SWR2 Musikstunde

Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette (2)

Von Katharina Eickhoff

Sendung: 14. Juli 2020 9.05 Uhr Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2020

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Im Jahr 1930 werfen die kommenden Ereignisse in Deutschland schon ihre Schatten voraus. Heinrich Brüning wird Reichskanzler, und bei der Reichstagswahl im September wird die NSDAP in einem Erdrutschsieg zweitstärkste Partei, woraufhin Thomas Mann in eine flammende Ansprache gegen, Zitat, „Fanatismus und die orgiastische Leugnung der Vernunft“ hält. Die Rede verhallt einigermaßen ungehört.

Für wird 1930 zum vielleicht erfolgreichsten Jahr seiner Komponistenkarriere: Im Frühling hat „Meine Schwester und ich“ in Berlin Premiere, ein Musiktheater von ganz neuer Machart, und im Herbst startet dann die sensationelle Produktion des „Weissen Rössl“ im Schauspielhaus. Aber auch diese Triumphe sind überschattet – von Benatzkys frühen dunklen Vorahnungen, was die politische Lage betrifft, und vor allem von einer tragischen Katastrophe: Im Sommer 1929 ist Josma Selim gestorben. Die Ehe mit ihr, seiner einst so heißgeliebten Muse und künstlerischen Partnerin, war kurz vorher in die Brüche gegangen. Ihr fehlen die früheren Erfolge, Benatzky schreibt zunehmend für andere, die Entfremdung ist nachhaltig: Sie küssen und schlagen, verletzen und vertragen sich, betrügen einander und kommen doch nicht los – aber irgendwann bricht Benatzky aus und tut sich mit einer wunderhübschen, herzensguten Revuetänzerin zusammen, die sofort alle eigenen Karriere-Ambitionen aufgibt, um nur für ihren Mann da zu sein – der Klassiker. Und eine Konstellation, von der vermutlich heute noch der Großteil aller männlichen Künstler heimlich träumt…Melanie Hoffmann, genannt Kirschi, ist also der Grund, weshalb Benatzky endgültig die Scheidung will. Was dann passiert, wird nie so ganz klar: Josma geht mit einer Freundin Boot fahren, kommt mit einer leichten Verkühlung heim, sagt ihrem Noch-Ehemann etwas wie „Morgen bist du alle Sorgen los“, legt sich ins Bett und stirbt. Ob es wirklich eine Lungenentzündung war oder sie doch Selbstmord begangen hat – Benatzky beteuert sein Leben lang, es nicht zu wissen.

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Als Mensch und Künstlerin wird Josma Selim ihm von da an immer fehlen, - manchmal schreibt er noch kleine Briefe an sie in sein Tagebuch. Und zehn Jahre zuvor hat er ihr, ihrer beider Kunst betreffend, eine wunderbare Hommage gewidmet: „Wir gingen“, schreibt er da, „Beide von dem Standpunkt aus: Wir wollen versuchen, etwas Neues auf dem Gebiete der Kleinkunst zu schaffen, wir wollen lustig sein, ohne zotig und also geschmacklos zu werden, traurig, ohne sentimental, verliebt, ohne verlogen zu werden…Das Experiment ist gelungen: auf der Bühne und im Concertsaale, überall hat Deine unvergleichliche Künstlerschaft gesiegt…, weil von Dir, liebe Josma, die fröhliche Lebendigkeit ausgeht, die die Darstellung dieser Szenen verlangt, weil Du die Anmut hast UND die Kraft, weil Du die Bilder wirklich SIEHST, die Du dem Hörer vorzauberst, und weil Du so Deine hinreißende Natürlichkeit in den Dienst Deiner Überzeugungen stellst! Und Dein Dank war der Jubel unserer Zuhörer!“

Musik 1 Ralph Benatzky Unsere lieben Verwandten 3‘00 Josma Selim, Ralph Benatzky Preiser Records MONO 90313

Im Frühling 1930, Benatzky hat nach Josmas Tod gerade seine neue Liebe „Kirschi“ geheiratet, kommt also dann „Meine Schwester und ich“ heraus – Und näher als hier ist die deutsche Operette der temporeichen Musical Comedy des Broadway wahrscheinlich nie gekommen, so natürlich, wie hier die Musik aus der Handlung entsteht.

