Heimatblaetter 2016
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Nummer 1/2016 Beilage BadKreuznacher Bad Kreuznach Heimatblätter Vom Kirchhof zum Friedhof Die Verlegung der Begräbnisplätze in den Außenbereich der Ortschaften – dargestellt am Beispiel Frei-Laubersheim VON DIPL.-HDL. WOLFGANG ZEILER, FREI-LAUBERSHEIM Vorbemerkungen Nur noch in wenigen Gemeinden in un- serer Region liegen die Begräbnisstätten un- mittelbar an der Kirche. Solche Kirchhöfe finden sich zum Beispiel noch in Weinsheim oder Bingen-Büdesheim. In den meisten Ort- schaften liegen die Begräbnisplätze jedoch außerhalb der örtlichen Bebauungsgrenzen. Die Art der Bauweise sowie das verwendete Material zeigen, dass diese Friedhöfe alle re- lativ zeitgleich errichtet wurden. Die Grün- de und der Ablauf der Verlegung werden in den einzelnen Ortschaften im Detail zwar Teil des ehemaligen Kirchhofs in Frei-Laubersheim (heutiger Zustand). Foto: Wolfgang Zeiler, Frei-Laubersheim nicht identisch, aber doch denen in der rheinhessischen Gemeinde Frei-Laubers- heim ähnlich gewesen sein. Politisch gehörte Frei-Laubersheim zu hungsweise um die Kirche herum – „im Hof In den französischen Gemeinden selbst sah Beginn des 19. Jahrhunderts, wie alle links- der Kirche“. Dadurch, dass man die Toten man dies jedoch offenbar ganz anders. Eine rheinischen Gebiete, seit dem Vertrag von unmittelbar an der Kirche beerdigte, blie- offizielle Befragung französischer Bürger- Lunéville (1801) zum französischen Staats- ben die Verstorbenen im Ort und waren da- meister zu gesundheitlichen Problemen auf gebiet. Mit der Gründung der Provinz mit weiterhin eingebunden in die Ortsge- ihren Friedhöfen führte zu zum Teil hefti- Rheinhessen am 8. Juli 1816 kam es zum meinschaft. Zum sonn- und feiertäglichen gen Reaktionen der Gemeinden. Nach de- Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Kirchgang gehörte auch der Gang zum ren Darstellung waren die Friedhöfe, ganz Die großherzogliche Provinzialregierung Grab der Verstorbenen, wie dies auch heute gleich ob sie um die Kirche herum oder mit- Rheinhessens hatte ihren Sitz in Mainz und noch in Gemeinden zu beobachten ist, de- ten unter den Einwohnern lagen, niemals das für die Gemeinde zuständige Kreisamt ren Begräbnisstätte an der Kirche liegt. Eine Ursache für Krankheiten oder Epidemien war zunächst Bingen. Ab 1852 gehörte Frei- umfassende und nachhaltige Änderung des gewesen.1) Die französische Regierung blieb Laubersheim dann zum Kreis Alzey, nach- gesamten Bestattungswesens in unserer Re- jedoch bei ihrer Auffassung. dem der ehemalige Kanton Wöllstein auf- gion erfolgte erst in der ersten Hälfte des Das napoleonische Reformdekret vom 12. gehoben und Alzey zugeteilt worden war. 19. Jahrhunderts – vor allem auf der Grund- Juni 1804 über das Bestattungswesen ( „Dé- lage eines napoleonischen Dekrets von cret du 23 prairial XII sur les sépultures“) 1804. sollte vor allem diese gesundheitlichen 1. Der Kirchhof der Gemeinde Probleme der Kirchhöfe beseitigen. Das De- Frei-Laubersheim kret richtete sich an alle französischen Bür- 2. Das napoleonische Dekret vom 23 prairial germeistereien, auch an die „mairie“ in Bis zum Bau der evangelischen Kirche an XII (12. Juni 1804) Frei-Laubersheim. 