Der weiSSe Bra s i l i a n e r Ansgar Brinkmann A ufgezeichnet von Ba s t i a n H e n r i c h s

Delius Klasing Verlag

Für die Fans, die mich immer unterstützt haben!



1. Auflage © by Delius, Klasing & Co. KG, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar: ISBN 978-3-7688-3264-9 (Print) ISBN 978-3-7688-8132-6 (E-Book) ISBN 978-3-7688-8327-6 (E-Pub)

Lektorat: Klaus Bartelt, Ute Maack Schutzumschlaggestaltung: Jörg Weusthoff/ unter Verwendung dreier Fotos von Axel Struwe, Bielefeld Datenkonvertierung E-Book: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auch Teile daraus, nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden. www.delius-klasing.de Inhalt

Vorwort von Reiner Calmund ...... 7

Überall. Zu jeder Zeit – Wie alles begann ...... 9 Thunfisch aus der Dose ...... 21 »Ihr könnt hier auf mich warten« ...... 39 Wechselspiele ...... 45 Der letzte Rebell – Ein Porträt von Reinhard Rehberg . . . . . 50 Ich werde auch nass, wenn es regnet ...... 116 Oberkörper frei ...... 138 Clowns und Kriminelle – Wo das ganze Geld landete . . 159 Mut zum Träumen, Kraft zum Kämpfen ...... 168 Der beste Coach ...... 185 Weggefährten über den »Nichtdisziplinierbaren« . . . . 190 30 Vorlagen ...... 197 Die Ansgar-Brinkmann-Traumelf ...... 201

Vereins- und Torstatistik ...... 203 »Ihr könnt hier auf mich warten« VfL Osnabrück – Preußen Münster (1991–1993)

ch war 21 und hatte die Erfahrung von über hundert Zweitliga- spielen. Irgendwann erschien mein Bild im »Kicker« – auf der IEinkaufsliste der . Es kam aber noch nicht zum gro- ßen Sprung. Man darf nicht vergessen, dass Deutschland gerade erst Weltmeister geworden war, dass die vielen guten Jungs aus der ehemaligen DDR in die Bundesliga drängten. Das vereinte Fußballdeutschland suhlte sich im Erfolg und lehnte sich zurück. Franz Beckenbauer prophezeite, dass die Nationalmannschaft auf Jahre nicht zu schlagen sei. Hat man ja gesehen, was daraus geworden ist. Der deutsche Fußball war zu der Zeit sicher stark, aber nicht so stark, dass man darauf hätte verzichten können, den Nachwuchs zu fördern. Leider hat man genau das getan. Darunter habe auch ich leiden müssen, denke ich. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich die Saison in Osnabrück hätte zu Ende spielen können. Vielleicht hätte sich ein Angebot konkretisiert. Aber ich musste den Verein schon zur Winterpause verlassen. Eine erzwungene und überhastete Flucht. Ich wollte weg, weil Rolf Grünther zurückgekommen war. Grünther hatte mich zwar entdeckt und nach Osnabrück gelotst, aber er ließ sich jetzt, nach seiner Rückkehr, von Ralf Heskamp, Pele Wollitz, von diesen Jungs, unter Druck setzen. Die beschwerten sich ständig und sagten, dass sie mit Ansgar Brinkmann nicht mehr zusam- menspielen wollten. Sie mobbten mich aus der Mannschaft. Ich spürte deren Blicke, deren Neid vielleicht sogar. Ich war immer stärker geworden, die Fans akzeptierten mich, das gefiel nicht jedem. Ich musste mir oft anhören, dass ich nicht so viel drib- beln sollte. Aber ich wollte mich nicht bremsen lassen. Ich wollte

