Wandel Der Vogelwelt Des Vinschgaus. Die 51
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monticola 109 (2017) Seite 6 Wandel der Vogelwelt des Vinschgaus. Die 51. Monticola-Jahrestagung in Mals, Südtirol (Italien), 1. – 7.6.2015 Edith Sonnenschein Erstmals in der Geschichte der Arbeitsge- ungeahnte Südtirol-Begeisterung bei einigen meinschaft hat eine Jahrestagung zum zwei- Monticola-Mitgliedern aus, die nun vor al- ten Mal am selben Ort stattgefunden: be- lem den Vinschgau häufig besuchten um dort reits 1973 war Mals im oberen Vinschgau Vögel zu beobachten. Den Aufzeichnungen das Ziel der Alpenornithologen von Monti- von Werner Schubert, Gerhard Berg-Schlos- cola. Damals bezeichnete Walter Wüst die- ser, Klaus Bommer u. a. ist es zu verdanken, se 9. Tagung als die „wissenschaftlich bisher dass wir über die Vogelwelt jener Jahre recht ergiebigste und anregendste“ (Wüst 1973). gut informiert sind. Gleichzeitig gelang der Er meinte damit wohl die Anzahl der beob- Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vo- achteten Arten (93) als auch einige besonde- gelschutz-Südtirol (AVK) mit ihren Protago- re und unerwartete Arten (z. B. Sperbergras- nisten Oskar Niederfriniger, Peter Schreiner mücke). Offenbar lösten die Ergebnisse eine und Leo Unterholzner 1996 die Herausgabe Abb. 1: Blick über die Malser Haide Richtung Süden, im Hintergrund Mals. Bild: Sonnenschein Seite 7 Bericht über die 51. Monticola-Jahrestagung in Mals, Südtirol des viel beachteten „Atlas der Vogelwelt Süd- Bommer 2012, Birrer & Graf 2016), weshalb tirols“. Weitere Jahrestagungen der Monticola hier auf weitere Beschreibungen verzichtet in Südtirol wurden in den Orten Klobenstein, wird. Abb. 2: Steppenvegetation am Sonnenberg und Obstplantagen im Tal. Im Hintergrund der Ort Prad. Bild: Sonnenschein Petersberg, Niederdorf, Naturns und Sand in Das Organisationsteam von Monticola wurde Taufers abgehalten. Dass Südtirol und beson- bei der Durchführung der Tagung ganz we- ders der Vinschgau immer noch die Vogel- sentlich von der AVK unterstützt, die ein um- kundler fasziniert, haben 80 Teilnehmer bei fangreiches Programm mit Abendvorträgen der Folgetagung in Mals 2015 bewiesen. sowie die Tagesexkursionen vorbereitet hat- Der Vinschgau (Val Venosta) ist der oberste ten. Die Tagungseröffnung fand im Biohotel Teil des Etschtales und reicht vom Reschen- „Panorama“ statt. Dieses Hotel war ganz be- see bis kurz vor Naturns. Landschaftsmor- wusst gewählt worden, weil es auf regiona- phologie, klimatische und vegetationskund- le Produkte in Bioqualität setzt und Monti- liche Besonderheiten und deren Bedeutung cola die ökologische und naturverträgliche für die Vogelwelt wurden in dieser Zeitschrift Landwirtschaft unterstützen möchte. In die- schon mehrfach ausführlich beschrieben (z. sem Sinne wies dann auch der Bürgermeister B. Niederfriniger 1973, Berg-Schlosser 1981, der Gemeinde, Ulrich Veith, in seiner Begrü- monticola 109 (2017) Seite 8 Abb. 3: Blick auf die Prader Sand, das Delta des Suldenbachs. Bild: Sonnenschein ßungsansprache auf die Bürgerinitiative „Für standen die künstliche Wiesenbewässerung eine pestizidfreie Gemeinde Mals“ hin (Nä- und deren Einfluss auf die Vogelwelt. heres siehe farbiger Kasten). Der