Franz Jägerstätter und der gerechte Krieg. Ein oberösterreichischer Bauer als Wegbereiter der modernen bellum iustum-Theorie der katholischen Kirche

Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra theologiae

eingereicht von Stefanie Flattinger bei

Ao. Univ.-Prof. Dr. Kurt Remele Institut für Ethik und Gesellschaftslehre an der Kath.-Theol. Fakultät der Karl Franzens- Universität Graz

Graz 2009 Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung...... 5 1. Die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.8 1.1 Definition ...... 8 1.1.1 Das ius ad bellum...... 8 1.1.2 Das ius in bello...... 9 1.1.3 Wehrdienstverweigerung und bellum iustum-Theorie ...... 10 1.2 Historische Entwicklung...... 11 1.2.1 Die frühe Kirche ...... 11 1.2.2 Augustinus ...... 12 1.2.3 Legitimierung der Kreuzzüge ...... 14 1.2.4 Das Dekret Gratians...... 15 1.2.5 Thomas von Aquin...... 15 1.2.6 Reformation ...... 16 1.2.7 Spanische Spätscholastik und Neuzeit...... 16 1.2.8 Erster Weltkrieg und katholische Friedensbewegung...... 18 1. 3 Die Anwendung der Theorie und ihr Scheitern im Zweiten Weltkrieg...... 20 1.3.1 Stellungnahmen österreichischer Bischöfe...... 22 1.3.2 Situation in Oberösterreich ...... 25

2. Franz Jägerstätters Ablehnung des Zweiten Weltkrieges ...... 25 2.1 Kindheit und Jugend ...... 25 2.2 Brief an den Patensohn ...... 27 2.3 Hochzeit und Ehe mit Franziska...... 29 2.4 Traum 1938...... 30 2.4.1 Konsequenz: „Nein“ bei der Abstimmung über den Anschluss ...... 30 2.4.2 Zeichen des Widerstandes...... 31 2.4.3 Zeichen der Wohltätigkeit...... 32 2.5 Erste Einberufung (Oktober 1940- April 1941) und Eintritt in den Dritten Orden ...... 32 2.6 1941- 1943: Endgültige Entscheidungsfindung...... 36 2.7 Die Texte Franz Jägerstätters...... 38 2.7.1 Gegen den Strom schwimmen!...... 39 2.7.2 Gehorsam ...... 40 2.7.3 Ziviler Ungehorsam ...... 41

Seite 2 2.7.4 Die Ungerechtigkeit dieses Krieges...... 44 2.7.5 Ein Beispiel sein! ...... 46 2.8 Der Rat der Geistlichen...... 47 2.9 Gefängniszeit ...... 49 2.9.1 In Enns und Linz...... 49 2.9.2 Sanitätsdienst als Hoffnung ...... 51 2.9.3 Verurteilung zum Tod...... 53 2.9.4 Die Bibel als Entscheidungsgrundlage und Halt ...... 53 2.9.5 Tod durch Hinrichtung...... 54

3. Die Radikalisierung der katholischen bellum iustum-Theorie nach dem Zweiten Weltkrieg ...... 56 3.1 Papst Pius XII...... 56 3.2 Johannes XXIII. und die päpstliche Enzyklika „Pacem in terris“ (1963)...... 57 3.3 Die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“...... 58 3.4 Der amerikanische Pastoralbrief „The Challenge of Peace“ (1983)...... 60 3.5 Katechismus der Katholischen Kirche (1993) ...... 61 3.6 Das deutsche Friedenswort „Gerechter Friede“ (2000)...... 63

4. Die Neubewertung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen nach dem Zweiten Weltkrieg...... 64 4.1 Absolute vs. Selektive Wehrdienstverweigerung ...... 64 4.2 Papst Pius XII...... 64 4.3 Die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“...... 65 4.4 Stellungnahme von Erzbischof Thomas Roberts SJ ...... 66 4.5 Der amerikanische Pastoralbrief „The Challenge of Peace“ (1983)...... 69 4.6 Katechismus der Katholischen Kirche (1993) ...... 70 4.7 Wehrdienstverweigerung als Menschenrecht ...... 71

5. Die posthume Würdigung Franz Jägerstätters...... 71 5.1 Ablehnende Haltung in Österreich...... 72 5.2 Franz Jägerstätter und die U.S.- amerikanische Friedensbewegung...... 74 5.3 Würdigung Franz Jägerstätters durch die offizielle katholische Kirche in Österreich .. 75 5.3.1 Vortrag von Bischof Christoph Schönborn ...... 76 5.3.2 Aufhebungsbeschluss des Todesurteils...... 76

Seite 3 5.4 Seligsprechung...... 77 5.5 Franziska Jägerstätter...... 77

6. Zusammenfassung und Resümee ...... 78

7. Literaturverzeichnis ...... 82

Seite 4 0. Einleitung

„Worte, heißt es zwar, belehren, Beispiele aber reißen hin.“1 Dieser Satz von Franz Jägerstätter, aus seinen Aufzeichnungen während seiner letzten zwei Lebensjahren, trifft für mich in zweifacher Hinsicht genau auf sein Leben zu: 1. Er lebte und starb im Geiste des Evangeliums und der Märtyrer, die er so bewunderte. Für ihn waren sie es, die die christliche Botschaft am authentischsten vermittelten, von ihnen las er viel und war hingerissen, von ihrem Mut und der Stärke, mit der sie sogar bereit waren für Christus, ihren Erlöser, zu sterben.

Zum anderen entwickelte er sich selbst immer mehr zu einem von ihnen, einem, der bereit war, sein Leben für Jesus Christus und seine Überzeugung hinzugeben, weil er davon überzeugt war, dass er das Richtige tat. Vielleicht zeigt sich in diesem Satz auch die prophetische Ahnung Jägerstätters, dass er nach seinem Tod zu eben einem solchen Beispiel werden würde und Menschen auf der ganzen Welt mit seinem Beispiel hinreißen würde. Sein mutiges Auftreten und sein konsequentes Nein zum Nationalsozialismus machen ihn zu einem herausragenden Beispiel des Widerstandes. Heute, mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges lebt sein Erbe weiter und hilft, auch Nein zu sagen, mutig zu sein und seiner eigenen Überzeugung und seinem Gewissen mehr zu gehorchen als einer irdischen Macht.

Nicht nur einzelnen Menschen ist er ein hinreißendes Beispiel, auch im größeren Rahmen hat er etwas bewirkt, das nur wenige schaffen: eine Veränderung in der katholischen Kirche selbst. Nicht nur eine Neubewertung der Lehre vom gerechten Krieg wurde im Zweiten Vatikanischen Konzil vollzogen. Ausdrücklich auf sein Beispiel hin gab es auch eine Neubewertung der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen.

Das dem Evangelium gewidmete, hingebungsvolle Leben eines einfachen oberösterreichischen Bauern wurde immer mehr zum eindrücklichen Beispiel eines mündigen Laien2. Die Kirche ist nicht mehr geteilt zwischen Zuhörenden und Verkündenden, sie ist mehr zu einem gemeinsamen Raum für alle ChristInnen geworden. Höhepunkt dieser

1 Jägerstätter, Franz: Heft 2. Läßt sich noch etwas machen?, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 147. 2 Lumen Gentium 30: „Gewiss richtet sich alles, was über das Volk Gottes gesagt wurde, in gleicher Weise an Laien, Ordensleute und Kleriker.“ Seite 5 Anerkennung war sicherlich 2007 die Seligsprechung Jägerstätters, mit der er offiziell zu dem wurde, was er längst für viele war: ein hinreißendes Beispiel.

In dieser Arbeit soll die Entwicklung der katholischen Kirche zum Thema „gerechter Krieg“ gezeigt werden. Kapitel 1 widmet sich der historischen Genese der Theorie und zeigt auf, dass diese immer wieder dazu missbraucht wurde, um Kriege zu legitimieren, anstatt sie, wie ursprünglich gedacht, zu beschränken. Während des 20. Jahrhunderts gab es zwei einschneidende Ereignisse, die die Lehre veränderten: den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Überlebte die Theorie, trotz ihres offensichtlichen Missbrauchs den 1. WK, bis auf wenige Ausnahmen (Franziskus Maria Stratmann) relativ unbeschadet, so wurde ihr Scheitern im 2. WK offensichtlich: die Kirche hatte sich hinreißen lassen, Hitlers Vernichtungsfeldzug nicht mit Hilfe der Theorie zu verurteilen, sondern forderte ihre Mitglieder noch auf, ihren Dienst als brave Soldaten zu verrichten. Noch in den 1950er Jahren, besonders bei seiner Weihnachtsbotschaft 1956 proklamierte Papst Pius XII., dass Wehrdienstverweigerer mit einem irrigen Gewissen handelten.3

Kapitel 2 beschreibt das Leben und Sterben Franz Jägerstätters. Aufgrund seiner Überzeugung, dass der Krieg, den Hitler führte, nicht gerecht sei (er durchschaute die Ausrede, dass dies ein Krieg gegen den „gottlosen Bolschewismus“ sei, als Lüge), und der Konsequenz, die er daraus zog, nämlich den Wehrdienst zu verweigern, musste er sterben. 1943 wurde er wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tod verurteilt und hingerichtet. Das Kapitel beleuchtet sein Leben, seine Gewissensbildung und seine Überzeugung anhand seiner Aufzeichnungen.

Anschließend wird in Kapitel 3 die Neubewertung des Krieges nach dem Zweiten Weltkrieg beleuchtet. Mit Hilfe verschiedener kirchlicher Texte soll dabei aufgezeigt werden, dass sich die Lehre vom gerechten Krieg zwar verändert hat, sie aber immer noch wesentlicher Bestandteil der kirchlichen Lehre ist. Es soll gezeigt werden, dass Franz Jägerstätter die Lehre, wie sie in ihrer heutigen Form besteht, bereits Jahrzehnte davor gelebt hat.

3 Pius XII., Das christliche Menschenbild als Richtweiser in den sozialen und politischen Fragen der Gegenwart. Weihnachtsbotschaft vom 23. Dezember 1956. In: Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII. Hrsg. Von A.-F. Utz und J.- F. Groner. III. Band, Freiburg/S 1961, Nr. 4413. zitiert in: Palaver, Wolfgang: Franz Jägerstätter und die Entwicklung der katholischen Friedenslehre nach dem Zweiten Weltkrieg, Seite 245, in: Riedl, Alfons und Schwabender, Josef (Hrsg.): Franz Jägestätter. Christlicher Glaube und politisches Gewissen. Fußnote 9.

Seite 6 Kapitel 4 widmet sich dem neuen Verständnis der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und zeigt auf, dass Franz Jägerstätter einen bedeutenden Beitrag in dieser Diskussion geleistet hat. Anhand verschiedener kirchlicher Texte nach dem Zweiten Weltkrieg soll diese Neubewertung dargestellt und besprochen werden.

In Kapitel 5 geht es allgemein um die Wirkungsgeschichte Franz Jägerstätters auf verschiedene kirchliche Bereiche. Seine Rezeptionsgeschichte in Österreich soll betrachtet werden. Besonders wird sein Einfluss auf verschiedene Menschen in den USA diskutiert werden, die sich sein Zeugnis als Vorbild für ihre eigenen pazifistischen Überzeugungen nahmen.

Seite 7 1. Die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

1.1 Definition

Die katholische Lehre vom gerechten Krieg hat eine lange Genese hinter sich. Intendiert als eine „gewaltbewehrte Form der Friedenswahrung“4, wurde sie immer wieder als Rechtfertigung für interessensbedingte Kriege der Herrschenden vorgeschoben und wurde somit zu einer „Kriegsrechtfertigungslehre“5.

Die Lehre gliedert sich traditionell in zwei Bereiche: das ius ad bellum (das Recht zum Krieg, i.e. welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um einen Krieg beginnen zu dürfen) und das ius in bello (das rechte Verhalten im Krieg, i.e. das Verhalten einzelner Soldaten und der Armee insgesamt im Krieg). An dieser Stelle soll eine kurze Auflistung und Beschreibung der klassischen Kriterien erfolgen, in Kapitel 3 wird die Lehre, wie sie heute in der katholischen Kirche vertreten und gelehrt und in verschiedenen kirchlichen Dokumenten beschrieben wird, dargestellt.

1.1.1 Das ius ad bellum 1. Gerechter Grund 2. Legitime Autorität 3. Rechte Absicht 4. Krieg als letztes Mittel 5. Wahrscheinlichkeit des Erfolges

Ad 1): Traditionell ist der einzig legitime Grund für einen Krieg die Verteidigung, das heißt, dass man im Fall eines Angriffes oder der klaren Bedrohung auch mit militärischen Mitteln zurückschlagen darf.6 Der Grundsatz, dass es sich um Verteidigung handeln muss, wurde

4 Palaver, Wolfgang: Vom „gerechten Krieg“ zum „gerechten Frieden“, Seite 102. 5„Die Rolle des Gewissens am Beispiel der Kriegsdienstverweigerung und am Modell Franz Jägerstätter“, http://www.bildungsservice.at/rpi/medien/inhalt/Heilige_Selige/j%C3%A4gerst%C3%A4tter/merkblatt.doc [abgerufen am 19.03.2009]. 6Vgl. „Die Lehre vom gerechten Krieg“, http://www.friedenspaedagogik.de/themen/kriegsgeschehen_verstehen /krieg/gerechter_krieg/die_lehre_vom_gerechten_krieg [abgerufen am 19.03. 2009]. Seite 8 allerdings im Laufe der Geschichte immer wieder für die eigene Position missbraucht. In diesem Sinne wurde auch Bestrafung von Völkern als gerechten Grund angesehen.

Ad 2): Mit diesem Grund soll verhindert werden, dass Privatpersonen bzw. einzelne Gruppen Kriege ausrufen und diese als legitim rechtfertigen können. Nur der Regierung eines Staates ist es erlaubt einen Krieg zu erklären.

Ad 3): Die Entscheidung in einen Krieg zu ziehen, muss mit der rechten Absicht, nämlich der Absicht den Frieden zu fördern oder wieder herzustellen geschehen. Jede andere Absicht, wie beispielsweise Rache, Eroberung fremder Gebiete oder wirtschaftlicher Gewinn, ist ungerecht und falsch.7 Uneinlösbare Forderungen, wie z.B. bedingungslose Kapitulation sind ebenso zu unterlassen, da sie einen positiven Ausgang eines Krieges, die Wiederherstellung des Friedens, behindern.

Ad 4): Krieg darf immer nur das letzte Mittel zur (Wieder-) Herstellung des Friedens sein. So lange nicht alle anderen, nicht kriegerischen Möglichkeiten zur Beseitigung eines Konfliktes ausgeschöpft sind (zum Beispiel Gespräche, Verhandlungen, wirtschaftliche Sanktionen) , ist Krieg illegitim.

Ad 5): Bevor ein Krieg begonnen wird, gilt es herauszufinden, wie die Chancen auf einen erfolgreichen Ausgang des Krieges stehen. Es muss eine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass das gerechte Ziel eines Krieges erreicht werden kann. Ist dies nicht der Fall, ist es unmoralisch Zerstörung und Vernichtung zu verursachen. Außerdem ist, bevor der Krieg begonnen wird, festzulegen, wie der zu erreichende Erfolg aussehen soll.8

1.1.2 Das ius in bello 1. Verhältnismäßigkeit der Mittel 2. Unterscheidung zwischen Kämpfenden und Nichtkämpfenden (Diskriminierungsprinzip)

7Vgl. „Die Lehre vom gerechten Krieg“, http://www.friedenspaedagogik.de/themen/kriegsgeschehen_verstehen /krieg/gerechter_krieg/die_lehre_vom_gerechten_krieg [abgerufen am 19.03. 2009]. 8Vgl.Ebenda. Seite 9 Ad 1): Zwischen den Kosten und Schäden, beziehungsweise dem Nutzen, den ein Krieg bringen soll, muss eine angemessene Verhältnismäßigkeit bestehen. Die Kraft, die man einsetzen soll um den Frieden wieder herzustellen, soll nicht größer und zerstörerischer sein, als benötigt wird. Die Übel, die durch den Krieg verursacht werden, dürfen nicht größer sein als das zu beseitigende Unrecht.9

Ad 2): Die Unterscheidung zwischen kämpfender und nicht-kämpfender Bevölkerung ist unbedingt einzuhalten. Es ist nicht erlaubt nicht-militärische Ziele zu vernichten und es muss alles versucht werden, um zivile Orte nicht zu zerstören. So genannte „Kollateralschäden“ sind, auch wenn dies in der Realität nicht immer gelingt, so gering wie möglich zu halten.

Laut bellum iustum-Theorie darf ein Krieg nur begonnen werden, wenn alle diese Kriterien erfüllt werden.10 Die Geschichte allerdings zeigt, dass dies nie eingehalten wurde. Im Folgenden soll ein historischer Überblick die wichtigsten Entwicklungsschritte der Lehre bis zum Zweiten Weltkrieg darstellen.

1.1.3 Wehrdienstverweigerung und bellum iustum-Theorie Wehrdienstverweigerung, sei es aus religiösen oder aus Gewissensgründen, gehört nicht zu den klassischen Themen der Moraltheologie. In ihr ging es hauptsächlich um das ius ad bellum, sowie das ius in bello. Die zuständigen Autoritäten hatten das Recht und die Pflicht, die für die Erfüllung der Aufgaben nötigen Soldaten in den Dienst zu stellen, die Untergebenen mussten der Obrigkeit Gehorsam leisten. Dies galt allerdings nur so lange diese nicht Unrechtes verlangte. Da die Herrschenden aber dazu verpflichtet waren, den allgemeinen Frieden herzustellen, war dies etwas Gutes und Rechtes und man hatte ihren Befehlen zu gehorchen. Der Grundsatz war, dass man für eine gute und gerechte Sache im Sinne der Obrigkeit kämpfte, das Gemeinwohl stand deshalb über dem Einzelwohl. Aus diesem Grund gab es keine Wehrdienstverweigerung. Begründet wurde dies durch das naturrechtliche Staatsverständnis.11 Hierbei wird der Staat als eine dem Wesen der menschlichen Natur entsprechende Vergemeinschaftung verstanden.

9 Vgl. „Die Lehre vom gerechten Krieg“,http://www.friedenspaedagogik.de/themen/kriegsgeschehen_verstehen /krieg/gerechter_krieg/die_lehre_vom_gerechten_krieg [abgerufen am 19.03. 2009]. 10Vgl.Ebenda. 11 Vgl. Molinski, Waldemar: Franz Jägerstätters Wehrdienstverweigerung im Dritten Reich, Seite 223- 224. Seite 10 1.2 Historische Entwicklung

1.2.1 Die frühe Kirche Die ChristInnen der ersten drei Jahrhunderte hielten sich an das neutestamentliche Ethos der Gewaltlosigkeit, Nächsten- und Feindesliebe, da sich für sie auf diese Weise die nahende Gottesherrschaft zeigte. Zur Orientierung für ein solches Leben halfen zahlreiche Bibelstellen des „Evangelium des Friedens“ (Eph 6, 15): „Strebt voll Eifer nach Frieden mit allen“ (Hebr12, 14a), „Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ (Mt 5, 39), „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5, 43-44) und das Gebot „Du sollst nicht töten“ (Dtn 5, 17; Ex 20, 13).12

Die vorkonstantinische Kirche hielt an der wörtlichen Erfüllung der Forderung der jesuanischen Gewaltlosigkeit fest, sie sah sich dem Pazifismus verpflichtet. Allerdings hatten sich die neutestamentlichen Autoren nie die Frage zu stellen, wie man mit weltlicher, politischer Macht aus christlicher Sicht umzugehen habe, da für sie die Naherwartung des angekündigten Reich Gottes meist im Vordergrund stand. Außerdem befand sich die Kirche zu dieser Zeit in einer eklatanten Außenseiterposition.

Als 313 Kaiser Konstantin zum Christentum übertrat und es somit zur Staatsreligion erhob, änderte sich die Lage: nicht nur Freiheit war nun gegeben, sondern auch politische Macht.13 Der Kaiser und Christus standen sich nicht mehr als Gegner gegenüber, sondern kämpften für die gleiche Sache. Der Kaiser konnte jetzt seine eigenen politischen Ziele mit dem Willen Gottes identifizieren. Somit war der politischen Verzweckung des Evangeliums Tür und Tor geöffnet. 14 Bereits im Jahr 314 verfügte die Synode von Arles die Exkommunikation fahnenflüchtiger Soldaten in Friedenszeiten. Damit wurde die bis dahin geltende Überzeugung, dass Christsein und der Soldatenberuf nicht miteinander vereinbar wären, obsolet.15

12 Alle biblischen Zitate aus: Die Bibel. Einheitsübersetzung. 13 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 73. 14 Vgl. Nagel, Ernst: Die Stellung der Kirche zu Krieg und Frieden, Seite 37-38. 15 Vgl. Marggraf, Eckhart und Röhm, Eberhard (Hrsg.): Kirche, Krieg und Frieden, Seite 24. Seite 11 1.2.2 Augustinus Augustinus gilt als Begründer der christlichen bellum iustum-Theorie. In der für das junge Christentum neuen Situation der Macht entwickelt er Kriterien, die beurteilen, in welchen Fällen Kriege als legitimierbar anzusehen sind, um somit die Teilnahme von Christen an Kriegen zu gewährleisten, ohne dass sie in Gewissenskonflikte kommen müssen. Er greift dabei auf die in der römischen Naturrechtsphilosophie vorkommende Lehre vom gerechten Krieg zurück (vor allem von Cicero entwickelt) und vertieft und interpretiert sie christlich- theologisch.16 Problematisch ist hierbei, dass die Lehre keine biblische Grundlage hat und er sich somit auf ein kompliziertes Gedankenkonstrukt stützen muss.

In seinem Hauptwerk De civitate dei stellt Augustinus seine dualistische Zwei-Reiche-Lehre vor: die civitas dei (Gottesbürgerschaft) wird der civitas terrena (Erdenbürgerschaft) gegenübergestellt. Obwohl es auf der Welt noch nicht den endgültigen Frieden des Reich Gottes geben kann (weil noch nicht alle Menschen Christen sind), so ist doch ein relativer irdischer Friede möglich. Dieser ist Bedingung zum endgültigen Frieden. Diesen weltlichen Frieden zu gewährleisten ist für Christen wichtig, da er das Reich Gottes ankündigt.

Die Christen als Bürger des irdischen Gemeinwesens haben nun die Aufgabe diesen Frieden mit allen Mitteln zu verteidigen und notfalls auch auf den Frieden gerichtete Kriege zu führen.17 Kriege entstehen, wenn Völker ihrer sittlichen Pflicht, sich dem Christentum anzuschließen nicht Folge leisten. Ihres eigenen ewigen Wohles wegen müssen sie zum Frieden durch Krieg gezwungen werden. Der Krieg ist zwar ein Übel, aber wenn es sich (wie in dem angeführten Fall) um einen gerechten Krieg handelt, ist er das geringere Übel.18 Die Welt verlangt in ihrer Erlösungsbedürftigkeit nach anderen Gesetzen und Maßstäben als die göttliche Ewigkeit.19

Um die Lehre auch biblisch zu untermauern, führt Augustinus zwei Stellen an: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ (Mk 12, 17 par) und die Begegnung Jesu mit dem Hauptmann von Kafarnaum, von dem er nicht verlangt seine militärische Stellung aufzugeben (Mt 8, 5-13 par).

