Es sind die Begegnungen mit Menschen, die unser Leben prägen. Dabei beeinfl ussen die kul- turellen, gesellschaftlichen und sozialen Umstände oder persönlichen Neigungen die Qualität und Intensität dieser Begegnungen und wirken sich auf unser weiteres Handeln und Verhalten aus. Wie sich Begegnungen und Beziehungen gestalten und verändern, wird in der Ausstellung anhand der Sammlungen zweier Göttinger Ethnologen dargestellt, die knapp drei Jahrzehnte am Institut für Ethnologie gewirkt haben. Der Ozeanist Erhard Schlesier führte Feldforschungen im Südpazifi k durch. Sein regionaler Schwerpunkt lag dabei auf Südost-Neuguinea. Die For- Julia Racz und Gundolf Krüger (Hg.) schungen des Afrikanisten Peter Fuchs erstreckten sich auf das Gebiet der Sahara und des Sahel. Beide Ethnologen betrachteten Begegnungen als einen Prozess von wechselseitigen kulturellen Beeinfl ussungen, denen man im Hinblick auf ihre jeweilige Dynamik und Wirksamkeit auf die Transkulturelle Begegnungen –

Spur kommen sollte. k und Sahara - Südpazifi Südpazifi k und Sahara Julia Racz und Gundolf Krüger (Hg.) Transkulturelle Begegnungen

ISBN: 978-3-86395-250-1 Universitätsverlag Göttingen Georg-August-Universität Göttingen

Julia Racz und Gundolf Krüger (Hg.) Transkulturelle Begegnungen

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. erschienen im Universitätsverlag Göttingen 2016 Julia Racz und Gundolf Krüger (Hg.)

Transkulturelle Begegnungen – Südpazifik und Sahara

Begleitband zur Ausstellung

Universitätsverlag Göttingen 2016 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar.

Göttinger Gesellschaft für Völkerkunde e.V.

Dieses Buch ist auch als freie Onlineversion über die Homepage des Verlags sowie über den Göttinger Universitätskatalog (GUK) bei der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (http:// www.sub.uni-goettingen.de) erreichbar. Es gelten die Lizenzbestimmungen der Onlineversion.

Satz und Layout: Franziska Pannach Covergestaltung: Jutta Pabst Umschlagabbildungen: Vorderseite: Abb. 1: Salzkarawane der Tuareg zwischen Fachi und dem Air-Gebirge, Sahara, Peter Fuchs, 1974 Rückseite: Abb. 2: Kula-Boot, Dobu, Papua Neu-Guinea, Südpazifi k, Susanne Kühling, 1993

© 2016 Universitätsverlag Göttingen http://univerlag.uni-goettingen.de ISBN: 978-3-86395-250-1 Begleitband:

Herausgeber: Julia Racz und Dr. Gundolf Krüger. Projektleitung: Prof. Dr. Elfriede Hermann, Prof. Dr. Nikolaus Schareika, Institut für Ethnologie der Georg-August-Universität Göttingen. Beratend tätig: Associate Professor Dr. Susanne Kühling, Regina, Kanada, Prof. Dr. Georg Klute, Universität Bayreuth. Mitarbeit: Gwendolyn Miriam Bömeke, Rhea Braunwalder, Annika Brink, Annia Aurelia Fittschen, Anna Charlotte Freya Grabow, Lennart Haneklaus, Frederike Hapke, Meret Hesse, Rolf Husmann, Georg Klute, Susanne Kühling, Gundolf Krüger, Jens Matuschek, Jolene Mestmacher, Leonie Neumann, Isabel Pagalies, Antje Pischke, Julia Racz, Viktoria Schüffner, Aras Zamani, Nicole Zornhagen. Fotos: Prof. Dr. Peter Fuchs, Prof. Dr. Erhard Schlesier, Associate Professor Dr. Susanne Kühling, Prof. Dr. Georg Klute, Michael Steineck, Magnus Manske. Bildbearbeitung: Harry Haase. Redaktion: Julia Racz, Dr. Gundolf Krüger. Kartengestaltung: Robert Scheck.

Ausstellung:

Die Ausstellung ist eine Kooperation der Ethnologischen Sammlung der Universität Göttingen (Julia Racz und Dr. Gundolf Krüger) und des Städtischen Museums Göttingen (Dr. Ernst Böhme, Andrea Rechenberg M.A. und Silke Stegemann). Leihgeber: Hille und Peter Fuchs, Edith und Erhard Schlesier, Robert Scheck, Weltkulturen Museum Frankfurt/Main, Georg Westermann Verlag. Technische Mitarbeit: Gebäudemanagement der Universität Göttingen, Städtisches Museum Göttingen (Silke Stegemann), Scheiter Großbildtechnik GbR, Technische Informationsbibliothek Hannover, Jens Matuschek, Isabel Pagalies, Nicole Zornhagen. Hörstation: Götz Lautenbach. Medienstation: Dr. Rolf Husmann, Abbas Yousefpour, Manfred Krüger. Spielstation: Dr. Reinhold Wittig.

Göttingen, 31. Januar bis 20. Dezember 2016

Inhalt Rolf Husmann Gundolf Krüger Peter Fuchs und der ethnographische Film in Vorwort ...... 9 Deutschland ...... 83

Julia Racz Nina Paliokas, Viktoria Schüffner und Einleitung Gundolf Krüger Über transkulturelle Begegnungen ...... 11 Sahara und Sahel: transkulturelle Begegnungen und Tauschbeziehungen ...... 94 Leonie Neumann Erhard Schlesier: Sammler, Forscher Georg Klute und Hochschullehrer ...... 20 Der Schmuggelhandel: die Elemente des Karawanenhandels und der Razzia...... 114 Anna Charlotte Freya Grabow, Meret Hesse und Gundolf Krüger Frederike Hapke und Isabel Kreuder Gabentausch auf Normanby Island: Transkulturelle Einflüsse: zum Verständnis zur kulturellen Praxis des Weltbildes der Hadjerai im Tschad ...... 125 zeremonieller Beziehungen ...... 32 Annia Aurelia Fittschen Susanne Kühling Handwerker, Geheimnisträger und Austronesisches Wertedenken und Wandermusiker: zur Mittler-Rolle zeremonieller Gabentausch ...... 48 der Schmiede ...... 136

Julia Racz Abbildungsverzeichnis...... 146 Auf den Spuren eines Forschers – transkulturelle Begegnungen in der Biographie des Ethnologen Peter Fuchs ...... 60

Annika Brink Partnerschaftliche Feldforschung und die Reflexion der Fremdbegegnung ...... 75

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Vorwort mente und in ihrer Vollständigkeit aufschlussreiche Kulturdarstellungen, stammen sie doch aus einer Das Zusammentreffen von Menschen aus un- Epoche der Umbrüche, der Entkolonialisierung terschiedlichen Ländern, Ethnien und Kulturen bzw. der Unabhängigkeitsbestrebungen jener Re- manifestiert sich nicht zuletzt im gegenseitigen gionen. Die Sammlungen enthalten mit ihren Ob- Austausch, Kauf und Sammeln von materiellen jekten und den dazugehörigen umfangreichen Pu- Zeugnissen bzw. Objekten. Doch wie spiegeln sich blikationen, audiovisuellen Dokumentationen und in den musealen Erwerbungen von Gegenstän- Archivalien vielfältige Hinweise, Botschaften und den die Begegnungen der Menschen, die mit den Bedeutungen, an denen sich die kulturellen Trans- Dingen in Beziehungen standen oder noch stehen, formationsprozesse in den Regionen des Südpazi- wider? Dieser Frage geht ein seit 2014 laufendes fik und der Sahara über einen größeren Zeitraum Museums-Projekt in Form einer Erschließung und ablesen lassen. Beide Ethnologen reflektieren da- Auswertung der Sammlungen der beiden Göttinger bei im Rahmen des Forschens und Sammelns (ein- Ethnologen Erhard Schlesier und Peter Fuchs nach. schließlich daran angeknüpfter Re-studies) auch ihr Sowohl Erhard Schlesier als auch Peter Fuchs eigenes Gewicht, mit dem sie in situ, oft ungewollt, waren als Professoren am Institut für Ethnologie Einfluss auf indigene Lebenszusammenhänge ge- an der Georg-August-Universität Göttingen tätig nommen haben. und arbeiteten im Rahmen ihrer Feldforschungen In ihrer Zusammensetzung sind die Sammlun- eng mit dem einstigen Institut für den Wissen- gen mit dem dazu vorhandenen Quellenmaterial schaftlichen Film Göttingen (IWF) zusammen. geeignet, die gegenseitigen kulturellen Einflüsse Der Ozeanist Erhard Schlesier führte seine Feld- der sich in den genannten geographischen Räumen forschungen im südwestlichen Pazifik durch. Sein zu verschiedenen Zeiten begegnenden Menschen regionaler Schwerpunkt lag dabei auf Südost-Neu- zu erhellen: Herstellungsprozesse von Objekten, guinea in Melanesien. Das Forschungsinteresse des Materialität und Ikonographie, aber auch Umstän- Afrikanisten Peter Fuchs richtete sich auf das Ge- de des Sammlungserwerbs und Geschichten, die biet der Sahara und des Sahel. Beide Ethnologen sich ‚hinter den Objekten‘ verbergen, indizieren in haben im Zuge ihrer Feldforschungen systematisch Schrift, Bild und Ton die Intensität der Encouter- Sammlungen angelegt und dokumentiert. Insge- Situation und geben damit den beiden Sammlun- samt handelt es sich um ca. 900 ethnographische gen ihr besonderes Profil als Beiträge zur Trans- Objekte, die in der Zeit zwischen 1956 und 1991 kulturationsforschung. Schlesier ebenso wie auch zusammengetragen und für die Ethnologische Fuchs vertraten in Forschung und Lehre am Insti- Sammlung des Instituts für Ethnologie erworben tut für Ethnologie bereits in den 1970er Jahren im wurden. Bis heute überwiegend magaziniert und Unterschied zu manchen ihrer damaligen Fachkol- nicht ausgestellt, sind sie einzigartige Zeitdoku- legen die Auffassung, dass kulturelle Einflussnah- 9 men im Zuge einer fortschreitenden Globalisierung importierten Waren, überprüft. nicht einseitig als Akkulturation oder gar Assimi- Aus den Seminaren zur Ausstellungspraxis, lation im Sinne einer westlichen Modernisierung museumspädagogischen Praxis und zum ethno- zu betrachten seien. Beide Ethnologen waren sich graphischen Film entstand der nun vorliegende dahingehend einig, dass der Akkulturationsbegriff Begleitband zur Ausstellung unter Beteiligung als ein Terminus ad quem in der Forschungspraxis von Studierenden, einer Vielzahl von Helfern und unweigerlich zu ethnozentrischen Auffassungen Unterstützern sowie einiger Institutionen. Ihnen führen muss, außereuropäische Kulturen würden allen gilt der Dank! sich über kurz oder lang dem westlichen Impact Insbesondere geht der Dank an die Menschen anpassen. Schlesier und Fuchs hingegen sahen Be- jener Orte, von denen die Objekte stammen: gegnungen immer als einen Prozess von wechsel- kagutoki sinabwana – ăgoda – shukran. seitigen kulturellen Beeinflussungen, denen man im Für die freundliche Unterstützung von Ausstel- Hinblick auf ihre jeweilige Dynamik und Wirksam- lung, Begleitband und Begleitprogramm dankt die keit als Forscher auf die Spur kommen sollte. Ethnologische Sammlung im Einzelnen Edith und In Wertschätzung dieses Blickwinkels erfolg- Erhard Schlesier, Hille und Peter Fuchs, der Stif- te im Rahmen forschungsorientierter Lehre wäh- tung Niedersachsen, der Zentralen Kustodie und rend der letzten drei Semester unter der Leitung der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg- von Dr. Gundolf Krüger, Julia Racz und Dr. Rolf August-Universität Göttingen, dem Städtischen Husmann gemeinsam mit Studierenden eine Annä- Museum Göttingen, der Göttinger Gesellschaft herung an die Objekte der Sammlungen Schlesier für Völkerkunde e.V., der Dr. Walther Liebehenz- und Fuchs. Dies geschah auf drei Ebenen: Auf Stiftung, der Sparkasse Göttingen, der Edition regionaler Ebene wurden zunächst Tausch- und Perlhuhn sowie allen beteiligten Mitarbeitern und Handelsbeziehungen der Lokalgruppen in den Mitarbeiterinnen des Instituts für Ethnologie. zur Disposition stehenden Regionen des Südpazi- fik und der Sahara untersucht; die als bedeutsam Gundolf Krüger erscheinenden Objekte wurden dabei in ihrer Sym- (Kustos der Ethnologischen Sammlung) bolkraft und Wirkmacht besonders beleuchtet. Des Weiteren wurden die Beziehungen der beiden Göttingen, im Dezember 2015 Sammler zur indigenen Bevölkerung während ihrer Aufenthalte und im Hinblick auf Forschungsstrate- gien des Objekterwerbs reflektiert. Schließlich wur- den europäische Einflüsse auf die materielle Kultur, auch im Sinne spezifischer indigener Aneignungen, Umformungen und Neuschöpfungen von westlich 10 Einleitung bindung und stimulieren so einen Austausch über Über transkulturelle Begegnungen ihre kulturellen Werte. Mit dem Phänomen kultu- reller Begegnungen sowie deren Auswirkungen ha- Julia Racz ben sich viele verschiedene Disziplinen beschäftigt. Neben der Ethnologie sind dies etwa Kunst- und „Anschließend überdenke ich die Lage von Me’udana im Medienwissenschaften, die Soziologie oder Politik- kulturellen Wandel. In mancher Hinsicht kann man von einer und Wirtschaftswissenschaften. Bei der Untersu- Inkulturation mit positiven Zügen zu einer langsamen Ak- chung zur kulturellen Dynamik und Mobilität von kulturation sprechen; sie sind am angelsächsischen Kontakt- Menschen werden häufig die Migration und die partner nicht zerbrochen, sie könnten auch heute wieder ohne damit verbundene intensive Kontaktsituationen ins ihn leben, sie haben biologisch keinen Schaden genommen, die Visier genommen. Menschen zeichnen sich durch medizinische Hilfe wird zu einem Bevölkerungsanstieg führen“ eine mobile Lebensweise aus, dabei hat Mobilität (Schlesier 1994: 110). verschiedene Ursachen: Sie kann freiwillig oder er- zwungen sein. Sie kann über den Beruf, die Pflege Die Kulturen „Afrikas mußten sich des öfteren in ih- von Handelspartnerschaften oder die Aufrecht- rer Geschichte mit überlegenen Kulturen auseinanderset- erhaltung sozialer Beziehungen motiviert werden. zen, die abendländische Zivilisation ist nur das vorläufig Personen können als Nomaden, Immigranten, letzte Glied einer Kette, die bis in die antike Welt zurück- Gastarbeiter, freiwillige Helfer, Künstler, Flüchtlin- reicht. Sie haben diese Akkulturationsprozesse überstanden, ge, Exilanten oder Touristen unterwegs sein (Ap- ohne ihr eigenständiges „pattern“ zu verlieren, und ‚there padurai 1998: 12). Wenn sich Menschen bewegen, is no evidence which supports the assumption …that Af- nehmen sie ihre kulturellen Wertvorstellungen, Ide- rican culture …will shortly and inevitably disappear‘“ en und Visionen mit sich. Es können mitunter gan- (Fuchs 1970: 281). ze Systeme sein, die „mit unterschiedlichster Macht“ ausgestattet sind (Hauser-Schäublin/Braukämper Die oben angeführten Zitate stammen von zwei 2002: 10). Die Wahrnehmung einer global immer Göttinger Ethnologen, Erhard Schlesier, den seine mobiler werdenden Welt, findet ihren Ausdruck in Forschungen in den Südpazifik geführt haben und der vielfach verwendeten Metapher des „globalen Peter Fuchs, der sich intensiv mit den Sahara- und Dorfes“ (MacLuhan 1994). Damit verbinden sich Sahelkulturen beschäftigt hat. Aus ihren Ausfüh- auch Visionen einer fortschreitenden Homogeni- rungen lässt sich zunächst einmal folgendes able- sierung der Gesellschaften, die zu einer „McWorld“ sen: Kulturen sind dynamisch, sie verändern sich (Barber 2003) oder „McDonaldisierung“ (Ritzer permanent. Dieser Wandel erfolgt in Kontaktsitua- 2011) führen sollen. Das Eintreffen dieser Szena- tionen verschiedenster Art. Dabei treten Menschen rien, die das Bild einer fortschreitenden Homoge- unterschiedlichster Herkunft miteinander in Ver- nisierung von Gesellschaften heraufbeschwören, 11 lässt sich jedoch nicht bestätigen. Vielmehr wer- 2). Die Begegnungen fordern dazu auf, sich auf den Biografien und Lebensstile in unserer heutigen einen kreativen, emotionsgeladenen und mitunter Weltgesellschaft verstärkt als transkulturell wahrge- konfliktreichen Prozess einzulassen, um eine Iden- nommen. Damit werfen sie Fragen nach den Dyna- titätsstabilisierung zu gewinnen und zu erhalten miken kultureller Werte und Identitäten auf. (Wagner 2001: 15). Auch wenn Menschen ihre Heimat verlassen, bleiben sie emotional oder tatsächlich mit ihrem Zum Ausstellungskonzept Herkunftsort verbunden. Sie pflegen Beziehungen sozialer, wirtschaftlicher, kultureller oder politi- Idee und Ziel der Ausstellung „Transkulturelle Be- scher Art, wobei sie sich gleichzeitig um Zugehörig- gegnungen – Südpazifik und Sahara“ sind es, die keit vor Ort bemühen. Sie knüpfen neue Kontakte Motive der Mobilität, die Mechanismen der mul- und versuchen, sich in der lokalen Gemeinschaft tiplen Beziehungen sowie deren wechselseitige zu integrieren. Verbesserte Medien- und Trans- Beeinflussung auf kulturelle Erscheinungen nä- portmöglichkeiten haben die Kommunikation her zu beleuchten und bewusst zu machen. Der zwischen Menschen verändert. Sie ist intensiver Terminus Transkulturation geht auf den kubani- geworden und hat dazu beigetragen, neue Identi- schen Anthropologen und Politiker Don Fernando tätsmodelle zu entwerfen. Die Kulturwissenschaft- Ortiz und dessen Fallstudie zur wirtschaftsethnolo- ler Elisabeth Bronfen und Marius Benjamin (1997: gischen Bedeutung des Tabaks in Kuba (publiziert 18) sind davon überzeugt, dass es heute nicht län- 1940) zurück: Die theoretische Einbettung des ger darum gehe, „ob wir kulturelle Hybridität für Begriffs in diese Untersuchung verdankt er aber erstrebenswert halten oder nicht, sondern einzig Bronislaw Malinowski, der das Vorwort zu Ortiz’ darum, wie wir mit ihr umgehen“. Es ist dieses Studie geschrieben hat; hier bezieht sich dieser Wie, das bei der Betrachtung von transkulturellen auf ein „reziprokes Austauschverhältnis, bei dem Begegnungen bedeutungsvoll ist. Es geht darum, die kontaktierenden Kulturen gleichermaßen ak- wie sich Kontaktsituationen gestalten und wie sich tiv sind und zu einer neuen Realität verschmelzen“ ein Transfer von kulturellen Elementen vollzieht. (Krüger 1986: 21; vgl. auch Hermann 2007: 257- Materielle und immaterielle Kultur scheint sich in 259). Wie sich die Beziehung zwischen den kontak- einem grenzüberschreitenden Fluss zu befinden, tierenden Kulturen gestaltet, ist dabei ebenso von wobei sich Informationen und Objekte zu „Trans- Interesse wie der kulturelle Transformationspro- porteuren“ kultureller Elemente entwickeln. Bei zess selbst. Die Beobachtung des transkulturellen der Studie transkultureller Begegnungen geht es Austauschs erfolgt der Literaturwissenschaftlerin darum, zu ermitteln, welche kulturellen Elemente Mary Louise Pratt zufolge in einer Kontaktzone. In in einer intensiven Kontaktsituation übernommen ihrer Publikation „Imperial Eyes: Travel and Trans- und welche abgelehnt werden (Harmsen 1999: culturation“ (1992) definiert sie den Begriff der 12 Kontaktzone wie folgt: „One coinage that recurs schen Eigenkultur und Fremdkultur verloren. Die- throughout the book is the term „contact zone“, sen Prozess der Transkulturalität beschreibt Welsch which I use to refer to the space in which peoples geo- so: „Unsere Kulturen haben de facto längst nicht graphically and historically separated come into con- mehr die Form der Homogenität und Separiert- tact with each other and establish ongoing relations, heit, sondern sind weitgehend durch Mischungen usually involving conditions of coercion, radical und Durchdringungen gekennzeichnet. Diese neue inequality, and intractable conflict“ (1992: 6). Struktur der Kulturen bezeichne ich, da sie über den Die Transaktion von Ideen und Gegenständen traditionellen Kulturbegriff hinaus- und durch die ist immer in soziale Beziehungen eingebettet traditionellen Kulturgrenzen wie selbstverständlich (Reynolds Wyte 2002: 39). Die Interaktion mit hindurchgeht, als transkulturell“ (1999: 51). anderen Personen eröffnet dabei Handlungspers- Transkulturationsprozesse werden in der Aus- pektiven, die sich mit einem Akt kultureller Inter- stellung exemplarisch anhand der Sammlungen pretation und Umdeutung verbinden. Kulturelle zweier Göttinger Ethnologen – Prof. Dr. Erhard Erscheinungen, Informationen oder Gegenstände, Schlesier und Prof. Dr. Peter Fuchs – nachgezeich- die den Menschen im Zuge der Globalisierung über net, die sie im Zuge ihrer Feldforschungen während die neuen Kommunikationstechnologien über- der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts systema- all auf der Welt zugänglich sind, werden nicht in tisch für die Universität Göttingen erworben ha- identischer Weise übernommen, sondern kulturell ben. Die Sammlung Schlesier fokussiert dabei die umgedeutet und neu interpretiert: „Denn welche Region Südost-Neuguinea im Südpazifik, die Bedeutung Verhaltensweisen und Objekte haben, Sammlung Fuchs hingegen stammt aus dem Saha- mit welchem Sinn Menschen sie versehen, ist viel ra-Gebiet in Nordafrika. weniger offensichtlich als es oft den Anschein hat“ Bei der Entwicklung der Ausstellung wurden (Zukrigl 2001: 51). Transformationsprozesse ver- dabei einleitend folgende Fragestellungen zugrun- laufen dabei in der Regel nicht reibungslos, son- de gelegt: dern liegen aufgrund ihres sozialen Charakters in einem Spannungsfeld von Kreativität und Konflikt. • Wer sind die Ethnologen Erhard Schlesier In der Kontaktsituation prüfen die Beteiligten, wel- und Peter Fuchs (als Person, Sammler, For- che Kulturelemente sie akzeptieren und welche sie scher, Filmemacher und Hochschullehrer)? verwerfen wollen. Ist die Transformation erst ein- mal erfolgt, so gibt es dem deutschen Philosophen • Wie gestaltete sich ihre Forschungs- Wolfgang Welsch (1998: 52) zufolge nichts mehr situation? schlechthin Eigenes oder Fremdes. Insofern kann Fremdes auch ganz selbstverständlich für Eigenes gehalten werden und damit ist die Trennschärfe zwi- 13

Abb. 3 Melanesien, Papua-Neuguinea, Südpazifik, Robert Scheck

• Nach welchen Kriterien haben sie • Welche Aussagen können sie über gesammelt? transkulturelle Begegnungen machen?

Im Fokus der Ausstellung stehen die transkultu- Die Sammlungen, die in der Zeit zwischen 1956 rellen Begegnungen, die sich in den Objekten ma- und 1991 zusammengetragen wurden, umfassen nifestieren und an die sich die Erwartung richtete, einzigartige und heterogene Kulturerzeugnisse, die Antworten geben zu können auf: von Alltagsgegenständen, Wirtschaftsgeräten bis hin zu Devotionalien, Würdezeichen und Presti- • Welche Bedeutung haben die Objekte in gegütern reichen. Die Forschungssituation, in der ihrer Herkunftsgesellschaft? die Sammlungsaktivitäten stattgefunden haben, 14 reflektieren die beiden Ethnologen in Arbeits- und Reisetagebüchern (Schlesier 1994; Fuchs 1953, 1958). Zu ihren wissenschaftlichen Publikationen gehören auch audiovisuelle Dokumente, die im Kontext der Ausstellung als komplementierend zu den Expona- ten herangezogen werden, um ein tiefergehendes Verständnis der lokalen Beziehungen von damals zu ermöglichen. Der Analyse der Kontaktsituationen liegt ein dynamischer Kulturbegriff zugrunde, mit dessen Hilfe es gelingen soll, transkulturelle Identitäten und gesellschaftliche Prozesse abzubilden. Dies erscheint in der Ausstellungspräsentation als eine Herausfor- derung, da die in den Vitrinen oder Installationen verwendeten Exponate eine gewisse Statik der Kultur X vermuten lassen (Macdonald 2012: 282). Deshalb Abb. 4 A Karte Staaten im Sahara- und Sahelgebiet, bieten Interviewsequenzen, die mit beiden Forschern Robert Scheck während der Ausstellungsvorbereitungen durchgeführt worden sind, einen aktuellen Blick auf die Forschungs- situation. Eine Bewertung gegenwärtiger Ereignisse in den Herkunftsgesellschaften gewähren Ergeb- nisse derzeitiger Forschungen in den Regionen. Die Verknüpfung dieser verschiedenen Perspektiven wird im Ausstellungskonzept transparent gemacht und er- füllt damit die Forderungen der New Museology (Ver- go 1989: 9) zur Beantwortung der Frage „Wer spricht im Museum über wen und mit welcher Legitimation?“ Der Ethnologe James Clifford (1999: 212) geht davon aus, dass die Arbeit mit einer Sammlung einen interaktiven Prozess darstellt und sieht das Museum als einen Grenzbereich, in dem verschiedene Weltan- schauungen und Lebensformen über die Sammlung im musealen Prozess immer wieder neu ausgehandelt und Abb. 4 B Karte Lebensraum der Tuareg und Kanuri, interpretiert werden. Clifford (1999: 192) überträgt Robert Scheck den von Pratt kreierten Begriff der „Contact Zone“ 15 auf die Museumsarbeit, weil dieser über eine nä- Verwendete Literatur here Betrachtung der Objekte die Begegnung und den Austausch zwischen Menschen fördern kann. Appadurai, Arjun Er erkennt in dem Konzept der „Contact Zones“ 1998 Globale ethnische Räume. Bemerkungen aber auch die Möglichkeit, Aspekte von auftreten- und Fragen zur Entwicklung einer transnationalen den Konflikten abzubilden, weshalb er die Kon- Anthropologie. In: Beck, Ulrich (Hrsg.): Perspek- taktzonen auch als Konfliktzonen bezeichnet. Ent- tiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main: scheidend ist für Clifford, dass in den Kontakt- und Suhrkamp. S. 11-40. Konfliktzonen intensive Gefühle hervorgerufen werden, die eine Neuinterpretierung der Objekte Barber, Benjamin nach sich ziehen. 2003 Jihad vs. McWorld. London: Corgi. Die Ausstellung beabsichtigt, einen gesell- schaftlichen Beitrag zu leisten und den Dialog Bronfen, Elisabeth und Marius Benjamin für möglichst viele anzubieten, um im Rahmen 1997 Hybride Kulturen. Einleitung zur anglo- eines partizipativen Museums die Teilhabe aller amerikanischen Multikulturalismusdebatte. In: gesellschaftlichen Gruppen zu fördern und „Inte- Bronfen, Elisabeth, Marius, Benjamin und Therese gration als wechselseitigen Prozess“ zu begreifen Steffen (Hrsg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur (Deutscher Museumsbund 2015: 7). Die Ethnologi- anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. sche Sammlung der Universität Göttingen erscheint Band 4. Tübingen: Stauffenberg. S. 1-29 hier als geeigneter Ort der Auseinandersetzung, da er die Vielfalt von Lebensstilen und Herkünften Clifford, James berücksichtigen kann. 1997 Routes. Travel and Translation in the Late Twentieth Century. Harvard: University Press.

Deutscher Museumsbund e.V. 2015 „Museen, Migration und kulturelle Vielfalt. Handreichung für die Museumsarbeit“.

Fuchs, Peter 1953 Im Land der verschleierten Männer. Wien: Amandus-Verlag.

16 1958 Weißer Fleck im schwarzen Erdteil. McLuhan, Marshall Meine Expedition nach Ennedi. Stuttgart: Engel- 1994 Understanding Media. London/New York: hornverlag. Routledge.

Harmsen, Andrea Ortiz, Fernndo 1999 Globalisierung und lokale Kultur. Eine 1995 Cuban Counterpoint: Tobacco and Sugar. ethnologische Betrachtung. Hamburg: LIT. Durham/London: Duke Unviersity Press

Hauser-Schäublin, Brigitta und Ulrich Braukämper Pratt, Mary Louise 2002: Einleitung. Zu einer Ethnologie der weltwei- 1992 Imperial Eyes. Travel Writing and Transcultu- ten Verflechtungen. In: Hauser-Schäublin, Brigitta ration. London und New York: Routledge. und Ulrich Braukämper (Hrsg.): Ethnologie der Globalisierung. Perspektiven kultureller Verflech- Reynolds Whyte, Susan tungen. Berlin: Reimer. S. 9-14. 2002 Materia Medica. Ideen und Substanzen in verflochtenen Welten. In: Hauser-Schäublin, Hermann, Elfriede Brigitta und Ulrich Braukämper (Hrsg.): Ethno- 2007 Communicating with Transculturation. In: logie der Globalisierung. Perspektiven kultureller Douaire-Marsaudon, Françoise (guest ed.): Pacific Verflechtungen. Berlin. S. 15-30. Challenges: Questioning Concepts, Rethinking Conflicts. Special Issue of Journal de la Société Ritzer, George des Océanistes 125 (2): S. 257-260. 2011 The McDonaldization of Society g. Los Angeles: Sage/Pine Forge. Krüger, Gundolf 1986 »Sportlicher Wettkampf« auf Hawaii. Eine Schlesier, Erhard Konfiguration und ihr Wandel als Gegenstand 1994 Arbeits- und Tagebücher aus Me’udana ethnohistorischer Forschung. Göttingen: Herodot. 1961/62 und 1974/75. Göttingen: Kinzel.

Macdonald, Sharon J. Vergo, Peter 2012 Museums, National, Postnational and 1989 New Museology. London: Reaktion Books. Transcultural Identities. In: Carbonell, Bettina Messias (Hrgs.): Museum Studies. An Anthology Wagner, Bernd of Contexts. Malden/Oxford: Wiley-Blackwell. 2001 Kulturelle Globalisierung: Weltkultur, Glokalität und Hybridisierung. Einleitung. In: Wagner, Bernd (Hrsg.): Kulturelle Globalisierung: 17 zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentie- rung. Mit Beitr. von Elisabeth Beck-Gernsheim. Essen: Klartext. S. 9-38.

Welsch, Wolfgang 1998 Transkulturalität. Zwischen Globalisierung und Partikularisierung. In: Interkulturalität – Grundprobleme der Kulturbegegnung. Mainzer Universitätsgespräche. Sommersemester 1998. Mainz: Paulinus. S. 45-72.

Zukrigl, Ina 2001 Kulturelle Vielfalt und Identität in einer globalisierten Welt. In: Wagner, Bernd (Hrsg.): Kulturelle Globalisierung: zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung. Essen: Klartext. S. 50-61.

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Abb. 5 Erhard Schlesier und sein Informant Christopher Obedi Me‘uyo, Liahane, Normanby Island, 1974, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

19 Erhard Schlesier: in seine Heimat zurückzukehren, sondern im Sammler, Forscher und Westen zu bleiben und dort sein Abitur nachzu- holen. Nach erfolgreicher Erlangung der Hoch- Hochschullehrer schulreife bestand der Wunsch, ein Studium aufzunehmen. Ein zufälliger Besuch in einem Leonie Neumann Antiquariat in der Nähe von Göttingen lenkte sei- ne Aufmerksamkeit auf die Ethnologie. Schlesier „Aus einer fremden Kultur kommend sehe ich mich als beschreibt diese Entdeckung wie folgt: Begleiter auf einem Wege, den die Menschen in anderen Kulturen gehen wollen und den ich im konkreten Fall von „Es war wirklich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Me’udana wie jede andere Feldforschungssituation verstehen Ich war besessen von dem, was ich in dem Buch aus dem und für andere verstehbar dokumentieren und vermitteln Antiquariat las, sei es Thurnwald oder andere Autoren“ möchte. ‚Von innen heraus‘ zu urteilen schließt ein, die (Interview-Transkription nach Spilker 2008: 2). Meinung der Betroffenen ausführlich zu Worte kommen zu lassen“ (Schlesier 1990:1). Die Faszination für die Erforschung anderer Kul- turen war geweckt und bewegte Schlesier Anfang Die Wirkungszeit von Erhard Schlesier als Eth- 1948 zum Studium der Ethnologie und Ur- und nologe ist geprägt durch sein Forschungsinteresse Frühgeschichte an der Georg-August-Universität für Ozeanien. Die kleine Insel Normanby Island Göttingen. Der damalige Leiter des Instituts für mit ihrem Weiler Me’udana, in der weitläufigen Ethnologie, Prof. Dr. Hans Plischke, lenkte die Inselwelt südöstlich von Neuguinea gelegen, stand Interessen des jungen Studenten auf die Region lange Zeit im Mittelpunkt seines Forschens und ‚Ozeanien‘, bekannt auch unter den geographi- Sammelns. Sie beeinflusste maßgeblich seine Tä- schen Bezeichnungen ‚Südsee‘ bzw. ‚Pazifik‘. Mit tigkeiten als Hochschullehrer und Direktor des großem Enthusiasmus absolvierte Schlesier das Instituts für Ethnologie der Universität Göttingen. Studium der Ethnologie und promovierte bereits im Jahre 1951 mit einer Untersuchung zum The- Biographie ma „Erscheinungsformen des Männerhauses und des Klubwesens in Mikronesien“. Ausgehend von Im Jahr 1926 geboren verbrachte Erhard Schle- dieser eingeschlagenen sozialethnologischen Rich- sier seine Kindheit und Jugend in seiner Heimat- tung fokussierte er seine nachfolgenden Forschun- stadt Chemnitz, bis er kurz vor seinem Abiturab- gen konsequent auf soziale Organisationsformen schluss den Kriegsdienst (1943-45) antreten musste. und genealogische Zusammenhänge in ozeani- Nach kurzer Gefangenschaft in Tangermünde schen Gesellschaften, ausgeführt an vergleichen- und Braunschweig beschloss Schlesier nicht mehr den Fallbeispielen der dortigen Teilregionen von 20 Mikronesien, Melanesien und Polynesien. Erste Leiter der am Institut untergebrachten Ethnolo- Veröffentlichungen aus der Zeit der 1950er Jahre gischen Sammlung. Er baute den Lehrbetrieb aus, sowie seine Habilitationsschrift „Die melanesi- trieb den Sammlungsausbau voran und integrierte schen Geheimkulte“ (publiziert 1958), gehören zu die Arbeit an den Sammlungsobjekten vor dem den frühesten Beiträgen zur Sozialethnologie der Hintergrund der eigenen Feldforschungserfah- deutschen Nachkriegszeit. rungen in seinen Unterricht. Schlesier wurde Zeit Besonders prägend für Schlesiers Tätigkeit als seines Wirkens in Göttingen von seiner Frau Edith, Sammler, Forscher und Hochschullehrer waren sei- die er im Jahre 1951 heiratete, begleitet. Edith ne beiden Feldforschungsaufenthalte in Me’udana, Schlesier arbeitete selbst lange Jahre am Institut Normanby Island, Südost-Neuguinea, 1961-62 und für Ethnologie und unterstützte ihn bei der Arbeit 1974-75. sowie bei den Vorbereitungen und Auswertungen Beide Feldforschungen gewähren einen seiner Feldforschungen. einzigartigen Einblick in die genealogischen Strukturen Me’udanas sowie die dortigen sozialen Beziehungen im Rahmen zeremoniellen Tausches und gesellschaftlichen Wandels, insbesondere unter dem Eindruck der damals nahenden Unab- hängigkeit Papua-Neuguineas. Nach Abschluss sei- ner ersten Forschungsreise kehrte Schlesier nicht nach Göttingen zurück, sondern folgte im Jahre 1962 dem Ruf nach Hamburg an das dortige Mu- seum für Völkerkunde. Als Direktor und Dozent des Seminars für Völkerkunde (heute: Institut für Ethnologie) ermöglichte Schlesier in Hamburg den Ausbau der Museumsbibliothek, die Ergänzung des literarischen Bestandes um visuelles Datenma- terial sowie die Renovierung und Modernisierung der Ausstellungssäle (Museum für Völkerkunde Hamburg o.J.). Nach fünfjähriger Amtszeit in Hamburg kehrte Schlesier 1967 nach Göttingen zurück und übernahm die Stelle als Ordinarius am Abb. 6 Portrait von Institut für Völkerkunde (heute: Institut für Eth- Edith und Erhard Schlesier, 2015, wissenschaft- nologie). Knapp drei Jahrzehnte wirkte Schlesier liches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie hier als Dozent und Direktor des Instituts sowie als 21 Sammeln sammenzustellen. Selbstkritisch reflektiert Schlesier seine Erwerbungen: Die akademische Tätigkeit Erhard Schlesiers zeich- net sich durch eine enge Verknüpfung des Sam- „Ich hoffe, dass ich beim Ankauf der Sammlungsstücke melns, des Forschens und des Unterrichtens aus. geduldig verhandelt und fair bezahlt habe. Hierbei hat Seine Aufenthalte in Me’udana legten dabei den mich Me’uyo (der Informant und Mitarbeiter Schlesiers, Grundstein für das Sammeln. Mit der Bezeichnung L.N.)…beraten und hat Faktoren wie Arbeitszeit und Me’udana wird ein Weiler der östlichen Bergregion Materialbeschaffung angemessen zur Geltung gebracht. auf Normanby Island im Südosten des seit 1975 Stücke zu erwerben, die im täglichen Leben benutzt und selbstständigen Staates von Papua-Neuguinea so- immer wieder hergestellt wurden, bereitete keine Schwie- wie die dort lebende Bevölkerung benannt (Schle- rigkeiten; von ‚Wertmessern‘ (kula-Objekten, wertvollem sier 1970: 21). Der Gebirgszug zieht sich entlang Schmuck) trennten sich die Me’udana um des augenblick- eines „500 bis 700 m hohen Bergrückens“, an dem lichen Vorteils willen… viel zu schnell, so dass ich bewusst sich einzelne Weiler befinden. Als Weiler wird auf auch auf andere Gebiete auswich. Das Problem, dass ich der Insel eine Ansiedlung von mehreren Hütten ein Stück gern erwerben wollte und der Verkauf mit ein- oder Häusern bezeichnet, in der mehrere Familien leuchtenden Gründen verweigert wurde, gab es nur einmal“ einer gleichen susu leben (National Cultural Council (Schlesier 1986: 10). 1980: 4). Susu hat eine ähnliche Bedeutung wie der Begriff ‚Lineage‘ (Gruppe einer Abstammungsli- Zur Auswahl der überwiegend 1961-62 erworbenen nie), bezeichnet bei den Me’udana aber vorwiegend und während seiner Re-study 1974-75 komplemen- die „Matrilineage/Matri-Sippe“ (Schlesier 1983: tierten Sammlung verhalfen Schlesier seine bei den 10). Während Schlesiers Feldforschungen lebten Forschungsvorbereitungen umfangreich durchge- ungefähr 500 Bewohner in Me’udana, die sich im führten Quellenstudien, seine über die in situ auf Rahmen der Subsistenzwirtschaft bis heute größ- der Grundlage der teilnehmenden Beobachtung tenteils vom Gartenbau ernähren. und der Durchführung von Interviews gewonnen- Auf seinen beiden Reisen sammelte Schlesier en Erkenntnisse sowie jene Informationen, die er eine umfangreiche Zahl an Kulturzeugnissen (etwa zwischen den Forschungen im Dialog mit seinem 250), die in ihrer Gesamtheit aus Sicht Schlesiers indigenen Mitarbeiter korrespondierend ausge- einen möglichst ganzheitlichen Einblick in die Kul- tauscht hat. Dieses so erzielte umfassende Wissen tur, Arbeits- und Lebensweise der Me’udana er- verschaffte ihm einen Überblick über soziale, wirt- möglichen sollten (Schlesier 1986: 8). Er verfolgte schaftliche und religiöse Zusammenhänge in ihrer bei dem Ankauf der Objekte das Ziel, eine kleine, Vernetzung zueinander und in ihrer verdinglichten in sich konsistente Sammlung für den Lehr- und Bedeutung als materialisierter Kulturbesitz. Forschungsbetrieb sowie für die Öffentlichkeit zu- 22 reichen Angebote ermöglichten nicht nur die regi- onale Fokussierung der Sammlung auf Me’udana, sondern auch auf angrenzende Berggebiete wie Siaussi und Sigasiga oder benachbarte Küsten- regionen wie Kelelogeya und Weyoko. Durch die unterschiedlichen Herkunfts- und Herstellungs- orte der Objekte stellte Schlesier eine Sammlung zusammen, „die den interinsularen Verkehr bzw. die interethnischen Beziehungen in vor-europäischer Zeit und erst recht in den letzten Jahrzehnten er- kennen lässt“ (Schlesier 1986: 9). Die diversen Gegenstände dokumentieren die transkulturellen Begegnungen der Me’udana mit anderen sozialen Gruppen in der Milne Bay Province. Darüber hinaus erweitern eine Vielzahl von ethnographischen Filmen, die er drehte, das Verständnis für die Arbeits- und Produktionsweisen sowie für die Ri- tuale der Me’udana. Diese Aufzeichnungen bilden auch heute noch eine wichtige visuelle Quelle zur Lebensweise auf Normanby Island, dokumentiert für einen Zeitraum, der nunmehr bis über fünfzig Jahren zurückliegt. Der Feldaufenthalt beinhaltete für Schlesier immer ein aktives Sammeln, gekoppelt an For- schungsfragen. Vor allem geleitet von theoreti- schen Diskursen der Sozialethnologie um klassi-

sche Werke wie jenes von Marcel Mauss „Die Gabe“ Abb. 7 A Schlesier mit Trommel sinaha, (1968), musste für Schlesier der Anspruch auf wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Sammeltätigkeit forschend so hinterfragt werden, Ethnologie dass Möglichkeiten und Grenzen des Sammelns Zu Beginn seiner Aufenthalte in Me’udana kommu- in situ erkannt und auch ethisch in die Waagschale nizierte er den Wunsch, Kulturzeugnisse kaufen zu geworfen werden konnten, wobei für Schlesier auch wollen und erhielt so über Gesprächspartner immer immer die Frage transkultureller Prozesse des Objekt- wieder neue Kontakte. Die damit verbundenen zahl- tausches berücksichtigt werden sollten. Bedenken 23