39 dribbeln. Die Keimzelle des Fußballs ist doch der Garten, da geht es doch los. Zu zweit, zwei Tore, eins gegen eins. Der eine will an dem anderen vorbei und ein Tor schießen. Natürlich kommen im Spiel viele Faktoren dazu, aber warum sollte ich meine Stärken weglassen? Als er mich mal wieder zurechtweisen wollte, sagte ich zu Heskamp: »Besser, du läufst mit dem Ball und flankst, du kannst nämlich nicht dribbeln!« Damals sah ich das alles noch nicht so deutlich, weil ich noch jung war, aber ich spürte, dass es innerhalb der Mannschaft eine Front gegen mich gab. Grünther ließ sich beeindrucken und legte mir nahe, den Verein zu wechseln. Sportliche Gründe kann es eigentlich nicht gegeben haben, ich hatte in der Hinrunde alle Spiele mitgemacht. Mich hielt dann aber nichts mehr beim VfL. Ich hatte den Krieg mit den Jungs satt und dachte, was soll’s, dann mache ich was Neues und gehe nach Münster. Mit Osnabrück hatte ich gegen Münster ein paar sehr gute Spiele abgeliefert. In der Saison 1989/90 unter hatte ich einmal richtig aufgedreht. Ich schoss nicht mal ein Tor, aber das 4:1 in Münster gehört wahrscheinlich zu den fünf besten Spielen meines Lebens. Die Preußen hatten immer mal wieder Interesse bekundet, und in der Winterpause nahm ich das Angebot an. Münster war nicht so weit weg von zu Hause, ein paar Kilometer weiter als Osnabrück, das war mit meiner Freundin Diana alles machbar. Der Punkt war mir wichtig. Auch in Münster stand ich vom ersten Rückrundenspieltag an in jeder Partie auf dem Platz. Brisanz hatte für mich natürlich das Rückspiel in Osnabrück. Die beiden Fanlager sind sich nicht gerade freundlich gesinnt, und ich erwartete, dass ich ausgepfiffen würde. Doch die VfL-Fans waren toll. Ich wurde mit Sprech­ chören begrüßt. Die freuten sich, mich zu sehen. Am Ende der Saison hatte ich 38 von 38 Spielen gemacht. Mit 21 Jahren. Leider sind wir mit Preußen Münster abgestiegen. Ich bekam danach ein paar Angebote, aber in Münster hatte ich mich

40 auf Anhieb wohl gefühlt. Ausschlaggebend für meinen Verbleib war schließlich die Verpflichtung von Hans-Werner Moors, zu dem ich, seit er mich in Osnabrück trainiert und weiter vorn spielen lassen hatte, ein gutes Verhältnis pflegte. Ich habe in mei- ner Karriere zu einigen Trainern ein gutes Verhältnis gehabt. Aber meine Beziehung zu Hans-Werner Moors war besonders. Er hat mir sportlich zu hundert Prozent vertraut, hat nie an mir gezweifelt und sich immer vor mich gestellt, wenn ich mal aus der Reihe tanzte. Ich war für ihn ein Schlüsselspieler. Und er war für mich der Schlüsseltrainer, wenn man so will. Moors folgte auf Gerd Roggensack, ein Katastrophentyp, mit dem ich menschlich zwar wunderbar zurechtgekommen bin, der sportlich allerdings den Untergang für Preußen Münster bedeutete. In der Vorberei- tung auf die Rückrunde waren wir im Trainingslager, trainierten aber kaum – weil draußen Schnee lag. Stattdessen veranstalteten wir Klavierabende, unser zweiter Torwart, Ulf Johannemann, spielte, der Rest sang und trank Bier. Unser einziges Training waren Schneespaziergänge. So haben wir dann auch gespielt. Das entsprach nicht meiner Motivation, und ich war froh, als Moors nach Münster kam. Er wollte mich unbedingt behalten. Ich blieb, spielte Dritte Liga – und eroberte Münster. Die West war damals nicht zu unterschätzen. spielte dort, Verl, Gütersloh. Es gab einige brisante und spannende Derbys. Ein Spiel war dabei, das sie in Münster nicht vergessen haben. Ich erzielte einen Treffer, der wirklich legen- där ist. Wir spielten an einem Ostermontag im Preußenstadion gegen den FC Gütersloh. Ernst Middendorp war dort Trainer. Gütersloh dümpelte eher am unteren Ende der Tabelle herum und drohte abzusteigen; wir spielten um den Aufstieg. Ich hatte schon früh zwei Tore erzielt, und wir führten 2:0, als Gütersloh in der  87. Minute den Anschlusstreffer schaffte und wieder eine Chance witterte. Der Torschütze schnappte sich den Ball, rannte zurück, legte den Ball auf den Anstoßpunkt und alle waren heiß darauf weiterzuspielen.