Benatzky nennt das Ganze „Musikalisches Lustspiel“, räumt allen Operetten- Schmonz beiseite und macht ganz dezidiert Platz für die singenden Schauspielerinnen und Schauspieler, von denen er schon die ganze Zeit geträumt hat. Er vermerkt gleich eingangs, dass es hier nicht unbedingt professionelle Sänger, sondern vor allem richtig gute Darsteller braucht, Leute mit Witz und Tempo, - und das zahlt sich aus, das Stück sei, findet die Kritik, „Das graziöseste Werk seit der Fledermaus“.

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Vom Plot her könnte es aber auch eine amerikanische Screwball-Komödie sein: Reiche Prinzessin auf französischem Schloss hält sich armen Musikwissenschaftler als Bibliothekar, sie liebt ihn und er liebt sie, nur dass er davon überzeugt ist, dass das mit einem armen Mann und einer reichen Frau nicht gutgehen kann, er ist ja auch immer so gehemmt ihr gegenüber, und nimmt dann doch lieber eine Professur in an. Sie ist aber ein schlaues Mädchen und entwirft eine hübsche kleine Liebesintrige. Sie erzählt ihm, ihre sehr viel ärmere Schwester arbeite in Paris in einem Schuhgeschäft, und er möge ihr doch bitte für sie was vorbeibringen. Natürlich will sie selbst dann diese angebliche Zwillingsschwester sein.

In der Stadt angekommen, muss sie sich allerdings erst mal in eine Schuhverkäuferin verwandeln. Da trifft es sich gut, dass das Fräulein Irma, die bisherige Verkäuferin, sowieso ein etwas flatterhaftes Wesen hat und ihr Chef sie für die liebenswürdige neue Bewerberin ohne zögern entlässt. Was dem Fräulein Irma im Übrigen auch ganz recht ist, wie man hier hören kann…

Musik 2 Ralph Benatzky Meine Schwester und ich – Ladenszene 4‘10 Gretl Schörg, Heinz Erhardt u.a. Kölner Unterhaltungsorchester, LTG Franz Marszalek Documents 1514227

Bestimmt haben Sie ihn gleich erkannt: Heinz Erhardt war hier der Schuhladenbesitzer, der gern die ungebärdige bisherige Verkäuferin gegen die neue charmante ausgetauscht hat. Die kleine Intrige klappt übrigens vorzüglich: Der Musikwissenschaftler kommt in den Laden und ist hin und weg von der vermeintlichen Zwillingsschwester – diesmal passt auch das soziale Umfeld, und so kommt es zu jenem hinreißenden Chanson, dem wohl größten Hit aus „Meine Schwester und ich“, - Benatzkys Lieblingssänger Oskar Karlweis hat ihn aus der Taufe gehoben, er war der schüchterne Musikprofessor damals bei der Berliner Premiere 1930:

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Musik 3 Ralph Benatzky Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin 3‘40 Oskar Karlweis Bear Family 4098816

Oskar Karlweis – von ihm habe ich gestern schon erzählt, der dritte Mann aus „Die drei von der Tankstelle“, war einer der wenigen Künstler-Exilanten, die dann nach der Flucht vor den Nazi-Mördern auch in den USA erfolgreich gewesen sind, Oskar Karlweis hat am Broadway gut zu tun gehabt.

Die Pointe bei „Meine Schwester und ich“ ist, dass all diese Szenen Rückblenden sind, das Stück beginnt, ganz Neue Sachlichkeit, mit dem Paar vor dem Scheidungsrichter, inzwischen ist nämlich die Tarnung der Prinzessin als armes Mädel aufgeflogen, und der Gatte kämpft seitdem wieder mit Hemmungen seiner reichen Frau gegenüber, alles wie gehabt – die Scheidung wird dann aber, Spoileralarm, doch noch abgeblasen, der Richter erklärt dem Herrn Professor, dass er sich mal nicht so anstellen soll. „Meine Schwester und ich“ entzückt das Publikum, und doch ist das noch gar nichts, verglichen mit dem ungeheuren Hype, den dann ein paar Monate später das „Weiße Rössl“ lostritt.

