herausgegeben vom Geschichtsverein Fürth e. V. 3/2013 · 63 . Jg. · B5129F · EUR 5,–

Der Mythos „Kadlschburcher Blöih“ und das Kirschenparadies

100 Jahre Firma I. S. Dispeker – eine Familiengeschichte

Lebensläufe bei St. Michael 3/13 Inhaltsverzeichnis

Titelbild: Cadolzburger Postkarte 1897

Hans Werner Kress Der Mythos „Kadlschburcher Blöih“ und das Kirschenparadies 79

Ilse Vogel 100 Jahre Firma I. S. Dispeker – eine Familiengeschichte 102

Korrektur 111

Gerhard Bauer Lebensläufe bei St. Michael 112

Impressum

Fürther Geschichtsblätter Herausgeber: Geschichtsverein Fürth e. V., Schlosshof 12, 90768 Fürth Schriftleitung: Barbara Ohm, Falkenstraße 21a, 90766 Fürth Verfasser: Hans Werner Kress, Steingasse 17a, 90556 Cadolzburg Ilse Vogel, Diestelstraße 2, 97532 Üchtelhausen Gerhard Bauer, Zirndorfer Weg 6, 90522 Satz: Satzpoint Eckstein, Kapellenstraße 9, 90762 Fürth Druck: R. Holler – Offsetdruck, Kapellenstraße 9, 90762 Fürth

Verantwortlich für den Inhalt sind die Verfasser. Alle Rechte, auch die des Abdrucks im Auszug, vorbehalten. Erscheinungsweise der Hefte vierteljährlich. Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag ent - halten. Einzelhefte gibt es in der Geschäftsstelle.

78 FGB 3/ 2013 Hans Werner Kress Der Mythos „Kadlschburcher Blöih“ und das Kirschenparadies

Mit dem „Moggela“ 1 nach Cadolzburg in die seinen Hunger hatte er wohl mehr ertränkt „Blöih“ 2 zu fahren oder auf Schusters Rap - als mit einer Brotzeit gestillt. Am Nachmit - pen dorthin zu wandern, war einst für Aber - tag zum Fünf-Uhr-Zug kam er wieder. Er be - tausende Fürther und Nürnberger eine anspruchte die volle Breite des Fußweges. In Sonntagsverlockung, der sie kaum widerste - den Händen hielt er halbvolle Bierflaschen, hen konnten. Als Bub – wir wohnten damals die er abwechselnd ansetzte. Unsäglich im Bahnhof – habe ich Mitte der 1950er Jah - schien ihn der Durst immer noch zu plagen. re den Ansturm der Besucherscharen selbst Der Wurstring hing dagegen noch völlig un - miterlebt. Zusätzliche Wagen waren an die berührt um den Hals. In der Nachmittags - Züge angehängt worden. Fast doppelt so vie - sonne hatte die fettreiche Wurst unüberseh - le Fahrgäste wie in den werktäglichen „Ar - bare Spuren auf seinem Anzug hinterlassen, beiterzügen“ kamen in Cadolzburg an. Leb - gegen die auch das schärfste Fleckenwasser haft erinnere ich mich noch an einen dieser kaum helfen konnte! Der Unbekannte hatte Naturliebhaber. In vollem Sonntagsstaat, bestimmt ein unvergessliches „Blütenerleb - dunkler Anzug und Krawatte, kam er mit nis“ besonderer Art! dem Halbzehn-Uhr-Zug aus Fürth. Um den Glaubt man alten Berichten, dann war Hals hatte er einen großen Ring weißer der Besucheransturm, den ich in den 1950er Stadtwurst hängen, der wohl als Wegzeh - Jahren erlebte, nur noch ein Bruchteil des rung gedacht war. Doch weit war der Aus - früheren Andrangs. Nie mehr erreichte Re - flügler an diesem Tag kaum gelaufen und kordzahlen wurden für die drei „Blüten -

Das „Moggela“ im Bahnhof Cadolzburg

FGB 3/ 2013 79 Die Cadolzburg im Blütenschmuck sonntage“ 1912 3 genannt: Allein 28.535 Be - eine mittlere Stadt auf ein harmloses Dörf - sucher brachte das „Moggela“. Die Wande - chen losgelassen worden wäre. Die wenigen rer und Radfahrer waren dabei noch gar Einwohner gehen unter in der mächtigen nicht mitgezählt. Cadolzburg hatte damals Zahl der Gäste, denen das Blühen viel be - etwa 1.800 Einwohner! „Es ist, wie wenn deutet …“, hieß es in einem Zeitungsartikel.

Mit Äpfel, Nüssen, Zwetschgen und Weintrauben fing es an 4 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wur - 12.558 Mark aus dem Obstbau. Mit 5.000 de der Cadolzburger Obstbau gerühmt. 1788 Mark entfiel der Hauptanteil auf 600 Zent - berichtete Johann Michael Füssel 5, die Ca - ner Kirschen von 8.000 Bäumen. 8 Allerdings dolzburger würden eine Menge Zwetschgen, scheint der einzige belastbare Aspekt seiner Borsdorfer Äpfel 6 von besonderer Größe, un - Tabelle die unterschiedliche Wertschätzung gewöhnlich große welsche Nüsse und viele der Obstsorten zu sein: Für Äpfel und Bir - gute Weintrauben in die benachbarten Städ - nen wurden pro Zentner drei Mark, für te liefern. Um 1820 kamen dann Kirschen Weichsel, Zwetschgen und Pflaumen 1,80 dazu. Der Landgerichtsassessor Carl Ferdi - Mark, für Walnüsse 3,50 Mark und für Kir - nand Starck hatte gegenüber der heutigen schen stattliche 8,33 Mark erlöst. Der Kir - katholischen Pfarrkirche St. Otto den ersten schenpreis wurde nur noch von den Pfirsi - Kirschengarten angelegt 7 und sicherlich ei - chen mit 8,75 Mark übertroffen. Mit 20 nen einträglichen Nebenverdienst erzielt. Zentner Gesamtertrag spielten sie freilich Bereits 1874 errechnete Bezirksarzt Dr. Fer - keine große Rolle. 9 dinand Esenbeck jährliche Einnahmen von

80 FGB 3/ 2013 Cadolzburger Blüten- und Obstwerbung 1897

Johann Leonhard Haffner und sein „Garten“ Die besondere Rolle Cadolzburgs wurde Kredit von 10.000 Gulden. Johann Leonhard durch die Obstbaumschule des Johann Leon - Haffner konnte seine Baumschule trotzdem hard Haffner begründet. Haffner hatte diese nicht halten. Im September 1868 wurde die Anlage 1848 mit rund 60.000 Zuchtbäumen, Anlage verlost. Mit den Loseinnahmen wur - Sämlingen und Stecklingen im „Wildmei - den die Schulden abgetragen und Haffner stersgarten“, dem heutigen Bahnhofsgelän - erhielt einen Teil seines Kapitals zurück. de in Cadolzburg, begonnen. 1851 erweiter - Der Fürther Metzgersohn Konrad Fick war te er seine Baumschule um die „Reitschule“ Hauptgewinner, der sein Los an ein vom und die „Galgenleite“ am Pleikershofer Nürnberger Gärtner Johann Simon Dentler Weg. 10 Dazu hatte er den Pfälzer Pomologen geführtes Konsortium verkaufte. 13 Friedrich Jakob Dochnahl 11 engagiert, der die Dass Johann Leonhard Haffner den Ca - Anlage plante und die Arbeiten leitete. Doch dolzburger Obstbau durch günstige Preise Haffner hatte sich finanziell übernommen. bei seinen Notverkäufen besonders geför - 1852 bat er um staatliche Unterstützung mit dert habe, trifft allerdings nicht zu. Erst Jo - einem jährlichen Zuschuss von 600 Gulden hann Simon Dentler hatte 1869 die Preise oder einem Darlehen von 10 – 12.000 Gul - drastisch herabgesetzt, um den Absatz an - den. Seine Mittel seien erschöpft, er habe be - zukurbeln und eine rasche Amortisation des reits 30.000 Gulden investiert. Zur völligen eingesetzten Kapitals zu erreichen. Bei Kir - Herstellung der Anlage seien noch 40- schen- und Zwetschgen-Hochstämmen redu - 50.000 Gulden notwendig. 12 zierte er die Haffnerschen Preise von 1862 Die Regierung genehmigte schließlich um ein Drittel auf 24, bei Apfelhochstäm - von 1854 bis 1859 einen jährlichen Zu - men um ein Viertel auf 27 und bei Birnen schuss von 500 Gulden und gewährte 1860 um ein Zwölftel auf 33 Kreuzer. 14 zu äußerst günstigen Bedingungen einen

FGB 3/ 2013 81 land hinaus anerkannter Ausbildungsbe - trieb. 15 Auch für junge Cadolzburger. 1889 fasste das Bezirksamt für die Regierung zu - sammen: „… jetzt ist die Baumschule völlig verschwunden und der Grund als Ackerland verkauft oder verpachtet. Die Tätigkeit des damaligen Baumgärtners Abel, des jetzigen kgl. Obst- und Gartenbaulehrers in Tries - dorf, hat jedoch gleichwohl für Cadolzburg auch dermalen noch Nutzen und Segen im Gefolge, insofern als seine damaligen Schü - ler … jeder seine eigene Baumschule ange - legt hat und betreibt. Der Verkauf und Ver - sand von veredelten Obstbäumen ist ein be - deutender…“ 16 Dass sie gleichzeitig auch Obstbau betrieben, wurde nicht eigens er - wähnt. Damals berichtete das Bezirksamt auch vom Beerenanbau: „Außer der Baum - kultur ist in Cadolzburg die Beerenzucht (Jo - hannis-, Stachel-, Himbeeren, Erdbeeren 17 ) stark im Betrieb. Der Verschleiß dieser Früchte findet zunächst im Marktverkehr nach Fürth und Nürnberg statt.“ Der Bezirksamtmann und der von ihm geleitete landwirtschaftliche Bezirksverein kümmerten sich intensiv um den Obstan - bau. Entlang den Straßen sollten Obstalleen Edle Frucht von einem Waldbirnbaum im angelegt und geeignete Gemeindegrund - Schlosszwinger stücke mit Obstbäumen bepflanzt werden. Bis zu 1.000 Obstbäume wollte die Marktge - meinde Cadolzburg anpflanzen 18 . Zug um Doch unter Dochnahl, und dann nach des - Zug wurde dieses Vorhaben bis zur Jahr - sen Weggang unter Johann Abel, dem späte - hundertwende verwirklicht. Das Naturge - ren Triesdorfer Obstbaulehrer, war die Haff - schehen im Frühjahr, die Baumblüte, spielte nersche Baumschule ein weit über Deutsch - bei diesem Vorhaben noch keine Rolle!

Baurat Theodor Lechner und die Lokalbahn-Aktiengesellschaft München Erst Baurat Theodor Lechner, Gründer und Neben reinen Stadt- und Industriebahnen Direktor der Lokalbahn-Aktiengesellschaft hatte die Gesellschaft bevorzugt touristische München, hatte das Potential erkannt, das Ziele erschlossen und nebenbei den lukrati - Cadolzburg bot. Zur Versorgung der Zirn - ven Frachtverkehr nicht vernachlässigt. Mit dorfer Betriebe mit Rohmaterial und zum dieser Kombination hatte die LAG gute Er - Abtransport der Produkte hatte die LAG, wie fahrungen gemacht. Ihre Isartalbahn führte die Lokalbahn-Aktiengesellschaft kurz ge - von München ins Loisachtal, die schmalspu - nannt wurde, zwischen Fürth und rige Walhalla-Bahn von Regensburg-Stadt - eine Bahnlinie gebaut und 1890 eröffnet. amhof an den Fuß des „Ruhmestempels“ der

82 FGB 3/ 2013 Bahnhof Cadolzburg um 1894

Deutschen, eine andere Strecke von Murnau Besonders aufwendig und ganz auf die zum Passionsspielort Oberammergau oder Bedürfnisse der Ausflügler ausgerichtet, von Marktoberdorf nach Füssen zur Er - war der Bahnhof in Cadolzburg. Dem zwei - schließung der Königsschlösser Neuschwan - stöckigen Dienstgebäude war zum Ort hin stein und Hohenschwangau. eine einstöckige Gastwirtschaft vorgelagert, Für die Verlängerung der Bahn Fürth – zu der auch der vordere Teil der offenen Ga - Zirndorf 1892 bis nach Cadolzburg spielte lerie gehörte. Hier konnten sich die Gäste, der zu erwartende Ausflugsverkehr eine geschützt vor überraschenden Schauern wichtige Rolle. Das ist schon am Bahnhofs - sommerlicher Hitzegewitter, niederlassen. gebäude zu erkennen. Die Stationsgebäude Neben dem Gastraum gab es noch ein „Ho - sollten nach Baurat Lechner „ihren öffentli - noratiorenstüblein“ für die besser situierten chen Charakter betonen, sie sollen einfach Cadolzburger und ihre Gäste. Die moderne, und praktisch angelegt sein und dabei doch großzügige Küche war im Keller neben den den Anforderungen der Ästhetik sowohl wie Lagerräumen untergebracht. Ein Speiseauf - der jeweiligen ländlichen [landschaftlichen] zug beförderte die fertigen Gerichte nach Bauweise entsprechen.“ 19 oben. Auch mit den Bierfässern musste sich Die Gebäude fielen deshalb unterschied - der Stationsvorsteher, der gleichzeitig Wirt lich aus: In Zirndorf war für die Betriebslei - war, nicht plagen. Auch dafür gab es einen tung der Strecke ein repräsentatives Bahn - Aufzug! Bei schönem Wetter lockte vor dem gebäude entstanden, mit dem das erst 1892 Gebäude ein schattiger Biergarten unter gebaute einfache Abfertigungsgebäude in prächtigen, rot und weiß blühenden Kasta - Fürth, der „Cadolzburger Bahnhof“ – offi - nienbäumen. ziell dagegen „Lokalbahnhof Fürth“-, nicht Die LAG förderte dazu den seit 1887 dis - zu vergleichen war. Selbst bei den Haltestel - kutierten Bau eines Aussichtsturmes. Aus len sind Unterschiede festzustellen: Dam - dem Grunderwerbs-Fond für den Bahnbau bach 20 war nur mit einer einfachen Unter - waren der Gemeinde 4.500 Mark übrig ge - stellmöglichkeit ausgestattet. Großzügiger blieben. Die LAG stockte diesen Betrag auf wurde die nächste Station bedacht: Die Hal - 10.000 Mark auf. Gegen eine geringe Ent - le hatte einen kleinen, sogar heizbaren schädigung trat der Gastwirt Bauer den nö - Schalterraum, der auch als Kiosk genutzt tigen Baugrund auf der höchsten Höhe des werden konnte. Schließlich führte von hier Ortes ab, mitten in den Obstgärten, gleich ein breiter Waldweg hinauf zur Alten Veste, neben seinem Biergarten. 1893, ein Jahr die nicht nur an die denkwürdige Schlacht nach der Bahnverlängerung, war der Turm des Jahres 1632 erinnerte, sondern auch ein fertig gestellt 21 und lockte die Ausflügler in gern besuchtes Ausflugsziel der Fürther mit den Blütenort! Aussichtsturm und Gastwirtschaft war!

