SWR2 Musikstunde

Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette (1)

Von Katharina Eickhoff

Sendung: 13. Juli 2020 9.05 Uhr Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2020

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…mit Katharina Eickhoff – zwischen Wien, und New York, zwischen Heimat und Exil bewegen sich die Musikstunden in dieser Woche entlang der Biografien von , Emmerich Kalman und Paul Abraham…Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette.

„Berlin, 9. November 1930 Wieder eine Premiere vorbei, die vom „Weißen Rössl“ im Großen Schauspielhaus. Zu berichten wird über die Kritiken sein, die sich nach den Montagsblättern nicht günstig anlassen. So Wurscht! Meine künstlerische Position wird eine schlechte Presse nicht erschüttern, eine gute nicht fördern, und ich bleibe der von der Presse nicht im Entferntesten seiner wahren Begabung nach anerkannte Ralph Benatzky – so oder so.“

Es war dann eher so als so, sprich: Hier irrte Herr Dr. Benatzky.

Musik 1 3‘00 Ralph Benatzky Im weissen Rössl Gretl Schörg, Willy Hoffmann u.a. Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, LTG Franz Marszalek Line 1119165

Es war Ralph Benatzkys größter Triumph: Zur Premiere von „Im Weissen Rössl“ 1930 war sogar die Fassade von Hans Poelzigs Großem Schauspielhaus in Berlin zum „ Weisses Rößl“ umgestaltet worden.

Drinnen: Ein Aufmarsch von an die 700 Mitwirkenden, , wo man hinsah, Schuhplatteln und Watschentanz, Slowfox und Shimmy, eine original Feuerwehrkapelle und eine Jazzcombo, ein echter fahrender Omnibus, echter

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Salzburger Schnürlregen aus dem Sprinkler, Pappkühe mit mechanisch animierten Schwänzen. Und dazu diese fabelhaften, unfehlbar auch mitten in der Wirtschaftskrise Laune machenden Chansons, das vom Weissen Rößl, das vom , wo man so gut lustig sein kann, oder: „Es muss was Wunderbares sein, von Dir geliebt zu werden…“, das Lied des Zahlkellners Leopold an seine Angebetete, die Rössl-Wirtin Josepha Voglhuber…

Und der erste Leopold, das war im Uraufführungsjahr 1930 , genannt „der kleine Caruso“, Lieblings-Operettentenor in Wien und Berlin bei und

Musik 2 3‘00 Ralph Benatzky Es muss was Wunderbares sein Max Hansen MusicTales 4229908

Das „Weisse Rößl“, diese geniale Mischung aus Operettenrührstück und zeitgenössischer Komödie, wird ab 1930 ein Welterfolg. Es wird in viele Sprachen übersetzt, heißt dann „“ oder „Auberge du Cheval Blanc“, macht viele hundert Vorstellungen sogar am Broadway und seinen Schöpfer Benatzky reich und berühmt…

Zeitsprung: Nur zehn Jahre später ist das „Weisse Rößl“ in Deutschland und Österreich verboten. Es hat den Nazi-Stempel „entartet“, wegen seiner ironischen Behandlung des Volkstums, überhaupt wegen des raffiniert satirisch-modernen Untertons. Und natürlich wegen der vielen Juden, die daran mitgewirkt haben. Erik Charell, der legendäre Berliner Operetten- und -Produzent, Entdecker von und den Comedian Harmonists, Regisseur des Erfolgsfilms „Der Kongress tanzt“, Charell, mit dem Benatzky gleich mehrere Triumphe gefeiert hat, hat sich schon beizeiten nach Amerika abgesetzt und ist inzwischen längst in Hollywood gescheitert; Max Hansen, wegen seiner frechen Chansons gegen Hitler und auch seiner jüdischen Vorfahren wegen plötzlich hochgefährdet, ist nach Dänemark geflohen und überlebt dort mit einem gefaelschten Arier-Nachweis.

