Sport schäftsführung auf die Finger schaut. Für den Aufsichtsjob gibt es sogar schon einen Kandidaten: Jochen Rölfs. FORMEL 1 Der Düsseldorfer Wirtschaftsprüfer ist nicht für jeden Clubpartner die Ideal- besetzung als Sanierer. Aber dass er das „Es gibt keine Helden mehr“ Vertrauen der meisten Geldgeber genießt, galt intern vorletzte Woche schon als si- Der ehemalige Weltmeister cher. Als der Club in erschreckender Klar- heit eine „existenzbedrohende Ertrags- über sein Comeback, die Abkehr vom Rebellen-Image und und Finanzsituation“ einräumte, war die- verschärfte Regeln zur neuen Saison ses Kollaps-Szenario bereits für die An- leger von Molsiris bestimmt. Die sollten Villeneuve, 33, gewann Linie davon geprägt, was er auf der Strecke wissen, dass ihre Mithilfe „die letzte Chan- 1997 die Formel-1-Welt- erreicht. Der Schein ist oftmals wichtiger ce“ bedeute. Ohne ihre Zustimmung könn- meisterschaft. Der als die Realität. Richards lud die Journalis- ten auch Finanzvermittler den BVB nicht Frankokanadier, Sohn ten zum Dinner ein – und am nächsten mehr vor der Zahlungsunfähigkeit bewah- des 1982 tödlich verun- Morgen bekamen eine halbe Million Men- ren. „Bis die mit dem Geldsammeln fertig glückten -Pilo- schen zu lesen, BAR habe alles ihm zu ver- sind“, sagt Rölfs, „sind wir tot.“ ten Gilles Villeneuve, danken. Ich mag mich nicht mehr darüber Um den Ernst der Lage deutlich zu ma- verließ Ende 2003 den ärgern, als Querulant zu gelten. Dafür habe chen, verfügte das Krisenmanagement zu BAR-Rennstall und ich gebüßt, indem ich fast ein Jahr lang Beginn des Jahres, die Mietzahlungen an fährt nach fast einem keine Rennen gefahren bin. die Commerzleasing einzustellen. Der Jahr Pause in dieser SPIEGEL: Früher haben Sie so ziemlich alles Handlungsspielraum war überschaubar, Saison für das schwei- und jeden kritisiert: die Technik als über-

und so wurde auch die letzte Rettungsva- XPBCC zerische Sauber-Team. züchtet, Ihre Kollegen als farblos, Funk- riante durchgespielt: das Insolvenz-Plan- tionäre als ahnungslos. Für die Rolle des verfahren – ein Procedere, nach dem schon SPIEGEL: Monsieur Villeneuve, Sie waren Rebellen stehen Sie nicht mehr bereit? Pleite-Unternehmen wie Babcock Borsig Weltmeister und lange einer der höchst- Villeneuve: Ein Rebell war ich nie. Ich woll- und KirchMedia weitergeführt wurden. bezahlten Formel-1-Piloten. Ihre beste Zeit te keine Revolutionen anzetteln, ich woll- Die Spieler hätten dazu in eine separa- liegt wohl hinter Ihnen, der letzte Grand- te mir nur meine Meinung nicht nehmen te Gesellschaft überführt werden müssen. Prix-Sieg siebeneinhalb Jahre zurück. Was lassen. Doch der positive Effekt war gleich Besonders hoch dotierte Verträge hätte der lockt Sie wieder in die Formel 1? null, es wurde nur gesagt: Ach, der be- BVB so neu verhandeln können. Für den Villeneuve: Ehrlich gesagt: Ich verdiene da- schwert sich mal wieder. Warum also sinn- Club, der den Spieleretat von jetzt rund 40 mit meine Brötchen. los Kraft vergeuden? Millionen weiter auf etwa 24 Millionen SPIEGEL: Für jemanden, der beim Renn- SPIEGEL: Sie haben sich bisher demonstra- Euro senken will, hat so ein Modell einen fahren sein Leben riskiert, hört sich das tiv der Formel-1-Fahrervereinigung GPDA gewissen Charme. reichlich leidenschaftslos an. verweigert. Geben Sie auch hier Ihren Wi- Rölfs fehlte die Zeit, das Planverfahren Villeneuve: Niemand kann so etwas so lan- derstand auf? bei laufendem Spielbetrieb vorzubereiten: ge wie ich betreiben, ohne passioniert zu Villeneuve: Ich war mit vielem nicht ein- „Ich wurde nicht fünf vor zwölf, sondern sein. Nach 20 Jahren Rennsport fällt es verstanden, was die GPDA wollte. Aber eine Minute vor zwölf gerufen.