Abb. 7 B Karteikarte zur gesammelten Trommel, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie zum Sammeln verknüpfen sich bei Schlesier so zeigt eine Textpassage aus Schlesiers Tagebuch: gesehen mit den Standardfragen: Was bedeutet das Sammeln für die Region? Warum werden Gegen- „Vor einigen Tagen hatte ich Christopher eine ‚Time‘ gegeben, stände gegen Geld getauscht? Welche Auswirkun- und seit heute prankt an der Stelle seines Hauses, wo die gen hat der Sammler beziehungsweise Forscher Keule hing (die nun in meinem Hause hängt), die farbige auf die Menschen und die Region? Welche Spuren Titelseite der ‚Time‘. So ist das nun: der Völkerkundler als hinterlässt die Sammeltätigkeit in der erforschten Sammler von Ethnographika im Akkulturationsgeschehen. Kultur? Welchen Einfluss dabei der Forscher auch Das ist eine wenig erfreuliche Seite meiner Arbeit“ (Schlesier im Alltag und im Kleinen auszuüben vermochte, 1994: 35). 24 Forschen Schlesier stellt in diesem Gedankengang entschei- dende Fragen der Ethnologie, die gegenwärtig Die Forschungen auf Normanby Island, der For- selbstverständlicher Teil der Disziplin sind, im schungsalltag in Me’udana, bilden zweifellos Jahre 1974 aber bemerkenswert neue Einsich- den Kern der Forschungstätigkeit von Erhard ten darstellen. Er hinterfragt die Objektivität des Schlesier. Sie finden ihren wissenschaftlichen Ethnologen, zweifelt an grundlegenden Konzep- Ausdruck in dem zweibändigen Werk über die ten wie ‚going native‘ und stellt das Forscher-Ich „soziale Struktur“ (Bd.1, 1970) und das „soziale in den Mittelpunkt der Betrachtung. Schlesier stellt Leben“ (Bd. 2, 1983) in Me’udana. Die über die fest, dass jeder Ethnologe mit Vorkenntnissen wissenschaftlichen Erkenntnisse hinausgehenden ins Feld geht, „die ‚Ballast‘ und ‚Erkenntnisquelle‘ persönlichen Überlegungen, Problematiken und zugleich sein können“ (Schlesier 1991: 1). Diese Fragen während seiner Feldaufenthalte dokumen- Vorkenntnisse geben eine Art Vorwissen, das wir tierte Schlesier eindrücklich in seinen Tagebüchern, innerhalb des Feldes anzuwenden versuchen. Wäh- die im Jahre 1994 veröffentlicht wurden: rend einer Feldforschung bewegt sich der Ethnolo- ge im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem „Ich kann die Lebensweise eines Europäers nicht so weit Verstehen und alltäglicher Lebensrealität (Schlesier aufgeben, daß ich mich nicht gut fühle, nicht arbeiten kann 1991: 1-2). Daraus entsteht eine Diskrepanz bei- oder krank werde. Die Frage ist eben, ob ich trotzdem ihr der Lebenswelten, die es seitens des Forschenden Wissen und ihre Alltagsprobleme verstehe. Ich meine, es oder Experten, innerhalb seiner Forschung, zu er- müßte erreichbar sein, jedenfalls sehe ich für mich keine klären gilt. Die Schwierigkeiten sieht Schlesier in Alternative, auch in der Bekleidung nicht, und wäre nicht der starren Struktur der Theorie und dem offenen die Tendenz zu ‚going native‘ (mehr als ‚Tendenz‘ könnte Charakter der Praxis. Das vorhandene Wissen es ohnehin nicht sein) Selbsttäuschung und Täuschung der sollte flexibel im Feld angewendet werden, um anderen zugleich? […] Wir können das Fremde nur auf emische Auslegungen begreifen zu können dem Hintergrund unserer eigenen Persönlichkeitsentwick- (Schlesier 1991: 1-7). Entscheidend ist, dass Verall- lung und unserer eigenen Lebenserfahrungen verstehen. Also gemeinerungen und vorherrschende „Theorien im- erfahren, deuten und verstehen wir das Fremde nicht auf mer neu an der ethnographische(n) Realität zu prü- gleiche, sondern auf unterschiedliche Weise. Wie würde ein fen und […] die jeweils emische Vorstellung […] zu anderer, wie würde eine Frau, sich in Me’udana, vielleicht erfassen“ (Schlesier 1991: 2) sind. Theoretische Be- in einem anderen Weiler, einleben, welche Akzente in seiner grifflichkeiten sollten im Kontext kritisch beleuch- (ihrer) Arbeit würde er (sie) setzen, würde ein ‚Betelkauer‘ tet und wenn nötig um die emische Perspektive besser zurechtkommen als ich?“ (Schlesier 1994: 166). erweitert werden. Der Ethnologe muss sich, so Schlesier, darüber im Klaren sein, dass er gesellschaftliche Prozesse 25 auslöst und „zur Desintegration der Gesellschaft beiträgt oder ganz allgemein Spannungen schafft“ (Schlesier 1964: 131). Er beeinflusst durch seine Arbeit und seinen Eintritt in eine fremde Kultur die Situation und seine Umgebung (Schlesier 1964: 128). Der transkulturelle Austausch zwischen For- scher und Beforschenden kann somit das Feld prä- gen und einen positiven wie negativen Handlungs- spielraum gewähren. Befindet sich der Ethnologe beispielsweise in einem Spannungsfeld zwischen einer lokalen Gruppe und der Regierung eines Staa- tes, ist es nach Schlesier sinnvoll, beide Seiten über die Art und Weise des Aufenthaltes zu unterrichten. Eine klare Artikulation des eigenen Standpunktes ist wünschenswert, sollte aber dem Spannungsfeld angepasst werden (Schlesier 1964: 129). Schlesier sieht in der Tätigkeit des kulturellen Kommunizieren und Vermittelns die wichtigs- te Aufgabe eines Ethnologen. In der Rolle des Kontaktpartners ist der Ethnologe in seinem For- schungsfeld kein Unbeteiligter. Als Kontaktpartner kann er die Kommunikation verschiedener Par- teien verbessern, kulturelles Erbe dokumentieren und so gegebenenfalls wieder aufleben lassen, Er- innerungsprozesse der lokalen Kultur fördern und eigenes Wissen in die Kultur einbringen (Schlesier Abb. 8 Tonbandaufnahme für Radio Milne Bay 1964: 134-135). Die Position als „Kontaktpartner“ in Liahane, Normanby Island, Erhard Schlesier, befähigt den Ethnologen als Vermittler zu fun- 1975, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut gieren und positiven Einfluss zu haben. Schlesier für Ethnologie nutzte seine Feldaufenthalte beispielsweise dazu, den Me’udana die politische Lage in Papua-Neugui- zuständigen Regierungsinstanzen (Schlesier 1963: nea kurz vor der Unabhängigkeit zu erklären und 725-729). ihre Wünsche und Forderungen zu dokumentie- Schlesier folgend beeinflusst die Forschungs- ren. Dieses Wissen übermittelte er ebenfalls an die und Sammlungsarbeit die Gesellschaft und Kultur, 26 was beispielsweise den gesellschaftlichen Wandel Lebensweise in dieser Region. Schlesier beschreibt verstärken kann. Beim Ankauf von traditionsrei- diese Zusammenarbeit in seinen Feldnotizen wie chen Gegenständen entsteht für den Geber ein folgt: Verlust, der durch den Kauf neuerer Waren aus anderen kulturellen Kontexten ersetzt wird. Finan- „Kurz: ich sehe wieder, was ich an Christopher in seiner zielle Reize führen nach Schlesier zur Aufgabe von Glanzzeit 1961/62 gehabt habe und auch jetzt noch an besonderen Gegenständen, was dann wiederum zu ihm habe, trotz der einen oder anderen Einschränkung „Störungen in der ethnischen Einheit“ (Schlesier aufgrund seines Alters. Nach wie vor und immer wieder 1964: 132) führen könnte. Um dies zu verhindern, muß ich feststellen, daß er hier der beste Mitarbeiter für sei es nötig die Sammeltätigkeit in die ethnologische einen Ethnologen ist, auch gegenwärtig“ (Schlesier 1994: Arbeit einzubetten. Durch die Kenntnis der Kultur 265-266). und der Menschen könnten negative Einwirkun- gen vermindert werden, wobei allerdings lokale Durch die Veröffentlichung seiner Tagebücher ge- Entscheidungsoptionen nicht durch den Eth- währte Schlesier einen sehr persönlichen Einblick nologen als Kontaktpartner oder Vermittler in seinen Forscher- und Sammelalltag. Das Leiden, eingeschränkt werden sollten (Schlesier 1964: 133). die gesundheitlichen Probleme, das Heimweh nach Die klare Verbindung von Theorie und Praxis, Frau und Kindern durchbricht das Konstrukt des die Integration emischer Perspektiven sowie die rationalen Wissenschaftlers und gibt einen priva- Vertretung lokaler Interessen sprechen für Schle- ten Einblick in die Erfahrungen eines Menschen. siers modernes, aufgeklärtes Ethnologie- und For- Fehler, Misstrauen oder Wut werden deutlich schungsverständnis, das besonders vor dem Hinter- dokumentiert und der Öffentlichkeit als erwei- grund seiner zeitlichen Einbettung bemerkenswert ternde Erkenntnisquelle zur Verfügung gestellt. ist. Kulturelle Unterschiede oder persönliche Abnei- Entscheidend für Schlesier als Kontaktpart- gungen werden somit sichtbar und innerhalb der ner und Vermittler und seine Forschungen war verschiedenen Rollen als Forscher, Sammler und seine Zusammenarbeit mit Christopher Obedi Privatperson diskutiert: Me’uyo, der aus Me’udana stammt. Während seiner beiden Feldaufenthalte arbeitete er mit Christo- „Ich denke heute viel über mein Verhältnis zu den Liahane pher zusammen. Er organisierte den Hausbau von und den Me’udana nach. Ich merke deutlich, daß es mir Schlesiers Unterkünften und half ihm bei Übersetz- schwerer fällt als vor zwölf Jahren, mich in das Leben hier ungen sowie bei der Kontaktaufnahme zu anderen hineinzufinden und mich mit Leben, Dasein und Proble- Me’udana (Schlesier 1982: 141-143). Christopher men der Me’udana zu identifizieren, die natürlich jetzt gewährte Schlesier den Eintritt in die Kultur der am Anfang spürbare Distanz zwischen ihnen und mir und Me’udana und vermittelte ihm ein Verständnis der zwischen mir und ihnen zu verringern, an überbrücken gar 27 nicht zu denken, daß ich unbewusst oder bewußt […] dazu Lehren neige, eine Distanz zu erhalten. Woran liegt das? Ist es nach einer Woche Wiederhiersein zu früh, darüber nachzuden- Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte auch ken, ist es mein höheres Lebensalter, ist es die Erfahrung für die Ethnologie die Verwerfung alter Prinzipien mit den Grenzen der Ethnologie […]. Mir ist es einfach der nationalsozialistischen Zeit und eine Öffnung unverständlich, warum sich hier die meisten Menschen nicht gegenüber anderen theoretischen Überlegungen sauber halten können. Daß es geht, zeigen Christopher und mit sich. Dieser Prozess beschäftigte die deut- seine größeren Kinder Anetti und Martin […]. Ich weiß, sche Ethnologie über einen langen Zeitraum. Für daß ich hier auf Dauer nicht leben könnte, ohne Änderung Schlesier war vor allem die British Social Anthro- der Körperhygiene der Me’udana zumindest nicht. Aber es pology von Bedeutung. Besonders die funktiona- kommt Anderes hinzu. Ich weiß, daß man mir im Falle listischen Theorien von Bronislaw Malinowski eig- einer viel weiter gehenden Identifizierung mit den Liahane nete er sich schon während seiner Studienzeit an – unabhängig von den Problemen, die sich für die Arbeit er- und verwendete deren Ansätze in seinen Arbeiten geben würden - hier das Hemd über den Kopf ziehen würde. (Interview-Transkription nach Spilker 2008: 2). Die Wünsche sind so zahlreich, daß ich gleich den Kopfstand Das Fach Ethnologie sah Schlesier in en- machen, alles Geld ausleeren und wieder abreisen könnte. ger Verknüpfung von Forschung und Leh- Es muß die Distanz auch aus diesem Grunde da sein, ich re. Die Aufgabe der Lehre lag für ihn in der kann nicht alles, was ich habe, sofort teilen, aufteilen, vertei- Ausbildung des Nachwuchses für Universitäten und len“ (Schlesier 1994: 164:f). Museen. Dabei sollten die Forderungen der Stu- denten beachtet werden, und die Ausbildung sollte Die Ehrlichkeit, das Distanzgefühl sowie die Ab- auf den Auslandaufenthalt vorbereiten. In seiner grenzung, die Schlesier in diesen Zeilen ausdrückt, Lehre vermittelte Schlesier das enge Zusammen- dokumentieren nicht nur seine persönliche Sicht- spiel von Theorie und Praxis, gestützt durch die in weisen, sondern zeigen auch einen Ethnologen, der Gestalt von empirischem Datenmaterial bei Feld- sich im Feld mit seinen Grenzen konfrontiert sieht. forsch-ungen gewonnenen und aus der „verglei- Schlesier beweist mit seinen Tagebüchern die Be- chenden Bearbeitung der ethnologischen Quellen reitschaft einer ständigen, ehrlichen Selbstreflexion. unter den verschiedensten Aspekten“ (Schlesier Die Einbindung dieser Erkenntnis in Forschung 1973: 2-3) zustande gekommenen Ergebnisse. und auch Lehre stimuliert zur Änderung des deut- Nicht nur Wissenschaft und Feldforschung sah er schen Ethnologie-Verständnisses. im Verbund, sondern auch die unbedingte Zusam- menarbeit der universitären Lehre und der Arbeit in einer Sammlung oder einem Museum. Diese Einsicht vermittelte er an seine Studenten weiter, führte Museumspraktika durch und beteiligte sie 28 senschaft von so hoher Bedeutung darstellt, die trotz einer allmählichen Auflösung von „Naturvöl- kern“ bzw. „schriftlosen Völkern“ weiterbestehen würde (Schlesier 1974: 71). Hierfür müssten aber die ethnologischen Methoden, Fragestellungen und Forschungen, die (zur Zeit Schlesiers) auf „Klein- gruppen, die in ihrem Wir-Bewußtsein ethnisch gebunden sind“ (Schlesier 1974: 72), durch neue Ansätze und Forschungsthematiken ergänzt und erweitert werden. Schlesier plädiert dafür, die Pro- blematiken der Gegenwart als Forschungsthemen aufzunehmen und sie dementsprechend in die Leh-

re einzubinden. Die Unverzichtbarkeit des Faches Abb. 9 Schlesier im Presse-Gespräch, 1967, begründet er wie folgt: wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie „Keine deutsche Universität kann auf ein Fach verzichten, an Ausstellungsvorbereitungen. Ein Beispiel dafür das von seiner Struktur und von den Erfahrungen der ihm ist die im Jahre 1976 eröffnete Ausstellung ‚Papua- zugehörigen Wissenschaftler her wie kein anderes geeignet Neuguinea – Unabhängigkeit und kulturelles Erbe‘. ist, Kulturen in ihren historischen Bedingungen und unter- Die Ausstellung thematisierte, mit Fokus auf die schiedlichen Wertvorstellungen darzustellen, Begegnungs- Region Me’udana, die Veränderungen durch die schwierigkeiten zwischen den Angehörigen unterschiedlicher Unabhängigkeit und die Problematik zwischen mo- Kulturbereiche zu mildern und kulturelle Distanzen zu derner und überlieferter Lebens- und Produktions- überbrücken“ (Schlesier 1973: 4). weise innerhalb der Gesellschaft. Sie zeichnete sich durch die studentische Mitarbeit und das Ausstel- Um diesen Weg zu einer neuen Ethnologie zu fin- lungsziel aus, ethnozentrische Vorurteile gegenüber den und zu meistern, benötige die Disziplin eine fremden Kulturen abzubauen (GT 1976; RP 1977). Erweiterung der interdisziplinären Zusammen- In den Zeiten der Lehrtätigkeit Schlesiers be- arbeit, die Verringerung des Personalmangels an fand sich die Ethnologie in einem stetigen Wandel, den Universitäten und Museen, den Ausbau der in dem alte Theorien verworfen, neue Schwerpunk- finanziellen Unterstützung von empirischen- For te und Forschungsziele formuliert wurden und die schungen sowie die Repräsentation des Faches an Frage nach der zukünftigen Existenz des Faches jeder deutschen Hochschule (Schlesier 1973: 2-4,7). aufgeworfen wurde. Für Schlesier stand dabei im- mer außer Zweifel, dass die Ethnologie eine Wis- 29 Eine kritische Würdigung Verwendete Literatur

Es ist auffällig, wie Schlesier für eine gleichwertige Göttinger Tageblatt/Göttinger Presse (GT/GP) Kulturbetrachtung eintritt. Dies drückt sich nicht 1976 Die Probleme von Papua-Neuguinea: eine nur in seinen Forschungen und dem Umgang mit Ausstellung im Städtischen Museum. den Me’udana aus, sondern auch im Verständ- GT, 29. September. nis von der Ethnologie als einer über das Fremde aufklärenden Wissenschaft, die Kulturdifferenzen Interview mit Erhard Schlesier begreifen und auflösen kann. Schlesier vertritt 2008 Durchführung: Dieter Haller. zwar keine revolutionären neuen Ansichten in den Electronic Document. [18.09.2014] genossen durch Selbstreflexion und Hinterfragung Transkription: Claire Spilker. Electronic Do- seiner Person als Ethnologe und Forscher. cument. [18.09.2014] nur im museologischen Bereich in Bezug auf den Editierung: Vincenz Kokot. Ausbau der Sammlung, sondern in der Integrati- on von Selbstreflexion, Eigenerfahrung und der Mauss, Marcel Bedeutung der Forscherrolle in den Lehrbetrieb 1968 Die Gabe: Form und Funktion des Aus- sowie in das Verständnis der damaligen Ethnologie. tauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt/ Die stete Bereitschaft, sich von alten Prinzipien zu Main: Suhrkamp. lösen, ist in seinem Wirken besonders zu würdigen. Die Veröffentlichung seiner Tagebücher bewies, Museum für Völkerkunde Hamburg gerade in Hinblick auf die brisanten Diskussionen o.J. Geschichte. Electronic Document. [18.09.2014] and Inseln, geforscht hatte, Mut und Offenheit gegenüber eigenen Fehlern. Schlesier unterstreichet National Cultural Council damit einmal mehr sein Verständnis der Ethnologie 1980 The Me’udana: People of Papua New als Disziplin, die von Eigen- und Fremderfahrung Guinea. Boroko: National Cultural Council. lebt und deren Ausübung immer eine Lernbereit- schaft gegenüber neuen Fremd-Erkenntnissen und Rheinische Post (RP) kulturellen Veränderungen beinhalten sollte. 1977 Ausstellung will auch Vorurteile abbauen: 30 Schau über die Papuas im Niederrheinischen 1991 Wege zum Verstehen einer matrilinearen Museum. 25. Februar. Gesellschaft: Erfahrungen in Me’udana, PNG. Abschiedsvortrag, gehalten aus Anlaß der Emeri- Schlesier, Erhard tierung am 01.07.1991. Göttingen. 1963 Kulturwandel in Südost-Neuguinea: völker- kundliche Aspekte zur Beurteilung der Situation. 1994 Arbeits- und Tagebücher aus Me‘udana. Die Umschau 23: S. 725-729. 1961/62 und 1974/75. Göttingen: Kinzel.

1964 Der Völkerkundler als Kontaktpartner: Erfahrungen in Neuguinea 1961/62. Sociologus: Zeitschrift für empirische Ethnosoziologie und Ethnopsychologie 104: S. 128-136.

1970 Me’udana (Südost-Neuguinea): Teil 1 Die soziale Struktur. Braunschweig: Albert Limbach.

1973 Ethnologie: allgemeine Situationsbeschrei- bung des Faches. Göttingen

1974 Überlegungen zur gegenwärtigen Lage der Ethnologie. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 104: S. 68-75.

1982 Abo’Agu Christopher Obedi Me’uyo: Eine Lebensgeschichte, aufgezeichnet in der Dobu- Sprache und übersetzt ins Deutsche. Sonderdruck

1983 Me’udana (Südost-Neuguinea): Teil 2 Das soziale Leben. Braunschweig: Albert Limbach.

1986 Eine ethnographische Sammlung aus Südost-Neuguinea. Göttingen: Ed. Herodot.

31 Gabentausch auf Normanby Island: Praxis zur Anbahnung und zur Stabilisierung sozi- zur kulturellen Praxis zeremonieller aler Beziehungen. Dort, auf der Insel Normanby, hat der zeremonielle Gabentausch, vor allem im Beziehungen Rahmen einer ausgeprägten Sepulkralkultur und im Rahmen des sogenannten kula-Tausches, eine Anna Charlotte Freya Grabow, Meret Hesse und zentrale Bedeutung für das soziale Leben. Rund Gundolf Krüger zwanzig Weiler hat Erhard Schlesier während sei- ner Feldforschungen auf Normanby Island in den Nach Grönland ist Neuguinea die zweitgrößte Insel Jahren 1961/62 und 1974/75 besucht. Der Ort der Welt. Seinem spitz zulaufendem südöstlichen namens Me‘udana mit seinen Bewohnern war sein Teil in nordöstlicher Richtung vorgelagert finden Lebensmittelpunkt, ebenso hinsichtlich der An- sich Inselgruppen, deren Bewohner in kleiner und knüpfung und der Festigung sozialer Beziehungen größer verflochtenen sozialen Beziehungen stehen wie auch der Beobachtung der Menschen im Rah- und die sich über unterschiedliche Formen des men ihrer zeremoniellen Transaktionen. Die fol- Gabentausches immer wieder begegnen. Das Leben genden Ausführungen erstrecken sich auf die von dieser Menschen im südwestlichen Pazifik ist durch Schlesier als konstituierend für die Generierung ein komplexes Gefüge streng regulierter Rituale des sozialer Beziehungen und Begegnungen erachteten gegenseitigen Austausches von kulturellen Zeug- Rahmenbedingungen und die charakteristischen nissen und zeremonieller Verteilung von Nahrung Merkmale des auf Normanby Island praktizierten gekennzeichnet. So, wie Wertgegenstände, die den Gabentausches. sozialen Status Einzelner steigern, als Gaben über verstreute Inselregionen großräumig zirkulieren, so Soziale Beziehungen im Zeichen von dienen im vergleichsweise kleinräumigen Rahmen Gartenbau und Pflanzenmagie einzelner Ansiedlungen Feste zur Erinnerung an Verstorbene dazu, das Prestige der veranstaltenden Normanby Island ist eine L-förmige Insel vulka- Gruppe der Familie des Toten durch Nahrungsga- nischen Ursprungs mit einer längs der Inseln ver- ben zu steigern. Allianzen zwischen Personen und laufenden Gebirgskette im Inneren. Sie befindet Gruppen entstehen dabei, können aber auch durch sich etwa 16 km nordöstlich des East Cape Neu- Eigennützigkeit in Mitleidenschaft gezogen werden. guineas und gehört zur Milne Bay Province als In der Weise, wie der Ethnologe Bronislaw Ma- Verwaltungsgebiet des seit 1975 selbständigen Staa- linowski das Gabentausch-System bereits in seinem tes Papua-Neuguinea. Die Insel ist geprägt durch Werk „Argonauts of the Western Pacific“ für die eine Zweiteilung von hohen Bergen und Küste, Trobriand-Inseln aus dem Jahr 1922 dargestellt hat, welche sich in der dichotomischen Weltsicht der begegnet man auch weiter südlich dieser kulturellen Bewohner von Normanby Island widerspiegelt. 32 Die überwiegend auf der östlichen und männlich Als wichtige und dem Klima angepasste Anbau- gedachten Seite der Insel siedelnden Menschen pflanze gilt der Yams. Er ist ebenso für die Ernäh- haben ihre Weiler vornehmlich in Küstennähe an rung wie auch für alle zeremoniellen Anlässe von den unteren Hängen der Berge errichtet. Aufgrund großer Bedeutung. Sein Anbau ist im Unterschied der häufigen Regenfälle sind die Häuser etwa einen zu anderen Pflanzen jahreszeitlich gebunden. Die Meter über dem Boden gebaut und die Dächer der Yamsknollen, nicht aber die Yamspflanzen, die von Häuser mit dichten Palmblättern gedeckt, denn Natur aus männliche und weibliche Blütenstände speziell der Südosten von Normanby Island gehört aufweisen, werden in Me’udana als „männlich“ und zu den regenreichsten Gebieten der Region. Nur „weiblich“ unterschieden: Die lang gewachsenen die etwas unterschiedliche Anzahl von Schlecht- sind demnach „männlich“, die rundgewachsenen wetter- und Gutwetter-Tagen lässt die Teilung der hingegen „weiblich“. Meist werden von einer Per- „Jahreszeiten“ in ‚Südostpassat‘ (eher schlechtes son „männliche“ als auch „weibliche“ Yamsknol- Wetter) und ‚Nordwestmonsun‘ (eher gutes Wetter) len angebaut. Zu Festgaben werden allerdings be- erkennen. Wetterwechsel innerhalb eines Tages oder sonders viele langgewachsene, also „männliche“ der schnelle Wechsel von sonnigen zu regnerisch- Yamsknollen angestrebt, denn man weiß, dass sich nebligen Tagen herrschen das ganze Jahr über vor. bereits die Form der zugeschnittenen Yamsstecklin- ge in den zu erntenden Yamsknollen widerspiegelt. Erhard Schlesier erfuhr in Gesprächen, dass 45 verschiedene Yamssorten in Me’udana zur Zeit seiner Forschungen unterschieden wurden. Davon werden 36 Sorten speziell bei Festen zum Geden- ken an eine verstorbene Person bzw. bei einem Festessen nach der Trauerzeit gegeben; die anderen neun Yamssorten jedoch nicht. Das Verhalten vor, während und nach einer Pflanzung von Yams folgt bestimmten Regeln und Vorschriften. Beispielsweise darf nach einer Pflanzung nicht mehr über das Feld gegangen werden und es müssen Ersatzpfade angelegt wer- Abb. 10 Der Weiler Wedona auf Normanby Island den (Schlesier 1990: 19). Auch gibt es keine Verwer- im Nebelregen, Erhard Schlesier, 1975, tung menschlicher oder tierischer Exkremente als wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Dünger in der Pflanzung. Eine solche Praxis würde Ethnologie die Ernte und die Stecklinge über Jahre hinaus ver- derben. Gekoppelt an die Vorschriften unterschei- 33 det man in Me’udana fünf verschiedene Praktiken 4. Bei hegiyaso (oder ebaba) kann auch Baumrin- von Yams-Magie, denen unterschiedliche Materia- de benutzt werden, die mit einer Muschelschale lien als Kommunikationsmittel (Blätter, Baumrin- vom Baum abgeschabt und in den Händen weiter de, Liane), begleitet von magischen Sprüchen oba zerrieben wird; anschließend kann auch hier das zugrunde liegen und von denen jeweils nur eine daunahepa’i folgen. auf einer Pflanzung angewandt werden sollte. Die- se jeweilige praktische Ausführung der Magie kann 5. Matasipwa: eine Liane wird mit einem oba be- dabei nach eigenen Vorlieben ausgewählt werden: sprochen, in Stücke geschnitten und dem Steckling beigegeben. 1. Bwasi siwasiwa: Es wird ein Stein über dem Haufen der zum Auspflanzen bereitgelegten Steck- Bereits die Gewinnung von Blättern, Baumrinde linge gewaschen und dabei besprochen, während oder Liane, die als magische Kommunikations- das Wasser auf die Stecklinge herabtropft. Die- mittel dienen, ist ein geheimer Vorgang. Dieser se Steine befinden sich im individuellen Besitz, findet seinen Ausdruck in der magischen Formel werden aber an susu-Angehörige (susu: Mutters ya oba tanoha („ich fördere die Fruchtbarkeit in der Brust; Sippe) oder gute Freunde ausgeliehen, wenn Pflanzung und schütze die Stecklinge“). Jeder Be- diese sich bewährt haben. Die Steine entfalten teiligte hält seine oba für wirkungsvoll und hält sie ihre Wirksamkeit nur in Verbindung mit einem geheim. In den oba werden Hilfsgeister mwedimwedi magischen Spruch und mit Wasser. angerufen, die ihre Stellung in den religiösen Vor- stellungen von Me’udana zwischen den Menschen 2. Hegiyaso (oder ebaba): Baumblätter werden in und den „Bewohnern unter der Erde“ innehaben. den Händen zerrieben und besprochen während Schlesier hat insgesamt 14 verschiedene oba doku- sie mit Wasser begossen und ausgepresst werden, mentiert (Schlesier 1990: 22-25). Die Informati- so dass das Wasser auf die auf einem Haufen onen zum Thema oba erhielt er in seinem Hause liegenden Stecklinge tröpfelt. in Me’udana von Christopher Obedi Me’uyo, sei- nem Schlüsselinformanten, wichtigstem Mitar- 3. Daunahepa’i: dieses durch hegiyaso behandelte beiter und Übersetzer, der auch für die Interpre- Baumblattmaterial wird großen Yams-Stecklingen tation und Analyse kultureller Repräsentationen mit in das Pflanzloch gegeben. und sozialer Beziehungen auf Normanby Island gesprächsweise von Schlesier immer mit einbezo- gen wurde (Schlesier 1982: 141-154; 1991: 1, 117). Schlesier musste versprechen, die Namen der Ei- gentümer der oba nicht zu nennen, denn nicht nur im lokalen Rahmen bei Totenerinnerungsfesten war 34 dies verboten. Umso mehr noch durften die gehei- zu diesen Sagogebieten an der Küste, weil sie dort men oba niemals in die interinsularen Verbindungen Verwandte haben. Sago-Areale sind Eigentum der des zeremoniellen Tausches bis zu Bewohnern an- verschiedenen Lineages (Familienverbände), selbst derer Siedlungsgebiete gelangen und dort offen ge- ausgepflanzte Palmen gelten noch als Individualei- legt werden, denn alle zeremoniellen Transaktionen gentum und werden innerhalb der matrilinearen mit den dortigen Tauschpartnern wurden immer Verwandtengruppe susu vererbt. auch begleitet von einem utilitären und möglichst Die Bewohner von Me’udana verarbeiten Sago auf Erfolg setzenden Tausch des Handelsgutes hauptsächlich zwischen Februar und April, wenn ‚Yams‘. die Pflanzung von Yams beendet ist und man auf die Yamsernte zu warten beginnt. Die Sagopalme Die Sago-Palme und ihre Bedeutung im sammelt in ihrem Stamm große Mengen an Stärke sozialen Leben an und bildet erst nach langen Jahren Blüten und Früchte. Nach der Blütezeit und Fruchtbildung ist Sagopalmen finden sich von Südasien bis nach die Stärke verbraucht und der Stamm hohl und so- Zentralmelanesien in verschiedenen Arten. Teils mit für die Sagogewinnung wertlos. Das bedeutet, wachsen sie natürlich, teils von Menschen ange- dass der richtige Zeitpunkt für die Sagogewinnung pflanzt. Sie sind sowohl für die Ernährung als auch kurz vor der Blütezeit ist. Zu diesem Zeitpunkt für das soziale Leben der Menschen in Bezug auf wird die Sagopalme gefällt, ihr Stamm längs auf- rituellen Nahrungsaustausch von großer Bedeutung. gespalten und das Mark mit einem Sagohammer Art und Intensität der Sagonutzung in Neuguinea yuwao heraus gehämmert. In einem einfachen Pro- hängen dabei von den natürlichen Umweltvoraus- zess, das Kneten der Masse unter der Zugabe von setzungen im jeweiligen Siedlungsgebiet und dem Wasser sowie eines Pflanzenfasersiebs, wird die gegenseitigen Einfluss von miteinander in Kontakt Stärke heraus geschwemmt. stehenden Ethnien zusammen (vgl. Raabe 1990: 21, Eine Sagopalme liefert, je nach Spezies und 220-222, 253). Zeitpunkt des Fällens, 100 bis 200 kg „nassen“ Sago. Das zu Mehl verarbeitete Mark der Sago- Oft bedeutet das Wort „Sago“ deshalb zugleich Palme ist auf Normanby Island besonders ganz allgemein „Nahrung“ oder „essen“. Nach- beliebt. Es bringt bei seiner Herstellung und beim dem die Sagopalme gefällt und die Rinde entfernt Warentausch die Menschen aus dem Gebirge mit wurde, ist es Aufgabe der Männer, das Sago-Mark denen an der Küste, dort, wo sich die Sagosümpfe herauszuschlagen und zu waschen. Den Frauen ist hauptsächlich nahe der Flussmündungen befinden, lediglich erlaubt, das Sago-Mark von der Palme zu immer wieder in Kontakt und trägt so zur Festi- dem Waschplatz zu bringen, sowie die für die Ein- gung freundschaftlicher Verbindungen nicht uner- bündelung der Sagostärke benötigten Sagoblätter heblich bei. Nahezu alle Menschen haben Zugang zu entrippen. Um das Sago haltbar zu machen, wird 35 nige Verhaltensregeln befolgen. So sollen sie ihre Frauen meiden, dürfen ihren Körper und ihre Hän- de nicht mit Kokosmilch einreiben und müssen sich nach jeder Mahlzeit die Hände waschen, damit der Sago nicht verdirbt. Mittels Zaubersprüchen versucht man außerdem, die Qualität und Quantität der Sagostärke zu steigern, v.a. in Hinblick darauf, dass das Sago-Mehl als Nahrungsvorrat und Han- delsgut die oft weiten Reisen zu den Tauschpart- nern auf anderen Inseln übersteht.

Betel: ein traditionelle Genussmittel für zu Hause und für die Reise

Heute eher rückläufig, war Betel als Genussmittel unter der Bevölkerung Südostasiens, des indischen Subkontinents und des westlichen Pazifiks weit verbreitet. Vor allem in seiner soziale Bindungen festigenden Funktion war der Betelbissen, für des- sen stimulierende Wirkung das vom Kalkzusatz ausgelöste Alkaloid Arecolin der Arekanuss sorgt, Abb. 11 Sagogewinnung in Kelelogeya, Normanby in allen Schichten und bei beiden Geschlechtern Island, Erhard Schlesier, 1962, wissenschaftliches Bestandteil des täglichen Lebens. Betelkauen wird Kulturarchiv am Institut für Ethnologie als mildes Genussmittel betrachtet. Es reduziert Hungergefühle, erzeugt gute Stimmung und macht es in Bündel gepackt und über einem heißen Feuer arbeitsfähiger. Außerdem regt Betel die Speichel- getrocknet. Sagobündel sind bei Verwandtenbesu- produktion an, verbessert den Mundgeruch, färbt chen und im festlichen Geschenkverkehr zwischen aber zugleich die Zähne sowie den Speichel rot. den Weilern sehr willkommen. In Me’udana kauen auch heute noch viele Bei der Sagogewinnung unterstützen sich susu- Menschen Betel, Männer häufiger als Frauen. Die Angehörige untereinander. Auch unter Freunden Arekapalmen magi sind jedoch hier nicht – wie unterschiedlicher susu wird geholfen. Hier erhalten anderswo – im Übermaß vorhanden, so dass die die Helfer jedoch eine Abfindung, z. B. etwas Sago. Betelnüsse aus anderen Gebieten mitgebracht wer- Die Männer, die den Sago auswaschen, müssen ei- den und ein beliebtes Handelsgut sind. Die Are- 36 ka-Früchte werden mit dem Messer geöffnet, die Schlesier folgend daraus nicht geschlossen werden, Nüsse geteilt und zerkleinert und mit Blättern und dass die Stilmerkmale der Ornamente originär von Stängeln des Betelpfeffers tewa sowie mit gebrann- Normanby Island stammen mussten; denn die tem Kalk yaguma genossen. Zumeist besteht die Zu- Entscheidung des Schnitzers solcher Spatel kann sammensetzung des Betels aus einem in ein Blatt durchaus von Motiven, die er anderswo gesehen des Betelpfeffers (Piper betel) gewickelten Priems hatte und die ihm gefallen hatten, geleitet worden und den Scheiben der von der Betelpalme (Areca sein. catechu) stammenden Nuss, die zusammen mit Kalk Die interinsularen und interethnischen Be- aus Korallen oder Muscheln und anderen Zutaten ziehungen bereits in vorkolonialer Zeit, intensi- wie Tabak gekaut wird. Zur Aufbewahrung des viert ab der Zeit des zunehmenden westlichen Kalkes wurden früher Kalebassen und Bambusroh- Warenimports seit 1890, hatten über einen re benutzt. Betelkalk wurde entweder von Freunden mehr als hundertjährigen Transformationspro- und Verwandten an der Küste (als Geschenk, im zess zu kulturellen Aneignungen dieses künstle- Tauschhandel) bezogen oder bei gelegentlichen Be- risch besonders geschätzten Gegenstandes mit suchen an der Küste mit Freunden und Verwandten originellen formgebenden Ausprägungen und dort selbst bereitet. Eine kunstvolle Betelgarnitur damit einhergehenden gegenseitigen Beeinflussun- war dabei immer Ausdruck des Wohlstandes seines gen bei der Ornamentierung im gesamten Raum Besitzers. Durch den europäischen Einfluss haben von Südost-Neuguinea geführt (Schlesier 1986: 25- sich die Betelgeräte deutlich erkennbar verändert. 30). Ausgediente Bleistifte wurden zur Zeit Schlesiers Eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielte zunehmend als Betelspatel, Blechdosen anstelle Betel früher vor allem als Opfer- und Friedensgabe. von Kalebassen, Eisenstäbe als Betelstampfer im Aufgrund seiner Fruchtbarkeitssymbolik war die Alltag benutzt. Bei festlichen Anlässen indes sieht Betelnuss auch für die Brautschau und die Heirat man bis heute häufig noch die traditionelle Betel- von großer Bedeutung. Nicht zuletzt begründete garnitur. Insbesondere die oft reich verzierten Be- sich der religiöse Bezug des Betelkauens in zahl- telspatel werden dann öffentlich zur Schau getra- reichen Mythen (vgl. Raabe 1990: 184-188), denen gen. Nur wenige Kulturgüter wurden in der Zeit, zufolge die Entstehung des Menschen aus einer Be- als Erhard Schlesier auf Normanby Island forschte, telpalme oder die Entstehung der Betelpalme selbst im gesamten Inselraum Südost-Neuguineas noch einem mythischen Heroen zugeschrieben wurde. so weitläufig verhandelt wie traditionell gefertigte Auch wenn infolge des westlichen Einflus- Betelspatel. Wenn die Menschen von Me’udana ses heute das Tabakrauchen allgemein verbreitet Schlesier sagten, das Holz der Spatel käme von ist, hat das Betelkauen zu den verschiedensten anderen Inselgruppen, wie den Trobriand-Inseln, Anlässen, bei der Gartenarbeit ebenso wie beim Fest- die Spatel seien aber zuhause gefertigt worden, darf essen oder auf den langen Kanureisen zu Tausch- 37 Partnern auf anderen Inseln noch eine sozial integ- rative Funktion. Betel ist kurzum ein symbolischer Ausdruck von Geselligkeit im Insel-Alltag wie auch in den großräumigen Zusammenhängen sozialer Begegnungen von Insel zu Insel geblieben.

„Wer gibt, gewinnt – wer behält, verliert“: der kula-Tausch

„The Kula is a form of exchange, of extensive, inter-tribal character, it is carried on by communities inhabiting a wide ring of islands…Every movement of the Kula articles, eve- ry detail of the transactions is fixed and regulated by a set of traditional rules and conventions, and some acts of the Kula are accompanied by an elaborate magical and public ceremonies“ (Malinowski 1922: 81).

Geld dient in unserem Wirtschaftssystem zur Be- Abb. 12 A Halskette bagi, wissenschaftliches zahlung von Gütern und Dienstleistungen. Ne- Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ben dieser ökonomischen Funktion gibt es auch kulturspezifische Gründe für den Umgang mit Geld bzw. geldähnlichen Wertmessern: Diese können sich in dem Bedürfnis nach gesellschaftlicher Auszeichnung, Rangerhöhung und Prestigege- winn widerspiegeln. Ein Beispiel für eine sol- che Praxis vorrangig kulturell determinierter Transaktionen mit Wertmessern ist der kula-Tausch. Von rituellen Praktiken und öffentlichen Zeremoni- en begleitet ist kula ein formalisiertes Tauschsystem, bei dem Wertobjekte innerhalb einer kula-Gemein- schaft bzw. zwischen benachbarten Inselgemein-

schaften zirkulieren. Basierend auf dem Prinzip Abb. 12 B Oberarmringe mwali, Ethnologische von Gabe und Gegengabe ist der kula-Tausch so Sammlung, Harry Haase, 1991, wissenschaftliches gesehen ein Gefüge von sozialen Prozessen mit Kulturarchiv am Institut für Ethnologie 38

Abb. 12 C Kula-Karte, Harry Haase, 1998.

39 dem Ziel der Warenzirkulation und des zeremoniel- Getauscht wird beim kula mit festen Partnern, len Tauschens, dem man in der gesamten Inselwelt immer der Devise folgend: einmal im kula, immer südöstlich von Neuguinea begegnet und dessen im kula! Entsprechende Beziehungen der Tausch- Verbreitungsgebiet im englischsprachigen Raum partner dauern daher ein Leben lang. Zwar können zusammenfassend als Massim-Region bezeichnet neue Partnerschaften geknüpft, alte aber niemals wird (vgl. Leach 1983). Die Transaktionen verlau- wieder gelöst werden. Häufig werden sie sogar fen nach dem Motto: „Wer gibt, gewinnt – wer vererbt, indem zum Beispiel der Sohn Verpflichtun- behält, verliert“. gen seines Vaters übernimmt, ausgleicht und damit Getauscht werden auf Normanby Island zum fortführt. Die Verpflichtung auf Gegenseitigkeit einen Halsschmuck und zum anderen Armrin- (Reziprozität) ist das Grundprinzip des Tauschens ge, die jeweils in entgegengesetzter Richtung aller und stützt sich auf das Interaktionsmuster im Sin- am kula beteiligten Inseln die Runde machen. Im ne von Geben, Nehmen und Erwidern. Uhrzeigersinn wandern Halsketten, die bagi (bzw. Die Gabe eines Stückes einer bestimmten souvala) heißen. Im gegenläufigen Sinne werden Wertkategorie erfordert immer eine gleichrangige Oberarmringe getauscht, die den Namen mwali Gegengabe. Es liegt in der Natur dieses Tausch- tragen. Die bagi, die aus langen Schnüren aneinander systems, dass die einzelnen Wertmesser dabei eines geketteter Klappmuschelscheiben bestehen, wer- Tages wieder an ihre Ursprungsorte zurückkom- den im Süden der weitläufigen Inselregion gefertigt, men, von denen aus sie zuerst verhandelt wurden. während die mwali, welche aus der abgeschlagenen Die Objekte erhalten dabei je nach Alter, die daran Basis von Kegelschnecken geschliffen sind, im geknüpfte Geschichte ihres Umlaufs und die damit Norden hergestellt werden. Als besonders kostbar verbundenen Namen ihrer zeitweiligen Besitzer ih- gelten Armringe von großem Gewicht und Durch- ren ganz besonderen sozialen Wert. Die Schmuck- messer. Rötliche Streifen auf dem Mittelstück der stücke werden also durch ihre Zirkulation und den Armreifen erhöhen zusätzlich ihren Wert. Bei den damit verbundenen Besitzerwechsel erst wirklich Halsketten kommt es vor allem auf ihre Länge und wertvoll. Viele Tauschpartner, Stücke ranghoher die Ebenmäßigkeit bzw. Dünne der Muschelplätt- Männer vorübergehend im Besitz gehabt zu ha- chen an, die eine möglichst intensive Rottönung ben und die Geschichte der kula-Gegenstände zu aufweisen sollten. kennen, erhöhen das Prestige (Lang 2010: 184ff). Die Wertbeimessung richtet sich insgesamt Neben den wechselseitigen Verpflichtungen nach Material und Gewicht sowie Alter, Größe entsteht durch den kula-Tausch aber auch ein und Geschichte der Objekte. Ihre Wertschätzung soziales Netzwerk aus gegenseitigem Vertrau- als Tauschobjekte behalten sie nur, solange sie in- en, Gastfreundschaft, Schutz und Beistand. Etwa nerhalb des kula zirkulieren. Außerhalb des kula zwanzig Dorfgruppen mit mehreren tausend werden sie als Brustschmuck dona getragen. Menschen sind am kula, in dem gleichzeitig meh- 40 rere tausend Objekte zirkulieren, beteiligt. Ein Teilnehmer kann, wie bereits angedeutet, meh- rere Tauschpartner haben, so dass er zu be- stimmten Zeiten gegenüber mehreren Menschen zugleich Schuldner und Gläubiger ist. Der Ausgleich zwischen zwei Partnern kann erst nach Jahren erfol- gen, denn nicht Geben und Zurückgeben in einem Zuge, sondern der Tausch in einem komplizierten Handlungsablauf mit vielen Zwischengaben schafft soziale Beziehungen. Mit den Reisen hängen aber durchaus auch ökonomische Interessen zusammen. Denn während die Tauschpartner ihre kostbaren Stücke zur Schau stellen, handeln andere Mitglie- der der Expedition mit Yams, Sagomehl, Fisch und Gebrauchsgegenständen. Mwali und bagi, die nicht mehr im kula-Tausch zirkulieren, dienen als Schmuck oder als Ent- gelt zur Anerkennung von Arbeitsleistungen beim Bootsbau. Bei der Herstellung der Objek- te wird heutzutage nicht mehr ausschließlich auf traditionelle Elemente zurückgegriffen. Bei der Verzierung der Stücke werden oft europäische Glasperlen verwendet. Vorrangig geht es beim kula um die Aufrecht- erhaltung der sozialen Beziehungen der Tausch- partner, nicht um ökonomischen Gewinn. Insofern Abb. 12 D Brustschmuck dona, erworben von birgt dieses zeremonielle Tauschsystem einen stark Igeigelele, Erhard Schlesier, 1962, Ethnologische kommunikativen, sozial integrativen und friedensta- Sammlung, wissenschaftliches Kulturarchiv am bilisierenden Charakter, den Lang (2010: 177) als Institut für Ethnologie „sozialer Tausch und Vertrauen“ klassifiziert.

41 Tod, Trauer & Bestattung: die Sepulkralkultur zweier Sippen als größeren Familienverbänden ga- im Spiegel sozialer Verflechtungen rantieren, welche auch den Toten im Jenseits ein- bezieht. Solche Trauergemeinschaften werden als Tod, Trauer und Bestattung spielen in jedem bu‘u bezeichnet (Schlesier 1983: 27): Zum Zeichen kulturellen Umfeld eine gesonderte Rolle. Vie- der Trauer, tragen Witwer und Witwen ein wausa. len Kulturen gemein ist, dass ein Todesfall die Dies ist ein Trauerband, welches aus bestimmten Beziehungen einer Gemeinschaft stärkt bzw. im Pflanzenfasernmalawa geflochten und um den Hals Stande sein kann, sie zu stärken. Der jeweils betrof- getragen wird. Diese Trauerbänder werden bis zu fenen Gemeinschaft geht es in der Regel darum, dem sogenannten bwabwale-Fest getragen und mit im Rahmen einer Bestattung für den Verstorbe- der bei diesem Fest vollzogenen Aufhebung der nen einen letzten Ruheort für eine würdevolle Er- Trauertabus abgeschnitten. Neben Trauerbändern innerung zu schaffen und zu erhalten (vgl. Heller gibt es auch Trauerröcke, die beim bwabwale später 2007: 10f). gekürzt werden. Ein weiteres Zeichen der Trau- Auf Normanby Island werden auch heute noch er, drückt sich im Verhalten der Hinterbliebenen Tod, Trauer und Bestattung als Bestandteil einer le- aus. Witwen oder Witwer nehmen selbst nicht an bendigen und öffentlichen Sepulkralkultur begrif- der Bestattung teil und dürfen ihr Haus während fen, die alle Bewohner eines Weilers und auch be- einer Bestattungszeremonie, außer zur Verrichtung nachbarte Siedlungen mit einschließt, ähnlich, wie der Notdurft, nicht verlassen. Unter den engsten wir es auch bei uns zum Beispiel aus alpenländi- Angehörigen wird sich nicht gewaschen, die Haare schen Gebieten kennen. Dabei gilt es in Me’udana werden weder gekämmt noch geschnitten, es wird verschiedene Arten der Trauer, der Bestattung und keine wohlschmeckende Nahrung zu sich genom- des Gedenkens der Toten zu unterscheiden. An- men und die Trauernden dürfen nicht laut sprechen. genommen, jemand stirbt einen „schlimmen Tod“ Während der Trauer wird, neben der Vernachlässi- im Sinne einer unerklärlichen, übernatürlichen bzw. gung der Körperpflege, der Körper mit schwarzer durch Krankheit erfolgten Todesursache, so zieht Farbe gefärbt. Witwer und Witwen unterliegen spe- dies andere Rituale und Gedenkfeiern nach sich als ziellen Ortstabus. Sie dürfen dann den Weiler der bei einem natürlichem Tod (Schlesier 1983: 126f). Sippe des Verstorbenen nicht betreten. Trauer wird geteilt und durch bestimmte Zei- Für die Bestattung werden die Toten zunächst chen verdeutlicht. Durch Zugehörigkeit zu einer an Häusern aufgebahrt, sofern diese keine „Wein- Trauergemeinschaft werden bestimmte Aufgaben plätze“ (Schlesier 1983: 142) sind: Solche Plätze be- und Beziehungen zu dem Toten definiert. Die zeichnen Orte, an denen bereits jemand verstorben Gemeinschaft wird anhand der Handlinien der ist. Dabei wird der heholowa-Ritus vollzogen, bei der linken oder rechten Hand identifiziert. Trauerge- der Trauergemeinde Kokosmilch auf Haar, Rücken meinschaften können eine dauerhafte Beziehung und Nacken gespritzt wird. Danach erfolgt die 42 Beisetzung. Der Tote wird in seinem Grab auf eine Matte gelegt, welche den Kontakt zur Erde ausschließt. Mit einer weiteren Matte wird der Ver- storbene verhüllt und mit Pflöcken befestigt. Stö- cke überdecken das ovale Grab, und eine zusätz- liche Matte wird über diesen Stöcken ausgebreitet, über die wiederum Erde geworfen wird. Der Tote darf dabei nicht mit der Erde in Berührung kom- men. Zum Abschluss wird gemeinsam gesungen. Diese Gesänge werden als doyoga oder do‘e bezeich- net. Nach einem Jahr wird der Leichnam aus seinem Grab geholt und der Schädel abgetrennt, gesäu- bert, verziert und anschließend zum Schädelplatz gebracht, wo die Schädel der Ahnen aufbewahrt werden (vgl. Schlesier 1983: 142-145). Die Me’udana halten anschließend zu Ehren ihrer Verstorbenen Feste ab. Diese bewirken eine Erneuerung und Stärkung der in ihrer sozialen Be- ziehungen verflochtenen Gesamt-Gemeinschaft. Sie dienen zunächst der bereits erwähnten Ta- buaufhebung bwabwale und später der Ehrung und Erinnerung der Toten sagali (Schlesier 1983: 141- 162).

