Kultur

treu bleibt: In rasanten 33 Minuten und 13 Sekunden spielt die Band elf Stücke lang jenen ebenso nervösen wie melodischen Rock’n’Roll, der sie berühmt gemacht hat. Natürlich werden pophistorisch gebilde- te Schlaumeier wieder die Altväter her- aushören, bei denen sich die fünf Knaben bedient haben; Bands wie Television, The Modern Lovers und gehören dazu – aber geht es darum wirklich? Ent- scheidend ist, dass es die Strokes geschafft haben, die Popwelt so nachhaltig zu be- eindrucken wie vor ihnen lange keine an- dere Band. Scharen von Garagen-Rockern, ob aus Schweden oder Neuseeland, Kanada oder England, nahmen sich die minimalistischen Rock-Nummern von „“ zum Vor- bild, die so scheppernd klangen, als seien sie mit einem maroden Diktiergerät aufge- nommen. Leicht zu erkennen sind diese Nachahmer in der Regel an einem „The“ vor dem Namen: Die erfolgreicheren heißen The Hives, The White Stripes, The Vines, The Datsuns oder The Libertines – aber auch „The“-freie beherzte Neo-Lär-

KEITH MORRIS / BMG KEITH mer wie das Punk-Trio Strokes-Sänger Casablancas (M.), Band-Kollegen*: Ein Scheppern wie vom Diktiergerät brachten es zu erstaunlichen Verkaufszah- len und frischem Ruhm. Ganz besonders aktiv wurden die Ta- POP lentjäger der Plattenfirmen in New York – noch in der schäbigsten Musikkaschemme fahndeten sie nach dem guten Rock von Der gute Rock von Manhattan, was beispielsweise Luke Jen- ner, Sänger und Gitarrist der New Yorker Gitarrenrocker sind im Musikgeschäft die Helden des Herbstes: Band The Rapture, „absolut irre“ findet: „Jeder unserer Freunde, der eine Gitarre Die New Yorker Band tritt nun mit neuem Album gegen halten kann und in einer Band spielt, hat die gefeierten Provinz-Newcomer von Kings of Leon an. neuerdings einen guten Plattenvertrag oder führt zumindest Ver- er sehr hoch über dem Times handlungen.“ Square in der New Yorker Zen- Natürlich profitiert auch Wtrale der Bertelsmann Music Jenners Band The Rapture Group aus dem Fahrstuhl tritt, blickt auf von dem Aufruhr. Ihr dem Flur der Plattenfirma RCA auf eine ebenfalls nächste Wo- Galerie von Pophelden, die auch kommer- che erscheinendes Album ziell groß abräumten: Großformatig ge- „Echoes“, das in schöner rahmt hängen da Porträts von Titanen wie Manier tanzbare Electro- Elvis, Frank Sinatra und Kuschelpopper Beats mit zackigem Gi- Barry Manilow. tarrenlärm kreuzt, war Frisch hinzugekommen ist ein Foto von so gefragt, dass mehrere fünf sehr hübschen, ein wenig langhaarigen Plattenfirmen sich ein

Jungs in Sakkos, Sportschuhen und ge- / REDFERNS EDSJO EVA Wettbieten lieferten. Das pflegt zerschlissenen Jeans, die sich The Punk-Trio Yeah Yeah Yeahs: Beherzter Neo-Lärm erste Angebot habe bei Strokes nennen. „Keine Ahnung, welcher 15000 Dollar gelegen, be- Verrückte das da hingehängt hat“, sagt ei- wartungen erfüllt, die ihr Debütwerk „Is richtet Jenner. Die Band wartete ab und un- ner von ihnen, der Schlagzeuger Fabrizio This It“ vor zwei Jahren weckte. terschrieb ein halbes Jahr später für einein- Moretti, genannt Fab – und übt sich in De- Seit Wochen wird um den zweiten halb Millionen beim Konzern Universal. mut: „Es ist auf jeden Fall eine Furcht Strokes-Streich, den das britische Fachblatt Den großen Durchbruch aber, auf den einflößende Gesellschaft. Zwischen den „New Musical Express“ bereits „die meist die New Yorker Rock-Dandys von The ,Simpsons‘ würde ich mich sehr viel woh- diskutierte Platte des Jahres“ nennt, ein Rapture noch warten, haben in den vergan- ler fühlen.“ Nervös trommelt er mit den ungeheures Medien-Buhei veranstaltet. genen Monaten ein paar eher verschlamp- Fingern auf einem schicken Designertisch. Tatsächlich ist „“ fabelhaft te Rock’n’Roller aus der amerikanischen Ob das Strokes-Bild im RCA-Flur noch gelungen, wenngleich das Album den Er- Provinz geschafft: Die in vielen angloame- lange an der Wand hängen darf, entschei- folgsprinzipien des weltweit 2,5 Millionen rikanischen und deutschen Fachmagazinen det sich wohl in den nächsten Wochen: Mal verkauften Strokes-Debüts einfach stur bejubelten Newcomer der Rock-Saison Dann erweist sich, ob die New Yorker Band heißen Kings of Leon. mit ihrem nächste Woche erscheinenden * Albert Hammond junior, , , Die smarten Bürschchen aus Tennessee zweiten Album „Room on Fire“ die Er- . pflegen nicht nur optisch einen sehr lässigen,