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Ralph Benatzky ist mit seiner jüdischen Frau Melanie, genannt Kirschi, in die USA ins Exil gegangen, zehrt in einer teuren New Yorker Wohnung sein Erspartes auf, bekommt keinen Fuß auf den Boden und berechnet, wie viel Veronal es wohl für einen Selbstmord braucht. Er schafft es einfach nicht, Englisch zu lernen, „trotz angespanntester Versuche“, wie er schreibt, und seine rastlosen Aktivitäten in Sachen Selbstvermarktung führen allesamt zu nichts – einen Opernfilm für MGM will er machen, reicht Manuskripte bei der Paramount ein, bietet Fred Astaire und Ginger Rogers eine seiner Berliner Revuen an. Keiner interessiert sich. Und Benatzky konstatiert frustriert, was so viele deutsche und österreichische Exilanten damals in Amerika erfahren mussten: „Ich passe nicht hier herein.“ Und dann schreibt er, der schon so viele, der schon fast zweitausend Lieder in seinem Leben geschrieben hat, sein vielleicht traurigstes von allen, derweil daheim in Europa die Welt untergeht: Das “Wiener Lied in New York”.

Musik 3 Ralph Benatzky Wiener Lied in New York Daniela Ziegler und Adam Benzwi Duophon/Edition Berliner Musenkinder 01 75 3

Daniela Ziegler, ein bekanntes Gesicht aus dem Fernsehen und aber auch wunderbare Chanson- und Musical-Sängerin, hat vor gut zehn Jahren ein Benatzky- Programm aufgelegt und dabei genau den richtigen Ton zwischen Sentiment, Ironie und Tragik gefunden.

Es ist nicht zufällig ein „Wiener Lied“, in das Ralph Benatzky da in den frühen Vierziger Jahren in New York sein Heimweh verpackt. Benatzky, durch und durch ein Kind Kakaniens, ist es nämlich, der in Wien in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg die alte schöne Kunst des Wienerlieds wiederbelebt…

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Musik 4 1‘00 Ralph Benatzky Benatzky spielt „Grinzing“ Josma Selim Preiser Records MONO 90313

Kennen Sie’s noch? Ralph Benatzky himself spielt da, übrigens ziemlich feinsinnig, sein „Grinzing“-Lied… Dieser Ralph Benatzky hat ein wirklich bewegtes Leben geführt, ein Leben, das er dann in seinen diversen biographischen Skizzen noch viel bewegter hat aussehen lassen - Was das Ausschmücken des eigenen Lebenslaufs angeht, war Benatzky nämlich zumindest stellenweise ungefähr der größte Aufschneider seit dem Baron Münchhausen. Fünftausend Chansons wollte er schon 1928 geschrieben haben, bei Antonin Dvorak selig wollte er dereinst in Prag Schüler gewesen sein, den Rompreis wollte er gewonnen haben, zurück aus den USA wollte er dort Musik zu 200 Hollywood-Filmen komponiert haben…alles geflunkert – noch nicht mal in seinen Aussagen zu seinen Geburtsdaten war Benatzky konsistent. Er ist wohl 1884 geboren, und zwar im Mährischen, in der Nähe von Brünn. Mit fünfzehn hat ihn die Familie bei der k.u.k. Kadettenanstalt in Wien abgeladen, aber sie hoffen vergeblich auf einen strammen Offizier in der Familie: Rudolph, der sich alsbald Ralph nennt, schafft es mit Ach und Krach zum Leutnant. Stationiert in Galizien ist er ständig abgängig, weil er irgendwo einen Chansonabend begleitet, er holt sich dort im fernen Cisleithanien noch schnell die Syphilis und wird dann 1909 wieder ausgemustert. Danach fängt für ihn endlich das richtige Leben an: Benatzky studiert in Prag und Wien Musik und an den Unis Philosophie und Germanistik und bringt es ziemlich schnell zum „Dr.phil.“, mit einer Arbeit über Goethe und das Volkslied. 1909 gewinnt er einen Lyrikwettbewerb und will eigentlich erst mal Poet und Librettist werden – tatsächlich kann er, der später die meisten Texte für seine Musik selber schreibt, schon früh ziemlich virtuos mit Sprache umgehen. Und nicht nur das: Dieser hochintelligente, ständig vor Ideen platzende Tausendsassa durchschaut schon als junger Kerl die literarischen und dramatischen Produktionsmechanismen. In einem seiner höchst unterhaltsamen Texte hat

