Interview Sigg Sigg Interview | Seite 51 Persönlich Mai 2009 Oswald Sigg

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Interview Sigg Sigg Interview | Seite 51 Persönlich Mai 2009 Oswald Sigg Seite 50 persönlich Mai 2009 | INTERVIEW SIGG SIGG INTERVIEW | Seite 51 persönlich Mai 2009 OSWALD SIGG Bundesratssprecher: Nach 170 Bundesratssitzungen und 30 Jahren Tätigkeit im Bundesdienst wurde Oswald Sigg Ende März von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz verabschiedet. Im Gespräch mit “persönlich” blickt der ehemalige Vizekanzler und Bundesratssprecher auf seine Karriere zurück, spricht über die aktuelle Regierungskrise, Ogi, Couchepin, Ritschard und Blocher und wagt einen Blick in die Zukunft. Interview: Matthias Ackeret Bilder: Marc Wetli Herr Sigg, als Sie am 1. August 2005 werden. Dabei gilt ein althergebrachtes Prin- kumente bewilligen oder korrigieren lassen. zum Vizekanzler der Schweizerischen zip: Je gravierender das Geschäft, desto zu- Diese müssen die bundesrätlichen Entscheide Eidgenossenschaft ernannt wurden, haben Sie den rückhaltender ist man im Grunde genommen exakt wiedergeben. Zudem muss er die Pres- Begriff “Transparente Information” geprägt. in der Information – ausser es handelt sich um sekonferenzen organisieren und sich um die Was verstanden Sie darunter? einen Entscheid. In diesem Fall wird in aller Nachbearbeitung der Kommunikation küm- Ich bedaure, dass Sie sich an diesen Begriff Regel darüber informiert, nicht jedoch über mern. Man kann diese Arbeit nicht mit jener erinnern. Ich habe seinerzeit im Übermut den die Art und Weise, wie er zustande gekommen in den Nachbarstaaten vergleichen. Dort tritt Mund ein bisschen zu voll genommen. Damals ist. Für die Kommunikation einer Kollegialre- der Sprecher der Regierung mandatiert vom war ich ein “junger” Vizekanzler im Alter von gierung muss es unerheblich sein, wer welche Premierminister oder Ministerpräsidenten in 61 Jahren und hatte das Gefühl, die kleine Argumente für und wer welche Argumente Erscheinung. Diese Einrichtung existiert in Welt der bundesrätlichen Kommunikation än- gegen eine Vorlage verwendet hatte. Die Bun- der Schweiz bekanntlich nicht. dern zu müssen. Als Informationsbeauftragter desverfassung bestimmt, dass der Bundesrat der Bundesverwaltung kollegial entscheidet, Apropos Entscheidungen: Gab Ihnen der Bundesrat bekommt man oft den “Ich habe seinerzeit im Übermut also eigentlich ohne im Vorfeld einer Medienkonferenz vor, wie viel Sie Eindruck, der Bundes- den Mund ein Abstimmung einen preisgeben dürfen, oder lag dies in Ihrem Ermessen? rat sei eine Art Black- Kompromiss sucht. Die primäre Kommunikation ist prinzipiell bisschen zu voll genommen.” box. Man sieht zwar, Auch wenn einer der den Bundesräten überlassen. Im Bundesrat was rein- und nachher Bundesräte in der wird vereinbart, was der zuständige Departe- rauskommt, in der Mitte aber befindet sich Sitzung gegen einen Entscheid opponiert hat, mentschef über das Geschäft und die damit eine dunkle Waschmaschine ohne Sichtglas. muss er ihn anschliessend ohne Vorbehalte verbundenen politischen Ziele sagt. Handelt Deshalb schien mir, man müsse die Vorgänge unterstützen. Dies ist am besten möglich, es sich um ein wichtiges Geschäft, bespricht im Bundesratszimmer und die Entscheidungs- wenn die verschiedenen Positionen gar nicht der Bundesrat die Kommunikation darüber prozesse ein wenig sichtbarer machen. erst bekannt werden. während der Bundesratssitzung. Warum ist dies letztlich nicht gelungen? Aus Ihren Äusserungen spüre ich eine gewisse Derzeit befindet sich die Schweiz in einer veritablen Das hat vor allem mit dem Sitzungsgeheim- Resignation. Kann ein Regierungssprecher in der Krise. Das Bankgeheimnis löst sich auf, aber auch nis zu tun. Die wichtigsten Geschäfte, welche Schweiz also nichts verändern? unser Verhältnis zur OECD und zu den deutschen der Bundesrat behandelt, sind mit grüner Far- Nur wenig, weil die Kommunikation gänzlich Nachbarn ist sehr gespannt. In diesem Zusammen- be gekennzeichnet, was so viel wie “streng in der Verantwortung des Bundesrates als hang hört man immer wieder den Vorwurf, dass der vertraulich” bedeutet. Es handelt sich um Gesamtbehörde liegt. Der Regierungsspre- Bundesrat schlecht kommuniziere. nur gerade zehn Exemplare, die an die sie- cher muss sich um die Organisation der Kom- Ach, das ist eine Standardformel. Wenn ir- ben Bundesräte und die drei Bundeskanzler munikation kümmern und die schriftlichen, gendwo in der Schweiz eine Krise ausbricht, beziehungsweise Vizekanzler weitergegeben durch die Departemente vorbereiteten Do- ist meistens die Kommunikation schuld. “Es ist ganz einfach: Wenn irgendwo in der Schweiz eine Krise ausbricht, ist meistens die Kommunikation schuld.” Seite 52 persönlich Mai 2009 | INTERVIEW SIGG Trotzdem muss die Behauptung nicht falsch sein ... Das heisst? Seit 1848 verfügt die Schweiz über sieben Bundes- Zweifellos. Aber es gibt