Rechtsextreme Und Rechtspopulistische Parteien in Europa
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Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa Werner T. Bauer Wien, November 2016 Aktualisierte und überarbeitete Fassung 2 Aufgeblasen, abgehoben regieren sie uns von oben! Sie gieren nur nach Macht und Geld, der kleine Mann für sie nicht zählt! Irmhild Karner, Mürzzuschlag Einleitung 4 Teil 1 – Eine Annäherung 6 Populismus – Lechts oder Rinks? Definition und Abgrenzung des Phänomens Populismus 6 Alte Rechte, „Neue Rechte“, ewige Rechte Wo beginnt der Rechtsextremismus – und wo der Neofaschismus? 9 Der charismatische Führer und seine Bewegung Strukturelle Gemeinsamkeiten – und Unterschiede 12 „Der traut sich was“ Populistische Tabubrüche als Methode 13 Neue Feinde – und der „ewige Jude“ Populistische Feindbilder und ihre Rezeption 15 Rechter Antikapitalismus und Globalisierungskritik Alles nur Taktik? 18 Jung, männlich und ungebildet? Wer sind die Wähler rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien? 21 Eine unheilige Allianz Rechtspopulismus und Boulevard 25 Late Adopters Nationale Faktoren begünstigen den Erfolg rechtspopulistischer Parteien 26 Sonderfall Osteuropa? Ist der osteuropäische Populismus mit dem westeuropäischen vergleichbar? 30 „Zu Tode gewählt“ Vom Scheitern der Rechtspopulisten 32 Populismus als symbolische Politik Warum der Populismus auch die etablierten Parteien infiziert hat 34 SOS-Demokratie Ein nicht allzu optimistischer Ausblick 36 Teil 2 – Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien im Überblick 38 Anhang Europawahl 2014 142 Literatur 144 3 Einleitung In den späten 1970er-Jahren zeichneten sich in den westeuropäischen Parteiensystemen erstmals Krisenerscheinungen der Repräsentation ab. Davon profitierten zunächst einmal die neuen Protestbewegungen am linken Rand, später zunehmend auch solche am rechten.1 Die Vermutung liegt nahe, dass die Globalisierung das Entstehen rechtspopulistischer Strömungen befördert hat. Die neoliberale Individualisierungs- und Flexibilisierungswut führt zur Auflösung der alten Bindungen (nach Klassen und sozialen Gruppen) und die immer mehr „auf sich selbst zurückgeworfenen“ Menschen suchen nach Ersatzidentitäten. Durch die ökonomischen Folgen der Globalisierung wurde die Bevölkerung in Globalisierungs- gewinner und -verlierer mit jeweils typischen Interessenslagen gespalten. Darüber hinaus bewirkte die Internationalisierung vieler Entscheidungsprozesse eine immer stärkere Entfremdung zwischen den politischen Parteien (und Institutionen) und weiten Teilen der Wählerschaft. Die Vertreter der neuen Bewegungen am rechten Rand sehen es deshalb als ihre Hauptaufgabe, die so entstandene Lücke zu füllen und die Interessen der politisch entfremdeten Globalisierungsverlierer politisch zu artikulieren .2 Heute fühlen sich auch weite Teile der Mittelschichten von sozialem Abstieg bedroht. Politisch bedeutet das, dass die Anzahl unzufriedener und ungebundener Personen, die entweder zur Wahlenthaltung oder zum Protestwahlverhalten tendieren, stetig zunimmt. Profitiert von dieser Entwicklung haben v.a. die rechten Populisten, wie auch generell festzustellen ist, dass der neoliberale Umbau Europas zu einem eindeutigen Rechtsruck geführt hat, auch bei den Parteien der politischen Mitte. Populistische Parteien , meint Frank Decker, sind ein Produkt gesellschaftlicher Modernisierungskrisen. Solche Krisen treten auf in Zeiten beschleunigten sozialen Wandels und führen zu einer wachsenden Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer.3 Weil die Populisten scheinbar für die wachsende Zahl der Verlierer Partei ergreifen und deren Ängste und Sorgen artikulieren, verzeichnen rechtspopulistische Parteien in Europa seit dem Jahr 2000 nicht nur beachtliche Wahlerfolge, sondern waren – und sind z.T. noch immer – als Partner konservativer Parteien auch an mehreren Regierungen beteiligt, u.a. in Dänemark, in den Niederlanden, in Österreich, in Italien und der Schweiz. The rise of the populist radical right , schreibt Anthony Painter in der Zusammenfassung seiner Populismus- Studie, is one of the most significant features of western democracies in the last quarter of a century .4 1 Frölich-Steffen 2006:147. 2 Nauenburg 2005:4. 3 Decker 2004:231. 4 Painter 2013:7. 