FGB 3/ 2013 83 Lokalbahnhof in Fürth („Cadolzburger Bahnhof“)

Für die Zukunft hegte man in Cadolzburg mit bis zu 16 Wagen notwendig geworden große Erwartungen. Lehrer Holzmann zeich - und ist in diesen Fällen der jetzt bestehende nete 1894 vom Aussichtsturm aus eine hüb - Perron unserer Abfertigungsstelle um ca. sche Ortsansicht. 22 Die Arbeit sollte als Ent - 60 m zu kurz…“ 25 Um den Ansturm zu ver - wurf für ein Werbeplakat der LAG dienen. kraften, wurden von den übrigen bayeri - Derartige Plakate warben am Cadolzburger schen Normalspurlinien der LAG Wagen, Bahnhof für Ausflugsziele der anderen LAG- Lokomotiven und Personal nach Cadolzburg Linien! 23 Holzmann zeichnete auch einen abgezogen. Umgekehrt waren Cadolzburger Plan mit den Wanderwegen, den Ruhebän - Bedienstete während der Passionsspiele in ken und den ausgedehnten Obstanlagen im Oberammergau eingesetzt. Südwesten und Süden des Ortes. Dieser Plan Mit der Preisgestaltung schuf die LAG sollte auf die Rückseite der Kurtaxe-Quit - einen zusätzlichen Anreiz für einen Besuch tung gedruckt werden, 24 um den Gästen die in Cadolzburg. „An Sonn- und Feiertagen Orientierung zu erleichtern! Umgehend be - werden von den sämtlichen Lokalbahnsta - schaffte man auch Postkarten. Blühende tionen nach den Stationen bzw. Haltestellen Zweige rahmten die Sehenswürdigkeiten Weiherhof, Egersdorf und Cadolzburg und des Ortes ein. Später warben bunte Karten umgekehrt gewöhnliche einfache Fahrkar - für einen Besuch und für die Cadolzburger ten ausgegeben, welche zur Hin- und Rück - Kirschen, Birnen, Äpfel und Erdbeeren! Die fahrt am Lösungstage berechtigen“, hieß es Karten waren nicht nur beliebte Andenken, auf dem ab März 1894 gültigen Fahrplan. 26 sondern gute Werbeträger bei den Daheim - Am Abend vieler Blütensonntage konnte gebliebenen, die von ihren Bekannten aus der Betriebsleiter der Lokalbahn-Aktienge - dem Blütenparadies gegrüßt wurden! sellschaft zufrieden seine Abrechnungen Der Ausflugsverkehr florierte! Von der schreiben und erleichtert aufatmen! Wieder Entwicklung war selbst die LAG überrascht. war ein Blütensonntag geschafft: „Die Bahn Im März 1894 musste sie mit Blick auf die … hatte [1912] große Mühe, den Verkehr, kommende Blütensaison eine Verlängerung insbesondere die Rückfahrt, zu erledigen. des Bahnsteigs in Fürth beantragen: „Durch Trotzdem konnten die Züge rechtzeitig ab - den an Sonn- und Feiertagen großen Perso - gefertigt werden. Dass es dabei vorkam, nenverkehr ist die Einstellung von Zügen dass Leute wegen Überfüllung des einen Zu -

84 FGB 3/ 2013 Souvenir und Kartengruß um 1900 ges auf den nächsten warten mussten, ist mit Schimpfworten zu überschütten, werden selbstverständlich, und wird dies keinen die Betreffenden vor dem Gericht zu verant - vernünftigen Menschen aufgeregt haben. worten haben, ebenso wie die „Naturfreun - Dass sich einige Tollköpfe trotzdem hinrei - de“, die ganze Blütenzweige abgerissen ha - ßen ließen, die diensttuenden Bahnbeamten ben. …“ 27

Ein Blick ins Paradies? Bei der Entstehung des Mythos´ „Kadlsch - Alten Veste, das Kinderheim „Sonnenblick“, burcher Blöih“ spielte die Presse den ande - das entschwindende Weichbild Fürths und ren wichtigen Part. In schwärmerischen Ar - dann kurz vor dem flaggengeschmückten tikeln forderte sie zu einer Ausflugsfahrt Zirndorf der überraschende Blick auf Nürn - auf. Die Blütezeit würde beweisen, „dass berg und Fürth begeisterten den Zugfahrer. noch nicht alle Menschen in dieser realisti - Er freute sich über das birkengesäumte schen Zeit den Sinn für stille Naturschön - Stück Natur des „Weiherhofer Wassers“ ne - heiten verloren haben“, meinte ein Berich - ben den Geleisen. In Cadolzburg leerte sich terstatter 1914, der dann detailliert die der Zug rasch. „Wir ließen den Bahnhof hin - Fahrt im „Moggela“ schilderte: 28 „Auch uns ter uns, gingen der freundlichen Ortschaft hat ein werdender Sonntagmorgen in die zu, jetzt, wo schon rechts und links die Obst - blühende Gegend hinausgeführt. … Die bäume aus den Gärten ihre blühenden Zwei - Fahrt lohnte sich. Als „das Bähnle“ hinter ge reckten.“ Das stattliche Schulhaus am dem Berolzheimerianum die steinerne Brü - Wege, die Hauptstraße mit den Villen, die cke passierte, entbehrte das „Damenbad“ Kaiserlinde, der Torturm, die Wirtshäuser [des Flussbads] noch des sommerlichen am Marktplatz mit ihren Schildern, die Interesses …“ Die Flussaue, der Turm der Burg, all das zählte der schreibende Besu -

FGB 3/ 2013 85 cher auf. Wandervögel mit bunten Bändern tagssonne schwimmt …“ Ein anderer griff an ihrer Laute im Burghof waren eine Notiz den Vergleich auf: „… das Blütenmeer deckt wert. Um das Schloss herum führte sein alles … zu, so dicht, dass man wie in einem Weg schließlich zum Aussichtsturm: „Am Hain zu wandeln vermeint. … Garten reiht Saum des Horizonts die Wälder, die Lungen - sich an Garten, einer schöner als der andere. heilstätte im grünen Bett, und Ein alter Mann ist mit Feldarbeiten beschäf - Burgfarrnbach greifbar nahe, Ackerfurchen tigt, er merkt meine Begeisterung, und wie und Wiesenteppiche, und dann du, liebli - ein Bekenntnis kommt es aus seinem Mun - ches Cadolzburg, mit den Guirlanden des de: „Wir in Cadolzburg haben ein Stück vom Frühlings geschmückt, weiß und rosafar - Paradies“! 29 ben, ein Meer von Blüten, auf dem die Sonn -

Die anderen Gesichter des „Paradieses“ Wer wirklich in den Obstgärten arbeitete reden! Vor allem, weil er wusste, dass ein und nicht nur frei erfundenes Beiwerk eines guter Blütenansatz noch lange keinen Lohn Zeitungsberichtes war, wer die Baumstäm - für alle Mühe garantierte: Eine einzige me säuberte, gegen Frostschäden und Unge - Frostnacht während der Blüte, 30 ein einziger ziefer kalkte, die Schädlinge durch Leimrin - Hagelschlag vor der Ernte oder tagelanger ge und mit der Baumspritze bekämpfte, die Regen auf die reifen Kirschen und einfallen - Bäume ausschnitt und veredelte, mühsam de Starenschwärme konnten alle Hoffnun - die oft bis zu zehn Meter langen Leitern gen zunichte machen! stellte und bedächtig mit „Spreitzen“ sicher - Die Besucher kannten diese Sorgen kaum. te, damit sie sich nicht drehen oder kippen Voll Vorfreude und Erwartung schrieb einer: konnten, dann schwindelfrei zum „Bloo - „Die Augen gehen einen schier über in all den“, zum Ernten der Kirschen, die Leiter dem Gewirr von Ästen und Zweiglein, wei - hochstieg, der wird kaum vom Paradies ßen Blüten und weißen, kalkmilchbestriche - nen jungen Stämmen. Ordentlich festlich se - hen sie aus, die Bäume, stolz und reich! Und Vergebliches „Starenhüten“ die Zunge schnalzt schon vor Behagen im Vorgenuß künftiger Sommerfreuden! …“ 31 Wenige Zeilen weiter klagte unser Natur - liebhaber über die Kehrseite des Massenbe - suchs: „Seit die Lokalbahnverbindung Fürth-Zirndorf-Cadolzburg besteht, ist es bei Nürnbergern und Fürthern erst richtig Mo - de geworden, in die „Cadolzburger Blöi“ (Blüte) zu fahren. Mit den vollgestopften Nachmittagszügen kommen sie alljährlich zu Tausenden an den zwei Sonntagen um die Blütezeit. … Mehr wie einen halben Tag haben die meisten nicht Zeit, und mit der Bahn ist´s ja so „bequem“ und neuerdings mit den 25-Pf.-Karten für einfache Fahrt ja auch so „billig“. Da sind sie denn da und has ten in hellen Scharen lachend, schrei - end, scherzend und staubaufwirbelnd durch die Kirschgärten, kaum dass sie nach den

86 FGB 3/ 2013 Blüten sehen; denn die vielen, vielen Frem - den und ab und zu die zufällig getroffenen Bekannten oder die erwarteten Vereinsmit - glieder, die Toiletten, die schönen „Madli“, die Ansichtskartenverkäufer u.a. interessie - ren sie mehr. Und alle sind „furchtbar“ lu - stig, und es ist urgemütlich in Cadolzburg. Was an altmodischer „Stimmung“ und stil - len Schönheit nicht totzuschreien ist, das zerklingeln die ewigen Radler und zertöffen die ewigen Autler. Eine ganz neue Art zu ge - nießen ist in der Tat erfunden“ 32 – 1907! „Es sind auch da Mitläufer darunter, die die Mode mitmachen, Trampeltiere, Gröhler und Saufkumpane… Der Wanderer hätte an - nehmen müssen, im Walde … die träumende Ruhe zu finden. Aber wie weit war da fehl - geschossen! Indianerlager hatten sich im Waldesschatten etabliert. … Zu diesen India - nerlagern gehörten ausgehängte Unterröcke und Hängematten, Ziehharmonikas, Mando - linen, Sing- und Krähstimmen, „Krischer“, Pfeifer, Jodler, Schnarcher, Katzbalger, Ruck säcke und Futterkörbe, nach außen ge - wendete Jacken und Lodenmäntel, Papierfet - Schulmädchen im Fürstenhöferschen zen und – und möglicherweise noch ande - Pachtgarten res. Freund, fliehe diese Stätte. Bedenke, dass es im Orte besser sein wird. Aber ach! schaften ein Drängen und Jagen – wenn die Ein Karussell, 33 ein schreckliches Leierkas - Menge Hunger hat, ist sie wild“ 34 , klagte ein teninstrument mit Gejohle, in den Wirt - anderer! – Ein Paradies?

„Ohmds woor ka Renefdla Brod, ka Schnerbfela Worscht und ka Drobfn Bier mär do!“ Dagegen freuten sich die Wirte und die Die Verantwortlichen des Verkehrs- und Brauereien, wenn das Wetter an den Blüten - Verschönerungsvereins konnten sich zufrie - sonntagen warm und trocken war. „Viel den auf die Schulter klopfen: „Schon in den Geld bleibt an solchen Tagen in Cadolzburg frühen Morgenstunden kamen Radfahrer, zurück; man kann´s dem Ort gönnen, er Motorradfahrer und Autos. Die Lokalbahn, hat´s nötig. Unleugbar ist ein gewisser Auf - die viele Sonderzüge eingeschaltet hatte, schwung des lieben Nestes mit diesem brachte besonders aus Fürth und Nürnberg Fremdenzuzug verknüpft, der sich nur auch viele Gäste, so dass während des Tages wohl an den übrigen Sommersonntagen fortset - mindestens 25.000 Besucher hier gewesen zen müsste. Der Ort blüht bald wie seine Kir - sein dürften. Die Lokalbahn allein beförder - schengärten. Er hat es schon zur Wasserlei - te 15.000 Personen.“ So hatte man groß - tung und zum Aussichtsturm und neuer - sprecherisch im Mai 1932 der Allgemeinen dings zum Verschönerungs- und Fremden - Rundschau in Zirndorf berichtet. Angesichts verkehrsverein gebracht. …..“, wurde 1907 der wirtschaftlichen Verhältnisse und der nicht ohne einen Schuss Ironie bemerkt. 35 Massenarbeitslosigkeit werden diese Zahlen

FGB 3/ 2013 87 und getrunken.“ Nicht der winzigste trocke - ne Brotanschnitt, das kleinste Wurstende oder ein Tropfen abgestandenen Bieres war am Abend noch zu haben! Nicht nur die Wir - te und die Obstbauern, die in ihren Gärten Tische und Bänke aufgeschlagen hatten, machten ihr Geschäft! Auch die vom Schik - ksal weniger Begünstigten versuchten teil - zuhaben. Etwa der aus Klagenfurt stammen - de gelernte Schreiner Milan Wewerka, der Frau und drei Kinder mit einem Kleinhandel durchzubringen versuchte und 1910 auf dem Weg vom Bahnhof zum Markt eine „Zuckerbude“ aufschlagen durfte. 39 Oder der aus einem kleinen Ort in der Fränkischen Schweiz stammende und aus dem Ersten Weltkrieg schwerverletzt zurückkehrende Metzger Johann Saffer, der für die Blüten - sonntage und Himmelfahrt 1929 den Ver - kauf von Zuckerwaren, Speiseeis und Ein „Kirschenkönig“ Rauchwaren und im Juni 1931 einen Kir - schenhandel anmeldete. maßlos übertrieben sein. Realistisch-nüch - Doch nicht alle Gäste waren gern gese - tern vermerkte dagegen ein Rückblick auf hen, wie 1912 geschrieben wurde: „Eine un - das Jahr 1935. 36 „…Die Lokalbahn konnte an angenehme Begleiterscheinung ist es, wenn den drei Blütensonntagen rund 10.000 Per - Leute, die Freude an der Natur zu haben vor - sonen befördern.“ Doch dem zu einer „amt - geben, dieses Vergnügen darin dokumentie - lich anerkannte Fremdenverkehrsgemein - ren, dass sie im gegenwärtigen Lenze mög - de“ 37 strebenden Ort wurde gleichzeitig vor - lichst viel Blüten abreißen. Dieser Unfug gehalten: „…Im Gegensatz zu früher ist die wurde gestern auch in Cadolzburg übermä - Beförderungsziffer bedeutend gesunken, hat ßig geübt. Schließlich sah sich die Gendar - man doch jahrelang diesen Stand allein an merie genötigt, einzugreifen. Sie kontrollier - 3 einem Sonntag erreicht und überschritten. te de n ⁄4 8 Uhr abends von Cadolzburg abge - Die Höchstbeförderungszahl, die die Lokal - henden Zug und langte alle diejenigen aus bahn an einem Blütensonntag zu verzeich - den Wagen, welche mit abgerissenen Blü - nen hatte, betrug 16.000 Personen. 38 Wir er - tenzweigen beladen waren. Es gab eine gan - innern uns in Cadolzburg noch jener Zeit, da ze Anzahl solcher Herrschaften. Ihre Namen sich durch die Straßen des Ortes eine drei - wurden festgestellt, und Strafmandate sind ßigtausendköpfige Menschenmenge beweg - die Folge. Solches Vorgehen besteht voll - te. An solchen Tagen wurde Cadolzburg im kommen zu Recht und es ist angetan, der wahrsten Sinne des Wortes leergegessen Ungezogenheit etwas zu steuern.“ 40

Das „Kirschen-Eldorado“ Das Verhalten der Ausflügler war später schlag und andere Unwetter noch ganz aus - umso ärgerlicher, als Spätfröste während fallen konnte. Nur der gute Preis von 25 bis der Blüte 1912 die Frühkirschenernte weit - 28 Pfennig pro Pfund – in anderen Kir - gehend vernichtet hatten. Auch die spät rei - schengegenden waren auch die Spätkir - fenden Einmacherkirschen versprachen nur schen erfroren – milderte das Klagelied. eine mittelmäßige Ernte, die durch Hagel -