16 Vgl. Beestermöller, Gerhard: Art. Krieg, Seite 476. 17 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 75. 18 Vgl. Nagel, Ernst: Die Stellung der Kirche zu Krieg und Frieden, Seite 39-40. 19 Vgl. Gründel, Johannes: Das Freidenswort der deutschen Bischöfe, Seite 91. Seite 12 Damit ein Krieg nun wirklich als gerecht gelten kann, führt Augustinus drei Bedingungen an: 1. Er muss durch eine rechtmäßige Obrigkeit erklärt werden (legitima auctoritas). 2. Er muss aus einem gerechten Grund geführt werden (causa iusta). 3. Er muss mit dem Willen zum Frieden geführt werden (intentio recta).20

Für ihn kann auch ein Angriffskrieg gerecht sein, sofern er diesen Bedingungen entspricht. Die mittelalterliche Tradition hat dies von Augustinus übernommen und so wurden häufig Kriege „auf Geheiß Gottes geführt.“21 Die Christen, als „Vertreter der wahren Religion“ und oft sogar in Solidarität mit den Opfern (da diese keine Christen waren und somit Hilfe zur Erlangung des ewigen Heils bedurften), fühlten sich immer wieder zu strafender Gewaltanwendung den Gegnern gegenüber berechtigt.22

Für den Fall des Zweifels an der Gerechtigkeit eines Krieges schreibt Augustinus mit Verweis auf Röm 13, 1-223: „Wenn es also einem Gerechten zustößt, unter einem unwürdigen König Kriegsdienst zu leisten, so kann er ohne Verstoß gegen die Gerechtigkeit seinen Befehl ausführen, wenn es feststeht, dass dieser Befehl nicht dem Gesetz Gottes zuwiderläuft, oder wenn es wenigstens nicht feststeht, dass er ihm zuwiderläuft; es kann also geschehen, dass der König sich durch seinen ungerechten Befehl schuldig macht, während der Befehl ausführende Soldat schuldlos bleibt.“ 24

Dieses Moralprinzip „in dubio pro auctoritate“ (im Zweifelsfall für die Obrigkeit), das die Kämpfenden in ihren Gewissensentscheidungen leiten sollte, ist eines der markantesten Eckpfeiler der bellum iustum Lehre, obwohl es nicht ausdrücklich in der Lehre angesprochen wird. Die katholische Kirche hielt an diesem Prinzip bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich fest, erst in den 1960er Jahren wurde das Scheitern der Lehre in diesem Sinn anerkannt.25

20 Vgl. Beestermöller, Gerhard: Art. Krieg, Seite 476. 21 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 77. 22 Palaver, Wolfgang: Vom „gerechten Krieg“ zum „gerechten Frieden“, Seite 104. 23„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.“ 24 Contra Faustum XXII 75: CSEL 25/1, S. 673 F.; Übers. Ernst Reibstein, Völkerrecht I., Freiburg/München 1957, S. 135, zitiert in: Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 78. 25 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 78. Seite 13 1.2.3 Legitimierung der Kreuzzüge Die Kreuzzüge wurden von 1096 bis 1291 mit dem Ziel der Befreiung der heiligen Stätten in Jerusalem geführt. Es handelte sich dabei um „bewaffnete Wallfahrten“.26 Zu Beginn des 12. Jahrhunderts findet sich in einer Textsammlung von Ivo von Chartres eine Legitimierung der Kreuzzüge mit Hilfe der Kriterien des gerechten Krieges: rechtmäßige Autorität (Papst), Notwendigkeit, rechtfertigende Ursache (Schuld der anderen Seite- da sie sich nicht zum Christentum bekehren wollen und ursprünglich christliche Gebiete nicht zurückgeben wollen), rechte Absicht (Christianisierung der eroberten Gebiete- zu ihrem eigenen Wohl), Verteidigung des „Vaterlandes“(= Kirche).27

Es ist zu sehen, dass die bellum iustum-Lehre im Mittelalter, und vor allem zur Zeit der Kreuzzüge missbraucht wurde um eigene Interessen, sowohl religiöse, als auch politische, durchzusetzen. Der Aufruf von Papst Urban II. 1095 zum ersten Kreuzzug gibt die Rhetorik, mit der die Kriege legitimiert wurden, deutlich wieder: „Deshalb bitte und ermahne ich euch, und nicht ich, sondern der Herr bittet und ermahnt euch als Herolde Christi, die Armen wie die Reichen, dass ihr euch beeilt, dieses gemeine Gezücht aus den von euren Brüdern bewohnten Gebieten zu verjagen und den Anbetern rasch Hilfe zu bringen. Ich spreche zu den Anwesenden und werde es auch den Abwesenden kundtun, aber es ist Christus, der befiehlt.“28

Die Schwäche der Theorie wird hier deutlich: die Frage, was ein gerechter Grund für einen Krieg sein kann, ist nicht eindeutig definiert. Man kann immer Argumente dafür finden, dass die eigene Sache gerecht ist und man sie auf jeden Fall – auch mit Waffen – durchsetzen darf und soll. Interessant ist hier vor allem auch zu bemerken, dass ein Angriffskrieg legitimiert wird. Geschehenes Unrecht, sowie in der Theorie vorgeschrieben, zu vergelten, lässt ebenso viel Spielraum. Unrecht bedeutet nicht das selbe wie heute: auch das Nicht-Anerkennen- Wollen der heilbringenden Religion kann als Unrecht interpretiert werden.

Immer wieder findet man aber auch Christen und Christinnen in der Geschichte, die sich für den Weg der Gewaltfreiheit entschieden haben. Als ein beeindruckendes Beispiel eines solchen Lebens lässt sich bei Franz von Assisi (1181- 1226) finden, der inmitten der Zeit der Kreuzzüge gegen die Eroberungsfeldzüge auftrat. Lieber als mit Gewalt wollte er die

26 Vgl. Marggraf, Eckhart und Röhm, Eberhard (Hrsg.): Kirche, Krieg und Frieden, Seite 17. 27Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 81-82. 28 Nach Fulcher von Chartres, zitiert in: Marggraf, Eckhart und Röhm, Eberhard (Hrsg.): Kirche, Krieg und Frieden, Seite 17. Seite 14 Ungläubigen mit Worten und Taten, ebenso wie Jesus auftrat, bekehren.29 Zu diesem Zweck gründete er den Dritten Orden, in den Laienbrüder und –schwestern eintreten durften und sich mit dem Eintritt zu einem gewaltlosen Leben bekannten.30 Der Dritte Orden des Hl. Franz von Assisi hatte auch großen Einfluss auf das Leben von Franz Jägerstätter. Dieses Thema wird in Kapitel Zwei noch genauer untersucht werden.

1.2.4 Das Dekret Gratians Um 1140 bringt der Mönch Gratian die verschiedenen Traditionen in seinem Dekret zusammen und zeigt die Grundbestimmungen der naturrechtlichen Kriegslehre auf.31 Er verbindet frühchristlich- pazifistische Ansichten, augustinische Theologie und Auszüge aus dem Römischen Recht in dialektischer Weise. Dieses wird zur Autorität für die folgenden mittelalterlichen Kommentatoren.32

Gratian stellt ausdrücklich die Frage „was ein gerechter Krieg sei“ und beantwortet sie, nach längeren Ausführungen, mit seiner eigenen Definition: „Ein gerechter Krieg ist ein solcher, der auf Grund einer autoritativen Anordnung geführt wird und [...] durch den Unrecht geahndet wird.“33 Wie dieses Unrecht aussieht, und wie es geahndet werden darf, interpretieren zahlreiche Theologen bis ins 13. Jahrhundert. Vor allem die Rechtfertigung der Kreuzzüge und die Ausweitung des Einflussgebietes des Papstes stellen hier einen zentralen Stellenwert dar.

1.2.5 Thomas von Aquin Im 13. Jahrhundert stellt sich auch der Dominikanermönch Thomas die Frage, ob Krieg denn immer Sünde sei. Er beantwortet die Frage, dass Krieg manchmal sogar notwendig ist. Außerdem bringt Thomas die bei Augustinus verstreut zu findenden 3 Kriterien für den gerechten Krieg systematisch zusammen (princeps, iusta causa, intentio recta) und kommentiert sie in seiner Summa Theologia. Er behandelt sie im Traktat über die

29 Die friedliche und von intellektuellen Gesprächen über die Frage der wahren Religion getragene Begegnung von Franz von Assisi mit dem Sultan Melek- al- Kamil, wird in dem Buch von Holl, Adolf: Der letzte Christ. vor allem in Kapitel 10 beschrieben. Ebenso wird darin über das Dürsten nach Märtyrertum von fünf Franziskanern berichtet, die um jeden Preis für den christlichen Glauben sterben wollten. 30 Palaver, Wolfgang: Vom „gerechten Krieg“ zum „gerechten Frieden“, Seite 101. 31 Vgl. Reuter, Hans Richard: Art. Krieg VI. Christentum, Seite 1770. 32 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 82. 33 Pars 2 causa 23 quaestio 1 und 2: A. Friedberg (Hrsg.), Corpus Juris Canonici I., Leipzig 1879, S. 895, zitiert in: Ebenda, Seite 83. Seite 15 übernatürliche Liebe, deren Ziel das Heil des Nächsten ist.34 Als Mittel der Rechts- und Friedenswahrung dient Krieg dem Nächsten. Obwohl die mittelalterliche Lehre eine Begrenzung und Einschränkung von Kriegen im Sinn hatte, diente sie doch immer wieder zur Legitimation von „Heiligen Kriegen“.35

1.2.6 Reformation Wichtig für die Entwicklungsgeschichte der bellum iustum-Theorie ist auch der Reformator Martin Luther. Er rezipierte die Theorie und interpretierte sie neu: Für Luther ist nur der Verteidigungskrieg, wenn es sich um eine unmittelbare Abwehr handelt, zulässig.36 Auch Religionskriege sind für ihn nicht erlaubt.

Neu bei Luther ist auch die Gewissensentscheidung des Einzelnen, die darüber urteilen darf, ob ein Krieg gerecht ist oder nicht. Der Einzelne soll für sich entscheiden, ob ein Krieg zulässig ist oder nicht und im negativen Fall seine Verweigerung an der Teilnahme aussprechen.37 Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die katholische Kirche die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen erst viel später (am Zweiten Vatikanischen Konzil) anerkannte.

1.2.7 Spanische Spätscholastik und Neuzeit Sowohl die Kolonialkriege in Südamerika, bei denen die spanischen Eroberer die Einwohner als nicht gleichwertige Menschen betrachteten und unterdrückten, als auch die Entstehung von einzelnen Territorialstaaten stellten die bis dahin bestehende bellum iustum-Lehre vor neue Herausforderungen. Durch das Entstehen vieler einzelner Staaten war es nun nicht mehr so klar, auf wessen Seite das absolute Recht stand; der Übergang zum Prinzip gleicher Staatensouveränität führte zum nichtdiskriminierenden Kriegsbegriff und zur Möglichkeit des bellum iustum ex utraque parte (der Krieg kann von beiden kriegsführenden Parteien aus als gerecht angesehen werden- die Gerechtigkeit des Krieges hängt vom Betrachter ab).38 Diesen neuen Ansatz, dass der Krieg zwar nicht objektiv, wohl aber subjektiv auf beiden Seiten

34 Beestermöller, Gerhard: Art. Krieg, Seite 476-477. 35 Vgl. Reuter, Hans Richard: Art. Krieg VI. Christentum, Seite 1770. 36 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 87. 37 Vgl. Reuter, Hans Richard: Art. Krieg VI. Christentum, Seite 1770-1771. 38 Vgl. Ebenda, Seite1771. Seite 16 gerecht sein kann, findet sich bei Hugo Grotius, der auch als Begründer des neuzeitlichen Kriegs- und Völkerrechts gilt.39

Eine weitere Entwicklung machte die Lehre, insofern, dass durch die Entstehung vieler Territorialstaaten, und das nicht mehr klar zu trennende Recht und Unrecht, die Gründe des ius ad bellum nun weniger betrachtet wurden als das ius in bello. Wenn es schon nicht mehr so deutlich zu erkennen ist, welche Seite im Recht und welche im Unrecht ist, so sollen doch die Unmenschlichkeiten des Krieges minimiert werden.40

Neben Francisco Suarez und Ludwig de Molina (er hob die Souveränität der südamerikanischen Eingeborenen hervor und betrachtete sie nicht- wie die meisten anderen seiner Zeit als Untermenschen)41, ist hier vor allem der Dominikanertheologe Francisco de Vitoria zu nennen, der maßgeblich an der Weiterentwicklung der Lehre beteiligt war.

Vitoria fügte zu den klassischen drei Bedingungen zum Krieg die Verhältnismäßigkeit der Mittel und Opfer zur Erreichung des Zieles hinzu. Anders als Augustinus betont er nun, dass der Umstand nicht dem Christentum, sondern einer andern Religion zuzugehören kein gerechter Kriegsgrund sei und als Grund für einen solchen nur „erlittenes Unrecht“ sein könne.42 Was genau er mit diesem Terminus allerdings meint, wird nicht ganz geklärt und lässt Raum für Spekulationen. In diesem Sinne findet sich bei ihm auch eine Andeutung zur Beschränkung des gerechten Krieges auf den Verteidigungskrieg. 43

Bei allen drei genannten Spätscholastikern ist auch zu erkennen, dass sie sich mit der Frage des Gewissen des Einzelnen auseinander setzten. Vitorias Ansichten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Jeder, der um die Ungerechtigkeit eines Krieges weiß, darf nicht an einem solchen Krieg teilnehmen. 2. Da das Volk weniger Informationen hat, als die Herrschenden, ist es für das Volk erlaubt in einem ungerechten Krieg zu kämpfen, da man durch den Kriegsdienst seine Pflicht dem König gegenüber erfüllt.

39 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 96. 40 Vgl. Nagel, Ernst: Die Stellung der Kirche zu Krieg und Frieden, Seite 42. 41 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 92. 42 Palaver, Wolfgang: Vom „gerechten Krieg“ zum „gerechten Frieden“, Seite 105. 43 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 90-91. Seite 17 3. Der König muss über die Gerechtigkeit bzw. mögliche Ungerechtigkeit eines Krieges von seinen Beratern informiert werden.44

Es ist festzustellen, dass zwar nicht nur die politischen Machthaber und Entscheidungsträger an die moralische Pflicht gebunden sind über die Gerechtigkeit eines Krieges nachzudenken, sondern auch die einzelnen Bürger. Dennoch liegt die Pflicht der Untergebenen primär in der Befehlsausführung. Die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, bzw. aus Zweifel an der Gerechtigkeit eines Kriegs wird hier nicht in Betracht gezogen. Dies lässt auf eine prinzipielle Unmündigkeit des Menschen im damals vorherrschenden Weltbild schließen. Diese Unmündigkeit des Einzelnen wird erst im Zweiten Vatikanischen Konzil, mit der Einführung des Begriffs „mündiger Laie“, ad acta gelegt.

Neu ist hier die Forderung, dass Krieg nur als ultima ratio, also als letztes Mittel eingesetzt werden darf und es muss eine Aussicht auf Erfolg bestehen. Für das Verhalten im Krieg wird gesagt, dass sich Gewalt niemals direkt gegen Zivilisten richten darf (Diskriminierungsprinzip) und die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleiben muss. Zerstörung und Einsatz militärischer Mittel müssen in Proportion zur Realisierung der Kriegsziele stehen (Proportionalitätsprinzip).45

1.2.8 Erster Weltkrieg und katholische Friedensbewegung Der Erste Weltkrieg bedeutete einen tiefen Einschnitt in das Kriegsgeschehen. Er wird als erster „moderner Krieg“ betrachtet, mit den Einsätzen moderner Massenvernichtungswaffen und den nicht abzuschätzenden Folgen der selben für die Kämpfenden. Durch das unglaubliche Ausmaß der Zerstörung sollte es nun zur moralischen Pflicht werden, alles zu tun, um den Krieg nicht nur zu verhindern, sondern unmöglich zu machen.46

Trotzdem wurde der Erste Weltkrieg von deutscher Seite aus als gerecht angesehen, aber weniger, weil die Kriterien der Lehre genau anzuwenden waren, sondern wegen Überlegenheitsgefühlen und zur Sicherung der deutschen Nation.47 Aufgrund der jahrhundertelangen Verbindung der katholischen Kirche mit dem Habsburgerhaus, des engen

44 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 91. 45 Vgl. Beestermöller, Gerhard: Art. Krieg, Seite 477. 46 Vgl. Ebenda. 47 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 99. Seite 18 Verhältnisses von Thron und Altar, gab es auch von österreichischer Seite aus von vielen Bischöfen den Aufruf zum „gerechten Verteidigungskrieg“.48

Von Seiten Roms zeigt sich ebenfalls keine eindeutige Ablehnung: Im Sinne des Ersten Vatikanischen Konzils (1890-1892) zeigt sich auch die moralisierende und moralpädagogische Interpretation den Ersten Weltkrieg als „Strafe Gottes“ und Möglichkeit zur Umkehr hinsichtlich des sittlich- religiösen Zerfalls zu deuten.49

Die Reaktionen auf das Kriegsende waren mehrschichtig: Die Mehrzahl der katholischen Theologen und der Deutschen waren noch immer von der gerechten Sache überzeugt.50 Im Gegensatz dazu wurde der Krieg aus völkerrechtlicher Sicht nun als total verächtlich angesehen, bis hin zum totalen Kriegs- und Gewaltverbot. Der Ansatz, der nach dem Ersten Weltkrieg verfolgt wurde, war, dass nur mehr der Verteidigungskrieg als akzeptabel angesehen werden kann, aber auch dieser bald, durch die Schaffung einer internationalen Rechtsordnung, überflüssig werden würde.51

Der Dominikanertheologe Franziskus M. Stratmann gilt als Begründer der deutschen katholischen Friedensbewegung. Für Stratmann war aufgrund der Möglichkeiten der modernen Kriegsführung keine Möglichkeit für die Erfüllung der Kriterien des gerechten Krieges mehr gegeben. Dies führte für ihn zur Konsequenz des unbedingten Pazifismus. Die sich zu dieser Zeit formierende katholische Friedensbewegung, allen voran Stratmann, trat für eine Stärkung des internationalen Völkerbundes ein.52 Im Kellogg- Pakt vom 27. August 1928 wurde der Angriffskrieg vertraglich- völkerrechtlich verurteilt. Von moraltheologischer Seite wurde diese völkerrechtliche Bestimmung anerkannt und man wollte diesen naturrechtlich begründeten Pazifismus stützen.53 Diese Zustimmung war aber eher ein Formalakt: Den Bestimmungen des Kellogg- Paktes wurden zwar von offizieller Seite her zugestimmt, aber es gab keine wirkliche innere Änderung der katholischen Kriegslehre. Viele kirchliche Amtsträger gaben ihr „Ja“ zu diesem Pakt nur pro forma, blieben in ihrer inneren Einstellung allerdings hinter diesem zurück.

48„Vom Kriegsjubel zur absoluten Ächtung“, http://www.dioezese-linz.or.at/redaktion/index.php?action_ new0Lesen&Article_ID=9510 [abgerufen am 19.03.2009] 49 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 99. 50 Missalla, Heinrich: Gott mit uns. Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914- 1918, zitiert in: Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 100. 51 Palaver, Wolfgang: Vom „gerechten Krieg“ zum „gerechten Frieden“, Seite 105. 52 Dabei handelte es sich um eine „Vorversion“ der Vereinten Nationen . 53 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 102. Seite 19 1. 3 Die Anwendung der Theorie und ihr Scheitern im Zweiten Weltkrieg

Die Kriegsniederlage, die die den Ersten Weltkrieg unterstützenden Bischöfe hätten eingestehen müssen, führte weder zu einer Neuinterpretation des Krieges, noch zu einem veränderten Verhalten der Kirche im Zweiten Weltkrieg. Der Erste Weltkrieg hinterließ kaum Spuren in der Kirche, sie ging so gut wie unberührt daraus hervor.54 Die Anerkennung des Kellogg- Paktes schien mehr eine Formsache zu sein, als eine wirkliche Veränderung der moraltheologischen Anschauung des Krieges. Ebenso wirkte der von Stratmann begründete Pazifismus kaum, er blieb eine von den meisten nicht ernstgenommene Randerscheinung in der katholischen Kirche.

Die Moraltheologie zwischen den beiden Weltkriegen behandelt das Thema Krieg auf sehr traditionelle Art und Weise. Trotz des Schreckens des Ersten Weltkrieges sind sie sich der Gefahr des Missbrauchs der Argumente für einen gerechten Krieg nicht bewusst. Ebenso wenig wird die ständige Gewissensbildung des Einzelnen gefordert.

Der bekannte Moraltheologe Otto Schilling beispielsweise konstatierte in seinem 1928 erschienenen „Lehrbuch der Moraltheologie“ den Defensivkrieg als „Akt der Notwehr“ und rechtfertigt einen Offensivkrieg, auf den die Bedingung der „ultima ratio“ zutrifft. 55 Bezüglich der „Teilnahme an ungerechtem Kriege“ schreibt er: „Die Untertanen, die der Autorität zu gehorchen haben, müssen auch im Fall des Zweifels an der Gerechtigkeit des Krieges dem Befehl der staatlichen Gewalt nachkommen, außer sie besäßen die Gewissheit, dass der Krieg ungerecht sei, doch wird dieser Fall selten praktisch werden, weil sich die Gründe, die zum Krieg führen, regelmäßig der Einsicht der Untertanen entziehen.“56

Die Tatsache, dass Hitlers Eroberungsfeldzug, der Zweite Weltkrieg heute nicht die Kriterien eines gerechten Krieges erfüllen kann oder konnte, steht außer Zweifel. Dennoch rief die überwiegende Mehrzahl der katholischen Amtsträger zur Pflichterfüllung, Gehorsam und Opferbereitschaft für das Vaterland auf.57 Dies zeigt auch die gemeinsame Erklärung der deutschen Bischöfe zum Kriegsausbruch 1939: „In dieser entscheidungsvollen Stunde ermuntern und ermahnen wir unsere katholischen Soldaten, in Gehorsam gegen den Führer, opferwillig unter Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit ihre Pflicht zu tun.

54 Vgl. „Vom Kriegsjubel zur absoluten Ächtung“, http://www.dioezese-linz.or.at/redaktion/index.php?action_ new0Lesen&Article_ID=9510 [abgerufen am 19.03.2009] 55 Vgl. Wolkinger, Alois: Christ, Staat und Krieg, Seite 115. 56 Schilling, Otto: Lehrbuch der Moraltheologie. II. Bd.: Spezielle Moraltheologie, München: 1928, Seite 663, zitiert in: Ebenda. 57 Vgl. Engelhardt, Paulus: Die Lehre vom gerechten Krieg, Seite 103. Seite 20 Das gläubige Volk rufen wir auf zu heißem Gebet, dass Gottes Vorsehung den ausgebrochenen Krieg zu einem für Vaterland und Volk segensreichen Erfolg und Frieden führen möge.“58

Die Haltung Roms gegenüber dem Nationalsozialismus war nie eindeutig, immer wieder schwankte man zwischen Ablehnung und Zustimmung. 1937 veröffentlichte Papst Pius XI die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, die die gegenwärtige Situation in Deutschland zum Thema hatte. Der Heilige Stuhl verteidigte darin seine Konkordatspolitik und stellte fest, wer an der Nichteinhaltung des Konkordats Schuld trug. Die Gläubigen wurden dazu aufgerufen am wahren christlichen Glauben festzuhalten und die Unvereinbarkeit des katholischen Glaubens mit der nationalsozialistischen Weltanschauung wurde deutlich herausgestellt. Allerdings wurde nicht die gesamte nationalistische Gesinnung verurteilt, sondern nur ihre Haltung zur katholischen Kirche. Das NS- Regime wertete diese Enzyklika natürlich als direkten Angriff und begann seinerseits mit Maßnahmen zur Unterdrückung der selben.59

Papst Pius XII, dessen Pontifikat von Beginn des Zweiten Weltkrieges bis Ende der 1950er Jahre dauerte, verurteilte zwar in seiner Weihnachtsansprache von 1939 den Angriff Hitlers auf Polen, aber diese Verurteilung blieb weitgehend ungehört und unrezipiert von den deutschen und österreichischen Bischöfen. Sie riefen, wie bereits erwähnt, hauptsächlich zur Pflichterfüllung des einzelnen in der Armee auf. Zwar kann von keiner jubelnden Zustimmung zum Krieg die Rede sein, aber das Schweigen über die Situation in ihren Hirtenbriefen half Hitler definitiv. Mit dem Überfall auf Russland verschlimmerte sich die Lage noch einmal: nun wurde der Krieg auch von kirchlicher Seite als gerechtfertigt angesehen, da dieser auch den Kampf gegen den „gottlosen Bolschewismus“ bedeutete.60 Allgemein kann gesagt werden, dass die offizielle Kirche in Deutschland und Österreich eher von Zustimmung als Ablehnung dem Nationalsozialismus gegenüber geprägt war. Manche Vertreter sprachen sogar direkt vom „gerechten Krieg“.