Abb. 13 A Tragweise des Trauerbandes wausa, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie Das bwabwale-Fest hebt die Trauertabus der Witwer bzw. Witwen nach dem Tod des Ehepartners auf. Ein solches Fest wird immer von der Familie der/ des Überlebenden abgehalten und im Weiler der Familie des Verstorbenen veranstaltet. Ein Großteil 43 des eingelagerten Yams wird zum bwabwale aus dem Haus herausgetragen und öffentlich gestapelt. Ei- nige Tage vor dem Fest werden Taro-Brei, Kokos- nüsse und Fleisch zubereitet. In der Nacht vor dem Festtag wird gesungen, Fremde dürfen ebenfalls mitsingen. Als Zeichen der Aufhebung der Trauer- zeit dürfen Frauen den Trauerrock kürzen und das Trauerband abnehmen. Anschließend werden der Witwe bzw. dem Witwer die Haare geschnitten und es darf sich wieder gereinigt werden. Der öffentlich zur Schau gestellte Yams wird dann im Tanz ver- wendet: Die Männer singen und die Frauen tanzen, mit den Yamsknollen behängt, um die Männer he- rum. Nach diesem hewali-Tanz setzt sich die Witwe bzw. der Witwer auf die auf der Erde liegenden Yamsknollen und beendet mit einem Essen aus den oben genannten Zutaten das bwabwale-Fest. Ver- witwete dürfen anschließend wieder heiraten, was vorher nicht erlaubt war (vgl. Schlesier 1983: 204). Dem bwabwale-Fest folgt häufig später ein Fest zur Ehrung eines oder mehrerer Verstorbenen, das auch im Sinne eines Verdienstfestes bzw. Nah- rungsverteilungsfestes gefeiert wird und die Namen sagali, manchmal auch guyai, trägt (übersetzt: vertei- len, weggeben, verschenken) (Schlesier 1983: 221).

Abb. 13 B Der Tote wird rasiert, wissenschaft- liches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie Der sagali-Festzyklus und die Verpflichtung auf Gegenseitigkeit Ähnlich wie der kula-Tausch wird auch der sagali- Festzyklus von Normanby Island vom Prinzip der Verpflichtung auf Gegenseitigkeit (Reziprozität) 44 bestimmt. Dieser Festtyp ist in der Ethnologie un- Prestige der Veranstalter und deren Verwandten: ter Begriffen wie „Geschenkfest“, „Verdienstfest“, Als Voraussetzung gilt, dass man ihrer wirtschaftli- „Rangerhöhungsfest“ oder „Totenerinnerungsfest“, chen Stärke vertrauen kann und sie deshalb unter- die zugleich seine Variationsbreite andeuten, be- stützt. Auch die Yamsernte des jeweiligen Jahres ist kannt geworden. Eine genauere Kenntnis über die entscheidend: Wenn die Erträge gering sind, kann Durchführung dieses Festes auf Normanby Island das sagali verschoben werden. geht allein auf Erhard Schlesier und seine For- Wird das sagali offiziell angekündigt, beginnt der schungen zurück. über mehrere Monate ablaufende Festzyklus. Die Ein wichtiges Motiv für die Durchführung sol- gereinigten und geschmückten Schädel werden cher Feste ist der Gewinn von Prestige. Es kenn- für das sagali vom Schädelplatz geholt (Schlesier zeichnet bereits die Planung eines Festes: Das 1983: 163-184) und zur Ahnenverehrung prä- Wagnis, große materielle Belastungen auf sich zu sentiert. Dazu gehören auch die Yams- und nehmen und die eingegangenen Verpflichtungen Schweinegaben der Angehörigen an den Festgeber. großzügig und in angemessener Zeit abzugelten, Die angesammelten Güter bleiben jedoch nicht bilden den Auftakt für das Bemühen um Prestige- im Besitz des Festgebers, sondern werden sofort Erwerb. Auch die Rednergabe ist von großer Be- wieder an einen weiteren Angehörigenkreis verteilt. deutung für die Hebung des sozialen Ansehens, In hellen Mondnächten werden in dieser Phase des nämlich Überzeugungskraft gegenüber den Ange- Festzyklus zeremonielle Tänze abgehalten. Es folgt hörigen zu zeigen, wenn es darum geht, genügend ein Zwischenfest, welches mit einem Trommel- Unterstützung für das Fest zu bekommen. Ferner tanz beendet wird. Hierbei werden große Mengen mehrt auch die Beherrschung von Trommelrhyth- gekochter Nahrung zwischen den Beteiligten men und Tänzen sowie der Besitz von wertvollem verteilt und gegessen. Schmuck und wirksame Magie das Prestige. Wird das sagali als Totenerinnerungsfest gefeiert, muss vorher eine bestimmte Zeit der Trauertabus mit einem Abschlussfest vorangegangen sein. Das sa- gali wird dabei nicht unbedingt für einen einzelnen Toten veranstaltet. In seiner Funktion ähnelt es den bei uns bekannten Gedenk- und Trauertagen, wie dem Totensonntag oder Allerseelen. Das Fest wird, wie bereits betont, gelegentlich für mehrere Ahnen gleichzeitig durchgeführt und mit deren Angehö- rigen gemeinsam gefeiert. Abhängig ist dies vom Prestige des/der Verstorbenen zu Lebzeiten, dem 45 der die gesammelte Nahrung später platziert und zur Schau gestellt wird. Der dann folgende sagali- Tag ist schließlich der Höhepunkt und Abschluss des Festzyklus zugleich. Es werden verschiede- ne Tänze nach bestimmter Ordnung getanzt und getrommelt. Die Festkleidung besteht bei den Frauen aus mehrfarbigen Faserröcken, bei den Männern aus Durchziehschurzen, Gesichtsbema- lung, Nasenkeil und Tanzwedel. Im Haar werden Schmuckkämme, Federn und Blumen getragen, die allerdings auch sonst zum alltäglichen Schmuck gehören. Die Frauen tanzen zu den eigens für das sagali hergestellten Trommeln, die von den Män- nern geschlagen werden. Danach folgt die Ver- teilung der riesigen Nahrungsmengen auf genau festgelegte Weise, ohne Listen, aber mit genauer Kenntnis aller Namen und Ränge der vielen Ange- hörigen und der mehrere hundert Menschen zäh- lenden Festgemeinde. Das sagali weist soziale und strukturelle Ähn- lichkeiten mit dem kula auf, jedoch ist der kula in Me’udana nicht so ausgeprägt wie auf anderen Inseln im südöstlichen Raum von Neuguinea. Die- se Tatsache begründet sich vermutlich durch eine während der Kolonialzeit erfolgte Umsiedlung von Abb. 14 Didiwaya‘u kocht in Kwakwamoa der Küste etwas weiter ins Landesinnere. Generell Tarobrei, Erhard Schlesier, 1975, wissenschaftli- lässt sich für die gesamte Region festhalten, dass ches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie dort, wo der kula-Tausch sehr ausgeprägt ist, die Totenerinnerung im Sinne einer bloßen Nahrungs- Kurz vor dem sagali-Tag wird der Fest-Weiler verteilung etwas in den Hintergrund tritt und fest- zum Schutz des dort eintreffenden Yams magisch lich weniger verankert ist. Vice versa wird dort, wo gesperrt. Dieser Vorgang ist ebenfalls wieder mit der kula-Tausch weniger von Bedeutung ist, das einem zeremoniellen Nahrungsaustausch verbun- sagali als ein eigenständiger Festzyklus öffentlich den. Danach wird eine Festplattform errichtet, auf stärker beworben (Schlesier 1983: 249). 46 Sagali und kula dienen in jedem Fall der Pflege Malinowski, Bronislaw transkultureller Begegnungen und interethnischer 1922 Argonauts of the Western Pacific: An Beziehungen. Bis heute wird das begehrte Zere- Account of native enterprise and adventure in the monialgeld beim kula zum einen auf traditionelle Archipelagoes of Melanesia New Guinea. London: Weise getauscht, zum anderen aber auch im Inter- Routledge. net erworben und für transnationale Tauschaktio- nen verwendet. Einhergehend mit den technischen Raabe, Eva Möglichkeiten der heutigen globalen Kommunika- 1990 Sagonutzung auf Neuguinea: ein methodo- tion und Vernetzung stellt kula für viele der daran logischer Beitrag zur Siedlungsgeschichte Melane- beteiligten Akteure so einen neuartigen Prozess des siens. Göttingen: Ed. RE. gesellschaftlichen Austausches dar (vgl. Kühling 2012: 320). Schlesier, Erhard 1970 Me’udana (Südost-Neuguinea), Teil 1: Die Verwendete Literatur Soziale Struktur. Braunschweig: Limbach.

Heller, Birgit u. Franz Winter (Hg.): 1982 Abo’Agu Christopher Obedi Me’Uyo: eine 2007 Tod und Ritual: Interkulturelle Perspektiven Lebensgeschichte. Aufgezeichnet in der Dobu- zwischen Tradition und Moderne. Wien: Sprache und übersetzt ins Deutsche. Gava: LIT-Verlag. Studien zu austronesischen Sprachen und Kulturen 17: S. 141-154. Berlin: Reimer. Leach, Jerry w. & Edmund Leach (Hg.): 1983 The Kula: New Perspectives on Massim 1983 Me’udana (Südost-Neuguinea), Teil 2: Exchange. NY: Cambridge University Press. Das soziale Leben. Berlin: Reimer.

Kühling, Susanne: 1986 Eine ethnographische Sammlung aus 2012 They Spear, Hit Again, Bite, Get Engaged Südost-Neuguinea. Göttingen: Ed. Herodot and Sometimes Marry: Revisiting the Gendering of Kula Shell. Anthropologica 54 (2): S. 319-332. 1990 Das Verhalten in einer Pflanzung. In: Er- CBCA Reference & Current Events. hard Schlesier (Hg.), Ethnographische Miszellen zur Wirtschaftsführung der Me’udana (Normanby Lang, Hartmut Island, Milne Bay Province, Papua Neuguinea). 2010 Systeme der Wirtschaftsethnologie. Eine S.19. Göttingen: Institut und Sammlung für Einführung. Berlin: Reimer. Völkerkunde der Universität zu Göttingen.

47 1991 Arbeitsmaterialien und Notizen zum Kul- Austronesisches Wertedenken und turwandel in Me’udana, M.B.P., Papua Neuguinea. zeremonieller Gabentausch Göttingen: Institut und Sammlung für Völkerkun- de der Universität. Susanne Kühling 1994 Arbeits- und Tagebücher aus Me‘udana Das Geben und Nehmen von Wertobjekten und 1961/62 und 1974/75. Göttingen: Kinzel. Dienstleistungen ohne Entgelt findet sich überall, wo Menschen zusammenleben. Stets gilt es, die Wertigkeiten abzuwägen, um eine angemessene Gegengabe zu der jeweils passenden Gelegenheit zu leisten. Insofern ist Gabentausch eine anthropo- logische Konstante. Dabei gelten kulturspezifische Regeln, die oft durch die Bezeichnung der Gabe vorgegeben sind: Ein ‚Geburtstagsgeschenk‘ wird reziprok zu den jeweiligen Jahresfesten der Tauschpartner fällig, ein ‚Blumenstrauß‘ beim rendez-vous erfordert hingegen keine Gegengabe, nur ein erfreutes Lächeln und ein Dankeschön. Dies erscheint profan, denn wir wissen zumeist, ob man mit einer gleichwertigen oder gleichartigen Gegengabe reagieren muss, ob etwa ein Buchgeschenk mit einem anderen Buch oder mit demselben Titel ausgeglichen werden sollte. Dabei sind wir bemüht, den rechten Ton zu treffen, weder als schäbig noch als angeberhaft zu erscheinen, denn Gabentausch ist eng mit morali- schen Werten verbunden. Hier finden sich kultu- relle Unterschiede, die von Ethnologen untersucht und beschrieben werden, um den homo oeconomicus besser zu verstehen. Das Geben und Nehmen ist jeweils ein sozialer Akt, wie bereits der Soziologe und Ethnologe Marcel Mauss betonte (1923-24). Ob auf einer Gartenparty oder im unbezahlten Berufspraktikum, Gaben zeigen und verdeutlichen 48 die Hierarchien innerhalb der Gesellschaft, basie- wörter und Lehrsätze binden die Suche nach pas- ren auf geteilten moralischen Vorstellungen von senden Gegengaben in die kulturelle Landschaft Reziprozität, und ermöglichen Rückschlüsse auf ein: Unverdiente Gaben sind oft „wie gewonnen die Persönlichkeiten der Handelnden. so zerronnen“ und bei selbstsüchtigen Menschen In den traditionellen Wertvorstellungen der sollte man vorsichtig sein, denn „gibt man den klei- Menschen in Ozeanien, deren Vorfahren vor vier- nen Finger nehmen sie die ganze Hand“. tausend Jahren aus dem südostasiatischen Raum Die ethnographischen Studien von Erhard kommend als erste Bevölkerungsgruppen die weit Schlesier und vielen anderen zeigen, dass der aus- verstreuten Inselwelten von Melanesien, Mikro- tronesische Gabentausch, so exotisch er auf den nesien und Polynesien besiedelten und die in der ersten Blick erscheinen mag, wie auch anders- Ethnologie gesamthaft als Austronesier bezeich- wo als soziales Korrektiv, als Mittel zur Vernet- net werden, gilt es bis heute als ein Zeichen von zung, und als menschliche Herausforderung wirkt schlechtem Charakter, wenn jemand Besitz anhäuft und keineswegs eine ‚primitive Vorform‘ unserer und egoistisch nutzt. Die vielen Gelegenheiten für globalen Marktwirtschaft ist. Oft machen es sich die das Weitergeben von Objekten zeigen die gesell- Menschen nicht bewusst, aber durch das ubiquitäre schaftliche Bedeutung, die dem Gabentausch bei- Geben und Nehmen pflegen wir unsere Netzwerke gemessen wird. Das Spektrum des Gabentausches und positionieren uns darin. Die jeweilig kulturell ist komplex; es reicht von kleinen Liebesgaben und angemessene Art des Gabentausches erscheint uns Hilfe bei schweren oder unangenehmen Aufgaben als logisch und moralisch angemessen. Das Anhäu- bis zu formalisierten Geschenken und machtvollen fen und Zurschaustellen von Wertobjekten, etwa Ausstellungen von Reichtum in großen zeremoni- von Autos, Gemälden, oder Hausfassaden, ist bei ellen Verteilungsfesten. Überall in der Welt gibt es uns normal. Solch Verhalten erscheint einem Aust- Dinge und Tätigkeiten, denen ein besonders hoher ronesier hingegen fremd und schockierend. Wert zugesprochen wird. Anhand systematischer Beobachtung über ei- Ein gewisser Spielraum in der Art der Ge- nen langen Zeitraum, der wiederholten Teilnahme gengabe zeigt, wie geizig, freigebig, unvorsichtig, an Zeremonien und dichter Beschreibung von Ga- inkompetent oder berechnend sich die Akteure bentausch haben Ethnologen nachgewiesen, dass verhalten. Man fragt sich, ob wahre Verbunden- das austronesische Wertedenken beziehungsstif- heit oder nur Verpflichtung zu einer Gabe geführt tend wirkt, die Verteilung von Ressourcen fördert hat und manchmal ist man hierzulande erbost, und, wie bereits betont, die moralische Qualität wenn ein Geburtstagsgruß ausbleibt oder ein Ge- von Einzelpersonen und Familien definiert. Es gibt schenk unangemessen klein ausfällt. Ein unbezahlt allerdings schwerwiegende Unterschiede zwischen arbeitender Praktikant erwartet, etwas zu lernen der europäischen und austronesischen Definition und abschließend ein Zeugnis zu erhalten. Sprich- von moralisch richtigem Verhalten. Erst im Weiter- 49 geben, nicht im Aufbewahren oder Konsumieren ten partizipieren oft indirekt an Tauschexpeditio- von Dingen manifestiert sich in austronesischen nen und Frauen haben in wenigen Gegenden die Gesellschaften der wahre Wert einer Person. Eine Möglichkeit zu Seereisen. Austronesische Werte protzige Hausfassade, sehr teure Autos oder beson- spiegeln sich nicht allein in spektakulären Expe- ders auffällige Markenkleidung sind dort kein Zei- ditionen zu benachbarten Inseln. Vielmehr ist die chen für Erfolg, sondern eher für Geiz, Gier und wichtigste Arena für zeremoniellen Gabentausch Selbstbeweihräucherung. Vielmehr kommt es dort immer die eigene Gemeinschaft, denn dort sind gute darauf an, Dinge weiterzugeben, im Alltag ebenso Beziehungen und hohes Prestige unverzichtbar. wie bei aufwendigen Festen. Bei genauerem Hin- sehen wird deutlich, dass selbst exotisch wirkende Zeremonien, wie etwa das von Erhard Schlesier beschriebene sagali, für uns verstehbar sind, dass sie kulturellen ‚Sinn machen‘. Dank ethnologischer Studien können wir die Hintergründe der ökono- mischen Entscheidungen als rational im Kontext der geltenden Werte und Normen erkennen. In der Inselwelt Ozeaniens empfinden die Menschen das Meer nicht als isolierend, sondern als verbindend. Das Kanu, das Wissen um Winde und maritime Wegweiser, sowie die Fähigkeiten von Navigator und Crew wirken zusammen und ermöglichen Reisen und Rückreisen. Gabentausch Abb. 15 Sago-Mahlzeit. Dobu, war ein wichtiger Antrieb für diese stets entbeh- Susanne Kühling, 1993 rungsreichen und abenteuerlichen Meeresreisen. Einige interinsulare Tauschsysteme, etwa der kula- Austronesisches Wertedenken: die Grundlagen Tausch, haben den globalisierenden Tendenzen des 21. Jahrhunderts bislang weitgehend widerstanden, Die Grundprinzipien der austronesischen De- ein deutliches Zeichen für den weiterhin hohen finition von Wert kann man mit drei Begriffen Stellenwert des Gabentausches in den Inselregi- zusammenfassen: Großzügigkeit, Selbstdisziplin onen von Südost-Neuguinea, wo auch Schlesier und Respekt. Ein großzügiger Mensch kann sich forschte. von materiellen Werten leicht trennen, ist mitlei- Aber nicht nur zwischen den Inseln werden dig, wenn jemand weniger besitzt und empfindet Gaben getauscht, denn nicht alle Familien sind Zufriedenheit, wenn diese Ungleichheit ausgegli- Seefahrer. Im Hinterland liegende Gemeinschaf- chen wird. Die austronesische Ethik entspricht 50 christlichen Werten, darauf wiesen mich mehrere kompetente Verrichtung die moralische Qualität Insulaner während meiner Feldforschung auf Dobu einer Person anzeigt. Daher hat ein arbeitsscheuer, hin (Kuehling 2005). Oft wird dieses Gebot von weinerlicher, selbstsüchtiger Mensch wenig Aus- Austronesiern auch als ‚Liebe‘ bezeichnet. Auch in sicht auf hohes Ansehen. Ebenso wichtig wie die Schlesiers Untersuchungsregion Me’udana ist die- Selbstdisziplin und Wahrung einer freundlichen se Verbindung gegeben: das Wort oboboma bedeu- Maske ist es, stets zu wissen, wie die jeweiligen tet sowohl Liebe als auch Großzügigkeit. Natürlich Mikro-Hierarchien in einer Interaktion gelagert fällt es Menschen oftmals schwer, das Gebot der sind. Ein Geber steht höher als ein Empfänger, Großzügigkeit immer einzuhalten. Das Verbergen Alter und Geburtsfolge regeln Respektbeziehungen von Verbrauchsgütern und Luxusartikeln, die man innerhalb der Familien, angeheiratete Verwandte nicht teilen möchte, ist daher in austronesischen verdienen besonders viel Entgegenkommen, und Gemeinschaften weit verbreitet, wenn auch nur durch Einhalten dieser Regeln erwirbt ein Mensch selten dauerhaft erfolgreich, denn das enge Zusam- im Laufe der Zeit soziales Kapital. menleben reduziert die Privatsphäre und vereitelt Die Dynamik des Gabentausches entsteht so das Anhäufen von Privatbesitz. Wenn die nahen also aus einem Gemisch von unterschiedlichen, Verwandten um etwas bitten, so lautet die Regel, oft auch gegensätzlichen Bedürfnissen, stets im muss man gehorchen, auch wenn es schwerfällt. Spannungsverhältnis zwischen Selbstinteresse und Hier kommt die Ethik der Selbstdisziplin ins Gruppeninteressen. Den gezuckerten Tee alleine Spiel, denn es gilt als charakterstark, seine Ge- zu trinken, mag zwar momentan besser sein als der danken und Gefühle für sich zu behalten. Diese Tante davon abzugeben; wenn jedoch eine erbos- ‚inneren‘ Reaktionen und Reflektionen gehen nie- te Tante dann später unangenehme Arbeiten auf manden etwas an, den Anordnungen der Älteren einen abladen kann, dann erscheint es doch vorteil- muss man sich stets mit freundlicher Miene fügen. hafter, ihr Respekt zu zollen und mit einem Lächeln So wie die jungen Männer auf Kanureisen sich auf den Lippen die Luxusgüter zu teilen. Ebenso nicht die Kälte und Erschöpfung anmerken lassen, kann besagte Tante im nächsten Augenblick von so zeigen die Teilnehmer an einem wochenlangen ihrem Ehemann gebeten werden, ihren Schwieger- Bestattungsfest nicht ihre Müdigkeit und Anspan- vater mit dem Tee zu beglücken, bevor sie auch nur nung. Körperliche und seelische Schmerzen sollten einen Schluck getrunken hat. Auch wenn in diesem unter einer freundlichen Maske verborgen gehalten Fall keine direkten Sanktionen zu erwarten stehen, werden – dieses Prinzip gipfelt meines Erachtens wird sie dennoch einer solchen Bitte nachkommen, in dem austronesischen Ideal der lautlosen Geburt. denn am Ende der Beziehung zu ihren angeheirate- Körperliche Anstrengung, Schmerz, Leid ten Verwandten stehen die Bestattungsfeste, deren und Erschöpfung werden von den Menschen in Verlauf sehr vom Leben vor dem Todesfall geprägt Me’udana als ‚Arbeit‘ paisewa angesehen, deren sein kann. 51 Gabentausch: im Alltag und in sind vor allem auch für das Regeln der Verhältnis- Krisensituationen se der Überlebenden von großer Bedeutung. In einer Folge von Zeremonien werden der Körper, Auf den D’Entrecasteaux-Inseln, im Osten von die spirituelle Energie und das letzte Andenken Neuguinea, ist es üblich, alltäglich kleine Dinge an den Verblichenen nach und nach aus der Welt und Arbeitsleistungen zu tauschen. Man erbittet der Lebenden entfernt. Die Hinterbliebenen teilen Feuerholz vom Nachbarn, Tee von der Schwester sich in zwei Gruppen, von denen eine die Kon- oder Waschpulver von der Mutter. Auch Hilfe bei sumenten der Totengaben, die „Essenden“ sind, der Aufsicht über kleine Kinder, das Teilen des während die zweite Gruppe sich dem Konsum Fischfangs oder von Betelnüssen (dem ubiquitären von Nahrungsgaben bei den Zeremonien enthält, Genussmittel) und das Ausleihen von Werkzeug da sie es als Tabu ansieht. Diese zweite Gruppe sind typische Arten des Gabentausches innerhalb der „Tabuisierten“ besteht aus den angeheirateten der Siedlungsgruppe und mit angeheirateten Ver- Verwandten und den allernächsten Angehörigen: wandten. Hier zeigt sich zuerst, wie sich Einzel- Eltern, Geschwistern, Ehepartnern, Kindern. Eine personen als Geber und Nehmer bewähren: Es Krankheit des Blutes würde diejenigen befallen, gilt, großzügig, respektvoll und stets freundlich die dieses Tabu brechen, so glauben die Insulaner zu sein, eine Rolle, die manchen Menschen gut auch heute noch. Die Aufteilung in die „Essenden“ gelingt, während andere weniger erfolgreich sind und die „Tabuisierten“ bestimmt, welche Rolle den und im Dorftratsch als geizig, gierig, faul oder ‚zu beteiligten Verwandtschaftsgruppen bei der Pla- redselig‘ gelten. Die Menschen unterscheiden nung, Vorbereitung und Durchführung der Zere- zwischen diesen Dingen und Hilfeleistungen des monien zufällt. Alltags lema und den wahrhaft wertvollen Tausch- Wenn ein Verwandter stirbt, wird mit geteil- mitteln, vor allem Schweinen, Yamswurzeln und tem Leid Familienzugehörigkeit demonstriert und speziellen Schmuckstücken aus Muscheln und in manchen Fällen sogar neu definiert. Die meis- anderen Materialien. Beide Geschlechter sind ten Menschen geben zu Lebzeiten ihren Namen involviert in alle Formen des Gabentausches, wobei an neugeborene Babies weiter und diese Kinder den Frauen der Yams untersteht und die Männer können unter Umständen als Erben auftreten. Der sich um das Schlachten und Zerteilen der Schweine Familienrat arrangiert Erbfolgen mit Blick auf kümmern. die Lebenden, die vorhandenen Ressourcen und Totenfeste sind die wichtigste Gelegenheit zum nach persönlichen Präferenzen. Es gilt, arbeit- Geben und Nehmen von wertvollen Gegenstän- same, freundliche Menschen ins Dorf zu holen den, Schweinen und Yams, gekochten Speisen und und so eine friedliche Zukunft zu ermöglichen – anderen Nahrungsmitteln. Sie dienen nicht nur zur Personen, die im Gabentausch ihre moralische Stär- würdevollen Bestattung der Verstorbenen, sondern ken demonstriert haben, können in solchen Situ- 52 ationen die Lorbeeren ihres vorbildlichen Lebens beziehungen werden bis zum Zerreißen strapaziert, ernten. wenn sich abzeichnet, dass nur unzureichende Die Einzelheiten der Zusammensetzung Ernteerträge zu erwarten sind. Das sagali verbindet beider Gruppen und ihrer Aufgaben sind von die Lebenden, stiftet neue Netzwerke und zeigt das Erhard Schlesier detailliert aufgezeichnet worden. Ansehen der Veranstalter in ihrer Gemeinschaft. Je Die Abfolge von Festen beginnt mit der Bestattung reicher das Fest, desto besser ist der Gabentausch und dem Abschied vom Geist des Toten. Es fol- etabliert – denn solche Mengen an Schweinefleisch gen mehrere Zeremonien, die der graduellen Rein- und Yamswurzeln, wie sie für ein sagali erforderlich tegration der offiziell Trauernden (Witwe, Witwer, sind, kann man nur mithilfe weitgestreckter Ver- Kinder, Eltern) in die Aufgaben und Privilegien der bindungen zusammentragen. Die Gaben werden Lebenden dienen. Bevor die Missionare eingriffen zum Teil während des Trauerfestes erwidert, es (seit ca. 1900), wurden die Trauernden in einem ist aber zugleich selbstverständlich, dass bei der Verschlag zu ebener Erde gehalten, wo sie weder nächsten Gelegenheit ebenso geholfen wird. Wer ihre Körper waschen noch gute Nahrung zu sich ein Schwein weggibt, erwartet zu gegebener Zeit nehmen durften. Laute Unterhaltung, gute Klei- ein ebenso großes Tier zurück, Körbe voll Yams- dung, Lachen, Singen und der Aufenthalt im Frei- wurzeln werden in den Kochhütten aufbewahrt bis en waren untersagt; Gartenarbeit und jede andere sie, nun vom Ruß geschwärzt, wieder gefüllt und Tätigkeit war diesen Trauernden nicht erlaubt. Die- zurückgegeben werden. Wertvolle Artefakte, vor ser klägliche Zustand wurde für mehrere Monate allem die aus Muscheln gefertigten kula-Ornamen- aufrechterhalten, so lange bis die Gruppe der „Es- te, wechseln bei Totenfesten die Besitzer als Gegen- senden“ im Rahmen zeremoniellen Gabentausches gabe für die Arbeit und Liebe des Verstorbenen. diese Tabus nach und nach aufhob. Solche Feste, bwabwale genannt, sind auch filmisch dokumentiert. Das letzte Totenfest, sagali, dient dem Ende des Andenkens. Es wird etwa einmal pro Genera- tion begangen. Alle Familien eines Dorfes been- den dann mit einem spektakulären Fest die noch verbliebenen Tabus. Die Namen von Verstorbe- nen dürfen bis zu diesem Fest nicht ausgesprochen werden, die letzten Andenken sollen dann verbrannt und alle Verpflichtungen, die sich aus dem Able- ben und den vorherigen Festen ergaben, beglichen werden. Es dauert Jahre der Vorbereitung, solch ein Fest auszurichten und alle Netzwerke von Tausch- 53

Abb. 16 Kula-Boot, Susanne Kühling, 1993.

Weiterreichende Tauschbeziehungen, zum Beispiel kula-Tauschpartners, und da jeder Teilnehmer der zwischen den Inseln der Massim Region, werden kula mindestens zwei Partner braucht, um Zugang durch regelmäßige Besuche gepflegt. Beim kula- zu beiden Arten von Tauschobjekten zu haben, Tausch reisen die Insulaner zu ihren Tauschpart- kann man diese Reisen als notwendig zum Erhalt nern, werden mit herzlicher Gastfreundschaft des großen regionalen Netzwerkes betrachten. Die und guter Bewirtung empfangen, und wenn Partner im kula-Tausch treten bei Totenfesten oft alles gut geht, trennt sich der Gastgeber auch von als Retter auf, denn die notwendigen Schweine einem seiner wertvollen kula-Objekte, entweder und Baumaterialien sind lokal oft knapp, wenn es einer Halskette oder einem Oberarmring. Die Ge- darauf ankommt und alle zur gleichen Zeit danach gengabe erfolgt später bei dem Gegenbesuch des suchen. Die kula-Ornamente sind der Anreiz für 54 diese Seereisen, denn die schwierigen Regeln und verlust oder einem guten Namen und einem schnell das (oftmals geheime) Wissen, die für erfolgreiches, in die Pleite gleitenden Laden. So scheitern unter- kontinuierliches Tauschen erforderlich sind, bieten nehmerische Initiativen, Entwicklungsprojekte, die Möglichkeit, Verdienst und Prestige zu erwer- Transportgeschäfte und andere marktwirtschaftlich ben in einer Welt, die ansonsten sehr flache Hierar- ausgerichtete Ideen oft bereits an der mangelnden chien aufweist und in der Fremde sonst mit großem Motivation. Wozu soll ich einen Hühnerstall bauen, Argwohn betrachtet werden. wenn dann die Nachbarn neidisch sind und ich die Innerhalb der Familie sind auch bei uns Hilfe- Eier und das Fleisch doch teilen muss? Wozu soll leistungen keine Seltenheit, jedoch genießen wir ich eine Arbeit annehmen, wenn ich am Ende doch dabei wesentlich mehr Spielraum, wenn es um das Geld weitgehend an die Familie weitergeben die Form und das Ausmaß geht. In vielen insula- muss? Warum sollte ich schicke Klamotten kau- ren Dorfgemeinschaften und Weilern im gesamten fen, wenn meine Geschwister sie mir doch sogleich Raum Ozeaniens kann man sich den Netzwerken abbetteln werden? Lösungen für dieses Dilemma der Familie nur entziehen, wenn man Wertobjek- sind bislang nicht in Sicht, außer der oben erwähn- te vor den Augen der Verwandten und Nachbarn ten Flucht in die Stadt. Doch auch dort ist das weit- verbirgt oder in urbane Zentren umsiedelt, wo man verbreitete Vertrinken und Verspielen des Lohnes in der relativen Anonymität die Gehaltszahlungen in meinen Augen häufig als Versuch zu werten, wenigstens zum großen Teil selbst nutzen kann. Als wenigstens einen Teil des Erarbeiteten selbst genie- ich während meiner Forschung auf der Insel Dobu ßen zu können. jemandem eine automatische Armbanduhr schenk- te, verschwand sie sofort im Haus und wurde nie getragen – auch wenn die Bewegung notwendig ist, um den Zeitmesser in Betrieb zu setzen, das Risiko, die Uhr an den Bruder, Neffen oder Onkel wei- tergeben zu müssen, erklärte mir der Beschenkte, war zu groß. Die Schwierigkeiten, die sich durch die austronesischen Ideale des Gabentausches im Zusammenhang mit der zunehmenden Monetisie- rung und im Konflikt mit globalen marktwirtschaft- lichen Prinzipien ergeben, liegen auf der Hand. Wenn ein Ladenbesitzer seine Waren ausstellt, zeigt er damit, dass er sehr viel mehr besitzt als die ande- ren, und so steht er vor der Wahl, zwischen entwe- der geschäftlichem Erfolg und sozialem Ansehens- 55

Abb. 17 Kula-Objekte, Susanne Kühling, 1993

Schlussbetrachtung de zu kennen und angemessen zu verwenden. Als Gabentausch ist weltweit von großer sozialer ich einmal während einer Versammlung auf Dobu Bedeutung, aber die Prinzipien, die den jeweiligen einem Freund etwas Tabak gab, wurde er hinterher Modalitäten zugrunde liegen, können sehr ver- zornig und fragte mich, warum ich so gemein zu schieden sein. Für den feldforschenden Ethnolo- ihm war. Es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass gen ist es wichtig, die ortsüblichen Wertgegenstän- diese Gabe sofort an alle Umsitzenden verteilt wer- 56 den musste und am Ende nur ein winziges Stück bekam ich eine Betelnuss oder auch mehrere. Ist für den Selbstkonsum übrig blieb. Es gilt, Diskre- ein feldforschender Ethnologe eher ein Gast oder tion bei persönliche Gaben zu wahren, vor allem ein solidarisches Familienmitglied? Die Form des wenn es sich um allgemein begehrte Konsumarti- alltäglichen Gabentauschs, die wir in der Gemein- kel der Kategorie „Alltagsgaben“ handelt, die im schaft erfahren, kann helfen, unsere Rolle und Normalfall mit der Umgebung geteilt werden. Status aus der Sicht der Besuchten zu verstehen. Erhard Schlesier berichtet in seinem Tagebuch, Das Geben und Nehmen in fremden Gesell- dass er am Anfang von Haus zu Haus gegangen sei schaften zu studieren, sollte ein wichtiger Schritt in und überall ein Stück Tabak hinterlegt habe. Diese der Vorbereitung zur Forschung sein. Sensibilität Gabe war ausgesprochen großzügig, und man mag alleine ist nicht ausreichend, um die vielschichtigen spekulieren wie die Dorfbewohner dieses uner- Praktiken nicht nur zu verstehen, sondern auch um wartete Geschenk interpretiert haben: War es eine in der Gemeinschaft als vollwertiges Mitglied ange- Einladung zu weiteren Tauschbeziehungen, eine sehen zu werden. Keiner mag Menschen, die gie- Vorab-Zahlung für zukünftige Zusammenar- rig, geizig, angeberhaft oder betrügerisch sind, aber beit, oder „Schadensersatz“ für all die kleinen was diese Begriffe im Alltagsleben bedeuten, ist Unbillen, die ein langer Besuch mit sich bringen kulturspezifisch definiert und keineswegs intuitiv. kann? Oder war es ein Zeichen von Freundschaft Die Nachfahren der Austronesier, wie jene und Verwandtschaft, das jederzeit durch die Forde- im weitläufigen Gebiet der Inselwelt von Süd- rung von Gegengaben ausgeglichen werden könn- ost-Neuguinea, sind heute in einer ambivalenten te? War nun zu erwarten, dass auch Erhard Schlesier Lage: Geld passt nicht gut zu den Prinzipien des auf einen Dorfbewohner zugehen und um Tabak, austronesischen Gabentausches, und doch nimmt Betel, oder andere Kleinigkeiten bitten würde? die Monetarisierung stetig zu. Bargeld ist nun auch Als ich nach zwölf Jahren zum ersten Mal zu der für zeremoniellen Gabentausch erforderlich, zu- Insel Dobu zurückkehrte, lernte ich ein interessan- mindest in Form von Reis und Fischkonserven, Tee tes Detail des dortigen Gabentausches von einem und Zucker, Tabak und Taschenlampenbatterien. Freund. Er sagte: „Als Du damals hier warst, ha- Totenfeste im D’Entrecasteaux Archipel werden ben wir uns über Dich totgelacht, Du warst so doof. immer häufiger durch ein „kleines Mahl im engsten Erst hast Du uns Betelnüsse abgekauft und dann Kreis“ ersetzt (Schram 2007). Um ein guter Mensch haben wir sie Dir wieder abgeschnorrt. Dabei warst zu sein, braucht man heute westliche Kleidung – Du doch unser Gast und wir hätten Dich umsonst und, natürlich Waschpulver und Wasser zum Rei- versorgen müssen“. Und richtig, von dem Moment nigen derselben. Die austronesischen Antworten an habe ich stets meinen Status als Gast erwähnt, auf die globale Markwirtschaft sind umfassend, wenn ich um Betelnüsse gebeten wurde, und immer oft widersprüchlich und komplex. Alte Techni- war die Reaktion gleich: mit verschmitztem Lächeln ken werden an neuen Materialien angewandt, etwa 57 bei Textil-Wertobjekten des Archipels von Tonga in Polynesien, die heute auch aus Baumwollstoff oder Kunstfasern sein können (Addo 2012). Neue Formen des Tauschens, zum Beispiel das Senden von Telefonguthaben für das Handy, entstehen ge- rade. Dieses faszinierende Thema bedarf weiterhin der Erforschung, denn Gabentausch ist grundle- gend für menschliches Zusammenleben.

Verwendete Literatur

Addo, Ping-Ann 2012 Creating a Nation with Cloth: Women, Wealth, and Tradition in the Tongan Diaspora. New York: Berghahn.

Kuehling, Susanne 2005 Dobu. Ethics of exchange on a Massim island, Papua New Guinea. Honolulu: University of Hawaii Press.

Mauss, Marcel 1990 (1923 1924) The gift. The form and reason for exchange in archaic societies (Translation by W. D. Halls). London: Routledge.

Schlesier, Erhard 1994 Arbeits- und Tagebücher aus Me‘udana 1961/62 und 1974/75. Göttingen: Kinzel.