“ Doch aber schwer, auseinander zu halten: Was wenn die Molsiris-Gesellschafter nicht mit- davon ist Leidenschaft, was der Job? Bei spielen, bleibt ohnehin nur noch der Gang mir ist beides eins geworden. zum Konkursrichter. Hinter den Kulissen SPIEGEL: Warum haben Sie sich gerade für wurden schon Gespräche zwischen Lan- das Team von Peter Sauber entschieden, desregierung und BVB-Spitze über eine In- obwohl es Ihnen keinerlei Chance bietet, solvenz geführt. Größter Verlierer wäre an frühere Erfolge anzuknüpfen? Großaktionär Florian Homm, der seine in- Villeneuve: Mich hat der neue Windkanal vestierten 20 Millionen Euro verlöre. von Sauber beeindruckt. Ich glaube, dass Doch für die Mannschaft wäre das noch wir uns stark verbessern können. Und ich nicht der Abpfiff. Denn die Regel, wonach mag die sehr familiäre Atmosphäre. Das ein zahlungsunfähiger Club für die dar- ist mir wichtig geworden. Peter Sauber un- auffolgende Saison mit Zwangsabstieg zu terhielt sich lange mit mir, um sich ein ei- bestrafen ist, gilt im deutschen Fußball nur genes Bild von mir zu machen, bevor er für die Regionalliga abwärts. In der Bun- mich verpflichtete. Diese Mühe hat sich desliga könnte ein Insolvenzverwalter die sonst niemand gemacht, zu sehr hatte sich Spiellizenz beantragen. in den vergangenen Jahren die Stimmung Um den Bankrott abzuwenden, dreht im Fahrerlager gegen mich gerichtet. Dafür die neue BVB-Führung jedoch erst einmal hatte David Richards gesorgt … an der Kostenschraube. Ein Dutzend Kün- SPIEGEL: … Ihr früherer Chef beim BAR- digungen wurden in der Verwaltung aus- Team, der in der Szene streute, Sie seien zu gesprochen, Geschäftsführer Watzke ver- alt, zu langsam, zu teuer. Möchten Sie das zichtet auf Gehalt und Dienst-Handy. Und Image des Abzockers jetzt korrigieren? die Mannschaft reist aus Kostengründen Villeneuve: Auch das. Solange man Rennen zum Auswärtsspiel in Nürnberg erstmals fährt, schert man sich kaum darum, was die nicht im Flieger. Leute über einen reden. Während meiner Ins Frankenstadion fahren die Spieler Auszeit konnte ich in Ruhe das System von

nächstes Wochenende 440 Kilometer im außen betrachten. Seither weiß ich: Das / ASA / PICTURE-ALLIANCE ATP Bus. Jörg Kramer, Jörg Schmitt Image eines Fahrers wird gar nicht in erster Formel-1-Feld (beim Saisonstart 2004 in Melbourne):

190 der spiegel 9/2005 jetzt trete ich ihr bei. Es macht das Leben SPIEGEL: Um Kosten zu sparen und einfacher. Man zahlt seine Beiträge, und die Rennwagen einzubremsen, hat Wilder Wechsel Formel-1-Teams und Fahrer 2005 keiner fragt einen mehr, wieso man nicht der Automobil-Weltverband Fia Fahrer wechselte das Team Formel-1-Neuling mitmacht. Ich kümmere mich um meinen das Regelwerk drastisch reformiert: eigenen Kram und mache mir ohnehin we- Die Motoren müssen zwei statt ei- Ferrari Deutschland nig Gedanken um die Formel 1. Ob sie nen Grand Prix durchhalten, die Rubens Barrichello Brasilien boomt oder irgendwann stirbt, ist mir ziem- Reifen nahezu ein ganzes Renn- lich egal geworden. Meine Leidenschaft gilt wochenende, und die Freiheiten BAR-Honda Jenson Button Großbritannien nicht dem Business Formel 1, sondern al- der Aerodynamik wurden einge- Takuma Sato Japan lein dem Rennsport. schränkt. Wie gefällt Ihnen das? Renault Fernando Alonso Spanien SPIEGEL: Worin liegt für Sie immer noch Villeneuve: Gut. Dass die Aerody- Italien Sauber der Reiz, schnell Auto zu fahren? namik beschnitten wurde, bedeu- vorheriges Team des Fahrers Villeneuve: Es ist nicht die reine Geschwin- tet nur, dass wir ein bisschen lang- BMW-Williams Mark Webber Australien digkeit. Mit Vollgas eine Gerade entlang- samer werden. Aber die Reifen Jaguar zurasen ist langweilig. Es ist das Wagnis, nicht wechseln zu dürfen heißt Deutschland sich in der Kurve ans Limit heranzutasten. für uns Piloten, dass wir Qualifi- Jordan Ich liebe diesen Kick. Du spürst, wie das kationstraining und Rennen viel Auto zu rutschen beginnt, wie sich die Rad- strategischer angehen müssen, McLaren-Mercedes Kimi Räikkönen Finnland aufhängungen bewegen. Du fragst dich: sonst verschleißen die Gummis zu Juan Pablo Montoya Kolumbien BMW-Williams Kannst du noch einen Tick später brem- früh. Man darf nicht zu wild und sen? Geht’s nicht noch ein paar Stunden- unüberlegt fahren – das mag ich. Sauber- Jacques Villeneuve Kanada kilometer schneller durch die Kurve? Du SPIEGEL: Bei Renault sind Sie