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Benatzky ein ewiggültiges Rezept für die literarische Produktion preisgegeben, das geht so: „Man gehe auf den Lebensmarkt, möglichst zeitig früh, damit einem nicht die besten Bissen weggeschnappt werden. Dort kaufe man je nach Bedarf: motivierte und unmotivierte Selbstmorde, Ehebruchsaffairen, Verführungen etc. zu möglichst billigem Preis…Sollte sich der Bissen ergiebiger erweisen, so klopfe und walke man ihn tüchtig durch, wasche ihn etliche Male in kalter Sentimentalität, emballiere mit Moderne und beginne zu backen.- Man würzt mit Erotik. Je mehr, umso besser, heutzutage verträgt man schon was.- Je nach Größe ergeben sich: Essays, Skizzen, Novellen, Romane, Dramen.- Sollten sich Abfälle ergeben, so kann man diese zu Feuilletons, Dialogen und Einaktern verarbeiten… Ist das Gericht soweit, so garniere man mit verrückten Vorworten, Ehrenerklärungen großer Germanisten oder mit dem Hinweis, dass das Ganze aus einem Tagebuch entnommen sei…- und trage auf.“ Es ist dann doch kein Vollzeit-Literat aus ihm geworden – aber die Texte zu seinen Chansons, die hat Benatzky fast alle selbst geschrieben, wobei in ihnen selten so ganz groß das Schicksal wobbelt. Er hat wenig Talent zur Tragik, aber dafür eines für Satire der unpolitischen Art – und, vor allem: für Ohrwürmer. Als er 1909 in einem Wiener Kabarett mit dem schönen Namen „Hölle“ seine ersten Sachen vorstellt, kommen die sofort sagenhaft gut an. Wobei Benatzky da immer sehr empfindlich ist, was die Einordnung seiner Lieder angeht:„Ich schreibe keine Schlager!“, betont er immer wieder, „Ich will keine schreiben, und hasse diesen Ausdruck!“ – Nunja, ist ja auch egal, wie man es nennt, aber man kriegt das Zeug einfach nicht mehr aus dem Kopf

Musik 5 3‘00 Ralph Benatzky Grinzing Josma Selim, Ralph Benatzky Preiser Records MONO 90313

Wienerlied, aber mit Witz: Das ist Ralph Benatzkys berühmtes „Grinzing“-Lied, er selber saß hier am Klavier und hat Josma Selim begleitet.

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Oder, wie die Selim immer selbst schnörkellos moderiert hat: „Grinzing“, von Dr. Ralph Benatzky, am Flügel der Komponist – diese Ansage war ihr angeblich so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie sich mechanisch auch daheim am Telefon gemeldet hat mit „Hier Josma Selim, am Flügel der Komponist“. Josma Selim. Die lernt Benatzky in den Wiener Jahren vor dem Ersten Weltkrieg kennen, da erlebt er in den Kabaretts gerade einen ersten Höhenflug mit seinen Chansons, für die er, große Ehre, sogar mit Olaf Gulbransson verglichen wird, dem berühmten Karikaturisten vom Satireblatt Simplicissimus.

Sein Name hat sich dann schnell herumgesprochen, und Benatzky schreibt wie verrückt, sentimentale Operettchen für kleinere Theater in Wiesbaden, Mannheim, Dresden, , und für Berlin sogar eine Bühnenmusik zu Heinrich Manns Einakter „Varieté“. Innerhalb von zwei Jahren ist er in der Szene schon kein Geheimtipp mehr, sondern eine große Hausnummer. Die wiener Diseuse Josma Selim wiederum wird dann erst mit Benatzkys Chansons richtig bekannt. Vom Typ her ist sie der Inbegriff eines süßen Mädels, sie hat ein rundes, kindliches Gesicht mit Stupsnase, riesigen dunklen Augen und einem absolut unwiderstehlichen Grübchen im Kinn, und dazu eine enorme Bühnenpräsenz. Und sie und Ralph Benatzky haben sich wirklich gesucht und gefunden. Sie singt, was er schreibt, er schreibt, wie sie singt. Als Liebespaar – sie heiraten schon ein halbes Jahr nach dem Kennenlernen – machen sie es sich mit den Jahren zunehmend schwer. Aber künstlerisch sind die zwei der Knaller. Josma mit ihrem pointierten, jüdisch-wienerischen Charme und Witz – manche nenne sie die „wienerische Yvette Guilbert“, Josma singt alles, was der Gatte ihr auf den Leib schreibt, Bänkelgesänge und Kinderlieder, Volks- und Wienerlied, Operettenwalzer und Gassenhauer. In ihrem nur scheinbar harmlosen Dämchen-Tonfall zwitschert sie Benatzkys lustige Kurzgeschichten und Couplets, dies hier zum Beispiel: „Die billige Annette“.

