Amerika Erobert Hitlers Wunderwaffen
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James McGovern Spezialisten und Spione Amerika erobert Hitlers Wunderwaffen Sigbert Mohn Verlag Das amerikanische Original CROSSBOW AND OVERCAST erschien 1964 bei William Morrow & Co., New York. Deutsch von JUTTA und THEODOR KNUST © 1964 by James McGovern Alle deutschen Rechte beim Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh 1967 Einband H. P. Renner Gesamtherstellung Mohn & Co GmbH, Gütersloh Buch Nr. 592,7 • Printed in Germany Eingescannt mit OCR-Software ABBYY Fine Reader Für W. Clement Stone Inhaltsverzeichnis Erster Teil: Operation Crossbow (Armbrust) 1 Etwas Seltsames 11 2 Beim Mondschein 24 3 Operation Crossbow (Armbrust) 40 4 Kennwort Diver (Taucher) 64 5 Kennwort Big Ben 73 6 Ein schwerer Körper, der durch die Luft rauscht 83 7 Entscheidung 95 Zweiter Teil: Operation Overcast (Düster) 8 Schwarze Liste 107 9 Begräbnis 115 10 Panzerdivision Lucky Spearhead (Erfolgreiche Speerspitze) 126 11 Der Mann auf dem Fahrrad 136 12 Sondermission V 2 158 13 Schatzsuche 169 14 Exodus 182 15 Operation Overcast (Düster) 191 16 Auf Eis in der Wüste 213 17 Die Züge kamen fahrplanmässig 222 Dritter Teil: Die Nachwirkungen 18 Die Saturn-Rakete 233 Anhang: Einige Fragen und Tatsachen über die Operation Overcast/Paperclip 245 Was war Operation Paperclip (Heftklammer)? 251 Gab es eine Opposition gegen die Operationen Overcast und Paperclip? 253 Was gewannen die Vereinigten Staaten aus den Operationen Overcast und Paperclip? 255 Wurde der Fern-Flugkörper in Peenemünde erfunden? 257 Was wurde aus den an der Operation Overcast beteiligten Männern? 258 Wer leistete was? 261 Anmerkungen und Quellen 263 Register 275 Erster Teil Operation Crossbow (Armbrust) 1 Etwas Seltsames Als der Abend kam, wurde es in Dörnten still und dunkel. Jahr- hundertelang war das Dorf eine winzige, unbedeutende Berg- werksgemeinde am Nordrand des Harzes gewesen, der jäh aus der Norddeutschen Tiefebene aufsteigt. Es war der 4. April 1945. Amerikanische Kampfeinheiten be- fanden sich knapp fünfzig Kilometer vom Harz entfernt und rück- ten unaufhaltsam näher. Doch Dörnten blieb in deutscher Hand, und das Dorf unterlag den strengsten Verdunklungsvorschriften und Ausgangsbeschränkungen. Alle Lampen waren ausgeschal- tet, alle Fenster der Häuser abgedichtet; auf den Strassen sah man keinen Menschen und kein Fahrzeug. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit wurde das Schweigen ge- brochen. Ein einzelner Lastwagen holperte über das Kopfstein- pflaster von Dörntens Hauptstrasse. Mit abgeschalteten Schein- werfern bewegte sich das Fahrzeug langsam zu einem Bergwerk, gleich ausserhalb des Dorfes. Hätte jemand die schemenhafte Besatzung des Wagens beobachtet, dann hätte er sich vielleicht gefragt, weshalb sie sich gerade dieses Bergwerk aussuchte. Es besass keinerlei militäri- sche Bedeutung, ja es war bereits fünf Jahre früher aufgegeben worden, weil sein Erz nur geringe Qualität aufwies. Ausser einem älteren Verwalter und seiner Frau wohnte niemand in seiner Nähe. Und doch verhielten sich die Männer auf dem Lastwagen, als ob sie eine dringende und wichtige Sache zu erledigen hätten. Das Fahrzeug hielt vor einem offenen Stollen, der tief in den Hang eines Hügels gegraben war und in den ein Eisenbahngleis hineinführte. Sieben Soldaten und zwei Zivilisten, die Ingenieure Bernhard Tessmann und Dieter Huzel, sprangen von dem Lkw. Rasch begannen sie mit der Aufgabe, die sie an diesen verlasse- nen Ort geführt hatte: die wertvollsten Dokumente des sterbenden Dritten Reiches vor den näher rückenden Alliierten zu verbergen. Die Dokumente befanden sich in Kisten, die nun abgeladen 11 wurden; während der Nacht trafen zwei weitere Lastwagen mit Material ein. Vierzehn Tonnen in numerierten Kisten wurden schliesslich auf Flachwagen an der Stollenmündung geladen. Darauf zog eine batteriebetriebene Elektrolok die Wagen drei-, vierhundert Meter tief in den Stollen hinein und hielt an einem Querstollen. Am Ende dieses Querstollens befand sich ein kleiner trockener Raum, der früher als Pulvermagazin benutzt worden war. In der feuchten Kälte des Bergwerks stolpernd und schwit- zend, entluden die neun Männer die Kisten von den Flachwagen und schleppten sie in den kleinen Raum. Erst um elf Uhr morgens – als amerikanische Sturzbomber Dörnten überflogen – stand die letzte Kiste an ihrem Platz. Die Eisentür des Raumes wurde ver- schlossen. Dann wurde der Querstollen, der dorthin führte, mit Felsbrocken und Stempeln unsichtbar gemacht; eine Dynamitla- dung brachte die Mündung zum Einsturz. Tessmann, Huzel und die sieben Soldaten fuhren ab, über- zeugt, dass der Feind das Versteck im Bergwerk nie finden werde. Die beiden Ingenieure waren die einzigen Menschen auf der Welt, die sowohl die genaue Lage des Ortes als auch die Art des hier verborgenen