Hinter die Erklärung, dass der „gottlose Bolschewismus“ nur mit Hilfe Hitlers bekämpft werden könne, konnten sich nun auch all jene Christen stellen, die dem Krieg negativ gegenüber standen. Sie zogen nun mit der Motivation der religiösen Missionierung der Bevölkerung und somit mit einem ruhigeren Gewissen in den Krieg. Hinzu kam, neben der

58 Vgl. „Vom Kriegsjubel zur absoluten Ächtung“, http://www.dioezese-linz.or.at/redaktion/index.php?action_ new0Lesen&Article_ID=9510 [abgerufen am 19.03.2009], weitere bischöfliche Aufrufe zur Pflichterfüllung für das Vaterland sind zu finden in: Zahn, Gordon: German Catholics and Hitler’s Wars, speziell Kapitel 6. 59 Vgl. Steinhoff, Marc: Widerstand gegen das Dritte Reich im Raum der katholischen Kirche, Seite 74-77. 60 Vgl. Palaver, Wolfgang: Vom „gerechten Krieg“ zum „gerechten Frieden“, Seite 106. Seite 21 Aufforderung Gehorsam zu leisten und gegen den Bolschewismus zu kämpfen, die Tatsache, dass der Begriff „Soldat“ in der Christenheit sehr positiv besetzt war.61 So schrieb beispielsweise Erzbischof Gröber von Freiburg 1939 in seinem Hirtenbrief „Arbeite als ein guter Kriegsmann Christi“: „Heldentod ist ein ehrenvoller Tod, ein Ruhmeskranz, der auch das Grab des unbekannten Soldaten aus der Dankbarkeit der Volksgenossen schmückt.“62

In den Kriegsjahren von 1939 bis 1945 gibt es keine Aussage von episkopaler Seite, die den Zweiten Weltkrieg als ungerecht verurteilt und direkt oder indirekt zum Widerstand gegen diesen auffordert. Ebenso wurde nie das Thema der situationsbedingten Kriegsdienstverweigerung erwähnt63. Als Gründe können unter anderem genannt werden, dass die Kirche unbedingt ihren Lebensbereich, ihr „institutionelles Wohl“64, sichern wollte, der noch immer sehr stark bestehende Nationalismus und die Angst vor dem Bolschewismus.65 Die Kirche war nicht gewillt, wegen Dingen, die nicht eindeutig ihrem institutionellen Hoheitsgebiet angehörten, mit der Staatsmacht in Konflikt zu geraten.66 Dies galt sowohl für die deutschen und österreichischen Bischöfe, als auch für den Papst. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf untersuchte 2006 die geheimen Archive des Vatikans und stellte fest: „Für die Sicherung des ewigen Lebens der ihm anvertrauten ‚Schäfchen’ war der oberste Hirte der katholischen Kirche auf dem Feld der irdischen Existenz sogar bereit, dem Teufel in Gestalt totalitärer Ideologien und ihrer Anführer diplomatisch bis an die Grenzen des Möglichen entgegenzukommen.“67

1.3.1 Stellungnahmen österreichischer Bischöfe Im Jahr 1932, als die NSDAP an politischem Einfluss gewann, veröffentlichten die österreichischen Bischöfe einen Fastenhirtenbrief, in dem sie dem Kommunismus, Bolschewismus und auch dem Nationalsozialismus negativ gegenüber standen. Sie erkannten die feindselige Gesinnung des Nationalsozialismus der Kirche gegenüber und warnten vor Folgen desselben.68

61 Vgl. Kleinwächter, Johannes: Frauen und Männer des christlichen Widerstandes, Seite 48. 62 Zitiert in: Weinzierl, Erika: Österreichischer Katholizismus und Krieg 1914- 1945, Seite 82. 63 Vgl. Molinski, Waldemar: Franz Jägerstätters Wehrdienstverweigerung im Dritten Reich, Seite 232. 64 Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 203. 65 Weinzierl, Erika: Österreichischer Katholizismus und Krieg 1914- 1945, Seite 83. 66 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 203. 67 Wolf, Hubert: Papst und Teufel, zitiert in: Remele, Kurt: Papst, Pakt und Predigt. unter: http://diepresse,com/home/spectrum/literatur/421655/print.do [abgerufen am 11.05.2009]. 68 Liebmann, Maximilian: Von der Dominanz der katholischen Kirche zu freien Kirchen im freien Staat- Vom Wiener Kongreß 1815 bis zur Gegenwart, Seite 423. Seite 22

1933 verfasste der Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner (von 1915 bis 1941) einen Hirtenbrief mit dem Titel „Über wahren und falschen Nationalismus“, in dem er sich gegen den Nationalsozialismus Adolf Hitlers aussprach. Er schrieb: „Der Nationalsozialismus krankt innerlich an materialistischem Rassenwahn- an unchristlichem Nationalismus- an nationalistischer Auffassung der Religion- an bloßem Scheinchristentum; sein religiöses Programm weisen wir deshalb zurück. Alle überzeugten Katholiken müssen es ablehnen und verurteilen [...]; dann ist es auch unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist zu sein.“69

Dieser Hirtenbrief wurde zwar bei einer österreichischen Bischofskonferenz diskutiert, aber auf Initiative von Kardinal Theodor Innitzer von Wien nicht als gemeinsames Dokument veröffentlicht. Gföllner ließ ihn jedoch von den Priestern seiner Diözese verlesen. Auf diese Weise wurde der Hirtenbrief in der gesamten Diözese bekannt und viele Kirchgänger waren dankbar für die deutlichen Worte. Er sollte zur Richtschnur vieler Katholiken und Katholikinnen werden, die die nationalsozialistische Weltanschauung verurteilten. Franz Jägerstätter fand in ihm einen Leitfaden seines politischen Denkens und Handelns.70 Die Tatsache, dass dieses episkopale Schreiben in ganz Oberösterreich bekannt war, mag auch damit zusammenhängen, dass hier der Widerstand von kirchlicher Seite größer war und deshalb besonders viele Priester inhaftiert wurden.71

Als es 1938 zu einer Volksabstimmung in Österreich kam, ob Österreich in das Deutsche Reich eingegliedert werden sollte, oder nicht, verhalfen die Bischöfe Österreichs Hitler zu einem hundertprozentigen Sieg. Sie riefen die Katholiken in einem Brief auf mit „Ja“ zu stimmen. Dieser Brief wurde dann auch mit „Heil Hitler“ unterschrieben. Kardinal Innitzer von Wien glaubte blauäugig an Hitlers Versprechen, dass die Kirche, nach der Wahl und dem Sieg der NSDAP, unter dem Schutz derselben stehen würde.72

Innitzer besuchte Hitler in Wien und strebte eine Zusammenarbeit mit dem Nationalsozialismus an. Er bestätigte Hitler die Loyalität der Katholiken zum neuen Staat 73, um die katholische Kirche in Schutz vor demselben zu wissen. Hitler, der zuerst seine

69 Fried, Jakob: Nationalsozialismus und katholische Kirche in Österreich, Wien 1947, Dokument 2, zitiert in: Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 49. 70 Vgl. Schwabeneder, Josef: Kurzbiografie von Franz Jägerstätter, Seite 18. 71 Vgl. 1.3.2 dieser Arbeit 72 Vgl. Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 58. 73 Liebmann, Maximilian: Von der Dominanz der katholischen Kirche zu freien Kirchen im freien Staat- Vom Wiener Kongreß 1815 bis zur Gegenwart, Seite 426. Seite 23 Zustimmung zum Konkordat74 bekundete, widerrief diese allerdings Tage darauf wieder. Somit konnte das NS- Regime seinen „Kulturkampf“ im Sinne seiner Ideologie beginnen. 75

Die Leichtgläubigkeit Innitzers hatte schwere Folgen für die österreichische Kirche: In Folge wurde der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen untersagt und die Zivilehe und die Kirchensteuer eingeführt.76 Kardinal Innitzer versuchte zwar noch Widerstand in Form einer Rosenkranzandacht mit der katholischen Jugend zu bekunden, allerdings war dies der Ausgangspunkt der offenen Verfolgung und Unterdrückung der Kirche durch das NS- Regime. Die Zeit der Verständigungsbemühungen war damit vorbei.77

Der zuvor so kämpferische Bischof Gföllner verfolgte daraufhin einen schweigsamen, abwartenden Kurs. Damit wurden viele Christen und Christinnen, die sich einen offenen Widerstand gegen den Nationalsozialismus von der Kirche gewünscht hätten, enttäuscht.78 Sie hatten höhere Erwartungen an die Kirche gesetzt, hatten gehofft, dass die Aufforderung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus auch nach Beginn des Zweiten Weltkrieges erfolgen würde.

1942 verfassten die österreichischen und deutschen Bischöfe einen Hirtenbrief, in dem sie verschiedene Repressalien des Regimes der Kirche gegenüber verurteilten (Inhaftierungen von Seelsorgern, Enteignung der Orden, Beschlagnahme von Kirchenbesitz). Trotz dieser offeneren Ablehnung einiger Maßnahmen des NS-Regimes forderten die Bischöfe ihre Gläubigen nie zu aktivem Widerstand auf und auch das Thema der Wehrdienstverweigerung fand nie Platz in Predigten oder Hirtenbriefen.79

Auch in Folge war die Haltung der Bischöfe eher passiv: Hitler wurde als legitime Obrigkeit, im Sinne von Röm 13,1, angesehen. Zusätzlich gelang es dem NS- Regime die Kirche davon zu überzeugen, dass es die einzig wirksame Waffe gegen den „gottlosen“ Bolschewismus sei

74 Dabei handelt es sich um einen Vertrag zwischen Staat und Kirche, der das Verhältnis der beiden festhält. 75 Vgl. Liebmann, Maximilian: Von der Dominanz der katholischen Kirche zu freien Kirchen im freien Staat- Vom Wiener Kongreß 1815 bis zur Gegenwart, Seite 428. 76 Vgl. Ebenda, Seite 428-429. 77 Vgl. Ebenda, Seite 431. 78 Vgl. Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 60. 79 Vgl. Liebmann, Maximilian: Von der Dominanz der katholischen Kirche zu freien Kirchen im freien Staat- Vom Wiener Kongreß 1815 bis zur Gegenwart, Seite 433-435. Seite 24 und konnte damit die Angst vor diesem als Argument benutzen. Die Kirche stand dem NS- Staat zu jeder Zeit loyal gegenüber.80

1.3.2 Situation in Oberösterreich Viele Christen und Christinnen waren trotz des Schweigens der offiziellen Kirche der Überzeugung, dass der Nationalsozialismus mit der katholischen Lehre unvereinbar sei und Hitlers Krieg nicht gerecht sein konnte. So konnte die , die Geheimpolizei des NS- Regimes, beispielsweise im oberen Innviertel in Oberösterreich keine so hohe Anhängerschaft für sich gewinnen, wie in vielen anderen Gebieten des Dritten Reiches: dies führten sie auf anti-nationalsozialistische Organisationen von Pfarrern zurück.

Viele Priester der Diözese Linz wurden entsprechend verfolgt, was die hohe Zahl an verhafteten und eingesperrten Geistlichen der Diözese Linz zeigt. Von ca. 1000 Geistlichen wurden zwischen 1938 und 1945 mindestens 118 verhaftet und eingesperrt, 40 Priester kamen in Konzentrationslager, von denen elf starben. In der gesamten Diözese Linz kamen elf Prozent der Priester ins Gefängnis, im Dekanat Ostermiething, zu dem auch die Pfarre St. Radegund gehört, waren es zwei Drittel.81 In dieser eher den Nationalsozialismus ablehnenden Umgebung, unternahm der Bauer Franz Jägerstätter sicher den mutigsten aller Schritte und sprach sich nicht nur offen gegen den Nationalsozialismus aus, sondern verweigerte auch den Wehrdienst.

2. Franz Jägerstätters Ablehnung des Zweiten Weltkrieges

2.1 Kindheit und Jugend

Franz Jägerstätter wurde am 20. Mai 1907 als Franz Huber, Sohn von Rosalia Huber und Franz Bachmeier in St. Radegund, Oberösterreich geboren. Da die Eltern zu arm waren um zu heiraten, sie verdienten ihren Lebensunterhalt als Magd bzw. Knecht, wuchs das Kind bei der Großmutter mütterlicherseits auf. Auch sein Cousin Johann, der später zu den Zeugen

80 Vgl. Liebmann, Maximilian: Von der Dominanz der katholischen Kirche zu freien Kirchen im freien Staat- Vom Wiener Kongreß 1815 bis zur Gegenwart, Seite 435. 81 Vgl. Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 62- 63. Seite 25 Jehovas, auch „Bibelforscher“ genannt, übertrat, wuchs bei der Großmutter auf. Gordon Zahn führt das „Verfallen der beiden Jungen in eine extreme Religiosität“82 auf die tiefe Religiosität der Großmutter zurück.

Sieben Jahre lang besuchte Franz die einjährige Volksschule in St. Radegund, in der ein Lehrer bis zu 70 Kinder zwischen 6 und 13 Jahren gleichzeitig in einer Klasse unterrichtete. Aufgrund seiner ärmlichen Verhältnisse wurde Franz in der Schule benachteiligt behandelt, was ihn, laut eigenen Aussagen mehr schmerzte als der im Ersten Weltkrieg herrschende Hunger.83

1917 heiratete Rosalia Huber den Bauern Heinrich Jägerstätter und konnte so endlich ihren Sohn zu sich holen. Damit änderte sich das Leben von Franz wesentlich. Da der Vater im 1. WK gefallen war und die Mutter neu heiratete, wurde Franz von Heinrich Jägerstätter adoptiert. Aufgrund der Tatsache, dass die Ehe zwischen Rosalia und Heinrich kinderlos blieb, bekam Franz nicht nur den Nachnamen Jägerstätter, sondern wurde auch zum Hoferben und somit zum „Leherbauer“. Auf dem Hof gab es genug zu essen, aber auch „geistige Nahrung“ war viel vorhanden: der Adoptivgroßvater von Franz war ein sehr belesener Mann und besaß zahlreiche Bücher. Der Junge entwickelte eine Leidenschaft zum Lesen, eine Eigenschaft, die seinen Horizont enorm erweiterte und ihn sein Leben lang begleitete.84

1922 fanden in St. Radegund erstmals nach Ende des 1. WK wieder die für den Ort berühmten Passionsspiele statt. Als 15jähriger spielte Franz einen Soldaten, der um die Kleider Jesu würfelte.85 Diese Passionsspiele waren ein wichtiges kulturelles Ereignis für St. Radegund, und waren auch bis über die Grenzen Deutschlands hin bekannt. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 brachte diesbezüglich große Probleme mit sich, da keine Deutschen mehr nach St. Radegund kommen durften, und somit große Einbußen verzeichnet werden mussten. Diese frühe negative Konnotation mit den Nationalsozialisten, war sicherlich auch ein Grund dafür, warum St. Radegund relativ frei von der NS- Ideologie blieb, es keine illegalen Nazis gab und auch niemand die Bürgermeisterstelle anstrebte. Franz Jägerstätter blieb vermutlich deshalb so lange „verschont“.86

82 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 33. 83Vgl. Putz, Erna: Lebensgeschichte von Franz Jägerstätter, Seite 8. 84 Vgl. Ebenda, Seite 9. 85 Vgl. Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 14. 86 Vgl. Ebenda, Seite 24. Seite 26 Franz fiel in seiner Jugend weder durch eine außergewöhnliche Frömmigkeit, noch durch eine Ablehnung der religiösen Praktiken des dörflichen Milieus auf. Er verhielt sich in seiner Religionsausübung so, wie man es von einem jungen Mann dieser Zeit erwarten konnte. Mit Attributen wie „lustiger Bursche“, „kreuzfideler Kerl“ und „lebenslustiger Mensch“ wurde der junge Jägerstätter in den Interviews Gordon Zahns mit den St. Radegundern beschrieben.87

Mit 20 Jahren, also 1927, ging Franz für drei Jahre als Arbeiter in das steirische Eisenerz. Dort, im sozialdemokratischen Arbeitermilieu gab er die für ihn zum alltäglichen Leben gehörende Religionsausübung auf. Allerdings, kehrte er nach seiner Rückkehr in die Heimat auch wieder zu seinem Gottesglauben zurück, laut Aussage von Franziska Jägerstätter, seiner Frau, „weil er gesehen hat, dass er anders auch nicht glücklicher geworden ist.“88

Obwohl er wieder zu seinem bäuerlichen Leben zurückkehrte, hatte sich Franz doch auch etwas verändert: als Erster der Gemeinde besaß er ein Motorrad, welches er sich mit dem Verdienst in Eisenerz gekauft hatte. Dies zeigt bereits, dass er frei sein wollte: von der damals noch sehr üblichen Beschränkung, nicht überall und zu jeder Zeit hinfahren zu können, wo man wollte. Mit seinem Motorrad unternahm er viele Fahrten auch über die österreichische Grenze hinweg, nach Deutschland. Das Motorrad war ein „Beweis seiner Kühnheit und Fortschrittlichkeit“89. 1934 wurde eine uneheliche Tochter geboren. Franz Jägerstätter übernahm die Verantwortung für das Kind und kümmerte sich bis zu seinem Tod, auch wenn sie bei der leiblichen Mutter wohnen blieb.90

2.2 Brief an den Patensohn

In einem Brief an seinen Patensohn, der 1935 oder 1936 geschrieben wurde, gibt Franz dem Jungen Ratschläge und Leitlinien für sein Leben. Dieser Brief zeigt die hohe Reflexion der Gedanken und die Ausdrucksfähigkeit des Autors, sowie seine Einstellung vor der Eheschließung mit Franziska.91 Besonders betont er den „Verstand“ und den „freien Willen“. Solche Themen zu reflektieren war durchaus nicht üblich im bäuerlichen Milieu. Für Franz allerdings, der sehr belesen und vielseitig interessiert war, ist dies von zentraler Bedeutung:

87 Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 34. 88 Zitiert in: Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 30. 89 Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 35. 90 Vgl. Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 37. 91 Vgl. Ebenda, Seite 33. Seite 27 „Wir haben schon in der Schule gelernt, dass der Mensch einen Verstand und einen freien Willen hat; und besonders auf unseren freien Willen kommt es an, ob wir ewig glücklich oder ewig unglücklich werden wollen[...]“92

Für ihn ist der freie Wille ein Geschenk und eine Aufgabe Gottes an die Menschen; wir sind dazu verpflichtet unseren Verstand zu gebrauchen und unsere Entscheidungen nach unserem Gewissen zu fällen. Auch auf Glaubenszweifel kommt Franz am Ende des Briefes zu sprechen und so erfährt man, wie er dieselben nach seiner Zeit in Eisenerz überwunden hat: „Sollen dir einmal Glaubenszweifel kommen, von denen fast kein Mensch verschont bleiben wird, ob unser Glaube doch der wahre sei, so denke an die Wunder und an unsre Heiligen, die in keinem andren Glauben als im katholischen vorkommen. Seit Christi Tod hat es noch fast in jedem Jahrhundert Christenverfolgungen gegeben, und noch immer hat es Helden und Märtyrer gegeben, die für Christus und ihren Glauben oft unter grässlichem Martyrium ihr Leben opferten. Wollen wir einmal unser Ziel erreichen, so müssen auch wir Glaubenshelden werden, denn solange wir die Menschen mehr fürchten als Gott, werden wir nie auf einen grünen Zweig kommen.“93

Erna Putz nennt im Zusammenhang mit dieser Textpassage aus einem Brief von 1935/36 die Worte „Berufung“ (im theologischen Sinn) und eine „Unbewusste Lebensleitlinie“ (im Sinne der Individualpsychologie C.G. Jungs).94 Es lässt sich definitiv ein Zusammenhang zwischen dieser Einstellung und seiner konsequenten Einhaltung seiner Überzeugungen feststellen. Die Tatsache, dass er die Märtyrer und Heiligen besonders als nachahmenswert hervorhebt, zeigt das Wissen um die selben, höchstwahrscheinlich aus verschiedenen religiösen Büchern.

Eine weitere Textpassage zeigt die verblüffende Tatsache, dass der Bauer Franz Jägerstätter nicht nur körperliche Arbeit und Nahrung als essentiell nennt, sondern auch geistige Nahrung soll nicht zu kurz kommen. Lesen bildet, lesen hilft das eigene Leben zu bewältigen und zu gestalten. Diese Einstellung war durchaus nicht üblich für sein Milieu: „Warum soll der junge Mensch nur gute Bücher und Schriften lesen, erstens weil der Mensch nicht bloß körperliche, sondern auch geistige Nahrung braucht.[...] Wenn auch nicht jedes den gleichen Eifer hat zum Lesen, aber ein bisschen was geht schon, denn ein Mensch der nicht liest, wird sich nie so recht selbst auf die Füße stellen können, sie werden sehr oft nur zum Spielball andrer.“95

92Zitiert in: Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt....,, Seite 34. 93 Zitiert in: Ebenda, Seite 35. 94 Vgl.Ebenda, Seite 35. 95 Zitiert in: Ebenda, Seite 36-37. Seite 28 2.3 Hochzeit und Ehe mit Franziska

Die Hochzeit mit Franziska Schwaninger 1936 wurde ein einschneidender Wendepunkt in Franz Jägerstätters Leben. Laut Aussagen seiner Nachbarn wurde er in Folge ein „anderer“.96 Der damalige Pfarrer von St. Radegund, Josef Karobath, mit dem Franz eine sehr enge Freundschaft verband, allerdings berichtete, dass Franz schon 1935 eine intensive Religiosität verspürte: „Dann kam er einmal zu mir in die Kanzlei und sagte, er möchte ins Kloster gehen. Ich riet ihm ab, er solle lieber heiraten. Und er heiratete ein frommes Mädchen, Franziska Schwaninger.“97

Franz suchte wahrscheinlich nach einem Mädchen, dass seine religiösen Einstellungen teilte, und mit der zusammen er diese Haltung auch nach außen zeigen konnte. War der religiöse Wandel zwar bereits vor der Hochzeit geschehen, gab ihm seine Frau nun auch die Kraft diesen in seinem gesamten Verhalten zu bezeugen.98

Bereits ihre Hochzeit war für die bäuerliche Umgebung alles andere als gewöhnlich: Sie heirateten am Gründonnerstagmorgen um 7.30 Uhr und brachen anschließend zu einer Hochzeits- und Pilgerreise nach Rom auf, bei der sie auch einer Papstaudienz beiwohnten. Diese Hochzeitsreise war in mehrerer Hinsicht sehr außergewöhnlich: 1. kostete sie enorm viel Geld, 2. wurde keine übliche große Hochzeitsfeier, bei der das ganze Dorf geladen war, gefeiert und 3. konnten die Brautleute nicht am Begräbnis von Franz’ Ziehschwester Aloisia (sie war an Lungentuberkulose verstorben) teilnehmen. Bereits der Beginn der Ehe zeigt die Unkonventionalität der Eheleute und ihres Verhaltens.99

Die Ehe brachte zwischen 1936 und 1940 drei Töchter hervor: Rosalia, Maria und Aloisia. Franz war ihnen ein liebevoller Vater, wie aus zahlreichen Beispielen aus dem Briefverkehr zwischen Franz und Franziska hervorgeht, und die Mädchen vermissten ihn sehr in den Zeiten, in denen er abwesend war. Er war auch sehr bestrebt sie bereits im frühen Kindesalter im katholischen Glauben zu erziehen.

