SWR2 Musikstunde
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SWR2 Musikstunde Kein Ball mehr im Savoy – Die letzten Tage der Operette (1) Von Katharina Eickhoff Sendung: 13. Juli 2020 9.05 Uhr Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2020 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. 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Zu berichten wird über die Kritiken sein, die sich nach den Montagsblättern nicht günstig anlassen. So Wurscht! Meine künstlerische Position wird eine schlechte Presse nicht erschüttern, eine gute nicht fördern, und ich bleibe der von der Presse nicht im Entferntesten seiner wahren Begabung nach anerkannte Ralph Benatzky – so oder so.“ Es war dann eher so als so, sprich: Hier irrte Herr Dr. Benatzky. Musik 1 3‘00 Ralph Benatzky Im weissen Rössl Gretl Schörg, Willy Hoffmann u.a. Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester, LTG Franz Marszalek Line 1119165 Es war Ralph Benatzkys größter Triumph: Zur Premiere von „Im Weissen Rössl“ 1930 war sogar die Fassade von Hans Poelzigs Großem Schauspielhaus in Berlin zum „Hotel Weisses Rößl“ umgestaltet worden. Drinnen: Ein Aufmarsch von an die 700 Mitwirkenden, Dirndl, wo man hinsah, Schuhplatteln und Watschentanz, Slowfox und Shimmy, eine original Feuerwehrkapelle und eine Jazzcombo, ein echter fahrender Omnibus, echter 2 Salzburger Schnürlregen aus dem Sprinkler, Pappkühe mit mechanisch animierten Schwänzen. Und dazu diese fabelhaften, unfehlbar auch mitten in der Wirtschaftskrise Laune machenden Chansons, das vom Weissen Rößl, das vom Salzkammergut, wo man so gut lustig sein kann, oder: „Es muss was Wunderbares sein, von Dir geliebt zu werden…“, das Lied des Zahlkellners Leopold an seine Angebetete, die Rössl-Wirtin Josepha Voglhuber… Und der erste Leopold, das war im Uraufführungsjahr 1930 Max Hansen, genannt „der kleine Caruso“, Lieblings-Operettentenor in Wien und Berlin bei Max Reinhardt und Erik Charell… Musik 2 3‘00 Ralph Benatzky Es muss was Wunderbares sein Max Hansen MusicTales 4229908 Das „Weisse Rößl“, diese geniale Mischung aus Operettenrührstück und zeitgenössischer Komödie, wird ab 1930 ein Welterfolg. Es wird in viele Sprachen übersetzt, heißt dann „The White Horse Inn“ oder „Auberge du Cheval Blanc“, macht viele hundert Vorstellungen sogar am Broadway und seinen Schöpfer Benatzky reich und berühmt… Zeitsprung: Nur zehn Jahre später ist das „Weisse Rößl“ in Deutschland und Österreich verboten. Es hat den Nazi-Stempel „entartet“, wegen seiner ironischen Behandlung des Volkstums, überhaupt wegen des raffiniert satirisch-modernen Untertons. Und natürlich wegen der vielen Juden, die daran mitgewirkt haben. Erik Charell, der legendäre Berliner Operetten- und Revue-Produzent, Entdecker von Marlene Dietrich und den Comedian Harmonists, Regisseur des Erfolgsfilms „Der Kongress tanzt“, Charell, mit dem Benatzky gleich mehrere Triumphe gefeiert hat, hat sich schon beizeiten nach Amerika abgesetzt und ist inzwischen längst in Hollywood gescheitert; Max Hansen, wegen seiner frechen Chansons gegen Hitler und auch seiner jüdischen Vorfahren wegen plötzlich hochgefährdet, ist nach Dänemark geflohen und überlebt dort mit einem gefaelschten Arier-Nachweis. 3 Ralph Benatzky ist mit seiner jüdischen Frau Melanie, genannt Kirschi, in die USA ins Exil gegangen, zehrt in einer teuren New Yorker Wohnung sein Erspartes auf, bekommt keinen Fuß auf den Boden und berechnet, wie viel Veronal es wohl für einen Selbstmord braucht. Er schafft es einfach nicht, Englisch zu lernen, „trotz angespanntester Versuche“, wie er schreibt, und seine rastlosen Aktivitäten in Sachen Selbstvermarktung führen allesamt zu nichts – einen Opernfilm für MGM will er machen, reicht Manuskripte bei der Paramount ein, bietet Fred Astaire und Ginger Rogers eine seiner Berliner Revuen an. Keiner interessiert sich. Und Benatzky konstatiert frustriert, was so viele deutsche und österreichische Exilanten damals in Amerika erfahren mussten: „Ich passe nicht hier herein.