Die zwei Stücke haben trotzdem etwas gemeinsam, das damals sicher ihren umfassenden Erfolg bewirkt hat: Sie behandeln ihre eigene Form ironisch. Operette verulkt hier die Operette: der klassische Operettenplot wird aufgebrochen, wenn das verliebte Couplet neben der coolen Scheidungsszene steht, oder, im Falle des „Weißen Rössl“, das bräsige -Walzer-Holladriho mit deutlich satirischem Einschlag überinszeniert wird – und es dabei auch noch ordentlich contra kriegt vom Gemoppere des sich ständig nach Berlin zurücksehnenden preußischen Unterhosenfabrikanten Gieseke…Adorno hat über diese Ironisierung von Operette dann auch wieder was zu meckern gehabt:

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„Taugt nicht“, schreibt er, „jeder rechtschaffene Kitsch mehr als einer, der weiß, dass er Kitsch ist und erklärt, er glaube sich ja selber nichts, nicht einmal den Kitsch…?“ – Das ist wie üblich rhetorisch fein gehäkelt, kommt aber gegen so eine doppelt genähte Benatzky-Nummer hier nun mal einfach nicht an…

Musik 4 Ralph Benatzky Im weissen Rössl 4‘40 Gretl Schörg, Willy Hoffmann u.a. Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, LTG Franz Marszalek Line 1119165

…Das Weisse Rössl geht dann mit seiner unwiderstehlich charmanten Mischung aus Heile Welt und Selbstironie auf Triumphzug über die Bühnen ganz Europas und bringt Benatzky viel Geld ein.

Mit dem der alsbald eine Villa in der Schweiz ersteht, um für kommende Unannehmlichkeiten gerüstet zu sein.

Spätestens ab den frühen 30-er Jahren betrachtet er nämlich beunruhigt die politischen Entwicklungen, - die Nazis sind ihm schon seit ihrem Auftauchen in den 20-ern zuwider: „Urgermanen mit Wampe und Nackenspeck, arisch-arrogant, provinzlerisch gackernd“, so beschreibt er sie verächtlich. Aber politisches Kabarett ist nun mal einfach nicht sein Ding – zumal es zu der Zeit einfach noch zu gut läuft für ihn, um sich bei irgendwem nachhaltig unbeliebt zu machen. Sein Freund und zweiter Lieblingstenor – auch der ist gestern schon mal aufgetreten – ist da ganz anders unterwegs: Derweil Benatzky beschließt, den Ball vorläufig flach zu halten, muckt Max Hansen in der wuseligen Theaterszene der Weimarer Republik mit eigenen Kabarettprogrammen auf, in denen die NSDAP und ihr Hitler in seinem scheinbar harmlosen Operettenton so richtig ihr Fett weg kriegen. „War’n Sie schon mal in mich verliebt“, ist der Titel eines seiner Liedchen, der kein Wässerchen trüben kann, nur dass dann eben in der dritten Strophe Hitler persönlich es ist, der diese Frage im Hofbräuhaus beim Bier dem Juden Sigi Kohn stellt, in den er nämlich unsterblich verliebt ist, mit dem Refrain „Hast du noch nie von mir

6 geträumt? Da hast du wirklich nichts versäumt.“ – Hitler als Tunte: Damit, das versteht sich, hat Hansen sich den ohnmächtigen und tausendjährigen Hass der Nazi-Bande gesichert.

Musik 5 Max Hansen „War’n sie schon mal in mich verliebt“ 3‘40 Max Hansen Documents 5829996

Max Hansen ist in den frühen 30-er Jahren ein ganz großer Star des deutschen Tonfilms, aber als ihn, den politisch missliebigen mit jüdischen Vorfahren, nach der Machtergreifung 1933 die erste von SA-Provokateuren geworfene Tomate trifft, verlässt er Deutschland.