Schram, Ryan 2007 Sit, Cook, Eat, Full Stop: Religion and the Rejection of Ritual in Auhelawa (Papua New Guinea). Oceania 77,2: S. 172-190. 58

Abb. 18 Peter Fuchs mit seinem Begleiter und Dolmetscher Adigei. Ennedi, Tschad, 1956, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

59 Auf den Spuren eines Forschers – Vorbemerkung transkulturelle Begegnungen in der Es sind die Begegnungen mit anderen Menschen, Biographie des Ethnologen Peter Fuchs die unser Leben prägen. Dabei beeinflussen die kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen Um- Julia Racz stände oder persönlichen Neigungen die Qualität und Intensität dieser Begegnungen und wirken sich Peter Fuchs war von 1978 bis 1994 Professor für auf unser weiteres Handeln und Verhalten aus. Bei Ethnologie an der Universität Göttingen. Im Mit- der Betrachtung von Begegnungen ist die Art und telpunkt seiner langjährigen Forschungen, die er Weise ihres Zustandekommens sowie der Verlauf zwischen 1952 und 1996 durchführte, standen die der Kontaktsituation zu berücksichtigen, wobei Kulturen der zentralen und südöstlichen Sahara folgende Fragen auftreten: Welche Ursachen und und des mittleren Sahel. Als Ethnologe arbeitete Motive liegen den Begegnungen zugrunde? Was er nach dem Motto: „Erkläre die Welt der Kultu- beeinflusst die Begegnungen und welche Aus- ren“ (Fuchs 2010: 166), weshalb seine Lehrver- wirkungen haben sie? Die Beantwortung dieser anstaltungen eine Verbindung von theoretisch Fragen ist besonders für die Ethnologie von Inte- fundierten Kenntnissen und einem praktischen resse. Aus den Begegnungen mit Anderen können Bezug zur ethnologischen Arbeit kennzeichneten. vielschichtige und facettenreiche Beziehungen ent- Während seiner Forschungsaufenthalte erwarb stehen, deren Bedeutung sich durch die Absichten Peter Fuchs für die Ethnologische Sammlung der und Ziele der beteiligten Personen situationsbe- Universität Göttingen mehr als 600 Ethnographika, dingt verändern kann. Die Begegnungen mit und die eine wertvolle Ergänzung seiner Studien darstel- zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen len. Mittels dieser Objekte ist es möglich, ein tiefe- werden in der Ethnologie wissenschaftlich über res Verständnis für die Lebens- und Gedankenwelt die Methode der teilnehmenden Beobachtung do- der von ihm erforschten Kulturen zu gewinnen und kumentiert, theoretisch begründet und bewusst in- zu vermitteln. Besonders hervorzuheben ist seine terpretiert (Illius 2012: 75; vgl. auch Fischer 1992: Zusammenarbeit mit dem Institut für den Wissen- 79). Das Bestreben eines Ethnologen ist es, „her- schaftlichen Film (IWF) in Göttingen. Im Verlauf auszufinden, wie fremde Menschen ihrem Leben seiner Feldforschungen hat er 80 ethnographische einen Sinn geben“ (ebd.). Die direkte Datengewin- Filmdokumentationen aufgenommen, von denen nung erfolgt vor Ort. Der Feldforscher begibt sich 70 zwischen 1955 und 1979 in der Encyclopedia dabei persönlich in die authentische Umgebung Cinematographica veröffentlicht wurden. der Menschen, die ihn interessieren (Illius 2012: 79; vgl. auch Fischer 1992: 80). Sein Ziel ist es, ein Vertrauensverhältnis zu der Gastgesellschaft aufzu- 60 bauen und von ihr akzeptiert zu werden, um über tiefen Wunsch, sich mit der Lebensgestaltung von diese gewonnene Nähe ihre soziale Wirklichkeit Menschen aus anderen Kulturen zu beschäftigen zu entschlüsseln, zu übersetzen und verstehbar zu und „selber einmal die Welt zu bereisen“ (Inter- machen (ebd.). Aus diesem Grund überlegt sich view 2008: 2). Ihn beeindruckten fremde Länder der Forscher im Vorfeld, wie er „Zugang zu einer und Kulturen. Seine frühsten transkulturellen Be- unbekannten Gemeinschaft“ erlangen soll (Illi- gegnungen sollte er bei seinen ersten Expeditionen us 2008: 81), denn die Aufnahme in eine Gesell- in Afrika erleben, die er bereits während seines Stu- schaft hängt von den „Bedingungen der Zulassung diums in den 1950er Jahren durchführte. und der Ausgrenzungen“ ab (Hauser-Schäublin Am 2. Dezember 1928 wurde Peter Fuchs in 2003: 34). An den Forscher richten sich die unter- Wien geboren. Er stammt aus einer Familie mit schiedlichsten Erwartungen, Aufgaben und Funk- vier Kindern und wurde „schon früh zur Selbst- tionen. Für ihn ist es daher erforderlich, „ein gan- ständigkeit erzogen“ (Interview 2008: 1), was für zes ‚Spektrum unterschiedlichen Engagiert-Seins‘“ seinen weiteren Lebensweg maßgebend sein soll- aufzubringen (ebd.). Der Aufenthalt im Feld kann te. Vor allem die persönlichen und beruflichen sich als eine persönliche Herausforderung für Interessen seines Vaters beeinflussten seine Ent- den Forscher gestalten. Feldforschungen bieten wicklung. Dieser war Pädagoge, später Verleger Chancen, doch bergen sie ebenso physische und und überdies auch schriftstellerisch tätig. Er legte psychische Grenzerfahrungen. Die ersten Feld- großen Wert darauf, seinen Kindern Zugang zum forschungen, die Peter Fuchs durchführte, liegen in- gesamten künstlerischen Bereich und zur Literatur zwischen 60 Jahre zurück. Zweifellos haben sich die zu verschaffen. Bereits in seiner Jugendzeit begeis- Fragestellungen in der ethnologischen Forschung terte sich Peter Fuchs für die kulturelle Vielfalt des verändert. Die zahlreichen Publikationen von Peter afrikanischen Kontinents. Von seinen Eltern wur- Fuchs ermöglichen zum einen, den Entwicklungs- de er in seinem Bestreben gefördert (ebd.). Seine verlauf einer Wissenschaftspraxis zu verfolgen und Schul- und Jugendzeit war jedoch von den Auswir- zum anderen sukzessiv der Frage nachzugehen, wie kungen des Zweiten Weltkrieges überschattet. Im aus Begegnungen, die von anfänglicher Fremdheit Alter von 16 Jahren wurde er noch als Soldat einge- und Zurückhaltung geprägt waren, Beziehungen zogen und etwa ein halbes Jahr in der Luftabwehr gegenseitiger Akzeptanz und Freundschaft entste- eingesetzt. Auch den Einmarsch der russischen hen (vgl. auch Zwernemann 2014). Armee in Wien erlebte er mit. In dieser unsteten Zeit schlug er sich „ziemlich abenteuerlich durch“ Biographische Impressionen (Interview 2008: 2). Zwei Jahre nach Kriegsende legte er im Jahr 1947 seine Reifeprüfung ab und Lange bevor sich Peter Fuchs der Ethnologie als absolvierte in der darauf folgenden Zeit eine Lehre wissenschaftlicher Disziplin zuwandte, hegte er den im Verlag seines Vaters. Gleichzeitig begann er an 61 der Wiener Universität Germanistik und Anglistik Nachfolger Josef Haekel (1907-1973) waren ihm zu studieren, „fand das aber sehr bald wenig befrie- ebenfalls vertraut. Ergänzend dazu beschäftigte er digend“ (Interview 2014). In dieser Zeit lernte er sich vor allem mit den Arbeiten der englischen So- Walter Dostal (1928-2011) kennen, mit dem er das zialanthropologie und kannte „selbstverständlich Institut für Völkerkunde in Wien besuchte. Nach- die deutsche Literatur, Baumann und Bernatzik“ dem sich Peter Fuchs einen Überblick über das An- sowie „alle Leipziger“ (Interview 2008: 4). Da es gebot der Lehre, den Seminaren und der Praktika in der Nachkriegszeit außerordentlich schwer war, verschafft hatte, wandte er sich der Ethnologie zu: an internationale Literatur heranzukommen, nutz- „Na ja, das war interessant für mich und ich dachte, te Peter Fuchs den Besuch von DGV-Tagungen mit diesem Fach kann ich eigentlich nichts falsch oder den ICAES-Kongress2 in Wien 1952, um sich machen, egal was ich später noch machen würde“ mit Kollegen fachlich auszutauschen. Anwesend (Interview 2008: 2). Peter Fuchs studierte Ethnologie, waren auch Edward E. Evans-Pritchard (1902- Anthropologie, Afrikanische Sprachen, Philosophie 1973) oder Adolf Ellegard Jensen (1899-1965) sowie Psychologie1 und arbeitete parallel dazu wei- (Interview 2008: 3-4). Als Vorbereitung für seine terhin in der Verlagsbranche. Das Spektrum seiner Feldforschungen griff Peter Fuchs auf grundle- Interessen war sehr breit und er probierte sich auf gende Publikationen diverser deutscher und fran- verschiedenen Gebieten aus: zösischer Afrikaforscher zurück. Dazu gehörten beispielsweise die Werke Gustav Nachtigals (1834- „Ich interessierte mich auch für Theater, habe einmal ein 1885), Heinrich Barths (1821-1865) oder jene von Regiepraktikum am Wiener Burgtheater gemacht. Das Charles de Foucauld (1858-1916). Lehrveranstal- war eine tolle Erfahrung! Dann habe ich mich für Film tungen zur Feldforschungspraxis wurden damals interessiert und kam über einen Studienkollegen in Ver- noch nicht angeboten. Der Ethnologin Bettina bindung mit einem etwa gleichaltrigen Mann, der experi- Beer (2003: 9) zufolge mussten sich „Feldforscher mentelle Filme machte. Sein Name ist Herbert Vesely, er früherer Generationen“ noch mit „wohlgemein- wurde ein Pionier des künstlerischen Experimentalfilms“ ten Ratschlägen ihrer Lehrer begnügen“. Inten- (Interview 2008: 3). sive Vorbereitungen, umfassende Lektüre und Kontaktaufnahme zu Institutionen im Gastland gal- Während seines Studiums setzte sich Peter Fuchs ten jedoch als entscheidend für das Gelingen einer unter anderem mit den Theorien der Kulturkreis- Feldforschung, ebenso wie eine sorgsame Planung lehre auseinander, die Pater Wilhelm Schmidt (1884- von Struktur, Ablauf, dem methodischen Vorgehen 1954) und Pater Wilhelm Koppers (1886-1961) als oder Erlernen der wichtigsten lokalen Verkehrs- die sogenannte „Wiener Schule der Kulturkreisleh- sprachen. Detaillierte Vorkenntnisse, also der re“ entworfen hatten. Die weiterführenden For- Erwerb von spezifisch kulturellem Wissen,- er schungen von Koppers Assistenten und späterem leichtern angemessenes Verhalten und fördern die 62 „Akzeptanz der eigenen Person durch die Gastge- lein bringt es nicht, du musst nach Afrika!“ (Inter- ber“ (Illius 2012: 82). Dazu gehört auch eine Aus- view 2008: 3). rüstung, die den lokalen Gegebenheiten angepasst ist. Der Ethnologe Bruno Illius (2012: 79) geht Forschen davon aus, dass Forschungsvorhaben „nicht selten mit persönlichen Überlegungen“ beginnen. Dies Im Jahr 1951 war es dann so weit: Gemeinsam mit traf auch auf Peter Fuchs zu. Ausschlaggebend für seinem Studienkollegen Andreas Kronenberg und ihn war dabei die Überzeugung: „das Studium al- Edith Fischer brach Peter Fuchs als einer der jüngs-

Abb. 19 Peter Fuchs in Fachi, Privatarchiv Fuchs, 1976

63 ten Forscher ins Hoggar-Gebirge der südlichen Wetter angefangen. Es ist entsetzlich kalt, nebelig Sahara zu den nomadisierenden Tuareg auf. Die und von Zeit zu Zeit regnet es“ (Fuchs 1953: 15). Vorbereitungen für diese Expedition gestalteten Die Enttäuschung hielt an: trotz engagierter Vor- sich im Kontext der Nachkriegszeit als schwierig. bereitungen und spezifisch kulturellen Kenntnissen, Fast drei Jahre lang war Peter Fuchs mit der Or- wurden den Forschern die Grenzen ihrer Anstren- ganisation beschäftigt, um die Finanzierung der gungen vor Ort bewusst: Reise zu sichern, von der französischen Kolonial- verwaltung eine Einreisegenehmigung einzuholen „Kronenberg und ich hatten in Wien versucht, die Grund- und die Ausrüstung zusammen zu stellen (Fuchs begriffe des Tamahaq, der Tuaregsprache, zu erlernen. […] 1953: 8). Erschwerend kam hinzu, dass der Zugang Allerdings haben die Tuareg kein Wort von uns verstanden, zu Informationen über Reisemöglichkeiten oder weil wir Tamahaq mit Wiener Akzent sprachen! […] Es Transportmittel stark beeinträchtigt war. Die Reise- dauerte etwas, bis wir dahinter kamen, wie man das richtig führer aus der Vorkriegszeit waren veraltet und es ausspricht. Aber es hat ihnen schon gefallen, wenn wir we- war unmöglich, aktuelle französische Literatur zu nigstens ein bisschen Tamahaq sprachen“ erwerben. Eine Aussicht auf Fördergelder gab es (Interview 2008: 7). nicht und so führte er die Vorbereitungen äußerst kreativ in Eigenregie durch: Im Verlauf der Expedition gerieten Peter Fuchs und seine Reisebegleiter häufiger in „ernste und „Die Ausrüstung bekam ich zum Teil von Firmen geschenkt. unangenehme Situationen“ (Fuchs 1953: 51). Die Ein Zelt bekam ich von einer Zeltfabrik, von einer anderen französische Militärbehörde in Tamanrasset (Alge- Firma bekam ich Rucksäcke; von der Firma Swarovski, die rien) verweigerte ihnen anfänglich die Weiterreise damals noch wenig bekannt war und heute eine Weltfirma zu den Tuareg ins Hoggar-Gebirge, weil sie das ist, bekam ich ein Fernglas. Die Kodakvertretung in Wien Expeditionsteam der Spionage verdächtigte. Im verkaufte mir Filmmaterial, ich konnte sogar ausnahmswei- Lager der Tuareg angekommen, war der „Empfang se drei Farbfilme erstehen. Das waren die ersten Farbfilme, keineswegs freundlich“ (Fuchs 1953: 42-48). Die die ich in der Hand hatte“ (Interview 2008: 5). Forscher waren verzweifelt, wie im Tagebuch von Peter Fuchs nachzulesen ist: Der erste Kontakt mit dem afrikanischen Konti- nent entsprach allerdings nicht seinen Erwartungen. „Wir sind über den Empfang sehr niedergeschlagen. Wenn In dem Erlebnisbuch „Im Land der verschleierten wir diese Krise nicht überwinden können, dann ist die Expe- Männer“, das im Jahr 1953 veröffentlicht wurde, dition gescheitert. Wie viele mir prophezeit haben. Alle Hoff- schildert Peter Fuchs seinen Eindruck: „Das also nungen, alle Erwartungen mit einem Schlag vernichtet. Sind ist Afrika! Ich habe es mir anders vorgestellt. Al- wir die vielen tausend Kilometer vergeblich gefahren? Als wir gier ist jedenfalls eine Enttäuschung. Schon beim das Lager erreichten, dachten wir uns am Ziel. Nun müssen 64 wir einsehen, daß wir nie so weit davon entfernt waren wie Sahara zu den Tuareg reiste“ (Interview 2008: 7). eben jetzt. Und alles hängt an ein paar Litern Wasser…“ Wie die Schilderungen des Reisebuches „Im Land (Fuchs 1953: 52). der verschleierten Männer“ (1953) verdeutlichen, Erst durch die Rückkehr des zu dem Zeitpunkt verlaufen Feldforschungen „nur selten ohne Blut, abwesenden amenokal (Clanchef der Tuareg) und Schweiß und Tränen ab“ (Illius 2012: 76). Die seiner Zustimmung änderten sich die Umstände. Publikation, die in fünf Sprachen übersetzt wurde, Die Aufzeichnungen von Peter Fuchs zeigen, dass traf den Nerv der Zeit und war überaus erfolg- die Anwesenheit eines Forschers in der Gastgeber- reich. Die Erlebnisse, die er bei dieser Expedition gesellschaft nicht automatisch zu einer erfolgrei- gemacht hatte, vermittelte er einem kulturell inter- chen sozialen Beziehung führt, sondern dass dies essierten Publikum in einer Reihe von Vorträgen in ein Prozess ist, der von vielen unterschiedlichen Deutschland, Österreich und der Schweiz: Faktoren abhängt. Nach und nach gewannen die Studenten jedoch das Vertrauen der Tuareggemein- „Damit war dann auch völlig klar, dass ich beruflich auf schaft. Dieser Umstand wirkte sich auf den weite- jeden Fall in Richtung Ethnologie gehen würde. Außerdem ren Forschungsverlauf aus. Sobald das Team akzep- hatte ich auch schon mein Dissertationsthema, über den »To- tiert und so weit wie möglich in die Lebenswelt der temismus der Niloten« […]“ (Interview 2008: 7). Tuareg integriert war, wurde es bei Krankheits- fällen zu Rate gezogen, aber auch in private oder Im Jahre 1954 schloss Peter Fuchs seine Promo- politisch motivierte Konflikte involviert (Fuchs tion ab und arbeitete zunächst zehn Jahre lang 1953: 92-220). Auch extreme Alltagssituationen als freiberuflicher Ethnologe – hauptsächlich in teilten sie mit den Tuareg: Deutschland – (ebd.). In dieser Zeit führten ihn weitere Feldforschungen in Richtung Sahara. In „Hunger! Das ist unsere Lage. […] Wir sprechen in den seiner Publikation „Weißer Fleck im schwarzen Mittagsstunden, wenn man zum Nichtstun verurteilt ist, Erdteil. Meine Expedition nach Ennedi“ aus dem gerne von zu Hause. Besonders von Dingen, die wir dort Jahr 1958, gewährt Fuchs Einblick in die Art und nicht essen wollten. Wir gäben einiges darum, könnten wir Weise, wie er die Situation im nordöstlichen Tschad wenigstens ein paar Bissen davon haben. Die Wasserver- und die von ihm ausgeübten unterschiedlichen sorgung ist schwierig, denn das Wasser wird weniger und Rollen emotional bewältigte. Diese selbstreflexi- braucht lange, bis es nachfließt. Wir müssen sehr sparen“ ve Betrachtung seiner eigenen Person und Rollen (Fuchs: 1953: 221). in der Forschungssituation bleiben für ihn eine kennzeichnende Haltung, die in den 1950er Jahren Zurück in Wien war Peter Fuchs „plötzlich ein be- innerhalb des wissenschaftlichen Kanons jedoch rühmter Mann […]: Das gab es überhaupt nicht, noch eine Ausnahmeerscheinung darstellte. Bis in dass jemand nach Afrika reiste, dass jemand in die die 1960er Jahre verarbeiteten Feldforscher ihre 65 persönlichen Erfahrungen noch vorrangig in priva- de ich nicht besonders freundlich gewesen sein. Als wir uns ten Aufzeichnungen und Tagebüchern. Die nach- nach einer kurzen Unterhaltung trennten, hast du wohl folgende Ethnologengeneration kritisierte, dass ebenso besorgt an die kommenden Wochen gedacht wie ich. dadurch die Komplexität der Forschungssituation Damals sah ich mein ganzes Unternehmen gefährdet, weil nicht vollständig erfasst wäre. Eberhard Berg und mir die Person des Führers Adigei wenig vertrauenserwe- Martin Fuchs (1995: 64 ff.) bezeichnen dieses Phä- ckend erschien. Was halfen alle Bedenken? Es gab keinen nomen als „Abspaltung des subjektiven Moments“ anderen Führer, und ich mußte versuchen, mit diesem wenig (ebd.). Diese „abgespaltene Seite“ fand ihren Aus- sympathischen, unfreundlichen Mann Kontakt zu finden“ druck zunächst in „Form romanähnlicher Verar- (Fuchs 1958: 31-32). beitungen der eigenen Feldforschungsgeschichte“. Als bekanntestes Beispiel gilt „Rückkehr zum La- Peter Fuchs nutzte diese Darstellungsform, um chen“ (1954) von Eleonore Smith Bowen (1922- über methodologische Probleme zu reflektieren. 2002) alias Laura Bohannan (ebd.). Peter Fuchs Seinen Lesern gewährte er dadurch Einblick in den gehört durch seine Publikationen „Im Land der dialogischen Charakter seiner Arbeit sowie in seine verschleierten Männer“ (1953) und „Weißer Fleck Gefühlswelt, wodurch sich der Erkenntnisgewinn im schwarzen Erdteil. Meine Expedition nach erhöhte. In dem Kapitel „Blutrache“ problemati- Ennedi“ (1958) zu den Vordenkern einer reflexi- sierte er, in welch unerwartete und unerwünschte ven und kritischen Ethnologie, die eine veränderte Rollen ein Forscher geraten kann.3 Peter Fuchs Betrachtung des methodischen Vorgehens unter (1958: 76) stand zwischen den Wünschen seiner Einbeziehung eines individuell geprägten Schau- Gastgeber, der „feindlichen Familie“ und den platzes in der Feldforschungssituation befürworte- Kompetenzen der Militärbehörde. Die Anwendung ten. seines lokalen Wissens inklusive einer emotionalen Zum Ausdruck brachte er dies beispielswei- Anteilnahme wurde zu seiner wirksamsten Waffe se in seinen Beschreibungen über die Gestaltung und förderte überdies das Vertrauensverhältnis zu seiner Beziehung zu Adigei, seinem Begleiter und seinem Begleiter Adigei: Informanten in Ennedi. Mit größter Souveränität offenbart er seine Zweifel und widersprüchlichen „Ich kam mir sehr klein vor in dem Augenblick, als Anu Gefühle: die Schilderung des Vorfalls mit den vertrauensvollen Wor- ten schloß: „Ich bin ein alter Mann, und ich bitte dich, den „Armer Adigei. Ich war ziemlich unangenehm berührt, als Frieden wiederherzustellen. Es ist genug Blut geflossen. Du ich dir das erstemal begegnete. […] Ich verdenke dir auch vermagst es.“ Wie arm und machtlos war ich doch. Ein nicht, daß du mich mißtrauisch und zweifelnd gemustert einsamer Wissenschaftler, ohne wirkliche, verbriefte Autori- hast, als ich dir von meinem Vorhaben erzählte. Bei un- tät, nur mit einem unbewaffneten Schwarzen als Leibgarde. serem ersten Zusammentreffen vor dem Fort in Fada wer- Was konnte ich gebieten oder verbieten? […] Die Drohung 66 mit dem Papier war meine einzige Hoffnung. […] Ein ge- „Er trägt die gleiche Tropenkleidung und fährt den schriebenes „Papier“ ist in Ennedi unter Umständen mehr gleichen Geländewagen. Es bedarf einiger Zeit wert als das beste Gewehr. Der Mann ging. Als er wieder- und großer Geduld, bis sich unter den Landes- kam, war es Mittag geworden. Er brachte die Versicherung bewohnern herumgesprochen hat, daß der neue mit, es würde vorläufig niemand behelligt werden. Adigei Weiße ‚harmlos‘ ist“ (Fuchs 1970: 15). Überdies blähte sich auf wie ein Pfau, als diese Nachricht eintraf thematisiert er die Konsequenzen des transkul- und bei den Leuten von Sokoja mit Dank und Erleich- turellen Drucks, mit dem sich ein Ethnologe im terung aufgenommen wurde. Siehst du, Herr, wie uns die Feld als Kontaktpartner in einer anderen Kultur Leute fürchten?“ sagte er. Er betonte das „uns“ besonders ausgesetzt sieht, sowie das Bedürfnis, den eigenen (Fuchs 1958: 77-78).4 soziokulturellen Hintergrund zu bewahren:

Weitere Forschungsvorhaben führten Peter Fuchs „Ich habe gerne in den Dörfern der Hadjerai gelebt, aber ich wieder in den Tschad. Von Günther Spannaus will nicht leugnen, daß mir die gelegentlichen Besuche auf (1901-1984), damals Professor am Göttinger den Missionsstationen von Mukulu, Korbo, Daduar, Sara, Institut für Völkerkunde, erhielt er 1964 das Baro und Mongo ein echtes Bedürfnis waren. Die Begegnung, Angebot, als Assistent am dortigen Institut zu ar- das Gespräch mit Menschen, die meiner eigensten kultu- beiten, „mit der Option für eine Habilitation“ (In- rellen Welt angehören, half mir nicht nur die bei langen terview 2008: 8). Zu Spannaus pflegte Fuchs bereits Feldaufenthalt unvermeidlichen physischen und psychischen über dessen Tätigkeit am Institut für den wissen- Krisen zu meistern, sondern ich konnte auch von den Missi- schaftlichen Film (IWF) in Göttingen eine enge Be- onaren stets technische oder ärztliche Hilfe erwarten“ ziehung (vgl. auch Rolf Husmann in diesem Band). (Fuchs 1970: 11). In den Jahren 1963-1964 begann Peter Fuchs über die Kulturen der Hadjerai im zentralen Tschad zu Der Ausbruch des Bürgerkriegs im zentralen arbeiten. Erstmals wurde eines seiner Projekte von Tschad 1965 verhinderte die Durchführungen wei- der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) terer geplanter Forschungsprojekte in der Region. finanziert. Bis dahin hatte er seine Reisen größ- Peter Fuchs beschreibt sein Dilemma: „In einer tenteils über Kredite bestritten (Interview 2008: Situation, wo man also immer misstrauisch sein 8). Aus diesem Forschungsvorhaben ging seine muss und keinem über den Weg trauen kann, kann Habilitationsschrift „Kult und Autorität. Die Reli- man keine ethnologische Arbeit machen“ (Inter- gion der Hadjerai“ hervor, die 1970 veröffentlicht view 2014). Erst im Jahr 1991 war es ihm wieder wurde. Auch hier ist eine Transparenz über die möglich, „nach N’Djamena zu reisen und frühere Bedingungen seiner Forschungssituation erkenn- Kontakte wieder herzustellen“ (Fuchs 2010: 172). bar. Dies betrifft die Autorität5 des Ethnologen, der Diese Situation führte dazu, dass sich Pe- „äußerlich ähnlich“ auftritt, wie der Administrator: ter Fuchs neue Forschungsziele setzen muss- 67

Abb. 20 Peter und Hille Fuchs in Fachi , Privatarchiv Fuchs, 1976 te. Die Kulturen der sesshaften saharischen Oa- „Ich war nur zwei Tage in Fachi, aber eine Erfahrung habe senbewohner im Nordosten der Republik Niger ich gleich gemacht. Hier kannst du als Mann nicht alleine kristallisierten sich als geeignet heraus. Gemeinsam arbeiten. Hier kannst du nur als Ehepaar arbeiten. Die mit seiner Frau Hille Fuchs führte er dort in den ganzen Voraussetzungen waren so, dass wenn man mit den 1970er Jahren mehrere Feldforschungen bei den Menschen auf gleicher Ebene sprechen wollte, man verhei- Kanuri der Oase Fachi durch (vgl. auch Annika ratet sein musste. […] Es war ganz generell ein anderer Brink in diesem Band). Zu diesem Umstand äußern Zugang, wenn man zu zweit kam. Die Türen standen ei- sich Hille und Peter Fuchs wie folgt: nem viel leichter offen, wenn wir eben als Paar kamen, als wenn jetzt nur ein Mann alleine gekommen wäre. Es war 68 gleich eine ganz andere Atmosphäre. Und die Frauen waren sammenhänge transparent zu machen. Über seine alle sehr offen zu mir, sehr nett zu mir […] und das hat uns Vortragstourneen, zahlreiche Filmdokumentatio- doch viele Orte geöffnet, in die wir sonst nicht hineingekom- nen und das Zusammentragen ethnographischer men wären“ (Interview 2014). Sammlungen richtete sich Peter Fuchs an eine All- gemeinheit, die sich für fremde Länder und Kultu- Dieses funktionierende stabile Vertrauensverhält- ren interessierte. Bei seinen intensiven Sammelakti- nis, das Hille und Peter Fuchs zu der lokalen Be- vitäten kam ihm sein breites lokales Wissen zugute. völkerung aufbauen konnten, ermöglichte es ihnen, Der Erwerb der ersten Stücke von den Tuareg war spezifische Ereignisse visuell zu dokumentieren persönlich motiviert, wie Fuchs es etwa in dem Ka- und ihre Sammelaktivitäten intensiv zu verfolgen. pitel „Skandal“ aus „Im Land der verschleierten Der Ethnologe Hans Fischer (1992: 79) vertritt Männer“ (1953) darlegt: die Ansicht, dass es eine Vielzahl von Quellen gibt, die einem Feldforscher als Datengrundlage „Ich schlenderte zu dem nächstgelegenen Zelt und fand dort dienen. Dazu zählt er „Fotos, Filme, Tonaufnah- einige Frauen und Kinder versammelt, die mich neugierig men, Zeichnungen oder gesammelte Gegenstände und freundlich begrüßten. Milch wurde mir angeboten und und Rohmaterialien“ (ebd.). Peter Fuchs nutze die als sie merkten, wie ich interessiert die Lederarbeiten mus- gesamte Bandbreite der genannten Quellen. Sein terte, die einige von ihnen in der Hand hatten, kramten sie Interesse an materieller Kultur als Ausdruck einer gleich andere Handarbeiten aus und wollten sie mir verkau- immateriellen geistigen Idee sowie Identität einer fen. Ich begann um ein kleines Ledersäckchen zu handeln, Gesellschaft führte dazu, dass er verschiedene eth- das besonders reizvoll verziert war, als einer der Männer nographische Sammlungen jener Gesellschaften des Königs kam, mich in das Zelt zurückzuholen. […] Als anlegte, bei denen er lebte und forschte. Die Ob- wir die Zelte erreichten, ging der König voran, als ob sie jekte illustrieren dabei häufig eine „Überschreitung nicht vorhanden wären, bestieg sein Kamel und ritt, ohne ein gesellschaftlicher Grenzen“ und lassen auf diese Wort des Abschieds, den Weg zurück. Wir kehrten heim. Weise einen transkulturellen Stil erkennbar werden Seine Männer folgten ihm sogleich. Ich aber hatte wegen des (Hahn 2005: 8). kleinen Ledersäckchens mit den Frauen noch einen Handel auszutragen. Ich erwarb es schließlich zu einem günstigen Sammeln und Lehren Preis und nahm es als Erinnerung an dieses Abenteuer mit“ (Fuchs 1953: 115-120). Von Beginn an verfolgte Peter Fuchs die Absicht, sein erworbenes Wissen nicht nur einem wissen- Das Anlegen einer systematischen und nach wis- schaftlichen Kreis zu präsentieren, sondern sei- senschaftlichen Kriterien ausgerichteten Samm- ne Erkenntnisse auch einer breiten Öffentlichkeit lung, die sich thematisch vor allem einem tieferen zur Verfügung zu stellen, um weltpolitische Zu- Verständnis des Alltagslebens der von ihm er- 69 forschten Kulturen widmete, entwickelte sich zu und schlussfolgert, dass es im Kontext der Er- einem festen Bestandteil seiner Feldforschungen. werbstätigkeit durchaus auch negative Aspekte zu Materielle Kultur fasst er als Indikator für gesell- bedenken gibt, über deren Auswirkungen sich der schaftliche Zusammenhänge und Wandlungen auf. Ethnologe im Klaren sein sollte: Auch die Berücksichtigung spezifischer Formen und Materialien werden zu entscheidenden Samm- lungskriterien, die kontextabhängig und interpreta- tiv sind. Bei seiner Sammelaktivität konzentrierte sich Peter Fuchs bewusst auf Alltagsgegenstände, die anfangs – also in den 1950er Jahren – noch auf Tauschhandel basierte:

„Ziemlich am Anfang meiner Sammlertätigkeit in Afrika war die Situation anders, als sie jetzt ist. Es war weniger monetär, also auf Kaufen, mit Geld bezahlen, ausgerichtet. Ich kann mich erinnern, dass die ersten Sammlungen, die ich machte, hauptsächlich auf Tauschbasis waren. Na, ich hat- te da meistens Tee und Zucker in dieser Region, und dann habe ich gegen Tee und Zucker irgendwelche Objekte, von de- Abb. 21 Karteikarte zur Satteltasche aus Agadez, nen ich meinte, dass sie für eine Sammlung interessant wären, Niger, Ethnologische Sammlung eingehandelt. Das war aber meistens keine Schwierigkeit in den Gegenden, in denen ich gearbeitet habe, da die Objekte „Wir sind vorwiegend an alten Stücken interessiert, die des täglichen Lebens keinen Unikatwert haben. Das ist das, – auch wenn ihr Funktionswert objektiv gering ist – doch was man immer hat, womit man immer arbeitet, wo es über- meist einen Erinnerungswert oder emotionale-religiöse Werte haupt kein Problem macht, wenn jemand zum Beispiel eine anderer Art oder solche für das Prestige der Eingeborenen Erdhacke oder anderes Werkzeug verkauft. Das macht gar haben, die unter Umständen auch ihren Funktionswert im nichts. Entweder er macht sich ein neues oder er hat ohnehin Einzelfall subjektiv erhöhen“ (Schlesier 1962: 132). mehrere Exemplare davon. […] Also das ist in dieser Rich- tung gar kein Problem“ (Interview 2014). Bereits in den 1960er Jahren begann sich das Prozedere des Sammlungserwerbs zu verändern Dieser Ansatz entsprach auch dem seines Kollegen und Peter Fuchs erwarb Objekte schließlich auf Erhard Schlesier. In seinem Artikel „Der Völker- „Geldbasis“ (Interview 2014). Das Spektrum und kundler als Kontaktpartner“ (1962) problematisiert die Zielsetzung seiner Sammlungsaktivitäten er- Schlesier die Sammelaktivitäten eines Feldforschers weiterten sich ebenfalls. So hat er im Auftrag für 70 verschiedene Museen Sammlungen angelegt, unter Motive spielen beim Produktionsprozess eine ent- anderem etwa für das Tschadische Nationalmuse- scheidende Rolle. Das Aufgreifen charakteristischer um (ebd.). Peter Fuchs beobachtete einen sich mo- Muster oder Ikonographien kann innerhalb von difizierenden Sammlungsprozess, der die Intensität Prozessen gesellschaftlichen Wertewandels eine des kulturellen Dialogs und Transfers zwischen den ethnisch spezifische Bedeutung einnehmen. Durch beteiligten Handelspartnern sowie zwischen den lo- eine genaue Beobachtung ihres Umgangs und ihrer kal bestehenden ethnischen Gruppen verdeutlicht. Kontexte in der Region konnte Peter Fuchs diese Die Ethnographika aus seinen Forschungsregionen transkulturellen Facetten in den Dingen aufspü- repräsentieren eine einzigartige Kulturdarstellung ren und sie bei seiner Rückkehr vermitteln. Dies dieses Zeitraums, die sowohl die Bedeutung der tat er beispielweise in seinen Lehrveranstaltungen, indigenen Handwerkskunst, des interethnischen die er mit Antritt seiner Stelle in Göttingen 1964 Handelsnetzwerkes als auch der kulturspezifischen wahrnahm. In seinen Veranstaltungen verfolgte Materialität und Ikonographie der Objekte selbst Peter Fuchs den Anspruch, anwendungsorientierte abbilden, deren Ornamentik bzw. Symbolik eine Methoden mit praxisbezogener Forschung zu Dynamik der ethnischen Identität ihrer Hersteller verbinden. Die Studierenden sollten Kenntnisse offenbart. erwerben, die auch in ein Tätigkeitsprofil außerhalb In der Ethnologischen Sammlung der Univer- der Ethnologie passen würden. Viel Wert legte er sität Göttingen befinden sich neben Alltagsgegen- auf selbstständiges Arbeiten: ständen auch Würdezeichen und Prestigegüter, die bis heute das Potential ihrer Transkulturalität – also „Die meisten werden nach dem Studium wahrscheinlich nicht die Abbildung gegenseitiger kultureller Beeinflus- in der Ethnologie bleiben und dennoch wird man von ihnen sung – zwischen den ethnischen Gruppen der Re- erwarten, dass sie im Stande sind, ein Problem mit wissen- gionen, die Fuchs erforschte, erkennen lassen. Die schaftlichen Methoden zu lösen“ (Interview 2008: 9). Objekte, die Peter Fuchs zwischen 1952 und 1996 zusammentrug, werden dabei zu Trägern kultureller Eine praxisbezogene Ausrichtung hatten auch Elemente, durch die sich ein interethnischer Trans- die Veranstaltungen, aus denen die Sonderaus- fer entfaltet. Sie legen dar, welche Komponenten stellungen zu seinen Forschungen hervorgingen, in einer intensiven Kontaktsituation übernommen wie etwa „Tschad“ im Jahre 1966, „Fachi – Oase und welche abgelehnt werden (Harmsen 1999: 2). der Sahara“ 1974 oder „Sahara ‘79“. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Entwürfe und Produktion der Objekte. Dazu gehören der persönliche Geschmack und die Kreativität der Hersteller ebenso wie Modeerscheinungen. Das Material oder die Wahl bestimmter Symbole und 71 (Interview 2008: 8-9). Bereits in seiner Publikation „Weißer Fleck im schwarzen Erdteil. Meine Expe- dition nach Ennedi“ (1958: 10) verdeutlicht Peter Fuchs, dass sich die Kulturen der Menschheit un- unterbrochen verändern. Diese Aussage zeigt einen bestimmten Blick auf Kultur, der sich durch seinen dynamischen Charakter auszeichnet. Peter Fuchs setzt sich in seinen Studien mit den Prozessen aus- einander, die darlegen, wie Kultur „weiter vermit- telt, modifiziert, neu geschaffen und instrumenta- lisiert“ wird (Hauser-Schäublin/Braukämper 2002: 9). In seinen Arbeiten thematisiert er, wie verschie- dene Netzwerke innerhalb eines Gesellschaftssys- Abb. 22 Abschiedsfeier für Peter Fuchs tems entstehen, wie Machtpositionen ausgehan- (hier zusammen mit seiner Frau Hille), delt werden und welche Auswirkungen sie auf die Harry Haase, 1994, wissenschaftliches Bevölkerung haben. Dazu gehören Strategien, die Kulturarchiv am Institut für Ethnologie Menschen entwickeln, um mit diesen oftmals in Kritische Würdigung sich widersprüchlichen Dynamiken zu leben oder sie zu verändern. Abgebildet wird die Prozesshaf- In seiner 40-jährigen Berufspraxis hat Peter Fuchs tigkeit von Gesellschaften, aber auch die Kreativi- einige Schulen, Krisen und Wenden der ethnolo- tät eines kulturellen Transfers zwischen ethnischen gischen Disziplin miterlebt. Beschäftigt man sich Gruppen, die impliziert, dass die Leistungsfähig- näher mit seinen Publikationen, wird deutlich, dass keit einer Gesellschaft nicht in der Ausgrenzung, er, ebenso wie sein Kollege Erhard Schlesier, im- sondern vielmehr in ihrer Anschlussfähigkeit liegt mer wieder bemüht war, „Klarheit über die Auf- (Welsch 1999: 56f.). gaben und Ziele der Forschung zu gewinnen“ und Um Zusammenhänge zwischen lokalen Ereig- sich mit den „Möglichkeiten und Grenzen“ einer nissen mit globalen Auswirkungen verstehbar zu angewandten Ethnologie auseinander zu setzen machen, verfolgte Peter Fuchs eine (Schlesier 1957: 91). Peter Fuchs sieht sich selbst nicht als einen historischen Ethnologen, dennoch „erklärende Ethnologie sozialer und politischer Prozesse, kommt seiner Ansicht nach „immer wieder die die in scheinbar marginalen Erdregionen stattfinden, den Frage auf, wie die Dinge zu dem wurden, was sie meisten Menschen in den westlichen Industrieländern nicht heute sind“ und welche gesellschaftlichen Prozes- einmal namentlich bekannt, und doch plötzlich so nahe, se zu der „jetzigen Gemeinschaft“ geführt haben dass sich die Vereinten Nationen veranlasst sehen, nicht 72 nur Hilfsgüter, sondern auch Soldaten zu entsenden, um Clifford, James die außer Kontrolle geratene Region wieder zu stabilisieren“ 1999 Über ethnographische Autorität. In: Berg, (2010: 166). Eberhard und Martin Fuchs (Hrsg.). Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographi- Religiöse, kulturelle und politische Unterschiede schen Repräsentation. Frankfurt am Main: sind nicht nur an einem Ort, einer Stadt, sondern Suhrkamp. S. 109-157. häufig auch in einer Biographie präsent (Beck 1998: 7). Die vielseitigen Arbeiten von Peter Fuchs Fischer, Hans dokumentieren, dass die Auseinandersetzung mit 1992 Feldforschung. In: Fischer, Hans (Hg.). transkulturellen Prozessen eine wichtige Voraus- Ethnologie. Einführung und Überblick. Berlin/ setzung für den Dialog zwischen den Kulturen Hamburg: Reimer. S. 79-99. geworden ist. Seine Publikationen belegen, dass gegenseitiges Verständnis und Vertrauen oft erst Fuchs, Peter durch die Überwindung von Konflikten und in 1953 Im Land der verschleierten Männer. Wien: einem Netzwerk sich wandelnder Biographien Amandus. erfolgt. 1958 Weißer Fleck im schwarzen Erdteil. Meine Verwendete Literatur Expedition nach Ennedi. Stuttgart: Engelhorn.

Beck, Ulrich 1961 Die Völker der Südost-Sahara. Tibesti, 1998 Vorwort. In: Beck, Ulrich (Hrsg.): Borku, Ennedi. Wien: Braumüller. Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 7-10. 1970 Kult und Autorität. Die Religion der Hadjerai. Berlin: Reimer. Beer, Bettina 2003 Einleitung: Feldforschungsmethoden. In: 1983 Das Brot der Wüste. Sozio-Ökonomie der Beer, Bettina (Hg.) Methoden und Techniken der Sahara-Kanuri von Fachi. Studien zur Kultur- Feldforschung. Berlin: Reimer. S. 9-31. kunde. Band 67. Wiesbaden: Steiner.

Berg, Eberhard und Martin Fuchs (Hrsg.). 2010 Die Ethnisierung nationaler politischer 1999 Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der Konflikte im Tschad und in Darfur (Sudan). In: ethnographischen Repräsentation. Frankfurt am Dohrmann, Alke, Bustorf, Dirk und Nicole Main: Suhrkamp. Poissonier (Hg.): Schweifgebiete. Festschrift für Ulrich Braukämper. Münster: LIT. S. 166-175. 73 Hahn, Hans Peter Interview mit Peter Fuchs vom 06. 10. 2014, 2005 Materielle Kultur. Eine Einführung. durchgeführt am Institut für Ethnologie (nicht als Berlin: Reimer. Transkription veröffentlicht).

Harmsen, Andrea Mischo, John 1999 Globalisierung und lokale Kultur. 1966 Parapsychologische Phänomene in der Feld- Eine ethnologische Betrachtung. Hamburg: LIT. forschung des Ethnologen. In: Neue Wissenschaft: Zeitschrift für Grenzgebiete des Seelenlebens. Hauser-Schäublin, Brigitta Bern: Francke. Band 14. S. 106-114. 1997 Blick zurück im Zorn: Ethnologie als Kulturkritik. In: Zeitschrift für Ethnologie. Berlin: Schlesier, Erhard Reimer. Band 122. S. 3-17. 1964 Der Völkerkundler als Kontaktpartner: Er- fahrungen in Neuguinea 1961/62. In: Sociologus: Hauser-Schäublin, Brigitta und Ulrich Braukämper Zeitschrift für empirische Ethnosoziologie und 2002 Einleitung. Zu einer Ethnologie der welt- Ethnopsychologie. Berlin: Duncker & Humblot. weiten Verflechtungen. In: Hauser-Schäublin, Band 14. S. 128-136. Brigitta und Ulrich Braukämper (Hrsg.): Ethnologie der Globalisierung. Perspektiven 1957 Möglichkeiten und Grenzen einer kultureller Verflechtungen. Berlin: Reimer. S. 9-14. „Angewandten Völkerkunde“ in Deutschland. Ein Beitrag zur Klärung der gegenwärtigen Lage Hauser-Schäublin, Brigitta der Deutschen Völkerkunde. In: Göttinger 2003 Teilnehmende Beobachtung. In: Beer, völkerkundliche Studien. Düsseldorf: Droste. Bettina (Hg.) Methoden und Techniken der Band II. S. 91-107. Feldforschung. Berlin: Reimer. S. 33-54. Welsch, Wolfgang Illius, Bruno 1999 Transkulturalität. Zwischen Globalisie- 2012 Feldforschung. In: Beer, Bettina und Hans rung und Partikularisierung. In: Interkulturalität. Fischer (Hg.) Ethnologie. Einführung und Grundprobleme der Kulturbegegnung. Mainzer Überblick. Berlin: Reimer. S. 75-100. Universitätsgespräche. Sommersemester 1998. Mainz. S. 45-72. Interviews with German Anthropologists vom 31. 05. 2008; durchgeführt am Institut für Ethnologie. Transkription: Claire Spilker, Edierung: Vincenz Kokot; Ansprechpartner: Dieter Haller. S. 1-10. 74 Zwernemann, Jürgen Partnerschaftliche Feldforschung und 2014 Ethnologische Afrikaforschung vor 60 Jah- die Reflexion der Fremdbegegnung ren. Bei den Kassena und Nuna in Burkina Faso und Ghana. Museum für Völkerkunde Hamburg. Annika Brink Neue Folge Band 47/2014. Wer in der Ethnologie als Forscherpersönlichkeit Anmerkungen ernst genommen werden will, muss sich einer Feld- 1 siehe Mischo 1966, S. 106. forschung als ‚Initiationsritus‘ unterziehen, die in der allgemeinen Vorstellung dafür sorgen soll, dass 2 DGV ist das Akronym für Deutsche man sich für mindestens ein Jahr in einer anderen Gesellschaft für Völkerkunde. ICAES steht für Interna- Gesellschaft, abgeschottet von der vertrauten Um- tional Congresses of Anthropological and Ethnological gebung, wiederfindet. Das mit dieser Vorstellung Sciences. assoziierte Bild vom einsamen Ethnologen ent- spricht indes kaum der Realität, denn nicht wenige 3 Es trifft zu, dass der Autor einer Monographie für Ethnologen bzw. Ethnologinnen gehen mit ihrem die Adressaten in dieser Zeit durchaus erkennbar war. Partner ins Feld – auch Peter Fuchs unternahm sei- Die im Text dargelegten Beobachtungen wurden dabei ne Forschungsreisen in Begleitung von Freunden jedoch nicht als subjektive Eindrücke einer bestimmten bzw. Kollegen und seiner Ehefrau. Person wahrgenommen, sondern vielmehr als Ausfüh- Die Ethnologin Christiana Lütkes vermerkt in rungen eines professionellen und dadurch scheinbar ihrer Publikation „Forschung mit Ehemann: Ein objektiven Spezialisten (Clifford 1995: 119). Dabei Nichtethnologe als Begleiter“ (2002), die auf ihrer wurden die entscheidenden, „dialogischen, situationsbe- Forschung in Papua-Neuguinea im Jahr 1991 basiert, dingten Aspekte ethnographischer Interpretation […] dass es nur wenig Literatur gäbe, in der der Leser häufig genug aus dem endgültigen repräsentativen Text überhaupt Informationen über die Familienmitglie- verbannt“ (Clifford 1995: 134). der oder Partner des Feldforschers erhält oder in der eine diesbezügliche Reflektion der veränderten For- 4 Illius (2012: 83) spricht in diesem Kontext von einer schungssituation stattfindet (Lütkes 2002: 174). Im „Belohnung“ der geleisteten Arbeit, wenn im Gespräch Zuge der ‚Krise der Repräsentation‘ ab den 1980er die „inklusive“ Form des Personalpronomens „wir“ Jahren und der fortschreitenden Globalisierung in verwendet wird. den 1990er Jahren hat sich zudem der Gegenstand der Ethnologie verändert. Akteure kommunizieren 5 Eine kritische Analyse zur Problematik der und handeln transnational, und auch die Forschung ethnographischen Autorität findet sich bei James innerhalb der eigenen Gesellschaft gewinnt zuneh- Clifford (1995: 109-157). mend an Bedeutung (Wesch 2002: 96). Als Beispiel 75 sei an dieser Stelle die Göttinger Ethnologin Brigit- jedes Detail zu untersuchen: Sich also selbst dem ta Hauser-Schäublin erwähnt, die sich mit der kul- Datensammeln zu verpflichten und nicht, wie die turellen Dimension von Organtransplantation und sogenannten „armchair-anthropologists“, sich nur Reproduktionsmedizin in Deutschland beschäftigt auf die Aussagen von Informanten zu verlassen hat (Hauser-Schäublin 2001). Angesichts einer so (Wesch 2002: 29). veränderten Forschungsperspektive gilt es zu fra- Der Begründer der ethnologischen Feldfor- gen, wie sich das Bild vom einsamen Forscher bis schung, Bronislaw Malinowski, ging darauf aufbau- heute trotzdem hartnäckig erhalten konnte. end mit seiner Forschung auf den Trobriand-Inseln noch einen Schritt weiter. Er verbrachte während Ein historischer Rückblick der Zeit, als der Erste Weltkrieg ausbrach, ein Jahr auf den Inseln südöstlich von Neuguinea und Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden ethnographi- nahm aktiv am Dorfleben teil. Dabei beschrieb Ma- sche Daten häufig von Missionaren oder Kolonial- linowski seinen Zugang zum Feld und seine Metho- beamten im Auftrag von Ethnologen, zumeist in den im Detail, wobei er beabsichtigte, einen mög- Form von ausgefüllten Fragebögen, an die Univer- lichst hohen Grad an Objektivität zu erzielen. Sein sitäten und Museen in Europa übermittelt. Die so Ziel war es, eine Anpassung der Methoden an die zusammengetragenen Informationen wurden dann Naturwissenschaften zu erreichen und dadurch die von den Ethnologen ausgewertet und veröffentlicht, Neutralität in der ethnologischen Forschung zu si- ohne dass diese jemals selbst in Kontakt mit dem chern (Wesch 2002: 38). Seine daraus resultierende „Fremden“ gekommen waren (Wesch 2002: 8). Die Monographie „Argonauts oft the Western Pacific“ Torres-Strait-Expedition von 1889/99, eine For- (1922) wurde zum Ideal der Feldforschungspraxis schungsreise, bei der Informationen über die Be- erhoben, bei der ein Ethnologe ein Jahr lang, allein wohner der Inseln zwischen Australien und Papua- und abgeschnitten von der westlichen Welt, zusam- Neuguinea direkt vor Ort, von Wissenschaftlern men mit einer Ethnie lebt und gerade aus dieser Si- aus verschiedenen Fachrichtungen aufgenommen tuation den größten Erkenntnisgewinn generieren wurden, bildete damals einen wichtigen Baustein kann (Berg und Fuchs 1993: 31). Erst als 1967 post- für die weitere methodische Entwicklung der Daten- hum seine Tagebücher durch seine Frau veröffent- erschließung und -auswertung in der Ethnologie. licht wurden, geriet seine Position ins Wanken. Die William H. R. Rivers, ein Teilnehmer der Torres- persönlichen Notizen, die ihm als Ventil für seine Strait-Expedition und Begründer der genealogi- inneren Konflikte und als Stütze zum Erhalt der schen Methode, stellte 1913 Forderungen für die eigenen Identität dienten, zeigten nun ein anderes künftigen ethnologischen Untersuchungen auf. Vo- Bild des Wissenschaftlers, der sich zuvor offenbar raussetzung für eine intensive Feldforschung sei es, gekonnt selbst inszeniert hatte (Wesch 2002: 51). mindestens ein Jahr bei einer Ethnie zu leben und Das Tagebuch enthüllte, dass es ihm nur partiell ge- 76 lungen war, seine eigenen Maßstäbe und Methoden truiert darstellt, modelliert er seine eigene Identi- konsequent anzuwenden (Hahn 2013: 209). Vor tät, die ihn dazu autorisiert, die Wahrheiten dieser allem sein Anspruch auf Objektivität und Neut- anderen Welten zu repräsentieren, zu interpretieren ralität wurde fortan in der Ethnologie stark kriti- und sogar – wenn auch immer mit gewisser Ironie – siert. Ebenso das Ausblenden der Forscherperson, an sie zu glauben“ (Clifford 2004: 197). Neben der die in Interaktion mit der indigenen Gesellschaft eigenen Konstruktion wird der Forscher im Feld steht, wie auch das Ignorieren der kolonialen Situ- mit verschiedenen Rollenerwartungen konfrontiert. ation, führte letztendlich zu einer Krise des Faches Auch aus den Forschungen von Peter Fuchs las- (Wesch 2002: 3). sen sich solche Erwartungen herauslesen: Er muss klarstellen, dass er kein Franzose ist (Algerien war Krise und Dialog französisches Kolonialgebiet), kein Missionar und auch nicht vom Militär. Zudem werden neue Defi- Als Replik auf die scheinbar unlösbaren methodi- nitionen von ihm erschaffen durch seine Tätigkei- schen Forderungen nach Authentizität und Ob- ten als Ethnologe, als „der weiße, der unser Land jektivität entwickelte sich die ‚Writing Culture‘- aufschreibt“ (vgl. S.66 ff., Interview 2014). Debatte. Der amerikanische Ethnologe Clifford Durch jedes Beobachten und Teilnehmen Geertz, der auch seine Frau Hildred mit auf seine beeinflusst der Ethnologe den lokalen Kontext. Die Reisen nahm, sah eine Zugehörigkeit der Ethnolo- Forschungssituation gleicht also viel mehr einem gie mehr bei den Sozialwissenschaften als bei den Dialog, einem wechselseitigen Prozess (Mauksch Naturwissenschaften. Er machte deutlich, dass jede 2014: 25). Ein banales Beispiel hierfür stellt allein Beobachtung gleichzeitig interpretiert wird und nur schon das Teilen der knappen Wasserressourcen durch das Vorwissen des Ethnologen eine Situation von Seiten der Tuareg mit dem Forscher dar, wel- beurteilt werden kann (Hahn 2013: 196). Aber auch ches den weiteren Umgang mit der akuten Situation bei seinem methodischen Vorgehen im Sinne einer maßgeblich verändert (Fuchs 1953). ‚Dichten Beschreibung‘ blieb die Kritik am Forscher durch das Fehlen der Reflexion der eigenen Person Möglichkeit ‚Partner‘ in der Interaktion (Wesch 2002: 63). Die Debatte verschob sich so hin zu einer Untersuchung des Wenn man die Forschungssituation aus dem Ge- Erkenntnisprozesses selbst als sozialem Phänomen sagten als einen Dialog zwischen Forscher und ‚Er- und zur Frage nach der Konstruktion von Erkennt- forschtem‘ versteht, stellt sich die Frage, inwieweit nis (Berg und Fuchs 1993: 16). Der Ethnologe ist dieser Dialog geprägt ist durch die Personen, die stets eingebunden in sein eigenes Deutungsmuster daran teilnehmen. Die Angst, aus Bereichen ausge- und handelt darauf aufbauend. „Obwohl der Eth- schlossen zu werden oder nicht aufgenommen wer- nologe das andere Selbst jeweils als kulturell kons- den zu können, wenn man nicht als Einzelperson 77 kommt, mag in bestimmten Situationen gerecht- die dort gängige soziale Einheit der Familie ermög- fertigt sein, jedoch kann das Auftreten in einer in lichte es ihm, in die Gesellschaft integriert zu wer- der Ethnie anerkannten sozialen Einheit auch von den und über Frauen und Kinder Informationen zu Vorteil sein. Ein Beispiel hierfür beschreibt Ludger sammeln, die ihm vielleicht als Einzelperson ent- Müller-Wille in seiner Arbeit „Ethnische Studien in gangen wären. Dass weitere Personen am Prozess der polaren Ökumene. Mit Familie bei Sami und der Datenerhebung beteiligt waren, verleiht dem Finnen“ aus dem Jahr 1985. Seine Frau und Kinder Autor folgend seinen Daten zudem eine gewisse waren während der gesamten Zeit anwesend und Neutralität (Müller-Wille 1985: 52).

