Rote Liste Der Wasserwanzen Hessens
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HESSISCHES MINISTERIUM DES INNERN UND FÜR NATUR LANDWIRTSCHAFT, FORSTEN IN HESSEN UND NATURSCHUTZ Rote Liste der Wasserwanzen Hessens 1 Rote Liste der Wasserwanzen (Nepomorpha und Gerromorpha) Hessens Bearbeitet von Gerhard Zimmermann 2 1. Einleitung In der vorliegenden Arbeit soll nun für das Bundesland Hessen Die aquatischen und semiaqua- eine „ROTE LISTE“ vorgestellt wer- tischen Heteropteren mit den Un- den, die ergänzende Angaben zur terordnungen Nepomorpha (Was- Verbreitung und Ökologie enthält. serwanzen i.e.S.) und Gerromor- Für einige Bundesländer liegen pha (Wasserläufer) sind eine öko- bereits entsprechende Bearbeitun- logisch definierte Teilgruppe der gen für diese Tiergruppe vor, de- Wanzen. Diese an Gewässer und ren Ergebnisse sind aber nicht Feuchtlebensräume gebundene, gut ohne weiteres auf die Verhältnisse 1. Einleitung überschaubare Tiergruppe ist in in Hessen übertragbar: Mitteleuropa mit 74 (vgl. GÜNTHER & SCHUSTER 1990), in Hessen mit Bayern (BURMEISTER, 1992) 56 Arten vertreten. Obwohl diese Berlin (GLAUCHE et al., 1991) Insekten praktisch alle Gewässerty- Baden-Württemberg (RIEGER, pen vom Quellbereich der Fließge- 1979) wässer bis zu deren Mündung ins Brandenburg (BRAASCH & SCHÖN- Meer sowie Tümpel, Teiche, Seen FELD, 1992) und Brackwässer besiedeln, wer- Sachsen-Anhalt (BARTELS, R., den sie bislang nur selten bei öko- 1995) logischen Untersuchungen und bei der Bewertung von aquatischen Die in der „Roten Liste der ge- Lebensräumen berücksichtigt. fährdeten Tiere und Pflanzen der Dieses Defizit liegt zum einen BRD“ (GÜNTHER et al. in BLAB et al., an der mangelnden Verfügbarkeit 1984) vorgenommenen Gefähr- neuerer, auf das Gebiet Mitteleu- dungseinschätzungen der Wasser- ropas bezogener, deutschsprachi- wanzen sind überholt und unvoll- ger Bestimmungsliteratur. Zum an- ständig. Hinzu kommt, daß die deren fehlen, wie auch für viele Kategorien 2, 3 und 4 dort zusam- andere aquatische Wirbellose, hin- mengefaßt werden. Eine neue Be- reichende Verbreitungsangaben, arbeitung, die von Heteropterolo- Daten zur Ökologie und Gefähr- gen aus verschiedenen Regionen dung, die vor allem auch regionale Mitteleuropas getragen wird, ist in Unterschiede berücksichtigen. Vorbereitung (HOFFMANN et al. in prep.). 3 2. Datengrundlagen 2. Datengrundlagen Auswertung öffentlicher und pri- vater Aufsammlungen: Sencken- Der Bearbeitungsstand zur Ver- berg-Museum Frankfurt; Museum breitung der aquatischen und se- Wiesbaden, Naturkundliche Samm- miaquatischen Heteropteren in lung; Limnologische Flußstation Hessen ist aufgrund der immer Schlitz; Kollektion Günther, H. In- schon geringen Zahl von Bearbei- gelheim; Kollektion Remane, R., tern noch nicht zufriedenstellend. Marburg. Viele Angaben beruhen auf älte- ren Daten und sind überprüfungs- bedürftig. Neuere faunistische Ar- beiten wurden von BURGHARDT, G. (1977-1979), BERNHARD, K.-G.