96 Vgl. Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt....,, Seite 39. 97 Karobath, Josef: Vorwort, in: Bergmann, Georg: Franz Jägerstätter. Ein Leben vom Gewissen entschieden, Seite 5. 98 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 49. 99 Putz, Erna: Vgl. Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 42. Seite 29 2.4 Traum 1938

In einer Jännernacht 1938, zu einer Zeit, in der in Jägerstätters unmittelbarer Umgebung nationalsozialistische Propaganda stattfand und zu großem Teil auf fruchtbaren Boden fiel, hatte er einen Traum, der sein weiteres Verhalten dem Nationalsozialismus gegenüber stark beeinflussen und prägen sollte. Religion und Politik sind für ihn unzertrennlich verbunden, die katholische und die nationalsozialistische Weltanschauung nicht miteinander vereinbar:100 „[...] auf einmal wurde mir ein schöner Eisenbahnzug gezeigt, der um einen Berg fuhr, abgesehen von den Erwachsenen strömten sogar die Kinder diesem Zug zu und waren fast nicht zurückzuhalten, wie wenige Erwachsene es waren, welche in selbiger Umgebung nicht mitfuhren, will ich am liebsten gar nicht sagen oder schreiben. Dann sagte mir auf einmal eine Stimme: “Dieser Zug fährt in die Hölle.“ [...]Dann hörte ich noch ein Sausen, sah ein Licht und alles war weg. Weckte dann gleich meine Frau und erzählte ihr alles, was sich zugetragen hatte.[...] Anfangs war mir dieser fahrende Zug ziemlich rätselhaft, aber je länger die ganze Sache ist, desto entschleierter wird mir auch dieser fahrende Zug. Und mir kommt es heute vor, als stellte dieses Bild nicht anderes dar als den damals hereinbrechenden oder schleichenden Nationalsozialismus mit all seinen verschiedenartigen Gliederungen.“101

Auch in diesem Ereignis zeigt sich das liebende Miteinander der Eheleute: Franz ist von seinem Traum so erschüttert, dass er ihn jemandem mitteilen muss. Seine Ehefrau Franziska ist für ihn nicht nur Gattin und Mutter seiner Kinder, sondern auch eine Freundin, der man alles, was einen bedrückt, erzählen kann. Er respektiert sie und legt Wert auf ihre Meinung und ihr Urteil. Schon früh wusste Franziska von der anti-nationalsozialistischen Haltung ihres Mannes und kannte auch die Gründe für sein Verhalten: Wer sich zum Nationalsozialismus bekennt kommt in die Hölle, für den gibt es keine Rettung: „Ich möchte eben jedem zurufen, der sich in diesem Zug befindet: „Springt aus, ehe dieser Zug in deine Endstation einfährt, wenn es dabei auch das Leben kostet!“ Somit glaub ich, hat mir Gott es durch diesen Traum oder Erscheinung klar genug gezeigt und ins Herz gelegt, mich zu entscheiden, ob Nationalsozialist- oder Katholik!“102

2.4.1 Konsequenz: „Nein“ bei der Abstimmung über den Anschluss Für Franz Jägerstätter blieb dieser Traum nicht nur ein unbedeutendes Ereignis, er vertraute auf seine innere Stimme und verließ sich auf seine Intuition. Als es 1938 zur Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland kam, wollte er

100 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 83. 101 Jägerstätter, Franz: Heft 2. Über das Thema der jetzigen Zeit: Katholik- oder Nationalsozialist, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 124-125. 102 Jägerstätter, Franz: Heft 2. Über das Thema der jetzigen Zeit: Katholik- oder Nationalsozialist, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 127. Seite 30 ursprünglich nicht teilnehmen, da seiner Meinung nach bereits alles entschieden sei. Franziska drängte ihn jedoch, aus Sorge, dass Franz deshalb in Schwierigkeiten kommen könnte, hinzugehen. Als einziger hatte er den Mut und stimmte mit „Nein“, gegen den Anschluss. Die Gemeinde jedoch unterschlug sein „Nein“ und meldete ein 100%es „Ja“.103

Franz Jägerstätter sagte von Beginn an klar „Nein“ zu dieser neuen Weltranschauung und Politik, er machte keinen Hehl aus seiner Ablehnung. Die Enttäuschung darüber, dass er mit seiner offenen Opposition so alleine dastand, obwohl nicht wenige Leute der Umgebung dem Nationalsozialismus auch ablehnend gegenüber standen, war groß. Ebenso die Tatsache, dass die katholische Kirche die Entwicklungen mit Schweigen betrachtete, war für ihn nicht leicht zu verstehen. In seinen Aufzeichnungen schreibt er: „Der Gründonnerstag war halt für uns Österreicher der unglückselige 10 April 1938. Dort ließ sich die Kirche Österreichs gefangen nehmen und liegt seitdem noch immer in Fesseln und bevor nicht dieses „Ja“, das eben damals von vielen Katholiken doch sehr zaghaft und beängstigt abgegeben wurde, nicht mit einem kräftigen „Nein“ beantwortet wird, gibt es auch für uns keinen Karfreitag; sterben müssen wir zwar deshalb schon, aber nicht für Christus, viele vielleicht zwecks Mithilfe zum nationalen Sieg.“104

2.4.2 Zeichen des Widerstandes Ein weiteres Zeichen des Widerstandes setze Franz damit, dass er aus dem Bauernbund austrat, als die Organisation dem Nationalsozialismus gegenüber einen versöhnlichen Kurs einschlug. Sicherlich kein leichter Schritt für einen Bauern, der in einer hauptsächlich argraren Umgebung mit dieser Haltung alleine dastand. Diese Protestaktion brachte viel Aufsehen in der Gemeinde mit sich.105

Nicht nur aus dem Bauernbund, der seine Zustimmung zum Nationalsozialismus zeigte, trat er aus, sondern auch aus der Freiwilligen Feuerwehr von St. Radegund. Als die Feuerwehrmänner zur Sammlung für die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) aufgerufen wurden, setzte Franz abermals ein Zeichen und verließ die Organisation. Im Falle eines Brandes, so erklärte er, könne er diesen auch „so“ löschen.106

103 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 83. 104 Jägerstätter, Franz: Heft 2.Kurze Gedanken über unsre Vergangenheit- Gegenwart und Zukunft, , zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 133. 105 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 58. 106 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 72. Seite 31 In keiner Weise wollte er auch nur ein bisschen Zustimmung zu den vorherrschenden politischen Verhältnissen und der Regierung Hitlers zeigen. Jägerstätter verzichtete auch auf die Kinderbeihilfe, die ihm vom Staat aus zugestanden wäre. Bei drei kleinen Kindern wäre dies durchaus eine nützliche Hilfe gewesen. Bei den regelmäßigen Spenden, für die Partei bzw. bestimmte Organisationen derjenigen, weigerte er sich etwas zu geben.107 Zu diesem Thema schrieb er: „[...] entweder ist die Zugehörigkeit zur Nationalsozialistischen Volksgemeinschaft sowie auch die Opfer in die rote Büchse uns Katholiken zur Seligkeit nützlich oder hinderlich? Sind sie uns zur Seligkeit nützlich, dann ist es ein Segen für das ganze deutsche Volk, dass sich der Nationalsozialismus mit all seinen Gliederungen so stark ausgebreitet, denn ich glaube, noch nie war das deutsche Volk bei den christlichen Caritasvereinigungen so stark beteiligt oder do opferbereit wie jetzt bei den Nationalen [...] Sie schreiben es eigentlich ohnedies ganz deutlich, was das W.H.W.108 eigentlich ist. In Mautern sah ich ein Plakat angeschlagen, darauf zu lesen war: „Dein Opfer im W.H.W. sei dein Bekenntnis zum Führer.“109

2.4.3 Zeichen der Wohltätigkeit Obwohl sich Franz Jägerstätter weigerte der Partei und ihren Organisationen zu spenden, zeichnete er sich durch wohltätige Taten aus. In den Kriegsjahren, teilte er seine Lebensmittel großzügig mit anderen Familien, die der Krieg schwer getroffen hatte. Trotz der Tatsache, dass auch die gesamte Familie Jägerstätter in kargen und sehr einfachen Verhältnissen lebte, hatte Franz immer etwas für andere übrig.110 Um zu geben, brauchte er keine Organisation: „[...] denn wer die christliche Nächstenliebe auch in der Tat umüben will, kann den Armen auch ohne WHW- oder Volksgemeinschaft etwas zu ihrem Lebensunterhalt beisteuern.“111

2.5 Erste Einberufung (Oktober 1940- April 1941) und Eintritt in den Dritten Orden

Bereits 1938 hatte Franz Jägerstätter einen Traum, der ihn vor den Gefahren des Nationalsozialismus warnte. Trotzdem widersetzte er sich seiner ersten Einberufung zum

107 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 59- 60. 108 Winterhilfswerk: NS- Organisation, die den Soldaten im Winter mit Kleidung und Lebensmitteln half. 109 Jägerstätter, Franz: Heft 2. Über das Thema der jetzigen Zeit: Katholik- oder Nationalsozialist, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 126. 110 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 52. 111 Jägerstätter, Franz: Heft 2.Kurze Gedanken über unsre Vergangenheit- Gegenwart und Zukunft, , zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 134. Seite 32 Militär nicht. Erst in der Zeit seiner sechsmonatigen Grundausbildung reifte in ihm endgültig der Gedanke, dass dieser Krieg Hitlers nicht gerecht sein kann und er selbst deshalb nicht kämpfen könne. Für den religiös engagierten und politisch interessierten Mann wurde klar, dass er sich nicht einfach mitreißen lassen konnte, wie so viele andere, er positionierte sich selbst abseits. Für Menschen, die sich nicht so viel um tagesaktuelle Politik und Geschehnisse kümmerten, war die Entscheidung „mitzutun“ leichter als für ihn, der auf Lesen sehr viel Wert legte.112

Während der Zeit der Grundausbildung schrieben sich die Eheleute regelmäßig; sie teilten Neues mit, tauschten sich über ihre Kinder aus, gaben sich gegenseitig Rat und sprachen einander Mut zu. Die Trennung fiel den beiden sehr schwer, sie beteuerten einander immer wieder, wie sehr sie sich auf ein Wiedersehen freuen würden. Zusätzlich kam noch hinzu, dass Franziska in dieser Zeit den Hof alleine bewirtschaften musste: keine leichte Aufgabe für eine Frau mit drei kleinen Kindern und einer gebrechlichen Schwiegermutter. Immer wieder fragte sie Franz um wirtschaftlichen Rat und er schrieb gewissenhaft um jede ihrer Fragen zu beantworten.

In der Militärzeit hatte Franz sehr unter dem Drill, „der aus dem einzelnen Menschen ein bloß noch funktionierendes Rädchen im Wehrmachtsapparat machen sollte“113, zu leiden. Ihm, der seine Freiheit liebte und ein unabhängiger und selbstständiger Denker war, fiel es schwer sich, in seinen Augen unsinnigen, Aufgaben zu widmen, wie etwa dem Befehl des Vorgesetzten, dass er ein Pferdegespann führen sollte, obwohl er am Motorrad ausgebildet wurde.114 Nicht nur der Drill, sondern auch die Beschränkung der Freizeit und speziell des Sonntages waren für ihn nur schwer zu ertragen: In vielen Briefen teilte er seiner Frau von Versuchen einem Gottesdienst beizuwohnen mit: „Liebste Gattin! Heute war ich wieder Schätze sammeln für die Ewigkeit, konnte wieder mehreren Heiligen Messen beiwohnen.[...]“115

Als bekennender gläubiger Katholik stand Franz in dieser Zeit relativ alleine da. Die Mehrzahl der Soldaten teilten seine Gesinnung nicht, und jene, die sie teilten waren oft nicht mutig genug, dazu zu stehen. Er berichtet seiner Mutter darüber:

112 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 95. 113 Ebenda, Seite 96. 114 Vgl. Ebenda, Seite 98. 115 Jägerstätter, Franz: Brief an Franziska vom 17.11.1940, zitiert in: Putz, Erna: Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, Seite 59. Seite 33 „Denn wenn man nichts zu fürchten hat, so kann’s doch nicht so schlimm werden, viele von unsren Soldaten hier sind sehr arm daran, sie würden vielleicht noch in die Kirche gehen, aber halt diese schlimme Menschenfurcht, so wissen sie halt oft gar nicht was sie an einem Sonntag anfangen sollen, zum Wirtshausgehen reicht das Geld nicht lange und immer auf dem Zimmer bleiben wird ihnen halt auch fade, dürft schon fest beten für uns Soldaten, dass es einmal am Jüngsten Tage nicht allzu schlimm ausschauen wird.“116

Für Franz war diese „Menschenfurcht“ allerdings kein Grund mit seinem Glauben hinter dem Berg zu halten. Die Militärzeit hat bei ihm andere Auswirkungen als bei den meisten: Er verleugnete und verlor sein Gottvertrauen und seinen Glauben nicht, sondern er intensivierte und lebte ihn offen. Dies brachte ihm jedoch auch den Unmut der Vorgesetzten ein und er fühlte sich benachteiligt behandelt. Öfter als andere wurde er sonntags zum Dienst bestellt, um, wie er glaubte, am Kirchgang gehindert zu werden: „Hatte jetzt schon 3 Samstage und Sonntage keine freie Zeit mehr, gestern wäre Nachmittag frei gewesen, leider musste der Franzl halt wieder zur Stallwache antreten. Für morgen bin ich schon wieder zum gleichen Dienst eingeteilt, meinetwegen sollen sie alle zusammen helfen, die können mir doch keine andere Gesinnung einjagen[...]“117

Wie bereits erwähnt, hatte das Militär das Ziel die religiösen Überzeugungen der Soldaten zu beseitigen und diese mit der nationalsozialistischen zu ersetzen. Dies wurde mit allen Mitteln versucht: Diejenigen, die sich zu ihrem Glauben bekannten, wurden vermehrt Schikanen ausgesetzt. Dies hielt viele davon ab, ihrer religiösen Gesinnung treu zu bleiben, die Angst vor Repressalien war zu groß. Hinzu kam, dass der Nationalsozialismus selbst einen quasi- religiösen Anspruch erhob und somit für die Kirche kein Platz war.

Franz Jägerstätter erlebte das Militär eindeutig antichristlich und antikirchlich.118 In diesem Umfeld, in dem Religion und Glaube keinen Platz haben sollten und durften, wagte er abermals einen ungewöhnlichen und mutigen Schritt: zusammen mit einem weiteren Soldaten119 ließ er sich am 8.12.1940 in der Franziskanerkirche in Enns in den Dritten Orden des Heiligen Franziskus aufnehmen. Am nächsten Tag berichtet er seiner Frau darüber:

116 Jägerstätter, Franz: Brief an Franziska und Mutter Rosalia vom 9.12.1940, zitiert in: Putz, Erna: Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, Seite 81. 117 Jägerstätter, Franz: Brief an Franziska vom 10.3.1941, zitiert in: Putz, Erna: Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, Seite 59. 118 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 103 119 „Rudolf Mayer, 1906-1943, seit August 1943 in Russland vermisst, aus Raab, OÖ., wurde ebenfalls in den 3. Orden aufgenommen, blieb in Kontakt mit Franz Jägerstätter“, Fußnote 88 in: Putz, Erna: Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, Seite 79. Seite 34 „Liebe Fanj, gestern am Feste der Unbefleckten Empfängnis, konnte ich noch einen großen Gnadensonntag verbringen. Es wurden in der wunderbar festlich geschmückten Franziskanerkirche zwei Soldaten in feierlicher Form in den Drittorden aufgenommen. Liebste Gattin, unter diesen zwei Soldaten war auch dein Gatte dabei, hoffe, dass du ihm deshalb nicht böse bist, denn du hast ja wie ich hoffe, dieselbe Ansicht wie ich. Muss dir auch ein guter Trost sein, dass mein Glaube als Soldat nicht schwächer wurde.[...]“120

Auffallend ist an diesem Bericht über seine Aufnahme in den Drittorden, dass Franz dies nur seiner Frau, aber nicht seiner Mutter mitteilt. Zu Franziska hat er Vertrauen, sie können sich gegenseitig alles sagen. Er ist sich auch ihrer Zustimmung zu seiner Entscheidung sicher und sucht ihre Bestätigung121. Die Informationen, die er an seine Mutter weiterleitet sind nicht so vollständig. Wahrscheinlich zeigt sich hier schon die Ahnung, bzw. die Angst, nicht von allen Mitmenschen in seinen Entscheidungen verstanden zu werden.

Der Dritte Orden wurde in Anlehnung an die im 13. Jahrhundert von Franz von Assisi stammenden Männer- und Frauengemeinschaften (Erster und Zweiter Orden) gegründet. Er ist eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die zwar in ihren Familien und Berufen bleiben, aber dennoch im franziskanischen Geist leben wollen. Die Geschichte des Ordens ist abwechslungsreich; in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts erlebte der Orden in Hinsicht auf Mitgliederzahlen eine Blütezeit. Da es den Mitgliedern verboten ist Waffen zu tragen und Eide zu leisten, wurde diese Bewegung im Mittelalter verfolgt.

Im Jahr 1883 reformierte Papst Leo XIII. den Orden und legte den Schwerpunkt auf die Frömmigkeit des/ der Einzelnen. Er sah im Orden eine Möglichkeit zur „Wiederverchristlichung“ der Massen. Der Papst forderte eine passive Haltung der Mitglieder, in Bezug auf Ungerechtigkeit erwartete er sich durch den Dritten Orden eine „Auflösung von außen her durch Nichtmitmachen, Ruhigbleiben, vor allem durch Geduld, im Wissen darum, dass die endgültige Bestimmung nicht in dieser Welt liegt“.

Wie beispielsweise die Stadtfehden am Ausgang des Mittelalters oder der Arbeiterbewegung Ende des neunzehnten Jahrhunderts zeigen, lag im Dritten Orden immer die Potenz, die

120 Jägerstätter, Franz: Brief an Franziska und Mutter Rosalia vom 9.12.1940, zitiert in: Putz, Erna: Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, Seite 79. 121 Davon kann auf jeden Fall ausgegangen werden, da auch Franziska dem dritten Orden beitrat. Seite 35 wichtigsten Probleme der Zeit zu erkennen. Revolutionäre Handlungen allerdings, wurden immer von kirchlicher Autorität gebremst.122

„Franz Jägerstätter passt gut in die Linie der franziskanischen Laienbewegung, die immer wieder den Anspruch christlicher Lebensführung mit der politischen Realität in Verbindung brachte.“123 Er setzte ein Zeichen seiner Entscheidung, an diesem Krieg nicht teilnehmen zu wollen, indem er sich einer antimilitärischen und antikriegerischen Gruppierung anschloss. Dennoch musste Franz noch weitere vier Monate im Militärdienst bleiben, ehe er mit Hilfe eines Unabkömmlichkeitsschreibens124 wieder nach Hause zurückkehren konnte.

2.6 1941- 1943: Endgültige Entscheidungsfindung

Als Franz Jägerstätter im April 1941 von seiner Grundausbildung im Militär zurückkehrte, hatte er sich bereits entschieden nicht noch einmal einzurücken. Er teilte seine Entscheidung von Beginn an seiner Frau mit, die, auch wenn es ihr schwer fiel, diesen Entschluss respektierte und zu ihm hielt. Auch Pfarrer Karobath- inzwischen zwar nicht mehr Pfarrer von St. Radegund, da er wegen antinazistischen Predigten eingesperrt und des Dekanates verwiesen worden war-125, war immer noch enger Vertrauter der Jägerstätters und wusste davon: „Zu mir sagte er, dass er nicht mehr einrücken werde.“126

Die Gründe dafür waren mehrfach: zum Ersten hatte Franz gesehen, dass, sowohl vor seiner Zeit im Militär, als auch währenddessen, das nationalsozialistische Regime die völlige Vernichtung der Kirche anstrebte. Er, der ein streng gläubiger Katholik war, konnte diese Tatsache nicht akzeptieren. Zweitens, und diese Motivation ist nicht weniger wichtig als die erste, befand Franz Jägerstätter den Krieg, den Hitler führte als ungerecht. In einem ungerechten Krieg konnte und durfte er als Christ seinem Gewissen nach nicht kämpfen.

Dem Ehepaar war von Anfang an klar, welche Konsequenzen Franz’ Entscheidung haben würde. Er reflektierte und überprüfte seine Entscheidung, er traf diese keineswegs leichtfertig, sondern notierte penibel seine Gedanken und Ausführungen. Ebenso fragte er

122 Vgl. Roggen, Heribert: Geschichte der franziskanischen Laienbewegung, Werl, 1971, zitiert in: Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 104- 105. 123 Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 105. 124 Dokument, in dem der eingezogene Soldat als unabkömmlich für den heimischen Betrieb ausgewiesen wird. 125 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 53. 126 Vorwort von Karobath, Josef, in: Bergmann, Georg: Franz Jägerstätter. Ein Leben vom Gewissen entschieden, Seite 5. Seite 36 verschiedene Geistliche um Rat, um ja nicht eine Sünde zu begehen, wenn er den Gehorsam, den sowohl der Staat, als auch die Kirche von ihm verlangte, verweigerte. Franziskas Rolle in dieser Zeit war nicht weniger schwierig: Sie unterstützte ihren Mann soweit es ging, obwohl sie wusste, dass er damit den sicheren Tod wählte. Die Rolle der Frau, die sogar zuließ, dass ihr Mann freiwillig aufgrund seiner Überzeugung den Tod wählte, war schwer und anfangs stand auch sie nicht 100%ig auf seiner Seite: „Am Anfang hab ich ihn sehr gebeten, sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen, aber dann, wie alle mit ihm gestritten und geschimpft haben- die Verwandten sind gekommen-, hab ich es nicht mehr getan. Wenn ich nicht zu ihm gehalten hätte, dann hätte er ja gar niemanden mehr gehabt. “127

Die Verwandten, die Nachbarn, die Dorfbewohner, aber auch verschiedene Geistliche, die Franz Jägerstätter um ihren Rat aufsuchte, sie alle fanden seine Entscheidung verrückt, nicht normal und versuchten alles, um ihn zu überzeugen, sein Leben nicht so sinnlos wegzuwerfen. Er aber blieb bei seiner Entscheidung, nicht in diesem ungerechten Krieg kämpfen zu wollen und setzte erneut äußere Zeichen, um zu zeigen, dass er nichts mit der nationalsozialistischen Arbeiterpartei zu tun haben wollte.

Franz Jägerstätter besuchte in dieser Zeit täglich die Heilige Messe. Dies war ungewöhnlich für einen Bauern, der nach der Meinung der anderen Dorfbewohner viel wichtigere tägliche Aufgaben zu erledigen hätte. Er musste sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er den Hof und die Familie vernachlässigen würde.128 Dieser Vorwurf kann aber kaum zutreffen, wenn Franz auch noch Lebensmittel an Bedürftige weitergeben konnte.

Wie bereits erwähnt, musste der pazifistisch eingestellte Pfarrer Karobath die Pfarre 1940 wegen einer antinazistischen Predigt mit dem Titel: „Feuer gegen Feuer, Fahne gegen Fahne, Fanatismus gegen Fanatismus“ verlassen. Sein Nachfolger war Vikar Fürthauer, den Jägerstätter zwar als geistliche Autorität respektierte, zu dem er aber nie so ein inniges Verhältnis, wie zu Karobath aufbauen konnte.

Als im Sommer 1941 der Mesner von St. Radegund starb, fragte Fürthauer Franz, ob er die Stelle des Mesners in der Pfarre übernehmen wolle. Er tat dies aus vorwiegend praktischen Gründen: da der junge Bauer ohnehin jeden Tag in die Kirche ging, könnte er diesen Dienst

127 Jägerstätter, Franziska, zitiert in: Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 191. 128 Vgl. Ebenda, Seite 72. Seite 37 doch gleich übernehmen.129 Er führte diesen Dienst mit besonderer Hingabe und Genauigkeit aus. Vikar Fürthauer berichtete, dass er sehr darüber verwundert war, wie schnell der neue Mesner, der nur die Volksschule besucht hatte, die lateinischen Messgebete auswendig gelernt hatte.130 Dies zeigt deutlich, dass Jägerstätter diese Aufgabe nicht auf die leichte Schulter nahm, sondern sie als einen Dienst an Gott verstand.