88 FGB 3/ 2013 Angeblich stiegen die Einnahmen von Jahr zu Jahr. 41 1908 wurden den Delegierten des Landesverbandes bayerischer Obstbau - vereine die Einnahmen aus dem Obstbau in der Gemarkung Cadolzburg mit 80 bis 82.000 Mark pro Jahr angegeben. Seit 1898 sollen aus den Privatobstanlagen 701.000 Mark erlöst worden sein, der jährliche Er - trag sei von 40.000 auf 80.000 Mark gestie - gen. Die Erträge von den Gemeindebäumen der letzten zehn Jahre fielen mit annähernd 3.800 Mark dagegen kaum ins Gewicht. Der überwiegende Teil des Obstes wurde von Händlern und „Höglerinnen“ in die Stadt gebracht. Die Lokalbahn-Aktiengesell - schaft nahm mit ihren Tarifbedingungen darauf besondere Rücksicht: „Ablieferungs - waaren, Rohprodukte der Hausindustrie und Marktkörbe mit Früchten, als Gepäck aufge - geben, werden zu besonders ermäßigten Sätzen befördert. Diejenigen leer zurückge - Prachtkirschen aus Cadolzburg henden Kisten, Körbe, Säcke etc., welche in gefülltem Zustande mit der Bahn als Gepäck scheinend Nürnberger Arbeitslose – in aller befördert wurden, werden frachtfrei zurück - Gemütsruhe auf den Kirschenbäumen sit - befördert. Die Mitbeförderung der zur An- zend an, wie sie die Kirschen in mitgebrach - und Abfuhr erforderlichen einrädrigen te Körbe pflückten. Erst als er einen Schrek - Handkarren erfolgt taxfrei. Zwei- und vierrä - kschuß abgab, entfernten sich die Burschen drige Handkarren für genannten Zweck wer - unter Zurücklassung von Hüten und Kör - den gegen eine Gebühr von 10 Pfennig be - ben. Mittags um 11 Uhr wurden dann wieder fördert.“ 42 einige Kirschendiebe in flagranti erwischt Auch die Städter, die aufs Land fuhren, und nach Verabreichung einer Portion un - um Kirschen und „Brestli“ 43 zu kaufen, pro - gebrannter Asche 44 zur wohlverdienten Stra - fitierten von der großzügigen Einstellung fe der Gendarmerie übergeben. Die Behör - der LAG. Bis zu zehn Kilogramm Handge - den würden ein gutes Werk tun, wenn sie päck, das ohne Belästigung der übrigen Rei - die Burschen gehörig bestrafen.“ 45 senden mitgenommen werden konnte, war In Notzeiten konnte Selbstjustiz nicht frei. Diese zehn Kilogramm entsprachen ei - mehr abschrecken und die Gendarmerie war nem der üblichen großen Spankörbe für Kir - nicht überall gleichzeitig! Ein „Bayerischer schen oder vier kleineren für Erdbeeren. Volksfreund“ hatte am Beginn der Kirschen - Es kamen aber auch Interessenten, über ernte 1917 einen an bürokratischem Auf - die die Kirschenbauern gar nicht erfreut wa - wand nur noch schwer zu überbietenden ren: „Eine große Landplage, die alljährlich Einfall, den er umfangreich begründete. 46 als Begleiterscheinung der nahen Großstäd - Die Landbevölkerung empfinde es als Übel - te auftritt, sind die Kirschendiebe, die in stand, dass „sie sich der unberechtigten Trupps von 3 und 4 Mann mit einer Frech - Obstfreunde nicht erwehren kann, welche heit vorgehen, die die Obstgartenbesitzer schon zur Friedenszeit die an der Landstra - zwingen, in den frühesten Morgenstunden ße gelegenen Obstanlagen plündern und ihre Gärten nur bewaffnet zu betreten. So den ihnen wehrenden Eigentümern gerade - betraf gestern früh 5 Uhr ein hiesiger Gar - zu mit Gewalt drohen und auf ihren Rädern tenbesitzer in seinem Garten 4-5 Mann – an - längst mit ihrer Beute über alle Berge sind,

FGB 3/ 2013 89 Oh weh – der Flurer mit seinem Hund! bevor die zur Hilfe gerufene Gendarmerie wenn man sich nicht durch eine Bescheini - zur Stelle sein kann. … Dass sie jetzt bei der gung des Bürgermeisters des besuchten allgemeinen Knappheit der Lebensmittel Dorfes darüber ausweisen kann, dass man und der voraussichtlich reichen Obsternte den mitgenommenen Vorrat rechtmäßig er - sich sehr mehren werden, ist sehr zu be - worben oder geschenkt bekommen hat. Die fürchten. … Kann die Polizei helfen? Ein Arbeit, welche den Landbürgermeistern da - wohl beachtenswerter Vorschlag dürfte es durch erwächst könne durch vorgedruckte sein, dass jeder Schutzmann das Recht ha - Formulare wesentlich erleichtert werden. ben sollte, alles, was an Lebensmitteln oder Ein solcher Obstschutz käme allen rechtmä - an Obst heimgeschafft wird, zu konfiszieren, ßigen Käufern zugute.“

Bürokratische Regelungswut Eigentlich war die Anregung des Volks - te – gelungen, „den schon in Friedenszeiten freundes überflüssig. Nach den Anweisun - leider vergeblich wiederholt angeregten Ge - gen der militärischen Kommandobehörden danken durchzuführen, anstelle des Mark - war die Zivilverwaltung mit Höchstpreisver - tens der Erzeuger und Händler nach den ordnungen, schärfsten Verboten und Be - Städten einen Obstmarkt im Erzeugergebiet schlagnahmungen längst tätig! Dem Be - selbst abzuhalten. Die Kriegsverhältnisse, zirksamtmann 47 war es – infolge eines Wun - insbesondere der Mangel an Arbeitskräften sches des Obstbauvereins, wie er behaupte - in den Erzeugerorten haben allen Beteilig -

90 FGB 3/ 2013 ten die Vorteile dieser Verkaufsart einleuch - denn die Leute … bringen ihre Ernte erst ten lassen.“ zum Abend herein. Zu Anfang der Kirschen - Ein Leserbriefschreiber, der noch aus - zeit konnte man sich seine Zeit mit stun - führlich zu Wort kommen wird, bekundete denlangem Anstehen um Bezugsscheine das Gegenteil: Alle befragten Kirschgarten - verbringen, um dann, wenn man unter den besitzer sagten, der Kirschenmarkt sei ganz letzten war, mit leeren Händen und Taschen gegen ihren Willen eingeführt worden. 48 zum einzigen Abendzug zu eilen.“ Um den Wucher und die Höchstpreisü - „Da griff das Volk schrecklich zur Eigen - berschreitungen sowie eine ungleichmäßige hilfe! Und trotz Plakate, verschärfter Vor - Verteilung zu vermeiden wurde das Betre - schriften, trotz Gendarmerieverstärkung ten und der Aufenthalt in den Obstgärten und ausgeschellter höchster Geldstrafen allen nicht darin beschäftigten Personen überflutete die Stadtbevölkerung ganz Ca - verboten. Die Kirschen sollten dann in einer dolzburg“, schrieb ein anderer in der Zei - geeigneten Halle an die Kleinabnehmer ver - tungsrubrik „Stimmen aus dem Publi - kauft werden. „Der Verkauf hat sich in ge - kum.“ 49 „… und trotzdem der Kirschenmarkt ordneten Bahnen und zur Zufriedenheit des am Abend eher einem Gerichtssaal gleicht, kaufenden Publikums abgewickelt“, berich - …, haben doch die meisten Auswärtigen tete der Bezirksamtmann. ziemlich erreicht, was sie wollten, nur mit Der bereits erwähnte Leserbriefschreiber dem bitteren Beigeschmack des Verbotenen, hatte es anders erlebt: „Seit Beginn der Kir - Unerlaubten“, resümierte der erste Schrei - schenreife habe auch ich … die Fahrt nach ber. dem Kirscheneldorado Cadolzburg des öfte - Der Bezirksamtmann war hilflos: Die ren gemacht. … Frau und Kinder, …, hatten massenhaft aus den Städten herbeigeström - mich den sonst so beliebten Kirschenaus - ten Verbraucher missachteten „die getroffe - flug allein machen lassen, weil dunkle Ge - nen Anordnungen, indem sie außerhalb des rüchte von der Gefährlichkeit eines solchen Marktes trotz des Verbotes den Erzeugern Unternehmens in der Stadt umgingen. … Am den Höchstpreis weit übersteigende Preise Bahnhof angekommen, eilt alles zum Kir - boten und so dieselben zur Umgehung des schenmarkt – dieser ist leer – natürlich – Marktes veranlassten.“

Hamstererjagd und Revolution Der erste Leserbriefschreiber fasste seine fragen: Wohin treiben wir mit solchen, das Beobachtungen zusammen: „ … Letzten Sonn - Volk demoralisierenden Einrichtungen? Die tag musste ich nun eine wahre Menschen - Besten unter uns werden zu Lug und Trug jagd, die fast an die früheren Sklavenjagden getrieben, das letzte Restchen von Zufrie - in Amerika und an die Verfolgung der Frem - denheit wird getötet und dabei die Achtung denlegionäre in Afrika erinnert, miterleben. vor Gesetz und Behörden erschüttert.“ Auf jedem Seitenweglein, in jedem Hecken - Der zweite Schreiber warnte seherisch: gässchen wurden die armen Schächer abge - „Hören wir die Klagen unserer abgehetzten, fasst, und ihnen die mühsam, mit allen mög - sorgenvollen Hausfrauen – die Verzagtheit lichen Opfern an Zeit und Geld und Gemüts - der Ängstlichen und die große Erbitterung ruhe errungenen Kirschen wieder abgenom - der zur Gewalttat geneigten Resoluteren, so men! Dass wie überall, die großen Hamster scheints uns an der Zeit, …, um unser teue - ungekränkt ihre Beute in Sicherheit brach - res Vaterland vor großen Gefahren im In - ten, während die kleinen, bescheidenen er - nern zu bewahren“. Dass es dann tatsäch - wischt wurden, erhöht noch das Bedenk - lich zum Umsturz kam, lag nicht am fehlen - liche dieser Einrichtung. … Da möchte ich den Obst! als deutschfühlender Mann im Namen vieler

FGB 3/ 2013 91 „Stadt und Land, Hand in Hand“? Der Kirschenmangel hielt auch 1919 an und Und dann berichtete die Ausgabe vom trieb die Preise erneut in die Höhe. Das führ - 2. Juli mit dürren Worten, was die bürgerli - te im Fürther Stadtrat zu einem Geplänkel che Presse weit ausführlicher breittrat: der politischen Lager. Die Fränkische Tages - „Dienstag Mittag machte sich ein Zug Ar - post 50 räsonierte in ihrer Ausgabe vom beitsloser auf nach Cadolzburg, um sich dort 23. Juni 1919 über den „Segen“ des freien Kirschen zu holen. Es mögen 120 bis 150 Handels. „Die Ironie des Schicksals wollte, Männer und Frauen gewesen sein. Viele von dass es einem Vertreter der rechten Parteien ihnen zogen mit der Erwartung aus, etwas vorbehalten blieb, die unheilvollen Wirkun - zu erhalten. Sie hatten sich mit Körben, gen des freien Handels bloßzulegen.“ Profes - Handtaschen und Rucksäcken ausgerüs- sor Wachter wollte wissen, was das städti - tet.“ 53 sche Lebensmittelamt zur Versorgung der Nach der Nordbayerischen Zeitung 54 wa - Bevölkerung mit Frühobst unternommen ren es 200-300 Personen, die am 1. Juli ei - habe. Seine Händlerin habe ihm gesagt, sie nen Ausflug nach Cadolzburg unternahmen. könne in Cadolzburg Kirschen zu 3 Mark Der Vorsitzende ihrer Kommission, Gleix - das Pfund und Erdbeeren für 5 Mark haben. ner, hatte tags zuvor in einer „Kommuni - Etwas ungeschickt setzte sich der Obst - stenversammlung“ dazu aufgefordert, um bauverein Cadolzburg zur Wehr: Die Händ - gegen die Überschreitung der Kirschen - ler in Fürth und Nürnberg machen die Prei - höchstpreise und gegen die schlechte Kir - se, der Vorstand des Vereins verkaufe das schenbelieferung Fürths zu protestieren. Pfund Erdbeeren für 2 und 2,50 Mark. „Erst Noch vor Cadolzburg kamen ihnen Bauern in den letzten Tagen kamen die Händler und Gendarmerie entgegen, mit denen fried - Fürths und Nürnbergs und boten den Bau - lich unterhandelt wurde. Der Bürgermeister ern 3-4 Mark für das Pfund Erdbeeren, für und der Vorstand des Obstbauvereins ver - Kirschen 1,20 Mark. Die Folge war, dass die pflichteten die Produzenten, den ganzen Kir - Bauern den Meistbietenden die Ware abga - schenertrag direkt nach Fürth zu einem an - ben. Allen Verbrauchern möchte zur Kennt - nehmbaren Preis zu liefern. Vierzig Laib nis dienen, dass der Obstbauverein Cadolz - Brot und zirka acht Zentner Kirschen wur - burg einen Markt eröffnet hat, wo jeder - den von der Gemeindeverwaltung Cadolz - mann seinen Bedarf zu angemessenen Prei - burg an die Erwerbslosen verteilt. Die Be - sen decken kann, um den freien Zwischen - triebsleitung der Lokalbahn stellte einen handel, der alle Bedarfsartikel erneut ver - Sonderzug für die Heimfahrt bereit. „Die teuert, ganz auszuschalten.“ 51 ganze Demonstration verlief ohne Zwischen - Neben einer Reihe weiterer Artikel zum fall und war die Bereitstellung einzelner Thema ist interessant, wie die linksorien - Truppenteile in Fürth zwecklos.“ tierte Fränkische Tagespost den festgesetz - In einem weiteren Bericht schob die Zei - ten „Kleinverkaufspreis“ von 80 Pfennig pro tung nach: „…Es ist uns nicht bekannt ge - Pfund und das knappe Angebot, das mit der worden, wo und in welchem Umfange hier Reifeverzögerung der Spätkirschen erklärt eine Überschreitung der Höchstpreise statt - wurde, kommentierte: „Unserer unmaßgeb - gefunden hat, aber zuzugeben ist, dass auch lichen Meinung nach wären auf dem Markte der festgesetzte Normalpreis von 80 Pfennig noch ebensoviel Kirschen wie vor zwei und für das Pfund ziemlich hoch ist ... Die Erbit - drei Tagen, wenn der Verkaufspreis so hoch terung rührt wohl auch zu einem Teil davon geblieben wäre [Anmerkung: 1,20 Mark her, dass irgend ein Agitationsredner wieder oder wie behauptet sogar 3 Mark]. So ist ein - einmal betont hat, so hohe Preise erlaubten getreten, was wir am Tage vor Inkrafttreten nur den Reichen den Genuss, während das des Höchstpreises schrieben, die Kirschen Volk darben müsse. In Cadolzburg hat man werden vom Markte verschwinden.“ 52 sich beeilt, die Erregung der arbeitslosen

