte Dokument hat die Form ge- Anforderung, dass Habilitationen veröffentlicht bundener Druckfahnen und war vorgesehen für werden müssen, lag der Schluss nahe, dass den Abdruck in den angesehenen Mitteilungen sie vervielfältigt worden war und sich eine der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. Die Kopie außerhalb Tübingens befinden könnte. Veröffentlichung des Bandes war für das Jahr Es erschien sinnvoll, zunächst in der Anthro- 1943 vorgesehen. Der Probedruck – der soge- pologischen Abteilung am Naturhistorischen nannte Bürstenabzug – ist allerdings auf den 9. Museum in Wien zu suchen, da deren Bibliothek September 1944 datiert. Die zusehends prekäre eine umfangreiche rassenanthropologische militärische Lage verhinderte den Abdruck im Sammlung beherbergt und in der Zeit des avisierten Jahrgang der Zeitschrift. Nationalsozialismus zwischen Forschern beider Institutionen Kontakte bestanden. Durch die In der außergewöhnlich reichhaltigen anthro- Arbeiten der Historikerin und Anthropologin pologischen Bibliothek in Wien ist der erhalten gebliebene Bürstenabzug als Objekt 10737 katalogisiert und fand dort laut Zugangsregister im Jahr 1959 Eingang in den Bibliotheksbestand.3 Das bedeutet, dass ein Text, der sehr ähnlich oder sogar identisch mit der Habilitationsschrift Fleischhackers ist, seit über fünfzig Jahren frei zugänglich ist.4 In Fleischhackers 1949 für das Entnazifizie- rungsverfahren eingereichter Publikationsliste lautet der letzte Eintrag: „Rassenmerkmale des Hautleistenreliefs auf Fingerbeeren und Hand- fläche“ (Habil. Arbeit) noch nicht veröffentlicht“.5 Diese Formulierung erlaubt insofern mehrere Deutungen, da sowohl eine im Erscheinen be- griffene Publikation gemeint sein kann als auch eine überarbeitete Version, die sämtliche Bezüge auf die Juden in Litzmannstadt auslässt. Als 1951 schließlich eine Arbeit veröffentlicht wurde, gab Fleischhacker ihr zwar in der Rückschau eine historische Einordnung, indem er anmerkte: „Diese Arbeit entstand im Jahre 1943 im Anthro- Bürstenabzug der Habilitationsschrift Hans Fleischhackers, pologischen Institut der Universität (damaliger 1943 Direktor: Prof. Dr. W Gieseler).“ Jedoch handelt 145 es sich bei dieser späteren Veröffentlichung um Universitätsarchivs, in dem die 1951 erschie- ein bereinigtes Dokument, in dem jegliche Er- nene Nachkriegsveröffentlichung in Verbindung wähnung der Handabdrücke aus Litzmannstadt mit der Habilitation gebracht wird: „Dass F. fehlt und das damit keineswegs der ursprünglich [Fleischhacker] für diese Arbeit auch Material begutachteten Habilitation entspricht. Die 1951 verwertete, das er im Ghetto von Litzmannstadt erschienene Arbeit steht im Einklang mit Fleisch- gesammelt hatte, ist dem Text [nicht mehr] zu hackers Nachkriegshaltung, weder die Juden aus entnehmen.“7 Litzmannstadt noch aus Auschwitz als Gegen- stand seiner Forschungen zu benennen. Damit Auf die Frage indes, ob Fleischhacker überhaupt bedarf die Annahme, die Habilitationsschrift selbst in Litzmannstadt Handabdrücke gesam- stimme mit der späteren Publikation überein, ei- melt hat, lässt sich folgende Antwort geben: Dies ner Revision; sie ist durch den Fund der Handab- hat er tatsächlich nicht getan. Doch, wie der neu drücke und die nun entdeckte Version, die 1943 aufgefundene Text belegt, verwendete er sehr in den Druck gehen sollte, widerlegt. wohl die aus Litzmannstadt stammenden Hand- Nach 1945 erzählte Fleischhacker so wenig wie abdrücke, die mit dem Stempel „Jude Litzmann- nur möglich über seine Arbeit für die SS, um stadt“ oder „Jüdin Litzmannstadt“ versehen seine Rassenforschung als streng akademisch waren, für seine Habilitationsschrift. Das lässt und objektiv ausweisen zu können.6 Er verfolgte neue Fragen in den Vordergrund treten, da man nach dem Krieg eine Strategie des Leugnens, die die Umstände der