Er landet später in Dänemark, dem Land seiner Vorfahren, das zwar dann ja auch ab 1940 von der Nazi-Pest befallen wird, aber Max Hansen schafft es, seine Familie und sogar seine Karriere zu retten, indem er einen abgehalfterten bankrotten schwedischen Adligen – nach deutscher Lesart: Arier – dafür bezahlt, sich als seinen Vater auszugeben. Tatsächlich haben seine Kinder dann erst nach dem Krieg erfahren, dass der Mann gar nicht wirklich ihr Opa war. Schon wieder Stoff für einen Film…Vor all dem geht Hansen allerdings erst mal noch nach Wien – und spielt dort 1936 Schicksal für Ralph Benatzky. Der ist inzwischen nämlich mit seinen Produktionen auch wieder in Wien gelandet, weil es im Nazi-verseuchten Berlin zunehmend ungemütlich wird, zumal mehr und mehr seiner wichtigsten Freunde und Mitarbeiter dort inzwischen verschwunden sind, auf die eine oder andere Art. Seine neuesten Stücke laufen im Theater in der Josephstadt, das bis Mitte der 30-er Jahre von Otto Preminger geleitet wird – Preminger, der später in Hollywood bedeutende Filme drehen wird, unter anderem „Carmen Jones“, den ersten nur mit schwarzen Darstellern besetzten Film, oder „Fluss ohne Wiederkehr“ mit Marilyn Monroe. Und da kommt nun Max Hansen mit einer neuen Vorlage daher, an der er selber auch mitgeschrieben hat: „Axel an der Himmelstür“ bespielt das damals natürlich enorm hippe Thema Hollywood, das Stück handelt von einer vereinsamten Filmdiva,

7 kaum verschleiertes Vorbild: Greta Garbo. Benatzky schreibt schon mal ein paar Songs, so das Übliche mit netten Soubrettenkoloraturen, dann erst trifft sich das Produktionsteam mit der unbekannten schwedischen Schauspielerin, die Max Hansen unbedingt für diese Rolle haben will – und Benatzky muss feststellen, dass er seine Lieder dringend transponieren muss, weil die Dame, so hat es Benatzkys ausgedrückt, „klang wie König Marke“ – das ist die Basspartie in Wagners „Tristan“. Der Name der tiefergelegten Schönheit: .

Musik 6 Ralph Benatzky Kinostar 3‘00 Zarah Leander Bear Family 8033563

Zarah Leander als Greta-Garbo-Verschnitt in „Axel an der Himmelstür“ – dieser erste Leander-Auftritt im Theater an der Wien wird schon gleich ihr ganz großer Durchbruch und ein Riesenerfolg auch für Ralph Benatzky. Danach wechselt der Schauplatz ganz schnell von Wien nach Babelsberg: Ihre Schauspielkunst bleibt begrenzt, ihr Körperbau eher grobknochig, aber mit ihrer so verwirrenden Stimme und dem seelenvollen Schmachtblick aus Rehaugen, der durch einen leichten Silberblick zustande kam, wird die Leander zum Sensationserfolg. Nicht zu reden von ihrem ziemlich berückenden Décolleté, das ihr, so sagt der Komiker Fritz Grünbaum, „entweder einen Mann oder einen Schnupfen“ bescheren wird. Statt Mann oder Schnupfen gibt es umgehend einen UFA-Vertrag, und die Bewunderung von Hitler und Goebbels noch obendrauf. Die „Nazi-Sirene“, so ihr späterer Ehrenname, hat sich für ihre kurze, aber intensive Filmkarriere als große Schmerzensfrau des deutschen Films ganz gut durchgewurschtelt durchs „Dritte Reich“, und 1942 ist sie dann gerade noch rechtzeitig in ihr Landhaus nach Schweden abgereist, um politisch halbwegs unbesudelt aus dem deutschen Horror herauszukommen und nach dem Krieg wieder an alte Triumphe anzuknüpfen. Die Premiere ihres ersten UFA-Films 1937 im Ufa- Palast am Zoo wird ein Gesellschafts-Ereignis ersten Ranges, und neben ihr in die Menge winkt – Ralph Benatzky. Den nämlich hat die Leander umgehend nach Babelsberg holen lassen, auf dass er die Chansons für ihren Erfolgsfilm schreiben