Abb. 23 Hille Fuchs in Fachi, Niger, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976

78 In Bezug auf Peter Fuchs‘ Begegnungen mit den Frau und baute zu ihr eine Beziehung auf (Fuchs Tuareg und Kanuri der Oase Fachi in den 1950er 1953: 23). und 70er Jahren wird auch bei ihm deutlich, dass Bei seiner Forschungsreise nach Fachi (Niger) die Begleitung von Freunden bzw. Kollegen und war es seine eigene Frau Hille Fuchs, die ihn beglei- seiner Frau Hille von Vorteil waren. Es war ihm tete. Sie öffnete nicht nur ansonsten verschlossene möglich, Kenntnisse über alltägliche Bereiche zu Lebensbereiche zu den Frauen, sondern implizierte gewinnen, die er als Mann beobachten durfte, und noch eine weitere Dimension: Als er das erste Mal durch weibliche Begleitungen erhielt er Zugang zu alleine und nur für zwei kurze Tage in der Oase Informationen, die er aufgrund seines Geschlechts Fachi ankommt, bemerkt er sofort: „Die ganzen in den streng muslimischen Gesellschaften nicht al- Voraussetzungen, wie sie waren, waren so, dass lein hätte zusammentragen können (vgl. S.67ff. In- wenn man mit den Menschen auf gleicher Ebene terview 2014). Seine Frau Hille macht im Interview sprechen wollte, musste man verheiratet sein“ (In- ebenfalls deutlich, welche Chance sich durch ihre terview 2014). So war es vorteilhaft für die nach- Begleitung ergab: folgende Zeit, dass seine Frau dabei war und in die Forschung mit einbezogen werden konnte. „Und die Frauen waren also alle sehr offen und zu mir, sehr Eine solche Frage partnerschaftlicher Prä- nett zu mir und es war sofort auch so eine gewisse weibliche senz und Partizipation bei der Forschung wurde Solidarität zwischen mir und den Frauen da und das hat ebenfalls von der Göttinger Ethnologin Andrea uns doch viele Orte geöffnet in die wir sonst nicht hinein ge- Lauser bereits vor längerer Zeit angeschnitten: Sie kommen wären“ (vgl. S.67ff. Interview: Hille Fuchs 2014). forschte mit ihrem Mann 1986/88 in einer Dorf- gemeinschaft auf den Philippinen und stieß dort Bei seiner ersten Reise zu den Tuareg 1952 nahm auf erkennbare Hindernisse, als ihr Mann eine Zeit Fuchs, u.a. aus Furcht vor Überfällen, seinen Stu- nicht bei ihr war. Als sie nicht mehr in der bei den dienkollegen Andreas Kronenberg mit. Durch Mangyan wichtigen sozialen Einheit des Paares auf- dessen Untersuchungen war ihm bekannt, dass traten, schlug ihr zusätzlich zu dem Umstand, dass die Tuareg verwandtschaftlich matrilinear orga- sich vor allem die Männer ihren Beobachtungen nisiert sind (Interview 2008). Insofern war es ein und Fragen entzogen, Unverständnis und Abwehr überlegter Entschluss, Edith Fischer mitzuneh- entgegen. Das Herumwandern ohne männlichen men, denn sie war es, die den Kontakt zur weib- Begleiter bescherte ihr den Ruf einer Hexe. Die lichen Sphäre herstellte (Interview 2008). So wird Frauen benutzen ihren Namen sogar als Druckmit- zum Beispiel eine Situation beschrieben, in der die tel bzw. Disziplinierungsmaßnahme für ihre Kinder drei Freunde bei einem Informanten übernach- (vgl. Lauser 1993: 131). ten und sich dessen Frau vor ihnen entschleiern Wenn man als soziale Einheit im Sinne eines muss: Edith Fischer tröstete die dadurch aufgelöste Paares forscht, gilt es generell zu überprüfen, wie 79 die lokalen Vorstellungen von Rollenerwartungen Rollenzuschreibung – sie als Ethnologin und ihr beschaffen sind. Bei den bereits erwähnten For- Mann „nur“ als Begleiter – nicht verstanden. Dies schungen von Christiana Lütke in Papua-Neugui- führte dazu, dass ihrem Mann zuweilen Dank für nea lässt sich feststellen, dass dort die soziale Ein- seine vermeintliche Forschung bekundet wurde heit der Ehe der Forscherin durch die Indigenen und nicht ihr (Lütkes 2002: 181). zwar anerkannt wurde, jedoch im Hinblick auf die

Abb. 24 Hille Fuchs bei einer Teezeremonie in Fachi, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976.

80 Fazit Verwendete Literatur

Die Literaturlücke, die immer noch in Bezug auf Berg, Eberhard und Martin Fuchs (Hg.) die Partnerschaft im Feld existiert, wird bislang 1993 Kultur, soziale Praxis, Text: Die Krise der nur vereinzelt thematisiert, ist aber besonders ethnographischen Repräsentation. Frankfurt am spannend in Hinblick auf die Krise der Ethnolo- Main: Suhrkamp. gie, die während der letzten Jahrzehnte die eigene Reflexion des Handelns in der Feldforschung in den Bräunlein, Peter J. und Andrea Lauser Vordergrund gerückt hat. Die Partner-Beispiele 1993 Leben In Malula. Pfaffenweiler: Centaurus. Müller-Wille, Lütke, Lauser und Fuchs zeigen, dass der Entschluss, nicht allein ins Feld zu gehen, Clifford, James durchaus von Vorteil für die Erkenntnisgewinnung 2004 Über Ethnographische Selbststilisierung: sein kann, weil gerade Teamarbeit eine gewisse Conrad und Malinowski. In: Doris Backmann- Annäherung an Objektivität durch die Möglich- Medick (Hg.), Kultur als Text. 2., aktualisierte keit einer intersubjektiven Überprüfbarkeit mit Auflage; S.194-225. Tübingen und Basel: A. Franke. sich bringt, sofern dabei beachtet wird, dass jeder Beobachtung und Verschriftlichung von Beobach- Fischer, Hans tungen stets ein subjektives Handeln zugrunde liegt. 2005 Definition Feldforschung. In: Walter Entgegen dem überkommenden Muster vom For- Hirschberg (Hg.), Wörterbuch der Völkerkunde. scher als einem einsamen Einzelgänger wird die 2. Aktualisierte Auflage; S.123. Berlin: Reimer. Zeit kommen, dass das Thema ‚Partner im Feld‘ seinen verdienten Platz in der Literatur finden wird. Fuchs, Peter 1953 Im Land der Verschleierten Männer. Wien: Amandus.

Fuchs, Peter 2008 Interviews with German Anthropologists vom 31. 05. 2008; durchgeführt am Institut für Ethnologie. Transkription: Claire Spilker, Edierung: Vincenz Kokot; Ansprechpartner: Dieter Haller. S. 1-10.

81 2014 Interview mit Peter Fuchs vom 6.10.2014 Wesch, Ulrike durchgeführt im Institut für Ethnologie (nicht als 2002 Vom Schreibtisch ins Feld uns zurück: Eine Transkription veröffentlicht) Analyse der Feldforschung von Ethnologen und Ethnologinnen. Göttingen: Unveröffentlichte Hahn, Hans Peter Magisterarbeit, Georg-August-Universität. 2013 Ethnologie: Eine Einführung. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Hauser-Schäublin, Brigitta (Hg.) 2001 Der geteilte Leib: Die kulturelle Dimension von Organtransplantation und Reproduktionsme- dizin in Deutschland. Frankfurt am Main: Campus.

Lütkes, Christiana 2002 Forschung mit Ehemann: Ein Nichteth- nologe als Begleiter. In: Hans Fischer (Hg.), Feldforschungen: Erfahrungsberichte zur Einfüh- rung. S. 173-186. Berlin: Reimer.

Mauksch, Stefanie und Ursula Rao 2014 Fieldwork as Dialogue. Reflections on Al- ternative Forms of Engagement. Zeitschrift für Ethnologie 139 (1): S. 23-38.

Müller-Wille, Ludger 1985 Ethnische Studien in der polaren Ökumene. Mit Familie bei Sami und Finnen. In: Hans Fischer (Hg.), Feldforschungen. S. 49-66. Berlin: Reimer.

82 Peter Fuchs und der ethnographische meramänner. Zum Kreis derer, die die Dienste und Film in Deutschland Möglichkeiten des IWF intensiv genutzt haben, ge- hörten auch Erhard Schlesier und Peter Fuchs, die Rolf Husmann seit den späten 1960er Jahren als Kollegen am Ins- titut für Völkerkunde an der Universität Göttingen gelehrt, geforscht und auch ethnographische Filme Das Göttinger IWF und die „Encylopaedia gemacht haben. Insbesondere Peter Fuchs pflegte Cinematographica“ seit den 1950er Jahren eine intensive Zusammen- arbeit mit dem IWF, aus der mehr als 70 publizier- Als zum 1.1.2011 das Göttinger „Institut für den te ethnographische Filme hervorgegangen sind. Wissenschaftlichen Film“ (IWF – zuletzt „IWF Die Ausstellung „Transkulturelle Begegnungen“ Wissen und Medien gGmbh“) nach Beschluss der in der Ethnologischen Sammlung am Institut für finanzierenden staatlichen Gremien seine Pforten Ethnologie der Universität Göttingen berücksich- schließen musste, endete für den wissenschaftlichen tigt deshalb auch zu Recht das Wirken der beiden Film in Deutschland eine Ära. Nach Anfängen in Ethnologen auf audiovisuellem Gebiet. den 1920er Jahren war im Nachkriegsdeutschland Die institutionellen Anfänge des wissenschaft- der 50er Jahre mit dem IWF eine weltweit einzig- lichen Films in Deutschland reichen generell bis artige Institution entstanden, die über 50 Jahre lang in die 1920er Jahre zurück. Nach ersten Anfän- auf vielen Wissenschaftsgebieten Filme von hoher gen etablierte sich im Dritten Reich in Berlin mit technischer wie inhaltlicher Qualität herstellte und dem RWU, der „Reichsanstalt für Film und Bild sie vertrieb. Besonders die im IWF entwickelte in Wissenschaft und Unterricht“, die Vorgänger- Filmsammlung „Encyclopaedia Cinematographi- institution für das IWF. Schon in den 1930er Jah- ca“ (EC) erlangte international hohe Anerkennung, ren wurde eine Reihe völkerkundlicher Filme denn für die Filme der EC wurden besonders hohe publiziert. Aber auch das Schwesterfach „Volks- wissenschaftliche Qualitätsstandards angelegt. kunde“ (später „Europäische Ethnologie“) war in Zu den Fächern, für die das IWF wissenschaftli- der Vorkriegszeit eine wichtige im RWU vertre- che Filme produzierte und veröffentlichte, gehörte tene Disziplin. Die von der RWU produzierten von Beginn an auch die Ethnologie, bis in die 1980er Filme wurden am Ende des Zweiten Weltkriegs nach Jahre unter dem Begriff „Völkerkunde“ geführt. Höckelheim bei Northeim ausgelagert. Als dann Zahlreiche Ethnologinnen und Ethnologen haben nach Kriegsende die Verwaltung der Alliierten in im Lauf der IWF-Geschichte Filme mit dem Göt- der britischen Zone über einen Neustart für die tinger Institut hergestellt, einige als selbstfilmende Produktion wissenschaftlicher Filme nachdachte, Wissenschaftler, andere auch mit personeller Un- entschied man, das alte Material in die nächstge- terstützung des IWF, z. B. durch professionelle Ka- legene Universitätsstadt, eben nach Göttingen, zu 83 verlegen. Während im alten RWU die Filme so- spiel wenn man sie im Hochschulunterricht einsetz- wohl für den Hochschul- wie für den Schulbereich te –, veröffentlichte das IWF dann auch stets zu produziert und vertrieben wurden, trennte man jedem Film eine sogenannte Begleitpublikation, in nun den wissenschaftlichen Film für die Hoch- der der Filmautor das behandelte Thema allgemein schule und Forschung, der in Göttingen seine einordnete und den Film und seine Entstehung Heimat fand, von den Filmen für die Schulen, die erläuterte. So ergaben sich im Verständnis der EC im Münchner Schwesterinstitut FWU („Institut wissenschaftlich verwertbare Quellen. Sie wurden für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht dann systematisch in der wissenschaftlichen Film- gGmbH“) veröffentlicht wurden. Das geschah sammlung der „Encyclopaedia Cinematographica“ 1949. In Göttingen sollte ein neues Institut ent- gesammelt. stehen, das sich auf den Grundlagen des RWU Die EC wurde 1952 gegründet. Sie umfass- um wissenschaftliche Filme für die deutschen te zunächst drei Fachgebiete, nämlich Biologie Hochschulen kümmerte. Zunächst wurde es als (mit den Unterabteilungen Zoologie, Botanik und „Abteilung Hochschule und Forschung des Instituts Mikrobiologie), Technische Wissenschaften und für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“ Ethnologie, worunter sowohl Völkerkunde als weitergeführt, ehe es 1956 zum „Institut für den auch Volkskunde fielen. Gotthard Wolf selbst hat Wissenschaftlichen Film“ (IWF) wurde. Als Ver- immer gern seine Auffassung von der EC am Bei- antwortlichen für die Weiterentwicklung des wis- spiel eines Schimpansen erläutert, so u. a. in dem senschaftlichen Films wurde mit Gotthard Wolf sehenswerten Dokumentarfilm über Peter Fuchs, ein aus den Ingenieurwissenschaften stammender den Michael Steineck 2003 publizierte. Wolf be- Akademiker beauftragt, der als Direktor des IWF tont darin, er habe nicht den einen langen Doku- jahrzehntelang großartige Aufbauarbeit leistete und mentarfilm über „den“ Schimpansen haben wollen, dem IWF zu internationaler Anerkennung verhalf. sondern stattdessen eine Anzahl kleinerer Filmein- Dazu gehörte auch Wolfs Idee zur Gründung der heiten, die dann einzelne Themen behandeln, z.B. EC, die er zusammen mit dem Verhaltensforscher des Schimpansen Fressverhalten, seine Schlafge- Konrad Lorenz entwickelt hatte. wohnheiten, seine Behausung, sein Paarungsver- Die Grundidee der EC bestand darin, dass halten etc. In der derselben Weise seien dann genau man sogenannte monothematische Filmeinhei- die gleichen Themen bei anderen Tierarten zu do- ten produzierte. Darunter sind kurze Filme (da- kumentieren, so dass letztendlich ein Mosaik von mals hauptsächlich im 16mm-Format) zu verste- Filmen entsteht, eine Art Raster, bei dem sich auf hen, die ausschließlich ein einziges bestimmtes den horizontalen Linien alle Filme zu der jeweiligen wissenschaftliches Thema visuell dokumentieren, Tierart finden, und auf den vertikalen Linien dann und zwar ohne Kommentar. Um das Verständnis sämtliche Filme zu finden sind zu einem bestimm- dieser Filme dennoch zu ermöglichen – zum Bei- ten Thema aller verschiedenen dokumentierten 84 Tierarten. So, meint Wolf, seien dann Vergleiche logie, Günther Spannaus (ab 1960 Professor für möglich zwischen den einzelnen Arten und ihrem Völkerkunde an der Universität Göttingen), 1959 Verhalten. zwölf sogenannte „Leitsätze“, die den filmenden Auf die Ethnologie übertragen bedeutete das, Ethnologen bei ihren Dreharbeiten helfen sollten, dass kulturelles Verhalten einzelner ethnischer den geforderten Qualitätsstandard einzuhalten. Gruppen in kleinen Filmeinheiten zu dokumentie- Zu den wichtigsten Merksätzen für den filmenden ren seien, z. B. Hausbau, Nahrungszubereitung, Es- Wissenschaftler galten Regeln wie „Keine Einfluss- sen, handwerkliche Tätigkeiten wie Töpfern oder nahme auf die handelnden Personen während der Weben, aber auch sportliches Verhalten wie Ring- Aufnahmen! Kein Schauspielern! Alles soll so auf- kämpfe. Man glaubte, durch Füllen eines solchen genommen werden, als sei die Kamera gar nicht kulturellen Rasters dann Vergleiche zwischen den dabei!“ Auch wenn die Aufnahmerealität natürlich Ethnien ziehen zu können, allerdings ist dies in der oft ganz anders aussah und diese Forderungen nur Praxis nur ein einziges Mal bei einem von den Eth- bedingt umzusetzen waren, erreichten die im IWF nologen Henning Hohnschopp und Volker Harms publizierten Filme dennoch einen Grad an Reali- angestellten Vergleich von Töpfereifilmen auch tätsabbildung, die sie zu wissenschaftlich und histo- tatsächlich genutzt worden. Die Vergleichbarkeit risch wertvollen Dokumenten machten. wurde, z.B. von Martin Taureg, auch durchaus zu Recht angezweifelt, dennoch hatte die Grundidee der EC, ethnographische Filme unter wissenschaft- lich exakten und nachvollziehbaren Produktions- bedingungen herzustellen, den Vorteil, dass diese bezüglich Aufnahmeort und -zeit und den handeln- den Personen zuverlässig waren. Auf diese Weise entstanden Quellen, die im Laufe der Zeit ihren ei- genen besonderen Wert gewannen, denn kultureller Wandel verändert ständig das Verhalten der Men- schen überall auf der Welt. Während EC-Filme aus den Naturwissenschaften mit den Jahren eher über- holt und wissenschaftlich von schwindendem Wert waren, gewannen die ethnographischen Filme des IWF stetig an historischem Wert. Um die ethnographischen Filme des IWF den Anforderungen der EC gerecht werden zu lassen, publizierte der im IWF tätige Referent für Ethno- 85

Abb. 25 Der Filmemacher Peter Fuchs, Handelsplatz von Kanuri und Tuareg, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976

86 Der Filmemacher Peter Fuchs: von den und von den geheimnisumwitterten Tuareg – von Tuareg zu den Hadjerai einem breiten Publikum begierig aufgenommen wurden. Peter Fuchs, damals Anfang 20, studierte nach Der zweite Dokumentarfilm von Peter Fuchs dem Zweiten Weltkrieg in Wien Völkerkun- hat den Titel „Ramadan – das große Fest“. Er ist de. Er war seit Kindheitstagen an Afrika und der Ergebnis seiner nächsten großen Sahara-Reise, Sahara, aber auch an Film und Fotografie interes- die ihn 1955 nach Ennedi, ein damals noch weit- siert. Daraus entstand noch zu Studienzeiten der gehend unbekanntes Gebiet im Nordosten des Plan, in die Sahara zu reisen, ein in den frühen Tschad, führte. Auch von dieser mehrmonatigen 1950er Jahren recht ungewöhnliches Unterfangen. Reise, die Fuchs gemeinsam mit seinem einheimi- Doch 1951 konnte er seinen Plan, zusammen mit schen Begleiter Adigei unternahm, gibt es ein 1958 einem Freund und einer Kommilitonin aus Wien, veröffentlichtes Buch: „Weißer Fleck im schwarzen tatsächlich realisieren: der erste Aufenthalt bei den Erdteil. Meine Expedition nach Ennedi“, das eine Tuareg gelang. Bei dieser Reise hatte er schon, wie große Leserschaft fand und das Fuchs zusammen bei all seinen Expeditionen und Forschungsaufent- mit dem Film auf seinen Vortragsreisen einsetzte. halten, die er in den folgenden Jahrzehnten noch Der Film „Ramadan“ brachte ihn dann in Kon- durchführen konnte, eine Filmkamera dabei, seine takt mit Günther Spannaus, dem damaligen Refe- Bolex-Ausrüstung. Der große Vorteil dieser 16mm- renten für Ethnologie am IWF in Göttingen, denn Kamera ist, dass sie unabhängig von elektrischem der veröffentlichte nicht nur den ganzen Film, Strom arbeitet, denn sie wird durch ein Federwerk sondern interessierte sich besonders für zwei Tei- aufgezogen und erlaubt so Aufnahmen von jeweils le daraus, die er als monothematische Einheiten in 24 Sekunden. Zu Zeiten, als Solartechnik unbekannt die EC aufnehmen wollte, nämlich die dann vom war, konnte Fuchs so Filmaufnahmen machen, die IWF veröffentlichten Filme „Narbentätowierung damals einmalig waren. Aus ihnen entstand nach der jungen Mädchen“ und „Kampfspiel mit Schild der Rückkehr von der Sahara-Reise nach Euro- und Speer“. Dies war der Beginn einer langen pa der Schwarz-Weiß-Stummfilm „Im Land der und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Peter verschleierten Männer“. Es war ein Begleitfilm Fuchs, dem IWF und der EC. zu dem gleichnamigen Buch, das Fuchs als Reise- Nicht nur bei dem Referenten Günther Spann- schriftsteller veröffentlichte und bei seinen zahl- aus, auch beim IWF-Direktor Gotthard Wolf selbst reichen Vorträgen im deutschsprachigen Raum war bald der Eindruck entstanden, in Peter Fuchs einsetzte und ihn mit live gesprochenem Kommen- einen seriösen und kompetenten Ethnologen und tar vorführte. Zu jener Zeit war Fernsehen noch zudem einen talentierten Filmemacher gefunden zu weitgehend unbekannt, so dass exotische Berichte haben – eine schon damals sehr seltene Kombina- und Bilder – zumal aus der großen Wüste Sahara tion begehrter Eigenschaften für wissenschaftliche 87 Partner des IWF. Fuchs war zu dieser Zeit noch ös- Einige der dabei von Fuchs gemachten Filme ha- terreichischer Staatsangehöriger. Deshalb offerierte ben insofern besonderen historischen Wert, weil ihm Wolf, er möge der österreichische Vertreter im der Bürgerkrieg die Ethnie der Djaya völlig ver- Editorial Board der EC werden. Fuchs nahm an nichtete und über diese Ethnie nur die fünf im IWF und hielt diese Position, bis er schließlich Anfang veröffentlichten Filme, die allesamt Tänze zeigen, der 1960er Jahre nach Deutschland umsiedelte, um existieren. an der Universität Göttingen zu arbeiten, und dann Das Besondere an dieser IWF-Filmexpedition auch die deutsche Staatsangehörigkeit annahm. war das Vorhaben, erstmals im Feld synchrone Auch dann blieb er aber, nun als deutscher Wissen- Tonaufnahmen zu machen. Dies war zuvor noch schaftler, Mitglied des Herausgeber-Gremiums der nicht geschehen, nun standen neu entwickelte Auf- EC, und zwar bis die EC in den 1990er Jahren ihre nahmegeräte zur Verfügung. Doch es bedurfte in Tätigkeit einstellte. der damaligen Zeit eines heutzutage kaum vorstell- Als Peter Fuchs seine ethnologische Arbeit baren technischen Aufwandes, denn die Ausrüs- in Göttingen begann, hatte er inzwischen weite- tung hatte ein Gewicht von mehr als einer Tonne, re Afrika-Expeditionen – natürlich stets auch mit also über 1000 Kilogramm, die dann bis zu den seiner Bolex-Kamera – unternommen. Eine davon Bergen der Hadjerai transportiert werden musste. führte ihn 1959 in den Tschad, wo er eine intensi- Thematisch eignete sich die Forschung von Fuchs ve Forschungsarbeit bei den Hadjerai begann, und ganz besonders für diese Unternehmung, denn es 1963/64 und 1965 wichtige Forschungs- und Film- sollten Filme gedreht werden, die sich vor allem arbeiten durchführen konnte. Mitte der 1960er Jah- mit Musik, Gesang und Erzählung befassten. Sol- re wurde diese Arbeit jedoch durch den im Tschad che Themen in der Zeit davor aufzunehmen, hatte ausgebrochenen Bürgerkrieg zwangsweise beendet. immer wieder das Problem mit sich gebracht, dass Mit dem Begriff Hadjerai wird eine Gruppe von Ton ganz fehlte oder aber nicht synchron war. Ethnien bezeichnet, die im zentralen Tschad leben, also deutlich südlicher als die Arbeitsgebiete von Fuchs zuvor bei den Tuareg und in Ennedi. Es sind die „Leute der Felsen“, denn sie leben als sesshafte Bauern auf oder an Bergen und Hügeln im mitt- leren Tschad. Zu ihnen zählen die Djonkor, Ken- ga, Djaya und Dangaleat, die das Hauptziel einer großen IWF-Filmexpedition waren, die unter Lei- tung von Peter Fuchs mit einem IWF-Kamera- team und mit finanzieller Unterstützung durch die Volkswagen-Stiftung 1963/64 durchgeführt wurde. 88

Abb. 26 Steckengeblieben, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976

Peter Fuchs hatte bei seinem ersten Besuch bei den dessen großer Begeisterung vorgespielt, denn da- Hadjerai 1959 bereits Filmaufnahmen gemacht und mals waren den Hadjerai Tonaufnahmen, die ja dabei auch sein nicht-synchrones Tonbandgerät auch unmittelbar danach reproduziert werden eingesetzt. Unter anderem hatte er dabei Lieder konnten, noch völlig unbekannt. Fuchs hatte zu- des lokal bekannten Sängers Godi aufgenommen dem seine Bolex-Kamera mit Selbstauslöser bei und das Tonband anschließend dem Sänger zu dieser Arbeit eingesetzt. In Michael Steinecks Film 89 werden diese Aufnahmen, verbunden mit Fuchs‘ ei- zination davon aus, dass sich mir der Gedanke aufdrängte: gener Erzählung der Episode, ausführlich gezeigt. Das ist genau das Projekt, das ich noch machen möchte“ Als Fuchs dann 1964 zu den Hadjerai zurückkehrte, (Fuchs 1978, EC 1322). traf er auch Godi erneut, und konnte nun synchro- ne Tonaufnahmen mit ihm produzieren. Da sich Da ihm aber schnell klar wurde, dass eine umfas- Ende 1964 nach Rückkehr ins heimische Göttin- sende ethnographische Studie dieser Oasengesell- gen herausstellte, dass nicht alles gefilmte Material schaft nur dann gelingen würde, wenn er, um auch technisch gelungen war, entschied man sich, im die Kultur der Frauen in Fachi mit zu erfassen, Frühjahr 1965 noch einmal als „IWF-Filmexpediti- diese Forschung zusammen mit seiner Frau Hille on in den Tschad“ zu den Hadjerai zurückzukehren. durchführen würde, bat Fuchs sie, ihn nach Fachi Dort entstanden dann noch weitere wichtige EC- zu begleiten. Dies geschah dann auch, und zwar bei Filme, die meisten davon mit synchronem Ton. allen vier mehrmonatigen Aufenthalten in Fachi 1972, 1974, 1976 und 1984. Das Projekt „Oase Fachi“ Vor Beginn seiner Arbeiten in Fachi hatte Fuchs, wie wir gesehen haben, schon zahlreiche ethnogra- Als sich die Arbeitsbedingungen im Tschad ab 1967 phische Dokumentationsfilme für die EC gedreht bürgerkriegsbedingt zu sehr verschlechterten und und veröffentlicht. In Fachi erfüllte er sich dann, die Fortsetzung seiner Film- und Forschungsarbei- immer noch mit seiner bewährten, wenn auch ten unmöglich wurde, suchte sich Peter Fuchs ein technisch begrenzten Bolex-Kamera, einen lang neues Gebiet, einen neuen ethnologisch interessan- gehegten Wunsch, nämlich statt der monothema- ten Themenkreis für seine Arbeiten aus. Von sei- tischen Einheiten einen „Hochschulunterrichts- nen Reisen durch die Sahara waren ihm schon lange film“ zu drehen. Das ist für Fuchs „ein Film, den Oasenkulturen bekannt. Als sich 1972 die Mög- ich als Hochschullehrer so gestaltet habe, wie ich lichkeit ergab, während einer anderen Reise in der meine, dass ich das für meine Seminare und Vor- Republik Niger einen Abstecher zur Oase Fachi zu lesungen brauche.“ Dieser Film, „Fachi – Oase machen, nutzte Fuchs die Chance, Fachi kennenzu- der Sahara-Kanuri“ wurde von Fuchs bei seinem lernen, und war sofort von diesem Ort und seinen Fachi-Aufenthalt 1976 gedreht, seine Frau Hille Bewohnern angetan. Er traf dort ein und nahm nicht-synchronen Ton auf. Als Ergebnis liegt ein ca. 40minütiger Film vor, der die verschiede- „…sah diese Oasenstadt inmitten einer riesigen Sanddü- nen Aspekte der Oasenkultur beschreibt und sich nenlandschaft liegen. Ich sah, wie ständig Karawanen von vor allem dem lebenswichtigen Tauschhandel der Tuareg eintrafen, um in Fachi Salz und Datteln gegen Hirse Kanuri mit den Tuareg widmet. Im Gegensatz zu und andere Produkte, die die Tuareg mitbrachten, einzuhan- den EC-Filmen dieser Zeit hat dieser Film einen deln. Es war ein so gewaltiges Bild! Es ging eine solche Fas- gesprochenen Kommentar und ist deshalb unmit- 90 telbar verstehbar. Es ist wohl einer der wenigen und zwar vor allem in Frankreich, Großbritannien Dokumentarfilme, die es, mit einer Bolex - aufge und den USA, fand der ethnographische Film ei- nommen und trotz nicht-synchronem Ton, Anfang nen festen Platz in der ethnologischen Methodik der 1980er Jahre zu einer Fernsehausstrahlung ge- und Theorie. In Deutschland war dieser Vorgang schafft haben. fast vollständig mit der ethnologischen Arbeit des IWF, und dabei vor allem dem rigiden positivisti- schen Wissenschaftsansatz der EC, verbunden. Au- ßerhalb des IWF fand ethnographische Filmarbeit in Deutschland jahrzehntelang in keinem nennens- werten Umfang statt. Dabei nahm der deutsche ethnographische Film eine Sonderstellung ein. Während durch Jean Rouch in Frankreich bereits in den 1950er Jahren eine neue Art des ethnographischen Films entstand, ab den 1960er in den USA die „Visual Anthropolo- gy“ durch John Marshall, Timothy Asch und Asen Balikci geformt wurde, und das Ehepaar David und Abb. 27 Karawane der Tuareg, Ténéré-Wüste, Judith MacDougall in Australien innovative eth- Sahara, Niger, Michael Steineck, 1992 nographische Filmarbeit leistete, schließlich auch in Großbritannien der ethnographische Film sich einer breiten (TV-)Öffentlichkeit zuwandte, ohne Peter Fuchs und die internationale den Anspruch auf wissenschaftliche ethnologische Qualität aufzugeben – während all das weltweit Visuelle Anthropologie über 30 Jahre nach den Ausführungen von Peter Die Entwicklung des ethnographischen Films hat Loizos zu neuen, auch auf verbesserter Technolo- ihre Anfänge bereits im späten 19. und den ersten gie aufbauenden Formen des ethnologischen Films Jahren des 20. Jahrhunderts, und im deutschen Kai- führte, verharrte das IWF stark in einer internatio- serreich wurden bereits völkerkundliche Expediti- nalen Isolation und nahm an diesen Entwicklungen onen ausgesandt, die in den ersten Jahren des 20. mehrere Jahrzehnte nur wenig teil. Erst die Tätig- Jahrhunderts auch ethnographische Filmaufnah- keit der IWF-Ethnologie-Referentin Beate Engel- men, zum Beispiel aus Melanesien oder dem süd- brecht (und von mir als ihrem Kollegen) brachte lichen Afrika, mit nach Hause brachten. Aber erst ab den späten 1980er Jahren eine verbesserte in- mit der Entstehung der Visuellen Anthropologie, ternationale Wahrnehmung der (sich nun auch die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte methodisch und inhaltlich wandelnden) ethnogra- 91 phischen Filme im IWF. Sichtbarster Ausdruck der jahrzehntelanger Ratgeber des IWF und als Co- dann erfolgten internationalen Akzeptanz des IWF Editor der Encyclopaedia Cinematographica, waren das weltweite sehr angesehene „Göttingen schließlich auch als Hochschullehrer für die Ethno- International Ethnographic Film Festival“ (GIEFF), logie Afrikas ebenso wie für die Ausbildung im Be- das ab 1994 alle zwei Jahre im IWF stattfand, und reich des ethnographischen Films unauslöschliche die im IWF abgehaltene internationale Konferenz Spuren hinterlassen, vor allem hier in Göttingen, „Origins of Visual – Putting the Past wo mit der Ausstellung „Transkulturelle Begegnun- Together“, aus der 2007 Beate Engelbrechts umfas- gen“ ein Teil seines Schaffens noch einmal der Öf- sender Konferenzband hervorgegangen ist. fentlichkeit präsentiert wird. Es war vornehmlich Peter Fuchs, der interna- tional weiter Kontakt hielt und durch seine Filme, Verwendete Literatur und Filmographie aber auch sein Auftreten auf den ethnologischen Weltkongressen (z.B. 1973 in Chicago oder 1988 in Bogaart, Nico / Henk Ketelaar (eds.): Zagreb) in der Visual Anthropology wahrgenom- 1981 Methodology in anthropological men und akzeptiert wurde. Die Öffnung des IWF filmmaking; Göttingen: edition herodot. hin zur Visual Anthropology und die internationale Rezeption des deutschen ethnographischen Films Engelbrecht, Beate (Hg.) findet dann auch 1988 seinen Widerhall in dem 2007 Memories of the Origins of Ethnographic Sonderband der wichtigsten Fachzeitschrift „Visu- Film; Frankfurt/M.: Peter Lang. al Anthropology“ zum Thema „Ethnographic Film in “, für den Peter Fuchs als „guest editor“ Fuchs, Peter gewonnen wurde und in dem dann neben Fuchs 1953 Im Land der verschleierten Männer; Wien : auch andere deutsche Filmethnologinnen und – Amandus. ethnologen zu Wort kamen, unter ihnen Gerd Koch, Hans-Joachim Koloss und Walter Dostal, 1953 Ramadan: Das große Fest (= Film W 270 allesamt wichtige Kollegen, die zahlreiche Filme des IWF) Göttingen. mit dem IWF produziert hatten. In diesem Sinne ist es als Glücksfall für die deut- 1955 Bäle/Bideyat (Südost-Sahara, Ennedi): sche Nachkriegsethnologie zu bezeichnen, dass Narbentätowierung der Mädchen (= Film E 180 mit Peter Fuchs ein junger filmbegeisterter öster- des IWF; 4 Minuten) Göttingen. reichischer Völkerkundler den Kontakt zum IWF fand. Er hat mit seinem Wirken als feldforschungs- 1958 Weißer Fleck im Schwarzen Erdteil. Meine erfahrener Afrikakundler, als wissenschaftlicher Expedition nach Ennedi; Stuttgart : Engelhorn. Filmemacher mit einer Vielzahl von Werken, als 92 1959 Unja, Südost-Sahara (Ennedi): Kampfspiel Steineck, Michael mit Schild und Speer (= Film des IWF; 4 Minuten) 2003 Forschung und Film. Peter Fuchs und der Göttingen. ethnographische Film (= Film 12301 des IWF; 56 Minuten) Göttingen. 1978 Fachi – Oase der Sahara-Kanuri (= Film E 1322 des IWF; 42 Minuten) Göttingen. Taureg, Martin 1983 The development of standards for scientific 1988 Special Issue on Ethnographic Film in films in German ethnography; In: Bogaart/ Germany (= Visual Anthropology 1 (3)). Ketelaar (1983): S. 61-85.

Harms, Volker u. Henning Hohnschopp Wolf, Gotthard 1965 Versuch einer Terminologie der Töpferei- 1961 Der Film im Dienste der Wissenschaft Techniken an Hand völkerkundlicher Filme; In: (= Festschrift zur Einweihung des Neubaues für Research Film 5 (3): S. 233-241. das Institut für den Wissenschaftlichen Film) Göttingen. Husmann, Rolf 2007 Post-War Ethnographic Filmmaking in Wolf, Gotthard Germany. Peter Fuchs, the IWF and the Encyclo- 1967 Der wissenschaftliche Dokumentationsfilm paedia Cinematographica; In: Engelbrecht, Beate und die Encyclopaedia Cinematographica; 2007: S. 383-395. München: J. A. Barth.

Loizos, Peter Unpubliziert: 1993 Innovation in Ethnographic Film. From Interview mit Peter und Hille Fuchs, geführt von innocence to self-consciousness 1955 – 1985; Julia Racz am 6.10.2014 im Institut für Ethnologie Chicago: The Univ. of Chicago Press. der Universität Göttingen.

Spannaus, Günther 1959 Leitsätze zur völkerkundlichen und volks- kundlichen Filmdokumentation; In: Research Film 3 (4): S. 234-238.

93 Sahara und Sahel: transkulturelle Dieser Handel, der Gebiete der Sahara und des Begegnungen und Tauschbeziehungen Sahel miteinander verbindet, stellt ein interethni- sches und ökonomisch übergreifendes System dar. Nina Paliokas, Viktoria Schüffner und In diesem spiegeln sich die Überlebensstrategien Gundolf Krüger der dortigen Bewohner, die unter den extremen Umweltbedingungen der Wüste leben, in Anpas- Vor dem Höhepunkt des kolonialen Einflusses und sungsvorgängen, persönlichen Begegnungen und der Einführung europäischer Währungen um die Tausch- und Handelsbeziehungen (vgl. Fuchs 1983: Wende des 19./20. Jahrhunderts waren in Afrika 29f. u. Fuchs 1991: 8) sowie in kulturellen Dyna- die unterschiedlichsten Wertmesser gebräuchlich. miken, lokalen Aneignungen, Umformungen und Manche waren eher regional verbreitet, andere Umdeutungen von Waren (Spittler 2002: 15-30) dienten als großräumig anerkanntes Zahlungs- wider. Im Mittelpunkt der Forschungen von Peter mittel im innerafrikanischen Handel. Dabei ka- Fuchs in der Sahara und im Sahel stand im Hin- men Naturmaterialien wie Kauri-Schnecken blick auf die Vernetzung von Tauschbeziehungen oder unverarbeitete Rohstoffe wie Goldstaub zur die Oase Fachi im Niger mit ihren Bewohnern: Er Verwendung. Häufig mussten traditionelle Wert- und seine Frau Hille haben nach ihrer eigenen Ein- messer in langwierigen Arbeitsprozessen wie der schätzung dort gelernt, Eisenverhüttung hergestellt werden. Als bedeutendste Währung in der Sahara und im „daß ‚Existenz in der Wüste‘ viele Aspekte hat. Ob der Sahel galt früher das Salz. Hier, wie auch anders- ökonomische Aspekt der wichtigste ist, darüber kann man wo auf der Welt, war seine Gewinnung vor allem geteilter Meinung sein. Zweifellos ist er der auffälligste, der in vergangenen Zeiten aufwendig und kompliziert. vordergründigste. Denn Fachi kann nur dann und nur so Als Würze und als Konservierungsmittel für die lange von Menschen bewohnt werden, wie sie imstande sind, Nahrung, außerdem zur Haltbarmachung von Tier- mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, ihr Leben häuten und in der Heilbehandlung unentbehrlich, zu sichern. […] In Fachi finden die Menschen keine ‚natür- ist Salz bis heute in den ariden Gebieten Nordaf- liche‘ Existenz, sondern sie müssen sich diese in einer ext- rikas eine knappe Ressource. Innerhalb von ver- rem lebensfeindlichen Umwelt durch ein ausgeklügeltes, in flochtenen Tauschbeziehungen verhandelt, ist Salz seiner Kompliziertheit jedoch abhängiges und anfälliges öko- dort insofern nach wie vor begehrt und hat sich nomisches System erst selber schaffen. Fachi ist für uns ein trotz einer Beschleunigung des kulturellen Wandels Beweis für die Leistungsfähigkeit des menschlichen Geistes, während der letzten Jahrzehnte neben den heute der in einem von der Geschichte gegebenen, dem Menschen international gebräuchlichen Geld-Währungen im wenig günstigen Lebensraum nicht nur die Möglichkeiten Transsahara-Handel bis in die Gegenwart partiell des Überlebens zu schaffen vermag, sondern darüber hinaus behaupten können. diese Existenz zu etwas so Lebenswertem gestalten kann, 94 daß niemand, der daran teilhat, darauf wieder verzichten die Karawanen der Tuareg früher den beschwer- möchte. Ausdruck dafür ist die Anhänglichkeit der Bewoh- lichen Zug durch die Sahara auf sich, um unter ner von Fachi an ihre Oase, die ihnen Heimat bedeutet“ anderem in der kleinen Wüstenstadt Fachi ihre (Fuchs 1983: XII). mitgebrachte Hirse gegen Salz einzutauschen. Auf den Märkten des Sahels wurde das mühsam trans- In dem großräumigen Netzwerk waren seiner- portierte ‚weiße Gold‘ dann mit beträchtlichem Ge- zeit Akteure miteinander verbunden, die sich aus winn bei Haussa-Händlern verkauft. In Fachi hatte Angehörigen von drei verschiedenen ethnischen früher jeder Salzproduzent in diesem Netzwerk sei- Gruppen zusammensetzten: Beteiligt daran waren ne traditionellen Handelspartner unter den Karawa- Gruppen der Tuareg-Nomaden, die Kanuri als Be- nenunternehmen. Da der Salzpreis festgelegt und wohner der Oase Fachi und Händler von den wei- auch die Salzqualität der einzelnen Produzenten ter südlich im Sahel gelegenen Märkten der Haussa. annähernd die gleiche war, blieben die traditionel- Datteln, Hirse, Leder- und Textilwaren, Kleinvieh, len Handelspartnerschaften zwischen bestimmten Milchprodukte, Tee, Zucker, Tabak und vor allem Karawanenleuten und bestimmten Salzproduzen- Salz auf der einen Seite, aber auch Bargeld und ten über lange Zeiträume, oft über Generationen, westliche Importwaren wie Metall- und Emaille- bestehen und existieren zum Teil auch heute noch Schüsseln, Taschenlampen, Armbanduhren und (vgl. Fuchs 1983: 7). Während der Handel mit den Radios auf der anderen Seite, waren damals die sogenannten Salzkarawanen der Tuareg früher auf zwischen Sahara und Sahel gehandelten bzw. ge- der Basis von standardisierten Salzbarren-Größen tauschten Güter und Waren (Fuchs 1983: 28,169f. vollzogen wurde, findet er seit der zweiten Hälfte u. Fuchs 2002: 19). Heute hat sich deren Bandbrei- der 1970er Jahre zunehmend auf rein monetärer te im Zeichen größerer, globalisierter Vernetzun- Verrechnungsbasis statt. gen im transnationalen Raum drastisch erweitert, verbunden mit dem Problem, dass die Grenzlinien zwischen lokalen und westlich importierten Waren verschwimmen. Als „nicht lokale“ Güter können sie einfach nur als „Dinge von heute“ erachtet wer- den, ohne dass die genaue Herkunft noch von Be- deutung sein muss. Die Bezeichnung „globales Gut“ ist insofern heute durch seine Vielschichtigkeit in Bezug auf seine spezifische Umsetzung im lokalen Kontext gekennzeichnet (vgl. Loimeier/ Neubert/ Weißköppel 2005: 14). Vor allem wegen des kostbaren Salzes nahmen 95

Abb. 28 A Karawanenplatz von Fachi, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976

Abb. 28 B Für Karawanenhandel gestapelte Salzbarren. Große kantu und kleine foschi. Michael Steineck, 1992 96

Abb. 29 Empfangsraum mit dem zur Schau gestellten Besitz einer Hausfrau, Fachi, Peter Fuchs, 1972, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

Die Akteure der verflochtenen Beziehungen Wohngebiete vor allem den Staaten Algerien, Mali, Tuareg Niger und Burkina Faso an. Die Tuareg bewohnen Teile der zentralen Sahara Bis in die jüngste Zeit waren die Tuareg unter sowie der südlich angrenzenden Dornsavannen des der romantisierenden Bezeichnung „verschleierte Sahel. Trotz ihres riesigen Lebensraumes zählen die Männer“ bekannt. Diese Bezeichnung lässt sich Tuareg nur ca. eine halbe Million Menschen, von auf den traditionellen Gesichtsschleier zurückfüh- denen heute nur noch wenige zehntausend in der ren, der tagulmust genannt wird. Er wird aus einem Vollwüste beheimatet sind. Politisch gehören ihre weißen oder indigofarbenden Baumwollstoff über 97 Gesicht und Kopf gebunden, so dass nur die Au- gen frei bleiben. Im 19. Jahrhundert kamen die für die Tuareg wichtigen Indigostoffe im Tausch gegen Salz, das diese aus den Oasen mitbrachten, vor al- lem aus Nigeria (Candotti 2010: 200f.). Mit ihrem Erscheinungsbild übten die Tuareg seit jeher eine große Faszination aus:

„Als Hirten, gefürchtete Krieger und Karawanenführer be- herrschten sie über Jahrhunderte hinweg den Sandgürtel Afrikas. Ihr würdevoll-distanziertes Auftreten, ihr aristo- kratisches Selbstverständnis und nicht zuletzt ihre legendä- re, ursprünglich indigoblau gefärbte Baumwollkleidung, die stark auf die Haut abfärbte, trug ihnen die romantisierende Bezeichnung »blaue Ritter der Wüste« ein. Turban und Ge- sichtsschleier, Kreuzschwert und Reitkamel prägen bis heute das Bild dieses Volkes, in dessen Gesellschaft die Frau eine bemerkenswert große Rolle spielt“ (Fuchs 2002: 5).