170 der spiegel 42/2003 Kultur von fern an Hippiezeiten erinnernden Stil; der Nähe von Lausanne als Teenager über auch ihre Musik ist geprägt von einer sehr den Weg und trafen sich Jahre später in zurückgelehnten Rumhänger-Attitüde, vor Manhattan wieder: Dort legten sie zusam- allem der Gesang des Kings-of-Leon-An- men mit Fabrizio Moretti, Nick Valensi und führers Caleb Followill huldigt virtuos der Nikolai Fraiture los unter dem Namen The Poesie des flüchtig Hingeschlampten. In den Strokes. britischen Clubs jedenfalls gelten die jungen „Es kann keine guten Rock-Bands aus Südstaatenrocker als neue Helden, die auf Manhattan geben, weil normale Menschen Konzerten auch von berühmten Rock-Fans es sich überhaupt nicht leisten können, da wie Kate Moss oder Stella McCartney an- zu wohnen“, keift denn auch der Konkur- gehimmelt werden. rent Gabe Andruzzi von The Rapture. Ob die Garagenrock-Mode und deren Strokes-Verächter haben sich hämische Vorzeigefiguren allerdings den aktuellen Geschichten ausgedacht wie die, dass die Rummel überstehen, wird – wie es sich in der Branche gehört – bereits von den ers- ten Musikfachleuten heftig bezweifelt. Kein Wunder also, dass die Strokes so wirken, als sei ihnen äußerst mulmig vor der Präsentation ihres zwei- ten Werks: Sie sind in rasen- der Geschwindigkeit von auf- gedrehten Nobodys zu Pop- Ikonen geworden – droht nun schon wieder der Absturz in die Klasse der abgehalfterten Helden von gestern? „Die Kunst besteht auch darin, den Wahnsinn nicht an sich heranzulassen“, sagt Fab Moretti und blickt sehr ernst. Von einer leichten Verwir- rung zeugt jedoch bereits, wie

schwer sich die Strokes mit LANE / BMG COLIN dem Einspielen ihres neuen Rockband Kings of Leon: Poesie des Hingeschlampten Albums quälten. Da tausch- ten sie zu Beginn der Aufnahmen den we- Band einen Pressesprecher angeheuert nig bekannten Produzenten ihres hoch ge- habe, bevor sie überhaupt ihren ersten lobten Debüts gegen den Szenestar Nigel Song geschrieben hatte. Das ist natürlich Godrich, der vor allem durch seine Arbeit Humbug. In Wahrheit scherte sich lange mit den britischen Kunstrockern von Ra- Zeit kaum ein Mensch in New York um diohead berühmt wurde. Einige Wochen die Band; sie wurde von fast allen großen später jagten sie den Gast wieder zum Teu- Plattenfirmen abgelehnt – bis ihr Manager fel. „Wir haben die Aufnahmen mit ihm auf die Idee kam, Probeaufnahmen an eine allesamt verbrannt“, behauptet Moretti. kleine Firma nach England zu schicken, Reumütig kehrten die Jungs zum alten Pro- wo man so begeistert war, dass man drei duzenten Gordon Raphael zurück. Nummern davon als Single veröffentlichte. Zwei Jahre waren The Strokes mit ihrem Der Rest ging dann sehr schnell. ersten Album auf Welttournee – und wur- Er finde es immer noch sehr schwierig, den überall bejubelt. Zu Hause in New mit all dem Neid umzugehen, klagt Albert York aber sind sie bis heute erstaunlich un- Hammond junior. Die Forderung, dass beliebt. Das liegt vor allem an der dem große Rocker gefälligst aus kleinen Ver- Rock’n’Roll-Mythos kaum entsprechenden hältnissen stammen müssten, sei nichts Herkunft der Musiker. Alle stammen sie weiter als ein dummes Klischee. Stimmt: aus den oberen Regionen der amerikani- So ist zum Beispiel Lou Reed, der in der schen Gesellschaft. wohl berühmtesten New Yorker Rockband Wie sexy kann die Geschichte einer aller Zeiten, , den Band sein, die wie im Falle der Strokes da- Ton angab, ein Mann aus bürgerlichem mit zu tun hat, dass sich zwei der Mitglie- Haus – und auch die New Yorker Punk- der auf einem Schweizer Nobel-Internat rock-Pioniere von den Ramones hatten kennen lernten? eine recht wohlbehütete Jugend. Sänger und Songwriter Julian Casa- Einen Vorteil hat Hammond junior ganz blancas, dessen Vater John Casablancas sicher: Sein Vater weiß, wie mit schnell einst die Modelagentur Elite gegründet verdientem Geld umzugehen ist. Albert hatte, und Albert Hammond junior, Sohn Hammond senior hat die Jungs gewarnt, des Bestseller-Barden Albert Hammond sich tolle Häuser zu kaufen: „Dann denkt senior („It Never Rains in Southern Cali- ihr nur noch an die Hypotheken statt an fornia“) liefen sich im Institut Le Rosey in die Musik.“ Christoph Dallach

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