8 soll. Zarah Leander gibt eine verführerische, aber gutherzige Revue-Diva, die für ihren Geliebten ins Zuchthaus nach Australien geht, was der ihr damit vergilt, dass er sie im Regen stehen lässt. „Zu neuen Ufern“ heißt das Werk, und wird legendär, nicht zuletzt wegen dieses Liedchens hier:

Musik 7 Ralph Benatzky Yes sir 2’00 Zarah Leander EMI 3347887

Regie hat bei dem großartigen Schmachtfetzen übrigens Detlef Sierck geführt, - der hätte, lupenreiner norddeutscher Arier, der er war, danach auch einfach als erfolgreicher UFA-Regisseur weitermachen können, aber Sierck hatte eine jüdische Frau, die Schauspielerin Hilde Jary.

Und er hat die Nazis verachtet, also ist er direkt nach „Zu neuen Ufern“ 1937 aus Deutschland weg und schließlich nach Hollywood gegangen, wo er dann als Douglas Sirk tatsächlich einer der ganz großen Regisseure der Epoche geworden ist, geliebt von den Stars wie Claudette Colbert, Barbara Stanwyck oder Rock Hudson, und bewundert von nachfolgenden Generationen: Truffaut, Godard und Fassbinder haben ihn als Vorbild gesehen, Wim Wenders noch nannte ihn den „Dante der Soap Operas“.

Auch für Ralph Benatzky kommen die Schatten näher – seine neue Karriere beim deutschen Tonfilm wird schon gleich bei der nächsten Arbeit gefährdet, weil er für seine Frau keinen „Ariernachweis“ beibringen kann. Ausserdem kann er nur schlecht verbergen, wie zuwider ihm die Nationalsozialisten und das ihnen zujubelnde Deutschland sind, die Nazis, schreibt er, sind „in ihrer blonden goischen Präpotenz, Großschnauzigkeit, arroganten Halbbildung, die auf Schlagworte fliegt und von ihrer Bedeutung durchdrungen ist“ so recht der „Typus der Piefkischen Mehrheit“. Dass Hitler nicht bloß, O-Ton Benatzky, ein „Phraseur“ und „Plagiator“ ist, sondern der Untergang des Abendlands, wird ihm allerdings reichlich spät klar – bis dann 1940 der Gang ins Exil in die USA keine Möglichkeit mehr ist, sondern

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Notwendigkeit. Seine Frau und ihre Mutter sind längst in Lebensgefahr, er selbst in Goebbels‘ Un-Kulturreich persona non grata. Er will eigentlich nicht nach Amerika, er war nämlich 1938 schon mal da, und das ging krachend schief: MGMs Headhunter hatten Ralph Benatzky, dem genialen „Weisses Rössl“-Komponisten, einen Vertrag angeboten – aber als Benatzky dann in New York angekommen war im Januar 1938, hat sich in der chaotischen Szene schon wieder keiner für ihn interessiert, es gab durch den großen Exodus in Europa plötzlich viel zu viele Komponisten aus der „Alten Welt“.

Wie auch sein Kollege Emmerich Kálmán hat Benatzky den Moment verpasst, als sein Name kurz mal „hot“ war zwischen Broadway und Hollywood – dieser Moment wäre wohl im Herbst 1936 gewesen, da nämlich ist sein „Weisses Rössl“ doch glatt am Broadway herausgekommen. Sein alter Freund hat sich ja schon damals in die USA abgesetzt und dann dort eine nicht wirklich mit Benatzky abgestimmte, amerikanisierte Version herausgebracht, mitproduziert haben immerhin schon Warner Brothers und die Rockefellers, und Texter war Irving Cesar, der auch die Lyrics zu „Tea for two“ oder „Just a Gigolo“ geschrieben hatte. Die amerikanischen Produzenten haben allerdings ziemlich nachhaltig eingegriffen – schon im Berliner Original waren ja einige der Ohrwürmer gar nicht von Ralph Benatzky, sondern von anderen Komponisten gewesen: „Mein Liebeslied muss ein Walzer sein“ zum Beispiel ist von und wurde dann am Broadway zu einem zentralen Leitmotiv. Und die Figuren haben sich auch ein bisserl amerikanisiert: aus dem strammen preußischen Fabrikanten für lange Unterhosen Gieseke wurde William Mc Gonigle, der Produzent von supersexy Badeanzügen Marke Lady Godiva, was eine Esther-Williams-Nummer im Pool mit halbnackten Badenixen erlaubte, Sigismund Sülzheimer heißt Sylvester S. Somerset und kommt aus Massachusetts, und um den Amerikanern die volle Dröhnung nostalgisches k.u.k. zu servieren, hat Charell am Schluss als Deus Ex Machina den Kaiser Franz Joseph persönlich auftreten und die Liebenden zusammenführen lassen. Ein Gimmick, das dann später auch in der deutschen Originalversion übernommen worden ist.