2.7 Die Texte Franz Jägerstätters

Die Texte von Franz Jägerstätter sind in zwei Heften und einigen losen Blättern erhalten. Er machte es sich mit seiner Entscheidungsfindung nicht mehr einrücken zu wollen nicht einfach. Um Streitigkeiten und politischen Diskussionen zu entgehen, vermied er es in die Gasthäuser zu gehen. Dieser Umstand brachte ihn in eine soziale Isolation. In dieser Zeit war er sehr einsam, nur mit seiner Frau konnte er sich austauschen, ohne dass sie ihn sofort verurteilte.

Um seine eigenen Gedanken zu ordnen und zu präzisieren, und wohl auch um beschäftigt zu sein, brachte er seine Überlegungen und seine Argumentation zu Papier. Dies zeigt abermals, dass der „einfache Bauer“ daran interessiert war, dass seine Gedanken nachvollziehbar waren. Allein die Tatsache, dass er sich die Zeit nahm und etwas niederschrieb, das ihn beschäftigte, ist sehr außergewöhnlich für das bäuerliche Milieu. Ein weiterer Grund, warum Jägerstätter schrieb, war seine Befürchtung, dass seine Kinder keinen Religionsunterricht mehr in der Schule bekommen würden; er wollte ihnen eine religiöse Orientierungshilfe hinterlassen.131 Aus der Widmung des ersten Heftes geht dies hervor: „Meinen Lieben. Alle diese Worte und Zeilen, die ich Euch in diesem Hefte hinterlasse, sollen Euch Glücksbringer sein für Zeit und Ewigkeit.

Wer ohne Ziel auf Reisen geht, der wandert sich arm und müd, wer ohne Ziel sein Leben lebt, der hat umsonst geblüht!“132

129Vgl. Putz, Erna: Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 108 130 Vgl. Ebenda, Seite 109. 131 Vgl. Ebenda, Seite 131. 132 Jägerstätter, Franz: Heft 1, Widmung, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 89. Seite 38 Für Jägerstätter war die Heilige Schrift eine wichtige Orientierungshilfe.133 Aus ihr nahm er die Kraft sich selbst seine Meinung zu bilden und so zu einer Gewissensentscheidung zu gelangen. Für ihn war der Bezugspunkt nie „das System“, sondern immer der einzelne Mensch, der Christ, der sich in der damaligen politischen Situation ein eigenes Urteil bilden sollte; für ihn ist der Christ nicht außerhalb der Welt, er ist in die politische Umwelt eingebunden und muss sich darin orientieren und zu seiner eigenen Meinung stehen.

2.7.1 Gegen den Strom schwimmen! Im folgenden Abschnitt machte Franz Jägerstätter eben diese Entscheidung des Einzelnen zum Thema. Er schrieb: „Ein großer Strom hat uns erfasst, in dem wir deutschen Katholiken alle schwimmen und zu kämpfen haben, ob wir in diesen Strom selbst hineingesprungen oder durch andere hineingerissen wurden, bleibt sich so lange wir uns darin befinden, so ziemlich gleich. Um glücklich wieder ans Ufer zu kommen, bleibt uns nicht anderes übrig, als gegen den Strom zu schwimmen, schwerer wird jedenfalls ein solcher gut herauskommen, welcher selbst hineingesprungen und vielleicht noch andere mitgerissen hat, weil ihm das schlechte Gewissen seine Kraft schwächt und ohne Kraft wird einer den Kampf mit den Wellen bald aufgeben müssen, ein solcher wird sich zwar noch eine Zeitlang auf dem Wasser halten können, denn von den Wellen sich mitspülen zu lassen beansprucht ja nicht so viele Kräfte, wird einem solchen vom Ufer aus ein Rettungsring zugeworfen, wo eins auch nicht gerade langsam sein darf, um ihn zu erfassen, wird ein solcher über kurz oder lang rettungslos in den Wellen untergehen und tot ans Ufer gespült werden [...] Sind es jetzt wohl viele, die sich aus diesem Strom retten wollen und stramm gegen den Strom schwimmen? [...] Sehr traurig ist natürlich heute, dass so viele die gefährliche Lage, in der wir uns befinden, nicht erkennen oder erkennen wollen.“134

Nicht nur das Thema dieser und anderer Passagen ist ungewöhnlich für einen Menschen, der nur eine Volksschule besucht hat, sondern auch die Art und Weise wie er seine Gedanken ausdrückt. Jägerstätter macht dies, wie auch in der Beschreibung seines Traumes, mit Hilfe von Metaphern. Er verwendet ein Bild, wie hier einen Strom (oder auch der fahrende Zug) und beschreibt mit Hilfe desselben die politische Situation. Jägerstätters Anspruch wird deutlich: die politische Situation; das NS- Regime reißt die Menschen mit, wie Schwimmende in einem Strom, und weil es leichter und bequemer ist mit dem Strom zu schwimmen, tun dies die meisten. Er verlangt jedoch, dass man gegen den Strom schwimmt, nicht den

133 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 131. 134 Jägerstätter, Franz: Heft 1, Noch kurze Gedanken über die gegenwärtige Zeit, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 121-123. Seite 39 einfachen Weg der Zustimmung wählt, sondern mit aller Kraft dagegen schwimmt, und so an das wirklich rettende Ufer gelangt.

2.7.2 Gehorsam Im Gegensatz zur kirchlichen Führung, die trotz der grausamen Verbrechen des NS- Regimes weiterhin zum Gehorsam aufrief, wie der Hirtenbrief der deutschen Bischöfe 1941, in dem zwar die Einschränkungen des kirchlichen Einflussbereiches beklagt werden, aber dennoch zu „treuer Pflichterfüllung, tapferem Ausharren, opferwilligem Arbeiten und Kämpfen im Dienste unseres Volkes“135 aufgerufen wurde, fand Franz Jägerstätter deutliche Worte um die Unvereinbarkeit des christlichen Glaubens mit der nationalsozialistischen Ideologie zu statuieren. „Christus verlangt aber auch von uns ein öffentliches Bekenntnis unseres Glaubens, genau wie auch der Führer von seinen Volksgenossen. Die Gebote Gottes lehren uns zwar, dass wir auch den weltlichen Oberen Gehorsam zu leisten haben, auch wenn sie nicht christlich sind, aber nur soweit sie uns nichts Schlechtes befehlen. Denn Gott müssen wir noch mehr gehorchen als den Menschen. Und wer kann daher zwei Herren auf einmal dienen?“136

Anhand dieser Textstelle werden mehrere Dinge deutlich: Erstens Franz Jägerstätter ist sich bewusst, dass ein guter Christ grundsätzlich der weltlichen Obrigkeit gehorchen muss, auch wenn diese weltliche Führung nicht christlich ist. Dennoch, wenn diese Obrigkeit Dinge befiehlt, die so schlecht sind, dass sie nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar sind, so ist Gott die höhere Autorität und man muss sich eher an seine als an weltliche Gesetze halten.

Zweitens: Richtschnur seiner Argumentation ist die Bibel. Er legt biblische Grundlagen und Aussagen auf die Gegenwart um und versucht sich mit deren Hilfe zu orientieren. Für ihn ist die Bibel nicht irgendein Buch, aus dem sonntags gelesen wird, sondern sie ist verbindlich für jeden Christen. Deshalb sollen drittens die Christen sich offen zu ihrem Führer, Jesus Christus bekennen, so wie es auch „Hitlers Volksgenossen“ tun. Christen sollen nicht schweigen angesichts der schreienden Ungerechtigkeit und des Übels, das der Nationalsozialismus mit sich bringt, sondern sollen mutig Zeugnis ablegen und für ihren Führer genauso ehrlich kämpfen. Jägerstätter mahnt zu Mut und Aufrichtigkeit, nicht jene, die sagen: „Man kann ja

135 Hirtenbrief der am Grabe des Heiligen Bonifatius versammelten Oberhirten der Diözesen Deutschlands vom 26. Juni 1941, Pfarrarchiv Ostermiething, zitiert in: Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 129. 136 Jägerstätter, Franz: Heft 2, Kurze Gedanken über unsre Vergangenheit- Gegenwart und Zukunft, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 135. Seite 40 einstweilen im Geheimen auch Christ bleiben, bis die Sache anders aussieht, [...]“137 werden am Ende siegreich hervortreten, sondern jene, die zu ihrer Gesinnung stehen.

Das Thema des Gehorsams scheint Franz Jägerstätter generell sehr beschäftigt zu haben. Für ihn, der in einem Milieu aufwuchs, in dem Gehorsam in jeglicher Form (gegenüber Eltern, Lehrern, Geistlichen, dem Staat, der Kirche) die Menschen sehr prägte, war die Entscheidung, die er traf sehr ungewöhnlich: zwar war er einerseits ein durchaus moderner Mensch, der die technischen Errungenschaften ebenso zu nutzen wusste, wie er die eigene Freiheit und Unabhängigkeit schätzte, auf der anderen Seite aber war er ein sehr traditioneller Mensch. Er stellte den katholischen Glauben und die absolute Einhaltung der biblischen Gebote nie in Frage und war sehr mit dem Thema der Sünde beschäftigt.

Gerade deshalb war es für ihn eine außerordentlich schwierige Entscheidung Widerstand zu leisten, nicht nur gegen den Staat, sondern auch gegen die kirchliche Führung. Die Obrigkeit, weltlich, wie kirchlich, rief zu Gehorsam auf, und alle in seinem Umfeld leisteten diesem Aufruf Folge. Allein er konnte es nicht, da ihn sein Gewissen, und seine Gewissheit, dass dieser Gehorsam eine Sünde sei, davon abhielten. Die Tatsache, dass an so vielen Stellen der Gehorsam thematisiert wird, lässt darauf schließen, dass er sich, indem er seine Gedanken niederschrieb, selbst Mut zuredete. Da es niemanden gab, der dies sonst tat, musste er es selbst tun: „Um des Gehorsams wegen heißt es freilich manchmal anders handeln als man denkt, aber dieser Gehorsam braucht deswegen nicht soweit gehen, dass man sich sogar zu schlechten Taten hinreißen lässt.“138

2.7.3 Ziviler Ungehorsam An dieser Stelle soll auch „ziviler Ungehorsam“ thematisiert werden. Franz Jägerstätter verwendete diesen Begriff zwar nie in seinen Aufzeichnungen, aber ihm war sehr daran gelegen, seinen eigenen Ungehorsam der Kirche und dem Staat gegenüber zu erklären und zu rechtfertigen.

137 Jägerstätter, Franz: Heft 2, Kurze Gedanken über unsre Vergangenheit- Gegenwart und Zukunft, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 135. 138 Jägerstätter, Franz: Heft 2, Das falsche Spiel, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 135. Seite 41 Die Begriffsgeschichte ist geprägt von der Diskussion, wie „ziviler Ungehorsam“ genau zu definieren sei. Von verschiedenen Autoren wird darunter nur ein politisch motivierter und auf gesellschaftliche Umbrüche zielender Ungehorsam verstanden. Ungehorsam, der auf persönliche Integrität und Gewissensentscheidung beruht, ohne direkt politische Ziele im Auge zu haben, wird von diesen Autoren im Unterschied dazu als „Befehlsverweigerung“ bezeichnet. Angemessener scheint es allerdings zu sein, beides, also sowohl „gemeinschaftlich-appellative“ Handlungen, als auch stärker individuell motivierte Ungehorsamsakte als zivilen Ungehorsam zu bezeichnen.139 Staat und Politik haben eine Dienstfunktion am Gemeinwohl ihres Herrschaftsgebietes. Wird diese Macht allerdings vernachlässigt oder missbraucht, gilt das Naturrecht jedes Bürgers/jeder Bürgerin, sich zu wehren und für eine verbesserte Rechtsordnung einzutreten. In einem solchen Fall hat Ziviler Ungehorsam Platz und kann als Menschenrecht angesehen werden.140

In der Geschichte des Christentums wurde der Gehorsam des/ der Einzelnen immer stärker betont als Ungehorsam. Zu sehen ist dies beispielsweise im bereits zitierten Grundsatz „in dubio pro auctoritate“, der immer wieder angeführt wurde, um den Einzelnen die Zweifel an der Gerechtigkeit eines Krieges zu nehmen. Hier wird praktisch blinder Gehorsam gefordert. Erst auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde dieser Grundsatz verworfen und es gab eine Aufwertung zum mündigen Laien.141

Bereits bei Jesus selbst ist eine Widerstandshaltung der weltlichen Macht gegenüber zu finden, die auch bewusste Akte des Ungehorsams miteinschloss, wie beispielsweise das Nicht-Einhalten des Sabbatgebotes (Mk 2,23-28) zugunsten einer konsequenten Ausrichtung auf das, was als Letztes und Höchstes erkannt wurde, nämlich das Reich Gottes.142

Der Neutestamentler Gerd Theißen stellte drei Verhaltensmuster fest, deren Kombination jeder Macht gefährlich wird. Diese Verhaltensmuster treffen allerdings nicht nur auf Jesus zu, sondern finden sich auch bei Franz Jägerstätter: Erstens der Mut zur öffentlichen Kritik (und eine entsprechende Resonanz), zweitens die Bereitschaft zu provokatorischen Handlungen, durch die bestehende Regeln kompromittiert werden und drittens eine demonstrative

139 Vgl. Remele, Kurt: Ziviler Ungehorsam. Seite 109-111. 140 Vgl. Wolkinger, Alois: Zur Ethik des Zivilen Ungehorsams, Seite 32-33. 141 Vgl. Ebenda, Seite 36. 142 Vgl. Ebenda, Seite 37. Seite 42 Wehrlosigkeit.143 Die Parallelen der beiden Verhalten von Jesus Christus und Franz Jägerstätter werden, unter diesem Aspekt betrachtet, sehr deutlich. Eine weitere Parallele zeigt das gewaltsame Lebensende. Hier muss allerdings betont werden, dass Franz Jägerstätter auf keinen Fall auf eine Stufe mit Jesus Christus gestellt werden und verherrlicht werden soll.

Ziviler Ungehorsam ist unter den jeweiligen staatlichen Gesetzen illegal, aber er kann moralisch legitim sein.144 Hier zeigt sich wieder deutlich das Beispiel Jägerstätter: sein Ungehorsam, seine Wehrdienstverweigerung war illegal, der Staat verfolgte und bestrafte ihn dafür. Auch von Seiten der Kirche war sein Verhalten, wenn zwar nicht unmoralisch, dann zumindest nicht erwünscht. Er handelte also gegen gleich zwei Autoritäten, um in seinen Augen moralisch legitim, seinem Gewissen nach zu handeln.

Obwohl der wenig (schul-) gebildete, doch sehr belesene Franz Jägerstätter bestimmt nie etwas von dem amerikanischen Philosophen und Schriftsteller Henry Thoreau gehört hatte, beherzigte er dennoch dessen Grundprinzip: „Nicht vor dem Gesetz soll man Respekt haben, sondern vor der Gerechtigkeit.“145 Diesen Grundsatz kannte Jägerstätter zwar nicht von Thoreau, doch er las neben der Bibel auch viele andere Schriften, die seine Einstellung und sein Verhalten wesentlich beeinflussten.

Vor allem das Buch „Helden und Heilige“ von Hans Hümmeler, eine Sammlung von Kurzbiografien von Männern und Frauen, die ein besonders vorbildliches christliches Leben führten, dürfte wesentlichen Eindruck auf ihn gemacht haben.146 Wahrscheinlich hatte er es in der Privatsammlung des Adoptivgroßvaters vorgefunden und seit seiner Kindheit mehrmals gelesen. Bei den Biografien dieser Menschen fällt auf, dass auch sie sich nicht immer an die Gesetze hielten, sondern nach ihrem Gewissen handelten. Auch sie waren „ungehorsam“. Diese mutigen Glaubenszeugnisse halfen ihm auch in seinem „ungehorsamen“ Weg in der Nachfolge Jesu; er bewunderte sie und wollte ihnen, die an ihrem Gottesglauben allen äußeren Umständen zum Trotz, festhielten, nachfolgen.

143 Theißen, Gerd: Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 1983², zitiert in: Wolkinger, Alois: Zur Ethik des Zivilen Ungehorsams , Seite 38. 144 Vgl. Wolkinger, Alois: Zur Ethik des Zivilen Ungehorsams, Seite 44. 145 Thoreau, Henry David: Resistance to Civil Government, in: Glick, Wendell (Ed.): The Writings of Henry D. Thoreau, Seite 65, eigene Übersetzung. 146 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 155. Seite 43 Der Schluss dieses Buches kann als antinationalistisch verstanden werden, der Christusruf wurde zu einem Schlüsselsatz für Franz: „Christus ist Sieger, Christus ist König, Christus ist der Herrscher über alle Welt – Christus, Du schirme dein Volk wider alle Feinde! So dachten die alten Kämpfer und Bekenner. Und wir- dürfen wir kleingläubiger sein?“147 Für ihn konnte eine weltliche Macht, die so deutlich gegen Christus eintrat nicht seinen Gehorsam verlangen.

2.7.4 Die Ungerechtigkeit dieses Krieges Der Hauptgrund für Franz Jägerstätter nicht mehr einzurücken, neben dem, dass Hitler offen die Kirche verfolgte, war, dass er diesen Krieg für ungerecht hielt: „Es ist eben sehr traurig, wenn man wieder von Katholiken hören kann, dass dieser Krieg, den Deutschland jetzt führt, vielleicht doch nicht so ungerecht ist, weil doch damit der Bolschewismus ausgerottet wird. Es ist wahr, dass gerade jetzt die meisten unsrer Soldaten im ärgsten Bolschewistenlande stecken, und alle, die in diesem Lande sich befinden und sich zur Wehr setzen einfach unschädlich oder wehrlos machen wollen. Und nun eine kurze Frage: was bekämpft man in diesem Lande, den Bolschewismus – oder das russische Volk?[...] Kämpft man gegen das russische Volk, so wird man sich auch aus diesem Lande so manches holen, was man bei uns gut gebrauchen kann, denn kämpfte man bloß gegen den Bolschewismus, so dürften doch diese andren Sachen wie Erze, Ölquellen oder ein guter Getreideboden doch gar nicht so stark in Frage kommen?“148

Es ist erstaunlich, wie klar Franz Jägerstätter die Situation einschätzte: Den Vorwand, den Hitler vorbrachte, nämlich dass die Kirche sein Regime zur Unterstützung gegen den Bolschewismus brauche, entlarvt Jägerstätter als Lüge. Er, ein einfacher, wenig gebildeter Bauer in einem Dorf in Oberösterreich, konnte dies erkennen, während die vielen hoch gebildeten Bischöfe sich auf diese Entschuldigung für den Krieg einließen. Auch viele einfache Katholiken ließen sich davon blenden und konnten mit dieser Erklärung ihr Gewissen beruhigen und in den Krieg ziehen. Jägerstätter allerdings blieb bei seinem Standpunkt: dies war ein Krieg, bei dem auch andere Dinge als die religiöse Bekehrung der Bevölkerung, nämlich die wertvollen Bodenschätze Russlands, eine Rolle spielen. Er wollte an diesem Raubzug gegen die russische Bevölkerung nicht teilnehmen. Er verstand nämlich,

147 Hümmeler, Hans: Helden und Heilige. Einbändige Sonderausgabe (42.- 141. Tausend), Bonn: Verl. der Buchgemeinde o. J., zitiert in: Wolkinger, Alois: Christ, Staat und Krieg, Seite 128. 148 Jägerstätter, Franz: Heft 2, Bolschewismus- oder Nationalsozialismus, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 137-138. Seite 44 dass man nie nur gegen ein System, sondern immer auch gegen den konkreten Menschen kämpft, Menschen, die in diesem Fall ihre Heimat verteidigten.

An einer zweiten Stelle widmete er sich noch einmal ausführlich dem Thema, ob dieser Krieg gerecht oder ungerecht sei: „Wenn einem heute das Nichtbefolgen solch schlechter Befehle als schwer sündhaft angerechnet wird, so ist es einem heute bei der größten Christenverfolgung, die je existiert hat, unmöglich, sein Leben für Christus und seinen Glauben zu opfern. Ist denn das heutzutage schon egal, ob man einen gerechten oder ungerechten Krieg führt? Hätte ich nie so viel an katholischen Büchern und Zeitschriften gelesen, so wär ich vielleicht auch heute andrer Gesinnung. Wie konnte man früher so viele Christen heilig sprechen, die ihr Leben so leicht aufs Spiel gesetzt, natürlich ihres Glaubens wegen, die meisten von denen hätten keine so schrecklichen Befehle ausführen gebraucht, als jetzt von uns verlangt wird. Gibt es denn noch viel Schlechteres, als wenn ich Menschen morden und berauben muss, die ihr Vaterland verteidigen, nur um einer antireligiösen Macht zum Siege zu verhelfen, damit sie ein gottgläubiges oder besser gesagt ein gottloses Weltreich gründen können.[...] Ist denn das für einen Christen nicht noch erdrückender, wenn ich einen Menschen erschießen oder erschlagen soll und dabei denken muss, wenn ich den jetzt erschieße, so fährt seine Seele auf ewig in die Hölle und doch führt dieser einen gerechteren Kampf als ich.“149

Wieder geht Jägerstätter auf das Thema des Gehorsams ein. Er kann nicht gehorchen, wenn er genau weiß, dass sein Auftrag ungerecht und sündhaft ist. Er weiß um die Sündhaftigkeit, denn er hat sich eine eigene Meinung mit Hilfe von Büchern und Zeitschriften gebildet. Dies lässt sein Argument in seinem Brief an den Patensohn sehr glaubwürdig erscheinen: „[...]denn ein Mensch der nicht liest, wird sich nie so recht selbst auf die Füße stellen können, sie werden sehr oft nur zum Spielball andrer.“ 150

Aus diesem Text wird auch deutlich, dass Jägerstätter die Menschen, die ihr Vaterland mit Gewalt verteidigen, versteht. Diese kämpfen für eine gerechte Sache, für ihre Heimat. Dies würde auch er tun, er hätte durchaus für Österreich gekämpft, wenn es statt einer fast hundertprozentigen Zustimmung zum Anschluss einen Aufruf zur Vaterlandsverteidigung gegeben hätte. Einen Angriffskrieg jedoch, in dem er Menschen um der Bodenschätze willen töten sollte, empfand er als absolut ungerecht.

Jägerstätter steht offensichtlich in der Tradition des gerechten Krieges: Für ihn gab es definitiv einen Aggressor, nämlich das antireligiöse NS- Regime, das einen Raubzug gegen

149 Jägerstätter, Franz: Heft 2, Gerechter oder ungerechter Krieg?, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 137-138. 150 Vgl. Fußnote 93 dieser Arbeit. Seite 45 das russische Volk führte und daher im Unrecht war. Das Ziel Hitlers war es diese Menschen zu unterwerfen und sich die Bodenschätze des Landes zu eigen zu machen. Der Defensor, das russische Volk, musste sich verteidigen. Die russischen Soldaten kämpften für ihre Heimat. Da das eigene Land, bzw. das Dritte Reich der Angreifer war, konnte er nicht an diesem Krieg teilnehmen.

Franz Jägerstätter blieb in seiner Argumentation streng in der Linie der Lehre vom gerechten Krieg. In einem Punkt unterscheidet er sich jedoch: traditionell steht es einem Christ/ einer Christin nicht zu autonom zu entscheiden, ob ein Krieg gerecht ist oder nicht; dies ist Aufgabe der Herrschenden. Franz Jägerstätter jedoch, der ansonsten sehr an die Herrschaftsstruktur der katholischen Kirche glaubte und diese auch nicht in Frage stellte, geht hier einen anderen Weg: er macht sich selbst sein Urteil über diesen Krieg und fällt seine Entscheidung: er kann einer weltlichen Macht nur so lange Gehorsam leisten, so lange sie nichts Unrechtes und Schlechtes befiehlt. Gott ist und bleibt für ihn die letzte Autorität: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg 5, 29).