92 FGB 3/ 2013 Ausflügler durch größtes Entgegenkommen so wolle bei dem Vorstand des Obstbauver - – Lieferung mehrerer Zentner Kirschen zum eins, M. Hacker, Anzeige erstattet werden. Preis von 50 Pfennig das Pfund und ca. 2. Die erhöhten Lebensmittelpreise, die 40 Laib Brot, sowie Gewährung freier Rück - gesteigerten Löhne, lassen einen niedrige - fahrt mit der Lokalbahn – zu beschwichti - ren Verkaufspreis nicht zu. Bei gutem Be - gen. Es ist, wie uns versichert wurde, dabei hang der Bäume braucht ein Mann zum anerkannt worden, dass die Führer der Ex - Pflücken von einem Zentner 10-13 Stunden. pedition die Heißspornigen unter den De - Bei den derzeitigen Lohnverhältnissen inkl. monstranten von Plünderungen abzuhalten der Verköstigung kommt also das Pflücken und den Abzug in völliger Ruhe zu ordnen für 1 Zentner Kirschen auf 60 bis 65 Mark; vermochten. Man mag nun geteilter Mei - hängt ein Baum weniger gut, dann kommt nung darüber sein, ob gerade Kirschen, die das Pflücken entsprechend höher. Zu diesen sich ungezählte Familien nicht minder not - Ausgaben kommen dann noch die erhöhte leidender Festbesoldeter und kleiner Gewer - Ausgabe für Düngung, Schädlingsbekämp - betreibender schon seit Jahren verkneifen fung, Versandkörbe, Leitern, Umsatzsteuer müssen, ein so unentbehrliches Lebensre - und sonstige Steuern. Es kommt also ein quisit sind, dass sie einen Requisitionsaus - Zentner Kirschen dem Erzeuger auf minde - flug rechtfertigen.“ 55 stens 70 Mark. Die meisten Gartenbesitzer Der amtliche Bericht des Bezirksamtman - hier sind nur auf die Einnahme aus den Ob - nes bestätigte den Hergang weitgehend, das sterträgnissen angewiesen. Auch ihnen ko - Brot war bezahlt und für die Zugfahrt der sten die Lebensmittel und sonstigen Be - halbe Fahrpreis entrichtet worden. Der Be - darfsartikel genau soviel als den Versor - zirksamtmann handelte noch einen Kompro - gungsberechtigten. Es ist daher ein Unrecht, miss aus: Statt des Kleinhandelspreises, den wenn man von ihnen verlangt, die Kirschen die Erzeuger, wie in Friedenszeiten ge - noch billiger abzugeben. Wollen doch die wohnt, beim Direktverkauf forderten, soll - Käufer bedenken, dass es auch Jahre gege - ten nur 65 Pfennige verlangt und täglich ei - ben hat und noch geben wird, an denen die ne bestimmte Menge Kirschen direkt nach Obsterträgnisse gleich null sind. Auch die Fürth geliefert werden. Die Demonstranten Obsterzeuger müssen leben, was bei diesen wollten dagegen nur den festgesetzten Er - teueren Zeiten keine Leichtigkeit ist. Alle zeugerpreis von 50 Pfennig bezahlen. Bedarfsartikel sind um das 10- bis 20 fache 1920 wiederholte sich die Diskussion im gestiegen, die Kirschen nach dem gegen - Fürther Stadtrat. Stadtrat Möhringer ver - wärtigen Preis nicht einmal um das 5-fache. langte, sich mit Nürnberg zu verständigen, Also leben und leben lassen. Möge Stadtrat wo infolge der Selbsthilfe des Publikums der Möhringer insbesondere einsehen, dass sei - Kirschenpreis von 3 Mark auf 1,20 Mark pro ne Behauptung über den Wucherpreis von Pfund gefallen sei. Stadtrat Würth meinte 3 Mark für das Pfund vollständig aus der dagegen, der „Selbstschutz“ des Publikums Luft gegriffen war und dass die Erzeuger sei der beste Schutz, „wer 3 Mark für Früh - den guten Willen haben, die Städte mit gu - kirschen zahle, verdiene, dass ihm 6 Mark ten und den teueren Verhältnissen entspre - für das Pfund abgenommen werden“! 56 chend billigen Kirschen zu versorgen.“ 57 Umgehend meldeten sich die Marktge - Man könnte nun über die Hintergründe meinde Cadolzburg und der Obstbauverein: des „Requisitionsausfluges“ spekulieren – „…1. Die Obsterzeuger haben für die Früh - Protestaktion oder doch „Eigenversorgung“ kirschen vorläufig den Großhandelspreis von Anfang an, Flügelkämpfe um Einfluss pro Zentner auf 100 Mark, den Kleinhan - bei den Massen im linken politischen Lager, delspreis auf 1,20 Mark für das Pfund fest - Notventil um Schlimmeres zu verhüten? gesetzt. Die Händler kaufen seit einigen Dass die Cadolzburger Kirschen, die den täg - Tagen demgemäß die Kirschen hier sehr lichen Hunger gewiss nicht stillen konnten, gerne auf. Werden höhere Preise verlangt, zu einer solchen Aktion und zu den Preisdis -

FGB 3/ 2013 93 kussionen führten, ist ihrem „Kultstatus“ „Kadlschburcher Blöih“ und zur Wertschät - geschuldet. Alle Beteiligten – Erzeuger, Ver - zung der Cadolzburger Kirschen beigetra - braucher, Presse, Verkehrsverein, LAG – ha - gen. Daran ließ sich anknüpfen, sobald die ben in eineinhalb Jahrzehnten zum Mythos Zeiten wieder besser geworden waren!

Altertümer und zweifelhafte „Attraktionen“ als Cadolzburger Marketingvarianten Nicht nur das Naturgeschehen und der getroffen und die Sensationsgier befriedigt. neue, kaum ein Jahr alte Aussichtsturm ver - Aufgeklärte Bildungsreisende hatten sich lockten neben dem günstigen Fahrpreis und hundert Jahre vorher noch schockiert über den deftig-kulinarischen Genüssen zu ei - das Dargebotene gezeigt: „… tiefes, schmerz - nem Ausflug nach Cadolzburg. Seit 1894 liches Mitgefühl wurde in mir rege bey dem hatte der Ort eine weitere, schaurige Attrak - Anblick des gräulichen Gefängnisses und tion: Im früheren Kassengewölbe des Rent - der Werkzeuge, womit Menschen, meine amtes, der heutigen Burgkapelle, war eine Brüder, oft ohne Noth gemißhandelt und „Folterkammer“ eingerichtet worden! Nach - nicht selten zu erlogenen Geständnissen ge - dem dreißig Jahre vorher die Originale in zwungen wurden ...!“ 58 Nun, Geschäft ist Ge - das Germanische Nationalmuseum kamen, schäft: Die Eintrittsgelder wurden geteilt, waren von einem Nürnberger „Numismati - die eine Hälfte bekam der „Folterkammer - ker“ Nachbauten und auch frei erfundene wärter“, mit dem angesparten anderen Teil Gerätschaften angemietet worden. Nach wurden 1910 die „Altertümer“ angekauft. 59 dem erhaltenen Kassenbuch des Verschöne - Doch bald war es mit dem guten Geschäft zu rungsvereins hatte man mit dieser maka - Ende. bren Einrichtung den Publikumsgeschmack

Besuchermagnet „Folterkammer“ in der Cadolzburg

94 FGB 3/ 2013 Johannes der Täufer von den Predellaflügeln 1928

Die Not der Zeit, die unvorstellbare Geld - Verkehrs- und Verschönerungsverein eine entwertung und die politischen Unruhen be - solche Euphorie aus, dass einer der Herren wirkten, dass nach dem Ersten Weltkrieg in sogar vorschlug, an das Münchner Waren - der Öffentlichkeit kaum mehr von Blüten - haus Oberpollinger heranzutreten, Blüten - ausflügen nach Cadolzburg berichtet wurde. fahrten nicht nur nach Lindau durchzufüh - Erst Valentin Fürstenhöfer entwickelte ren, sondern solche Fahrten auch nach als Schriftführer des Verkehrs- und Ver - Cadolzburg anzubieten. 63 schönerungsvereins neue Aktivitäten. Er Fürstenhöfer gelang es dazu, Regierungs - hatte 1927 sein erstes Cadolzburg-Büchlein baurat Heinrich Thiersch, der um 1900 Plan - und in einer Nürnberger Zeitung einen mit aufnahmen der Cadolzburg fertigte, für eine Zeichnungen illustrierten Artikel „Cadolz - Ausstellung seiner Pläne, Fotos und Rekon - burg im Blütenzauber“ 60 veröffentlicht. Mit struktionszeichnungen zu gewinnen. Die einem weiteren Artikel 61 im Dezember 1927 vom 1. April bis 20. September, also über die versuchte er die Gelegenheiten, die das „Dü - gesamte Blüte- und Erntezeit, laufende Aus - rerjahr 1928“ bot, zu nutzen. Der Erlanger stellung „Die Cadolzburg im Wandel der Oberbibliothekar Dr. Otto Mitius hatte in ei - Jahrhunderte“ erregte damals großes Aufse - nem schmalen Bändchen 1922 seine Mei - hen und war ein großer Erfolg des jungen nung über zwei Düreraquarellen der Wiener Graphikers und Schriftstellers! Albertina veröffentlicht. 62 Er sah in ihnen Dazu hatte der spektakuläre Diebstahl Ansichten der Cadolzburg. Valentin Für - zweier Predellaflügel eines mittelalterlichen stenhöfer griff diesen Gedanken auf und Altars aus der Cadolzburg im Februar 1928 brachte mit ihnen die Cadolzburg ins Ge - schon für dicke Schlagzeilen gesorgt. Selbst spräch! Der Artikel und die Vorschläge die großen Blätter Deutschlands berichteten Valentin Fürstenhöfers für 1928 lösten im über diesen Fall 64 und über die Gerichtsver -

FGB 3/ 2013 95 handlung in Fürth. 65 Rechtzeitig zur Blüte - erregte sich niemand. Wohl aber noch vier zeit waren die Tafeln wieder in Cadolzburg. Jahre später über die getrennten Eintritts - Groß wurde die Besichtigungsmöglichkeit in preise, sowohl in der Cadolzburg für die Fol - den Lokalzeitungen angepriesen. Viele Hun - terkammer und das Museum, als auch in der derte bestaunten ehrfürchtig die schon frü - Kirchensakristei für die zurückgekehrten her von Bubenhänden malträtierten Heili - Predellaflügel. Ein Kombiticket zum höhe - genbilder. Über diesen respektlosen Um - ren der Einzelpreise hätte auch gereicht! 66 gang und über diese ruchlosen Frevlerhände

Eine Affen- und Schlangenschau! Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren an Der gebotenen Kuriositäten genug? Nein, den Blütensonntagen vom Marktgemeinde - beileibe nicht! „Die Märkte des nächsten rat Karusselle zugelassen worden. 67 Zur Blü - Jahres sind in größerem Umfange aufzuzie - tezeit ging es in Cadolzburg zu, wie auf ei - hen. In Verbindung mit der Heimatwoche ner Kirmes. Hatte der kritische Naturfreund sollen Ausstellungen und sonstige, die gan - des Jahres 1912 noch entnervt das Weite ge - ze Woche belebende Veranstaltungen sucht, freute sich ein späterer Berichterstat - durchgeführt werden. Die Gewinnung von ter an dem Blütenspektakel: „Durch Musik - Schaustellern wird Herrn Leonhard Meck - kapellen und Lautsprecheranlagen(!), durch lenburg 73 übertragen“, beschlossen die Orgelmänner und Karussellweisen wird „Ratsherren“ im Oktober 1934 für das Fol - fröhliches Leben in die Siedlung gebracht. gejahr. 74 Wer den Betrieb noch niemals mitgemacht Herr Mecklenburg war dann ungewöhn - hat, muss sich beeilen, ihn einmal zu erle - lich kreativ: „Für die Blütezeit und die ben …“ 68 Kirchweih 1935 wird [selbstverständlich ne - Dass 1932 eine Sport- und Schießhalle an ben den herkömmlichen „Attraktionen“] der den Blütensonntagen abgelehnt wurde. 69 hat Schausteller Konrad Schwab mit „Looping weniger mit pazifistischen als vielmehr mit The Loop“ 75 , Etagen-Karussell, Autobahn pekuniären Gründen zu tun, mit Zweifeln an und Schießbude bei einem Platzgeld von der Zahlungswilligkeit des Bewerbers. Viel - 150 RM zugelassen!“ 76 Dieses Unternehmen leicht hatte man mit ihm schon schlechte Er - muss eine unerhörte, in Cadolzburg jeden - fahrungen gemacht. 1934 wurde ein Zirn - falls noch nie gesehene Neuigkeit gewesen dorfer Karussellbesitzer nur zugelassen, sein, der die „Ratsherren“ eine enorme Zug - wenn er trotz eventueller Konkurrenz sein kraft zutrauten. Anders ist die ungewöhnli - Pachtgeld bezahlen würde. Wenig später che Höhe des Platzgeldes nicht zu erklären. wurde tatsächlich gegen ein Pachtgeld von Ob der Schausteller dann tatsächlich kam, 60 RM noch ein Fürther Karussell zugelas - ist nicht mehr festzustellen. 77 sen. 70 Bei einem Zirndorfer „Sportschießsa - Der Wahn von größer aufgezogenen lon“ und einem Fürther Kasperltheater hatte Märkten, die Inflation von Veranstaltungen, man keine Bedenken! 71 Dann kam der Knül - Gedenktagen, Aufmärschen, Wettkämpfen, ler: Gegen 3 RM Platzgeld pro Sonntag wur - Heimattagen, dem zur Schau stellen von de die Affen- und Schlangenschau des Kon - „Brauchtum“, organisierten Massenausflü - rad Bloß genehmigt! 72 Wie werden da auch gen, war – unbemerkt – das Ende des „My - die Cadolzburger gestaunt haben! Es fehlte thos´“. Freilich blühten die Kirschenbäume nur noch die legendäre „Frau ohne Unter - im Frühjahr immer noch und die Nürnberg- leib“ oder eine „Völkerschau“ mit „ garan - Fürther kamen weiterhin. Doch Ausflüge tiert echten Menschenfressern“, wie sie auf zur „Kadlschburcher Blöih“ waren nur noch Volksfesten und Rummelplätzen zur Schau ein Ereignis unter vielen. gestellt wurden!

96 FGB 3/ 2013 Das Ende der Kirschenherrlichkeit Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen be - endeten dann den „Höhenflug“ der „Frem - denverkehrsgemeinde Cadolzburg“ endgül - tig, auch wenn man noch lange von der „Kadlschburcher Blöih“ träumte und für den „Markt der Kirschen und Erdbeeren“ warb. Die Verhältnisse hatten sich allmählich, aber unaufhaltsam gewandelt. Eine Reihe von Faktoren wirkten zusammen: Strenge Frostwinter hatten die Baumbestände, vor allem die Süßkirschen, erneut gelichtet. Vie - le Bäume waren überaltert und hatten das Ende ihrer Vitalität erreicht, andere hinder - ten bei der Mechanisierung der Landwirt - schaft. Baumzeile um Baumzeile ver - schwand. Vom geschlossenen „Blütenmeer“ waren nur noch größere Farbtupfer übrig. Der Wiederaufbau nach dem Krieg und die Wirtschaftswunderzeit boten auch Unge - lernten genügend Arbeitsplätze mit einem regelmäßigen und garantierten Einkommen. Die Spätfröste während der Baumblüte und die Regenschauer und Hagelschläge wäh - rend der Ernte hatten ihren Existenz bedro - henden Schrecken verloren. Dazu konnte man mit den Frühobstimporten aus dem Süden nicht konkurrieren. Überhaupt hat - ten sich die Verbrauchergewohnheiten ge - wandelt, der Obstbau hatte seine Bedeutung eingebüßt. Schließlich wurden viele Obst - gärten in Bauland umgewandelt und mit Wohnhäusern bebaut! An die Bedeutung des Cadolzburger Obstbaus erinnert nur noch der „Brestlas - Werbung aus dem Jahr 1956 brunnen“ auf der Marktplatzterrasse, den die Fürther Künstlerin Gudrun Kunstmann 1973 schuf. Der als Gegenstück vom Cadolz - Halt, neuerdings gibt es noch ein Denk - burger Kunstschmied Hans Rupp gefertigte mal. Ein Kirschbäumlein, des Nachts sogar „Kerschdnblooder“ mit Korb und typischen angestrahlt, mitten auf einem der größten „Groglhogn“ zum Heranziehen der Äste ver - Verkehrskreisel Bayerns neben Stahlskulp - schwand beim Umbau des Sparkassenge - turen der Burg und des „Bleistifts“. Ob je - bäudes aus der Schalterhalle und war lange doch „… jeder … beim Anblick eines Baumes Zeit verschollen. Bis er in einer Ecke des ge - an die Cadolzburger Blöih denkt oder beim meindlichen Betriebshofes versteckt, vom Vorbeifahren die Sandsteinbrocken dem aggressiven Wasser gekennzeichnet, wieder Cadolzburger Steinabbau zuordnet, sei mal zum Vorschein kam. Mühsam habe ich ihn dahingestellt. …Eines aber ist klar: Die we - konserviert. Heute ist er erneut im Depot ge - sentlich wuchtigeren und größeren Rekla - landet. meschilder [der angrenzenden Einkaufs -

FGB 3/ 2013 97 märkte] „erschlagen“ diese gut gemeinte his torische Reminiszenz. Kaum jemand nimmt das Kunst-Denkmal wahr, schon gar kein fremder Autofahrer, der in den Kreisel einfährt.“ 78 Eine einzelne, mit einem Blick erfassbare Skulptur wäre ein Mehr gegen - über dieser Anhäufung! Saisonal abwech - selnd würden sich dafür ein großer Oster - hase und ein Weihnachtsmann der benach - barten Schokoladenfabrik anbieten. Beide wären ein Gegengewicht zu den Reklame - tafeln und würden einen Betrieb präsentie - ren, der wie das kleine gallische Dorf einer Übermacht trotzte 79 und mit seinen Produk - ten den Ort in einem weiteren Umkreis bekannt macht, als es einst die „Kadlsch - burcher Blöih“ vermocht hatte.