“ Und dann schreibt er, der schon so viele, der schon fast zweitausend Lieder in seinem Leben geschrieben hat, sein vielleicht traurigstes von allen, derweil daheim in Europa die Welt untergeht: Das “Wiener Lied in New York”. Musik 3 Ralph Benatzky Wiener Lied in New York Daniela Ziegler und Adam Benzwi Duophon/Edition Berliner Musenkinder 01 75 3 Daniela Ziegler, ein bekanntes Gesicht aus dem Fernsehen und aber auch wunderbare Chanson- und Musical-Sängerin, hat vor gut zehn Jahren ein Benatzky- Programm aufgelegt und dabei genau den richtigen Ton zwischen Sentiment, Ironie und Tragik gefunden. Es ist nicht zufällig ein „Wiener Lied“, in das Ralph Benatzky da in den frühen Vierziger Jahren in New York sein Heimweh verpackt. Benatzky, durch und durch ein Kind Kakaniens, ist es nämlich, der in Wien in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg die alte schöne Kunst des Wienerlieds wiederbelebt… 4 Musik 4 1‘00 Ralph Benatzky Benatzky spielt „Grinzing“ Josma Selim Preiser Records MONO 90313 Kennen Sie’s noch? Ralph Benatzky himself spielt da, übrigens ziemlich feinsinnig, sein „Grinzing“-Lied… Dieser Ralph Benatzky hat ein wirklich bewegtes Leben geführt, ein Leben, das er dann in seinen diversen biographischen Skizzen noch viel bewegter hat aussehen lassen - Was das Ausschmücken des eigenen Lebenslaufs angeht, war Benatzky nämlich zumindest stellenweise ungefähr der größte Aufschneider seit dem Baron Münchhausen. Fünftausend Chansons wollte er schon 1928 geschrieben haben, bei Antonin Dvorak selig wollte er dereinst in Prag Schüler gewesen sein, den Rompreis wollte er gewonnen haben, zurück aus den USA wollte er dort Musik zu 200 Hollywood-Filmen komponiert haben…alles geflunkert – noch nicht mal in seinen Aussagen zu seinen Geburtsdaten war Benatzky konsistent. Er ist wohl 1884 geboren, und zwar im Mährischen, in der Nähe von Brünn. Mit fünfzehn hat ihn die Familie bei der k.u.k. Kadettenanstalt in Wien abgeladen, aber sie hoffen vergeblich auf einen strammen Offizier in der Familie: Rudolph, der sich alsbald Ralph nennt, schafft es mit Ach und Krach zum Leutnant. Stationiert in Galizien ist er ständig abgängig, weil er irgendwo einen Chansonabend begleitet, er holt sich dort im fernen Cisleithanien noch schnell die Syphilis und wird dann 1909 wieder ausgemustert. Danach fängt für ihn endlich das richtige Leben an: Benatzky studiert in Prag und Wien Musik und an den Unis Philosophie und Germanistik und bringt es ziemlich schnell zum „Dr.phil.“, mit einer Arbeit über Goethe und das Volkslied. 1909 gewinnt er einen Lyrikwettbewerb und will eigentlich erst mal Poet und Librettist werden – tatsächlich kann er, der später die meisten Texte für seine Musik selber schreibt, schon früh ziemlich virtuos mit Sprache umgehen. Und nicht nur das: Dieser hochintelligente, ständig vor Ideen platzende Tausendsassa durchschaut schon als junger Kerl die literarischen und dramatischen Produktionsmechanismen. In einem seiner höchst unterhaltsamen Texte hat 5 Benatzky ein ewiggültiges Rezept für die literarische Produktion preisgegeben, das geht so: „Man gehe auf den Lebensmarkt, möglichst zeitig früh, damit einem nicht die besten Bissen weggeschnappt werden. Dort kaufe man je nach Bedarf: motivierte und unmotivierte Selbstmorde, Ehebruchsaffairen, Verführungen etc. zu möglichst billigem Preis…Sollte sich der Bissen ergiebiger erweisen, so klopfe und walke man ihn tüchtig durch, wasche ihn etliche Male in kalter Sentimentalität, emballiere mit Moderne und beginne zu backen.- Man würzt mit Erotik. Je mehr, umso besser, heutzutage verträgt man schon was.- Je nach Größe ergeben sich: Essays, Skizzen, Novellen, Romane, Dramen.- Sollten sich Abfälle ergeben, so kann man diese zu Feuilletons, Dialogen und Einaktern verarbeiten… Ist das Gericht soweit, so garniere man mit verrückten Vorworten, Ehrenerklärungen großer Germanisten oder mit dem Hinweis, dass das Ganze aus einem Tagebuch entnommen sei…- und trage auf.“ Es ist dann doch kein Vollzeit-Literat aus ihm geworden – aber die Texte zu seinen Chansons, die hat Benatzky fast alle selbst geschrieben, wobei in ihnen selten so ganz groß das Schicksal wobbelt. Er hat wenig