2.7.5 Ein Beispiel sein! Franz Jägerstätter verurteilte nicht den einzelnen Soldaten, der für die ungerechte Sache Hitlers kämpfte, dazu, fand er, habe er kein Recht: „Wir dürfen verurteilen die nationalsozialistische Idee oder Gesinnung, aber nicht den Menschen selbst, der solche Gesinnung hat, denn es steht nur Gott allein zu, über den Menschen zu richten und ihn zu verurteilen, vor Gott sind wir eben alle Brüder und Schwestern. Wir wissen doch, dass das höchste Gebot die Gottesliebe ist und nach dieser kommt die Nächstenliebe.“151

Dennoch fand er mahnende Worte für diejenigen, die zwar um den Frieden beteten, aber für den nationalsozialistischen Sieg kämpften, opferten und arbeiteten: „Wir sollten aber nicht bloß Katholiken des Gebetes, sondern auch der Tat sein. [...] Wer bringt es fertig, Soldat Christi zu gleicher Zeit auch Soldat für den Nationalsozialismus zu sein? “152

Er rief alle dazu auf, zu Christus zu stehen, Verantwortung zu übernehmen und nicht für einen ungerechten Krieg zu kämpfen und zu sterben (die Überlebenschancen für Soldaten im

151 Jägerstätter, Franz: Heft 2, Den andren nicht verurteilen, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 164. 152 Jägerstätter, Franz: Heft 2, Wir beten um den Frieden, kämpfen, opfern und arbeiten aber für den nationalsozialistischen Sieg, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 163- 164. Seite 46 Stalingradwinter waren nicht sehr groß). Viele, die in Hitlers Armee kämpften waren durchaus nicht einverstanden mit der nationalsozialistischen Gesinnung, sondern kämpften, weil sie nicht wussten, wie sie sich anders verhalten sollten. Jägerstätter wusste, wie er sich zu verhalten hatte: er sagte Nein und trug dafür die unausweichlichen Konsequenzen. Wenn er schon sein Leben riskieren sollte, dann aber für eine Sache, von der er überzeugt war, und nicht irgendwo fern der Heimat für einen ungerechten Krieg: „Wenn auch bei diesem furchtbaren Verein vieles erlaubt ist, so glaub ich, ist es dennoch besser lieber gleich das Leben zu opfern als sich zuerst noch in die große Gefahr zu begeben zu sündigen und dann noch zu sterben.“153

2.8 Der Rat der Geistlichen

Franz war es sehr wichtig, seine Entscheidung nicht mehr einzurücken mit Geistlichen abzuklären, um, indem er dem Staat und der Kirche gegenüber ungehorsam war, ja nicht eine Sünde zu begehen. Es verunsicherte ihn sehr, dass er scheinbar der Einzige war, der im Sinne der Lehre vom gerechten Krieg für sich befand, dass dieser Krieg Hitlers ungerecht war. Die Lehre war ihm wahrscheinlich durch den Religionsunterricht und Katechismen geläufig.154 Er wandte sich deshalb an verschiedene Priester seiner Umgebung, jedoch erschienen ihm diese „zu wenig glaubwürdig“.155 Darum wagte er einen ungewöhnlichen Schritt: er besprach sich mit seinem Bischof, Josephus Fließer. Franziska, die ihren Mann zu diesem Treffen begleitet hatte, erinnert sich daran: „Er war sehr traurig und sagte zu mir: ‚Sie trauen sich selber nicht, sonst kommen’s selber dran.’ Der Haupteindruck von Franz war, dass der Bischof nicht wagte, offen zu sprechen, weil er ihn nicht gekannt hatte; er hätte ja auch ein Spion sein können.“156

Es kann davon ausgegangen werden, dass sich Franz auf dieses Treffen sehr genau vorbereitet hat: In den Aufzeichnungen befindet sich ein Blatt, auf dem 11 Fragen formuliert sind. Wahrscheinlich hat Franz dem Bischof diese Fragen gestellt.157 Hier sollen ein paar dieser Fragen exemplarisch genannt werden:158

153 Jägerstätter, Franz: Brief an Pfarrer Josef Karobath am 23.2. 1943, zitiert in: Ebenda, Seite 23. 154 Vgl. Wolkinger, Alois: Christ, Staat und Krieg, Seite 117. 155 Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 147. 156 Zitiert in: Ebenda. 157 Vgl. Ebenda. 158 Alle 11 Fragen sind nachzulesen unter: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 177- 178. Seite 47 „4.) Welcher Katholik getraut sich, diese Raubzüge, die Deutschland schon in mehreren Ländern unternommen hat und noch immer weiterführt, für einen gerechten und heiligen Krieg zu erklären?

8.) Wenn also die deutschen Soldaten, die im Kampfe für den nationalsozialistischen Sieg ihr Leben lassen müssen, für Helden und Heilige erklärt werden können, um wie viel besser muss es dann noch für die Soldaten in den anderen Ländern bestellt sein, die von den Deutschen überfallen wurden und hinausziehen, um ihr Vaterland zu verteidigen, kann man da noch den Krieg als Strafe Gottes ansehen, ist es dann nicht besser zu beten, dass der Krieg fortdauere bis ans Ende der Welt, als zu beten, dass er bald aufhört, wenn doch so viele Helden und Heilige daraus hervorgehen?

10.) Warum soll denn das jetzt für gerecht und gut befunden werden, was die Masse schreit und tut? Kann man jetzt auch glücklich ans andre Ufer gelangen, wenn man sich stets wehrlos vom Strom mitreißen lässt?“

Der Bischof konnte nicht sagen, dass Franz die politische Situation falsch einschätzte, aber er gab ihm den Rat, er solle in den Krieg ziehen, es sei nicht seine Aufgabe zu bewerten, ob dieser Krieg gerecht oder ungerecht sei. Er habe an seine Familie zu denken. Im damaligen Denken hatte der „mündige Christ“ noch keinen Platz. 159 Der Bischof, der noch nach dem Moralschema der verantwortlichen Obrigkeit“ dachte und agierte, schrieb 1946: „Ich habe umsonst ihm die Grundsätze der Moral über den Grad der Verantwortlichkeit des Bürgers und Privatmannes für die Taten der Obrigkeit auseinandergesetzt und ihn an seine viel höhere Verantwortung für seinen privaten Lebenskreis, besonders für seine Familie erinnert.“160

Dieser Rat, den der Bischof erteilte, steht in einer Linie mit den bischöflichen Weisungen für das Verhalten des Klerus, unmittelbar nach Kriegsbeginn 1939: „Abfällige Kritik an staatlichen und sozialen Maßnahmen, Untergrabung der Autorität und Hervorrufen von Unzufriedenheit ist entschieden zu unterlassen.“161 Aus dieser Weisung ist Neutralität herauszulesen, zu Vorsicht und Klugheit wird gemahnt, da die Angst berechtigterweise bestand, zu offene Gegnerschaft würde zu Inhaftierungen des Klerus führen. Jägerstätter hatte dieses Dokument sicher nie gesehen. Aber wieder einmal ist sein scharfer Instinkt und die richtiger Einschätzung der Situation zu erkennen: „Sie trauen sich selber nicht, sonst kommen’s selber dran.“

159 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 171. 160 Aus dem „Ablehnungsbrief“ des Kirchenblattes bezüglich eines Jägerstätterartikels an Pfarrer Arthofer, Kronstorf, vom 27. 2. 1946, zitiert in: Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 171. 161 Weisung an den Hochw. Klerus des Bischöflichen Ordinariates Linz am 5. September 1939, hektographiertes Exemplar im Pfarrarchiv Ostermiething, zitiert in: Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt...,Seite 151. Seite 48 Für Franz Jägerstätter war dies ein schwerer Schlag: nicht nur wurde er von seiner Umwelt, der Dorfgemeinschaft aufgrund seiner Einstellung geächtet, sondern auch die kirchlichen Amtsträger, allen voran der Bischof, waren auf eine neutrale Haltung und Pflichterfüllung, nicht auf Widerstand bedacht. Der einzige Halt, neben seiner Frau Franziska, der ihm blieb, war seine tiefe Christusbeziehung: der tägliche Besuch der Heiligen Messe und sein Mesnerdienst demonstrierten nach außen diese innere Haltung.162

Mit dem Argument, dass er an seine Familie zu denken habe, und nicht an Dinge, mit denen sich die Obrigkeit zu beschäftigen hat, setzte er sich genau auseinander: Da es für Männer ohnehin unmöglich geworden war, für ihre Frauen und Kinder zu sorgen, da das Einrücken unausweichlich und der Tod an der Front sehr wahrscheinlich war, konnte Jägerstätter auch seine Liebsten in die Hände legen, in die er am meisten vertraute: die Hände Gottes: „Meine Familie wird Gott und die Hl. Jungfrau nicht verlassen, denn ich kann sie ja auch so nicht weiter beschützen, schwer wird es für meine Lieben schon werden. Dieser Abschied wird wohl sehr schwer werden.“163

2.9 Gefängniszeit

Am 23. Februar 1943 erhielt Franz Jägerstätter seine zweite Einberufung zur Wehrmacht. Er fuhr freiwillig mit dem Zug nach Enns, da er seiner Familie die Schmach seiner Verhaftung ersparen wollte. In der Kaserne angekommen, sprach er seine Verweigerung, in diesem Krieg zu kämpfen, aus. Noch am selben Tag wurde er nach Linz ins Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis gebracht, wo er bis zum 4. Mai blieb. Danach verlegte man ihn ins Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis nach Berlin Tegel. Am 6. Juli wurde er vom Reichskriegsgericht zum Tod verurteilt. Am 9. August wurde Franz Jägerstätter in Brandenburg enthauptet.

2.9.1 In Enns und Linz In diesen knapp sechs Monaten, die Franz Jägerstätter auf seinen sicheren Tod warten musste, schrieb er erneut sehr viel. Wahrscheinlich tat er dies um seine Angst zu mildern und um sich Mut zuzusprechen. Viele Texte von ihm wirken wie eine abermalige Bestätigung seiner Entscheidung. Er wollte auf keinen Fall „schwach werden“, dem Druck der SS- Männer

162 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 180. 163 Zitat in: Ebenda, Seite 151. Seite 49 nachgeben und seine Entscheidung aufgeben. Dass dies durchaus versucht wurde zeigt ein Brief an Franziska: „Man wollte mich auch in Enns mit allen Tricks fangen und mich doch wieder zum Soldaten machen. Es war nicht so leicht bei meinem Entschluss zu bleiben. Es kann auch weiterhin noch schwer werden, aber ich vertraue doch auf Gott, wenn es anders besser wäre mir doch noch eine Weisung zu geben.“164

Nicht nur die Nationalsozialisten versuchten Jägerstätter zum Militärdienst zu bewegen, auch ein Priester wurde gerufen, um ihn davon zu überzeugen Gehorsam zu leisten. Pfarrer Franz Baldinger versuchte Jägerstätter, der seine Überzeugung, dass die nationalsozialistische Regierung böse und der Krieg ungerecht sei kundtat, mit verschiedenen Argumenten umzustimmen und so sein Leben zu retten:165

1) Ein privater Staatsbürger trägt keine Verantwortung für die Taten der Obrigkeit; er solle, wie auch Millionen andere ChristInnen den Befehlen gehorchen. Damit würde er nicht seine Zustimmung zum Regime geben, sondern 2) Verantwortung für seine Familie übernehmen und sie nicht im Stich lassen. Die Folgen bei Befehlsverweigerung waren bekannt: Inhaftierung und Todesstrafe. 3) Als Durchschnittsbürger könne man nicht entscheiden, ob ein Krieg gerecht oder ungerecht sei, denn man habe zu wenig Einblick in die Politik. Er solle sich nicht über seinen Stand als Bauer in etwas einmischen, dass er nicht verstehen könne.

Jägerstätter aber blieb bei seiner Entscheidung und stand zu seiner Einstellung. Wichtige Stütze war ihm dabei seine Spiritualität: eine wesentliche Position nahm die Passion Christi ein. In dieser schweren, einsamen und ungewissen Zeit fühlte er sich Jesus Christus, dem Leidensmann besonders nahe und verbrachte viel Zeit mit Gebet. Dies stärkte ihn, um den immer wiederkehrenden Anfeindungen und Anfechtungen seiner Entscheidung gegenüber standhaft zu bleiben. Er schrieb: „[...] was ist denn schon unser kleines Leiden gegen dem, was Christus in der Karwoche gelitten hat. Wer nicht mit und für Christus leiden will, wird auch nicht mit Christus auferstehen.“166

164 Jägerstätter, Franz: Brief an Franziska am 5.3. 1943, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 28. 165 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 91. 166 Jägerstätter, Franz: Brief an Franziska am 18.4.. 1943, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 40. Seite 50 Außerdem schrieb Franz regelmäßig seiner Familie, wie in der Zeit, als er das erste Mal bei der Wehrmacht war. Der Unterschied lag allerdings darin, dass dieses Mal ein Wiedersehen ausgeschlossen war. Franziska schrieb ihrem Gatten: „Als ich vor zirka 2 Jahren dir Briefe schrieb, war mir auch sehr wehmütig ums Herz, dass du nicht bei uns sein konntest, aber ich hatte wenigstens eine Vorfreude auf ein Wiedersehen wenn du Urlaub bekommst, aber dieses Schreiben in deiner jetzigen Lage macht mich schrecklich traurig.[...] Hatte noch immer die kleine Hoffnung, vielleicht könntest dich auf der Fahrt noch anders entschließen, weil du mir fürchterlich erbarmst und ich gar nicht helfen kann, werde die liebe Gottesmutter schon recht innig bitten, dass sie dich wieder zu uns heimführen wird, wenn es der Wille Gottes ist.“167

Franz, der die Situation realistisch einschätzte und nicht mehr an ein Wiedersehen mit seinen Liebsten glaubte, bedankte sich bei seiner Gattin in einem Brief: „ Liebste Gattin, bedanke mich nochmals herzlich für all deine Liebe und Treue und Opfer, die Du für mich und die ganze Fam. gebracht hast. Und für all die Opfer, die Du noch für mich bringen musst.[...] Und ersetze den Kindern jetzt auch den Vater. Zürne auch der Mutter nicht, wenn sie uns auch nicht versteht[...]“168

Er bedankte sich dafür, dass sie ihm immer eine liebende, treue Ehefrau war. Sie brachte ihm Verständnis entgegen: im „uns“ kann man erkennen, dass er dankbar war für die Unterstützung seiner Frau, dass er sie an seiner Seite wusste. Ihm war auch klar, dass sein Verhalten viele Opfer von Franziska forderte und sie noch viel Leid vor sich hatte. Das Umfeld verstand Franz’ Entscheidung nicht, Franziska aber verstand und akzeptierte sie.

2.9.2 Sanitätsdienst als Hoffnung Am 11.3. schrieb Franz überraschend an seine Frau, dass es vielleicht doch einen Ausweg aus der aussichtslosen Situation geben könnte; einen Weg, wie er sich einen Dienst vorstellen könnte, ohne dass er seine Überzeugung aufgeben hätte müssen: „Teile dir auch mit, dass ich mich zur Sanität bereit erkläre, denn hier kann man ja eigentlich doch Gutes tun und die christliche Nächstenliebe im praktischen Sinne ausüben, wozu sich auch mein Gewissen nicht mehr sträubt.“169 Franziska antwortete auf diesen Brief freudig:

167 Jägerstätter, Franziska: Brief an Franz am 7. 3. 1943, zitiert in: Putz, Erna: Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, Seite 126. 168 Jägerstätter, Franz: Brief an Franziska am 1.3. 1943, zitiert in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 23. 169 Jägerstätter, Franz: Brief an Franziska am 11.3. 1943, zitiert in: Ebenda, Seite 29- 30. Seite 51 „Ich wünsche dir von ganzen Herzen Glück zu deinem Entschluss, da kannst doch wieder Gutes tun, und ich freue mich schon im voraus auf ein Wiedersehen, wenn Gott es will.“170

Jägerstätter wäre also bereit gewesen, seine Pflicht in der Wehrmacht zu erfüllen; zwar nicht den Dienst mit der Waffe, sondern als Sanitäter, wo er, wie er es ausdrückte, doch noch Gutes tun könnte. Allerdings lebte dieser Funke Hoffnung nicht lange: Jägerstätter hatte sich zwar zum Dienst bereit erklärt, aber die Wehrmacht knüpfte daran für ihn unannehmbare Bedingungen (Tricks, Lügen).171

Auch in Berlin wurde versucht, Franz Jägerstätter umzustimmen. Verschiedene Möglichkeiten, wie er den Dienst in der Armee verrichten könne, wurden ihm vorgeschlagen. Dennoch blieb er standhaft und wollte sich nicht auf die Spielchen und Überredungskünste einlassen. Er begründete seine Ablehnung damit, dass bei dem Abkommen, er solle den Dienst ohne Waffe verrichten, unmoralisch wäre, da noch die Sünde der Falschheit dazukommen würde.172 Franz Jägerstätter hätte zwar den Sanitätsdienst als Ersatz für den Dienst an der Waffe anerkannt, allerdings hielt er dies nicht für den besten und ehrlichsten Weg. Er stellte sich dabei die Frage, ob er diesem menschenverachtenden Regime überhaupt in irgendeiner Form dienen dürfe, oder ob auch der Dienst ohne Waffe bereits eine Sünde sei.

Die Möglichkeit zum Sanitätsdienst wurde ihm allerdings, wie Franziska Jägerstätter erzählt, verwehrt: Sie fragte den Pflichtverteidiger ihres Mannes, ob man ihn nicht zur Sanität hätte geben können. Seine Antwort lautete: „Das hätten wir schon tun können, aber das haben wir nicht getan.“173 Franziska schrieb Pfarrer Karobath über das Geschehene: “[...] zur Sanität hätten sie ihn schon tun können, da waren sie natürlich zu stolz, denn da hätten sie nachgeben müssen.“174

Diese Einschätzung von Franziska kann als realistisch angesehen werden, da das NS- Regime absoluten Gehorsam von seinen Untertanen verlangte und eine solche milde Strafe bei Befehlsverweigerung das System in Frage gestellt hätte. Von Seiten des Regimes wäre nur

170 Jägerstätter, Franziska: Brief an Franz am 14. 3. 1943, zitiert in: Putz, Erna: Der gesamte Briefwechsel mit Franziska, Seite 129. 171 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 205. Franz Jägerstätter benennt jene "Tricks und Lügen“, von denen er schreibt, nie klar, und so kann nur spekuliert werden, wobei es sich genau dabei handelte. 172 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 104. 173 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 232. 174 Jägerstätter,Franziska: Brief an Karobath am 15.7.1943, zitiert in: Ebenda, Seite232-233. Seite 52 eine „bedingungslose Rücknahme der Verweigerung“ akzeptiert worden. Dieses Zugeständnis zum Nationalsozialismus konnte und wollte Jägerstätter nicht machen.175

2.9.3 Verurteilung zum Tod Vor dem Reichskriegsgericht in Berlin wurde Franz Jägerstätter wegen religiös motivierter Wehrdienstverweigerung zum Tod verurteilt. Religiöse Motivation wurde als besonders schwerwiegend angesehen und auch dementsprechend immer mit dem Tod geahndet. Die Vermutung liegt nahe, dass das Regime speziell diese Form der Motivation auch gefürchtet und geheim gehalten hat, da sie sonst eine Beispielwirkung auf andere gläubige Menschen hätte haben können.176

Der Priester Heinrich Kreutzberg, der zu Jägerstätter gerufen worden war, um in ihm eine „Gesinnungsänderung“ zu bewirken erreichte das Gegenteil: er stand Jägerstätter in seiner Entscheidung bei, tröstete ihn und erzählte ihm auch von einem anderen Österreicher, der den Tod der Mitwirkung im Nationalsozialismus vorgezogen hatte, Franz Reinisch. Jägerstätter freute sich sehr über diese Mitteilung und fühlte sich in seiner Meinung bestärkt, denn Reinisch, der ein Pallotiner- Theologe gewesen und somit ungleich mehr gebildet war, war den gleichen Weg gegangen.177

2.9.4 Die Bibel als Entscheidungsgrundlage und Halt Wie bereits an mehreren Stellen erwähnt, waren die Bibel und der christliche Glaube Richtschnur im Leben der Jägerstätters. Die kirchlichen Festtage im Jahreskreis wurden gefeiert, der Tagesablauf war durch Gebete bestimmt, auch die Kinder wurden in den Glauben miteingebunden. Immer in Zeiten der Not oder der Trennung wurde der Glaube besonders intensiv er- und gelebt. Der Glaube war Entscheidungsgrundlage, die Bibel mehr als ein Buch. Für Franz Jägerstätter hatte sie eine zentrale Bedeutung: speziell in seiner Gefängniszeit las er viel darin, dokumentiert ist dies in seinen Briefen und in 209 Punkten, die er niederschrieb unter: „Was jeder Christ wissen soll“. Einen besonderen Stellenwert haben für Franz Jägerstätter jene Bibelstellen, die ethische und/ oder politische Aussagen enthalten. Er schrieb diese Stellen aber nicht nur nieder, sondern interpretierte und legte sie

175 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 232. 176 Vgl. Ebenda, Seite 223. 177 Ebenda, Seite 242- 243. Seite 53 auf die gegenwärtige Situation um.178 Er bringt Bibel und Realität in Zusammenhang, wie an diesen Beispielen deutlich wird:

3) Christus fordert eine Religion der Gesinnung und Tat.

14) Wer den rechten Weg zum ewigen Glück finden will, darf nicht mit der Masse laufen, die meist opferscheu ist. Und darf sich keinen Führern anvertrauen, die anders handeln als reden. (Vgl. Mt 7, 12)

16) Die Nachfolge Christi fordert Heldensinn. Weichliche und unentschlossene Charaktere taugen nicht dazu. (Vgl. Mt 8, 18ff)

19) Die Zugehörigkeit zu Christus fordert Bekennermut. (Vgl. Mt 10, 17ff)

45) Die Bindung an den Willen Gottes muss stärker sein, als die Liebe zu den leiblichen Verwandten. (Vgl. Mk 3, 31- 35)

76) Keiner irdischen Macht steht es zu, die Gewissen zu knechten. Gottesrecht bricht Menschenrecht.179

2.9.5 Tod durch Hinrichtung Nachdem das Todesurteil ausgesprochen worden war, wurde Franz Jägerstätter, wie alle Todeskandidaten, an Händen und Füßen gefesselt um einem Selbstmord vorzubeugen.180 Trotz seiner ausweglosen Situation blieb er standhaft bei seiner Überzeugung. Ihm war seine innere Überzeugung wichtiger als seine physische Situation: 181 „Werde hier nun einige Worte niederschreiben, wie sie mir gerade aus dem herzen kommen. Wenn ich auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre.“

Sein Wille war trotz des Gefängnisses und der Aussicht auf einen gewaltsamen Tod noch immer frei, er blieb sich treu. Er notierte seine Gedanken, wie er es schon oft getan hatte; um zu reflektieren, argumentieren und sich Mut zuzusprechen. Noch einmal schreibt er seine Beweggründe für seine Entscheidung nieder: „Nicht Kerker, nicht Fesseln auch nicht der Tod sind es imstande, einen von der Liebe Gottes zu trennen, ihm seinen Glauben und den freien Willen zu rauben.“

178 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 246. 179 Die gesamte Liste, sowie diese Beispiele sind zu finden in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 184- 220. 180 Vgl. Putz, Erna: ...besser die Hände als der Wille gefesselt...., Seite 249. 181 Jägerstätter, Franz: Aufzeichnung in Berlin, Juli/ August 1943, in: Putz, Erna: Gefängnisbriefe und Aufzeichnungen, Seite 74- 75.

Seite 54 Für ihn war die Liebe, die er von und zu Gott verspürte, viel mächtiger als die Menschen, die ihm den freien Willen rauben und ihn zu einem funktionierenden Teil des NS- Regimes machen wollten. Er hatte sich mit seinem freien Willen für Gott entschieden.