Vorsitzende der AVK, Leo Unterholzner, stellte die Vogelwelt Südtirols vor. Abendprogramm Wolfgang Platter, Direktor des Nationalparks Für die abendlichen Vorträge stand ein Saal Stilfser Joch, berichtete über die Wiederan- im Oberschulzentrum unweit des Tagungs- siedlung des Bartgeiers. Nachdem im Mar- hotels zur Verfügung. Die Vorträge im Ein- telltal mehrere Freilassungen erfolgt waren, zelnen: gab es dort 2015 die erste Naturbrut in Südti- Mit einem unterhaltsamen Rückblick auf rol mit einem ausgeflogenen Junggeier. „50 Jahre Monticola“ erfreuten die Zeitzeu- Roland Graf von der Zürcher Hochschule für gen Bruno Carrara, Waltraud Oberhänsli und angewandte Wissenschaften referierte über Christoph Grissemann. die von Monticola initiierte Vorstudie für ein Simon Birrer von der Schweizerischen Vo- Förderprojekt der Alpenkrähe (inzwischen gelwarte Sempach berichtete über die Ergeb- veröffentlicht in Monticola 107/2015). nisse der Brutvogelkartierung auf der Malser Haide, die in Zusammenarbeit mit Südtiroler Ornithologen durchgeführt wurde. Im Fokus Seite 9 Bericht über die 51. Monticola-Jahrestagung in Mals, Südtirol Pestizidfreie Gemeinde Mals Eine Gruppe von engagierten Bürgern der Gemeinde Mals hat am 30. Juli 2013 ein bemer- kenswertes Manifest veröffentlicht. Es richtet sich gegen die konventionelle Landwirtschaft und deren massiven Einsatz von Pestiziden. Nach Ansicht der Verfasser, die eine Bürgeriniti- ative gegründet haben, sind die sogenannten Pflanzenschutzmittel keineswegs als ungefähr- lich einzustufen, wie von den Herstellern gern behauptet wird. Es besteht im Gegenteil ein wissenschaftlich nachweisbarer Verdacht, dass einige Spritzmittel extrem schädlich auf die menschliche Gesundheit wirken können. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Intensivierung der Landwirtschaft im Vinschgau enorm zugenommen, die Obstanbauflächen wurden fortlaufend vergrößert, die Wiesennut- zung durch künstliche Beregnung gesteigert. Dieser Prozess dauert immer noch an. Gleichzei- tig werden landschaftsprägende Kleinstrukturen beseitigt, da sie bei der maschinellen Land- bearbeitung buchstäblich im Wege stehen. Südtirol zählt zu den Regionen mit dem höchsten Spritzmittelgebrauch in Italien. Allein in der Apfelproduktion wird bis zu 25mal im Jahr gespritzt. Durch den beständigen Wind im Tal kommt es zu einer unkontrollierten Abdrift der Spritzmittel, die damit auch in den Sied- lungsbereich hineingeweht und von den Menschen über die Atemwege und die Haut aufge- nommen werden. Im Frühjahr 2014 wurden an mehreren Orten im Vinschgau Wasser und Gras auf Pestizidrückstände untersucht. Wasserproben wurden u. a. in der Schludernser Au entnommen, Grasproben bei Radwegen, auf Sport- und Kinderspielplätzen. In allen Proben wurden giftige bis sehr giftige Substanzen gefunden, die lt. den Vorschriften der Landesre- gierung in derartig sensiblen Zonen nicht akzeptabel sind. Die Bürgerinitiative fordert deshalb Anbaualternativen wie eine biologisch-ökologische Wirt- schaftsweise umzusetzen, bis hin zu einem Verbot der Ausbringung von Pestiziden. Im Herbst 2014 folgt der Paukenschlag: bei einer Volksabstimmung votieren 75 % der stimmberech- tigten Bürger für ein Pestizidverbot in der Gemeinde Mals. Der