SWR2 Musikstunde Kein Ball Mehr Im Savoy – Die Letzten Tage Der Operette
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SWR2 Musikstunde Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette (2) Von Katharina Eickhoff Sendung: 14. Juli 2020 9.05 Uhr Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2020 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. 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Für Ralph Benatzky wird 1930 zum vielleicht erfolgreichsten Jahr seiner Komponistenkarriere: Im Frühling hat „Meine Schwester und ich“ in Berlin Premiere, ein Musiktheater von ganz neuer Machart, und im Herbst startet dann die sensationelle Produktion des „Weissen Rössl“ im Schauspielhaus. Aber auch diese Triumphe sind überschattet – von Benatzkys frühen dunklen Vorahnungen, was die politische Lage betrifft, und vor allem von einer tragischen Katastrophe: Im Sommer 1929 ist Josma Selim gestorben. Die Ehe mit ihr, seiner einst so heißgeliebten Muse und künstlerischen Partnerin, war kurz vorher in die Brüche gegangen. Ihr fehlen die früheren Erfolge, Benatzky schreibt zunehmend für andere, die Entfremdung ist nachhaltig: Sie küssen und schlagen, verletzen und vertragen sich, betrügen einander und kommen doch nicht los – aber irgendwann bricht Benatzky aus und tut sich mit einer wunderhübschen, herzensguten Revuetänzerin zusammen, die sofort alle eigenen Karriere-Ambitionen aufgibt, um nur für ihren Mann da zu sein – der Klassiker. Und eine Konstellation, von der vermutlich heute noch der Großteil aller männlichen Künstler heimlich träumt…Melanie Hoffmann, genannt Kirschi, ist also der Grund, weshalb Benatzky endgültig die Scheidung will. Was dann passiert, wird nie so ganz klar: Josma geht mit einer Freundin Boot fahren, kommt mit einer leichten Verkühlung heim, sagt ihrem Noch-Ehemann etwas wie „Morgen bist du alle Sorgen los“, legt sich ins Bett und stirbt. Ob es wirklich eine Lungenentzündung war oder sie doch Selbstmord begangen hat – Benatzky beteuert sein Leben lang, es nicht zu wissen. 2 Als Mensch und Künstlerin wird Josma Selim ihm von da an immer fehlen, - manchmal schreibt er noch kleine Briefe an sie in sein Tagebuch. Und zehn Jahre zuvor hat er ihr, ihrer beider Kunst betreffend, eine wunderbare Hommage gewidmet: „Wir gingen“, schreibt er da, „Beide von dem Standpunkt aus: Wir wollen versuchen, etwas Neues auf dem Gebiete der Kleinkunst zu schaffen, wir wollen lustig sein, ohne zotig und also geschmacklos zu werden, traurig, ohne sentimental, verliebt, ohne verlogen zu werden…Das Experiment ist gelungen: auf der Bühne und im Concertsaale, überall hat Deine unvergleichliche Künstlerschaft gesiegt…, weil von Dir, liebe Josma, die fröhliche Lebendigkeit ausgeht, die die Darstellung dieser Szenen verlangt, weil Du die Anmut hast UND die Kraft, weil Du die Bilder wirklich SIEHST, die Du dem Hörer vorzauberst, und weil Du so Deine hinreißende Natürlichkeit in den Dienst Deiner Überzeugungen stellst! Und Dein Dank war der Jubel unserer Zuhörer!“ Musik 1 Ralph Benatzky Unsere lieben Verwandten 3‘00 Josma Selim, Ralph Benatzky Preiser Records MONO 90313 Im Frühling 1930, Benatzky hat nach Josmas Tod gerade seine neue Liebe „Kirschi“ geheiratet, kommt also dann „Meine Schwester und ich“ heraus – Und näher als hier ist die deutsche Operette der temporeichen Musical Comedy des Broadway wahrscheinlich nie gekommen, so natürlich, wie hier die Musik aus der Handlung entsteht. Benatzky nennt das Ganze „Musikalisches Lustspiel“, räumt allen Operetten- Schmonz beiseite und macht ganz dezidiert Platz für die singenden Schauspielerinnen und Schauspieler, von denen er schon die ganze Zeit geträumt hat. Er vermerkt gleich eingangs, dass es hier nicht unbedingt professionelle Sänger, sondern vor allem richtig gute Darsteller braucht, Leute mit Witz und Tempo, - und das zahlt sich aus, das Stück sei, findet die Kritik, „Das graziöseste Werk seit der Fledermaus“. 