1969/70 war die dem „heiligen Mauritius Nach diesem Dekret sollten keine Beer- und Gefährten“ geweihte Kirche an der Kir- In Frankreich bewirkte die Aufklärung digungen mehr innerhalb der Ortschaften chenpforte Pfarrkirche für beide Konfessio- schon ab Mitte des 18. Jahrhunderts eine zu- erfolgen .2) Die erforderlichen neuen Fried- nen (Simultaneum). Mit der Aufhebung des nehmende Sensibilisierung für hygienische höfe sollten in einer Entfernung von min- Simultanverhältnisses im Jahre 1966 wurde Probleme. Man sah in den Kirchhöfen eine destens 35 bis 40 Metern jenseits der Orts- die katholische Kirche wieder alleinige Ei- Gesundheitsgefahr für die Ortsbewohner grenze errichtet werden. Bevorzugt waren gentümerin des Gotteshauses. Freistehend, durch ausfließende „Leichengifte“ oder dazu solche Plätze als Begräbnisplätze zu direkt neben der Kirche, befindet sich der schädliche „Ausdünstungen“. Durch das wählen, die am höchsten nach Norden aus- Wehr- und Glockenturm, ein weithin sicht- starke Bevölkerungswachstum im 18. Jahr- gerichtet lagen. Die Bepflanzungen sollten bares und unverwechselbares Bauwerk aus hundert seien die Kirchhöfe oft überbelegt so vorgenommen werden, dass sie die Luft- dem 13. Jahrhundert. und die dadurch verursachten Mehrfach- zirkulation nicht behinderten („ne pas gê- Wie in den meisten Dörfern befand sich belegungen, verkürzte Liegefristen und ner la cirulation de l´air“). Die minimale Lie- auch in Frei-Laubersheim die Begräbnis- Massengräber hätten diese hygienisch be- gezeit wurde auf fünf Jahre festgelegt, und stätte in früheren Jahrhunderten an bezie- denklichen Zustände besonders begünstigt. jede Beerdigung musste in einem Einzel- 2 (Seite 2 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 1/2016 ten […] große Unordnung geherrscht“4). Die Gemeinde reagierte jedoch auf Lichten- bergs Schreiben anders als erwartet. Bür- germeister Bausmann plante nicht eine Ver- legung, sondern beantragte die Vergröße- rung des bisherigen Kirchhofes! Die Be- gründung ist nicht überliefert, aber es müs- sen stichhaltige Gründe gewesen sein, denn das „Geheime Staatsministerium“ erteilte am 31. August 1821 die „nötige Ermächti- gung zur Erwerbung des zur Vergrößerung des Kirchhofs dienenden Ackers“.5) Wahr- scheinlich war für die Genehmigung mit- entscheidend, dass der Kirchhof von Frei- Laubersheim, nicht mitten im Ort, sondern am Ortsrand lag. Den Acker erwarb die Ge- meinde nachdem sichergestellt war, dass auf dem Grundstück keinerlei „Inscriptio- nen“ (Belastungen) hafteten. Die Geneh- migung der Regierung in Mainz zur erfor- derlichen Vergrößerung der Umfassungs- mauer des Kirchhofes erfolgte am 29. Janu- ar 1822. Die Toten waren auf dem Kirchhof bisher nach Konfessionen getrennt beerdigt wor- den, was der Bürgermeister als „zweck- Flurkarte von 1832: Gewann „Im Volxheimer Weg“ noch ohne Friedhof. Foto: Ortsarchiv Frei-Laubersheim widrig“ bezeichnete. Er bat daher die Re- gierung seinem Gesuch zu entsprechen und die „reihenweise Beerdigung ohne Rück- sicht auf die Confession“ auf dem erweiter- grab, also nicht übereinander erfolgen mit der Vorsicht, daß die Cirkulation der ten Kirchhof zu verordnen. Auf diese Weise („Chaque inhumation aura lieu dans une Luft nicht