„Kerschdnblooder“, Hans Rupp – Cadolzburg

Kirschbaum im Verkehrskreisel

98 FGB 3/ 2013 Anmerkungen

1 Mundartlicher Begriff, der in diesem Falle nicht ein Kälb - 9 1874 sollen es 500 Pfirsichbäume gewesen sein. 1879 lein, sondern die Dampflokomotive der Lokalbahn-Aktien - waren es nur noch 172 Bäume, von denen 60 % im Win - gesellschaft meint, die von Fürth nach Cadolzburg fuhr. ter 1879/80 erfroren! Die Schreibweise „Mockela“ wäre falsch, der Franke 10 Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 270/II Regierung von Mit - (speziell der Cadolzburger) kennt kein k/ck! Noch übler telfranken, Kammer des Inneren, Abgabe 1932, Titel XV, wäre die Schreibung „Mockerla“. Nr. 1216 Haffnersche Baumplantage in Cadolzburg, hier 2 Fränkischer Kurier vom 18. April 1930: „In die Blöih!“ – Unterstützung aus Kreismitteln, Bd. I u. II nebst Beiakt, so lautet jetzt für die nächsten drei oder vier Sonntage 1853-1873, Bericht des Landgerichts vom 24.10.1852, die Parole für die Nürnberger wie für die Fürther. … auch zugehörige Bittschrift Haffners vom 18.10.1852 und wer sich sonst eines gesitteteren … Dialekts befleißigt, … landgerichtliches Protokoll vom 30.11.1852. bemüht sich allen Ernstes, es den Nürnberger „Paiterles - 11 Er stammte aus Neustadt/Weinstraße und hatte einst boum“ nachzutun, um eine möglichst laut-getreue Nüan - die Gartenanlage des Hambacher Schlosses geplant und ce bei der Aussprache des Wortes „Blöih“ zu erreichen.“ gestaltet. Er gab in Cadolzburg und Wachendorf die „Po - 3 Nordbayerische Zeitung vom 22. April 1912, Seite 5 mona“ heraus, eine vielbeachtete Fachzeitschrift für den (8.495 Fahrgäste), vom 29. April 1912, Seite 5 (14.150 Obstbau. Zu seinem Wirken in Cadolzburg und Wachen - Fahrgäste),vom 6. Mai 1912, Seite 4 f. (5.890 Fahrgäste), dorf: Hans Werner Kress, Zur Spurensuche nach Wa - Stadtarchiv Fürth und Sammlung des Verfassers. chendorf – Alte und neue Geschichten aus sieben Jahr - 4 Die beiden burg- bzw. markgräflichen Baumgärten in Ca - hunderten, Cadolzburg 2012, S. 79 ff. dolzburg dienten der Eigenversorgung des fürstlichen Ho - 12 Siehe Fußnote 10 fes. Mit Erwerbsobstbau hatten sie nichts zu tun. 13 Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 212/7 I Bezirksamt Fürth, 5 Johann Michael Füssel, Pfarrer in Gefrees, Unser Tage - Nr. 754 Obstbaumschule des Leonhard Haffner, Cadolz - buch oder Erfahrungen und Bemerkungen eines Hofmeis - burg 1852 Zu diesem Konsortium gehörte noch der Lan - ters und seiner Zöglinge auf einer Reise durch einen gro - genzenner Ökonom und spätere Ziegeleibesitzer Georg ßen Theil des Fränkischen Kreises nach Carlsbad und Martin Walther und der Nürnberger Privatier Johann durch Bayern und Passau nach Linz, Zweyter Theil, Erlan - David Buck. gen bei Johann Jakob Palm 1788, Seite 344 14 Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 212/7 I Bezirksamt Fürth, 6 Nach Borsdorf (Landkreis Leipzig) östlich Leipzigs in der Nr. 755 Hebung der Obstbaumzucht 1863 Leipziger Tieflandsbucht an der Parthe. Das Wappen zeigt 15 Siehe Fußnote 10, Bericht des Landgerichts vom in Weiß einen grünen Apfelbaum mit sieben goldenen 3.3.1859 Früchten auf einem grünen Schildfuß mit silbernem Wel - 16 Siehe Fußnote 14. Bei diesen Schülern handelte es sich lenband. um die Gartenbesitzer Friedrich Pfeifer, Johann Adam 7 Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 225/4 III Finanzamt Cadolz - Hacker, Johann Michael Hacker, Georg Deffner, Georg burg, Nr. 1358 Die Verpachtung eines Teiles des dasige Zessinger und Georg Meyer. Der im Schreiben der Schloßgebäudes … an den Ldg. Assessor Stark betr. ingl. Marktgemeinde vom 17. Juli 1889 genannte Johann dessen Gesuch um Überlassung des alten Schloßgebäu - Baptist Hinterkirchner zog als Posthalter aus dem des zum Hopfentrocknen betr. 1819-1836; Rep. 212/7 I Schwäbischen zu. Bezirksamt Fürth, Nr. 364 Hebung der Obstbaumzucht 17 Die immer wieder kolportierte Behauptung, der Johann 1873, Gutachten Abels vom 13.9.1893: Triesdorf, den Georg Meyer, genannt Claudius, habe die Erdbeeren 13. Sept. 1893 … Der Obstbau auf Äckern- und zunächst 1893 nach Cadolzburg gebracht, ist unzutreffend. Beim mit Kirschbäumen, wurde seiner Zeit zuerst von einem Ausverkauf seiner Wachendorfer Baumschule 1857 hat - kgl. Landgerichts-Assessor Starck mit Namen, begonnen, te der ehemalige Obergärtner Haffners, Friedrich Jakob der die ersten Pflanzungen, den sogenannten ´Starken - Dochnahl, Erdbeerpflanzen in sechzig Sorten zwischen 1 1 garten´ (sein eigenes Besitzthum) sowie auf seine Anre - 1 ⁄2 und 2 ⁄3 Kreuzer pro Stück angeboten, Pomona gung, den sogenannten ´Kupfersgarten´ mit guten Kir - 1857, Nr. 23 und 24. Bereits im 18. Jahrhundert wurden schensorten, in regelrechter Pflanzung anlegte. Staatsar - vom Deberndorfer Hofgärtner Erdbeeren und „Presteln, chiv Nürnberg, Katasterselekt, Steuergemeinde Cadolz - Prösteln“ stück-, teller- und schachtelweise an den burg, Nr. 4 Band 1 (1834), Nr. 21 Martin Haffner: … As - markgräflichen Hof geliefert, Staatsarchiv Nürnberg, sessorshopfengarten Nr. 370 a, Assessorswiese Nr. Rep. 114 Fürstentum Ansbach, Bauamtsakten, Nr. 594 370 b. „Generalzusammentrag“ der Jahre 1773, 1775, 1776, 8 Bezirksarzt Dr. Ferdinand Esenbeck, Beschreibung des 1777. Schloßes Cadolzburg v. 19.12.1873, verbessert 18 Siehe Fußnote 14, Antwort vom 1 7. Juli 1889 auf das 1. Nov. 1878, Blatt 10, handschriftliches Handexemplar Ausschreiben des Bezirksamts. mit Nachträgen bis Febr. 1886, Heimatverein Cadolzburg 19 Die Privat-Eisenbahnen in Bayern. Eine Betrachtung u.U. e.V., Inventar-Nr. HVC 2869. Die Reinschrift sandte nach der geschichtlichen, technischen und wirtschaftli - Dr. Esenbeck am 19. Dez. 1873 an Kronpriz Friedrich Wil - chen Seite von Baurat Theodor Lechner, München-Berlin helm, den späteren 99-Tage-Kaiser Friedrich III. In einem 1920, S. 136. Nachtrag nennt Dr. Esenbeck für 1880, nachdem im Win - 20 Die Haltestelle Westvorstadt, die erst 1892 eingerichtet ter 1879/80.880 Bäume erfroren waren, noch 2630 wurde, erhielt (wie auch Weiherhof) eine ähnlich einfa - Kirschbäume, die 400 Zentner lieferten. Leider nennt Dr. che, kleine Halle. Esenbeck keine Erlöse für 1880. Die Differenzen hängen 21 Nach der Zeichenart war der Fürther Civil-Ingenieur Fritz möglicherweise mit einer unterschiedlichen Erhebungs - Walther der Planfertiger. Er hatte im Juni 1892 für methode zusammen: Große Teile der Obstgärten Cadolz - Johann Körber (Hindenburgstr. 16) und Hans Brandstät - burger Einwohner, vor allem im Süden und Südosten, ter (Hindenburgstr. 6) Pläne gleicher Zeichenart gefer - lagen in der Gemeinde Steinbach. tigt, s. Hans Werner Kress, Zur Vorgeschichte der Ver -

FGB 3/ 2013 99 einsgründung, Festschrift 100 Jahre Heimatverein Ca - sammlung des Verkehrs- und Verschönerungsvereins dolzburg u.U. e.V., Cadolzburg 1984, Seite 23 vom 28.2.1936 Bezug nimmt. 22 Heimatverein Cadolzburg u.U. e.V., Inventarnummer 37 Seit 1935, überliefert in der „Denkschrift über Schloss HVC 1611. Die Einzelbilder der Sehenswürdigkeiten wa - Cadolzburg, dem Ministerpräsident der Bayr. Staatsre - ren weniger gelungen. gierung, Herrn Ludwig Siebert, vorgelegt …“, Februar 23 Auf dem Bahnhofsfoto um 1895 ist neben anderen ein 1939; siehe auch Fußnote 36. Plakat für die Gaisberg-Bahn der Salzkammergut-Bah - 38 Diese Zahl konnte bis jetzt in zeitnahen Berichten noch nen erkennbar, an denen die LAG beteiligt war! nicht festgestellt werden. Die Angaben dürften übertrie - 24 Heimatverein Cadolzburg u.U. e.V., Inventarnummer ben sein. HVC 3691 39 Siehe Fußnote 33. Milan Wewerka agierte in Cadolzburg 25 Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 291.1 ehem. Verkehrsar - nach dem Ersten Weltkrieg führend für die Unabhängi - chiv, Abgabe 2012 Oberbahnamt Nürnberg, Nr. 3801, gen Sozialdemokraten und trat später zur Kommunis - Band 3 Fürth-Zirndorf-Cadolzburg 1889-1894: Antrag tischen Partei über. 1929 hat er seine Familie und Ca - der Lokalbahn-AG München vom 31. März 1894 an den dolzburg mit unbekanntem Ziel verlassen. Königlichen Staatsbahningenieur I in Nürnberg um Er - 40 Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom 29. April weiterung bzw. Verlängerung des Perrons der Local - 1912, Seite 5 bahnabfertigungsstelle in Fürth 41 Bayer. Monatsblätter für Obst- und Gartenbau 1909, 26 Faksimile im Besitz des Verfassers S. 22 f., Kindshoven – Bamberg: „Exkursion in die Ob - 27 Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung, 1. Mai 1912, stanlagen nach Zirndorf, Cadolzburg, , Burg - Seite 4 farrnbach“ anlässlich der Versammlung des Landesver - 28 Nordbayerische Zeitung vom 1. Mai 1914, Sammlung bandes bayerischer Obstbauvereine 1908 in Nürnberg. des Verfassers. 42 LAG-Fahrplan gültig ab März 1894, Faksimile 29 August Sieghart in einem Zeitungsbericht vom 43 Mundartlich Mehrzahl für Erdbeeren, Einzahl „Brestla“ 7.5.1927, Sammlung des Verfassers. 44 Umschreibung einer Tracht Prügel mit einem Holzknüp - 30 Mehrfach berichteten Zeitungsartikel von derartigen Er - pel eignissen. Mitte April 1912 hatte eine außergewöhnli - 45 Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom che Kälte die Blüten der Frühkirschen, der Beeren und 25.6.1912, Seite 4 Birnen weitgehend zugrunde gerichtet. Man hoffte auf 46 Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom die Spätkirschen. Sonst wäre es für die Cadolzburger, 27.6.1917, Seite 4 die erst vor zwei Jahren eine völlige Missernte erlitten, 47 Die Zitate des Bezirksamtmannes sind seinen Berichten ein schwerer Schlag. 1928 hatten die „Eisheiligen“ mit an das Präsidium der Regierung von Mittelfranken ent - tiefem Frost, besonders in der Nacht vom 10. auf 11. nommen, Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 212/7 III Land - Mai großen Schaden angerichtet. „Nur einige Stunden ratsamt Fürth, Abgabe 1962, Nr. 48 Wochenberichte haben die in bester Fruchtbarkeit stehenden Anlagen, 1918, S. 27 Bericht vom 29.6.1918 und S. 29 Bericht welche zu den kühnsten Hoffnungen berechtigten, in ein vom 6.7.1918. wertloses Feld verwandelt.“ Auch 1935 richtete starker 48 Nordbayerische Zeitung vom 26. Juni 1918, Heimatver - Frost in der Nacht vom 1. zum 2. Mai, in Wasserbehäl - tern war das Eis fast 2 cm stark, die Blüten zugrunde. ein Cadolzburg u.U.e.V., Nachlass Stündt, Lokale Zei - Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom 16. April tungen bis 1945, Kopie beim Verfasser. 1912, S. 5, vom 3.5.1935, S. 3; in der Sammlung des 49 Nordbayerische Zeitung vom 27. Juli 1918, Heimatver - Verfassers vom 16.5.1928 in Kopie. ein Cadolzburg u.U.e.V., Nachlass Stündt, Lokale Zei - 31 Hermann Alant im Fränkischer Kurier vom 8. Mai 1907, tungen bis 1945, Kopie beim Verfasser. Zeitungsausschnitt in der Sammlung des Verfassers. 50 Stadtarchiv Fürth, Fränkische Tagespost vom 23. Juni 32 Siehe Fußnote 31 1919, Beilage 33 Für 1910 genehmigte der Marktgemeinderat das Ge - 51 Stadtarchiv Fürth, Fränkische Tagespost vom 26. Juni such des Johann Müller aus Zirndorf, sein Karussell am 1919, Seite 3 1., 5. und 8 Mai gegen ein Platzgeld von 30 Mark auf - 52 Stadtarchiv Fürth, Fränkische Tagespost vom 28. Juni stellen zu dürfen. An der Kirchweih und dem darauf fol - 1919, 2. Beilage genden Sonntag betrug das Platzgeld 90 Mark! Stadtar - 53 Stadtarchiv Fürth, Fränkische Tagespost vom 2. Juli chiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom 3.1.1910, Sei - 1919, Beilage te 3. 54 Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom 3. Juli 1914 erhielt der Karussellbesitzer Müller ebenfalls eine 1919, Seite 5 Genehmigung. Seine Wagen durfte er nach Absprache 55 Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom 5. Juli mit den Anwohnern in der „Scherrübengasse“ (Haffners - 1919, Seite 4 gartenstraße) abstellen. Der Händler Wewerka durfte in 56 Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom 4. Juni der Oberen Bahnhofstraße, auf dem Weg vom Bahnhof 1920, Seite 3 zum Ort eine Zuckerbude aufschlagen. Ein Kasperlthea - 57 Stadtarchiv Fürth, Nordbayerische Zeitung vom 7. Juni ter dagegen wurde abgelehnt. Stadtarchiv Fürth, Nord - 1920, Seite 3 bayerische Zeitung vom 24. 1.1914, Seite 4. 58 Siehe Fußnote 5, S. 341 34 Nordbayerische Zeitung vom 4. Mai 1912, Sammlung 59 Im März 1909 wurde im Verschönerungsverein die For - des Verfassers derung des Herrn Gebert für die Gerätschaft diskutiert. 35 Siehe Fußnote 31. Noch 1931 hieß es, Cadolzburg sei Statt der geforderten 700 wurden 500 Mark geboten. „das ganze Jahr über vereinsamt und fern vom großen Erst im Januar des Folgejahres einigte man sich auf die Fremdenstrom und Touristenverkehr …“, Stadtarchiv 500 Mark, was die Generalversammlung im Mai 1910 Fürth, Fürther Tagblatt vom 9./10. Mai 1931, Seite 7. nachträglich gut hieß. Geringe Reste haben den Brand 36 Ein Zeitungsausschnitt „Fortschritte in Cadolzburg – Er - der Cadolzburg und den Vandalismus in der „Folterkam - folgreiches Verkehrsjahr 1935“, der auf die Hauptver - mer“ während der 1950er Jahre überstanden und sind