Materials kannten. Die Soldaten waren von Huzel und Tessmann im Wagen eingesperrt worden, als sie sich Dörten näherten, und die Ingenieure fuhren den Lkw zum Berg- werk. Das gleiche geschah bei der Abfahrt, so dass die Soldaten, selbst wenn sie es gewollt hätten, nicht sagen konnten, wo das Versteck lag. Der Verwalter hatte Grubenhelme und -lampen zur Verfügung gestellt und bei dem Unternehmen als Führer gedient. Doch über das Material wusste er nur, dass es sich um «militäri- sche Geheimdokumente» handelte. Tatsächlich stellten diese «militärischen Geheimdokumente» jedoch einen einzigartigen wissenschaftlichen Schatz dar, nach dem in diesem Augenblick bereits alle Alliierten suchten. Die in dem Bergwerk versteckten Kisten enthielten die Konstruktions- zeichnungen und technischen Daten für «Hitlers Geheimwaffe», die erste Langstreckenrakete der Welt, die V 2. Wenn Hitler an- ders auf die Entwicklung der V 2 reagiert hätte, wäre vielleicht der ganze Krieg anders verlaufen. So waren zwar über tausend 12 Raketen gegen England abgefeuert worden, doch sie hatten Deutschland nicht vor der Niederlage bewahren können, die nun unmittelbar bevorstand. Für einen kleinen Kreis alliierter Fach- leute dagegen bedeutete die V2 selbst keinen völligen Fehlschlag. Sie hatte die Natur der Kriegführung verwandelt und ein entset- zenerregendes Bild davon hinterlassen, wie ein künftiger Krieg vielleicht aussehen könnte. Das Dritte Reich hatte nur noch weniger als einen Monat zu leben. Die britischen, sowjetischen und amerikanischen Nach- richtendienste hatten bereits den Kampf nach drei Seiten begon- nen, um die V-2-Dokumente und die Raketenfachleute, die sie entwickelt hatten, jeweils für das eigene Land sicherzustellen. Für den Wissenden stellte diese Kriegsbeute zwei unausweichliche Zukunftsentwicklungen dar: interkontinentale Raketen und gros- se Startraketen, die in der Lage waren, Menschen auf die Umlauf- bahn um die Erde, später zum Mond und vielleicht sogar zu den andern Planeten unseres Sonnensystems zu befördern. In diesem geheimen, nach drei Seiten geführten Wettkampf, dessen Ausgang das Geschick der Menschheit für die künftigen Generationen beeinflussen würde, begannen die Briten im Mai 1945 mit einem deutlichen Vorsprung vor ihren Verbündeten, obwohl es amerikanische Truppen waren, die auf den Harz vor- rückten, wo die V-2-Dokumente versteckt lagen und wo die Mehrzahl der deutschen Raketenspezialisten lebte. Es gab gute Gründe dafür, dass der britische Nachrichtendienst mehr über die V 2 und die Männer wusste, die die erste und einzige Langstrek- kenrakete gebaut hatten, als die Amerikaner oder die Russen. Huzel, Tessmann und die Soldaten, die ihnen geholfen hatten, fuhren von Dörnten in das chaotische Deutschland, das am Rande der totalen Niederlage stand. Doch zwei Jahre früher, zu einer Zeit, als man den Sieg der Alliierten endlich voraussehen konnte, hatte plötzlich infolge gewisser beunruhigender Informationen, die die britische Regierung erhielt, diese Niederlage der Deut- schen keineswegs so unvermeidlich geschienen. Damals war eine Untersuchung befohlen worden, die sich zu dem intensivsten Ab- 13 wehrunternehmen aller Zeiten auswuchs. Dieses Unternehmen sollte dazu führen, dass einer der Alliierten die führenden V-2- Fachleute und das Versteck der wissenschaftlichen Daten hinter dem gesprengten Stollen der Grube Dörnten auffinden konnte. Das Unternehmen begann mit Duncan Sandys. Duncan Sandys, ein grosser, breitschultriger Mann mit welligem rotem Haar und einem freundlichen Lächeln, wirkte wie das Mu- sterbeispiel eines aufstrebenden jungen Politikers der konservati- ven Partei. Er ging mit einem «vornehmen Hinken» und war mit Winston Churchills Tochter Diana verheiratet. Mitte April 1943, im Alter von 34 Jahren, erhielt Sandys den ersten einer Reihe von schwierigen Aufträgen, deren Erledigung ihn auf hohe Posten innerhalb der britischen Regierung * führen sollte. Die britischen Stabschefs waren beunruhigt über immer wiederkehrende Meldungen, dass die Deutschen mit Geheimwaf- fen experimentierten, und empfahlen Winston Churchill, Sandys mit der Untersuchung dieser Meldungen zu betrauen. Nach einem Monat «fesselnder Spekulationen» war Sandys so weit, dass er dem Kriegskabinett seinen ersten Bericht vorlegen konnte. Dieser Bericht konnte nicht tröstlich sein, doch Sandys hoffte, dass das Kabinett seine Sorgen teilen und dem Bericht entspre- chend handeln werde. Die alliierten Führer waren nicht selbstge- fällig, aber es liessen sich Entschuldigungen für ihre Annahme finden, dass der Sieg in Sicht sei. Die Deutschen hatten Nord- afrika, Stalingrad und die Luftherrschaft verloren, und Sizilien würde bald von den Alliierten genommen werden. Doch wenn auch Sandys zugab, dass seine Untersuchung einige unwahr- scheinliche Obertöne der bizarrsten Art von Spionageromanen aufwies, so