Abnahme der Handabdrücke nicht nur in seinem eigenen Interesse, sondern getrennt von Fleischhackers im Rahmen seiner auch in dem seiner Tübinger Kollegen Sophie Habilitation durchgeführten Analysen betrachten Ehrhardt und Wilhelm Gieseler lag. Die ange- muss. sprochenen Unterschiede der Texte zeigen sich auch im Datenbankeintrag 539 des Tübinger VERBINDUNGEN ZUR RASSENHYGIENISCHEN stellen in besonderer Verbindung standen: dem UND BEVÖLKERUNGSBIOLOGISCHEN SS-Ahnenerbe und dem SS Rasse- und Siedlungs- FORSCHUNGSSTELLE hauptamt. Zeitgleich analysierte auch das Kaiser- Wilhelm-Institut für Anthropologie in Berlin Woher stammen die Handabdrücke? Hans- 1940 eine Sammlung jüdischer Handabdrücke Joachim Lang weist auf eine zusammen mit den aus Litzmannstadt.10 Rassenanthropologen ge- Handabdrücken aufgefundene Notiz hin, hörten zu den ersten Forschern, die versuchten, „J. aus L. (R.G.A.)“, was auf eine Verbindung zum die vom Regime betriebenen rassenpolitischen Reichsgesundheitsamt hindeutet.8 Und in der Tat Maßnahmen der Sterilisation und der späteren gab Fleischhacker selbst an, dass das RGA ihm Verfolgung von Juden sowie Sinti und Roma für die Forschungsmaterialien zur Verfügung gestellt wissenschaftliche Zwecke auszubeuten.11 hatte.9 Damit lässt sich die Identität derjeni- gen Rassenkundler, die diese Handabdrücke Der Text des Bürstenabzugs bestätigt, dass ursprünglich abgenommen haben, erhellen. Es Fleischhacker die Handabdrücke nicht selbst handelte sich um Mitarbeiter einer speziellen, genommen hat. Vielmehr war nicht nur eine auf Rassenforschung ausgerichteten Abteilung Forscherin aus Wien an der Erhebung der des Reichsgesundheitsamts, von wo aus die Handabdrücke beteiligt, sondern auch die Handabdrücke wiederum für Fleischhacker Wiener Mitteilungen spielten aufgrund der bereitgestellt wurden. Der nun aufgefundene von dortigen Anthropologen durchgeführten Text bestätigt ferner, dass Fleischhacker und die Forschung zum Körperbau eine wesentliche Vertreter der Rassenkunde in Tübingen mit der Rolle bei der Validierung der Forschungsergeb- Wiener Anthropologie, der Rassenhygienischen nisse Fleischhackers. Die Ziele Ritters bestanden und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle darin, sowohl ein 40000 Menschen erfassendes von Robert Ritter in Berlin sowie zwei SS-Dienst- „Zigeunersippenarchiv“ aufzubauen als auch 147 anthropologische Daten über die „Judenschaft“ Im Herbst 1939 stellte ihr die Anthropologische in verschiedenen Regionen Deutschlands und im Abteilung am Naturhistorischen Museum in besetzten Polen zu sammeln.12 Zwei Anthropo- Wien „13 Zigeunerschädel“ für Untersuchungen loginnen, Hella Pöch aus Wien und Sophie Ehr- zur Verfügung.16 Dies deutet auf ein sehr enges hardt, sammelten 1940 die besagten Abdrücke Verhältnis zwischen Ritter und dem Museum und höchstwahrscheinlich auch die Körpermaße hin. Eine ähnliche Zusammenarbeit wird auch und weitere Daten. Ehrhardt arbeitete zu dieser dazu beigetragen haben, dass ebenso Eugen Zeit an Ritters Rassenhygienischer und Bevöl- Fischer in Berlin aus Litzmannstadt stammende kerungsbiologischer Forschungsstelle, welche Abdrücke erhielt. zunächst der Tübinger Universitätsnervenklinik Die Handabdrücke stellen ein Überbleibsel eines angegliedert gewesen war und anschließend deutlich umfassenderen Satzes von Abdrü- dem Reichsgesundheitsamt in Berlin unterstellt cken aus Litzmannstadt dar. Ehrhardt führte wurde.13 Pöch hatte als freie Mitarbeiterin am für ihre 1950 eingereichte Habilitationsschrift Wiener Institut für Anthropologie gearbeitet. Sie „Morphologisch-genetische Untersuchungen am war Witwe des Pioniers der modernen Anthro- Hautleistensystem der Hand“ ebenfalls Analysen pologie Rudolf Pöch, der Kontakte zur frühen an Handabdrücken durch. In den von Ehrhardt
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