Russen XXL Gesamtwerk
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Katalogblätter des Rollettmuseums Baden, Nr. 55 Rudolf Maurer „Gruß aus Baden“, Karikatur von Josef Müllner (1879 – 1968) Befreiung? – Befreiung! Baden 1945 - 1955 „Die Sprache der Fahne“, Karikatur von Josef Müllner (1879 – 1968) Katalogblätter des Rollettmuseums Baden, Nr. 55 Rudolf Maurer Befreiung? – Befreiung! Baden 1945 – 1955 Baden 2005 ISBN 3-901951-55-5 Einleitung I Geschichte der Besatzungszeit in Baden? Für die Badener Bevölkerung war „die Russenzeit“ eine traumatische Epoche. Bis heute ist ihre Geschichte nicht geschrieben. Eine präzise Zusammenfassung der Ereignisse, die auf eigenem Erleben, lebenslanger politischer Erfahrung und einer genauen Auswertung der Lokalpresse beruht, hat Altbürgermeister Viktor Wallner 1995 in seinem Überblickswerk „Russen, Bäder und Casinos“ geliefert.1 Die ersten Wochen und Monate nach dem Kriegsende hat Christoph Wieser in den Katalogblättern des Rollettmuseums, ebenfalls 1995, nach den damals zugänglichen Quellen im Detail nachgezeichnet.2 Einen interessanten Überblick über die Probleme Badens in der Besatzungszeit bietet die gehaltvolle und übersichtliche Diplomarbeit von Vero- nika Weninger im Rahmen einer Untersuchung über die Badener Zeitung.3 Wertvolle Einblicke gibt auch Hans Meissners große Kollmann-Biographie.4 Und das ist auch schon alles, was es an einigermaßen Zusam- menfassendem gibt. Einleitung II Ein Quellenlesebuch zum Thema „Besatzungszeit in Baden“ Auch die vorliegende Broschüre, so umfangreich sie geraten ist, ist keine Geschichte der Besatzungszeit Badens. Sie ist vielmehr als Quellenlesebuch zu den wichtigsten Themen der Zeit konzipiert. Als „wichtigste Themen“ habe ich die aufgefaßt, die immer wieder zur Sprache kommen, wenn unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger über „die Russenzeit“ sprechen. Diese Themen sind um drei Kernbereiche gruppiert: *) das Chaos der Anfangszeit 1945/46 *) die Wahlen 1949 und die Unruhen 1950 *) das Staatsvertragsjahr 1955. Als schriftliche Quellen stehen zur Verfügung: *) seit 2. Juni 1945 die „Badener Zeitung“ (BZ), die jedoch gegenüber der Besatzungsmacht und der KPÖ sehr vorsichtig auftreten muß und heikle Ereignisse meist verschweigt.5 *) seit 29. Dez. 1945 die Ratsprotokolle, die jedoch mit Vorbehalten zu lesen sind, weil sich Bür- germeister und Gemeinderäte wegen der ständigen Anwesenheit der KPÖ-Gemeinderäte immer wieder Zu- rückhaltung auferlegen mußten. *) seit 21. Sept. 1946 das ÖVP-Organ „Badener Volksblatt“, das in der Berichterstattung einen kou- ragierteren Ton anschlägt als andere Presseerzeugnisse, aber natürlich ebenfalls der Zensur untersteht. *) die Reste des Polizeiarchivs, die 2004 beim Umbau des Rathauses in einem Kellerraum aufgefun- den wurden. Es zeigte sich, daß diese Bestände etwa 1947/48 beseitigt werden sollten, wobei aber gelegent- lich das älteste Stück der jeweiligen Gattung (Protokolle, Frührapporte u.