(1990) und ZIMMERMANN, G. (1983) publi- ziert. Eine wichtige Basis für die vorliegende Auflistung sind daher die Aufsammlungen des Autors, die er in den letzten 20 Jahren in ganz Hessen im Rahmen von wis- senschaftlichen Untersuchungen oder während der Erstellung öko- logischer Gutachten zusammen- tragen konnte. Weitere Grundlagen für die Er- stellung der Artenliste und die Ein- stufung der Taxa in die Gefähr- dungskategorien sind: Auswertung der dem Autor be- kannten faunistischen und taxono- mischen Literatur für das Gebiet Hessens und angrenzender Bun- desländer, Diplom- und Staatsexa- mensarbeiten sowie eigene Arbei- ten und ökologische Gutachten (Veröffentlichte Arbeiten stehen in der Literaturliste). 4 3. Angaben zur Biologie Die Einnischung mehrerer Spezies einer Gattung oder Familie im glei- Wasserwanzen und Wasserläu- chen Habitat erfolgt u.a. über fer sind zur Beurteilung bestimm- Präferenzen der Gewässerzonen, ter Gewässerbiotope gut geeignet, der Substrat- und Vegetations- denn aufgrund ihrer speziellen struktur, der Beschattung sowie Biologie und ökologischen Ansprü- den Nährstoff- und Sauerstoff- che sowie ihrer großen Verbrei- gehalt des Wohngewässers. tung und Abundanz, ergeben sich Literaturdaten zur Biologie, die für bestimmte Biotoptypen charak- auf Untersuchungen in anderen teristische Artenkombinationen. Verbreitungsarealen wie der Nord- Ihre Funktionen im Naturhaus- deutsche Tiefebene (BERNHARD, halt der Gewässer sind die der 1988), den Niederlanden (NIESER, räuberischen Sekundärkonsumen- 1982) oder Großbritannien (SA- ten (alle Wasserläufer, die meisten VAGE, 1989) beruhen, sind nicht Wasserwanzen), der phytophagen ohne weiteres auf Verhältnisse in Primärkonsumenten (viele Ruder- Hessen zu übertragen. Bestimmte wanzen, insbesondere während Arten, die im Norddeutschen Tief- der Larvalzeit) sowie der Destru- land in mehreren Gewässertypen 3. Angaben zur Biologie enten (viele Ruderwanzen). Die verbreitet sind, kommen in Hessen aquatischen Arten stellen wegen nur in den Hochlagen der Mittel- ihrer oft hohen Individuendichte gebirge und dort in Mooren oder (z.B. bis zu 4000 Corixiden pro m2 anmoorigen Standorten vor (z.B. Bodenfläche eines Gewässers) Sigara semistriata und Notonecta wichtige Nährtiere für Fische und reuteri). Wasservögel dar. Problematisch bei der Beurtei- Rückenschwimmer können in lung der Bodenständigkeit vieler Kleingewässern (z.B. Wald- und Arten ist das ausgeprägte Migra- Moortümpel) bei gleichzeitigem tionsverhalten der Wasserwanzen Fehlen von Fischen zu den wich- und Wasserläufer. tigsten Räubern werden und ge- Genetisch und ökologisch be- genüber anderen aquatischen Wir- dingt unternehmen die meisten bellosen dominieren. Arten besonders im Frühjahr und Über das Vorkommen oder Herbst zum Teil ausgedehnte Ver- Fehlen von Zeigerarten sowie über breitungsflüge. Dadurch können in die Vollständigkeit oder Lücken- einem Gewässer völlig fremde Ar- haftigkeit von biotoptypischen Gil- ten auftreten, die ihre normale Ver- den kann auf die Qualität des Le- breitung in hunderte von Kilome- bensraumes geschlossen werden. tern entfernten Gebieten haben. 