100 FGB 3/ 2013 heute noch ein Zeugnis, wie man sich ohne Differenzie - 66 Der Zeitungsausschnitt ist fälschlich mit „Allgemeine rung Ende des 19. Jahrhunderts die mittelalterliche Jus - Rundschau 1929“ bezeichnet, enthält aber einen Hin - tiz vorstellte. weis auf das 1932 eröffnete Heimatmuseum in der Ca - 60 Der Artikel liegt dem Verfasser als Ausschnitt vor. Bisher dolzburg. war der Titel der Nürnberger Zeitung vom 29. April 1927 67 Zeitungsberichte vom 3.1.1910 und 24.1.1914, siehe nicht festzustellen. Möglicherweise erschien er als Rei - oben Fußnote 28. Die Gemeinderatsprotokolle sind lei - se- oder Wanderbeilage. der erst ab den 1930er Jahren erhalten. 61 Fränkischer Kurier Nr. 337 vom 6.12.1927, Kopie beim 68 Beim Ausschnitt des Artikels ist weder Zeitungstitel Verfasser. noch Erscheinungsdatum genannt. Wahrscheinlich ist es 62 Dr. Otto Mitius, Dürers Schloßhofansichten und die Ca - eine Ausgabe der Nordbayerischen Zeitung. dolzburg bei Nürnberg, Leipzig 1922. Bauamtmann 69 Gemeinderatsprotokoll vom 2.3.1932, Nr. 10 Heinrich Thiersch griff diese Idee auf und veranlasste 70 Gemeinderatsprotokoll vom 11.4.1934, Nr. 13; Karus - Grabungen in der Cadolzburg. In einer Sondernummer sellbesitzer Konrad Gugel aus Fürth der Fürther Heimatblättern 1937 fasste er seine Er - 71 Gemeinderatsprotokoll vom 14.3.1934, Nr. 15 kenntnisse zusammen und ergänzte sie in der Zeitschrift 72 Gemeinderatsprotokoll vom 18.4.1934, Nr. 13 für bayerisches Landesgeschichte 1943, S. 128 ff. Prof. 73 Name anonymisiert Dreger, Innsbruck-Wien, sah in den Blättern Dürers da - 74 Gemeinderatsprotokoll vom 9.10.1934, Nr. 3 gegen die Innsbrucker Hofburg. Heute ist klar, dass sich 75 Leider ist nicht klar, was unter dieser 1934/35 unge - seine fränkischen Gegner geirrt hatten. wöhnlichen englischen Bezeichnung zu verstehen ist. 63 Protokollbuch II des Verkehrs- und Verschönerungsver - 76 Gemeinderatsprotokoll vom 21.11.1934, Nr. 11. eins Cadolzburg zum 24.1.1928 77 Die Zeitungsberichte beschränken sich auf „Erfolgsmel - 64 Von den größeren Lokalzeitungen z.B. die Nordbayeri - dungen“ über die Zahl der Besucher. Die „Attraktionen“ sche Zeitung oder die Nürnberger Zeitung und Korre - werden nicht erwähnt. Außer den Protokollbüchern gibt spondent von und für Deutschland jeweils am 22.2. und es bei der Gemeinde keine Unterlagen. 5.3.1928. 78 Dr. Norbert Autenrieth, Leserbrief: Cadolzburg von Nor - 65 StAN, Rep. 235/9 Amtsgericht Fürth, Abgabe 1967, den, Markt Cadolzburg-Info Nr. 02 vom 31. Januar 2013 Strafprozessakten Nr. I (Anhang) Einberuchdiebstahl im 79 Fürther Nachrichten vom 30.4.2013 „Hase bleibt goldig Schloss Cadolzburg (Bilderdiebstahl), Az.: A 86-92 Jahr - – BGH-Urteil: Lindt unterliegt gegen Riegelein “ gang 1928

Bildnachweis S. 79, 87, 88, 94: Fotosammlung Hans Werner Kress, Auf - S. 86, 90: Grafiksammlung Hans Werner Kress, Grafiker un - nahme: Valentin Fürstenhöfer bekannt S. 80, 81: Postkartensammlung und Repro: Hans Werner S. 89: Beschreibung der Früchte zur Obst-Anschauungs- Kress Tafel V. Verlag Rud. Bechrold S. 82: Dochnahl, Pomona1, 1856, Repro: Hans Werner u. Co., Wiesbaden 1912, Repro: Hans Werner Kress Kress S. 95: Fotosammlung Hans Werner Kress, Aufnahme: S. 83, 84: Fotosammlung Hans Werner Kress, Fotograf un - Valentin Fürstenhöfer, Collage: Hans Werner Kress bekannt S. 98: Fotos Hans Werner kress S. 85: Postkartensammlung und Repro: Hans Werner S. 97: Sammlung und Repro: Hans Werner Kress Kress, Verlag Michael Neubert, um 1900

FGB 3/ 2013 101 Ilse Vogel 100 Jahre Firma I. S. Dispeker – eine Familiengeschichte

Wer im Dezember 1938 mit dem Schiff aus Wissen hätte sie an jenem Tag der Ankunft Bremerhaven am Europa-Quai in New York wohl nur als Bedrohung empfunden. ankam, hatte ein Leben hinter sich gelassen. Aber da stand Heinz, ihr einziger Sohn, Else Dispeker aus München war noch nicht ein junger Mann von dreißig Jahren, der seit sechzig Jahre alt, vor kurzem war ihr gelieb - einigen Jahren bereits in New York Fuß ge - ter Sigmund mit dem sie dreißig Jahre lang fasst hatte in der Textilbranche, eine Tradi - verheiratet war, von den Nazi nach Dachau tion in der Familie seit Generationen. Mutter ins KZ verbracht worden und so misshan - und Sohn hatten sich vor zwei Jahren zuletzt delt, dass er unmittelbar nach der Entlas - gesehen, die Ausreise der Eltern war nach sung starb. Nicht einmal seine Urne konnte der erzwungenen Arisierung der Firma I. S. sie mitnehmen. Das Affidavit für ihn war Dispeker in München 1937 eingeleitet, wert - wertlos geworden. Und was wollte sie in der volles Hab und Gut verpackt und abge - neuen Welt mit dem Stoß von Verlobungs - schickt worden, die Schiffspassagen bezahlt briefen, die sie bisher aufbewahrt hatte? – da kam jener 9. November 1938, an dem Vier Monate lang war während ihrer Verlo - in ganz Deutschland alle jüdischen Männer bungszeit täglich ein Brief von Sigmund in in ein KZ oder in ein Polizeigefängnis ver - Köthen eingetroffen. Weg damit, ins Feuer schleppt wurden; auch Otto Dispeker, Bru - mit der Vergangenheit! Dass noch eine Zu - der und Mitinhaber der Firma. Otto kam drei kunft von zwanzig Jahren vor ihr lag, dieses Monate später in New York an, zusammen mit seiner Frau Ella, und auch sie begannen Else und Sigmund Dispeker 1936 wieder ein Leben. Die erzwungene Emigrati - on war in jeder Hinsicht eine empfindliche Zäsur, der Schritt unumkehrbar.

Von Köthen nach Fürth Eine Wendung ganz anderer Art hatte das Leben für die 26-jährige Else schon einmal genommen, als sie im Jahre 1907 den jun - gen Kaufmann Sigmund Dispeker heiratete. Er führte die Tuchwarengroßhandlung in Fürth, die sein Großvater schon 1833 als Schnittwarenhandlung gegründet hatte. Else kam aus einer reichen Familie, die durch Viehhandel und Bankgeschäfte zu An - sehen und Vermögen in Köthen, der zweit - größten Stadt in Sachsen-Anhalt, gekommen war. Durch listige Vermittlung von Ver - wandten war sie dem jungen Sigmund vor - gestellt worden, und zur Freude und Er - leichterung aller hatte es sofort „gefunkt“. Schon im darauffolgenden März 1907 fand die Hochzeit statt – im großbürgerlichen Stil

102 FGB 3/ 2013 Else und Sigmund Dispeker 1907 der Kaiserzeit und im Kreise zahlreicher Fürth vor, erlesene Möbel, ererbt oder neu Verwandter im Hotel „Kaiserhof“ in Leipzig, gekauft, feinstes Porzellan, moderne Kü - denn nur dort wurde koscheres Essen ser - chenausstattung, ja sogar eine Köchin und viert. Einer allerdings fehlte: der Vater der weiteres Hauspersonal stand bereit. Später Braut. Isidor Friedmann war im Jahr zuvor wurde eigens ein Kindermädchen angestellt. verstorben. In seinem Testament hatte er Die junge Frau Dispeker verkehrte bald seiner Tochter Else sowie ihren vier Schwes - in den höheren Gesellschaftskreisen der tern eine Mitgift von je 100 000 Goldmark Stadt, das Paar wurde eingeladen und bat verschrieben. selbst zu Gast, man traf sich im Konzert, im Während die zum Teil von weit her ange - Theater, häufig in Begleitung der Schwieger - reisten Gäste auch noch am nächsten Tag eltern, mit den noch ledigen Geschwistern feierten, war das junge Paar bereits unter - Otto, der ja mit im Geschäft war, und Louise, wegs, die klassische Hochzeitsreise führte man pflegte auch privaten Umgang mit Ge - in die Schweiz und nach Italien, wo ein schäftsfreunden, und man besuchte die Ver - Opernabend in der Mailänder Skala sie wandtschaft hier in Fürth wie auch in Nürn - krönte. Von dieser Reise haben Else und Sig - berg. mund wohl später noch oft geschwärmt im Dort wohl am liebsten Tante Friederike, Familienkreis, dem das dann je nach den po - einzige Schwester ihrer acht Brüder und litischen Verhältnissen eher wie ein Mär - jetzt bald siebzig Jahre alt. Schon 1894 war chen vorkommen musste. ihr Mann, Karl Loewi, gestorben, ihre Kin - Zunächst aber lebten Else und Sigmund der wohnten mit ihren Familien in Fürth, Dispeker weiter auf hohem Niveau. Bei ihrer ein Sohn in Bamberg, und zwei Söhne be - Rückkehr aus dem Süden fand die junge trieben in London ein Bankgeschäft – eben - Frau eine komplett eingerichtete Wohnung so ihr jüngster Bruder Adolf in Nürnberg. in der ersten Etage in der Maxstraße in Der hatte als junger Mann sein Glück in

FGB 3/ 2013 103 Wohnung von Else und Sigmund Dispeker in der ersten Etage der Maxstraße 9

Amerika gesucht und war kläglich geschei - dem sie vorübergehend zu den Eltern nach tert, konnte einfach nicht Fuß fassen. Mit Leipzig gezogen war; ihr Sohn Siegfried 1 stu - dem Verkauf von Hosenträgern hielt er sich dierte in München, trat als Jurist in den über Wasser, bis er das Geld für die Rück - Staatsdienst ein. reise hatte. Es war eine prägende Erfahrung, Auch drei andere Onkel von Sigmund hat - und nun führte er schon über zwanzig Jahre ten Fürth verlassen, doch Ludwig starb lang erfolgreich sein eigenes Bankgeschäft. schon 1881, noch nicht vierzig Jahre alt, und Mit seiner Frau Thekla, einer Mannheim - David vor zwei Jahren; seitdem führte Simon erin, und den fünf Kindern wohnte er in der das Geschäft für Wollstoffe alleine. Mit sei - Dennerstraße 2, nicht weit vom Plärrer. Ihr ner Frau Berta, eine geborene Freitag aus Jüngster war gerade sieben Jahre alt gewor - Bad Kissingen, hatte er einen Sohn Ernst, den, der älteste Sohn Fritz war vor vier Jah - der demnächst als Rechtspraktikant zu sei - ren tödlich verunglückt, als er seinen Mili - nem Onkel Adolf nach Nürnberg kommen tärdienst als Einjährig-Freiwilliger ableis - würde. tete. Zwei Onkel ihres Mannes hat Else Dispe - Freud und Leid hatten von jeher abge - ker wohl nicht kennen gelernt, auch Sig - wechselt in der Großfamilie, ein Jahrzeit - mund scheint die Verwandten in Köln und licht brannte vermutlich öfter als eine Ge - in Kassel nie besucht zu haben, genauso we - burtstagskerze. Sigmunds Patenonkel Sig - nig wie die Onkel in München. In keiner Fa - mund in München war im Alter von 37 Jah - miliengeschichte wurden je der Cousin Sieg - ren an der Cholera gestorben, seine Witwe fried in München erwähnt, der Onkel Julius Doris lebte nun wieder in München, nach - in Köln oder Onkel Heinrich in Kassel, ob -

104 FGB 3/ 2013 wohl man doch von ihnen wusste, und ob - das Land in einen Abgrund stürzte, aus dem wohl man nun überallhin mit der Eisenbahn man nur mit großen Anstrengungen wieder fahren konnte. „Aber der Wilhelm ist an al - heraufkam. Im Jahre 1907 kannte die ge - lem schuld!“ pflegte Onkel Adolf in Nürn - genwärtige Generation einen Krieg nur vom berg zu schimpfen, weil der mit seinen Mili - Hörensagen, kein Geschäftsmann rechnete tärs einen Weltkrieg vom Zaun brach und mit grundlegenden Veränderungen.

Firmengründung Man nannte es das Jahrhundert der Emanzi - Rabbiner Dr. Isaak Loewi, für die Familie pation, die für die Juden in Bayern aller - zeitlebens „der Onkel Rabbiner“. Er war im dings in zwei Stufen verlief. Ausgerechnet gleichen Jahr wie Isaak nach Fürth gekom - aus der eigenen Verwandtschaft kam der men, berufen von einer königlich-bayeri - Anstoß mit klugen Vorschlägen zur bürger - schen Regierung und ohne Matrikelzahl, auf lichen Verbesserung der Juden , die der Kö - die ein gewöhnlicher Jude wie Isaak in Bay - nig fast ausnahmslos umsetzte. Elkan Henle ern noch bis 1861 angewiesen war. war ein Enkel des 1793 in Baiersdorf als Im Januar 1831 erhielt Isaak Dispecker Landrabbiner verstorbenen Rabbi David Die - das Bürgerrecht in Fürth und die Genehmi - speck aus erster Ehe, Isaak Dispeker dage - gung, den Schnittwarenhandel zu betrei - gen war der jüngste Enkel aus der dritten ben. 2 Er heiratete die vom Vater vermittelte Ehe. Diese verwandtschaftlichen Beziehun - Jeanette Springer aus Steppach bei Augs - gen waren zwar weitgehend vergessen, burg und eröffnete im Haus Nr. 256 einen nicht aber die Namen. Während Isaaks Va - Laden. In Baiersdorf hatte er die christliche ter als Nachfolger seines Vaters als Dis - Schule besucht, Religionsunterricht beim triktsrabbiner mit klassischer Ausbildung Vater erhalten und außerdem frühzeitig Ein - an der orthodoxen Talmudschule in Metz blick in dessen Geldgeschäfte. Der Schim - nie in der neuen Zeit angekommen war, men Dajan war weithin als seriöser Geldver - hielten die aufgeklärten Glaubensgenossen leiher für Bauern, Händler, Studenten und in Fürth kaum Schritt mit ihrem liberalen sogar Bürgermeister 3 bekannt, da er stets zu

Isaac und Jeanette Dispeker

FGB 3/ 2013 105 Niederlassungserlaubnis als „Schutzbürger“ für Isaac Dispeker, 1932