Eines der Hauptargumente, das immer wieder gegen ihn vorgebracht wurde, war, dass er mit seinem egoistischen Handeln seine Familie im Stich lassen würde. Er, das Oberhaupt der Familie, würde sich gegen sie entscheiden aus Gründen, die für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar waren. Zweifelsohne brachte Franz Jägerstätter dieses Argument immer wieder ins Schwanken, ob er denn das Richtige täte. Auch in dieser letzten Stellungnahme vor seinem Tod ist es ein Thema: „Immer wieder möchte man einem das Gewissen erschweren betreffs Gattin und Kinder. Sollte die Tat, die man begeht, dadurch vielleicht besser sein, weil man verheiratet ist und Kinder hat?[...] Hat Christus nicht selbst gesagt, wer Gattin, Mutter und Kinder mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.“

Wieder ist das Argument, das Jägerstätter verwendete, die Christusnachfolge. Weil er Vertrauen in Jesus Christus hatte, konnte er ihm nachfolgen und wusste seine Liebsten auch ohne ihn in Sicherheit. Er versteckt sich nicht hinter der Entschuldigung, dass man wegen seiner Familie, zu ihren Schutz alles mitmachen sollte. Er war mutig genug, um seine Familie Christus anzuvertrauen. Nicht viele konnten dies in diesem Ausmaß tun wie Franz Jägerstätter. Er wusste sich deshalb in besonderer Gnade Gottes: „ Hätte mir Gott nicht die Gnade und Kraft verliehen, für meinen Glauben auch zu sterben, wenn es verlangt wird, so würde ich halt vielleicht dasselbe tun, wie die Mehrzahl es tut.“

Erneut kommt er auf den freien Willen zu sprechen, mit dem jede/r Einzelne entscheiden kann und muss, ob dieser Krieg gerecht ist: „Zu was hat denn Gott alle Menschen mit einem Verstande und freien Willen ausgestattet, wenn es uns, wie so manche sagen, gar nicht einmal zusteht, zu entscheiden, ob dieser Krieg den Deutschland führt, gerecht oder ungerecht ist?“

Franz Jägerstätter starb für seine Überzeugung, dass der Krieg, den das NS- Regime führte nicht gerecht war. Seiner Meinung nach war er ein absolut verwerfliches und gottloses Unterfangen. In einem solchen Krieg konnte er nicht kämpfen, da ihn sein Gewissen davon abhielt. Am 9. August 1943 wurde er wegen Zersetzung der Wehrkraft in Brandenburg hingerichtet. 1946, nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde eine Urne mit der Asche von Franz Jägerstätter nach St. Radegund gebracht. Er wurde am Friedhof beigesetzt, sein Grab befindet sich noch heute dort.

Seite 55 3. Die Radikalisierung der katholischen bellum iustum-Theorie nach dem Zweiten Weltkrieg

In diesem Kapitel soll die Wende von der Lehre vom gerechten Krieg hin zur Lehre vom gerechten Frieden dargestellt werden. Die Neubewertung des Krieges und die „Entwicklung der katholischen Friedensbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg“182 wird anhand verschiedener kirchlicher Dokumente aufgezeigt. Franz Jägerstätter hat dieser Entwicklung bereits Jahrzehnte zuvor mit seinem mutigen Zeugnis und der Hingabe seines Lebens den Weg bereitet.

3.1 Papst Pius XII.

Der Erste Weltkrieg hatte zwar kaum Auswirkungen auf die kirchliche Lehre vom gerechten Krieg, aber nach dem Zweiten Weltkrieg, der einen totalen Krieg darstellte, geschah ein Umdenken und Kurswechsel in der katholischen Kirche. Traditionell konnte auch ein Angriffskrieg als gerecht bezeichnet werden, wenn er zur Bestrafung diente. Angesichts des Zweiten Weltkrieges allerdings, erkannte Papst Pius XII., dass der moderne Krieg eine solche Position nicht mehr zuließ. In seiner Weihnachtsbotschaft von 1944 schränkte er die Möglichkeit der Gerechtigkeit eines Krieges nur mehr auf den Verteidigungsfall ein183 und sprach von der „Pflicht, alles nur irgend Mögliche zu tun, um ein und für alle Mal den Angriffskrieg als rechtmäßige Lösung internationaler Streitigkeiten und als Werkzeug nationaler Bestrebungen zu ächten und zu bannen.“184 Dadurch wurde eine kirchliche Legitimation eines Angriffskrieges, wie beispielsweise Hitlers Angriff auf die Sowjetunion und damit der Kampf gegen den gottlosen Bolschewismus, unmöglich. Von Seiten der katholischen Kirche war nun das Ende der Kriege, die im eigenen Sinne geführt werden konnten, gekommen.

182 Palaver, Wolfgang: Franz Jägerstätter und die Entwicklung der katholischen Friedensethik nach dem Zweiten Weltkrieg, Seite 239. 183 Vgl. Ebenda, Seite 244. 184 Texte zur katholischen Soziallehre. Die sozialen Rundschreiben der Päpste und andere kirchliche Dokumente. Hrsg. Vom Bundesverband der katholischen Arbeitnehmer- Bewegung Deutschlands- KAB. Bornheim, Kevelar, 1992, 146, zitiert in: Ebenda. Fußnote 6. Seite 56 3.2 Johannes XXIII. und die päpstliche Enzyklika „Pacem in terris“ (1963)

1963, im Zeitalter des atomaren Wettrüstens zwischen Ost und West, setzte Papst Johannes XXIII. innovative Impulse für eine neue Kriegs- bzw. Friedensethik der katholischen Kirche. Er sah die Notwendigkeit einer Kurskorrektur angesichts der Möglichkeit des totalen Krieges und machte die Friedensförderung zum zentralen Punkt seiner Friedenslehre. Er sprach sich für eine Ächtung des Krieges aus, ohne auf die bisher gültige bellum iustum-Theorie einzugehen. Er verurteilte den Rüstungswettlauf und übte Kritik an der „Doktrin des militärischen Gleichgewichtes“.185

Folgende Textpassage aus der Enzyklika, bezieht sich eben auf dieses atomare Wettrüsten, das von katholischer Seite nicht akzeptiert werden kann. Das Schreiben bezieht sich auf die Rechte und Pflichten des einzelnen Menschen, die Beziehung Einzelner und der Staatsgewalt, politischer Gemeinschaften und der gesamten Völkerfamilie untereinander. Zentral ist die Orientierung am Gemeinwohl.186 Die innovativste Stelle des Textes bezieht sich auf die totale Absage jedes Krieges: „[An] die Stelle des obersten Gesetzes, worauf der Friede sich heute stützt, [trete] ein ganz anderes Gesetz [...], wonach der wahre Friede unter den Völkern nicht durch die Gleichheit der militärischen Rüstung, sondern nur durch gegenseitiges Vertrauen fest und sicher bestehen kann. [...] Mehr und mehr hat sich in unseren Tagen die Überzeugung unter den Menschen verbreitet, dass die Streitigkeiten, die unter Umständen zwischen den Völkern entstehen, nicht durch Waffengewalt, sondern durch Verträge und Verhandlungen beizulegen sind.“187

Obwohl die Enzyklika viel in Richtung eines Sinneswandels von der Lehre vom gerechten Krieg hin zur Lehre vom gerechten Frieden getan hat, so wurde sie doch auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht vollständig eingearbeitet. Diese radikale Absage an den Krieg, die auch einen Verteidigungskrieg impliziert, wie hier, wird auf dem Konzil wieder zurückgenommen und auf die Möglichkeit eines Verteidigungskrieges wird hingewiesen. Die Absage an den totalen Krieg allerdings bleibt bestehen.

185 Vgl. Marggraf, Eckhart und Röhm, Eberhard (Hrsg.): Kirche, Krieg und Frieden, Seite 61. 186 Vgl. Langendörfer, Hans: Atomare Abschreckung und kirchliche Friedensethik, Seite 26. 187 Texte zur katholischen Soziallehre. Die sozialen Rundschreiben der Päpste und andere kirchliche Dokumente. Mit einer Einführung von Oswald von Nell- Breuning SJ. Hg. Vom Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer- Bewegung (KAB) Deutschlands. Köln- Kevelaer 1977, S. 301-306, zitiert in: Ebenda. Seite 57 3.3 Die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“

Eine grundlegende Änderung seitens der katholischen Kirche in Fragen des Krieges und des Umgangs mit demselben geschah auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ (GS). Im zweiten Hauptteil, in Kapitel fünf („Die Förderung des Friedens und der Aufbau der Völkergemeinschaft“), wird die Frage des Krieges angesichts der Folgen des Zweiten Weltkrieges und der Möglichkeit des totalen Krieges mit Hilfe von Atomwaffen, grundlegend neu gestellt. Nicht mehr eine Kriegsrechtfertigung, wie sie von Seiten der Kirche seit Jahrhunderten praktiziert wurde, stand hier im Vordergrund, sondern eine grundlegende Option für den Frieden und Verachtung des Krieges. Die Konstitution ist eine „Proklamation der Gewaltlosigkeit bis an die Grenzen dessen, was auf Erden, in pluralistischen Gesellschaften, die als ganze nicht auf das Evangelium zu verpflichten sind, möglich ist.“188

Das Konzil geht nicht so weit wie Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika, in der, wie bereits erwähnt jeglicher Krieg absolut verurteilt wird. Es spricht allerdings eine klare Verurteilung des totalen Krieges aus. Das Konzil spricht die Möglichkeit und die Erlaubtheit einer militärischen Verteidigung im Falle eines Angriffes nicht ab. Obwohl sich manche Konzilsteilnehmer und Mitglieder aus pazifistischen Organisationen eine Verurteilung jeglichen Krieges gewünscht hätten, geschah dies nicht.189 Trotz der Tatsache, dass der Terminus „gerechter Krieg“ nie ausdrücklich erwähnt wird, kommt die Theorie in ihren Grundzügen dennoch in einigen Textpassagen vor.

In GS 78 wird ausdrücklich festgehalten, dass Friede mehr ist als nur „nicht Krieg“. Er soll ein Werk der Gerechtigkeit sein, das allen Menschen aller Völker erlaubt in Freiheit, Liebe und menschenwürdigen Bedingungen zu leben. Da die Menschen allerdings sündig sind, droht die Gefahr des Krieges bis zur Ankunft Christi, wo sich dann die Worte erfüllen werden: „Zu Pflügen schmieden sie ihre Schwerter um, zu Winzermessern ihre Lanzen. Kein Volk zückt mehr gegen das andere das Schwert. Das Kriegshandwerk gibt es nicht mehr“ (Jes 2, 4) Das Konzil geht realistischerweise davon aus, dass es so lange Kriege auf der Welt geben wird, so lange es Ungerechtigkeit in der Güterverteilung gibt. Es verschließt sich nicht vor

188 Rahner, Karl und Vorgrimmler, Herbert: Kleines Konzilskompendium, Seite 443. 189 Vgl. Zsifkovits, Valentin: Ethik des Friedens, Seite 53. Seite 58 dieser Tatsache und sieht deshalb seine Aufgabe darin, darauf aufmerksam zu machen, dass es Frieden nur dann geben kann, wenn alle Völker der Erde Gerechtigkeit erfahren.

Das Konzil erwähnt ausdrücklich die Anerkennung und Geltung des natürlichen Völkerrechtes. Wer sich ihm widersetzt, handelt unrecht (vgl. GS 79). Weiter heißt es: „Für den Kriegsfall bestehen verschiedene internationale Konventionen, [...] die Unmenschlichkeit der Kriegshandlungen und –folgen zu mindern, etwa die Konventionen zum Schutz der Verwundeten und Kriegsgefangenen und verschiedene ähnliche Abmachungen.“ (GS 79)

Hier lässt sich erkennen, dass das Konzil im Sinne der Kriterien des gerechten Krieges des ius in bello argumentiert. Das Verhalten im Krieg wird sowohl in der kirchlichen Lehre, als auch in internationalen Bündnissen zum Thema gemacht und den Kriegsbeteiligten werden Regeln für ihr Verhalten gegeben.

An anderer Stelle in GS 79 argumentiert das Konzil erneut mit dem gerechten Krieg, bzw. des gerechten Verteidigungskrieges: „Allerdings- der Krieg ist nicht aus der Welt geschafft. Solange die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch keine zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, kann man, wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht absprechen. [...] Der Einsatz militärischer Mittel, um ein Volk rechtmäßig zu verteidigen, hat jedoch nichts zu tun mit dem Bestreben, andere Nationen zu unterjochen. [...] Auch wird nicht deshalb, weil ein Krieg unglücklicherweise ausgebrochen ist, damit nun jedes Kampfmittel zwischen den gegnerischen Parteien erlaubt.“

Aus dieser Textpassage lassen sich eindeutig verschiedene Kriterien der bellum iustum- Theorie herauslesen: 1) Krieg als letzte Möglichkeit: Ein Krieg ist so lange unrecht, so lange es noch andere Möglichkeiten zur Beilegung eines Konfliktes gibt. So lange es noch Aussicht auf Einigung ohne militärische Mittel gibt, ist Krieg zu verurteilen. 2) Legitime Autorität: Nur einer rechtmäßigen Regierung eines Staates steht es zu einen Krieg zu führen. Privatorganisationen und -personen haben dieses Recht nicht! 3) Gerechter Grund: Als gerechten Grund für einen Krieg kann nur Verteidigung gelten. Der Friede soll wieder hergestellt werden, andere Gründe, wie „Unterjochung anderer Nationen“, beispielsweise wirtschaftliche Ausbeutung und Herrschaft sind zu verurteilen.

Seite 59 4) Verhältnismäßigkeit der Mittel: Im Krieg ist nicht jedes Kampfmittel erlaubt. Auf die Verhältnismäßigkeit der Zerstörung zur Wiederherstellung des Friedens ist zu achten; die Übel eines Krieges dürfen nicht größer sein als das Unrecht das zuvor herrschte.

GS 82 zeigt eine Absage an den Krieg und eine Zielperspektive an: „Es ist also deutlich, dass wir mit all unseren Kräften jene Zeit vorbereiten müssen, in der auf der Basis einer Übereinkunft zwischen allen Nationen jeglicher Krieg absolut geächtet werden kann. Das erfordert freilich, dass eine von allen anerkannte öffentliche Weltautorität eingesetzt wird, die über wirksame Macht verfügt, um für alle Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten.“

3.4 Der amerikanische Pastoralbrief „The Challenge of Peace“ (1983)

Angesichts des nuklearen Wettrüstens und der Möglichkeit des totalen Krieges sahen es die katholischen Bischöfe der USA als notwendig an, einen Hirtenbrief herauszugeben. Die Versammlungen dafür begannen 1980, herausgegeben wurde er als gemeinsames Dokument im Mai 1983. Dieser sollte angesichts der vorherrschenden gesellschaftlichen Unsicherheiten eine ethische Leitlinie für Christen und Christinnen sein. Der Hirtenbrief geht, wie der Name schon sagt, vor allem auf die Herausforderung des Friedens ein und stellt sich die Frage, wie man sich dieser stellen und wie man für den Frieden eintreten soll.

Wie die Päpste Paul VI. und Johannes Paul II., ist sich auch die Bischofskonferenz einig, dass „Friede möglich ist“190. Angesichts der Realität der Welt muss man aber zu dem Schluss kommen, dass eine Welt, die absolut im irdischen Frieden lebt, utopisch ist. Dieser absolute Friede und absolute Gerechtigkeit werden erst im Reich Gottes herrschen. Deshalb müssen Christen und Christinnen sich realisierbare Ziele setzen.191 Die Konferenz glaubt, dass friedliche Methoden im Umgang mit Konflikten im Sinne Jesu sind. Allerdings muss man sich als Christ bzw. Christin angesichts der Aggression, Unterdrückung und Ungerechtigkeit, die auf der Welt herrschen, auch mit (tödlichen) Waffen für den Frieden einsetzen.192

190 Vgl. John Paul II, „Message U.N. Special Session 1982“, # 13; Paul VI, „World Day of Peace Message 1973“, zitiert in: The Challenge of Peace, Nr. 59. 191 Vgl. The Challenge of Peace, Nr. 59 und Nr. 60. 192 Vgl. Ebenda, Nr. 78. Seite 60 Die Frage, die sich angesichts dieser Aussage stellt, ist, wie man trotz des Gesetzes von Nächsten- und sogar Feindesliebe auf die Rechtfertigung tödlicher Einsatzmittel kommt.193 Die Antwort finden die Bischöfe bei Augustinus: Im Falle eines Angriffes gegen Unschuldige und zur Zurückschlagung des Bösen muss Gewalt angewandt werden. Besondere Bedeutung hat hier die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg, welche die amerikanischen Bischöfe auch im Zweiten Vatikanum, vor allem in GS 79, verwirklicht sehen.194 Die Gültigkeit der bellum iustum-Theorie wird dadurch begründet, dass diese deshalb entwickelt wurde, um, für den Fall, dass ein Krieg nicht verhindert werden kann, die Unmenschlichkeiten des Krieges zu reduzieren und zu begrenzen. Da es in unserer Welt eben noch immer Kriege gibt, ist es notwendig diese durch strenge Regeln zu begrenzen.195

Im Folgenden beschreibt die Bischofskonferenz die traditionellen Kriterien wann und warum ein Krieg erlaubt sein kann.196 Zusätzlich zu den bereits genannten Kriterien wird auch „Vergleichende Gerechtigkeit“ als Voraussetzung angegeben: Kein Staat darf sich so verhalten, als hätte er absolutes Recht und somit die absolute Wahrheit auf seiner Seite. Absolutheitsansprüche sollen somit relativiert werden.197

3.5 Katechismus der Katholischen Kirche (1993)

1993 approbierte Papst Johannes Paul II. eine Neuauflage des Katechismus der Katholischen Kirche. Neben Fragen des Glaubens sind auch ethische Leitlinien bezüglich verschiedener Fragestellungen der heutigen Gesellschaft für ChristInnen darin enthalten. Im zweiten Kapitel, Artikel 5 über das fünfte Gebot (Du sollst nicht morden), Abschnitt III widmet sich der Katechismus dem Thema der Aufrechterhaltung des Friedens.

Nr. 2304 stellt im Sinne des Zweiten Vatikanums fest: „Friede besteht nicht einfach darin, dass kein Krieg ist.“ Friede bedeutet viel mehr; er ist die „Ruhe der Ordnung“ (Augustinus, civ. 19, 13). 198 Jeder Christ/ Jede Christin ist dazu aufgefordert sich für den Frieden zu

193 Vgl. The Challenge of Peace, Nr. 80. 194 Vgl. Ebenda, Nr. 82. 195 Vgl. Ebenda, Nr. 83. 196 Vgl. Ebenda, Nr. 86-99. 197 Vgl. Ebenda, Nr. 92. 198 KKK, Nr. 2304. Seite 61 engagieren und „sich für die Vermeidung von Kriegen tätig einzusetzen“199. Solange es allerdings Krieg auf dieser Welt gibt, muss man alles dafür tun, diese Kriege zu begrenzen.

Die Kriterien, die es einem Volk erlauben sich in Notwehr militärisch zu verteidigen, sind genau einzuhalten.200 Im Folgenden werden im KKK die Kriterien des gerechten Krieges aufgelistet: - Der Schaden, der der Nation oder der Völkergemeinschaft durch den Angreifer zugeführt wird, muss sicher feststehen, schwerwiegend und von Dauer sein. - Alle anderen Mittel, dem Schaden ein Ende zu machen, müssen sich als undurchführbar oder wirkungslos erwiesen haben. - Es muss ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestehen. - Der Gebrauch von Waffen darf nicht Schäden und Wirren mit sich bringen, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel. Beim Urteil darüber, ob diese Bedingung erfüllt ist, ist sorgfältig auf die gewaltige Zerstörungskraft der modernen Waffen zu achten.

Die Beurteilung, ob alle diese Voraussetzungen für die sittliche Erlaubtheit eines Verteidigungskrieges vorliegen, kommt dem klugen Ermessen derer zu, die mit der Wahrung des Gemeinwohls betraut sind.201

Der KKK nennt vier der klassischen Kriterien für einen gerechten Krieg: gerechter Grund, letztes Mittel, Aussicht auf Erfolg und Verhältnismäßigkeit der Mittel. Diese sind unbedingt zu erfüllen, um einen Krieg moralisch- sittlich rechtfertigen zu können. Der letzte Satz, der aussagt, dass die Herrschenden darüber urteilen sollen, ob ein Krieg gerechtfertigt ist, bzw. die Kriterien für einen gerechten Krieg erfüllt sind, fällt allerdings hinter das Zweite Vatikanische Konzil zurück: hier ist keine Rede vom mündigen Laien, der selbst darüber urteilen soll, ob ein Krieg gerecht ist oder nicht. Zwar geht der KKK auf Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen ein, aber im Allgemeinen kann dieser Satz im Sinne des Grundsatzes, wie er vor dem Zweiten Weltkrieg galt: „In dubio pro regio“, gelesen werden.

Der KKK behandelt anschließend weitere bellum iustum Kriterien: „Die Kirche und die menschliche Vernunft erklären, dass das sittliche Gesetz während bewaffneter Konflikte in Geltung bleibt.“202

199 KKK, Nr. 2308. 200 Ebenda, Nr. 2309. 201 Ebenda. 202 Ebenda, Nr. 2312 Seite 62 „Die Zivilbevölkerung, die verwundeten Soldaten und die Kriegsgefangenen sind zu achten und mit Menschlichkeit zu behandeln.“203

Anschließend widmet sich der KKK den Problemen der modernen Waffentechnologie und der Möglichkeit des totalen Krieges. Eine Verurteilung des Rüstungswettlaufes und der Anhäufung von Waffen, sowie die gesetzliche Regelung von Waffenerzeugung und Waffenhandel werden proklamiert.204 Abschließend wird festgestellt, dass „Ungerechtigkeiten, krasse Unterschiede in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, sowie Neid, Misstrauen und Stolz, die unter den Menschen und den Nationen wüten, bedrohen unablässig den Frieden und führen zu Kriegen. Alles, was unternommen wird, um diese Übel zu besiegen, trägt zum Aufbau des Friedens und zur Vermeidung des Krieges bei.“205

3.6 Das deutsche Friedenswort „Gerechter Friede“ (2000)

Im Jahr 2000 brachten die deutschen Bischöfe ein Schreiben mit dem Titel „Gerechter Friede“ heraus. Innovativ ist in diesem Schreiben, dass das Denken in Kriegskategorien und auf einen möglichen Krieg hin ersetzt werden soll durch ein Denken in Friedenskategorien und auf den Frieden hin.206 In diesem Schreiben geht es nicht mehr um eine „noch behutsamere, weiter einschränkende Interpretation der traditionellen Lehre vom ‚gerechten Krieg’ und damit die übliche Ehrenrettung der Tradition mit ihrer Lehre“.207 Hier soll viel früher angesetzt werden, nicht erst wenn ein Krieg unvermeidbar scheint und schon von den Kriterien gesprochen werden muss, wie die Gräuel des Krieges einzudämmen sind.

Allerdings soll dies auch nicht die totale Absage einer Bedeutung für die Lehre vom gerechten Krieg sein.208 Es muss dennoch festgehalten werden, dass die Versuche der Eindämmung von Gewalt durch die bellum- iustum Theorie nicht allzu oft wirksam waren. Aus diesem Grund setzt die deutsche Bischofskonferenz mit diesem Schreiben viel früher an: Nicht Kriegseindämmung ist das Thema, sondern die Voraussetzungen, wie man Krieg generell verhindern kann und muss.209 Damit kann das Schreiben von 2000 als Fortsetzung des

203 KKK, Nr. 2313. 204 Vgl. Ebenda, Nr. 2315 und 2316. 205 Ebenda, Nr. 2317. 206 Merks, Karl Wilhelm: Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden, Seite 11. 207 Ebenda. 208 Ebenda. 209 Ebenda, Seite 12. Seite 63 deutschen Hirtenbriefs von 1983 gelesen werden: Wurde 1983 noch die bellum iustum- Theorie diskutiert und interpretiert, ist diese 2000 kein Thema mehr. Denn, „ mit der notwendigen Überwindung der Institution des Krieges kommt auch die Lehre vom gerechten Krieg, durch welche die Kirchen den Krieg zu humanisieren hofften, an ein Ende.“210

4. Die Neubewertung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen nach dem Zweiten Weltkrieg

Im vorhergehenden Kapitel wurde die Neuinterpretation der Lehre vom gerechten Krieg nach ihrem Scheitern im Zweiten Weltkrieg besprochen. In diesem Kapitel ist die Neubewertung der Wehrdienstverweigerung Thema. Es soll einerseits das veränderte Bild von Krieg und Soldaten in verschiedenen katholischen Dokumenten aufzeigen und andererseits Franz Jägerstätter als Wegbereiter und Vorbild in dieser Diskussion darstellen.