Musik 6 3‘ Ralph Benatzky Die billige Annette Josma Selim, Ralph Benatzky Preiser Records MONO 90313

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Fünfzehn Jahre touren die zwei mit ihren Programmen durch Hauptstädte und Provinz, 1921 trauen sie sich nach Berlin, mit einer Chanson-Matinee an Max Reinhards Deutschem Theater – und haben Riesenerfolg.

Parallel dazu komponiert Benatzky aber in all den Jahren schon eine Operette nach der anderen, - das Genre war um die Jahrhundertwende eigentlich schon totgesagt, aber irgendwie brummte die Branche auch vor und nach dem Ersten Weltkrieg noch – mit ein paar zeitgemäßen Veränderungen und Anpassungen, die alles nicht unbedingt besser gemacht haben:

Schon Johann Strauß hat sich in seinen späten Stücken, dem Zigeunerbaron zum Beispiel, sehr der Oper angenähert und damit das eigentliche Operettengenre verwässert, Emmerich Kalman hat immer ein Ohr bei Puccini, und auch Franz Lehár ist diesen Weg gegangen – und hat dann, parallell zur sich verbreitenden pessimistischen Weltsicht auf Krieg und Wirtschaftskrise, seinen Stücken das Happy End verweigert. Wirklich zeitgemäß waren sie dadurch aber auch nicht. In die Klischeefalle, die der Operette schließlich den Garaus gemacht hat, sind sie fast alle geraten, - irgendwie passten die Intentionen der Macher nicht mehr zu einem immer weniger elitären Publikum. Klaus Pringsheim, der Schwager von Thomas Mann, der in Berlin musikalischer Leiter von Max Reinhardts Theatern war, Klaus Pringsheim hat das damals ganz schön zusammengefasst, als er meinte, die Operette sei eben jetzt nicht mehr eine anspruchslose Gattung für Anspruchsvolle, sondern zu einer anspruchsvollen Gattung für ein Publikum der Anspruchslosen geworden. Das klassische Operettenmilieu war, Zitat Pringsheim, „unmöglich geworden. Immer wieder ‚Herr Baron‘ und ‚Seine Durchlaucht‘ und ewig Sekt und münchener Fasching und pariser Cocotten und Roulette in Monte Carlo und fade Gutangezogenheit, immer dies abgestandene Parfüm von Allerweltseleganz, dieser Talmiglanz verflossener Hochherrschaftlichkeit – die Methoden verfangen nicht mehr wie einst…“. So Klaus Pringsheim – und vielleicht stimmt es – vielleicht war Franz Lehárs „Lustige Witwe“ von 1905, in der Graf Danilo ins Maxim zum Champagnisieren geht, ja wirklich der Höhe- aber eben auch Endpunkt eines Genres, das sich von da an selbst nicht mehr ernst nehmen durfte, oder, wie es der Operetten-Vernichter Adorno formuliert hat: „…eine der letzten Operetten, die noch irgend etwas mit Kunst zu tun hat, und eine der ersten, die sie unbedenklich verleugnet“…

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Zitat 0‘32 Franz Lehár Die lustige Witwe, Da geh ich zu Maxim Nicolai Gedda

Lehár lebt weiterhin in seiner eigenen Operettenblase, aber als Ralph Benatzky in den 1910-er Jahren anfängt, seine Stücke auf den Markt zu bringen, sieht er das Problem bald auch ganz klar, das alle Operettenmacher heimsucht: Zu schlecht die Libretti, zu vorgestanzt die Handlung, zu schematisch die Personenkonstellationen, zu ernst gemeint das Ganze, in einer Zeit, der man langsam doch bloß noch mit Ironie beikommen konnte.