vo- 2004 ohne festes Team allein entscheidest darüber. rige Saison als Ersatzmann für Brasilien SPIEGEL: Ist es dabei wichtig, ob Sie um den die letzten drei Grand Prix ein- Red Bull Racing David Coulthard Großbritannien Sieg kämpfen? gesprungen. Ihr Teamkollege vormals Jaguar, McLaren-Mercedes nach Übernahme umbenannt Villeneuve: Man tut sich leichter, etwas Fernando Alonso ist Ihnen jedes Christian Klien Österreich Außergewöhnliches zu wagen, wenn man Mal deutlich davongefahren. gewinnen kann. Es ist ein Kitzel wie im Villeneuve: Trotzdem war es groß- Toyota Jarno Trulli Italien Renault Spielcasino: Je höher das Risiko, desto artig. Ich konnte mich an die Mi- Ralf Schumacher Deutschland mehr gibt es zu holen. Und wenn du im chelin-Reifen gewöhnen, die BMW-Williams Duell um Platz zehn abfliegst, stehst du auch Sauber verwendet und mit wie ein Vollidiot da. Bei der Aussicht auf denen ich keinerlei Erfahrung Jordan Narain Karthikeyan Indien den Sieg ist das erhöhte Risiko akzeptabel. hatte. Es war die optimale Vor- Tiago Monteiro Portugal SPIEGEL: Folgt daraus, dass Sie im Sauber bereitung auf diese Saison. Minardi Christijan Albers Niederlande vorsichtiger attackieren werden? SPIEGEL: Doch wie erklären Sie Patrick Friesacher Österreich Villeneuve: Seit meinem WM-Titel muss ich Ihren überraschend großen Rück- niemandem mehr etwas beweisen. Aber stand auf Alonsos Rundenzeiten? ich möchte abends mit dem Gefühl zu Bett Villeneuve: Ich war nicht fit genug. Ich hat- weilt die Leute. Sondern der bedauerliche gehen, alles Mögliche versucht zu haben. te unterschätzt, wie viel schneller die Au- Umstand, dass es keine Helden mehr gibt. Ich hasse es aufzugeben. tos während meiner Abwesenheit gewor- Als ich in die Formel 1 kam, waren Indivi- den waren: mehr als drei Sekunden pro dualisten gefragt. Im Laufe der Jahre hat je- Runde. Die Fliehkräfte waren um zehn doch der Einfluss der Konzerne stark zu- Prozent gestiegen. Wenn mein Kopf in ei- genommen. Und Konzerne wollen Roboter ner Kurve vorher mit dem Gewicht von 20 als Fahrer, keine Persönlichkeiten. Kilogramm zur Seite gezogen worden war, SPIEGEL: Wie erklären Sie diesen Wandel? so waren es plötzlich 22 Kilo. Zwei Kilo Villeneuve: Unsere ganze Gesellschaft ent- mehr in jeder Kurve, ein ganzes Rennen wickelt sich so. In der Formel 1 läuft es wie hindurch – das macht einen riesigen Un- beim Casting in der Popmusik: Aus dem terschied aus. Nichts sollen Stars entstehen, die einer SPIEGEL: Sie sind bereits 1996 in die For- breiten Masse gefallen. Sie haben zu funk- mel 1 gekommen. Wie sehr hat sich die Ar- tionieren, ohne dass sie genügend Zeit be- beit im Cockpit seitdem verändert? kommen, ihren Charakter zu entwickeln. Villeneuve: Damals musste man sehr fein- SPIEGEL: Sie meinen, dass die Renntalente fühlig lenken und beschleunigen. Ein klei- früh von Sponsoren gelenkt und für ihre nes Missgeschick – und du warst drau- Rolle als Medienstars geschult werden? ßen. Diese Präzision zählt nicht mehr. Die Villeneuve: Ja. Und nach zwei, drei Jahren Elektronik bügelt fast alle Fehler aus. wirken sie fade und austauschbar. Das Wer zu wild aufs Gaspedal tritt, dem hilft schadet der Formel 1 langfristig. die Traktionskontrolle aus dem Schla- SPIEGEL: Halten Sie sich lieber von den Kol- massel. Heutzutage musst du bloß hart legen fern? bremsen, durch die Kurve kommst du Villeneuve: Ich komme inzwischen mit je- schon irgendwie. dem klar. Das Rennfahren selbst kostet ge- SPIEGEL: Sie waren einer der letzten Renn- nug Energie, da muss ich mir nicht noch fahrer, die im WM-Kampf Michael Schu- Ärger mit anderen aufhalsen. macher und Ferrari noch bezwingen konn- SPIEGEL: Sogar die Rivalität mit Michael ten. Rechnen Sie damit, dass deren Domi- Schumacher ist Vergangenheit? nanz weiterhin das Publikum anödet? Villeneuve: Sicher. Er hat sieben Titel ge- Villeneuve: Nicht die Tatsache, dass ein wonnen, über ihn braucht man nicht mehr „Ich liebe diesen Kick“ Team seine Gegner so beherrscht, lang- zu diskutieren. Interview: Detlef Hacke

der spiegel 9/2005 191