gehemmt werde“. Beklagt wurde könnten auf dem Kirchhof mindestens 30 fosse séparée“). Auch die Mindestmaße für in dem Schreiben, „daß in mehreren Ge- Jahre lang Beerdigungen erfolgen.6) Dem die Grabbreite und Tiefe sowie die Grab- meinden die Kirchhöfe nur mangelhaft, ja Gesuch des Bürgermeisters wurde am 10. abstände gab das Dekret explizit vor. Das oft gar nicht mit einer Mauer umgeben sind, Januar 1823 stattgegeben. Dekret forderte die Gemeinden außerdem und sogar dem Vieh zur Beweidung offen auf, bei der Neuanlage zunächst die not- stehen, wodurch die den irdischen Über- wendige Mindestgröße des neuen Friedho- resten der Verstorbenen schuldige Achtung 5. Die erneute Aufforderung zur fes zu berechnen. Dies war anhand der de- auf eine unanständige Weise verletzt wird“3). Friedhofsverlegung taillierten Vorgaben des Dekretes unter Ein- In Frei-Laubersheim war dies jedoch nicht beziehung der zu erwartenden jährlichen der Fall, denn der Kirchhof war mit einer Am 10. Oktober 1831, also nur etwa elf Bestattungen in der Gemeinde relativ ein- Mauer umgeben und hatte (wahrscheinlich) Jahre nach Lichtenbergs erster Aufforde- fach zu ermitteln. Mit diesem Reformdekret zwei verschließbare Tore. rung zur Verlegung der Bestattungsplätze, wurde außerdem – entsprechend dem re- sandte er ein weiteres Schreiben an volutionären Recht – das gesamte Fried- „sämmtliche Großherzoglichen Bürger- hofswesen der Zivilgemeinde übertragen. 4. Die Reaktion der Gemeinde auf meistereien“. Es war im Ton deutlich schär- Eine Verlegung der Frei-Laubersheimer Be- Lichtenbergs Schreiben fer gehalten: „Das Dekret vom 23. Prairial gräbnisstätte bewirkte dieses Dekret jedoch Jahr XII schreibt vor, daß Begräbnisplätze zunächst nicht. Der Kirchhof in Frei-Laubersheim war 30 bis 40 Meter vor dem Orte, und an er- zur Zeit des Schreibens tatsächlich „für die höhten, dem Nordwinde ausgesetzten Plät- dasigen Einwohner zu klein geworden“ zen, gelegen sein sollen. Dies ist aber, un- 3. Das Schreiben des Regierungspräsidenten und dadurch hatte beim „Begraben der To- geachtet unseres Rundschreibens vom 14. Freiherrn von Lichtenberg Am 14. August 1820 – Frei- Laubersheim gehörte mittlerweile als rheinhessische Ort- schaft zum Großherzogtum Darmstadt – er- hielten alle Bürgermeistereien Rheinhes- sens ein Schreiben des Regierungspräsi- denten der Provinzialregierung in Mainz. Darin stellte der Regierungspräsident Frei- herr von Lichtenberg fest, dass der Vollzug des napoleonischen Dekrets „wegen Ver- legung der Kirchhöfe außerhalb der Orte“ bisher in vielen Gemeinden der Provinz nicht erfolgte. Den Grund dafür sah die Pro- vinzialregierung darin, dass die vorhande- nen Kirchhöfe „damals noch hinreichend Raum enthielten“. „Da aber“, hieß es in die- sem Schreiben weiter, „in den meisten Ge- meinden diese Kirchhöfe nunmehr zu be- engt sind, so sieht man sich veranlasst, die Herrn Bürgermeister der Gemeinden, worin dieser Fall bereits eingetreten ist, oder nahe bevorsteht, aufzufordern, schickliche Grundstücke[…] auszuwählen“. Dazu soll- ten gemäß dem napoleonischen Dekret „die erhöhtesten und am meisten nach Norden liegenden Felder“ erworben und von einer mindestens zwei Meter hohen Mauer um- schlossen werden. Weiterhin sollten