106 FGB 3/ 2013 den üblich niedrigen Zinsen verlieh und boren, als der Älteste bereits dreizehn Jahre beim Rückzahlungstermin nicht kleinlich alt war, und alle durfte sie bis in ihr hohes war. „Du sollst den Schuldner nicht drü - Alter aufwachsen sehen. cken, denn Schulden allein drücken genug,“ Die koschere Haushaltsführung lag in schärfte er seinen Söhnen ein, hielt es sogar den Händen der tüchtigen Jette, die als Kö - schriftlich in seinem Testament fest. Diese chin bei Rothschild in Frankfurt gelernt hat - Haltung formte Isaaks Charakter nachhaltig. te. Freitagabend begann der Schabbat, die Bis zu seinem Tod war der Vater sein wich - Geschäfte ruhten und Isaak begab sich in tigster Partner in finanziellen Angelegen - den Schulhof , mit den Buben je nach Alter heit, jede Geschäftsreise führte über Baiers - und entsprechend auch Jeanette mit der dorf, und manchen Brief des Vaters bewahr - Tochter Friederike. 4 An den Gottesdienst mit te der Sohn auf. Orgelmusik und die Liturgie mit Chorgesang Das Eckhaus Nr. 172, gleich beim Rat - mussten sich die ehemaligen Landjuden erst haus, hatte der Vater schon länger erwor - allmählich gewöhnen. ben, hier wohnten Isaak und Jeanette im ers - So wie die Christen in Fürth ihre Feste im ten Stock mit den Kindern, die ab 1836 in Kirchenjahr feierten, so selbstverständlich schöner Regelmäßigkeit geboren wurden. hielten es die Juden mit ihrer Tradition, ton - Das erste Kind, Mathilde, lebte leider nur angebend war der Rabbiner der Hauptsyna - zwei Wochen, aber bis 1850 wurden noch goge, eine öffentliche Autorität. Dr. Isaak neun Kinder geboren. Loewi kannte keine Berührungsängste mit Aus dem kleinen Schnittwarenhändler seinen christlichen Kollegen, seine Schlag - war bald der versierte Kaufmann für Weiß - fertigkeit war sprichwörtlich. Man war jüdi - waren, Tuche und Wollstoffe geworden, der scher oder israelitischer Religion so selbst - seine Waren persönlich und vor Ort aus - verständlich wie man protestantisch oder suchte und in Planwagen nach Hause brach - katholisch war oder freireligiös. Was früher te. Seine Geschäftsreisen zu Spinnereien von den einen mit heiterem Spott als „frän - und Webereien in Sachsen und in der Lau - kisches Jerusalem“ toleriert wurde, spornte sitz führten ihn über Leipzig und Frankfurt andere nun an, dem gerecht zu werden als an der Oder, wochenlang war er unterwegs, herausgerufenes Volk Israel. ärgerte sich über Zollgrenzen und zahlte Ge - Das geistige Klima in Fürth war viel - bühren, bis endlich diese Beschränkungen schichtig, von streng religiös bis liberal und fielen. Und statt Pferdewagen rollten dann freigeistig gab es jede Richtung. Eine umfas - Güterzüge durch das Land. Schon 1840 war sende und gründliche Schulbildung gehörte die Bahnlinie von Nürnberg nach Leipzig er - von jeher zur geistigen Ausstattung in jüdi - öffnet. schen Familien, unabdingbare Vorausset - „Bis in die Fingerspitzen war Isaak jeder zung für die Teilnahme am kulturellen Le - Zoll ein Kaufmann,“ erinnerte man sich in ben der Stadt und des Landes. Deshalb kam der Familie voll Hochachtung. Jeanette be - für Kaufmannssöhne als Schule wohl nur wunderte den Gatten, das lässt sich ablesen ein Realschulzweig oder das sechsjährige an ihrem Gesicht, wie es ein damaliger Por - Progymnasium infrage, für manche auch ei - traitmaler mit viel Hingabe für die Nachwelt ne private Lehranstalt, vor allem für Mäd - festhielt. In ihren Händen lag schließlich die chen. Erziehung der Kinder, der Jüngste wurde ge -

Die zweite Generation Zum ersten Mal dachte Isaak wohl ernsthaft keine kaufmännischen Talente zeigte. Aber über eine Geschäftsübergabe nach beim bei Eigenverantwortung, dachte der Vater überraschenden Tod seines Ältesten. Eigent - wohl, könnten sich solche noch ausbilden. lich kam nur Joseph infrage, obwohl dieser Als ihn 1879 Jeanette für immer verließ, ver -

FGB 3/ 2013 107 lor er zunehmend das Interesse an seiner Umgebung. Jetzt war Joseph in der Pflicht. Die nahm er wohl nicht allzu ernst, war auch nicht nötig. Seine junge Frau hatte ei - ne ansehnliche Mitgift eingebracht, Laura entstammte der seit dem 17. Jahrhundert in Bamberg ansässigen Bankiersfamilie Hess - lein, die derzeit mehrere Häuser in der Kess - lerstraße besaß. Wie in diesen Familien üb - lich, hatte die Großfamilie für die Verbin - dung gesorgt, Laura war eine angeheiratete Verwandte. Beim Tod des Firmengründers 1886 hatte das Paar zwei Buben im Alter von elf und neun Jahren, und die kleine Louise war gerade ein Jahr alt geworden. Und in dieser Familie fühlte sich Joseph Dis - peker - nach Aussage seines Enkels - stets am wohlsten. Der 70-er Krieg gegen Frankreich endete mit der Proklamation eines Deutschen Rei - ches mit einem Kaiser an der Spitze, aber Fürth blieb weiterhin bayerisch unter dem Haus Wittelsbach – bis heute führt die Stadt den Zusatz „i. Bay.“ Auch die Spuren der Gründerjahre aus dieser Zeit, als Handel und Industrie einen gewaltigen Aufschwung Joseph Dispeker nahmen, sind bis heute zu finden. Ganze Straßenzüge säumten repräsentative, bis zu Lob auf die „eschet chail“, die tüchtige Haus - vier Etagen hohe Bürgerhäuser, in den Hin - frau, das in den Sprüchen Salomos nieder - terhöfen richteten sich kleine Handwerksbe - gelegt ist und das jede Schabbatfeier einlei - triebe ein, wo fleißige Hände sorgfältig gear - tet, bedankte sich der Familienvater bei sei - beitete Metallwaren und erlesenes Spiegel - ner Frau. Ohne sie wäre er nicht dahin ge - glas fertigten. „Die Fürther Glasschleifer“ kommen, wo er heute steht. verspotteten die Nürnberger noch Jahrzehn - Nach dem Ableben des Vaters war Max - te später. Doch dem Verzicht auf eine Groß - straße 9 zur renommierten Adresse für Jo - industrie verdankte die Stadt auch, dass bis seph Dispeker geworden, das Haus Nr. 172, Kriegsende keine Bomben auf sie abgewor - jetzt Bäumenstrasse 1, bot zu wenig Platz fen wurden. für die Lagerung von Waren. Nur – die gro - Wie in vielen bayerischen Städten und ßen Räume im Erdgeschoss des neuen Hau - vor allem in Franken war es die jüdische Be - ses, in dem sich auch das Kontor befand, völkerung, die frischen Wind in das Alther - und die Schuppen im Hof waren selten ge - gebrachte blies. Jüdische Kaufleute kamen füllt. Joseph war zufrieden mit wenigem, die zu Wohlstand und zeigten ihn auch, schufen Familie musste nicht darben. Er unternahm Prachtstraßen mit gewagter Architektur, in - keine Geschäftsreisen, war nie in Sachsen vestierten großzügig in das Gemeinwohl - bei Kunden oder in der Lausitz in Spinnerei - Stiftungen allerorten, um sozial Benachtei - en, er war glücklich im Familien- und Freun - ligte mitkommen zu lassen, und durch klu - deskreis. Er verschaffte anderen Arbeit und ges Abwägen bewiesen sie ein Gespür für entlohnte gut. Nicht umsonst wusste man die Zukunft. Jeder Geschäftsmann wusste, noch Generationen später, dass man „beim worin diese Ethik gründet, denn mit dem Juden“ gut dran war.

108 FGB 3/ 2013 Die dritte Generation Den Söhnen Sigmund und Otto war solches Wirtschaften „auf Sparflamme“ zu wenig, schon als Schüler begeisterten sie sich für die Idee, das ererbte Geschäft zum größten Familienunternehmen Süddeutschlands auszubauen, glaubten, es ihrem Großvater schuldig zu sein. Und sie schafften es, wur - den erfolgreich. Die Gründung eines Weißwarengeschäf - tes Dispeker & Hecht in Nürnberg 1881 hat - te vermutlich noch der Großvater veran - lasst, aber auch Sigmund und Otto waren be - strebt, in Nürnberg Fuß zu fassen. Schon seit 1892 führte Onkel Adolf dort sein Bank - geschäft in der Karolinenstraße, I. S. Dispe - ker war dann ab 1925 in der Kaiserstraße 36 präsent – steht im Adressbuch. Sigmund und Otto lernten das Kaufmän - nische von Grund auf, sie waren ja schon als Kinder mit den Verhältnissen im Kontor und in den Lagerräumen vertraut, die Angestell - ten kannten die jungen Herren Dispeker seit Jahren und offensichtlich zogen alle mit. Das Geschäft blühte, Warenbestellungen trafen ein, Stoffe, deren Herstellung bereits in Fir - menhand lag, wurden in großen Mengen verkauft. So hatte schon der Großvater Isaak Letzte Wohnung von Sigmund Dispeker in der jene kleine Spinnerei in Münchberg erwor - Königswarterstraße 66 ben, Warenabnahme auf Jahre garantiert, und der Vertrag wurde stets eingehalten. Glück. Oder wie jener Rabbi David Asulai 5 Eines Tages jedoch traf schlimme Nach - aus den Sprüchen der Väter zu zitieren richt aus Münchberg ein: die Qualität der pflegte: Nichts ist so schlimm, als dass es Ware befriedigte keineswegs. Hochwertiges nicht auch zum Guten ist. Am 22. Januar Tuch für die weiße Offiziersuniform der tür - 1901 starb Queen Victoria in England, und kischen Armee war nicht mehr lieferbar. alle Fürstenhäuser Europas benötigten Was war geschehen? Das Material wies lau - schwarze Trauerkleidung. Wer konnte so ter schwarze Pünktchen auf! Vermutlich kurzfristig liefern? I. S. Dispeker in Fürth! durch eine Verunreinigung des Wassers ver - Im Nu waren die Stapel von schwarzen Stoff - ursacht, war man trotz Einsatz verschiede - ballen verpackt und verladen, keine Kon - ner Chemikalien machtlos. Es gab nur eine kurrenz weit und breit in Europa. Die Weis - Lösung für dieses Problem: alles Tuch heit der Väter durften die Dispekers exis - schwarz einfärben. Und vorläufig stapeln. tentiell erfahren. Ein enormer Verlust für die Firma, der lang - Und Joseph? Sicherlich gratulierte er sei - jährige Liefervertrag musste ausgesetzt wer - nen Söhnen, freute sich herzlich mit ihnen den. Am Neujahrstag 1901 sah man düster und fühlte sich keinesfalls an den Rand ge - in die Zukunft. drängt. Er hatte eben andere Qualitäten. Da wendete sich das Blatt überraschen - War es nicht genug, dass er das Geschäft er - derweise – des einen Pech ist des andern halten hatte? Boten Literatur und Konzerte

FGB 3/ 2013 109 und gute Freunde nicht mehr Lebenswert? Nach dem Krieg befand sich die Firma in Seine Kräfte stärkte er mit langen Wande - Nürnberg, und ab 1933 geriet sie zuneh - rungen in der Umgebung, bei Gesprächen mend in Schwierigkeiten – wie alle jüdi - mit Freunden, denen er als Geschäftsmann schen Geschäfte. 1934 steht sie noch im stets einen Freundschaftspreis gewährte, er Adressbuch, danach nicht mehr. Sigmund selbst hatte genügend und das genügte ihm. und Otto Dispeker hatten sich entschlossen, Wenig begabt für das Wirtschaftsleben, den Firmensitz nach München zu verlegen, entwickelte Joseph ein beachtliches Talent, eine kurzsichtige Entscheidung, wie sich seine Familie glücklich zu machen und ge - schnell herausstellte. In der Kaufingerstraße meinsam mit seiner Frau Laura den Charak - 26 führten sie ihren Großhandel mit Tuchen, ter ihrer drei Kinder nachhaltig zu bilden. im Juni 1938 wurde er arisiert. Ein Woll - Während die Angestellten arbeiteten, wid - händler aus Dinkelsbühl übernahm die Fir - mete er sich der Familie. Und Laura und die ma und wurde gezwungen, alle jüdischen Kinder schätzten das zeitlebens. Gemein - Angestellten sofort zu entlassen. Ende Juli sam planten sie die alljährliche Sommerfri - war die Firma I. S. Dispeker beim Gewerbe - sche in den bayerischen Bergen, machten amt München abgemeldet. 6 Ausflüge in die Umgebung, zeigten den Kin - Einhundert Jahre Firmengeschichte – dern ihre Heimat. vorbei. Sigmund zu Tode gequält im KZ in 1910 ist Joseph Dispeker in Fürth gestor - Dachau, Otto mit Mühe entkommen, und ih - ben, Laura überlebte ihn um neun Jahre; im re Schwester Louise im Alter von 57 Jahren neuen Friedhof in Fürth gibt es einen ge - deportiert und 1942 ermordet. Geblieben ist meinsamen Grabstein auf dem Doppelgrab. das Haus in der Maxstraße 9 in Fürth, aber Auf traditionelle jüdische Frömmigkeit lässt nichts erinnert mehr an die einstige Firma dies nicht schließen. I. S. Dispeker.

Das Geheimnis ihres Erfolgs? Was sich die Menschen heute wünschen, ist schon der Rabbi David Diespeck seinem der ehrbare Kaufmann , vor allem im Bank - jüngsten Sohn Simon nahe gebracht, aber geschäft. 7 umsetzen konnte er diese aschkenasische Vom christlichen Kaufmann unterschied Tradition 8 nicht mehr, der Zeitgeist verlang - den jüdischen von jeher sein Handeln nach te eine andere Ausrichtung. Simon Dispe - göttlichen Reinheitsgeboten, „die koschere cker war als junger Mann vom Schwiegerva - Küche“ war nach rabbinischer Tradition nie ter in Rosheim 9 in den Umgang mit Geld ein - auf die Speisegesetze beschränkt. Schon der geführt worden, später in Baiersdorf wurde Priester Aaron war in Gewänder gekleidet, er Kapitalist und versierter Geldverleiher, die nur aus „gezwirnter feiner Leinwand“ eine Art ländliche Darlehensbank. Schon gewoben sein durften, wie im 2. Buch Mose den 15-jährigen Isaak schickte er aus, die berichtet, also kein Mischgewebe für Ober- fälligen Interessen, also die Zinsen, einzu - und Untergewänder sowie für Beinkleider. kassieren, 10 legte so den Grund für dessen Und für alle Israeliten gilt, was im 5. Buch kaufmännisches Geschick. Mose 22, Vers 11 steht: „Du sollst nicht an - Aber auch ein frommes Elternhaus form - ziehen ein Kleid, das aus Wolle und Leinen te den Charakter. Dem Bedürftigen geben, zugleich gemacht ist.“ Mischgewebe war aber nicht übertreiben; sparsam sein, aber nicht koscher , den besten Wollstoff kauft nicht geizig; stets weniger ausgeben, als man „beim Juden“, wussten sie in der Stadt man hat; und den Schuldner nicht drücken – wie auf dem Land. man hatte die jüdische Ethik so sehr verin - Am Talmud und an den rabbinischen nerlicht, dass man wahrscheinlich gar nicht Kommentaren geschultes Denken hatte mehr wusste, dass solche Haltung typisch

110 FGB 3/ 2013 ist für die eigene Art. Ehre Vater und Mut - Kindern über Generationen. – Der letzte Dis - ter, auf dass es dir gut gehe ein Leben lang peker war Joe, als Heinz Joachim Dispeker und bis ins tausendste Glied – kein Dispeker in Fürth geboren und im Alter von hundert wurde je aus dem Haus gejagt. Die herzliche Jahren im November 2008 in Los Angeles Liebe der Eltern wurde zum Segen an den gestorben.