41 Meine Mannschaftskollegen Erik Groeleken, der Holländer, und Christos Orkas standen an der Mittellinie und warteten, verzögerten den Anstoß. Ich ärgerte mich über das Gegentor und ging zu den beiden in den Mittelkreis. »Lass mich den Anstoß ausführen«, sagte ich zu Orkas. Er zuckte nur mit den Schultern und begab sich auf seine Position. Dann sagte ich zu Groeleken: »Du brauchst gar nicht mitzulaufen. Du kannst hier auf mich warten, ich komme gleich wieder. Ich mach das Ding direkt rein.« Er grinste nur und spielte mir den Ball zu. Danach berührte den Ball niemand mehr außer mir. Ich ließ sechs, sieben Gegner ste- hen, umkurvte noch den Torwart und schob das Ding über die Linie. Als ich mich umdrehte, standen meine Mitspieler wirklich alle noch in der eigenen Hälfte, keiner war mitgelaufen. Das Solo hatte vielleicht zwanzig Sekunden gedauert. Mein Versprechen löste ich aber nicht ganz ein. Ich kehrte nicht sofort wieder zum Mittelkreis zurück, wie ich es angekündigt hatte. Stattdessen lief ich gleich durch zu den Fans. Geschätzte 8000 waren im Stadion. Hans-Werner Moors schrie immer: »Ansgar, es geht weiter, Ans- gar!« Aber ich ließ mich nicht stören. »Jungs, ich geh doch jetzt nicht mehr zurück auf den Platz, ich lass mich feiern«, dachte ich nur. Ich musste dann aber natürlich doch weitermachen. Was mich dazu verleitete, so zu handeln, kann ich nicht sagen. Das waren Impulse, die ich nicht kontrollieren konnte. Ich sah den Sieg, für den ich schon zwei Tore geschossen hatte und der uns wieder in die Zweite Liga bringen sollte, in Gefahr. Deshalb wollte ich die Angelegenheit dann halt selbst in die Hand nehmen. Ich denke, man kann das Selbstvertrauen nennen. Selbstvertrauen gehört zum Leistungssport wie der Motor ins Auto. »In diesem Leben habe ich nur zu gewinnen«, habe ich mir ständig vorgebetet. Das ist eine Mentalitätssache. Ich wusste, dass ich auf dem Platz vor niemandem Angst haben musste. Was sollte mir schon passieren? Mir konnte kaum jemand weglaufen, technisch konnte ich Situationen lösen. Ich habe dieses Spiel geliebt. Das war wie mein Zuhause – auf dem Platz fühlte ich mich