Und da schlägt Ralph Benatzky dann eigentlich von Anfang an einen anderen, moderneren Ton an: Sein erster ganz großer Operettenerfolg heißt „Liebe im Schnee“ und kommt 1916 mitten im Krieg raus, im Ronacher in Wien, das zu der Zeit von Oscar Straus, einem anderen Operetten-Revoluzzer, geleitet wird. Die Tochter eines unwichtigen Duodez-Fürsten soll dynastisch passend verheiratet werden, hat sich aber unsterblich in den Tenor des örtlichen Theaters verliebt. Am Schluss verzichtet sie, und der Tenor zieht weiter, - aber bis zum elegisch-kitschigen Ausgang hatten die Zuschauer ein oft ziemlich witziges Stück erlebt, das mit Parodie und Ironie ganz sachte den Bierernst des Sujets unterläuft – zum Beispiel, wenn der nicht standesgemäße Herr Tenor auf einer Gesellschaft von Honoratiorinnen auftaucht, wo er diskret seiner gerade eroberten Fürstentochter schöne Augen macht und die älteren Damen dann mit seinem „Kusslied“ ein bisschen erotisch aufmischt…

Musik 7 4‘10 Ralph Benatzky Liebe im Schnee, Szene 1. Akt Sonja Knittel, Franz Borsos Orchester des Wiener Rundfunks, LTG Max Schönherr Line 2598170

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…aus „Liebe im Schnee“, Ralph Benatzkys früher Erfolgsoperette von 1916 – das einzige seiner Stücke übrigens, das er dann in seiner Zeit in den USA wenigstens für kurz mal an den Broadway gebracht hat. Die Produktion allerdings fand er grauenhaft.

Um seine Emsigkeit zu demonstrieren, hat Benatzky irgendwann mal eine ausführliche Rechnung aufgemacht zu einem seiner Stücke: „Eine ad hoc herausgegriffene Klavierauszugseite“, heißt es da, „hat 811 Noten. Es hat somit der Klavierauszug 59 634 Noten. Die Partitur deren ca. 84 000. Meine Gesangstexte bestehen aus 308 Zeilen, davon 66 aus einem Wort, das Couplet im 3. Bild verbrauchte 78 verschiedene Reime auf -ätten und -äten.- Um eine Stunde Klavierauszug zu schreiben, brauche ich, rein für die technische Arbeit, ¾ Stunden. Eine Partiturseite hat 6 Transpositionen und ca. 140 Vortragszeichen. 4 Kopisten übertragen mein Bleistift-Manuskript in 4 Klavierauszüge und 418 Einzelstimmen mit 123 660 Noten und Vortragszeichen…“.

Man merkt schon: Der Mann hatte neben einer enormen Begabung auch einen ziemlichen Knall. Aber auch ohne seine zwanghaften Zahlenspiele kann man allein an seinem Output ablesen, dass Ralph Benatzky ein irrwitzig fleißiger Komponist war - Einen „Amokläufer der Arbeit“ hat er selbst sich genannt – „Ich schüttle“, scherzt er, „täglich anderthalb bis zwei Kilogramm Chansons ‚aus dem Ärmel‘, je nach Witterung und Jahreszeit.“ Und auch, wenn er so empört von sich gewiesen hat, dass es sich da um „Schlager“ handelte, und auch wenn bei ihm immer die Bühnensituation und der Charakter der Figur mitgedacht waren – Ralph Benatzky wusste ganz genau, was ein Schlager ist: „Der mehr oder minder originelle, mehr oder minder witzige, aber immer dich fast brutal anspringende Refrain eines Liedchens, das sich dir nach kurzem Hören unbewusst einprägt, das dich, weil es andern ebenso geht wie dir, überall und überallhin verfolgt, das dich erst achselzuckend, dann lächeln, dann summend, dann nervös und schließlich rasend macht, das sich dir ungewollt auf die Lippen drängt und das du verächtlich fallen lässt, sobald du seiner gewahr wirst, das du nie rufst und das doch da ist, um dich, in dir, täglich, stündlich, einen, zwei, drei Monate lang, bis es eines Tages ebenso plötzlich verschwindet wie es aufleuchtete…“.