Protest der konventionellen Bauern bleibt nicht aus. Sie argumentieren, dass makelloses Tafelobst nicht ohne Pestizide produziert werden kann. Bürgermeister Veith und der Gemeinderat fühlen sich dennoch ver- pflichtet, den direkt-demokratischen Willen der Malser Bevölkerung umzusetzen. Eineinhalb Jahre nach der Volksabstimmung kann durch eine Änderung in der Gemeindesat- zung eine neue Verordnung in Kraft treten. Sie beinhaltet ein Verbot der giftigsten Pestizid- klassen; erlaubt sind nur Präparate, die in der biologischen Landwirtschaft zugelassen sind. Bei der Ausbringung der Spritzmittel werden strenge Abstandsregelungen eingeführt um ei- ne Abdrift in andere Zonen zu verhindern. Diese Regeln gelten für erwerbsmäßige Obst- plantagen genauso wie für private Gärten. Für bestehende Anlagen gilt eine Übergangsfrist von zwei Jahren. Damit haben die Landwirte die Möglichkeit auf biologische Produktion umzustellen. Bürgermeister Veith: „Das führt eigentlich bei uns dazu, dass der Einsatz von Pestiziden nicht mehr möglich ist. Das heißt, in Zukunft gibt es nur noch biologische Land- wirtschaft in Mals“. Mit ihrem spektakulären Widerstand gegen eine zerstörerische industri- elle Landwirtschaft haben die Malser ihr kleines Dorf weltweit in die Schlagzeilen gebracht. (Quelle: Wikipedia 2016). monticola 109 (2017) Seite 10 Abb. 4: Werbung für eine pestizidfreie Gemeinde, Laatsch 2015. Bild: Sonnenschein Im März 2017 bestätigte Bürgermeister er auch noch ein langer und schwieriger sein Ulrich Veith auf Anfrage, dass die Verordnung wird, der Weg zur biologisch und ökologisch nach wie vor gültig sei. Allerdings sei sie von ausgerichteten Landbewirtschaftung. Mals einigen Bauern angefochten worden und das will und wird jedenfalls den beschrittenen Verwaltungsgericht werde im Juli 2017 in ei- Weg im Interesse der Gesundheit für die Be- ner ersten Anhörung darüber befinden. Die völkerung und des Schutzes der Natur und Südtiroler Landesregierung ist weiterhin nicht Umwelt weitergehen. gewillt, Zuständigkeiten in diesem Bereich an die Gemeinden zu delegieren, obwohl sie dies Der Vinschgau im Wandel nach einem Gutachten der EU-Kommission Die besondere Lage des Vinschgaus in den könnten und dürften. Beispielsweise hat die Alpen, die Geologie und das Klima, aber Landesregierung von Trient 2016 in einem ei- auch landwirtschaftliche Nutzungsformen ha- genen Beschluss entsprechende Zuständigkei- ben eine große Vielfalt an Lebensräumen her- ten geregelt und an die Gemeinden delegiert. vorgebracht und damit verbunden eine arten- Was in der Provinz Trient geht, sollte wohl reiche Vogelwelt. Landnutzung hat wie über- auch in Südtirol möglich sein. Wo ein (gu- all die Landschaft geprägt, doch erst in jün- ter) Wille, da gibt es auch einen Weg, wenn gerer Zeit entwickelt die menschliche Wirt- Seite 11 Bericht über die 51. Monticola-Jahrestagung in Mals, Südtirol schaftsweise zunehmend zerstörerische Aus- Exkursionen maße. Ein besonderes Juwel in der Kultur- Der Beobachtungszeitraum umfasst nicht nur landschaft des Vinschgaus stellen die trocken- die eigentliche Tagungswoche sondern reicht heißen Steppenhänge des Sonnenbergs dar. vom 22.5. bis zum 19.6.2015, da einige Teil- Leider ist von ihrer charakteristischen