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“ läuft im Center Theatre am Broadway erfolgreich über 220 Vorstellungen, und wie damals üblich, sind die Mitwirkenden parallel dazu gleich ins Studio gegangen und haben zur weiteren Verbreitung die Hits der Produktion als Monster-Medley eingesungen. Und so klingt das „Weisse Rössl“ auf Amerikanisch:

Musik 8 Ralph Benatzky „Vocal gems from The White Horse Inn” The Light Opera Company Sepia 6735707

Das „Weisse Rössl“ in seiner Amerika-Fassung als „White Horse Inn“. Das also wäre der Karriere-Moment für Ralph Benatzky in den USA gewesen – er reist aber erst 1938 hin, und dann nach einem halben Jahr Nichtstun desillusioniert wieder ab, weil die Broadway-Karawane längst weitergezogen ist und nostalgische Operetten nicht mehr up to date sind. 1940, als er dann zum zweiten mal in New York ankommt, diesmal unfreiwillig, ist alles noch viel schlimmer.

Er wird mit der Film- und Theaterszene am Broadway und in Hollywood einfach nicht warm, beklagt sich bitter über die „Lümmelhaftigkeit“ und „Oberflächlichkeit“ dieser schrecklichen Amerikaner, bei denen „alles nur als-ob“ sei, und über die „Phalanx der ‚Nur-den-nicht-drankommen-Lasser‘ in Hollywood. Trotzdem versucht er unermüdlich, künstlerisch ein Bein auf den Boden zu kriegen, bietet sich an, wo es nur geht, probiert es sogar an der Metropolitan Opera – es hilft alles nichts: Hier gehen die Uhren anders, sind die Kontraste greller, Benatzkys Sachen wirken hoffnungslos altmodisch, und nach so vielen Jahren des Reichtums plagen ihn neben der Depression vor allem die Geldsorgen.

Immerhin eine kleine Auftritts-Insel ergattert er: Er darf regelmäßig im Radio auftreten und begleitet bei diesen Radiostunden unter dem Titel „Benatzky spielt heitere Kulturgeschichte“ Freunde aus glücklicheren Zeiten, Oskar Karlweis, und auch die wunderbare Wienerin Greta Keller, die einst Marlene Dietrich das Singen beigebracht hat und schon vor dem Krieg ein internationaler Star war – und niemand hat wohl

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Benatzkys trauriges kleines „Wiener Lied in New York“, das ja eins der wunderbarsten Exil-Lieder überhaupt ist, so zum Heulen schön gesungen wie sie, damals, 1944, in einem New Yorker Rundfunkstudio, begleitet von Ralph Benatzky…

Musik 9 Ralph Benatzky Wiener Lied in New York 5’00 1944 live im US-Radio Greta Keller, Gesang Ralph Benatzky, Klavier T. 15 Koch Universal – 0669852

„Wiener Lied in New York“ - Greta Keller, begleitet von Ralph Benatzky 1944 live im amerikanischen Radio…und so melancholisch endet heute die Musikstunde- um dann morgen gleich zu Emmerich Kálmáns großen Erfolgen – und seiner Auslöschung als jüdischer Komponist im „Dritten Reich“ überzugehen.

Bis morgen also, zum dritten Teil von „Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette“, sagt KE.

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