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Musik 8 2‘40 Ralph Benatzky Was jede Köchin summt Oskar Karlweis und Ralph Benatzky EarBooks 9 783937 406169

Für diesen Benatzky-Schlager aus „Liebe im Schnee“ haben sich waehrend des Kriegs in den USA fürs Radio zwei liebe alte Freunde wiedergetroffen: Ralph Benatzky selber, der da die Tasten gedrückt hat, und – Oskar Karlweis. Noch so eine zentrale Figur aus den letzten Tagen der Operette. Heute kennt man Oskar Karlweis eigentlich fast nur noch als Dritten im Bunde in dieser Szene hier:

Zitat Oskar Karlweis Aus: „Die drei von der Tankstelle“ 0‘20

„Die drei von der Tankstelle“- wo Oskar Karlweis zwischen und Heinz Rühmann fast ein bisschen unauffällig wirkt. Aber das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass Fritsch und Rühmann auf Hitlers Gottbegnadeten-Liste standen und erst in Nazi- und dann aber auch noch in Nachkriegsdeutschland schön Karriere gemacht haben und insofern jedem ein Begriff sind, während Oskar Karlweis als Jude aus Deutschland fliehen musste. Wobei er dann als einer der wenigen Deutschen in den USA einfach weitergespielt hat, mit großem Erfolg: Max Reinhard hat ihn für seine Broadway-Adaption von Straußens „Fledermaus“ geholt, die am Broadway „Rosalinda“ hieß, und eine ganz große Sache war später auch Franz Werfels „Jacobowsky und der Oberst“, das über ein Jahr lang am Broadway gelaufen ist, in der Regie von Elia Kazan. Schon Karlweis‘ Vater, eigentlich Direktor der Wiener Südbahn-Gesellschaft, hat im Nebenberuf Volksstücke fürs Wiener Theater geschrieben, seine Schwester Marta Karlweis war eine bedeutende Schriftstellerin. Er selber, Oskar, war spätestens nach dem Ersten Weltkrieg eine echte Größe im Wiener Theaterleben, als Charmebolzen vom Dienst. Ab den späten 20-er Jahren hat er bei Max Reinhardt in Berlin gespielt, zum Beispiel mit Marlene Dietrich, und ist mit seinem schmissigen Tenor auch in

11 vielen Operetten aufgetreten, - so sind Benatzky und er zusammengekommen. Karlweis hat einige seiner Stücke mit aus der Taufe gehoben, zum Beispiel, 1930, „Meine Schwester und ich“, eins von Benatzkys besten Musiktheater-Stücken. Karlweis ist dann 1933 nach der Machtergreifung erst nach Wien und 1938 nach dem sogenannten „Anschluss“ nach geflohen. Als dort auch die Nazis anrücken, rettet er sich zusammen mit seinem guten Freund, dem wiener Schriftsteller , erst nach Spanien und dann in Lissabon auf ein Schiff, das sie in die USA bringt. Friedrich Torberg, der an Witz weiß Gott auch nicht arme Schöpfer der „Tante- Jolesch“-Geschichten, Torberg schreibt später über seinen Freund Karlweis: „Einen Abend privat mit ihm zu verbringen, wog, wenn er in Form war, zehn Kabarettbesuche auf. Wenn er nicht in Form war, dann allerdings nur neun. Ich weiß nicht, wie ich über diese trost- und hoffnungslose Zeit hinweggekommen wäre ohne den tröstlichen und hoffnungsfrohen Humor, den Oscar Karlweis ausstrahlte.“

Zitat Ralph Benatzky Meine Schwester und ich 0‘20 Freunderl, mir geht’s heut so gut Oskar Karlweis

Derweil Benatzky Mitte der 20-er Jahre eigentlich schon vollauf beschäftigt ist mit seinen Chansonabenden für Josma Selim und seinen Operetten für Wien und Berlin, kommt eine neue Mode auf, bei der er schon bald voll mit einsteigt: Die Nummern- Revue.