5 Besonders migrationsfreudig sind die Corixiden (Ruderwanzen), die häufig neu entstandene Stillge- wässer besiedeln. So wanderte zum Beispiel nach den heißen und trockenen Sommern der Jahre 1976 und 1992 Cymatia rogen- hoferi, eine ost- und südpaläark- tisch verbreitete Art, in Bagger- seen und flache Teiche im Kreis Marburg - Biedenkopf ein und pflanzt sich seitdem in dieser Re- gion fort. Dagegen gelang der im Frühjahr 1997 in zwei Kleingewäs- sern im Stadtgebiet von Marburg erstmals beobachteten Corixa pan- zeri nach bisherigen Beobachtun- gen keine Nachzucht. Diese salz- tolerante Ruderwanze hat ein ständiges Verbreitungsgebiet in küstennahen Regionen Europas und SW-Asiens, kommt aber in weiten Gebieten Zentral-Europas nur selten vor (z.B. in der Region des Neusiedler Sees). Vergleichba- res gilt für die Ruderwanze Sigara longipalis, die ihre Hauptverbrei- tung in der norddeutschen Tief- ebene, entlang der Ströme Rhein und Elbe sowie in Skandinavien hat. Nur eine gute Kenntnis der lokalen Verhältnisse kann hier mög- lichen Fehleinschätzungen vorbeu- gen. 6 4. Gefährdungsursachen Für die Stabwanze Ranatra linearis stellen die vertikalen Sten- 4.1. Gewässerverschmutzung gel von Röhrichtpflanzen ein sehr Die Auswirkungen des Eintrags wichtiges Substrat für die Eiablage von Schad- und Nährstoffen in dar. Durch das vermehrte Ein- Gewässer auf die Limnofauna sind schwemmen von Nährstoffen in hinlänglich bekannt und stellen die Uferzonen von Stillgewässern immer noch die Hauptgefährdung und der darauffolgenden erhöhten für empfindlichere Arten dar. Bei- Algen-, Pilz- und Bakterienent- spielsweise ist vermutlich das weit- wicklung, kommt es in den Röh- gehende Verschwinden der klei- richtgürteln zu Faulprozessen. Da- nen Ruderwanze Sigara helensii durch werden einerseits die Pflan- nicht nur in Hessen sondern auch zenstengel selbst geschädigt und in anderen Bundesländern darauf andererseits wird den mit Atemfä- zurückzuführen. Besiedler oligotro- den versehenen Stabwanzeneiern pher Stillgewässer wie Glaenoco- sowie den empfindlichen ersten risa propinqua, Arctocorisa ger- Larvenstadien der Sauerstoff ent- mari u.a. sind bundesweit durch zogen. die nährstoffbedingte Belastung ihrer Wohngewässer gefährdet. 4. 2. Totale Beseitigung 4. Gefährdungsursachen 4. Gefährdungsursachen Fließgewässer werden immer und Verkippung wieder durch die Einleitung von Tümpel und perennierende Schadstoffen aus Betrieben oder Kleingewässer sind besonders Kläranlagen beeinträchtigt. Der Le- häufig von Verfüllung mit Schutt bensraum der Grundwanze Aphe- und Erdmaterial oder durch totale locheirus aestivalis ist dadurch an Beseitigung (sog.Meliorationsmaß- vielen Standorten weiterhin be- nahmen) betroffen. Damit geht Le- droht. Hinzu kommt, daß durch bensraum für eine große Zahl von Nährstoffeintrag die Entwicklung Wasserwanzen, insbesondere für von pflanzlichem Aufwuchs auf die migrationsfreudigen Ruder- dem von dieser Art bevorzugten wanzen (Corixidae), verloren. Im sonst offenem Gewässergrund ge- Frühjahr besiedeln viele Arten be- fördert wird. Durch Schwebstoff- vorzugt flache und kleine Stillge- frachten aus Einschwemmungen wässer. Diese sich schnell erwär- und Zerfallsstoffen setzen sich die menden und durch hohe Produkti- Kies- und Sandlückensysteme zu, vität gekennzeichneten Habitate die den Lebensraum der Larven werden insbesondere von Ruder- der Grundwanze darstellen. wanzen, Rückenschwimmern und 7 Wasserläufern während der Fort- serwanzen, und dies führt zum pflanzungszeit benötigt. Rückgang oder gar Verschwinden vieler Populationen.