42 sicher, und das von klein auf. Wenn ich Fußball spielte, klopften mir alle auf die Schulter, und ich merkte irgendwann, dass ich bewundert wurde. Wenn ich meine Fußballschuhe anzog, konnte ich alles andere beiseite schieben: mein Auto, meine Freundin oder die letzte Nacht in der Taverna. Meine Leidenschaft für den Fußball, der Spaß an dem Spiel an sich war grenzenlos. Ob in Afrika oder in Alaska, wenn ich einen Ball rollen sah, wollte ich Fußball spielen. Das war schon in meiner Kindheit so, als wir noch aus Anoraks und Schultaschen die Tore bauten. Mit Zuschauern oder mit Kohle hatte das nichts zu tun. Ich musste auch kein tolles Umfeld haben, in dem ich mich voll und ganz auf das Spielen hätte konzentrieren können. Ich brauchte mich nicht zu konzen- trieren beim Fußball. Ich brauchte nur meine Instinkte. Denen konnte ich vertrauen. Deshalb riefen später Spieler wie Bixente Lizarazu ihre Nebenmänner zu sich, wenn ich am Ball war, um mich zu doppeln. Wenn ich mit Frankfurt oder Bielefeld bei den Bayern spielte oder in Dortmund, dann sagte ich vorher immer: »Jungs, wenn der Schiedsrichter anpfeift, dann steht es null zu null. Wir liegen nicht von Beginn an drei null hinten.« Aber es reicht natürlich nicht, nur Sprüche zu machen. Ich war nie um einen Spruch verlegen, aber ich habe auf dem Platz auch immer wieder bewiesen, dass etwas dahintersteckte. In den Interviews, die ich nach dem Spiel gegen Gütersloh gab, habe ich nichts über die kurze Ansage im Mittelkreis erzählt. Das war nicht mein Ding. Es gibt kaum Interviews von mir, in denen ich nicht die Mannschaft in den Mittelpunkt stelle. Es waren eher die anderen, die über das Tor in Münster sprachen, von dessen Zustandekommen die beiden anderen Spieler berichtet hatten. Die Fans, die Journalisten, auch die Kollegen. Und wenn ich unter Beschuss geriet, weil irgendetwas vorgefallen war, dann hieß es immer: »Könnt ihr euch an das Tor erinnern? Es ist scheißegal, ob Ansgar Brinkmann falsch parkt oder bis fünf Uhr morgens beim Italiener feiert. So etwas werden wir wahrscheinlich nie wieder erleben«.

43 Den Wiederaufstieg schafften wir trotzdem nicht. Wir wurden zweimal Oberligameister, scheiterten aber jeweils in der Auf- stiegsrunde. Nach zweieinhalb Jahren wechselte ich zu Mainz 05.

44 Vereins- und Torstatistik

Vereine in der Jugend: SC Schwarz-Weiß Bakum (E-Jugend bis C-Jugend), Blau- Weiß Lohne (C-Jugend bis B-Jugend), Bayer 05 Uerdingen (A-Jugend)

Profivereine: VfL Osnabrück, 2. Liga, 1987–1991, 96 Spiele, 6 Tore Preußen Münster, 2. Liga, 1991, 17 Spiele, 2 Tore Preußen Münster, , 1991–1993, 54 Spiele,  12 Tore Mainz 05, 2. Liga, 1993–1995, 55 Spiele, 7 Tore Preußen Münster, , 1995, 13 Spiele, 2 Tore FC Gütersloh, Regionalliga, 1996, 14 Spiele, 2 Tore SC Verl, Regionalliga, 1996, 5 Spiele, 1 Tor FC Gütersloh, 2. Liga, 1996/1997, 20 Spiele, 2 Tore BV Cloppenburg, Oberliga, 1997 BV Cloppenburg II, , 1997, 3 Spiele , 2. Liga, 1997/1998, 17 Spiele, 3 Tore Eintracht Frankfurt, Bundesliga, 1998/1999, 29 Spiele, 1 Tor , 2. Liga, 1999/2000, 29 Spiele, 1 Tor VfL Osnabrück, 2. Liga, 2000/2001, 24 Spiele, 4 Tore Arminia Bielefeld, 2. Liga, 2001/2002, 27 Spiele, 5 Tore Arminia Bielefeld, Bundesliga, 2002/2003, 30 Spiele, 2 Tore LR Ahlen, 2. Liga, 2003, 4 Spiele FC Kärnten, Bundesliga Österreich, 2003/2004, 0 Spiele , 2. Liga, 2005/2006, 27 Spiele, 4 Tore Preußen Münster, , 2006/2007, 33 Spiele, 3 Tore

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