In New York am Broadway sind diese luxuriös ausgestatteten Kessel voller Buntes ja schon seit Jahren der ganz große Hype, die mit ihren schönen, leichtbekleideten Frauen sind legendär, und das Phänomen ist dann auch auf die deutschen Bühnen übergeschwappt. Erik Charell in Berlin und in Wien versammeln da die Besten aus der Operetten- und Kabarettszene, garnieren alles mit viel Fantasie zu aus heutiger Sicht völlig überladenen Bildern, und heraus kommt dann ein Getüm wie „Wien lacht

12 wieder“, uraufgeführt im Oktober 1926, und schon allein beim Lesen des Theaterzettels wird einem schwindelig: Eine Ausstattungsrevue, mit Conférence von den Komikern und Fritz Grünbaum, Musik von Ralph Benatzky, aufgefächert in vierzig opulenten Bildern, von denen einige schon auf dem Zettel angepriesen werden: „Das Genfer Bild die Schau aller Nationen der Erde!“ – „Das goldene Bild!“ – „Das Spitzen-Bild!“, dazu „16 Hippodrome Girls“ und „50 schöne Wienerinnen“, darunter als Solistinnen die Damen Mizzi, Daisy, Mimi und Polly (man erinnert sich natürlich sofort zärtlich an Lehárs Lolo, Joujou und Froufrou), außerdem „Bainka, die senegalesische Prinzessin“ und: „Schöne Frauen aller Völker: Engländerinnen, Französinnen, Italienerinnen, Ungarinnen, Böhminnen, Wienerinnen.“ – Man beachte, dass die „Wienerinnen“ offenbar als eigener Volksstamm angesehen wurden, vermutlich zu Recht. Und während Wien noch an diesen Massenaufläufen knabbert, hat Benatzky mitsamt der inzwischen in luxuriöse Pelze und Samt und Seide gewandeten Josma Selim schon eine schlossartige Villa in Berlin-Lichterfelde bezogen. Dort knobelt er zusammen mit Erik Charell einen neuen Coup aus:

Die historische Revue-Operette. „Casanova“ mit dem Bayreuth-Tenor Michael Bohnen und der spärlich bekleideten Ausdruckstänzerin wird 1928 ein Riesenknüller, - Benatzky hat da ein altes Johann-Strauß-Projekt bearbeitet und zündend modernisiert. Und im Jahr darauf kommen die „Drei Musketiere“ im Großen Schauspielhaus heraus, eine typische Charell-Benatzky-Melange, mit einem herrlichen musikalischen Mischmasch: Wiener Walzer, Gavotte und Foxtrott, schmachtende Solonummern, holzschuhtanzenden Marketenderinnen und jede Menge Zitate aus der Operngeschichte – Benatzky kannte sich da nämlich verdammt gut aus, er hat auch die zeitgenössische Oper immer begeistert besucht, war ein großer Fan von Alban Bergs „Wozzeck“ und hat gewisse Stellen in „Ariadne“ von Richard Strauss als „idealste Operettenmusik“ identifiziert – ein Diktum, das man, wenn man’s ein mal gelesen hat, nie wieder aus dem Kopf kriegt, wenn man fortan die „Ariadne“ hört…Wieso bloß hat dieser Strauss nie eine Operette komponiert? Oder ist der Rosenkavalier womöglich heimlich eine? Wie auch immer, die „Musketiere“ jedenfalls enthalten Musik, der sogar der große Operetten-Verächter Adorno nicht so richtig widerstehen kann, es ist das, was Adorno „gute schlechte Musik“ nennt. Und das Stück, bzw. die Musik Benatzkys, wird

13 zur Startrampe eines Gesangsensembles, das sich zum Teil aus Chormitgliedern des Großen Schauspielhauses rekrutiert, und das im Stück den „Musketier-Marsch“ intoniert. Erik Charell hat ihnen dann ihren endgültigen Namen gegeben: Comedian Harmonists.

Musik 9 Ralph Benatzky Musketier-Marsch 2‘40 Comedian Harmonists ZYX 7777605

Die Comedian Harmonists mit ihrem allerersten Erfolgsauftritt: Dem „Marsch der Musketiere“ in Ralph Benatzkys Operetten-Revue Die drei Musketiere.

Und hier legen wir eine Pause bis morgen ein – dann geht’s weiter in der SWR2 Musikstunde mit „Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette“, bis dahin, sagt KE

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