Die Tuareg-Nomaden gliedern sich in Großgrup- pen, die als eine Art von Konföderationen zumeist mehrere Untergruppen umfassen. Ihre Gesell- schaftsordnung zeigte eine ausgeprägt hierarchi- sche Gliederung. Die einzelnen „Klassen“, beste- hend aus Adeligen, Vasallen und Korangelehrten, Abb. 30 Ein Tuareg (Imuhar) der Kel Ahaggar, unterscheiden sich (teilweise bis heute) hinsichtlich Sahara, Peter Fuchs, wissenschaftliches ihres sozialen Prestiges, ihrer politischen Macht und Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ihrer wirtschaftlichen Besitzstände. Sie sind relativ streng voneinander abgeschlossen, auch wenn die Die Tuareg sind Muslime, mitunter lassen sich in hierarchische Zuordnung oft nur wenig über die ihren religiösen Vorstellungen und Glaubensprak- tatsächlichen gegenseitigen Abhängigkeiten aussagt. tiken aber auch noch vor-islamische Elemente fest- stellen. Frauen nehmen im gesellschaftlichen Leben eine starke Stellung ein, denn sie sind die haupt- sächlichen Bewahrer der mündlichen Überlieferun- 98 gen und des tifinagh, eines auf das antike Libysche schlagswerten aus den Fasern der Dompalme. zurückgehenden Schriftsystems. Entgegen den Pflanzliche Nahrungsmittel, Hirse, Gemüse und Vorschriften des Islam erfolgt die Vererbung der Datteln, wurden früher von den Sklaven und Vasal- Gruppenzugehörigkeit noch weitgehend matriline- len der Tuareg in Oasen der Wüste oder in Dörfern ar, d.h. über die mütterliche Linie (vgl. Braukämper des Sahel angebaut. Mit der Befreiung der ehemals u. Platte 2000: 1-2). Abhängigen durch die französische Kolonialregie- Die wirtschaftliche Existenz der Tuareg beruht rung seit Ende des 19. Jahrhunderts verloren die traditionell auf ihren Weidetieren, die in nomadi- oberen Schichten der Tuareg weitgehend diese Ein- schen Herden gehalten werden. Die höchste Wert- kommensquelle und mussten teilweise selbst den schätzung kommt dem Kamel zu, das die Tuareg mühsamen Bodenbau mit künstlicher Bewässerung in besonderen Züchtungen, wie z. B. das weiße ausüben. Reitkamel Mehari, besitzen. Das Hüten und die Die viel gerühmte Kultiviertheit der Tuareg äu- Pflege dieser Tiere obliegt den Männern, die sie ßert sich nicht nur in einer eigenen Schriftsprache, (vornehmlich früher) für ihre Fernhandelsreisen, einer eigenen Tradition der Dichtkunst und Musik, Expeditionen sowie Raub- und Kriegszüge bzw. sondern manifestiert sich bis in die Gegenwart in ihre berüchtigten Razzien nutzten (vgl. Spittler elementaren, leicht transportablen Objekten des 2002: 20-25). Heute sind Kamele als Transportmit- täglichen Bedarfs und in Schmuckgegenständen, tel in größerem Umfang noch für den Salzhandel die vom Prestige und vom ästhetischen Empfinden der Kel Aïr zwischen den Kawar-Oasen der zen- ihrer Besitzer künden. Die Frauen sowie die profes- tralen Sahara (nördliches Niger) und der Sahel- sionell produzierenden Schmiede verstehen es, mit zone im Einsatz. Die größte Bedeutung für den einfachen handwerklichen Geräten erstaunliche Lebensunterhalt kommt den von den Frauen und formale und dekorative Qualitäten zu erzeugen. Kindern betreuten Ziegen zu, die Milch, Fleisch, Fell für Textilien und Leder liefern. In den südli- chen Gebieten spielen auch Schafe und Rinder in der Viehwirtschaft der Tuareg eine zunehmende Rolle. Neben dem Kamel ist der Esel bei kürze- ren Entfernungen ein wichtiges Transportmittel (vgl. Braukämper u. Platte 2000: 2). Die Gebrauchsgegenstände der Tuareg sind ih- rem nomadischen Leben entsprechend zumeist aus Leder, Holz und Palmfasern gefertigt. Die Zelte der Wanderhirten bestehen in der Wüste aus Tier- häuten, in der Dornsavanne mit höheren Nieder- 99

Abb. 31 Tuareg-Lager, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976

Stolz und Würde gehören zur Etikette der Tuareg werden, weil die meisten Tuareg davon überzeugt sind, die im Umgang mit Fremden. Peter Fuchs resümiert: kultiviertesten und vornehmsten Menschen der Erde zu sein. Einen »bedeutenden Eindruck« zu machen, ist vielen Tua- „Es ist schwieriger und dauert länger, zu einem Tuareg ein reg ein echtes Anliegen. Es gibt viele Dinge, die ein Tuareg freundschaftliches Verhältnis aufzubauen, als dies bei ande- nicht tut, und in manchen Situationen verhält er sich in einer ren Sahara-Bewohnern der Fall ist. Es gelingt nicht jedem, Weise, die nicht sofort nachzuvollziehen ist. Würde und An- von einem Tuareg überhaupt als ebenbürtig angesehen zu sehen stellen für die Tuareg einen hohen Wert dar. Während 100 der Sahel-Dürre, die viele Tuareg in Not brachte, waren hart: Fallschirmjäger wurden ausgesandt, die in den folgen- nicht Hunger, Krankheit und Tod das Schlimmste, sondern den Wochen nach den Angreifern suchten und viele Men- der Verlust an Würde, den sie erleiden mussten. […] Wür- schen verhafteten und folterten; nach Schätzung der katho- de, Ehre, Ansehen sind für die Tuareg überragende soziale lischen Kirche Nigers fielen diesen Aktionen der nigrischen und ethische Werte, sie stellen den Schlüssel dar zum Ver- Armee etwa 600 Zivilisten zum Opfer […] Diese Mas- ständnis der Tuareg-Kultur“ (Fuchs 2002: 20). saker, die in Niger etwas verschämt »Ereignisse von Tchin Tabaradene« genannt werden, waren die Auslöser für die Die traditionelle Nomadenkultur der Tuareg steht Tuaregrebellionen, die kurze Zeit später, Ende Juni 1990, im kontinuierlichen Wandel, der durch zurücklie- im Nordosten des Nachbarlandes Mali begannen. […] Die gende, geschichtlich-politische Ereignisse sowie Rebellionen, die in beiden Ländern etwas über sechs Jahre durch die Konfrontation mit modernen impor- (in Mali von 1990 bis 1996; in Niger von 1991 bis 1997) tierten Lebensformen beschleunigt wurde, und ist dauerten, wurden als Kleinkriege geführt. […] Zwar haben durch klimatische Extremsituationen besonders die Rebellionen die Utopie eines eigenen Staates der Tuareg gefährdet (vgl. Fuchs 2002: 5). Nach der Unabhän- nicht verwirklicht, im Ergebnis aber haben sie zu einer stär- gigkeit von Mali und Niger (1960) gerieten die Tu- keren Integration der Tuareg in die Staaten Mali und Niger areg als ethnische Minderheiten seitens der Bevöl- geführt“ (Klute 2002: 29-31). kerungsmehrheit von Haussa und Djerma zudem unter politischen und wirtschaftlichen Druck. Von Kanuri mehrjährigen Dürren ab den 1970er Jahren betrof- fen, wurden viele Tuareg zu Migranten, vor allem Die Kanuri bewohnen mit rund drei Millionen in Algerien. Sie fanden dort aber keine Arbeit und Menschen das Tschadbecken Nordost-Nigerias. lebten als Schmuggler, die subventionierte Nah- Kleinere Teile der Ethnie leben in den Staaten Ni- rungsmittel nach Süden und illegale Einwanderer ger, Kamerun, Tschad und Sudan. In vorkolonialer und Zigaretten nach Norden verbrachten. Zeit, d.h. bis Ende des 19. Jahrhunderts, gehörten die Kanuri zum Reich Kanem-Borno, einem der „Anfang 1990 kehrten tatsächlich 20.000 Dürreflüchtlinge ältesten Staatswesen Zentralafrikas, das im 11. Jahr- nach Mali und Niger zurück. Die Rückkehrer fanden je- hundert islamisiert wurde. doch kaum die versprochenen Hilfen vor; vielmehr wurden Zur Zeit der Forschungen von Peter Fuchs be- sie in Lagern konzentriert und von der Armee bewacht. Es trug die Bevölkerungszahl der Oase Fachi in der kam zu Protestaktionen und Verhaftungen. Im Mai 1990 Ténéré-Wüste mit ihren fast ausschließlich aus Ka- befreiten einige Tuareg ihre festgenommenen Freunde aus nuri bestehenden Einwohnern ca. 1.400 Personen. dem Gefängnis in Tchin Tabaradene, einem Ort im Nord- Ihre dortige Gesellschaft ist in zwei Klassen ge- westen Nigers, wobei ein Wächter und ein Gefangener getötet teilt: Sie setzte sich 1984 aus ca. 75% kambe („Frei- wurden. Darauf reagierte die nigrische Regierung überaus en“) und 25 % tuyana („Freigelassenen“) zusammen. 101 Da es seit der Kolonialzeit aufgrund gesetzlicher sind wir herzlich verbunden. Sie haben alle dazu beigetragen, Regelungen keine Sklaven mehr in Fachi gibt, han- daß wir uns in Fachi bald nicht mehr als Fremde fühlten“ delt es sich bei den „Freigelassenen“ vornehmlich (Fuchs 1983: XIII). um Nachkommen von ehemaligen Sklaven. Eine besondere gesellschaftliche Rolle spielt der mai, was im Sprachgebrauch der Kanuri soviel bedeutet wie „derjenige, dem das Land gehört“. Anders ausge- drückt ist damit das Oberhaupt der Oase gemeint, eingesetzt per Wahl. In der Regel ist der mai meist ein Mann im fortgeschrittenen Alter, der verheira- tet ist und Kinder hat. Er besitzt ein hohes Ansehen in der Oase und verfügt über Charisma. Aus Sicht der Kanuri hängt es von seinem Geschick ab, ob es Fachi gut oder schlecht geht. Das gilt sowohl beim Schlichten von Konflikten als auch für Entschei- dungen in Notsituationen. Zudem gilt sein Heim als Anlaufstelle für die Armen, aber auch für die Reisenden. Zumeist ist ein mai finanziell sehr gut gestellt, so dass für ihn eine Bewirtung von Gästen kein Problem darstellt. Ohne die Gastfreundschaft und Kooperations- bereitschaft des „chef de canton“ von Fachi, Agra- ma Elhadji Tchagam, wäre die dortige Arbeit für Peter Fuchs und seine Frau Hille nicht möglich ge- wesen:

„Besonders zu Dank verpflichtet sind wir dem mai sowie unserem ständigen Mitarbeiter Tchagam Aji, seinem Bruder Mohammed Ajimi, der gegenwärtig das Amt des kadi be- kleidet, dem inzwischen verstorbenen imam Basha und nicht zuletzt dem alten Abaji Mohammed, der als ältester Mann von Fachi unsere Fragen über die Geschichte der Stadt mit unermüdlicher Geduld beantwortete. Mit vielen Frauen und Männern, die hier nicht namentlich genannt werden können, 102

Abb. 32 Peter Fuchs in Fachi, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976

103 Dem mai zur Seite steht bei Rechstreitigkeiten der „In Fachi haben von allen Ressourcen die Dattelpalmen den alkali: Er ist der Richter und wird vom mai auf Le- höchsten Stellenwert…Jeder Bewohner von Fachi besitzt benszeit ernannt. Als Zeichen seiner besonderen Dattelpalmen. Der hohe Prestigewert macht Dattelpalmen Stellung trägt er einen weißen Turban. Der alkali zu den geeigneten Objekten für alle Arten sozialer Trans- besitzt hervorragende Arabisch-Kenntnisse und aktionen…[Die Dattelhochzeit ist ein] wichtiges Ereignis, kann so alle Korantexte fließend übersetzen, im das von religiösen Veranstaltungen begleitet ist, die einen Gegensatz zu den meisten anderen Geistlichen in Erfolg der Befruchtung gewährleisten sollen (...) Die Dat- Fachi. Diese Kenntnisse sind essentiell für seinen telhochzeit ist] eine aufregende Zeit. Für die Jugend ist es Posten als geistlicher Richter. Meist wenden sich eine Zeit der nächtlichen Tänze, für die Kinder ein Fest Leute mit Erbschaftsproblemen an ihn, und er wie- der unerschöpflichen Süßigkeiten, denn jeder darf bei der derum bietet Lösungen anhand des Korans an. Es Ernte so viele Datteln verzehren, wie er kann und wie er ist jedoch zu beachten, dass er keinem der Beteilig- möchte. Um diese Zeit erscheinen auch die nomadischen ten etwas vorschreiben darf. Er gibt lediglich eine Tubu von Termit oder Agadem, schlagen auf den Dünen Anleitung, wie sich ein guter Muslim verhalten wür- westlich der Stadt ihre Mattenzelte auf und bieten junge de. Außerdem beliefert er den mai mit beschrifteten Ziegen und flüssige Butter gegen frisch geerntete Datteln an“ Korantafeln aus Holz, die dieser für seine ‚Kraft‘ (Fuchs 1983: 40, 46, 49). benötigt. Fachi ist von einer Mauer umgeben, die größ- tenteils die Altstadt sichert. Die Oase verfügt insge- samt über fünf Brunnen, welche essentiell für das Überleben in der Wüste sind. Jeder Anwohner der Stadt besitzt sowohl ein eigenes Haus als auch min- destens einen Garten. Der Anbau und die Pflege von Dattelpalmen in diesen Gärten sind von zent- raler Bedeutung. Der rituelle Akt der Befruchtung der weiblichen Blüten bei der Dattelhochzeit, birra genannt, ist ein zeremonieller Vorgang, der die gan- ze Gemeinde zusammenbringt. Die Befruchtung wird durchgeführt, indem man einen männlichen Blütenzweig in den weiblichen steckt. Jede Befruch- tung wird von dem Spruch: „Allahu akbar fero kwa“ (fero = Jungfrau, kwa = heirate, empfange) begleitet.

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Abb. 33 Prozession der verheirateten Frauen zu Beginn der Dattelhochzeit birra, Fachi, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976

Datteln dienen als Zeichen der Großzügigkeit, sei Ansehen in der Gemeinschaft. Es bleibt zu vermu- es im Sinne von Geschenken oder bei rituellen An- ten, dass dies auf ihre Geschichte zurückzuführen lässen wie Hochzeiten, Geburten und Begräbnis- ist. Früher war die Salzgewinnung wegen der damit sen. Für die Bewohner von Fachi und ihr soziales verbundenen schweren körperlichen Arbeit eine rei- Gefüge sind sie ‚nach innen‘ von größerer Bedeu- ne Aufgabe der Sklaven. Heute müssen die Salinen- tung als das Salz, das gleichwohl ‚nach außen‘ eine besitzer selbst Hand anlegen, wenn sie sich keine gewichtige Rolle spielt. In der Oase findet die Salz- zusätzlichen Arbeiter leisten können. Die Salinen gewinnung sogar nur ein relativ geringes soziales können vererbt, gekauft, gepachtet und verschenkt 105 werden. Der Besitz verleiht aber nicht annähernd das soziale Prestige wie das Eigentum von Dattel- palmen oder Gärten (Fuchs 1983: 53, 78). Das Salz wird aus Salinen gefördert, zerstoßen und in seine Form gepresst, das feinste Speisesalz beza in Säcken verhandelt. Einfachere Qualitäten versetzt man mit geringen Mengen Lehm, um die Festigkeit der Barren für den Transport zu erhöhen. Sie dienen zum Beispiel als Salzleck-Steine für das Vieh. Noch heute entstehen so jene großen kegelförmigen Salz- barren kantu und kleinere halbrunde, die man dort als jeweilige Maßeinheiten verwendet. In Fachi hat jeder Salzproduzent seine traditionellen Handels- partner unter den Karawanenunternehmen, wobei die Beziehungen oft über Generationen bestehen (Fuchs 1983: 78f.).

Abb. 34 Salzgarten in Fachi, Peter Fuchs, 1972, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

106 Haussa unteren Klasse, bestehend aus Metzgern, Musi- Der Begriff ‚Haussa‘ bezeichnet zum einen eine kanten, Kleinbauern und Dienern (vgl. Buchhagen westafrikanische Ethnie und deren Sprache, zum 1990: 12f.). anderen das Land dieser Bevölkerungsgruppe. Sie In Niger leben die Haussa von der gehören zum Großteil dem Islam an, folgen aber Landwirtschaft, insbesondere vom Anbau von innerhalb einzelner Gruppen auch anderen Glau- Hirse und Tabak. Ergänzend zur Landwirtschaft bensrichtungen (Buchhagen 1990: 7f.). Die Haus- sind viele Haussa auf ein Handwerk wie die sa sind die südlichen Nachbarn der Tuareg. Einer Leder- oder Textilverarbeitung spezialisiert. Mit Überlieferung zufolge wurden sie im 11. Jahrhun- ihren handwerklichen Produkten und den Über- dert von diesen aus dem Air-Gebirge nach Süden schüssen aus der Landwirtschaft handeln die vertrieben. Heute leben sie vor allem in Nord-Nige- Haussa mit den Tuareg und sind somit ein wichti- ria und im Süden Nigers. Dort gibt es insgesamt ca. ger Bestandteil des großen Handelsnetzwerkes, das 25 Millionen Haussa sprechende Menschen, zudem die Sahara und den Sahel durchzieht. ist Haussa für ca. 15 Millionen Menschen in West- afrika eine Zweitsprache (Haour u. Rossi 2010: 1). Die transsaharischen Dreiecksbeziehungen im Die Haussa gliedern sich in unterschiedliche Spiegel von Waren und kulturellen Zeugnissen regionale Gruppen. Haussa-Ansiedlungen finden sich in vielen afrikanischen Ländern, wie beispiels- Das Handelsdreieck zwischen den Tuareg, Haussa weise im Tschad, in Niger, Algerien, Ghana, Mali und Kanuri basiert auf der Spezialisierung seiner und Kamerun. In Niger existieren jene Handels- daran beteiligten Akteure: Salz und Datteln kom- zentren bzw. Märkte, wo die Haussa ihre Waren men von den Kanuri in den Oasen der Zentral- vertreiben und damit im engen Kontakt zu den Sahara. Die Tuareg sind als pastorale Nomaden auf Tuareg stehen, die aus dem Air-Gebirge mit ihren die Tierhaltung spezialisiert und stellen den Mobi- Salzkarawanen nach Agadez und in andere Städte litätsfaktor und das Bindeglied in den weiträumi- ziehen, um Handel zu treiben. Die Gesellschaft der gen Dreiecksbeziehungen dar. Sie führen mit ihren Haussa ist streng hierarchisch gegliedert. So gibt es Kamelen die Karawanen zwischen den Oasen und eine adlige Oberschicht sowie Freie und Abhängi- den Haussa-Märkten des Sahels. Neben Salz und ge verschiedener Grade. Über die Zugehörigkeit zu Datteln der Kanuri transportieren sie das sich stän- einer bestimmten Schicht entscheiden die religiöse dig wandelnde Sortiment an westlichen Import- Zugehörigkeit und die politische Position, sowie waren, betätigen sich also als Entrepreneurs, und die Möglichkeit der Machtausübung. Zudem unter- erwerben für den Eigenbedarf sowie den Transport scheiden die in Niger ansässigen Haussa zwischen von den Haussa zu den Kanuri die von den Haus- Amtsinhabern als einer Oberklasse, Handwerkern sa angebaute Hirse und die von ihnen gefertigten und Bauern auf der mittleren Stufe sowie einer Lederwaren und Textilien (vgl. Baier 1976: 3f.). 107

Abb. 35 Handelsdreieck

108 Peter Fuchs berichtet, dass in Fachi viele Einflüsse andere Sandalentypen, allerdings gilt die takalmi von den Haussa zu finden sind und bezeichnet die- beziehungsweise eratim als am weitesten verbreitete se als „kulturelle Ähnlichkeiten“ (Fuchs 1989: 364; Sandalenart. Buchhagen (1990: 131) führt an, dass vgl. Fuchs 1989: 353). Diese Ähnlichkeiten machen der Grund für die überregionale Verbreitung vor sich insbesondere in der Kleidung, den genutzten allem in ihrem Prestigewert begründet sei. Von den Gegenständen und der Sprache bemerkbar. Die verschiedenen Sandalentypen lassen sich auch ei- Verkehrssprache beim Handel ist Haussa, da so- nige in der Ethnologischen Sammlung Göttingens wohl Tuareg als auch Kanuri oft Haussa als Zweit- finden, die Peter Fuchs während seiner Forschungs- sprache sprechen oder zumindest einige Wörter reisen erworben hat. beherrschen (Nicolaisen 1997: 62f.). Ein weiteres von den Haussa produziertes Er- Von großer Bedeutung für die Tuareg ist der zeugnis, das für die Tuareg einen hohen Prestige- Erwerb von Lederwaren bei den Haussa. Dazu wert besitzt, ist die Satteltasche eljebira. Diese Ka- gehören beispielsweise Sandalen, die nicht lokal melsatteltasche ist typisch für die Region Agadez, hergestellt werden, sondern aus dem Haussa-Land wo sie von Frauen der Haussa hergestellt wird. Sie stammen (Spittler 2002: 23). Erscheinungsbild und unterscheidet sich von anderen Satteltaschen durch die damit verbundene Nachfrage und Angebot des ihre zwei Innenfächer und den reich verzierten Produktes spiegeln transkulturelle Auswirkungen Taschendeckel, der in drei breiten Fransen endet. aus allen Richtungen des Handelsdreiecks wider. Durch den aufwendig dekorierten Taschendeckel An dieser Stelle sei der Sandalentyp der takalmi be- wird ihr Wert hoch geschätzt. Sie wird von Tuareg- ziehungsweise takelmi genannt, der von den Tuareg Männern genutzt, die darin ihre Kleidung und an- als eratim bezeichnet wird. Hierbei handelt es sich dere persönliche Gegenstände aufbewahren. Ne- um eine hochwertige Sandale, deren Sohle aus ver- ben ihrem praktischen Wert wird ihr aufgrund ihrer schiedenen Lagen besteht und daher sehr robust ist. reichen Verzierung außerdem eine Schmuckfunkti- Sie gilt als klassische Sandale der Haussa, die aus- on zugeschrieben. Die dekorierte Seite der Tasche schließlich von diesen hergestellt wird, allerdings wird nur zu besonderen Anlässen nach außen ge- wird sie auch gerne von den Tuareg getragen, da sie tragen und ansonsten am Körper des Tieres, um sie das Einsinken auf dem weichen Sandboden beim vor äußeren Einflüssen möglichst gut zu schützen Gehen verhindert und schnell abgelegt werden (Buchhagen 1990: 44-46). kann, was vor allem für die Karawaniers wichtig ist, Erwähnenswert wäre auch noch das grüne Le- die ihre Kamele barfuß reiten. Zudem sind die San- der, das sowohl durch die Haussa, als auch die Tua- dalen oft dekoriert und mit kleinen Mustern verse- reg in den Lederarbeiten Verwendung findet. Beide hen. Sie werden vor allem von wohlhabenden Tu- Ethnien sind dem Islam zuzuordnen (bis auf einige areg bevorzugt (Buchhagen 1990: 57-60). Sowohl wenige Ausnahmen). Grün gilt im Islam als heilige bei den Haussa, als auch den Tuareg gibt es noch Farbe, da die Kleider des Propheten Mohammeds 109 diese Farbe gehabt haben sollen. Als Zentrum der und die überschüssigen Waren in das Handelsdrei- Herstellung des Grün-Leder gilt vor allem die Stadt eck einfließen zu lassen (Buchhagen 1990: 133f.). Kano in Nigeria. Daher wird die Farbe oft auch als „Kano-Grün“ bezeichnet, aber auch in Sokoto wird Perspektiven grünes Leder hergestellt. Für die Tuareg gilt es als edel und schutzbringend. Das grüne Leder erwer- In Hinblick auf die Bedeutung des Tauschhandels ben sie zumeist von Haussa-Handwerkern (Buch- für die Tuareg-Nomaden stellt sich die Frage nach hagen 1990: 35 und 88). der Zukunft der Karawanen und den Faktoren, die Allgemein lässt sich sagen, dass insbesondere das Fortbestehen und Funktionieren dieser beein- das Lederhandwerk der Haussa eine große wirt- flussen oder gefährden könnten. Dürren, Aufstän- schaftliche Bedeutung mit einem nicht zu über- de, Kriege und instabile politische Verhältnisse in sehenden kulturellen Einfluss darstellt. Vor allem den Ländern, in denen sie agieren, bilden zweifellos Produkte aus Agadez (Niger) zeigen diese trans- einen gefährdenden Faktor. Hinzu kommen alter- kulturellen Ausmaße, sowohl von Seiten der Haus- nativ zu den Kamelen als Transporttieren andere sa wie auch vice versa der Tuareg. Einige Stücke Verkehrsmittel wie Trucks. Bis jetzt haben sie die werden in Agadez sogar geschmacklich-stilistisch Karawanen noch nicht ganz verdrängt, da viele Ka- ausschließlich für den Gebrauch der Tuareg her- rawanenrouten abseits der Straßen liegen. Zudem gestellt und finden in der Kultur der Haussa keine sind Kamele kostengünstiger, ökologischer und Verwendung. „Agadez als Zentrum inter-ethnischer laufen nicht Gefahr, im Sand stecken zu bleiben. Handelsbeziehungen hat zu einem Zusammentref- Zwar gibt es LKWs, die Salz von den Oasen zu den fen von Angebot und Nachfrage geführt“ (Buchha- Märkten transportieren. Sie stellen aber keine allzu gen 1990: 133). Da die von den Haussa gefertigten große Konkurrenz für den Karawanenhandel dar, Waren in ihrer handwerklichen Güteklasse sehr von bei dem allerdings mittlerweile Waffentransporte, den Tuareg geschätzt werden, erwerben sie dort Schmuggelhandel und das Schleusen von Flüchtlin- vor allem Produkte wie die Satteltasche eljebira, die gen aus südlicher gelegenen afrikanischen Staaten Prestige fördernd sind. Produkte des Alltags hin- in Richtung Norden zu den Migrationsrouten nach gegen werden oft von den Tuareg selbst hergestellt Europa zum alltäglichen Geschäft dazu gehören. (vgl. Ritter 2002). Das Lederhandwerk der Haussa Auch Tuareg selbst sind längst zu Migranten ge- ist sehr gut organisiert und so ist es den Handwer- worden. Ihr Leben im Exil ist von dem Ethnologen kern möglich, kundenorientiert zu arbeiten und auf und ehemaligen Schüler Peter Fuchs‘, Georg Klute, bestimmte Bedürfnisse oder Vorlieben einzugehen. detailliert erforscht. Die Beschäftigungen reichen Die Sesshaftigkeit der Haussa ermöglicht es durch vom Oasengärtner, Soldaten, Nachwächter, Lohn- ständige Nähe untereinander, in gewisser Abstim- hirten, Schmied und Handwerker, Hilfsarbeiter mung über den Eigenbedarf hinaus zu produzieren auf dem Bau, Händler und Räuber bis zu ‚White- 110

Abb. 36 Tuareg Rebellen. Magnus Manske, 2012

Collar‘-Tätigkeiten, religiösen Ämtern und Jobs im ähnlich wie andernorts auf der Welt, in den Tuareg- Tourismusgewerbe (vgl. Klute 2013: 238-336). Gebieten zunehmende transnationale Verflechtun- Ein wesentlicher Grund für den Rückgang von gen erkennen, die sich auch auf den Wandel der Karawanen könnte von den Lebensumstellungen jeweiligen Handlungshorizonte der Akteure bezie- der Tuareg in ihren angestammten Gebieten selbst hen, womit wiederum eine steigende Notwendig- kommen. Um sie sesshaft zu machen, sind ihnen keit einhergeht, „gesellschaftliche wie individuelle längst nationalstaatlich verordnete entwicklungs- Handlungsfähigkeit (d.h. Identität) in einer unüber- politisch relevante Maßnahmen, wie zum Beispiel sichtlicher werdenden Welt beständig neu aushan- der Ackerbau und die Viehhaltung oder Beschäf- deln zu müssen“ (Förster 2005: 51). tigungen auf dem wachsenden Tourismussektor, Bei den Kanuri aus dem Gebiet der Oase Fachi oktroyiert worden. Insgesamt gesehen lassen sich, im Staat Niger stellt sich ein besonderes Problem: 111 Seit 2012 wird vom Auswärtigen Amt dringend Buchhagen, Silke abgeraten, in diese Region zu reisen, da die isla- 1990 Das Lederhandwerk der Haussa und Tuareg mistische Terror-Miliz Boko-Haram ihren Einfluss im Vergleich. Göttingen (unveröffentlichte Magis- von Süden her bis dorthin ausgedehnt hat. Aus der terarbeit, Georg-August-Universität Göttingen). im Norden Nigerias ansässigen anderen Gruppe der Kanuri stammen sogar viele ihrer Anhänger. Candotti, Marissa Boko-Haram speist sich meist aus Söldnern, die 2010 The Hausa Textile Industry: Origins and sich der Terrorgruppe für wenig Geld anschließen, Development in the Precolonial Period. In: Haour, ohne die ideologischen Hintergründe zu teilen oder Anne und Benedetta Rossi (eds.) Being and Beco- überhaupt zu kennen. Da diese Region der Kanu- ming Hausa: Interdisciplinary Perspectives. ri durch Migration, wirtschaftliche Umbrüche und S. 187-211. Leiden: Koninklijke Brill NV. besonders durch Armut geprägt ist, kann darin eine Motivation erkennbar sein, die eigene Familie Cohen, Abner so über Wasser zu halten. Die Migration und damit 1969 Custom and Politics in Urban Africa: verbundene „Suche nach Geld“ ist hier im lokalen A study of Hausa Migrants in Yoruba Towns. Kontext zu einem Leitmotiv des Leben avanciert, London: Routledge & Kegan Paul. wie dies am Beispiel einer Untersuchung eines Haussa-Dorfes in Niger erst vor kurzer Zeit sehr Förster, Till umfassend und differenziert herausgearbeitet wor- 2005 Globalisierung aus einer Handlungspers- den ist (Verne 2007: 51-110). pektive. Versuch einer ethnologischen Klärung. In: Loimeier, Roman, Neuber, Dieter u. Cordula Verwendete Literatur Weißköppel (Hg.): Globalisierung im lokalen Kon- text. Perspektiven und Konzepte von Handeln Baier, Stephen in Afrika. Beiträge zur Afrika-Forschung, hrsg. v. 1976 Economic History and Development: Institut für Afrika-Studien, Bd. 20. Münster: LIT. Drought and the Sahellan Economies of Niger. African Economic History 1:1-16. Fuchs, Peter 1953 Im Land der verschleierten Männer. Wien: Braukämper, Ulrich und Editha Platte Amandus-Verlag. 2000 Sahara und Sahel. Museumspädagogische Materialien zur Afrika-Dauerausstellung der 1983 Das Brot der Wüste: Sozio-Ökonomie der Ethnologischen Sammlung der Universität Sahara-Kanuri von Fachi. Wiesbaden: Franz Göttingen, S. 1-6 (unveröffentlichtes Dokument). Steiner.

112 1989 Fachi: Sahara-Stadt der Kanuri. Stuttgart: Nicolaisen, Johannes und Ida Nicolaisen Franz Steiner. 1997 The Pastoral Tuareg: Ecology, Culture and Society. Vol 1: Copenhagen: The Carlsberg 1991 Menschen der Wüste. Braunschweig: Georg Foundation. Westermann Verlag GmbH. Ritter, Hans Fuchs, Peter, Klute, Georg und Hans Ritter (Hg.): 2002 Kunst und Handwerk der Tuareg. Fuchs, 2002 Tuareg. Eine Nomadenkultur im Wandel. Peter, Klute Georg und Hans Ritter (Hg.): Tuareg: Museum Künstlerkolonie. S. 7-20. Darmstadt: Eine Nomadenkultur im Wandel. S. 33-63. Häusser.media. Darmstadt: Häusser.media.

Haour, Anne und Benedetta Rossi (eds.) Soldini, Giovanna 2010 Being and Becoming Hausa: Interdisciplinary 1983 Tuareg: Leben in der Sahara. Zürich: Perspectives. Leiden: Koninklijke Brill NV. Universität Zürich Völkerkundemuseum.

Klute, Georg Spittler, Gerd 2002 Tuareg und der moderne Staat. In: Fuchs, 2002 Globale Waren: lokale Aneignungen. In: Peter, Klute Georg und Hans Ritter (Hg.): Tuareg. Hauser-Schäublin, Brigitta (Hg): Ethnologie der Eine Nomadenkultur im Wandel. Museum Künst- Globalisierung: Perspektiven kultureller Verflech- lerkolonie. Darmstadt: Häusser.media. tungen. Berlin: Reimer. S. 15-30.

2013 Tuareg-Aufstand in der Wüste. Ein Beitrag Verne, Markus zur Anthropologie der Gewalt und des Krieges. 2007 Der Mangel an Mitteln: Konsum, Kultur Siegener Beiträge zur Soziologie, hrgs. V. Trutz v. und Knappheit in einem Hausadorf in Niger. Trotha u. Rainer Geißler, Bd. 12. Köln: Rüdiger Berlin: LIT. Köppe Verlag.

Loimeier, Roman, Neuber, Dieter u. Cordula Weißköppel (Hg.) 2005 Globalisierung im lokalen Kontext. Perspektiven und Konzepte von Handeln in Afrika. Beiträge zur Afrika-Forschung, hrsg. v. Institut für Afrika-Studien, Bd. 20. Münster: LIT.