3 Vom Plot her könnte es aber auch eine amerikanische Screwball-Komödie sein: Reiche Prinzessin auf französischem Schloss hält sich armen Musikwissenschaftler als Bibliothekar, sie liebt ihn und er liebt sie, nur dass er davon überzeugt ist, dass das mit einem armen Mann und einer reichen Frau nicht gutgehen kann, er ist ja auch immer so gehemmt ihr gegenüber, und nimmt dann doch lieber eine Professur in Paris an. Sie ist aber ein schlaues Mädchen und entwirft eine hübsche kleine Liebesintrige. Sie erzählt ihm, ihre sehr viel ärmere Schwester arbeite in Paris in einem Schuhgeschäft, und er möge ihr doch bitte für sie was vorbeibringen. Natürlich will sie selbst dann diese angebliche Zwillingsschwester sein. In der Stadt angekommen, muss sie sich allerdings erst mal in eine Schuhverkäuferin verwandeln. Da trifft es sich gut, dass das Fräulein Irma, die bisherige Verkäuferin, sowieso ein etwas flatterhaftes Wesen hat und ihr Chef sie für die liebenswürdige neue Bewerberin ohne zögern entlässt. Was dem Fräulein Irma im Übrigen auch ganz recht ist, wie man hier hören kann… Musik 2 Ralph Benatzky Meine Schwester und ich – Ladenszene 4‘10 Gretl Schörg, Heinz Erhardt u.a. Kölner Unterhaltungsorchester, LTG Franz Marszalek Documents 1514227 Bestimmt haben Sie ihn gleich erkannt: Heinz Erhardt war hier der Schuhladenbesitzer, der gern die ungebärdige bisherige Verkäuferin gegen die neue charmante ausgetauscht hat. Die kleine Intrige klappt übrigens vorzüglich: Der Musikwissenschaftler kommt in den Laden und ist hin und weg von der vermeintlichen Zwillingsschwester – diesmal passt auch das soziale Umfeld, und so kommt es zu jenem hinreißenden Chanson, dem wohl größten Hit aus „Meine Schwester und ich“, - Benatzkys Lieblingssänger Oskar Karlweis hat ihn aus der Taufe gehoben, er war der schüchterne Musikprofessor damals bei der Berliner Premiere 1930: 4 Musik 3 Ralph Benatzky Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin 3‘40 Oskar Karlweis Bear Family 4098816 Oskar Karlweis – von ihm habe ich gestern schon erzählt, der dritte Mann aus „Die drei von der Tankstelle“, war einer der wenigen Künstler-Exilanten, die dann nach der Flucht vor den Nazi-Mördern auch in den USA erfolgreich gewesen sind, Oskar Karlweis hat am Broadway gut zu tun gehabt. Die Pointe bei „Meine Schwester und ich“ ist, dass all diese Szenen Rückblenden sind, das Stück beginnt, ganz Neue Sachlichkeit, mit dem Paar vor dem Scheidungsrichter, inzwischen ist nämlich die Tarnung der Prinzessin als armes Mädel aufgeflogen, und der Gatte kämpft seitdem wieder mit Hemmungen seiner reichen Frau gegenüber, alles wie gehabt – die Scheidung wird dann aber, Spoileralarm, doch noch abgeblasen, der Richter erklärt dem Herrn Professor, dass er sich mal nicht so anstellen soll. „Meine Schwester und ich“ entzückt das Publikum, und doch ist das noch gar nichts, verglichen mit dem ungeheuren Hype, den dann ein paar Monate später das „Weiße Rössl“ lostritt. Die zwei Stücke haben trotzdem etwas gemeinsam, das damals sicher ihren umfassenden Erfolg bewirkt hat: Sie behandeln ihre eigene Form ironisch. Operette verulkt hier die Operette: der klassische Operettenplot wird aufgebrochen, wenn das verliebte Couplet neben der coolen Scheidungsszene steht, oder, im Falle des „Weißen Rössl“, das bräsige Salzkammergut-Walzer-Holladriho mit deutlich satirischem Einschlag überinszeniert wird – und es dabei auch noch ordentlich contra kriegt vom Gemoppere des sich ständig nach Berlin zurücksehnenden preußischen Unterhosenfabrikanten Gieseke…Adorno hat über diese Ironisierung von Operette dann auch wieder was zu meckern gehabt: 5 „Taugt nicht“, schreibt er, „jeder rechtschaffene Kitsch mehr als einer, der weiß, dass er Kitsch ist und erklärt, er glaube sich ja selber nichts, nicht einmal den Kitsch…?“ – Das ist wie üblich rhetorisch fein gehäkelt, kommt aber gegen so eine doppelt genähte Benatzky-Nummer hier nun mal einfach nicht an… Musik 4 Ralph Benatzky Im weissen Rössl 4‘40 Gretl Schörg, Willy Hoffmann u.a. Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, LTG Franz Marszalek Line 1119165 …Das Weisse Rössl geht dann mit seiner unwiderstehlich charmanten Mischung aus Heile Welt und Selbstironie auf Triumphzug über die Bühnen ganz Europas und bringt Benatzky viel