Anmerkungen

1 Vater der Schriftstellerin Grete Weil 8 mittel- und osteuropäisch als Gegensatz zu sephardisch 2 Stadtarchiv Fürth, Adressbuch – Jüdisches Museum für Juden spanischer und protugiesischer Herkunft Franken, Sammlung Joe Dispeker 9 Isaak Netter war der Vorsteher der Gesamtjudenschaft 3 LRA Erlangen, Abg. 1956, Nr. 113 b - Repertorien im Elsass 4 Jüdisches Museum Franken, Sammlung Joe Dispeker – 10 Vgl. Ilse Vogel, Zwischen den Zeiten – Reb Schimmen Isaak besaß zwei Sitze in der Synagoge Dajan, Simon Diespeker, Vice-Rabbiner in Baiersdorf 5 Leo Preijs, Das Reisetagebuch des Rabbi Ch. J. D. Asulai (Simon, Bezirksrabbiner als Richter) 6 Selig, „Arisierung“ in München, 2004 (Seite 458) 7 Zitat am 2. 2. 2013 im SWR in der Sendung „Geld-Markt- Meinung“

Quellen

Joe Dispeker, The Dispekers: A Family History, 1980 – Leo Baeck Institut, New York Sammlung Joe Dispeker – Jüdisches Museaum Franken, Fürth Privatsammlung von Briefen 2000 bis 2008

Bildnachweis

S. 104: Foto Gisela N. Blume S. 106: Stadtarchiv Fürth Alle anderen Bilder: Ilse Vogel

Korrektur Leider ist im letzten Heft 2/2013 ein Missgeschick passiert. Der Bildnachweis stimmt nicht. Nun die richtige Version: S. 43: Stadtarchiv Fürth (StAFü), Fotosammlung A 1149 S. 54: StAFü, Fotosammlung A 4506 S. 44: StAFü, Ausschnitt aus ‚Grundriss des Fleckens S. 55: Registratur des städt. Bauamts Fürth, Königsplatz 1 Fürth‘, 1717, von Johann Georg Vetter S. 57: StAFü, Fotosammlung A 0783 S. 45: Vermessungsamt der Stadt Fürth S. 58: Registratur des städt. Bauamts Fürth, Königsplatz 2 S. 46, 47, 48, 49, 50: Foto Gisela N. Blume S. 60: StAFü, Fotosammlung A 2583 S. 51: Registratur des städt. Bauamts Fürth, Gustav- S. 61: StAFü, Stadtplan ‚Fürth im Jahre‘ 1822 (Ausschnitt) straße 2 S. 62: StAFü, Fotosammlung A 5689 (Ausschnitt) S. 52: Staatsarchiv Nürnberg (StAN), Grundakten Fürth, S. 64: Fürther Intelligenzblatt April 1856 Nr. 145 S. 65: Registratur des städt. Bauamts Fürth, Königstraße 5 S. 53: Fürther Geschichtswerkstatt, Archivdia 4479 GNB: 04,06

FGB 3/ 2013 111 Gerhard Bauer Lebensläufe bei St. Michael 60. Folge

Seite 5 rechts Ist denen Melchior Christian Angerischen „Montag 22. Jan. [1714] Ehleuten (Barb.) ein tod gebornes Töchter. Kunigunda Dannhaußerin von Großreuth. aberMahl besungen worden.“ Cathol. Relig. [Nat.] Anno 1669 zu Rockenstein in der Seite 6 links Pfalz [= Roggenstein, Ortsteil der Stadt Vo - „Donnerstag d. 25. Jan. [1714] henstrauß, Oberpfalz] Anna Maria Kuglerin Pat. Georg Kleiner, Bauer daselbst. Mat. An - [Nat.] Anno 1714 Freitag 12 Jan. na Kunig. Pat. Peter Kugler. Pfannflicker u. Anna Ca - Comm. Kunig. eine dasige [= dortige] Ein - thar. wohnerin. Com. Anna Maria, B. Abrah. Werths geweß - In der Cathol. Relig. so wenig als andern un - nen Formschneiders u. Buchdruckers h[in - terrichtet, auch in keine Schul geschickt, terlassene] jüngste Tochter; wegen ihrer Un - sondern gleich zum Haußwesen u. Bauerey mündigk[eit] halber von ihrer Fr. Taufdotin angewiesen worden. Da sie erstarket in Die - Fr. Anna Maria; Joh. Achatii Hebweins Leb - ste kommen; hier auch in unsere Gegenden küchners ux. mit Red u. P[salm] vertretten endlich zu Großreith 7 Jahr bey B[eatus] u. Anna Maria betittelt p. Jacob Kleinlein gedienet. Vor 17 Jahren sich Samstag Nachmittag um 2. am Kinderwesen von dort verheurathet mit praes[ens] vid - erkranket; Montag u. Dienstag oft zieml. ver - [uus] [= dem gegenwärtigen Witwer] Erhard merket worden, doch gegen die Nacht ange - Dannhausern, Tagl. zu Büchenbach copulirt; fangen wieder zu ruhen; allein Mittwoch ge - von dar Nach ermeldten Großreith gezogen; gen 3 – 4. Morgends ob. aet. 2 Wochen we - erzeugte 5 Kinder 3 Söhn 2. Töchter. niger 2 tag.“ Krankh. betr. so hat solche vergang. Dienstag sich angefangen mit Frost; worauf Seite 6 links des 3ten tags große Hiz sich ereignet; auf „Donnerstag d. 25. Jan. [1714] der Rechten seiten kam dazu ein Fluß; wel - Anna Maria Rosina Müllerin. cher endl. die Patientin so sehr abmergelte, Nat. 1711 Montag 9. Febr. zwischen 2 - 3. daß sie vergang. Samstag um 11 Uhr mittags vor Tag. Renat. die sequ. Dienstag 10. Febr. sanfft pp. aet. 44 Jahr.“ Pat. Georg Müller; Musicus alhier, u. Maria Magdalena. Seite 5 rechts Comm. waren 1) Jgfr. Anna Maria; Heinr. „Dienstag 22. [sic!] Jan. [1714] Wagners Weinschenk alhier Ehel. Tochter.

112 FGB 3/ 2013 2) damals Jgfr Roßina, B[eatus] Mich. Eben - Krankh. jederZeit mit dem Mutterweßen be - hegs; Melbers alhier Ehel. Tochter; Nun - hafftet geweßen, u. wenig gesunde Jahr ge - mehr verEhelichte Beckin, Andreae Becks, habt. Wirths zum Roß[?] in Buch ux. inf. Anna Ma - seither dem Neuen Jahr her, ists Zieml. er - ria Rosina. kranket; anfangs mit Hiz überfallen; über stets frisch u. gesund geweßen; man vermu - seitenstechen u. Herzweh geklaget, wozu thet da es aufgestoßen es wäre Zahnen; al - endl. Husten geschlagen, so sie dergestalt lein vergang. Sonntag überfiels recht tödl. pp. daß sie endl. vergang. Freitag zwischen Schwachheit auf der Brust; Groß Keichen [= 9 – 10 Uhr ob. aet. 53 Jahr. weniger 6 Mon. Keuchen]; die Nacht darauf erfolgte ein 1 Tag.“ Stöckfl[uß], daß es Montag den 22 Jan. zwi - Seite 7 links schen 2 – 3. Nachmittag ob. Aet. 3 Jahr we - „Montag 29. Jan. [1714] niger 3 Wochen 3 tag.“ Sus. Sofia Hagin. Norib: [= Nürnberg] Nat. 1713. d. 8. Aug. in Seite 6 links der Nacht um 4 Uhr auf der grosen Uhr [= 4 „Sonntag Septuages. d. 28. Jan. [1714] Stunden nach Sonnenuntergang]. Margareta Fenzlin. Pat. Johann Martin Hag; damals in Nbg. Nat. 1661, d. 25 Junij wohnhafft; so Gewerbs ein Portenwerker. u. Pat. Conrad Staud; BauersM. Alhier. Anna Susanna. Mat. Anna. Comm. Erb. u. Tugendr. Fr. Sus. Sophia; Comm. Jgfr. Margareta KellerMännin, Jo - Schalkhaußerin, Herrn Schalkhaußers vor - hann KellerManns, Einwohners alhier Ehel. nehmen HandelsM. in Nbg. ux. Tochter. inf. Margareta. Inf. Suß. Sofia. fl[eißig] zur Schul gehalten worden; darinn Immer Kranklicht geweßen. Seither 15. Jan. lesen, beten u. guten Grund im Christen - mit einem hefftigen Husten angefangen u. thum erlernet; gewähret biß Samstag d. 27. h[uius] [= des - stets bey ihren Eltern aufgehalten; biß sie selben Monats] da es cum [= mit] Kinderwe - sich verheuratet; sen dermaßen pp. ob. um 12. Mittags Anno 1685 Montag 3 Aug. verEhelichte sie Samstag aet. 6 Mon. 1 Wochen.“ sich nach 2maliger doppelter Verkündung mit ihrem zu Hauß krank sich befindenden Seite 7 links p[ro] t[empore] [= derzeit] hinterl. Wittwer; „Mittwoch d. 31. Jan. [1714] M. Johann Heinr. Fenzel, damals led. st. Bek - Maria Müllerin. ken alhier; B[eatus] Stefan Fenzels Baurens Nat. alhier. 1696. Sonntag 5. Trinit. 12. Julij. zu Merkenloh bey Roth [= Meckenlohe, Pat. Der ohnlängst verstorb. Hannß Georg Stadt Roth] seel. hint. Sohn, mit deme sie al - Müller, MaurGesell. hier christgewöhnl. copulirt worden. Mat. Kunig. Comm. Fr. Maria des Erb[aren] erzeuget 9 Kinder davon noch 4 Söhn u. ….. [fehlt] in Nbg. ux. inf. Maria. 1 tochter im Leben. in der Jugend zur schul gehalten; bald dar - 1) M . Nicol. Fenzel, Beck alhier, von wel - auf in die TabackArbeit gerathen. chem und sr. Ehew. Fr. Anna Elisabeth; Vor 4 Jahren zum 1sten Mahl zum h. B[eata] 2 Eneckl. erlebet davon 1 in Abendm. gelaßen worden pp. 3 viv[is] [= lebend] 1 tod. Krankh. bey ⁄4 Jahren mit der Schwind - 2) Jgfr Kunigunda; 3. Georg. 4. Gabriel 5. s[ucht] überfallen, doch immer dabey her - Heinrich; votum [= Gebet]. umgegangen. Christenthum; hat sich so viel ihr mögl. an - Bey 8 Tagen lagerhafft worden, vergang. gelegen seyn laßen; pp. Sonntag Abends mit dem h. Abendmahl das vor 5 Wochen noch in der Kirch S[acra] lezte Mahl versehen worden etc. Coen[a] [= heiliges Abendmahl] g[nädig] ge - ob. Montag Morgends um 6 Uhr. Aet. 18 Jahr noßen. u. 6 Mon.“

FGB 3/ 2013 113 Seite 7 rechts so 9 ganze Tag ohne Tauff behalten worden. „Sonntag Sexag. 4. Febr. [1714] Daselbst ist sie herNach zur h. Tauff gelan - Fr. Johanna Elisabeth Schwaneckin vulgo get u. erhuben sie daselbst 1) eine Fr. Majo - [= genannt] Ammenliesel. rin, u. 2) eine Fr. Lieutenandtin; Nach de - Nat. 1636. mens. [= im Monat] Martij. [= nen sie Johanna Elisabetha betittelt worden. März] vor der Vestung Breysach; als sie von Nachgehends haben sie ihre Eltern noch ei - Herzog Bernhard, Fürsten von Weimar hart ne gute Zeit in Worms, Speier, belagert auch Endl[ich] erobert worden. [Die aufgehalten, biß sie das 13. Jahr erreichet, u. ehemals stark befestigte Stadt Breisach am weilen ihr seel. Vatter ein geborner Nürn - Rhein hat am 17. Dezember 1638 (gregoria - berger war, als hat Er sich wie Er dem Frie - nisches Datum) nach langer Belagerung we - den Schluß Anno 50 zu Nbg. vernommen, gen Hungersnot kapituliert und wurde über - mit s. Weib u. Kindern aufgemacht, u. ist geben an den protestantischen Feldherr eben damals daselbst ankommen, u. B[eata] Bernhard von Weimar, der mit einigen tau - noch solches Frieden=Fest celebriren sehen. send Mann Franzosen verbündet war (vgl. Folgends Noch bey den Eltern verblieben, O. Schmidt, Geschichte des dreißigjährigen biß sie erstarket; dann in Dienste sich bege - Krieges, Weimar 1853, Seite 283-293).] ben 1. bey einem Gürtler n[om]i[n]e Wa - Pat. fuit [= ist gewesen] der Ehr u. Mann - genseil, allwo sie 5 Jahr treulich gedienet. 2) haffte Sigmund Hofmann; s[eine]s Gewerbs bey St. Sebald Garkuche daselbst gleichfals ein FahnenSchmidt [= Hufschmied bei einer 4 Jahr lang fleisige Dienste geleistet; wo - Schwadron Reiter]; damal aber bey gedach - selbst sie damals sich per [= durch] Göttl. Di - ter Belagerung unter des Furenne von rect[io] [= Lenkung] gefreyet, daß B[eata] M. F[r]ankr. Regiment geweßnen Fourier [= ein Andreas Schwanecke, ZimmerMann damali - Unteroffizier, der für die Quartiere und die ger Wittwer um sie zu Ehelichen angehal - Verpflegung der Soldaten zu sorgen hat]. ten, worauf nicht nur Consensus der Freun - Mat. Fr. Anna. deschafft beederseits erfolget, sondern auch Kaum hatte B[eata] das Licht der Welt be - die Copulation alhier in Fürth per B[eatus] grüßet, u. die Vestung erobert worden, ist Par. [= durch den verstorbenen Vater von gedachtes Regiment zerstreuet worden u. Pfarrer Daniel Lochner, dem Schreiber die - die Mutter nebst dem Neugeb. Kind nach ses Lebenslaufes] Anno 1660. Wormbs etl. 20 biß 30 Meil geflüchtet u. al - Fortsetzung folgt

114 FGB 3/ 2013 eschichtsverein Fürth e. V.

Lieber Mitglieder des Geschichtsvereins

Wir laden Sie satzungsgemäß und sehr herzlich ein zur Jahresmitgliederversammlung 2 013 am Donnerstag, dem 14. November, im Vortragssaal des Stadtmuseums, Ottostraße 2.

Sie findet im Anschluss an den Vortrag von Gabi Pfeiffer „Das Glück im Grünen – Die Fürther Kleingärten“ statt..

Tagesordnung: 1. Bericht des Vorstands 2. Bericht des Schatzmeisters 3. Bericht des Kassenprüfers (Aussprache nach jedem Bericht) 4. Entlastung des Vorstands 5. Neuwahlen des Vorstands, des Beirats und des Kassenprüfers 6. Sonstiges

Da bei den Neuwahlen, wie bereits angekündigt, eine Neubesetzung des ersten Vorsitzes ansteht, bitten wir Sie um zahlreiches Erscheinen. Anträge zur Mitgliederversammlung richten Sie bitte bis 8 . November an die Geschäfts - stelle des Geschichtsvereins, Schlosshof 12, 90768 Fürth, oder an unsere Email-Adresse: [email protected]

Wir freuen uns auf Ihr Kommen!

Barbara Ohm Dr. Gerhard Merle 1. Vorsitzende Schatzmeister

FGB 3/ 2013 115 Geschichtsverein Fürth e.V . Bankverbindung: Schlosshof 12 Sparkasse Fürth 90768 Fürth (BLZ 76 2 50 0 00) Telefon: (0 911) 9 75343 Konto-Nr. 2 4 042 Telefax: (0 911) 9 7534511 E-Mail: [email protected] www.geschichtsverein-fuerth.de

Die nächsten Veranstaltungen

Vortrag von Barbara Ohm Ollapodrida-Suppenessen Fürther Gartenkultur im 18. und im Gasthof „Grüner Baum“, 19. Jahrhundert Gustavstraße 34 Donnerstag, 17. Oktober, 19.30 Uhr Bitte Anmeldung unter: Tel.: 9 7534517 oder 9 7534510 Vortrag von Gabi Pfeiffer, Journalistin und (Mo: 9-17 Uhr, Di e- Do: 9-16 Uhr) Kleingärtnerin oder per E-Mail: Das Glück im Grünen – Die Fürther [email protected] Kleingärten Mitglieder 20 €, Nichtmitglieder 25 € Donnertag, 14. November, 19.30 Uhr Donnerstag, 28. November, 19 Uhr Anschließend Mitglieder versammlung mit Neuwahlen Weihnachtsmarkt Die Vorträge finden im Vortragssaal des Wir haben wieder einen Stand beim Stadtmuseums, Ottostraße 2, statt. Altstadtweihnachtsmarkt auf dem Mitglieder kostenlos, Waagplatz (6. bis zum 15. Dezember) und Nichtmitglieder 6 €. freuen uns auf Ihren Besuch.

116 FGB 3/ 2013