113 Der Schmuggelhandel: die Elemente Zollgebühren oder überwinden die restriktiven Ein- des Karawanenhandels und der Razzia und Ausfuhrbestimmungen mit Bestechungsgel- dern und weitreichenden Beziehungen. Georg Klute Bei einer zweiten Gruppe von Grenzhändlern handelt es sich um die nomadischen Viehhalter Neben Arbeit in den unterschiedlichsten Berufen aus Mali und Niger, die Vieh und Viehprodukte in betätigen sich Tuaregmigranten in Algerien und herkömmlichen Karawanen nach Norden, Lebens- Libyen auch im Schmuggelhandel. Der zweideutige mittel, Datteln oder Decken nach Süden verbrin- Begriff „Schmuggelhandel“ ist mit Absicht ge- gen. Während diese Karawanen in der kolonialen wählt. Seine Zusammensetzung soll zeigen, dass und nachkolonialer Zeit bis weit in die algerische der grenzüberschreitende Handel aus verschiede- Sahara zogen, etwa in den algerischen Touat (mehr nen Blickwinkeln betrachtet werden kann. Aus der als 1.000km Luftlinie von Kidal entfernt) oder Sicht der beteiligten Staaten besteht beinahe der nach Tamanrasset, wagt man diese langen Karawa- gesamte grenzüberschreitende Handel aus Tua- nenreisen heute immer seltener. Anstatt auf dem reg Schmuggel: Sei es, dass Ein- oder Ausfuhr der langen Weg in die algerische Sahara das Risiko von gehandelten Waren untersagt sind, sei es, dass die Kontrollen durch den Zoll und der Beschlagnahme Waren an den Kontrollstellen der Staaten vorbei ihrer Waren einzugehen, ziehen viele den kürze- geführt werden; diesen Handel gilt es zu unterbin- ren Weg bis zur algerischen Grenze vor. Bei dieser den. Aus der Sicht der Tuareg in den nördlichen Option ist zumindest nicht der Hin-, sondern nur Landesteilen von Mali und Niger dagegen geht es der Rückweg gefährlich; hier kann den Händlern um lebensnotwendigen Handel. Dieser Handel zwar nicht der algerische, aber der nigrische oder erlaubt ihnen, eigene Produkte gegen Dinge ein- malische Zoll auflauern und illegal eingeführte zutauschen, die sie selbst nicht herstellen können. Waren, manchmal auch Tragtiere oder Fahrzeuge, Allerdings sehen die Tuareg zwischen den Gruppen, beschlagnahmen. Während die großen Karawanen, die Handel mit den nördlichen Nachbarländern Al- die für den langen Weg in die algerische Sahara zu- gerien und Libyen betreiben, bedeutende Unter- sammengestellt werden müssen, in vorkolonialer schiede. Zeit den Vorteil des Schutzes vor Überfällen boten, Eine erste Gruppe sind Händler, die im Nor- haben sie heute den Nachteil der Auffälligkeit. Im den von Mali und Niger Vieh aufkaufen, um es auf grenznahen Karawanenhandel reist man deshalb den südalgerischen Märkten als Schlachtvieh zu gern in kleinen Gruppen, manchmal in Ein-Mann- veräußern. Nach Niger und Mali handeln sie legal Unternehmungen, die so unauffällig sind, dass sie Datteln und Kautabak, aber auch illegale Waren, den Nachstellungen des Zolls leicht entgehen kön- Lebensmittel oder Treibstoff, die dem Ausfuhrver- nen. Auch die heutigen Drogen- oder Waffenhänd- bot unterliegen. Diese Händler entrichten entweder ler haben sich diese Taktik zu eigen gemacht und 114 verzichten zugunsten von Unauffälligkeit auf den auch oft als Einstieg, durch den man das Kapital Schutz des Konvois. für andere, weiterreichende Unternehmungen im Eine dritte Gruppe von Grenzhändlern wird Schmuggelhandel zu gewinnen hofft. von den Nomaden im Norden Malis und Nigers Insofern hat die Ziehung staatlicher Grenzen Diebsgesindel, genannt. Bei dieser Gruppe mag in Afrika auch neue ökonomische Möglichkeiten es sich um solche Männer handeln, die den regel- eröffnet. Die Grenzziehungen, die im Übrigen in mäßigen ‚Schmuggelhandel‘ zu ihrem Broterwerb Afrika häufig nicht ‚künstlicher‘ waren als die gemacht haben; meist aber sind es Gelegenheits- Grenzziehungen zwischen anderen Staaten auch, händler, die sich für kürzere oder längere Zeit an haben in einigen Fällen autonome Wirtschafts- dem grenzüberschreitenden Handel beteiligen; räume geschaffen, in anderen Fällen bestehende, unter diesen finden sich viele Migranten. relativ eigenständige Wirtschaftsräume ausdrück- Eine weitere Möglichkeit im Schmuggelhandel lich voneinander abgegrenzt, so dass in den Grenz- ist der Handel zwischen den Orten an der malisch- regionen „dynamische Potentiale“ entstanden sind, algerischen, nigrisch-algerischen oder algerisch- die durch Grenzhändler genutzt werden. Dass viele libyschen Grenze. Für viele Migranten ist dieser der ‚schwachen‘ afrikanischen Staaten für ihre Ein- Handel über kurze Distanzen eine beliebte Option nahmen wesentlich auf Zollgebühren angewiesen zum Gelderwerb. Auf ihn können sie leicht immer sind, behindert zwar einerseits den grenzüberschrei- dann zurückgreifen, wenn in den Gastländern kei- tenden Handel, vergrößert aber andererseits das ne Arbeit zu finden ist oder wenn andere Erwerbs- ‚dynamische Gefälle‘ zwischen diesen Ländern. Der quellen verschlossen sind. Da der Weg zwischen Versuch der einzelnen Staaten, an ihren Grenzen den verschiedenen Grenzorten zu Fuß, mit dem durch Zollgebühren Handelsspannen abzuschöp- Esel oder dem Kamel zurückgelegt wird, sind keine fen, erhöht mit dem Risiko zugleich die Gewinn- großen Investitionen für Transportmittel nötig. An spannen der Grenzhändler. der nigrisch-algerischen oder malisch-algerischen Von anderer Art als der Handel über kurze Di- Grenze werden bei dieser Art des Handels vor al- stanzen zwischen zwei benachbarten Grenzorten lem leichte und relativ teure Lebensmittel transpor- sind die weitreichenden Handelsunternehmungen tiert. An der algerisch-libyschen Grenze, zwischen der ‚Diebsleute‘, die grenzferne Orte und Regionen Djanet und Ghat, führen wegkundige Tuareg Ar- miteinander verbinden und die deshalb zwar sehr beitsmigranten aus allen Teilen Westafrikas durch gewinnträchtig, wegen der großen Entfernungen die Berge des Tassili des Ajjer nach Libyen und aber auch äußerst risikoreich sind. Einige dieser tragen Elektrogeräte aus Libyen auf ihren Rücken Unternehmungen ähneln in Planung und Durch- nach Algerien zurück. Dieser Grenzhandel über führung beinahe militärischen Kommandounter- kurze Distanzen stellt nicht nur eine letzte öko- nehmungen: Nord-Süd-Verbindungen zwischen nomische Zuflucht für viele Tuareg dar, er dient Algerien, Mali, Libyen und Niger, oft weit über 115 1.000 km. Auf diesen langen und riskanten Fahrten, Norden des Tschad zurückgelassen worden wa- manchmal nur mit einem einzigen Fahrzeug, wer- ren. Während dieser Handel vom Norden Nigers den vor allem leichte und teure Waren gehandelt in west-östlicher Richtung heute kaum noch Be- wie Zigaretten, Drogen, Alkohol, Videokassetten, deutung hat, sind die neu erschlossenen oder wie- Parfum, Devisen, Menschen, also illegale Einwan- derbelebten Süd-Nord-Verbindungen gegenwärtig derer, nach Norden; Treibstoffe, Milchpulver, Zu- von international operierenden Händlerringen ‚ent- cker, Tee, Öl, Waffen, Ersatzteile etc. nach Süden. deckt‘ worden. Neben zollfreien Zigaretten, deren Gleichfalls in Süd-Nord-Richtung gehen andere Handel im Übrigen äußerst gewinnträchtig ist, geht Unternehmungen, die in den Hafenstädten an der es hier auch um Waffen und Drogen. westafrikanischen Küste ihren Ausgang nehmen Über diese mehrere Staaten übergreifenden und zollfreie Zigaretten oder Drogen nach Norden Handelsnetze ist nur selten etwas von einem der in die Sahara verbringen. Weil bei diesen Fahrten Beteiligten zu erfahren. Bei einer Gelegenheit al- mehrere Grenzen überquert und die Zollbehörden lerdings ließ der Anführer der nigrischen Rebel- verschiedener Staaten bestochen werden müssen, lenbewegung FLAA Front de Libération de l’Aïr et de verlangen diese Unternehmungen eine große Orga- l’Azawaq, Rhissa Boula, die nigrische Öffentlichkeit nisationsfähigkeit und einen hohen Kapitaleinsatz. Einzelheiten über diese Handelsnetze und die Ver- Noch spektakulärer erscheinen die Fahrten in wicklungen der Rebellen in diesen internationalen west-östlicher oder ost-westlicher Richtung, die die Schmuggelhandel wissen. Hintergrund für diese er- Tuareg seit 1990 oder 1991 zunächst zum Einkauf staunliche Preisgabe von Insiderinformationen war, von Waffen begonnen haben. Vom nördlichen Mali dass Kämpfer der FLAA im Frühherbst 1996 einen aus gingen diese Fahrten vor allem in den Norden LKW mit Zigaretten auf dem Weg nach Libyen in Mauretaniens, wo geraubte und erbeutete Gelände- der nigrischen Wüste aufgebracht hatten. Zwei fahrzeuge verkauft und dafür Waffen von ehemali- Mitglieder der FLAA wurden daraufhin von den gen Kämpfern der Polisario (Frente Popular para la nigrischen Behörden verhaftet. Auf ein Ultimatum Libéracion de Saguia al Hamra y Rio de Oro = Volks- der FLAA mit der Forderung nach ihrer soforti- front für die Befreiung der Saguia al Hamra und des gen Freilassung reagierte die nigrische Regierung Rio de Oro) oder von Soldaten der mauretanischen mit der Aussendung einer Armeeeinheit, die die Armee eingekauft wurden. Herausgabe der wertvollen LKW-Ladung erzwin- Ebenfalls während der bewaffneten Auseinan- gen sollte. Im September 1996 allerdings kam es dersetzung (ab 1991) erschlossen Rebellen aus dem zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit ei- Norden Nigers einen Handelsweg in den Norden ner Gruppe der FLAA. Der Versuch der Armee, des Tschad, wo sie von den Tubbu des Tibesti vor die wertvolle Zigarettenladung zurückzuerobern, allem solche Waffen kauften, die von der libyschen wurde zurückgeschlagen; die ausgesandte Einheit Armee bzw. der ‚Islamischen Legion’ Libyens im musste sich zurückziehen. Diese Auseinanderset- 116 zung nahm Rhissa Boula zum Anlass, die nigrische dieses internationalen Handelsnetzes auf Asphalt- Regierung des Bruchs des Friedensvertrages vom straßen aufzubringen. Anders als Wüstenverbin- April 1995 zu beschuldigen. In einem Zeitungsin- dungen, bei denen häufig die Weite des Raumes ge- terview gab er Einzelheiten dieses Handelsnetzes nutzt werden kann, eignen sich Asphaltstraßen an und die Verwicklung der nigrischen Rebellen in sich sehr gut für die Kontrolle des Handelsverkehrs; diesen internationalen Handel preis, um hohe ni- nur ein schmales Band muss überwacht, Fahrzeuge grische Politiker und Offiziere der nigrischen- Ar und Personen können leicht angehalten werden. mee der Beteiligung am Schmuggel, Waffen- und Den nigrischen Rebellenbewegungen jedoch war Drogenhandel, der Steuerhinterziehung und der es seit 1993 nur noch gelungen, Fahrzeuge dieses organisierten Kriminalität beschuldigen zu können. Handelsnetzes in der Wüste zu überwachen, was Dadurch, dass er von so vielen Einzelheiten berich- ungleich schwerer ist und wo u.a. stark der Zu- tete, gab er zu verstehen, dass er auch die Namen fall bestimmt, ob man ein Fahrzeug überhaupt zu der hohen nigrischen Politiker und Offiziere kann- Gesicht bekommt. Rhissa Boula unterstellt daher te, die er in dem Interview allerdings nicht nennt. in dem Interview, dass die gehandelten Waren auf Die Verwicklungen der nigrischen Rebellen- dem ersten, asphaltierten Teil der Strecke, die von bewegungen in diesen internationalen Handel den verschiedenen Rebellenbewegungen über- bezeichnet Rhissa Boula als ‚Operationen inner- wacht wurde, nämlich bis Agadez, in Flugzeu- halb dieses Netzes‘ mit dem Ziel seiner ‚Desor- gen transportiert und dann auf LKW umgeladen ganisierung oder zur eigenen Versorgung‘, was wurden. Bei diesen Flugzeugen handele es sich wir als euphemistische Umschreibungen für die um die Präsidentenmaschine Nigers, was für Erhebung von Transit- und Schutzgeldern, oder, Rhissa Boula noch einmal die Beteiligung von hohen wie in dem geschilderten Fall des aufgebrachten Regierungsmitgliedern und der Armee an dieser LKW mit Zigaretten, als Beschlagnahme der ge- Art des Handels unter Beweis stellt. handelten Waren verstehen müssen, wenn nicht Zusammengefasst weist der Schmuggelhandel oder nicht genügend hohe Anteile an Transitgel- folgende Charakteristika auf: dern gezahlt werden. In ähnlicher Weise erheben heute verschiedene bewaffnete Gruppierungen • Während der ‚gewöhnliche‘ Schmuggler staat- im Norden von Mali und Niger Transitgebühren lichen Kontrollen auszuweichen sucht, wollen die von Grenzhändlern; mit dem Erlös rüsten sie dann an diesem Schmuggelhandel beteiligten Gruppen weiter auf, um noch mehr Transitrouten unter ihre die (bewaffnete) Kontrolle über die Transportwe- Kontrolle zu bringen. ge erlangen. Kontrollen werden nicht umgangen, Im Übrigen beklagt sich Rhissa Boula in dem sondern Kontrolleure vertrieben oder in das Interview darüber, dass die nigrischen Rebellen seit Handelsnetz einbezogen. Ende 1993 ganz erfolglos versucht hätten, LKW 117 Staatsbeamte, Politiker, selbst ein Staatspräsident, • Die von den Staaten bestellten Kontrolleure, die zu Schmugglern werden, übertreten die Geset- die Zöllner, werden selbst sehr oft zu Schmugg- ze, die sie eigentlich überwachen sollen. Schmug- lern. Für das Versprechen, bestimmte Grenzhänd- gelhändler auf der anderen Seite sorgen – auf ler nicht aufzubringen, kassieren sie Transitgelder, den von ihnen kontrollierten Wegen – für siche- sie kaufen Schmuggelware auf oder beteiligen sich ren Handel und verfolgen Unruhestifter auch mit selbst an Handelsunternehmungen. Schmuggler ih- Waffengewalt, womit sie Aufgaben übernehmen, rerseits können zu Grenzkontrolleuren werden; sie die eigentlich in den Verantwortungsbereich des garantieren sichere Handelswege und kassieren da- Staates fallen. Es ist bezeichnend, dass einige von für Transitgebühren. ihnen nach einer erfolgreichen Karriere zunächst als Schmuggler, dann als Rebell, mit den Friedens- • Ebenso wichtig wie die Kontrolle über die vereinbarungen nach Ende der ‚Tuaregrebellionen‘ Transportwege wird die Kontrolle der Transport- selbst zu Zöllnern geworden sind. mittel. Von konkurrierenden Grenzhändlern sucht Der israelische Militärhistoriker Martin van man nicht allein die transportierten Waren, son- Creveld würde in dem Schmuggelhandel zwischen dern auch die Fahrzeuge zu erbeuten, die dann für Niger, Mali, Algerien und Libyen Konturen der den eigenen Grenzhandel oder zum Aufbringen „Zukunft des Krieges“ (Creveld 1998) erkennen. der Fahrzeuge von Konkurrenten genutzt werden. Während Kriege bislang von Armeen im Auftrag von (National-) Staaten gegen die Armeen ande- • Grenzhändler wandeln sich schnell in bewaff- rer (National-) Staaten geführt wurden, wobei die nete, kriegführende Einheiten, die andere, nicht Zivilbevölkerung der kriegführenden Staaten zu- von ihnen selbst kontrollierte Handelswege bedro- mindest durch das Kriegsrecht – wenn auch häu- hen, um Handelsströme auf das kontrollierte Ge- fig nicht in der Praxis – geschützt war undvon biet umzuleiten und dafür Transitgebühren zu kas- den Kampfhandlungen ausgespart werden sollte, sieren. Solche bewaffneten Aktionen werden ganz werde in künftigen Kriegen die Trennung zwi- unterschiedlich gerechtfertigt: mal kämpft man für schen Regierung, der von ihr beauftragten Armee Sicherheit und Ordnung, mal für die staatliche Ein- und der Bevölkerung nicht mehr gelten. Selbst heit, mal für das Selbstbestimmungsrecht der eige- „nationale Grenzen […] werden […] bedeutungslos, nen (ethnischen) Gruppe etc. wenn rivalisierende Organisationen kreuz und quer über diese Grenzen hinweg aufeinander Jagd ma- • Die Grenzen zwischen Schmuggelhändlern und chen“ (Creveld 1998: 328). Der zukünftige Krieg Zöllnern, wie überhaupt die zwischen staatlichen werde ein low intensity conflict sein; der herkömmli- und nichtstaatlichen Gruppen, zwischen Geset- che, zwischenstaatliche Krieg sei heute am Ende zeshütern und Gesetzesbrechern, verschwimmen. seiner Entwicklung angelangt: Überall dort, wo 118 Atomwaffen vorhanden sind oder ihre Existenz können, so dass schließlich diese Kriegsform alle nur vermutet wird, bestehe die Tendenz, auf den anderen Formen des Krieges verdrängen werde. Krieg als ein Mittel staatlicher Politik zu verzichten; In einer äußerst positiven Würdigung dieses hier sehe man die Gefahr, dass herkömmliche, zwi- Buches kritisiert Trotha jedoch die Ausschließlich- schenstaatliche Kriege als Atomkriege geführt wer- keit des van Creveldschen Bildes von der Zukunft den könnten, was zugleich das Ende zumindest der des Krieges. Zwar werde der low intensity conflict in kriegführenden Parteien bedeuten müsse. Deshalb Zukunft tatsächlich an Bedeutung gewinnen, das werde es Kriege in Zukunft nur noch dort geben, heiße aber nicht, dass die Bedrohung durch einen wo die Gefahr einer atomaren Katastrophe nicht herkömmlichen Krieg oder einen Atomkrieg ver- bestehe, d.h. zwischen kleinen und schwachen schwinden werde. Trotha argumentiert, dass die Mächten, oder die Kriege, an denen Großmächte dem low intensity conflict entgegenstehende andere beteiligt sind, würden zumindest auf einem niedri- Extremform des Krieges, nämlich der Atomkrieg, gen kriegstechnischen Niveau ausgetragen, womit zumindest als immer gegenwärtige Bedrohung ne- man die Entfaltung der Zerstörungskraft eines her- ben dem Krieg ‚geringer Intensität‘ weiter existie- kömmlichen Krieges oder gar eines Atomkrieges zu ren wird. vermeiden glaube. Die Entwicklung hin zu einem Die zweite Kritik an den van Creveldschen The- Krieg ‚geringer Intensität‘ werde weiter dadurch vo- sen von der Zukunft des Krieges richtet Trotha rangetrieben, dass die vorherrschende künftige po- gegen deren „anthropologischen Reduktionismus“. litische Ordnung nicht mehr von Staaten gebildet Neben einer „mangelnden begrifflichen Differen- werde. Damit entfiele die Grundlage für den- her zierung“ und einem Sprachduktus, der eben wegen kömmlichen oder den „trinitarischen Krieg“, der seines anthropologischen Reduktionismus Gewalt eben auf der „differenzierten Einheit“ von Staat, verherrlichend wirken kann, kritisiert er vor allem Armee und Bevölkerung beruhe, und in dem die simplifizierte Argumentationen, in denen Creveld Regierung eines Staates ihre Armee für wie auch Motive für den Krieg und Ziele im Krieg darlegt. immer geartete staatliche Interessen zum Krieg ge- Er reduziere den Krieg auf eine fragwürdige, ‚ewig gen die Armee eines anderen Staates aufruft. Das gültige‘ anthropologische Grundlage, der die unter- Ende des Staates als vorherrschende politische schiedlichen sozialen und kulturellen Ordnungen Ordnung werde u.a. auch dadurch beschleunigt, und Prozesse entgehen, in deren Rahmen jeder ein- dass den Staaten heute angemessene Mittel fehlten, zelne Krieg stattfindet und in dem er beschrieben um ihren Bürgern Schutz vor der Gewalt eines low werden müsse. intensity conflictsoder vor Terrorangriffen anzubieten. Abgesehen davon, dass der von Creveld pos- Im Gegenteil müssten die Staaten selbst auf Mit- tulierte Niedergang des herkömmlichen, ‚trinitari- tel des low intensity conflict, Terror, Guerillataktiken schen‘ Krieges nicht überall stattfinden kann, weil usw. zurückgreifen, um diesen Krieg bekämpfen zu es diese Form des Krieges nur in dem Teil der 119 Welt gegeben hat, in dem sich eine Ordnung mo- Die überwiegende Zahl der Autoren jedoch derner Staaten entwickelt hat, habe ich hier anders versteht den bewaffneten Raubzug nicht als aus- argumentiert. Ich habe nicht die Neuartigkeit des gezeichnete Möglichkeit, zu Erfolgen beim ande- Phänomens ‚Schmuggelhandel‘ betont, sondern ren Geschlecht zu kommen, sondern sieht in der im Gegenteil argumentiert, dass dieser Schmuggel- Razzia eine wirtschaftliche Aktivität. In diesen handel auf herkömmliche Wanderungsmuster und Arbeiten werden die vorkolonialen Raubzüge der Verhaltensweisen der Tuaregnomaden zurückgreift: Tuareg bezeichnenderweise in den Kapiteln über die Einerseits wird er wie der traditionelle Karawanen- Ökonomie behandelt; sie werden entweder implizit handel abgewickelt, nutzt die alten Verbindungen, oder ganz ausdrücklich zur Produktion hinzuge- erschließt daneben vorher unbekannte Handels- rechnet und häufig mit dem Karawanenhandel ver- wege und baut neue Beziehungen auf, andererseits glichen, was sich nicht nur daran ablesen lasse, dass nimmt er mehr und mehr den Charakter der vorko- die Ziele, nämlich Reichtum zu erlangen, in beiden lonialen Razzia an. Fällen gleich seien, sondern auch daran, dass sich Der bewaffnete Raubzug, die Razzia, war in vor- die Organisationsformen beider Unternehmun- kolonialer Zeit offenbar so häufig, dass die ältere gen in vielerlei Hinsicht ähnelten.1 Weiter wird in Literatur sie als regelrechte „Institution“ bezeich- diesen Arbeiten argumentiert, dass die wirtschaft- nete, auch wenn die Frequenz, mit der solche Raz- liche Aktivität ‚Razzia‘ die Funktion gehabt habe, zien unternommen wurden, je nach Gruppe, den entstandene Verluste auszugleichen, wobei zugleich Zeitumständen oder den persönlichen Ambitio- behauptet wird, dass sich Razzia und Gegenrazzia nen Einzelner durchaus unterschiedlich stark sein auf lange Sicht die Waage gehalten hätten, so dass konnte. Zwar ist sich die Literatur darüber einig, es – zumindest zwischen beteiligten Tuareggrup- dass die Razzia sozusagen Teil der Lebensweise der pen – zu einer räumlichen Verteilung von Reich- vorkolonialen Tuareg war, uneins ist man aber da- tum gekommen sei, eine bemerkenswert verengte rüber, welche Umstände die Institution der Razzia funktionalistische oder kulturökologische Perspek- beförderten und am Leben erhielten. Henri Lhôte tive, die Grausamkeiten einer vorkolonialen Razzia lässt die Razzien der Tuareg ihrem „atavistischen heute in den Blick zu nehmen. Geschmack“ (Lhôte 1955: 369) an solchen Unter- So wie die vorkoloniale Razzia sozusagen zur nehmungen entspringen. Abenteuerlust und Beute- Lebensweise für einen Teil der Tuaregbevölkerung gier seien weiter durch das Ansehen gesteigert wor- geworden war, so wurde der Schmuggelhandel den, das erfolgreiche Razzien den Männern bei den und das Leben „zwischen den Ländern“ ab Ende Tuaregfrauen einbrachten, ein Bild des vorkoloni- der 1970er Jahre zur Lebensweise vor allem junger alen Tuaregmannes bei Lhôte, das Creveld später Migranten. Die nachstehende Schilderung von den auf den Mann aller Zeiten und Kulturen übertragen ersten Erfahrungen einer solchen Schmuggelfahrt zu haben scheint. vermittelt einen anschaulichen Eindruck davon, 120 welches Lebensgefühl Tuaregmigranten auf ihren alle jünger als 28 Jahre oder so. […] Wir haben den Bock Fahrten „zwischen den Ländern“ verspürten: geschlachtet, wir haben Feuer gemacht, hier gibts Tee, hier Haschisch. Und in jedem Auto gab es eine Anlage: Da gibt A.: „Und in dieser Zeit habe ich mit dem Schmuggel es Gitarrenmusik, da gibt es dies, da gibt es das, es gibt ein- angefangen.“ fach alles! Da sind wir geblieben. […] Und danach, so um GK: „Wie schmuggelst du?“ drei Uhr, glaube ich, sind wir wieder aufgebrochen, um nach A.: „Ich hatte einen Freund. Das ist ein Schmuggler In Guezzam zu fahren. Und dann sind wir neben einem (ag-afrod) mit einem Allrad Toyota. Schon vorher hatte er Baum angehalten. Es gab da einen Baum – ich kenne die mir vom Schmuggel erzählt, man macht dies, man macht Stelle nicht – man nennt diesen Baum ešik, Baum.“ das.“ [Erzählt, dass er auf Verlangen seines Vaters sein GK: „Einfach ‚Baum‘?“ Motorrad verkauft hatte, GK] „Nachdem ich es verkauft A.: „Ja. Das ist der Platz, an dem sich die Leute treffen. hatte, hatte ich immer noch mein Geld, und ich verabscheute ‚Wo ist das Treffen?’ ‚Am Baum.‘ Fertig. Das ist da. Die, schon damals Arlit. Warum, weil ich mein Motorrad nicht die von Djanet kommen, werden nach ešik kommen, die von mehr hatte [mit dem er zuvor viel Erfolg bei den Mädchen Tamanrasset kommen, werden nach ešik kommen, die von gewonnen und Neid bei den Jungen geweckt hatte, GK] Ich In Guezzam kommen, werden nach ešik kommen, die von habe den Typ gesucht, bis ich ihn schließlich gefunden habe. Assamaka werden nach ešik kommen.“ Und ich hatte Glück. Morgen wird er losfahren! Drei Au- GK: „Gibt es da auch Malier?“ tos! Morgen Abend! Sie fahren nach In Guezzam, ohne A.: „Nein, es gibt da niemanden aus Mali. Das teilt sich den Kontrollposten von In Guezzam anzufahren, ohne As- zwischen nigrischen und algerischen Tuareg auf. Das ist der samaka [Grenzkontrollposten auf der nigrischen Seite der Platz des Treffens. Das ist in der Sahara. Da gibt es nichts. Grenze, GK] anzufahren. In Guezzam direkt! Nachdem […] Dahin sind wir gekommen. Wir haben Leute getrof- ich ihn gesehen hatte, habe ich gesagt, ich auch, ich will auch fen. Wir haben 14 Toyotas getroffen. 14! Einige sind voll fahren. Ah, das ist In Guezzam direkt, es gibt kein Pro- beladen nur mit Milchpulver, andere sind voll mit Zucker blem.“ […] „Da haben sie gesagt: ‚Ok, weil du morgen beladen. Das sind die, die aus Tamanrasset kommen und mitfahren wirst, werden wir jetzt reden. […] Wir werden nach Arlit fahren. Und wenn du dahin kommst, wirst du zusammenlegen, und wir werden einen Ziegenbock kaufen, nicht einfach anhalten! Du wirst ein bisschen in den Galopp um ihn auf dem Weg zu schlachten, wir werden gut feiern’ gehen! Bevor du anhältst. Wir machen Kuuk, Kuuk [imi- … […] Gut, wir haben also zusammengelegt, 1.000 Francs, tiert lautmalerisch schleudernde Autos, GK], wir machen 1.000 Francs. […] Wir sind um 6 Uhr los, 6 Uhr morgens. einfach alles! Nachher sind wir angehalten, wir haben uns Wir sind gefahren, gefahren, genau … ungefähr 150-140 begrüßt, wir kannten uns alle. Wir haben da ungefähr zwei km. Da gab es zwei große Bäume! Wir sind angehalten. Sie Stunden verbracht. Und während wir da waren, gab es noch haben die Toyotas abgestellt: einen da, einen da, einen da.“ mal sechs Toyotas, die gekommen sind. Sechs! Bevor wir von GK: „Drei Toyotas?“ da los sind, gab es da so ungefähr 23 oder 24 Toyotas, glaube A.: „Drei Toyotas. Und wir sind alle jung! Wir sind ich, alle an derselben Stelle! Alle sind Tuaregmigranten! In 121 jedem Toyota, in der Kabine, läuft Rebellenmusik! Kasset- Zeit geblieben, wir haben Fladenbrot gemacht, wir haben bei ten! Alle! Einige ringen miteinander, andere spielen, andere ešik gegessen, wir haben bei ešik Tee gemacht, und danach, schreien … alles! Einfach die Freiheit! Als wir da los sind, so um elf Uhr, sind wir nach Arlit losgefahren. elf Autos. wollte ich nicht weg, wirklich. Ich hatte einen Platz für mich Wenn du gesehen hättest, wie wir fahren! Nur volle Pulle! gesehen. Und dann sind wir in In Guezzam eingefahren.“ So! [Imitiert mit den Händen Überhol- und Schleuderbe- GK: „Kanntest du In Guezzam nicht?“ wegungen von Autos, GK] Nur im Galopp! Jeder glaubt A.: „Nein, kannte ich nicht. Das war mein erstes Mal. an seinen Wagen. Rennen, das ist ein Rennen! Wenn du Wir sind also nach In Guezzam eingefahren. Die Einkäufe jemanden überholen willst, fährst du an seine Seite, hupen, wollte ich mit meinem Freund, dem Chauffeur, machen. Das bieb, bieb, bieb, bieb, du willst ihn überholen, du willst ihn erste Mal haben wir Zucker gekauft, wir haben Makkaroni überholen, egal für ihn. Du wirst ihn anhupen, dann ziehst und Weizengrieß gekauft.“ du vorbei. Du suchst dann denjenigen, der vor dir fährt. So GK: „Bezahlst du mit Francs CFA?“ läuft das. […] Gut, dann blieben uns so 70 km bis Arlit, A.: „Ja, CFA. In In Guezzam lieben sie sehr die da haben wir uns getrennt. Einige werden von Norden in FCFA. Das ist wie hier. Gut, von da aus sind wir rausge- Arlit einfahren, einige von Süden, einige von Westen und fahren. Es ist Nacht. Du wirst aber kein Licht anmachen, einige von Osten. Bis wir in unseren Stadtteil von Arlit die Scheinwerfer.“ eingefahren sind. Und schnell haben wir abgeladen, ohne den GK: „Wie siehst du dann etwas?“ Zoll zu sehen, ohne überhaupt irgendjemanden zu sehen.2 A.: „Nein, du wirst einfach so fahren. Mit dem Mond, Und den Weizengrieß, den habe ich nicht verkauft; 300 kg. keine Scheinwerfer! Wirklich, der Schmuggler ist jemand, Ich habe alles getan, um auch den Weizengrieß zu verkaufen, der sehr intelligent ist, möchte ich sagen. Weil wir so ungefähr aber ich habe nicht den Preis gesehen, mit dem ich mich aus 15km gemacht haben, ohne die Scheinwerfer anzumachen! der Affäre hätte ziehen können. Weniger, weniger. Wenn ich Und dann noch im vierten Gang!“ […] „Mir gefällt das! kalkuliere, was ich für den Transport gezahlt hatte. Es ist Er [sein Freund, der Fahrer, GK] schaut mich an. […] der Transport, der teuer ist.“ ‚Alhousseini?‘ ‚Jau!‘ Ich sage: ‚Lass gehen! Gib Gas! Ah, GK: „Du bezahlst an den Besitzer des Wagens?“ überhol die anderen, du kannst nicht auf der Stelle stehen A.: „Ja. Ja, das ist es, was teuer ist. Andernfalls, wenn bleiben.‘ So habe ich geredet. Gut, wir sind gefahren, bis wir du dein eigenes Auto hast und du diesen Handel betreibst, wieder bei ešik angekommen sind. Ešik ist, glaube ich, so schwöre ich dir, wirst du in ein bis zwei Monaten ein weiteres 40 km von In Guezzam entfernt. […] Nach nicht einmal Auto zusammenhaben, den gleichen Typ wie das erste. Aber zehn Minuten ist das zweite Auto eingetroffen. Nach nicht das Problem ist, dass der Gewinn beim Auto liegt.“ […] einmal fünf Minuten, das dritte Auto. Und da haben wir „Und ich bin zurückgekehrt. Und bevor ich zurückgekehrt schon 17 oder 18 Toyotas angetroffen, die schon da waren. bin, habe ich sechs Uhren, zwölf Parfüms, vier Videokas- Und da gab es acht Toyotas, die beladen waren, plus die von setten, zwei Anzüge aus Damast, und Marlboro Zigaretten uns, drei, das macht elf Toyotas, die beladen sind. Und alle gekauft, ich habe 14 Stangen genommen. Weißt du, das, was diese Toyotas da fahren nach Arlit. Gut, wir sind da einige es in In Guezzam nicht gibt.“ […] 122 A.: „Gut, wir sind also nach In Guezzam zurückge- südlichen Nachbarländern Mali und Niger, weiter kehrt. Bei diesem zweiten Mal habe ich die Bekanntschaft zu. Der zunehmende Schmuggelhandel erhöhte zu- des Leutnants von In Guezzam gemacht, der Leutnant der gleich den Abfluss algerischer Binnensubventionen Gendarmerie. Er heißt Mustapha.“ in die südlichen Nachbarländer. Dagegen versuch- ten die algerischen Behörden auf der anderen Seite Diese kurze Passage aus der langen biographischen zunächst durch eine verschärfte Überwachung der Erzählung vermittelt nicht nur einen Eindruck vom Grenzen, dann durch verschiedene Ausweisungs- Leben „zwischen den Ländern“, sie zeigt auch sehr kampagnen und schließlich durch die Rückführung gut den Doppelcharakter des Schmuggelhandels: von Flüchtlingen in ihre Heimatländer vorzugehen. einerseits wie eine geschäftliche Unternehmung Dem energischen Vorgehen der algerischen Be- nach dem Muster des Karawanenhandels abgewi- hörden begegneten die Schmuggelhändler ihrer- ckelt zu werden, andererseits einige Element der seits durch immer neue Tricks, mit denen sie den Razzia in sich zu tragen. Zoll und die Grenzkontrollen übertölpeln konnten. Zur Bezeichnung von Razzien haben die Viele von ihnen verschafften sich zudem Schuss- Tuareg eine Reihe von Begriffen, die sich vor allem waffen, mit denen sie sich, wenn nötig, einer Ver- auf die Größe der Raubgruppe und die besonde- haftung entziehen oder ihren Weg mit Gewalt er- ren Umstände beziehen, unter denen eine Razzia zwingen wollten. Im Kontext der Rebellionen vom stattfindet. So wird unterschieden zwischen einer Jahr 1990 an bis zum heutigen Tag schließlich wird großen Expedition, die aus mindestens 15 oder der Schmuggelhandel gänzlich zu einer bewaffne- 20 Kriegern besteht, und einer kleinen Expedition, ten Unternehmung werden, bei der die Tuareg wie bestehend aus drei bis vier Kriegern. bei der vorkolonialen Razzia auch die Kontrolle Tatsächlich begann der Schmuggelhandel im- über Transportwege und Transportmittel zu erlan- mer mehr die Kennzeichen der Razzia anzuneh- gen suchten. men. Dieser Prozess wurde durch zwei sich gegen- seitig stimulierende Gründe vorangetrieben. Zum Anmerkungen einen brach die massenhafte Auswanderung, die im „Jahr des Fließens“ (1973) begonnen hatte, nicht ab, 1 Die Ähnlichkeiten bei der Organisierung von Razzia sondern setzte sich auch in den folgenden Jahren und Karawane beziehen sich nicht nur darauf, dass man fort, bis sie einen Höhepunkt während einer erneu- in beiden Fällen vor dem Aufbruch Informationen da- ten Saheldürre zu Beginn der 1980er Jahre erreichte. rüber einholen muss, wo welche Waren (oder welche Durch diese Emigrationen und die wachsende Zahl Beute) zu finden sind, oder dass man in beiden Fällen von Flüchtlingen und Migranten im Süden Alge- die Bewältigung der einzelnen Wegetappen gründlich riens nahm auch der Schmuggelhandel zwischen planen und vorbereiten muss, oder dass man in beiden Algerien und Libyen, vor allem aber mit Algeriens Fällen (bei der vorkolonialen Karawane) bewaffnet rei- 123 sen muss, um das angestrebte Ziel überhaupt zu errei- chen, sondern auch darauf, dass Karawane und Razzia als Handelsunternehmungen angesehen werden, für die bestimmte Regeln gelten. Besonders augenfällig ist, dass beide Unternehmungen die Institution des ‚Stillen Teilhabers‘ kennen, der meist Transportmittel (Kamele) stellt und nach erfolgreicher Rückkehr entsprechend am Gewinn der Unternehmung beteiligt wird, bei Misser- folg allerdings das volle Verlustrisiko trägt.

2 Auch die Zeit, zu der man in die besonders bewachten Ortschaften und Städte einfährt, wird kalkuliert. In die- sem Fall ist der frühe Nachmittag gewählt, die Zeit der Siesta, in der aller Erfahrung nach die Aufmerksamkeit von Militär, Gendarmerie und Zoll sehr niedrig ist. Nach In Guezzam wurde zu Abenddämmerung eingefahren, von den Tuareg „Stunde des Teufels“ genannt, die den Vorteil der schlechten Sicht bietet; zugleich sind die (muslimischen) Kontrolleure jetzt, wie auch am frühen Nachmittag, durch die Gebetspflicht abgelenkt.

Abb. 37 Schmuggelhändler im algerischen Tamanrasset, Georg Klute, 1992

124 Transkulturelle Einflüsse: zum (Interview: 06.10.14). Die Kolonialbeamten unter- Verständnis des Weltbildes der Hadjerai stützten das Vorhaben von Fuchs, da sie trotz ihrer im Tschad Anwesenheit im Land und regelmäßiger Inspekti- onsreisen nur wenig über die Hadjerai wussten. Ins- Frederike Hapke und Isabel Kreuder gesamt unternahm Fuchs von 1959 bis 1965 drei Forschungsreisen zu den Hadjerai und hielt sich Der zentralafrikanische Staat Tschad wurde nach im Ganzen über zwei Jahre bei ihnen auf (Fuchs dem Tschadsee benannt, einem Binnenmeer, das 1970: 11). ungefähr die Fläche von Hessen aufweist. Das Land ist mit einer Gesamtfläche von ca. 1.300.000 km² etwa dreieinhalb Mal so groß wie Deutschland. Es grenzt im Norden an Libyen, im Süden an die Zen- tralafrikanische Republik, im Westen an Niger, Ni- geria und Kamerun sowie im Osten an den Sudan. Während der ersten Reise von Peter Fuchs zu den Hadjerai in den Tschad im Jahr 1959 war das Land noch eine französische Kolonie, seit August 1960 ist es eine autonome Republik (vgl. Fuchs 1966). Nach ersten Forschungen in Ennedi (Südost- sahara) bei den Bideyat (Bäle) im Jahr 1956 wand- te sich Peter Fuchs dem südlichen Teil des Tschad zu. Dort befindet sich eine Region, die größten- teils zur Präfektur Guéra gehört und durch eine Inselberglandschaft gekennzeichnet ist. Zwischen ausgedehnten Ebenen türmen sich immer wieder Felsmassive auf, von denen die Gipfel bis zu ei- ner Höhe von 1500 m ragen. Die auf den Bergen lebenden Ethnien werden unter der Bezeichnung ‚Hadjerai‘ zusammengefasst. Dieser Sammelbegriff stammt von dem arabischen Wort „hadjer“, was Fels bedeutet (Fuchs 1970: 28). Als Fuchs in den Tschad mit dem Ziel reiste, bei den Hadjerai zu forschen, handelte es sich um eine Sahelbevölke- rung „die […] ethnologisch völlig unbekannt war“ 125

Abb. 38 Ein typisches Dorf der Hadjerai, Peter Fuchs, 1965, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

Peter Fuchs unterteilt die unterschiedlichen ethni- voraussetzungen ableiten, zum Teil aber auch aus schen Gruppen in nördliche und südliche Hadje- den interethnischen Kontakten. Zudem gab es rai, die sich aber ebenfalls wieder aus verschiede- eine Vielzahl von Binnenwanderungen innerhalb nen Ethnien mit unterschiedlichen Sprachen und des Hadjerai-Gebietes (Fuchs 1970: 65). Neben Dialekten zusammensetzen (Fuchs 1970: 28f.). Die solchen daraus resultierenden transkulturellen Be- wichtigsten der insgesamt 14 Hadjerai-Ethnien gegnungen zwischen den einzelnen Hadjerai-Ethni- sind Kenga, Dangaleat, Djonkor, Bidio und Soko- en wurden ferner Kontakte zu anderen Ethnien un- ro (Fuchs 1996: 1). Kulturelle Gemeinsamkeiten terhalten, insbesondere mit nomadischen Arabern der Gruppen lassen sich aus den sich gleichen- (Fuchs 1976: 3f.). Außerdem hatten verschiedene den geographischen Bedingungen und Umwelt- afrikanische Staaten, in deren Wirkungsbereich das 126 Hadjerai-Gebiet liegt, immer wieder Einfluss auf gen im Tschad spielte in der Folge insbesondere die die Kultur der Hadjerai (Fuchs 1970: 288). ethnologische Filmarbeit eine zentrale Rolle. Diese Während seiner Forschungen lernte Peter Fuchs Arbeit fußte fortan auf einer engen Kooperation den Hadjerai Godi Kossat kennen, einen Nachbarn mit dem Institut für den Wissenschaftlichen Film in einem der Hadjerai-Dörfer, der für ihn nicht nur in Göttingen und der dort eingerichteten Produk- als Informant tätig, sondern für mehrere Jahre ein tionsreihe ‚Encyclopaedia Cinemataographica‘: guter Freund wurde. Diese freundschaftliche Bezie- Das IWF und die EC „sollten auf meine weitere hung erleichterte die gesamte Encounter-Situation Entwicklung und Lebensweg entscheidenden und förderte zudem die Beziehungen zwischen Einfluss haben“ (Fuchs, zit. in: Steineck 1994). dem Ethnologen und den Hadjerai. Godi war einer der bekanntesten Sänger der Hadjerai und Fuchs Forschung im Team nahm mit Hilfe von Tonband und Filmkamera seinen Gesang auf. Diese ersten Tonaufnahmen Die neuen Möglichkeiten führten zu weiteren Un- spielte Fuchs ihm danach wieder vor, was für Godi ternehmungen im Tschad während der Jahre 1963- eine „ungeheure Überraschung, eben fast ein Wun- 64, die aufgrund der neuen motorisierten Mobilität der“ war (Fuchs, zit. in: Steineck 1994). Da sich und durch die vom IWF zur Verfügung gestellte dieses Ereignis sehr schnell verbreitete, waren im- Filmausrüstung eine andere Ebene erreichte (Inter- mer mehr Dorfbewohner einverstanden, Aufnah- view: 06.10.14). Außerdem wurde ein Kamera-und men machen zu lassen, unter der Bedingung sich Ton-Team des IWF in das Gebiet der Hadjerai ent- diese danach anhören zu können. sandt, das dort vor Ort zum ersten Mal synchro- ne Bild- und Tonaufnahmen durchführte. Fuchs „So wurde es in dem Dorf eine beliebte Unterhaltung, abends war dabei Vermittler und Kontaktpartner zur lo- zu dem Ethnologen zu gehen, sich von ihm die Tonbandauf- kalen Bevölkerung, da er durch seine vorherigen nahmen, die er gemacht hatte, vorspielen zu lassen, oft gingen Forschungen bereits Anerkennung gefunden hat- wir bei Regen in mein Haus und dann haben die Menschen te und „die Hadjerai […] an meine Anwesenheit bis tief in die Nacht bei mir nach ihren eigenen Tonaufnah- gewöhnt waren“ (Interview: 06.10.14). men getanzt“ (Fuchs, zit. in: Steineck 1994). „Die Techniker waren kooperationsbereit, aber weder landes-, Die erste Hadjerai-Forschung brachte Fuchs vor noch sprachkundig und hatten keine Erfahrung im täglichen allem in Deutschland „Anerkennung innerhalb der Zusammenleben der Menschen in einem Land, das, wie der Ethnologie“ (Interview: 06.10.14) ein und neben Tschad zur damaligen Zeit, kaum Infrastruktur aufzuwei- zahlreichen Vorträgen neue Finanzierungsmöglich- sen hatte“, beschreibt Fuchs das Erlebte in dem Film „Pe- keiten durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ter Fuchs und der ethnographische Film“ (Fuchs, zit. in: (Interview: 06.10.14). Für die weiteren Forschun- Steineck 1994). 127 Die große Herausforderung bestand aber nicht, „logistischen Problems“ gelangen in den zwei wie man vermuten mag, im Zusammentreffen des Monaten der Anwesenheit des IWF-Teams vie- Teams des IWF mit der Bevölkerung, sondern le Aufnahmen, wie etwa die Dokumentation von in den ungeheuren Mengen an Material, „unge- Trauertänzen und der dazugehörigen musikalischen fähr eine Tonne an Gewicht“, das mitgebracht Begleitung durch ein Orchester. wurde und „zu den jeweiligen Aufnahmeorten“ mitgeführt werden musste (Interview: 06.10.14 und Fuchs, zit. in: Steineck 1994). Trotz dieses

Abb. 39 A Hadjerai-Djonkor, Blasinstrument parri, Peter Fuchs, 1965, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

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Abb. 39 B Hadjerai-Dangaleat, Sultan von Korbo, Peter Fuchs, 1965, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

129 Während der Tschad-Reise 1963-64 war Peter Fuchs bedroht und es entstand unter der Einflussnahme insgesamt 18 Monate vor Ort, dabei wurde er nicht einer kleinen intellektuellen Elite eine Gegenbewe- überall so freundlich aufgenommen wie etwa vom gung. Die FROLINAT wurde 1966 gegründet und Hadjerai-Häuptling der Dangaleat, der Fuchs adop- hatte es sich zum Ziel gesetzt, die „postkoloniale tierte, wodurch dieser ein Mitglied der Gruppe wur- Diktatur Tombalbayes“ (ebd.) zu stürzen, jedoch de. Der „weiße Eindringling“ (Göttinger Tageblatt: wurde sie nicht von allen Ethnien innerhalb des 11.05.1966) wurde zum Beispiel von einer anderen Konfliktbereiches anerkannt und es entstanden Gruppe für das Ausbleiben der Regenzeit verant- weitere Widerstandsbewegungen, die sich meistens wortlich gemacht und bekam daraufhin eine nicht um „charismatische Anführer scharten, die ihre ei- lebensbedrohliche, aber doch gefährliche Men- genen Kriege führen wollten“ (Fuchs 2010: 171). ge an Gift in sein Essen gemischt. All dieser Un- Zwar konnte der Präsident gestürzt werden, jedoch wägbarkeiten zum Trotz war es Peter Fuchs mög- beruhigte sich die Lage innerhalb des Landes bis lich, neben dem Filmmaterial viele Objekte, zum heute nicht, da noch immer ein ethnischer Konflikt Beispiel Musikinstrumente und Kleidungsstücke rund um den Präsidenten und sein Machtgefolge aus dem Tschad nach Deutschland mitzubringen, schwelt und verschiedene Ethnien um Einfluss die sich heute in der Ethnologischen Sammlung be- kämpfen (Fuchs 2010: 171f.). finden (Göttinger Tageblatt: 11.05.1966). Durch diesen Konflikt war es Fuchs für lange Nach einer weiteren Tschadreise im Jahr 1965, Zeit nicht mehr möglich, in sein vorheriges For- die zur Ergänzung, Verbesserung und Vertiefung schungsgebiet zu reisen. Dabei hatte Fuchs zuvor filmerischer Dokumentation diente, ereignete sich noch die Absicht gehabt, 1967 erneut das Gebiet dort ein politischer Umschwung, der in einen der Hadjerai zu besuchen und einen Filmprojektor dreißigjährigen Bürgerkrieg mündete. Bis heute mitzunehmen, um den Menschen vor Ort seine ist die politische Lage im Tschad angespannt. Der Aufnahmen zu zeigen. Welche historische Bedeu- Bürgerkrieg ab 1965 war ein ethnisierter Konflikt, tung die getätigten Aufnahmen für die Hadjerai der durch das Handeln des damaligen Präsidenten bis heute haben, zeigt sich daran, „dass […] in den François Tombalbaye verstärkt wurde. Tombalbaye, Wirren des tschadischen Bürgerkrieges […] ihre der der Ethnie der südlich im Tschad lebenden Sara Dörfer zerstört wurden, die Menschen, die diese angehörte, legte kurz nach seinem Amtsantritt im Ereignisse überhaupt überlebt haben, haben sich Jahre 1960 die Oppositionspartei mit seiner eigenen als Flüchtlinge zerstreut in alle Windrichtungen“ Partei zusammen, um „alle politischen Kräfte für (Fuchs, zit. in: Steineck 1994). Dies bedeutet, dass die Entwicklung des Landes zu bündeln“ (Fuchs einige der von Peter Fuchs gefilmten Gruppen in 2010: 168). Durch das daraus resultierende macht- ihrer Zusammensetzung gar nicht mehr existieren politische Ungleichgewicht, fühlten sich die mus- und es über sie in der Gegenwart nur noch die Fil- limischen Abgeordneten des nördlichen Tschad me als einzige Zeugnisse ihrer ehemaligen Existenz 130 gibt. Was aus den Tschadforschungen ebenfalls als auch, weil die sehr allgemeine Entsprechung Oben zwar einzigartiges Dokument blieb, ist das im Jahr 1970 richtig, aber im Deutschen nicht annähernd den komplexen publizierte Werk „Kult und Autorität: Die Religion religiösen Inhalt hat wie bung oder ra. Da ich gezwungen der Hadjerai“. bin, mich in Begriffen der abendländischen Gedankenwelt auszudrücken, werde ich versuchen müssen, das anerzoge- Perspektiven auf das traditionelle Weltbild ne Denkschema so weit zu modifizieren, daß eine maxi- male Annäherung an jenes der Hadjerai zustande kommt“ Die verschiedenen Ethnien der Hadjerai teilten (Fuchs 1970: 111). früher ein gemeinsames Weltbild. Es bestanden zwar Unterschiede zwischen den Gruppen, aber Gott oder Oben ist der Schöpfer der Erde und die Grundprinzipien waren die gleichen. Als Peter gehört so selbst nicht zur Schöpfung. Das Oben Fuchs bei den Hadjerai forschte, gab es im Ver- enthält sowohl Gutes als auch Böses und kann di- gleich zu heute nur wenige Muslime. Für die meis- rekt auf die Ebene der Menschen und ihr Leben ten spielten vor allem Geister eine wichtige Rolle einwirken, andersherum ist es für die Menschen für das religiöse Leben. aber nicht möglich, das Oben zu erreichen. Zwi- Nach dem Weltbild der Hadjerai leben die Men- schen den Menschen und Gott verkehren Geister schen auf der untersten Ebene der gedachten Welt. als einzige Verbindungsmöglichkeit von Mensch Dort befindet sich ebenfalls das Land der Toten, und Gott (Fuchs 1970: 111f.). Besonders wichtig auf das die Menschen aber keinen direkten Ein- sind dabei die sogenannten margai: fluss nehmen können. An höchster Stelle steht das „Oben“: Die einzelnen Ethnien haben unterschied- „Phänomenologisch sind die margai als Dämonen zu be- liche Begriffe dafür, so verwenden zum Beispiel die zeichnen, jedoch ohne die negative Wertung, die das Wort in Kenga das Wort ra, die Dangaleat das Wort bung der deutschen Sprache allgemein hat. […] Nach Herrmann (Fuchs 1970: 108f.). Beide Wörter für das Oben bilden die Dämonen eine Zwischenstufe zwischen den Geis- sind nach Peter Fuchs als gleichbedeutend mit Gott tern und den Göttern, es sind gehobene Geister, die aber im aufzufassen und verdeutlichen so die religiöse Di- Rang noch unter den Göttern stehen“ (Fuchs 1970: 145). mension dieser Begrifflichkeit. Fuchs weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass es sich nicht um die Die Geister können über ein Heiligtum verfügen Vorstellung eines Gottes handelt, für die die Be- und mit den Menschen kommunizieren, indem sie zeichnung im Deutschen steht: von einem Medium Besitz ergreifen. Die Beziehung zwischen Menschen und margai beruht auf Gegen- „Wenn ich im folgenden das Dangalwort bung und das Ken- seitigkeit. Die Menschen bringen den margai Opfer gawort ra mit Gott übersetze, geschieht dies aus Gründen dar, um mit ihrer Hilfe das Oben beeinflussen zu der Zweckmäßigkeit und des leichteren Verständnisses, aber können. Als Gegenleistung für die Opfer erhalten 131 sie zum Beispiel Schutz vor Krankheiten, Hun- Sichtweisen durchzusetzen. Fuchs berichtet weiter, gersnöten oder Naturkatastrophen. Je mehr Op- dass er bei den Hadjerai als reich galt und deswe- fer ein margai erhält, desto höher ist seine Stellung gen ein bestimmtes Prestige hatte. Dieses Prestige innerhalb der Geister-Hierarchie. Die Menschen strahlte auch auf die Menschen ab, die mit ihm in opfern einem margai besonders dann, wenn er sich Verbindung standen. Als Folge davon suchten ihn als mächtig erweist. Die Macht des Geistes hängt traditionelle Autoritäten, die fürchteten durch den dabei immer von seiner Beziehung zum Oben ab, kulturellen Wandel an Bedeutung zu verlieren, denn von dort erhält er seine Macht. Geister sind besonders häufig auf (Fuchs 1970: 16f.). den Menschen sehr ähnlich. So haben sie Gefühle, Insgesamt gesehen zeigen die Beobachtungen verfügen über menschliche Charaktereigenschaf- von Peter Fuchs, wie schwierig es als Autor sein ten, können männlich oder weiblich sein und einen kann, eine fremde Kultur verständlich zu kommu- Namen haben. Der Unterschied zwischen Geistern nizieren, wenn man die eigenen kulturell geprägten und Menschen besteht letztlich darin, dass Geister Bezeichnungen verwendet. So übersetzt Fuchs das nach Oben gelangen können, Menschen aber nicht Oben mit Gott, obwohl eine solche Vorstellung sich (vgl. Fuchs 1970: 142f. u. 1996: 5). von unserem europäisch geprägten Gottes-Begriff Im Zusammenhang mit diesen weltbildlich bzw. deutlich unterscheidet. An anderer Stelle spricht religiös geprägten Vorstellungen erwähnt Peter Fuchs dagegen von den margai als den Göttern, was Fuchs in seinem 1970 erschienenen Werk „Kult prinzipiell legitim ist, da es im Deutschen keine und Autorität: Die Religion der Hadjerai“ ein be- Worte gibt, die eine adäquate Übersetzung für das merkenswertes Beispiel transkultureller Wirkungs- Verständnis der Hadjerai-Begrifflichkeit erlauben. weise: Er schildert einen Konflikt zwischen jungen Die Bedeutungen der für das Weltbild tragenden Leuten und einer Gruppe älterer Männer. Die Jün- Begriffe lassen sich jeweils nur durch zusätzliche geren wollten Bäume fällen, die die Älteren als Sitz Situationen der Begegnung, durch weiterführen- eines margais ansahen. Das Fällen der Bäume hätte de Beobachtungen und Beschreibungen genauer ihrer Ansicht nach Unglück gebracht. Fuchs wur- herausarbeiten (vgl. Fuchs 1970: 111f.). de von den älteren Männern gebeten aufzuschrei- ben, dass das Fällen der Bäume falsch sei. Mit Hilfe Islamische und christliche Einflüsse auf das des Schriftstückes gelang es so den älteren Män- Weltbild nern, das Fällen der Bäume zu verhindern. Dieses Beispiel zeigt zum einen, dass die traditionellen Bei den Hadjerai ist der Kulturwandel nur im Vorstellungen Anfang der 1960er Jahre zumindest Zusammenhang mit historischen Ereignissen bei den Jüngeren an Bedeutung verloren hatten. fassbar, wobei er weitgehend durch Eingriffe von Zum anderen zeigt es, wie traditionelle Autori- außen bestimmt wird. Fuchs macht jedoch deutlich, täten den Kontakt mit Fuchs dazu nutzten, ihre dass ein Wandelvorgang nur relativ exogen bzw. en- 132 dogen sein kann, da in jedem Fall beide Faktoren Kolonialverwaltung die Hadjerai von den Bergen in beteiligt sind, weil es keine Kulturen gibt, die voll- die Ebenen umzusiedeln. Durch die Umsiedlung ständig isoliert sind: entstand auch ein vermehrter Kontakt mit muslimi- schen Händlern und Predigern fukaha, die vorher „Wenn Kultur ein Prozess ist, dann spielt er sich in keinen Zugang zu den Dörfern hatten (Fuchs 1970: der Zeit ab, seine Dimensionen sind historisch zu 287). Eine Folge des transkulturellen Kontaktes werten, seine Strukturen ergeben sich aus den Relationen mit Muslimen und die hohe Wertung des Islam war der Elemente zueinander. Dynamik bedeutet Bewegung, die Übernahme von muslimischen Elementen in und kulturelle Bewegung ist gleichzusetzen mit Wandel“ die Religion der Hadjerai. Zum Beispiel wurde die (Fuchs 1970: 279). Beschneidung von Jungen eingeführt und die isla- misch orientierte Form der Ehe in die Eheschlie- Bereits in vorkolonialer Zeit bestanden Beziehun- ßung mit einbezogen. gen zwischen arabischen Nomaden und den Eth- Elemente des Islam wurden auch in den mar- nien der Hadjerai, die vor allem wirtschaftlich ge- gai-Kult aufgenommen, wie etwa Gebetskreise. prägt waren. Da die Nomaden auf Getreide zur Muslime errichten sie aus Steinen. Die Hadjerai Versorgung angewiesen waren, handelten sie mit übernahmen dies und bauten sie vor den margai- den Hadjerai. Den Islam übernahmen die Hadje- Altären auf. Genauso wurden Tonkrüge, die rai nicht von den Nomaden (Fuchs 1970: 285). Die ursprünglich für die vorgeschriebenen Waschungen kulturelle Wirksamkeit des Islams auf die Hadjerai der Muslime dienten, auf die margai-Altäre gestellt. ist durch die historische Rolle der drei Sudanstaa- Die margai erhielten auch arabische Eigennamen ten Kanem, Bagirmi und Wadai (11. bis 17. Jahr- (Fuchs 1970: 291). hundert) zu erklären, da ihr Gebiet an den Schnitt- Initiatoren der Islamisierung waren Hadjerai, punkten dieser islamischen Reiche lag. Der Islam die sich außerhalb ihrer Heimat zum Priester aus- galt deswegen als Religion der politisch Mächtigen bilden ließen. Angeleitet zum Beispiel in Nigeria, und herrschenden Gruppen, die über Reichtum in wurde der Islam von ihnen aber weiterhin im Kon- Form von Pferden, Vieh, Waffen aus Eisen und text ihres Weltbildes interpretiert (Fuchs 1970: 297). aufwendiger Kleidung verfügten. Die Hadjerai So entstand das Bild von Allah als ihrem obersten übernahmen diese Dinge, weil sie als Prestigesym- margai. Die anderen margai existieren dabei trotz- bole galten. Zum geringen Teil übernahmen sie dem noch, besitzen aber keine Macht mehr. Ihnen auch die Religion. Dies geschah vor allem deshalb, muss nicht mehr geopfert werden, da Allah Schutz weil ein Übertritt zum Islam eine Aufwertung der vor ihnen bietet (Fuchs 1970: 299). sozialen Position bedeutete, was bis in die Koloni- Obwohl der Tschad ab 1911 von Frankreich ko- alzeit bestehen blieb (Fuchs 1970: 288f.). lonisiert wurde, gab es zunächst keine christlichen In den Jahren 1913/14 zwang die französische Missionierungsversuche. Die antiklerikale Einstel- 133 lung des französischen Offizierskorps sorgte da- Weltkrieg begannen im Tschad christliche Missi- für, dass christliche Missionen behindert und sogar onierungen. Die Begegnungen der Hadjerai mit verboten wurden. Stattdessen wurde eine Ausbrei- dem Christentum fanden seitdem hauptsächlich tung des Islam gefördert. Da die Kolonialbeamten in den von Missionaren betriebenen Schulen statt, nicht als Christen auftraten, wurde das Christen- weswegen es zumeist Jugendliche waren, die fortan tum nicht, wie zuvor der Islam, als Religion der zum Christentum übertraten (Fuchs 1970: 327f.). Herrschenden gesehen. Erst nach dem Zweiten