vor allem in kri- Ich spreche von gewissen Grundkriterien, räte. Ist dieses System überhaupt noch zeitgemäss? tischen Situationen Massnahmen, welche wie Wahrheit, Sachlichkeit, Regelmässigkeit, Absolut. Bereits nach der ersten Revision man nicht sogleich kommunizieren darf. Bei- umfassende Information und wenn möglich der Bundesverfassung im Jahre 1874 hat man spielsweise aus Gründen des Persönlichkeits- Transparenz. Diese Regeln gehören zum schon ansatzweise von einer Vergrösserung schutzes oder wegen der Börsenrelevanz des Handwerk und bekommen in einer Krise eine des Bundesrates gesprochen, später gab es Entscheids. ganz besondere Bedeutung. auch Volksinitiativen, welche das gleiche Ziel verfolgten. Grund dieser Vorstösse war aber Kann man die aktuelle aussenpolitische Situation Trotzdem noch ein Wort zur aktuellen Situation. nicht die Überbelastung des Gremiums, son- mit andern Krisen vergleichen, die Sie erlebt haben? Könnte die Kommunikation nicht Gegensteuer dern die Frage, wie man dessen politische Ich denke beispielsweise an die Auseinandersetzung geben, sollte der Eindruck entstehen, der Bundesrat Repräsentation verbessern könnte. Zuerst um die Holocaust-Gelder vor zwölf Jahren. sei führungsschwach? wollten die Katholisch-Konservativen in den Bei der Einschätzung von Krisen bin ich immer Nein, denn die Kommunikation kann und darf Bundesrat einziehen, dann die Sozialdemo- sehr vorsichtig. Glücklicherweise gibt es für in keinem Fall besser sein wollen als die Po- kraten. In den letzten Jahrzehnten ist der deren Bewertung keinerlei Massstäbe. Es gibt litik, die sie vermittelt. Andernfalls wäre sie aussenpolitische Bereich wichtiger geworden. lediglich ein subjek- unglaubwürdig. Die Gerade die bilateralen Verträge bringen der tives Gefühl, welches “Kommunikation kann und darf in kommerzielle Kom- Verwaltung sehr viel Arbeit. Auch sind die vor allem durch die keinem Fall besser sein wollen munikation, Werbung, Ansprüche des Parlaments gestiegen. Aber Medien geprägt ist. PR und Sponsoring, das tägliche Regierungsgeschäft, welches von als die Politik, die sie vermittelt.” Die Erfahrung zeigt, funktionieren ganz an- sieben Magistratinnen und Magistraten ver- dass man in hektischen ders als die Kommuni- antwortet wird, hat sich bezüglich Volumen Zeiten nicht irgendwelche Krisenschablonen kation im Bereich öffentlicher Belange. und Komplexität in den letzten Jahrzehnten anwenden kann, sondern dann vor allem nach nicht allzu stark verändert. den herkömmlichen Regeln des Handwerks Dann kann die Kommunikation an der jetzigen kommunizieren soll. Dabei stehen vor allem Situation nichts ändern? Blicken wir auf Ihre Karriere zurück: Welches professionelle und auch ethische Prinzipien Nein. Es ist an der Politik, eine Situation zu war die schwierigste Situation, mit welcher Sie im Vordergrund. verändern. konfrontiert wurden? SIGG INTERVIEW | Seite 53 persönlich Mai 2009 Schwierig zu sagen. Ein konkreter Vorbote der Nichtwiederwahl Blochers war sicherlich die Holenweger-Affäre. Die Geschäftsprüfungs- kommission unter der Leitung von National- rätin Meier-Schatz nahm im September 2007 Alt-Bundesrat Christoph Blocher ins Visier. Blocher hatte den Bericht als Verschwörung gegen seine Person empfunden, in welcher auch andere Bundesräte verwickelt seien. Seine Kollegen haben dies natürlich anders gesehen. Dies war nicht nur für Blocher eine schwierige Zeit, sondern auch für das ganze Kollegium. Hat sich das Klima innerhalb des Bundesrates nach der Abwahl Blochers wirklich verändert, wie oftmals behauptet wird? Das Klima hat sich sicherlich verändert, vor allem weil heute alle dasselbe Ziel verfolgen, nämlich gute Lösungen zu finden. Wenn in einem Gremium ein Mitglied von vornherein nicht bereit ist, andere als die seinige Lösung zu akzeptieren, dann sind Probleme unver- meidbar. Unsere Regierung hat aber den Auf- trag, kollegial zu entscheiden: Als Christoph Blocher noch Teil des Gremiums war, gab es selten Konsens in den grundlegenden Fragen. Blocher orientierte sich letztlich stärker an den Interessen seiner Partei als an den Inte- ressen des Bundesrates und des Landes. Trotzdem hört man gerade in letzter Zeit immer wieder, dass unsere Regierung zerstritten sei. Haben Sie dies auch so erlebt? Ach wissen Sie, manchmal verträgt es das Hüsteln nicht, ohne dass die Medien von ganz grundlegenden Zerwürfnissen berichten. Nein: Im Bundesrat ist wohl hie und da Un- mut festzustellen, aber alles in allem arbeitet man gut und konstruktiv zusammen. Bevor Sie Bundesratssprecher wurden, waren Sie als Pressesprecher für die Bundesräte Willy Ritschard, Otto Stich, Adolf Ogi, Samuel Schmid und Moritz Leuenberger tätig. Hat sich die Arbeit bei den einzelnen Magistraten stark unterschieden? Ja, sicher. Das Amt eines Bundesrates ist ei- gentlich ein Verschleissjob, das war bei allen gleich, aber sie prestierten das unterschied-
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