ä.) erhalten blieb: Offenbar waren die Bücher und Papiere, sobald sie nicht mehr aktuell waren, im Keller gestapelt worden, und bei der Besei- tigung wurde in einigen Fällen das unterste Stück übersehen und blieb liegen. Dadurch haben wir gerade für die chaotischen Wochen und Monate ab April 1945 vielfach bessere Quellen als für die zwei, drei Jahre dar- nach. Als Urheber der „Reinigungsaktion“ kommen am ehesten die sowjetische Besatzungsmacht oder Krei- se der Hilfspolizei in Frage – die erhaltenen Papiere sind voll von Beschwerden gegen diese beiden Institu- tionen. *) Zeitzeugenberichte in Tagebüchern, Memoiren, Reportagen, Briefen und Erzählungen, die durch das Stadtarchiv Baden in den letzten zehn Jahren gesammelt wurden. Dank Stellvertretend für die vielen Gewährsleute, die der Erzählung oder schriftlichen Ausarbeitung ihrer Berichte wertvolle Stunden geopfert haben, möchte ich mich an dieser Stelle bei meiner Mutter, Dr. Gertrud Maurer, 1 Viktor WALLNER, Russen, Bäder und Casinos. Baden von 1945 bis 1995 (Baden 1995). – Ein bequemes Nach- schlagwerk über dieselben 50 Jahre in Form einer chronologischen Aufzählung der Ereignisse von Tag zu Tag bietet: Viktor WALLNER, Von der Kommandantur zum Kongreßcasino. 50 Jahre Baden in Daten und Bildern. 1945 – 1995 (= Neue Badener Blätter, Jg.6/1995, Nr.1). 2 Christoph WIESER, 1945. Ende und Anfang in Baden (= Katalogblätter des Rollettmuseums Baden, Nr. 3; 1995). 3 Veronika WENINGER, Die „Badener Zeitung“ in der Besatzungszeit. Analyse einer Regionalzeitung (Wien, Diplom- arbeit, 2003). – Diese Arbeit war mir ein nützlicher Leitfaden bei der Auffindung von Quellentexten in der Lokalpresse. 4 Hans MEISSNER, Josef Kollmann (1868 – 1951). Bürgermeister von Baden (Baden 2000). 5 Museumsmitarbeiter Robert VORBERG hat für Archivzwecke eine nützliche Zusammenstellung aller die Besat- zungsmacht betreffenden Mitteilungen der Badener Zeitung von 1945 – 1947 verfaßt, die ich für diese Arbeit gewinn- bringend verwerten konnte. 1 bedanken. Sie hat nicht nur alle Abschnitte dieser Arbeit gegengelesen (manche sogar mehrmals), sondern auch die Papiere, Korrespondenzen und schriftlichen Aufzeichnungen unserer großen Familie zur Verfügung gestellt und in Maschinschrift übertragen. Wenn sich zu irgendeinem Thema Fragen ergaben, hatte sie gleich das richtige Stück aus dem Familienarchiv zur Hand; auch hat sie in einigen Fällen aus ihrer Erinnerung oder nach Befragung von Freunden und Verwandten Originaltexte für diese Arbeit verfaßt und ist so insgesamt zur „Kron-Zeitzeugin“ dieses Lesebuchs geworden. Die Absicht der vorliegenden Arbeit ist eine doppelte: Einerseits sollen die derzeit im Stadtarchiv Baden vorhandenen Quellen bekanntgemacht werden, andererseits soll durch die Ordnung nach Themen und zeitli- chem Ablauf ein Gesamtbild der Epoche im Originalwortlaut entstehen – Kommentare des Autors beschrän- ken sich (mit zwei Ausnahmen) auf überleitende Texte und gelegentliche erklärende oder präzisierende An- merkungen. Diese Zielsetzung bringt es mit sich, daß keine der herangezogenen Quellen vollständig publiziert ist. Für künftige Forschungen ist also noch ein reichhaltiges Material vorhanden. Es müßte möglich sein, jeden der 15 Abschnitte dieser Arbeit zu einer universitären Diplomarbeit oder Dissertation auszubauen – dies ist eine Einladung an meine Kolleginnen und Kollegen von der historischen Zunft! Einleitung III Deutsche (Österreicher) und „Russen“ Schon eingangs wurde darauf hingewiesen, daß