Abb. 40 Veteranen, Hadjerai, Tschad. wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie. Während der französischen Kolonialzeit hat ein nicht unbeträchtlicher Teil der Hadjerai Männer in der französischen Kolonialarmee gedient. Seit dieser Zeit ist die Uniform des Soldaten zu einem Prestige- Symbol geworden. Bei festlichen Gelegenheiten versäumen es die Veteranen nicht, ihre Uniform anzulegen, um dadurch ihren gehobenen Status zu demonstrieren. Peter Fuchs, 1965

134 Auswirkungen des Bürgerkrieges Entschädigung nach dem Tod als einzige Perspekti- Mit Beginn des dreißigjährigen Bürgerkrieges im ve. Islam und Christentum waren damit attraktiver Tschad musste Peter Fuchs im Jahr 1965 seine geworden. Forschungen in diesem Land abbrechen. Eine Die Verarmung vieler Menschen durch den Rückkehr gelang ihm mit einer ersten Wiederauf- Krieg erschwerte zudem die Ausübung der nahme von Kontakten im Jahr 1991 und dann an- traditionellen Religion. Dennoch gab es auch nach schließend mit einer längeren Reise 1995/96: Ende des Krieges Dörfer, in denen der traditionelle Glaube unverändert praktiziert wurde. Der Versuch „Erst 1991 hatte ich nach dem Bürgerkrieg das erste einer Herstellung der alten Ordnung sollte dort Mal Gelegenheit nach N’Djaména zu reisen und frühere Sicherheit und Wohlstand bringen. Auch die zum Kontakte wieder herzustellen. Eine Exkursion außerhalb Islam oder Christentum übergetretenen Hadje- der Hauptstadt war jedoch nicht möglich. Anfang 1996 rai gaben das frühere Weltbild nicht völlig auf. konnte ich schließlich wieder die Orte meiner früheren Auf- Die margai sind bis in die Gegenwart für sie wei- enthalte bei den Hadjerai besuchen“ (Fuchs 2010: 172). terhin real und sie zweifeln nicht an ihrer Exis- tenz (Fuchs 1996: 4-7). Im Tschad bekennen sich Der lange Bürgerkrieg war nicht ohne Irritati- nach jüngster Berechnung 56 % der Bevölkerung onen für das Weltbild der Hadjerai geblieben. zum Islam, 22 % zum Christentum; 22 % üben Muslimische Rebellen hatten Heiligtümer zerstört einen anderen Glauben aus, der sich nicht zu- und Priester ermordet, wurden aber dafür von letzt im synkretistischen Weltbild der heutigen den margai nicht bestraft. Ein Teil der Heiligtümer Hadjerai widerspiegelt (Auswärtiges Amt 2014). verfiel auch deshalb, weil die Menschen sie aus Angst vor Repressalien nicht mehr pflegten. Als Verwendete Literatur: problematisch erwies sich, dass der traditionelle Glaube der Hadjerai grundsätzlich stark auf das Auswärtiges Amt irdische Leben ausgerichtet ist. Anders als im Islam 2014 elektronisches Dokument [14.03.2015]. dem Tod. Verankert im Weltbild ist zwar „das Land der Toten“, dieses ist aber nicht als Paradies zu Fuchs, Peter verstehen. Es bleibt vielmehr undurchschaubar 1953 Im Land der verschleierten Männer. Wien. und weder margai noch Menschen können es be- Amandus-Verlag. einflussen. Viele Hadjerai sahen durch die im Krieg erlittene Not und das erfahrene Unrecht eine 135 1958 Weißer Fleck im schwarzen Erdteil: meine Handwerker, Geheimnisträger und Expedition nach Ennedi. Stuttgart. Engelhorn- Wandermusiker: zur Mittler-Rolle der verlag. Schmiede 1966 Tschad. : Kurt Schroeder. (Die Länder Afrikas, 33). Annia Aurelia Fittschen

1970 Kult und Autorität: Die Religion der Hadje- „Wir vernahmen ein dumpfes Hämmern auf Metall, gin- rai. Berlin: Reimer. gen dem Geräusch nach und standen bald vor einer Öffnung in der Mauer, die in einen großen viereckigen Raum führ- 1976 Tschad und Sahara: Ethnographische Film- te, von dem Feuer, das immer darin brennt, geschwärzt. In dokumente. Göttingen: Institut für wiss. Film. der Mitte hockte der Schmied vor einem kleinen Amboss auf dem Boden und hämmerte. Er erhob sich sofort, als er 1996 Im Schatten des Krieges verstummen die uns bemerkte, lud uns ein, näher zu treten und breitete eine Götter: Vom Einfluß des Islam auf die Kultur des Decke auf dem Boden aus“ (Fuchs 1953: 75). Tschad. Forschung: das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft 3: S. 3-4. Im Zuge seiner Feldforschungen bei den Bäle, Tubu und Dazaga im nördlichen Tschad und den 2010 Die Ethnisierung nationaler politischer Tuareg und Kanuri der zentralen Sahara begegnete Konflikte im Tschad und Dafur (Sudan) In: der Ethnologe Peter Fuchs immer wieder Gruppen Dohrmann, Alke (Hg.) Schweifgebiet: Festschrift von spezialisierten Handwerkern, die als Schmiede für Ulrich Braukämper. S. 166-175. Berlin. LIT. bekannt sind. Die Bezeichnung ‚Schmied‘ mag da- bei als zu kurz gegriffen erscheinen. Die Schmiede N.N. können nicht allein auf eine ebensolche Tätigkeit 1966 Adoptiert vom Häuptling der Dangaleat. reduziert werden, denn sie sind eigentlich im viel Göttingen. Göttinger Tageblatt, 11.05.1966. allgemeineren Sinne ‚Handwerker‘ und zudem vor allem auch Kommunikatoren. Sie stellen aus Racz, Julia und Rolf Husmann Metall sowohl Schmuck, als auch Waffen oder 2014 Interview mit Prof. Peter Fuchs und seiner Arbeitsgeräte her. Darüber hinaus bearbeiten sie Frau Hille, 06.10.14 (Länge: 02:04:17). Holz, Leder und Ton (Fuchs 1991: 199). Sie sind Musiker, Geheimnisträger bzw. Magier, teilweise Steineck, Michael auch Jäger (Fuchs 1970: 301-303, 306), und zu- 1994 Peter Fuchs und der ethnographische Film. dem Heilpraktiker (Fuchs 1991: 200). Dennoch Institut für den wissenschaftlichen Film Göttingen. wird diese gesellschaftliche Sondergruppe bei den Farbe. 58 min. Ethnien, bei denen sie leben bzw. mit denen sie in 136 Kontakt kommen, zumeist als Schmiede bezeichnet Die Unterschiede beziehen sich vor allem auf die (Fuchs 1970: 299). wirtschaftlichen Tätigkeiten, die Schmiede ausüben, Trotz vieler regionaler und kultureller Unter- wohingegen die gesellschaftliche Stellung große schiede gibt es etliche Gemeinsamkeiten zwischen Ähnlichkeiten aufweist. Schmieden im gesamten Sahara- und Sahelgebiet.

Abb. 41 Schmiedewerkstatt. Ennedi, Tschad, Peter Fuchs, 1956, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

137 Pläne schmiedend: Der Schmied in der Den Schmieden wird eine magische Kraft zuge- Gesellschaft schrieben, die ihnen von Geburt an innewohnt. Diese Kraft befähigt sie zur Herstellung von Amu- Die wichtigste Kennzeichnung der Schmiede er- letten und zum Befragen von Orakeln (Fuchs 1991: klärt sich aus ihrer sozialen Stellung. Für ihre tradi- 200). Amulette werden als Schutz vor allem mögli- tionelle Rolle bei den Tuareg gilt: chen Unheil getragen, so etwa gegen Skorpionsti- che, Schlangenbisse, Verletzungen im Kampf und „Das niedrigste und gemeinste ist für den Tuareg der Schmied. gegen den „bösen Blick“ (Fuchs 1991: 200). Die Sie sind Ausgestoßene, jenseits der Gesellschaft stehende von Schmieden hergestellten Amulette scheinen Menschen. Trotzdem spricht der Tuareg nicht nur mit Ver- eine Besonderheit der Bäle im nördlichen Tschad achtung von ihnen, sondern auch mit einer gewissen Scheu. zu sein (Fuchs 1961: 186). Bei den Tuareg stellen Denn, so verachtet der Schmied auch ist, so gefürchtet ist Schmiede Amulettbehälter (aus Leder oder Me- er auch. Man schreibt ihm Verbindung mit bösen Geistern tall) für die von islamischen Geistlichen gefertigten und magische Kräfte zu“ (Fuchs 1953: 76). Koranamulette her, und einigen der hergestellten Schmuckstücke wird auch eine Schutzwirkung zu- Die Stellung dieser handwerklichen Spezialisten in gesprochen. Dies liegt jedoch mehr an den ver- der Gesellschaft zeichnet sich dabei durch zwei ge- wendeten Formen und Motiven (Göttler 1989: 242, gensätzliche Komponenten aus: Zum einen werden 250), als in der magischen Herstellung durch die Schmiede sehr gering geachtet, geradezu verachtet, Schmiede (Fuchs 1961: 186). Deren magische Kraft und stehen oft auf einer Stufe mit Sklaven. Dadurch wird aber auch aktiv, wenn jemand sie angreift, ver- können sie nur untereinander heiraten und bilden letzt oder ihnen lediglich einen Wunsch abschlägt. so eine endogame Gruppe (vgl. Bernus 1983); zum Sie richtet sich dann direkt als „Schadenszauber“ anderen werden die Schmiede aber auch mit einer gegen den Verursacher (Fuchs 1991: 200). gewissen Scheu oder Furcht betrachtet. Peter Fuchs Die politischen Geheimnisse erklären sich aus vermutet, dass dieses ambivalente Verhältnis mit ih- der wirtschaftlichen Stellung der Schmiede aus rer Rolle als „Geheimnisträger“ verbunden ist: vorkolonialer Zeit. Sie hatten in der östlichen und zentralen Sahara keine Wasser-, Land- und Weide- „[Die Funktion des Schmiedes als Geheimnisträger] bezieht rechte. Dadurch waren sie von den traditionellen sich nicht auf sein handwerkliches Können, wie gerne ange- Subsistenzstrategien (Viehzucht und Gartenbau) nommen wird, denn weder ein Tubu noch ein Bäle empfindet abgeschnitten, weshalb sie sich einem „Dienst- die Arbeit des Schmiedes, der er als Kunde oft beigewohnt herren“ anschlossen, meist einem reichen (d.h. hat, als ‚geheimnisvoll‘. Die ‚Geheimnisse‘, die der Schmied einflussreichen) Mann oder Clanchef – bei den ‚trägt‘, sind vielmehr politischer und magisch-religiöser Na- Tuareg einem Adeligen –, zu dem sie in einem tur“ (Fuchs 1970: 302f.). Patronatsverhältnis standen. Das konnten die 138

Abb. 42 Kengea, der alte Schmied, befragt das Sandorakel. Ennedi, Tschad, Peter Fuchs, 1956 wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie

Schmiede jedoch jederzeit beenden, zum Beispiel, ihre Herren zu begehen (Fuchs 1991: 199). wenn ihr Herr verarmte. Für die „Dienstherren“ Die Schmiede der Tuareg sind nicht an den führten sie handwerkliche Aufträge aus, für die sie strengen Ehrenkodex, der gerade für die Ade- mit Geschenken „entlohnt“ wurden. Darüber hi- ligen den Maßstab für das Verhalten bildet, ge- naus dienten sie aber auch als Spione, Zubringer, bunden. Deshalb waren es traditionell sie, die für Geheimkuriere und Kuppler und waren oft die ihre Dienstherren mit Fremden in Kontakt traten engsten Berater ihrer Dienstherren (Fuchs 1970: (Scholze 2009: 161, 270). Hier zeigt sich sehr gut, 303). Dies führte dazu, dass ihnen die Bereitschaft dass die Schmiede ihre eigenen Werte und Normen zugeschrieben wurde, auch schmutzige Taten für hatten und auch noch haben, die nicht maßgeblich 139 für die Gesellschaft sind, bei der sie leben (Fuchs gegeben wird, ist es für andere offen. Schmiede 1961: 188, 1991: 199). haben auch hier eine besondere Verbindung zu Auch bei den Kanuri im Niger werden sie ge- Magie, jedoch werden sie, zumindest in einigen ring geachtet: Die Begründung dafür lautet, dass sie Regionen, nicht als sozial tiefstehend betrachtet Waffen herstellen, die von Gegnern des Propheten (Jaggar 1994: 9-12). verwendet werden (Jaggar 1994: 11).Verschlagen- heit und Unehrlichkeit sind Eigenschaften, die Jeder ist seines Glückes Schmied: diesen handwerklichen Spezialisten oft nachgesagt Traditionelle Einkommensquellen werden. So gibt es bei den Bäle im Tschad eine Fa- bel von einem verschlagenen Schmied (Fuchs 1958: Die Aufgabenbereiche der Schmiede weisen eine 117-119) und bei den Tuareg das Sprichwort: „Man große Bandbreite auf. Traditionell wurden Arbeiten bekommt eher Wolle von einem Esel als die Wahr- nur im Auftrag und häufig nach genauen Kunden- heit von einem Schmied“ (Bernus 1983: 242, zit. wünschen der in ihren interethnischen und sozialen nach Ritter 2002: 36). Die Bezeichnung „Schmied“ Beziehungen miteinander verbundenen Menschen wird in Wadai als Beleidigung aufgefasst (Fuchs und Gruppen ausgeführt. Betätigungen auf eige- 1970: 304). nes Risiko kamen erst mit dem Tourismusgeschäft Ihre Herkunft in den islamisch geprägten Ge- und den damit einhergehenden westlichen Waren- bieten leiten sie von Adam her, dem ersten Men- importen und daraus resultierenden kulturellen schen und Schmied. Diese Zuordnung sowie die Transformationen auf. eigenen Werte und Normen führten zu der Her- Neben der hauptsächlichen Metallbearbeitung ausbildung einer eigenen „Schmiedegesellschaft“. führen Schmiede auch andere handwerkliche Tätig- Verbunden mit der Rolle als Geheimnisträger ent- keiten aus. Häufig ist dies die Holzbearbeitung. So stand so ein gewisses Selbstbewusstsein bei den werden von ihnen bei den Tuareg Löffel und Mör- Schmieden, bekräftigt von einem – allerdings nicht ser aus Holz gefertigt. Auch die Frauen der Schmie- nach Außen getragenen – Überlegenheitsgefühl. de sind handwerklich tätig. Bei den Tuareg führen Zur Zeit der Forschungen von Peter Fuchs grenz- sie feine Lederarbeiten aus (Göttler 1989: 230f.), ten sie sich gegen die Menschen in ihrer Umge- bei den Bäle stellen sie Töpferwaren her (Fuchs bung teils bewusst über eine eigene Geheimspra- 1970: 301). In den Kamelsätteln der Tuareg verbin- che ab (Fuchs 1991: 199). Dies betrifft sowohl die den sich die meisten handwerklichen Tätigkeiten Schmiede von Ennedi (Fuchs 1961: 184), als auch der Schmiede: Es wird Leder, ebenso wie Holz be- die der Tuareg (Ritter 2002: 40). Bei den Haussa nötigt, welches mit Metallbeschlägen verziert wird werden Schmiede hingegen vor allem wegen ih- (Fuchs 1991: 199). rer hohen Kunstfertigkeit geschätzt. Obwohl das Als wandernde Musiker spielen sie auf Trom- Handwerk dort meistens in der Familie weiter- meln zum Tanz auf. Dabei singen sie oft Preislieder 140 auf die anwesenden Frauen und auf die Großzü- Versuche von Schmieden gab, sich in Fachi anzusie- gigkeit der Männer. Für die musikalische Unterhal- deln. Diese scheiterten aber alle. Zum einen, weil tung werden sie mit kleinen Geschenken entlohnt. eine so kleine Stadt nicht genug Beschäftigung für Des Weiteren singen Schmiede, die für Versamm- einen Handwerker bot. Zum andern, weil Schmie- lungen von Männern engagiert werden, auch Spott- dekohle nur über Karawanen zu beschaffen und lieder, zum Beispiel über geizige Leute, die sie nicht entsprechend teuer war, was den Preis der Produk- ausreichend beschenkt oder bewirtet haben. Über te in die Höhe trieb (Fuchs 1983: 107f.). In einer diese Spottlieder üben sie einen nicht unerhebli- anderen Region, im nördlichen Tschad, waren die chen Einfluss auf die öffentliche Meinung aus. Sie Schmiede zur Sicherung des Lebensunterhaltes berichten bei solchen Zusammenkünften auch von sogar auf die Jagd angewiesen. Der Bedarf an allem, was sie unterwegs gehört und gesehen haben handwerklichen Erzeugnissen war dort nicht aus- und sorgen so für die Verbreitung von Nachrichten reichend, so dass Jagd häufig über die Hälfte des (Fuchs 1970: 302). Lebensunterhalts sicherte (Fuchs 1970: 306f., 310). Der Grund, warum Schmiede oft als wandernde Musiker und Handwerker umherziehen, ergibt sich Zwei Eisen im Feuer: Begegnungen mit aus der Tatsache, dass der Bedarf an Handwerks- und Einfluss von Europäern produkten, obwohl sie überlebensnotwendig sind, oft nicht besonders groß ist, weshalb die hand- Der ersten nachhaltigen Kontakte zu Europäern im werkliche Arbeit häufig nur einen kleinen Teil der zentralen Sahara-Gebiet erfolgten unter den Bedin- Einkünfte bildet (Fuchs 1970: 307). Hinzu kommt, gungen französischer Kolonialherrschaft und dem dass das Land zumeist nur dünn besiedelt ist. Vie- damit verbundenen Unterwerfungsvertrag der Tu- le Schmiede ziehen deshalb von Nomadenlager zu areg-Nomaden ab dem Jahr 1918; sie waren in der Nomadenlager und bleiben, solange sie Arbeit fin- Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren Auswir- den (Buchhagen 1990: 80); oder sie reisen zu Märk- kungen besonders einschneidend. Der französisch- ten oder versorgen Karawanen entlang der Han- europäische Einfluss brachte auch für die Schmiede delsrouten außerhalb der Oasen (Ritter 2002: 36). starke Veränderungen mit sich, die sich speziell in Für die Oase Fachi gibt es eine Schilderung von wirtschaftlicher Hinsicht aber als positiv erwiesen. Peter Fuchs, die einen Einblick in die Arbeit eines Der erste wichtige Punkt war das Aufbrechen der Wanderschmiedes gewährt: Dorthin kam einmal im alten Verwaltungsstruktur. Dadurch wurden die Jahr ein Tuareg-Schmied, zusammen mit einer der traditionellen Wasser-, Weide- und Landrechte großen Salzkarawanen. Er blieb ein paar Tage, re- entkräftet. Dies ermöglichte den Schmieden den parierte die Metallwerkzeuge der örtlichen Kanuri Zugang zu Viehhaltung. Im nördlichen Tschadge- und zog mit einer der Karawanen zurück. Man er- biet wurde daraufhin diese von vielen genutzt, um fährt zudem, dass es in der Vergangenheit mehrere ihrer wirtschaftlichen Not entgegenzuwirken, denn 141 die Jagderfolge gingen seinerzeit allmählich zurück erweitern seit mehreren Jahrzehnten zunehmend (Fuchs 1970: 308f.). Der zweite Punkt ergab sich das handwerkliche Repertoire, zum Beispiel in Ge- direkt aus der Präsenz der französischen Kolo- stalt von Feilen (Fuchs 1970: 313). Gerade im Tou- nialarmee und eröffnete weitere wirtschaftliche rismusgeschäft kommen noch weitere europäische Möglichkeiten. Die Militärstützpunkte zogen Pro- Werkzeuge zum Einsatz: In Schmiedewerkstätten, stituierte an, die wiederum für die Schmiede eine die Silberschmuck für den europäischen Markt her- gute Einkommensquelle boten: Diese Frauen wa- stellen, werden Bunsenbrenner und Schleifmaschi- ren reich genug, um von ihnen Schmuck zu kaufen. nen genutzt, für die Steinbearbeitung Schleifpapier Darüber hinaus arbeiteten die Schmiede als Spiel- (Scholze 2009: 172, 318). Benötigte Rohstoffe für leute bei den Tänzen der Prostituierten. In Faya, die Souvenir-Produktion im Tourismus werden dem wichtigsten Stützpunkt im Tschad, konnten zudem aus benachbarten Ländern bezogen, wobei sich 1963 ein Dutzend von ihnen alleine mit den diese in ihrer Verwendung manchmal eine spezifi- Einkünften aus ihrer musikalischen Tätigkeit ihren sche kulturelle Aneignung und Umformung erfah- Lebensunterhalt verdienen. Das Geld, mit dem sie ren: Zum Polieren von Steinfiguren verwenden die bezahlt wurden, spielte eine wichtige Rolle bei dem Schmiede der Tuareg zum Beispiel eine fetthaltige Aufbau der Viehbestände der Schmiede, da es über Hustensalbe, die aus Nigeria stammt (Scholze 2009: Verwandtschaftsbeziehungen ins Inland floss (ebd.). 318). Die beschriebene Nutzung neuer wirtschaftlicher Nischen erfolgte vor allem im nördlichen Tschad- Das Eisen schmieden, solange es heiß ist: gebiet. Fuchs musste seine Forschungen dort aber Tuareg-Schmiede und Tourismus aufgrund des Bürgerkriegs abbrechen, so dass über die derzeitige Situation keine aktuellen Informatio- Im Gebiet der Tuareg, speziell im Niger, entwi- nen vorliegen. ckelte sich ab den 1970er der Tourismus zu ei- Eine überregionale Entwicklung, die mit der ner alternativen Einkommensmöglichkeit für die Kolonialisierung einherging, betrifft die Arbeits- Schmiede (Scholze 2009: 157). Durch die Dürren vorgänge. Am wichtigsten ist dabei die zunehmen- in den 1970er und 80er Jahren, die für die Tuareg de Verwendung von europäischem Schrotteisen. teilweise schwere Verluste an Viehbestand mit sich Die traditionelle Eisenverhüttung ging dadurch zu brachten, konnten viele Adelige ihre jeweiligen Ende. In Ennedi (nördlicher Tschad) wurde zuletzt Schmiede wirtschaftlich nicht mehr unterstützen. 1953 Eisen regulär verhüttet (Fuchs 1970: 312f.). Diese waren durch die Erschließung von Märk- Bei den Tuareg-Schmieden werden in neuerer Zeit ten für ihre Handwerksprodukte gegenüber ihren Autoblattfedern umgeformt und gern als Rohmate- „Dienstherren“ ohnehin weitgehend autark gewor- rial für das Langschwert der Tuareg takuba verwen- den, ohne dass dies aber zu einer vollständigen det (vgl. Ritter 2002). Auch importierte Werkzeuge Auflösung der traditionellen Beziehungen führte 142 (Scholze 2009: 163). sie verhandeln den Schmuck weiter in die USA und Viele der Schmiede produzieren Souvenirs. Da- nach Europa. Der Verkauf kann dabei über Händ- bei reicht das Repertoire von dem vermeintlich ty- ler stattfinden, gerade in Europa sind es aber oft die pischen Silberschmuck, über Figürchen aus Stein Schmiede der Tuareg selbst, die Verkaufsreisen un- bis zu Leder- und Flechtarbeiten (vgl. Scholze 2009: ternehmen, um hier ihre Waren abzusetzen (Schol- 293, 312, 321). Bei der Herstellung der Produkte ist ze 2009: 167f.). eine Anpassung an die Bedürfnisse und Vorstellun- Schmiede, die nach wie vor im Aïr-Gebirge gen der Touristen festzustellen. Geflochtene Milch- wohnen, verdienen zwar mit der Arbeit im Touris- behälter butku werden auch in kleinem Format mus wesentlich mehr als früher, sind aber immer hergestellt, damit sie besser in das Reisegepäck der noch in die traditionellen Klientel-Beziehungen zu Touristen passen. Aus Serpentinit-Gestein stellen ihren „Dienstherren“ eingebunden (Scholze 2009: die Schmiede auch christliche Krippenfiguren her. 309). Diejenigen, die in die Städte gezogen sind, Anregungen für solche Produkte kommen teilweise lösen sich wirtschaftlich aus diesen Beziehungen, von den Touristen selbst, von Agenturleitern, oder auch wenn sie noch Aufgaben im rituellen Bereich sie werden von anderen Schmieden weitergegeben für ihre Patrone übernehmen. Teilweise wurden (Scholze 2009: 312ff.). sie in den Städten über Kontakte nach Europa zu Der Verkauf dieser Produkte erfolgt entweder erfolgreichen Unternehmern, die nun große Auf- direkt an die Touristen vor Ort oder über Händ- träge ausführen und andere Schmiede beschäftigen. ler bzw. eigene Verkaufsreisen ins Ausland. In situ Ebenso bauen sie neue Patron-Klient-Beziehungen kann der Verkauf in den Werkstätten der Schmiede zu Europäern auf, für die sie Aufträge ausfüh- stattfinden, wenn die Touristen als Individualtou- ren, allerdings nur auf das Handwerk beschränkt risten dorthin kommen, oder bei der Reise mit ei- (Scholze 2009: 171f., 204). Zu lokalen oder euro- ner Agentur dorthin geführt werden (Scholze 2009: päischen Reiseagenturen kann auch ein Klientel- 167, 169f.). Die andere Möglichkeit zum direkten Verhältnis entstehen, wenn es darum geht, Touris- Verkauf an Touristen ist dadurch gewährleistet, als ten zu bestimmten Schmiedewerkstätten zu führen. fliegende Händler shasturi den Touristen zu folgen Der Konkurrenzkampf unter den Schmieden um oder bei bestimmten Attraktionen, zu denen in der Zugang zu den Touristen führt zu einer gewissen Saison häufig Touristen kommen, auf sie zu warten Abhängigkeit von der Reiseagentur, die das Verhält- (Scholze 2009: 156, 344-346). nis jederzeit aufheben kann (Scholze 2009: 169f.). Doch der Vertrieb vor Ort macht nur einen Wenige der im Tourismusgeschäft beteiligten kleinen Teil des Umsatzes aus. Viele Schmiede pro- Tuareg investieren ihr Einkommen in die traditi- duzieren seit den 1970er Jahren auch Souvenirs für onellen Wirtschaftsbereiche wie Gartenbau oder die touristischen Märkte in Nord- und Westafrika Viehhaltung. Adelige legen ihr Geld, wenn es nicht (Marokko, Algerien, Burkina Faso, Senegal), oder zur Sicherung des Lebensunterhalts gebraucht 143 Ein heißes Eisen: die aktuelle Lage wird, in einen Dorfladen oder Führerschein an, um im Tourismusgeschäft Beschäftigungsmöglich- Nach dem Ausbruch des dreißigjährigen Bürger- keiten als Fahrer zu finden. Die Schmiede nutzen kriegs im Tschad 1965 ist die Forschung fast un- ihre Gewinne für die Materialbeschaffung und möglich geworden. Seit den Aufenthalten von Pe- Kauf von neuer Ware. Sie spielen auch eine Vor- ter Fuchs im tschadischen Sahel 1959-1965 gibt es reiterrolle bei der Einführung von modernen Kon- keine aktuelleren Informationen über die Schmiede. sumgütern wie audiovisuelle Medien oder Motorrä- In den Gebieten der Tuareg in der zentralen Sahara dern. Insofern betätigen sie sich als Entrepreneure. ist die Sicherheitslage teils ähnlich problematisch. Darüber hinaus nutzen sie das Geld für kostspielige Die Forschungen des Ethnologen Marco Scholze Verkaufsreisen nach Europa: bis 2005 (publiziert 2009) sind die letzten, in de- nen die Schmiede Erwähnung finden. 2007 brach „Sie legen ihr Geld nicht in sich reproduzierende Werte wie eine erneute Tuareg-Rebellion aus. Die Situation in eine Kamelherde […] oder einen Garten an. Dies entspricht der Region, gekennzeichnet von Kriminalität und nicht dem Selbstverständnis der inadan [Schmiede der Tu- Terrorismus, erlaubt so gut wie keine Forschungen areg]. Sie selbst sagen von sich, dass sie im Hier und Jetzt mehr. Der Tourismus ist beinahe zum Erliegen ge- leben, gut essen und ihr Geld freigiebig ausgeben“ (Scholze kommen, das Auswärtige Amt gab unlängst eine 2009: 382). Teilreisewarnung für den Niger heraus (Auswär- tiges Amt, eingesehen am 16.03.2015).Während Ebenso wie seinerzeit die Kolonialherren schätzen der Tuareg-Rebellion in den 1990er Jahren zogen auch heute die Touristen die Schmiede als Hand- viele Schmiede nach Niamey, um von dort aus werker, die zuverlässig arbeiteten. Die Wertschät- weiter ihre Produkte zu verkaufen (Scholze 2009: zung, die dieser früher verachteten Minderheit 297). In Europa jedenfalls sind die Schmuckver- mittlerweile auch bei den Ethnien entgegenge- käufe von Tuareg-Schmieden noch nicht von der bracht wird, bei denen sie einst lebten bzw. mit Bildfläche verschwunden (Braunschweiger Zeitung, denen sie in Beziehung standen, macht Peter Fuchs 13.12.2014). an folgendem Beispiel deutlich: Verwendete Literatur: „Vor einigen Monaten waren wir zu Gast im Haus eines wohlhabenden maurischen Schmiedes. Mit uns waren zwei Auswärtiges Amt Angehörige des Hassan-Kriegeradels gekommen und alle aßen 2015 Niger: Reise und Sicherheitshinweise mit großer Selbstverständlichkeit gemeinsam aus einer Schüs- (Teilreisewarnung). Available Online. sel mit den Schmieden. Das wäre früher undenkbar gewesen“ http://www.auswaertiges-amt.de/DE/ (Fuchs 1991:201). Laenderinformationen/00-SiHi/NigerSicherheit. html [16.03.2015] 144 Bernus, Edmond Göttler, Gerhard 1983 Place et rôle du forgeron dans la société 1989 Die Tuareg: Kulturelle Einheit und regio- touarègue. Métallurgies Africaines 9: S. 237-251. nale Vielfalt eines Hirtenvolkes. Köln: DuMont.

Buchhagen, Silke Jaggar, Philip John 1990 Das Lederhandwerk der Haussa und Tuareg 1994 The Blacksmiths of Kano City: A Study in im Vergleich. Göttingen: Unveröffentlichte Tradition, Innovation and Entrepreneurship in Magisterarbeit, Georg August-Universität the Twentieth Century. Köln: Köppe (Westafrika- Göttingen. nische Studien, 2).

Fuchs, Peter N.N. 1953 Im Land der Verschleierten Männer. Wien: 2014 Der Schmuck der Tuareg. Braunschweiger Amandus. Zeitung. 13.12.

1958 Weißer Fleck im Schwarzen Erdteil: Meine Ritter, Hans Expedition nach Ennedi. Stuttgart: Engelhorn- 2002 Kunst und Handwerk der Tuareg. In: Fuchs, verlag. Peter; Georg Klute und Hans Ritter (Hg.), Tuareg: Eine Nomadenkultur im Wandel. S. 33-63. 1961 Die Völker der Südost-Sahara: Tibesti, Darmstadt: Häusser. Borku, Ennedi. Wien: Wilhelm Braumüller. (Veröffentlichungen zum Archiv für Völkerkunde Scholze, Marko [Museum für Völkerkunde in Wien], 6) 2009 Moderne Nomaden und fliegende Händler: Tuareg und Tourismus im Niger. Münster: LIT. 1970 Eisengewinnung und Schmiedetum im (Beiträge zur Afrikaforschung, 34) nördlichen Tschad. Baessler-Archiv 18: S. 295-334.

1983 Das Brot der Wüste: Sozio-Ökonomie der Sahara-Kanuri von Fachi. Wiesbaden: Steiner. (Studien zur Kulturkunde, 67)

1991 Menschen der Wüste. Braunschweig: Westermann.

145 Abbildungsverzeichnis Abb. 9 Schlesier im Presse-Gespräch, 1967, wissenschaftliches Kulturarchiv am Abb. 3 Melanesien, Papua-Neuguinea, Südpazifik, Institut für Ethnologie ...... 29 Robert Scheck ...... 14 Abb. 10 Der Weiler Wedona auf Normanby Abb. 4 A Karte Staaten im Sahara- und Island im Nebelregen, Erhard Schlesier, 1975, Sahelgebiet, Robert Scheck ...... 15 wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 33 Abb. 4 B Karte Lebensraum der Tuareg und Kanuri, Robert Scheck ...... 15 Abb. 11 Sagogewinnung in Kelelogeya, Normanby Island, Erhard Schlesier, 1962, Abb. 5 Erhard Schlesier und sein Informant wissenschaftliches Kulturarchiv Christopher Obedi Me‘uyo, Liahane, Normanby am Institut für Ethnologie ...... 36 Island, 1974, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 19 Abb. 12 A Halskette bagi, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 38 Abb. 6 Portrait von Edith und Erhard Schlesier, 2015, wissenschaft- Abb. 12 B Oberarmringe mwali, Ethnologische liches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie .....21 Sammlung, Harry Haase, 1991, wissenschaftliches Kulturarchiv am Abb. 7 A Schlesier mit Trommel sinaha, Institut für Ethnologie ...... 38 wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 23 Abb. 12 C Kula-Karte, Harry Haase, 1998 ...... 39

Abb. 7 B Karteikarte zur gesammelten Trommel, Abb. 12 D Brustschmuck dona, erworben von wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Igeigelele, Erhard Schlesier, 1962, Ethnologische Ethnologie ...... 24 Sammlung, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 41 Abb. 8 Tonbandaufnahme für Radio Milne Bay in Liahane, Normanby Island, Erhard Schlesier, 1975, Abb. 13 A Tragweise des Trauerbandes wausa, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut Ethnologie ...... 26 für Ethnologie ...... 43

146 Abb. 13 B Der Tote wird rasiert, wissenschaft- Abb. 23 Hille Fuchs in Fachi, Niger, Privatarchiv liches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie .... 44 Peter Fuchs, 1976 ...... 78

Abb. 14 Didiwaya‘u kocht in Kwakwamoa Abb. 24 Hille Fuchs bei einer Teezeremonie in Tarobrei, Erhard Schlesier, 1975, wissenschaft- Fachi, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976...... 80 liches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie .... 46 Abb. 25 Der Filmemacher Peter Fuchs, Abb. 15 Sago-Mahlzeit. Dobu, Handelsplatz von Kanuri und Tuareg, Susanne Kühling, 1993 ...... 50 Privatarchiv Peter Fuchs, 1976 ...... 86

Abb. 16 Kula-Boot, Susanne Kühling, 1993...... 54 Abb. 26 Steckengeblieben, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976 ...... 89 Abb. 17 Kula-Objekte, Susanne Kühling, 1993 ..... 56 Abb. 27 Karawane der Tuareg, Ténéré-Wüste, Abb. 18 Peter Fuchs mit seinem Begleiter und Dol- Sahara, Niger, Michael Steineck, 1992 ...... 91 metscher Adigei. Ennedi, Tschad, 1956, wissenschaftliches Kulturarchiv am Abb. 28 A Karawanenplatz von Fachi, Institut für Ethnologie ...... 59 Privatarchiv Peter Fuchs, 1976 ...... 96

Abb. 19 Peter Fuchs in Fachi, Privatarchiv Abb. 28 B Für Karawanenhandel gestapelte Fuchs, 1976 ...... 63 Salzbarren. Große kantu und kleine foschi. Michael Steineck, 1992 ...... 96 Abb. 20 Peter und Hille Fuchs in Fachi , Privatar- chiv Fuchs, 1976 ...... 68 Abb. 29 Empfangsraum mit dem zur Schau gestellten Besitz einer Hausfrau, Fachi, Abb. 21 Karteikarte zur Satteltasche aus Peter Fuchs, 1972, wissenschaftliches Agadez, Niger, Ethnologische Sammlung ...... 70 Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 97

Abb. 22 Abschiedsfeier für Peter Fuchs Abb. 30 Ein Tuareg (Imuhar) der Kel Ahaggar, (hier zusammen mit seiner Frau Hille), Sahara, Peter Fuchs, wissenschaftliches Harry Haase, 1994, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 98 Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 72 Abb. 31 Tuareg-Lager, Privatarchiv Peter Fuchs, 1976 ...... 100 147 Abb. 32 Peter Fuchs in Fachi, Privatarchiv Abb. 41 Schmiedewerkstatt. Ennedi, Tschad, Peter Fuchs, 1976 ...... 103 Peter Fuchs, 1956, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 137 Abb. 33 Prozession der verheirateten Frauen zu Beginn der Dattelhochzeit birra, Fachi, Abb. 42 Kengea, der alte Schmied, befragt das Privatarchiv Peter Fuchs, 1976 ...... 105 Sandorakel. Ennedi, Tschad, Peter Fuchs, 1956 wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Abb. 34 Salzgarten in Fachi, Peter Fuchs, 1972, Ethnologie ...... 139 wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 106

Abb. 35 Handelsdreieck ...... 108

Abb. 36 Tuareg Rebellen. Magnus Manske, 2012 ...... 111

Abb. 37 Schmuggelhändler im algerischen Tamanrasset, Georg Klute, 1992 ...... 124

Abb. 38 Ein typisches Dorf der Hadjerai, Peter Fuchs, 1965, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 126

Abb. 39 A Hadjerai-Djonkor, Blasinstrument parri, Peter Fuchs, 1965, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 128

Abb. 39 B Hadjerai-Dangaleat, Sultan von Korbo, Peter Fuchs, 1965, wissenschaftliches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie ...... 129

Abb. 40 Veteranen, Hadjerai, Tschad. wissenschaft- liches Kulturarchiv am Institut für Ethnologie. Peter Fuchs, 1965 ...... 134 148 Es sind die Begegnungen mit Menschen, die unser Leben prägen. Dabei beeinfl ussen die kul- turellen, gesellschaftlichen und sozialen Umstände oder persönlichen Neigungen die Qualität und Intensität dieser Begegnungen und wirken sich auf unser weiteres Handeln und Verhalten aus. Wie sich Begegnungen und Beziehungen gestalten und verändern, wird in der Ausstellung anhand der Sammlungen zweier Göttinger Ethnologen dargestellt, die knapp drei Jahrzehnte am Institut für Ethnologie gewirkt haben. Der Ozeanist Erhard Schlesier führte Feldforschungen im Südpazifi k durch. Sein regionaler Schwerpunkt lag dabei auf Südost-Neuguinea. Die For- Julia Racz und Gundolf Krüger (Hg.) schungen des Afrikanisten Peter Fuchs erstreckten sich auf das Gebiet der Sahara und des Sahel. Beide Ethnologen betrachteten Begegnungen als einen Prozess von wechselseitigen kulturellen Beeinfl ussungen, denen man im Hinblick auf ihre jeweilige Dynamik und Wirksamkeit auf die Transkulturelle Begegnungen –

Spur kommen sollte. k und Sahara - Südpazifi Südpazifi k und Sahara Julia Racz und Gundolf Krüger (Hg.) Transkulturelle Begegnungen

ISBN: 978-3-86395-250-1 Universitätsverlag Göttingen Georg-August-Universität Göttingen