4 Rechtsextreme Wahlerfolge signalisieren aber auch Repräsentations- und Integrations- defizite bei den etablierten Parteien. Durch die Auflösung der traditionellen, oft über Generationen gültigen Parteienbindungen sind viele Wähler für etwaige Newcomer relativ leicht erreichbar. Wenn Unzufriedenheit keinen Adressaten im Parteiensystem findet, schafft sie sich (…) eine eigene Repräsentanz. Auffällig ist, dass rechtsextreme Parteien gerade auch dort gedeihen, wo sich alle oder einzelne Volksparteien in einer tiefen Krise befinden oder durch Klientelismus und Skandale heftig erschüttert werden.5 Obwohl viele populistische Bewegungen und ihre Führer in den letzten Jahren „entzaubert“ wurden, erhalten rechtspopulistische Parteien bei vielen regionalen und nationalen Wahl- gängen nach wie vor um die 20% der Stimmen oder sogar mehr – zuviel jedenfalls, um das Phänomen als Lappalie abzutun.6 Im ersten Teil dieser Arbeit wollen wir die zahlreichen Thesen zum Thema (Rechts-) Populismus zusammenfassen und kritisch hinterfragen.7 Der zweite Teil enthält eine Übersicht über die wichtigsten rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien in Europa. Da sich gerade diese Szene durch eine besonders starke Volatilität auszeichnet, ist eine regelmäßige Aktualisierung vorgesehen. Wien, im Juni 2014 5 Stöss 2006:556. 6 Jungwirth 2002:13. 7 Siehe dazu auch Bauer 2010, Langenbacher 2011. 5 Teil 1 – Eine Annäherung Populismus – Lechts oder Rinks? Definition und Abgrenzung des Phänomens Populismus Der Begriff des „Populismus“ geht auf eine US-amerikanische Farmerbewegung zurück, die Ende des 19. Jahrhunderts gegen die Vorherrschaft des Großkapitals aufbegehrte und für den Ausbau der plebiszitären Demokratie, eine Politik billiger Kredite und die Errichtung landwirtschaftlicher Verwertungsgenossenschaften eintrat. 1892 wurde die Populist Party , die auch unter dem Namen People’s Party bekannt war, gegründet; besonderen Anklang fand die Bewegung bei den Farmern im mittleren Westen der USA. Ausgehend vom Aufstieg der People’s Party in den USA entwickelte der amerikanische Soziologe Lawrence Goodwyn Ende der 1970er Jahre seine Theorie vom „populistischen Moment.“ Goodwyn postuliert, dass der (Rechts)populismus eine „Kernströmung“ sei, es allerdings eines bestimmten historischen Augenblicks bedürfe, damit diese aktiviert werde. Ein solcher „populistischer Moment“ sei dann gegeben, wenn das Tempo der Modernisierung der Gesellschaft zu rasant sei und die Menschen diesem Transformationsprozess nicht mehr folgen könnten. 8 „Populistisch“ waren auch die russischen Narodniki („Volkstümler“, „Volksfreunde“), Vertreter einer sozialrevolutionären Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich sowohl gegen den nach Russland vordringenden Industriekapitalismus, als auch gegen den Zarismus wandten und das Heil des russischen Volkes in einem agrarischen Sozialismus sahen. Im frühen 20. Jahrhundert entstanden in Ostmitteleuropa populistische Bauernbewegungen, die vielfach enge personelle und ideologische Bezugspunkte zum aufkommenden Faschismus aufwiesen; einige dieser Bewegungen spielten auch bei der Wiederentstehung der Mehrparteiensysteme nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Kommunismus eine nicht unbedeutende Rolle. In den 1930er-Jahren kamen in Lateinamerika verschiedene „urban-populistische“ Bewegun- gen an die Macht, deren Führer – populistische Diktatoren wie Getúlio Dornelles Vargas (1883–1954), der „Vater der Armen“ in Brasilien, oder Juan Domingo Perón Sosa (1895– 1974) in Argentinien – das politische Potential der massiven Landflucht erkannten und für sich zu nutzen verstanden. Der ökonomische Populismus lateinamerikanischer Prägung profilierte sich v.a. durch seine Forderung nach einer staatsprotektionistischen Umverteilungspolitik zugunsten der unteren und mittleren Einkommensschichten. 8 Goodwyn 1978. 6 In Westeuropa wurde der Begriff des „Populismus“ erst in den 1980er-Jahren zu einer fixen politischen Kategorie, wobei er hier, im Gegensatz zu den USA, tendenziell stets negativ konnotiert ist. Die Frage ist nun, ob es zwischen dem US-amerikanischen Populismus des 19. Jahrhunderts, dem osteuropäischen Agrarpopulismus der Zwischenkriegszeit, dem Populismus lateinamerikanischer Tradition und den gegenwärtig in Europa grassierenden Populismen einen gemeinsamen Nenner und sogar so etwas wie eine „populistische Ideologie“ gibt. In der Politikwissenschaft gehen die Meinungen dazu stark auseinander. Da „Populismus“ mittlerweile auch zu einem beliebten Kampfbegriff geworden ist, ist es nicht einfach, ihn einer wissenschaftlichen Analyse zuzuführen. Aufgrund seines vielschichtigen und diffusen Charakters wird der Begriff selbst in der Politikwissenschaft oft unscharf verwendet und bleibt als analytische Kategorie und als eigenständiger Forschungsgegenstand umstritten.9 Einige Autoren tendieren dazu, im Populismus in erster Linie ein Stilmittel und die Gemeinsamkeiten zwischen populistischen Parteien eher im formalen als im inhaltlichen Bereich zu sehen, dem Populismus also den Charakter einer Ideologie im klassischen Sinn abzusprechen. Martin Reisigl etwa meint: Aufgrund seines heterogenen, synkretistischen und theoretisch inkohärenten Charakters kann Populismus angemessener als politischer Stil und – präziser noch – als politisches „Syndrom“ charakterisiert werden,10 und auch Florian Hartleb betont, dass sich viel Ballast in der