die Erinnerung an die „Russenzeit“ (nicht nur in Baden) eine traumatische ist. Nur sehr wenige Zeitzeugen (meist solche, die damals Kinder oder sehr junge Jugendliche waren) wissen Positives zu berichten. Gerne habe ich – als Historiker zur Objektivität verpflichtet und als Mensch selbstverständlich dazu geneigt – auch diese Berichte in das vorliegende Quellenlesebuch aufge- nommen. Und doch: Insgesamt ist die Lektüre dieser Arbeit dazu geeignet, das ohnehin schon schwarze Bild dieser Zeit noch weiter zu verdüstern. Und ohne mich der heute so verbreiteten Sichtweise von „Achsen des Bösen“ anschließen zu wollen, möchte ich doch feststellen: Es konnte gar nicht anders kommen. Nach jahrelanger ideologischer Propaganda wußten sowohl die Deutschen (Österreicher) als auch „die Russen“, was sie von der anderen Seite zu halten hatten: Es handelte sich um faschistische / bolschewistische Bestien, von denen man das Ärgste zu erwarten hatte!6 Dementsprechend blieb man einander nichts schuldig: Allein bei den Kämpfen um Wien vom 3. – 13. April fielen auf deutscher Seite über 19.000, auf sowjetischer Seite über 18.000 Soldaten!7 Bei der Befreiung Österreichs waren insgesamt rund 400.000 Soldaten der Roten Armee eingesetzt – 26.000 von ihnen verloren auf österreichischem Territorium das Leben!8 Es ist daher anzunehmen, daß der einzelne sowjetische Soldat zunächst einmal mindestens so viel Angst hatte wie die Bevölkerung. Ein Badener beobachtete, daß diese Angst auch nach dem Sieg der Roten Armee nicht wich: Die Russen, die uns stets in Ängsten hielten, und daher niemand gern einem Russen begegnete, hatten selbst Angst vor uns und waren voll Mißtrauen. Wenn man hinter einem Russen ging, so sah er sich erschrocken und geängstigt um.9 Von russischer Seite wird dieser Eindruck bestätigt, die damals zwölfjährige Lydia berichtet: Ich durfte nicht mit österreichischen Kindern befreundet sein. Man sagte uns, daß wir verschwinden würden. Deshalb führ- ten die meisten Mütter ihre Kinder sogar an der Hand in die Schule.10 Nach dem Ende der Kampfhandlungen brachte die lange geschürte und in mancher Hinsicht berechtigte Angst auf beiden Seiten katastrophale Überreaktionen hervor. Bei den Siegern äußerte sie sich in Übermut und Rachsucht, die die in jedem Krieg erwachenden niedrigen Instikte ins Maßlose steigerten; bei den Be- siegten führte sie zu Verzweiflung und Selbstmord – auch in Baden legten Dutzende Menschen Hand an sich selbst und ihre Lieben. Der Historiker urteilt nicht (wenn er sich auch persönlich sein Teil denkt) – er referiert und hofft gegen alle Erfahrung, daß vielleicht doch einmal jemand aus der Geschichte lernt. 6 Vgl. z.B. BZ Jg.66/Nr.5 vom 17.I.1945. 7 Felix SCHNEIDER, Der Krieg in Österreich, Wettlauf der Armeen und Kriegsende. In: Österreich ist frei. Der Öster- reichische Staatsvertrag 1955 (Ausstellungskatalog Schallaburg 2005), 39-44, bes. 43. 8 Barbara STELZL-MARX, Die sowjetische Besatzung Österreichs 1945-1955. Zur militärischen Struktur und Verwal- tung. In: Ausstellungskatalog Schallaburg wie oben, 65-72, bes. 65. 9 Aus einem maschinschriftlichen Bericht von Guido Grundgeyer, verfaßt 1957; GB 054, Bericht 4. 10 Vgl. hier Kapitel XI, Abschnitt „Lydia, genannt die Masche“.