4.1 Absolute vs. Selektive Wehrdienstverweigerung

Absolute Wehr- und Kriegsdienstverweigerung bezieht sich auf jegliche Form von Gewaltanwendung. Ein strikter Pazifismus, der keine Ausnahmen der Gewaltanwendung kennt, ist grundsätzlich von situationsbedingter Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden. Die Moraltheologie bezieht sich auf den zweiten Fall. Legitime Verweigerungsgründe können einzelne Kriegshandlungen betreffen, die in Widerspruch mit dem ius in bello stehen, aber sich auch auf bestimmte Kriege im Gesamten beziehen, deren Ziele nicht mit dem ius ad bellum übereinstimmen.211

4.2 Papst Pius XII.

Trotz des neuen Ansatzes von Pius XII., dass kein Angriffskrieg mehr als gerecht angesehnen werden kann, blieb der Papst in der Frage der Wehrdienstverweigerung aus

210Merks, Karl Wilhelm: Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden, Seite 12, Fußnote 6. 211 Vgl. Gillner, Matthias: Kriegsdienstverweigerung. Systematisch, Seite 480. Seite 64 Gewissensgründen traditionalistisch. Kein Laie könne darüber urteilen, ob er an einem Krieg teilnehmen und kämpfen wolle oder nicht: „Wenn ...eine Volksvertretung und eine durch freie Wahl zustande gekommene Regierung in äußerster Not mit den legitimen Mitteln der Außen- und Innenpolitik Verteidigungsmaßnahmen beschließen und die ihrem Urteil nach notwendigen Vorkehrungen dafür treffen, so handeln sie auch nicht unmoralisch, so dass ein katholischer Bürger sich nicht auf sein Gewissen berufen kann, um den Kriegsdienst zu verweigern und die vom Gesetz festgelegten Pflichten nicht zu erfüllen.“212 Der Papst sprach in dieser Frage dem Einzelnen keine Autonomie der Entscheidung zu: so lange eine Regierung rechtmäßig gewählt worden war und diese sich zu Verteidigung entschloss, gab es die Pflicht des Einzelnen in den Krieg zu ziehen.

Pius XII. bleibt allerdings die Antwort schuldig auf die Frage, ob sich Wehrdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg, so wie Franz Jägerstätter, richtig verhalten hatten oder nicht. Dieser Krieg war, wie auch Pius zugegeben hatte kein Verteidigungs- sondern ein Angriffskrieg. Pius Verurteilung der Wehrdienstverweigerung bezieht sich allerdings nur auf den Fall der Verteidigung.

4.3 Die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“

Eine generelle Neubewertung der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen geschah auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. In GS wurde nicht nur das Thema Krieg neu bewertet, sondern auch das Verhalten des einzelnen. Besonders betont wurde dabei die Selbstverantwortung. So heißt es in GS 79: „Das Gewissen der gesamten Menschheit bekennt sich zu diesen Prinzipien [des natürlichen Völkerrechts] mit wachsendem Nachdruck. Handlungen, die in bewusstem Widerspruch zu ihnen stehen, sind Verbrechen; ebenso Befehle, die solche Handlungen anordnen; auch die Berufung auf blinden Gehorsam kann den nicht entschuldigen, der sie ausführt. [...] Höchste Anerkennung verdient dagegen die Haltung derer, die sich solchen Befehlen furchtlos und offen widersetzen. [...] Ferner scheint es angebracht, dass Gesetze für die in humaner Weise Vorsorge treffen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern, vorausgesetzt, dass sie zu einer anderen Form des Dienstes an der menschlichen Gemeinschaft bereit sind.“

212Pius XII., Das christliche Menschenbild als Richtweiser in den sozialen und politischen Fragen der Gegenwart. Weihnachtsbotschaft vom 23. Dezember 1956. In: Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII. Hrsg. Von A.-F. Utz und J.- F. Groner. III. Band, Freiburg/S 1961, Nr. 4413. zitiert in: Palaver, Wolfgang: Franz Jägerstätter und die Entwicklung der katholischen Friedenslehre nach dem Zweiten Weltkrieg, Seite 245, in: Riedl, Alfons und Schwabender, Josef (Hrsg.): Franz Jägestätter. Christlicher Glaube und politisches Gewissen. Fußnote 9.

Seite 65

Die „unmenschliche militaristische Ausrede „Befehl ist Befehl““213 wird eindeutig abgewiesen. Diese Erklärung, wie sie jahrhunderte- bzw. jahrtausendelang von Seiten der katholischen Kirche sogar unterstützt wurde – denn einfache Soldaten sollten nicht über die Gerechtigkeit eines Krieges nachdenken – gilt nun nicht mehr. Wer Befehle ausführt, in dem Wissen, dass sie unrecht sind, ist ein Verbrecher. Dies ist eine wirkliche Neuerung des Konzils. Auch die Tatsache, dass diejenigen, die sich solchen Befehlen offen widersetzen positiv hervorgehoben werden ist eine eindeutige Aussage.

An diesen Abschnitt angehängt ist der letzte Satz, – wie schon aus der Formulierung „Ferner ist es angebracht...“ herauszulesen ist – der eigentlich ein längerer Passus über Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen hätte werden sollen. Er ist das „kümmerliche Überbleibsel“214, eines Satzes der vorletzten Fassung, der den Verweigerern mehr Anerkennung entgegenbringen sollte „entweder wegen ihres Zeugnisses für die christliche Sanftmut oder wegen ihrer Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben oder wegen aufrichtigen Abscheus vor Gewalttätigkeit.“215

Aufgrund von Einwänden verschiedener Kardinäle, die keine solch intensive Auseinandersetzung mit dem Thema der Wehrdienstverweigerung wollten, wurde aus diesem längeren Satz, der in den Konzilstext hätte einfließen sollen, ein Fragment. Allerdings muss festgehalten werden, dass die Tatsache, dass Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nicht nur thematisiert, sondern auch positiv beurteilt wurde, ein wesentlicher Forschritt der katholischen Kirche bezüglich der Friedenslehre war.

4.4 Stellungnahme von Erzbischof Thomas Roberts SJ

Bei der Diskussion während des Konzils um die Formulierung der Stellungnahme über Wehrdienstverweigerung spielte Franz Jägerstätter eine bedeutende Rolle. Das Schema XIII, das den Konzilsvätern als Diskussionsvorlage über dieses Thema diente, behandelte Wehrdienstverweigerung auf restriktive Weise. Neben einigen anderen Konzilsvätern, die dieses Thema anders behandelt wissen wollten, befand sich auch der ehemalige Erzbischof von Bombay Thomas D. Roberts SJ (von 1939 bis 1958). Er wies in einer Stellungnahme

213 Rahner, Karl und Vorgrimmler, Herbert: Kleines Konzilskompendium. Einleitung zu GS, Seite 444. 214 Ebenda. 215 Ebenda. Seite 66 deutlich auf das Beispiel Jägerstätters hin, um mit Hilfe seines Zeugnisses eine möglichst offene und positive Formulierung für Wehrdienstverweigerung zu erlangen.216

Roberts eröffnet seine Stellungnahme mit der Absicht, anstatt seine Argumente abstrakt zu erläutern, ein Beispiel eines Laienchristen anführen zu wollen, um die Aufgabe des Konzils, nämlich ein Recht auf Wehrdienstverweigerung auszusprechen, besser zu beleuchten. In ein paar Sätzen wird die Lebensgeschichte Jägerstätters beschrieben. Deutlich hervorgehoben wird, dass er ein einfacher, wenig unterrichteter und armer Mann war. Besonders diese einfachen Menschen sind es jedoch häufig, so Roberts, die vom Hl. Geist ausgewählt werden, um die Wahrheit aufzuzeigen, da einflussreichere, weisere Männer diese oft nicht erkennen und annehmen.217 Jägerstätter allerdings, legte mutig Zeugnis ab und weigerte sich, in Hitlers ungerechtem Krieg zu kämpfen: „Dieser junge Mann, dieser Ehemann und Familienvater, wurde berufen, aufzuzeigen, dass ein Christ nicht in einem Kriege, welchen er als ungerecht empfindet, Dienst leisten darf, soll es auch sein Leben kosten, wenn das Gesetz, von Gott in seinem Herzen geschrieben, mit den Befehlen von irdischer Macht in Konflikt geraten soll. Das Zeugnis von Franz Jägerstätter war „Zeugnis eines Alleinstehenden“, denn alle katholischen Kameraden seines kleinen Dorfes, wie auch die Priester, an welche er sich als Leiter des Gewissens wandte, und sogar der Bischof sagten ihm, dass es seine Aufgabe sei zu tun, was man ihm befehle, und nicht zu urteilen, ob der Krieg seiner Nation gerecht oder ungerecht sei. Nichtsdestoweniger, sein Gewissen sagte ihm immer wieder, dass nicht die zivilen Vorgesetzten ihm erklären können, was seine moralische Verpflichtung sei. Er war überzeugt, dass dieser Krieg ungerecht war, und dass er eine Sünde beginge, wenn er in diesem Krieg Dienst leisten würde.“218

Für Roberts war klar, dass Jägerstätter seinem Gewissen nach und richtig gehandelt hatte. Er hatte sich nicht der weltlichen Macht gebeugt, so wie viele andere Katholiken, sondern er blieb Gott als seinem Herrn treu. Jägerstätter war sich immer über die Konsequenz seines Handelns bewusst, er wusste, dass er für seine Überzeugung sterben musste, aber ihm war auch klar, dass wenn er in den Krieg ziehen würde, er eine Sünde begehen würde. Roberts führt den Fall an,

216 Palaver, Wolfgang: Franz Jägerstätter und die Entwicklung der katholischen Friedenslehre nach dem Zweiten Weltkrieg, Seite 246. 217 Vgl. Roberts, T.D.: Stellungnahme im Konzil über das Thema Die Kirche in der Welt von Heute. Kapitel V, Sektion 101. Objektion des Gewissens, in: Riedl, Alfons und Schwabender, Josef (Hrsg.): Franz Jägestätter. Christlicher Glaube und politisches Gewissen. Anhang Seite 337- 339. 218 Ebenda. Seite 67 „[...] damit er uns lehre und uns alle inspiriere. Es handelt sich eben um das, wenn wir von der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen sprechen, und auf dieser Ebene müssen wir abwägen, wofür wir uns entscheiden sollen.“219

Im Schema XIII, das den Konzilsvätern zur Diskussionsvorlage diente, war bezüglich der Wehrdienstverweigerung nur zu lesen, dass „die Staaten in ihren Gesetzen das Recht auf Wehrdienstverweigerung positiv einbeziehen sollten“. Roberts allerdings forderte ein „positives Bekenntnis zum Recht auf Wehrdienstverweigerung“ 220 und fordert seine Kollegen dazu auf, Bekenner wie Jägerstätter zu unterstützen: „Es ist also nötig, dass wir in diesem Schreiben bekannt geben, dass die Kirche die Rechte des einzelnen Gewissens bestätigt, einen ungerechten militärischen Dienst zu verweigern. Andererseits ist es nötig, dass wir den Gläubigen, welche für ihren Glauben zeugen, versichern, dass sie immer ganz und gar von der Kirche unterstützt werden. MAERTYRER WIE JAEGERSTAETTER sollen nie das Gefühl haben, dass sie allein sind.“221

Zum Ende der Stellungnahme kommt Roberts noch einmal deutlich darauf zu sprechen, dass die Kirche zu lange ungerechte Kriege toleriert oder gar unterstützt hat. Dies soll, mit dem Zweiten Vatikanum als Neubeginn nicht mehr geschehen: „Vielleicht besteht der größte Skandal, hervorgerufen durch Christen so vieler Jahrhunderte, ist dadurch bedingt, dass fast jede nationale Hierarchie fast in jedem Krieg sich erlaubt hat, der moralische Arm ihrer Nation zu sein, selbst in Kriegen, deren greifbare Ungerechtigkeit später anerkannt wurde. Wir wollen mit dieser tragischen Vergangenheit endlich brechen; machen wir es jetzt klar und unzweideutig durch die Versicherung, dass jeder Christ das Recht und die Aufgabe hat, der Stimme seines Gewissens zu gehorchen, vor dem Kriege und während des Krieges.“222

Es gelang Erzbischof Roberts nicht in allen Punkten dass zugunsten Wehrdienstverweigerung umformuliert wurde. Das Konzil sprach kein grundsätzliches Recht auf Wehrdienstverweigerung aus, sondern formulierte in GS 79: „Ferner scheint es angebracht, dass Gesetze für die in humaner Weise Vorsorge treffen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern, vorausgesetzt, dass sie zu einer anderen Form des Dienstes an der menschlichen Gemeinschaft bereit sind.“

219 Vgl. Roberts, T.D.: Stellungnahme im Konzil über das Thema Die Kirche in der Welt von Heute. Kapitel V, Sektion 101. Objektion des Gewissens, in: Riedl, Alfons und Schwabender, Josef (Hrsg.): Franz Jägestätter. Christlicher Glaube und politisches Gewissen. Anhang Seite 337- 339. 220 Palaver, Wolfgang: Franz Jägerstätter und die Entwicklung der katholischen Friedenslehre nach dem Zweiten Weltkrieg, Seite 247. 221 Vgl. Roberts, T.D.: Stellungnahme im Konzil über das Thema Die Kirche in der Welt von Heute. Kapitel V, Sektion 101. Objektion des Gewissens, in: Riedl, Alfons und Schwabender, Josef (Hrsg.): Franz Jägestätter. Christlicher Glaube und politisches Gewissen. Anhang Seite 337- 339. 222 Manuskript der Stellungnahme unter dem Titel „Objektion des Gewissens“, vom Erzbischof Franziska Jägerstätter übermittelt, zitiert in: Putz, Erna:...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 268, Fußnote 56. Seite 68

Roberts konnte mit dem Beispiel Jägerstätters auch darauf einwirken, dass ein Passus aus dem Konzilstext in GS 79 gestrichen wurde, der das Urteil über die Gerechtigkeit eines Krieges im Zweifelsfall der herrschenden Obrigkeit zugesagt hätte. Seine Kritik führte dazu, dass die Stelle gestrichen wurde und auch die Ausrede „Befehl ist Befehl“ nicht mehr geduldet wird:223 „Höchste Anerkennung verdient dagegen die Haltung derer, die sich solchen Befehlen furchtlos und offen widersetzen.“

Zwar fanden nicht alle Einwände, die Roberts mit dem Beispiel Franz Jägerstätters aufzeigte Eingang in die Konzilstexte, aber er bereitete unbestritten den Weg für die weitere Beurteilung der Gewissensentscheidung des Einzelnen in der katholischen Kirche. Deutlich zeigt sich das auch im 1971 erschienen Dokument der Römischen Bischofssynode „De justitia in mundo (JM 64)“:224 „Überdies soll die Strategie der Gewaltlosigkeit gefördert werden, und alle Staaten sollen die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkennen und gesetzlich regeln.“

4.5 Der amerikanische Pastoralbrief „The Challenge of Peace“ (1983)

Wie bereits erwähnt, legte das Zweite Vatikanische Konzil den Grundstein für die positive Bewertung von Wehrdienstverweigerung. In den Hirtenbriefen vieler katholischer Bischofskonferenzen der 1980er wurde das Thema in Hinblick auf die Friedensentwicklung diskutiert. Dabei zeigt sich die Tendenz einer immer größeren Akzeptanz der Wehrdienstverweigerung und ein Appell an die jeweiligen Länder angemessenen Schutz und Alternativen für diejenigen zu bieten, die aus Gewissensgründen nicht an einem Krieg teilnehmen wollen.

Am deutlichsten machten dies die katholischen Bischöfe der USA im Hirtenbrief „Die Herausforderung des Friedens“. Während das Konzil dieses Thema in GS zwar in einem Satz behandelt, widmen ihm die amerikanischen Bischöfe mehrere Punkte ihres Hirtenbriefes. Unter dem Titel „Der Wert der Gewaltlosigkeit“ werden zuerst Beispiele aus der Geschichte genannt, die Jesu Weg der Gewaltlosigkeit nachgefolgt sind. Unter diesen Beispielen

223 Vgl. Putz, Erna:...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 266-267. 224 Palaver, Wolfgang: Franz Jägerstätter und die Entwicklung der katholischen Friedenslehre nach dem Zweiten Weltkrieg, Seite 248. Seite 69 befinden sich: Hl. Justinian, Hl. von Kathargo, Hl. Martin von Tours und Hl. Franz von Assisi. Erwähnt wird auch der von ihm gegründete Dritte Orden, der von Gewaltlosigkeit wird. Seine Mitglieder durften „keine tödlichen Waffen in die Hand nehmen oder diese gegen irgendjemanden richten.“225

In Nr. 116 wird festgestellt, dass christliche Gewaltlosigkeit nicht blind oder passiv gegenüber Ungerechtigkeit und der Wahrung der Rechte von anderen ist. Vielmehr zeigt dieser Weg gewaltlose Methoden auf, um gegen Ungerechtigkeit vorzugehen. Menschen, die diesen Weg wählen sind genauso verantwortlich für die Wahrung des Friedens, wie jene, die den Frieden auch militärisch verteidigen. In Nr. 120 wird dies noch deutlicher ausgedrückt: „Die bellum- iustum Theorie ist seit 1500 Jahren Teil der katholischen Lehre. In der neuen Strömung, in der wir uns heute befinden, stehen sich die bellum- iustum Theorie und der Weg der Gewaltlosigkeit als unterschiedlich, aber voneinander abhängig gegenüber, wenn es um die Beurteilung von Krieg geht. Wenn sie sich auch in ihren Lösungsansätzen unterscheiden, teilen sie doch die Auffassung, dass Gewalt kein geeignetes Mittel in einem Konflikt sein kann.“226

Noch einmal wird in Nr. 121 hervorgehoben, dass beide Traditionen, sowohl die Lehre vom gerechten Krieg, als auch die Gewaltlosigkeit eine lange Geschichte in der katholischen Kirche haben. Da beide Strömungen wollen, dass Friede unter den Menschen herrscht, ergänzen und unterstützen sie sich gegenseitig. Die Wehrdienstverweigerung wird hier nicht mehr als Ausnahme angesehen, die man in irgendeiner Form regeln muss, sondern als gleichwertig neben die Entscheidung als Soldat zu kämpfen, gestellt. Dem einzelnen Menschen wird die Möglichkeit der freien Wahl zugesprochen, er muss sich nach seinem Gewissen entscheiden.227

4.6 Katechismus der Katholischen Kirche (1993)

Der KKK fällt in der Frage der Wehrdienstverweigerung hinter den Hirtenbrief der amerikanischen Bischöfe zurück. In seiner Formulierung ist er knapp, ähnlich der Konzilsaussage:

225 The Challenge of Peace, Nr. 115. 226 Ebenda, Nr. 120, eigene Übersetzung. 227 Vgl. Palaver, Wolfgang: Franz Jägerstätter und die Entwicklung der katholischen Friedenslehre nach dem Zweiten Weltkrieg, Seite 249. Seite 70 „Die staatlichen Behörden sollen sich in angemessener Weise um jene kümmern, die aus Gewissensgründen den Waffengebrauch verweigern. Diese bleiben verpflichtet, der Gemeinschaft in anderer Form zu dienen.“228 Vor diesem Statement ist eine positive Bewertung derjenigen zu lesen, die sich „in den Dienst ihres Vaterlandes stellen“.229 Hier ist zu sehen, dass von keinem Nebeneinander von Gewaltfreiheit und militärischer Verteidigung – beide zur Sicherung des Friedens – zu sprechen ist. Wehrdienstverweigerung wird als Ausnahmefall betrachtet, den man regeln muss, normal ist jedoch, dass man sich militärisch für den Frieden einsetzt.

4.7 Wehrdienstverweigerung als Menschenrecht

1975 formierten Eileen Eagan, Gordon Zahn, und andere Pax Christi, eine katholische Friedensorganisation, neu in den USA. Eileen Eagan kämpfte 17 Jahre darum, dass das Recht auf Wehrdienstverweigerung international bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen anerkannt wurde. Sie widmete ihren langen Kampf Franz Jägerstätter, der für sie ein Vorbild war. 1987 wurde eine Resolution angenommen, die heute als Teil der Menschenrechtsdeklaration Beachtung findet.230 Der einsame, aber mutige Weg von Franz Jägerstätter lebt im Geist vieler Menschen weiter, die in ihm ein Vorbild im Glauben, aber auch einen Wegbereiter der modernen Auffassung von Krieg und Frieden sehen. Im Folgenden Kapitel soll dies noch durch weitere Beispiele belegt werden.

5. Die posthume Würdigung Franz Jägerstätters

Die Zeugnisse, die viele Menschen abgegeben haben, im Wunsch Franz Jägerstätter zu ehren und ihm nachzufolgen, sind das Hauptthema dieses letzten Kapitels. In Österreich dauerte eine vollständige Anerkennung seines Zeugnisses mehrere Jahrzehnte, während Jägerstätter in den USA bereits in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts sehr bekannt war und vielen Gegnern des Vietnamkrieges eine Orientierung war. Der Höhepunkt der Ehrung Jägerstätters

228 KKK Nr. 2311. 229 KKK Nr. 2310. 230 Vgl. Moore, Donald J.: Die Wirkungsgeschichte Franz Jägerstätters im Rahmen der US- amerikanischen Friedensbewegung, Seite 188. Seite 71 war im Oktober 2007: er wurde selig gesprochen, und wurde ein Märtyrer, so wie jene, die er so bewundert hatte und die ihm als Vorbild galten.

5.1 Ablehnende Haltung in Österreich

1946, ein Jahr nach Ende des Krieges wurde die Urne Franz Jägerstätters in seinen Heimatort St. Radegund gebracht und dort beigesetzt. Im selben Jahr versuchte der ehemalige Pfarrer St. Radegunds und persönlicher Freund Jägerstätters, Franz Karobath, einen Artikel über ihn in der Linzer Kirchenzeitung zu veröffentlichen. Darin sollte Jägerstätter als Beispiel eines Menschen, der trotz allem „Nein“ sagte und deshalb hingerichtet wurde, gezeigt werden. Bischof Fließer, den Jägerstätter um Unterstützung in seiner einsamen Entscheidung aufgesucht hatte, verbot diese Veröffentlichung. 1946 versuchte auch der Priester L. Arthofer einen Artikel über Franz Jägerstätter mit dem Titel „Heldenhafte Konsequenz“ im Linzer Diözesanblatt zu veröffentlichen. Dieser Artikel wurde ebenso von Fließer abgelehnt.231 Der Grund dafür war, dass der Bischof es vermeiden wollte, dass die vielen Kriegsheimkehrer durch die Würdigung eines Kriegsdienstverweigerers vor den Kopf gestoßen werden würden. Wenn man ihnen sagen würde, dass das, was dieser Kriegsdienstverweigerer getan hatte, richtig war, so würde dies bedeuten, dass alle anderen falsch gehandelt hätten.232 Sie wären als „Hampelmänner“ und „blinde Befehlsempfänger“ dagestanden, obwohl sie ihrer Pflicht nachkamen und dem Gesetz folgten, im Glauben darin, so das Richtige zu tun.233

Um die Kriegsheimkehrer nicht vor den Kopf zu stoßen, und wohl aus persönlicher Überzeugung, dass auf jeden Fall der kirchlichen Obrigkeit Gehorsam geleistet werden muss, schreibt Fließer in seinem Ablehnungsschreiben an Arthofer: „Ich sah, dass der Mann nach dem Martyrium und nach dem Sühneleiden dürstet, und ich sagte ihm, er darf diesen Weg nur gehen, wenn er sich durch eine außerordentliche Einsprechung von oben, nicht aus sich selbst, dazu berufen wisse. Er bejahte es. Darum ist Jägerstätter ein ganz besonderer Fall, der mehr zu bewundern als nachzuahmen und darum nur in der entsprechenden, eindeutigen Darstellung dem Volk bekannt zu machen ist.[...] Ich halte jene idealen katholischen Jungen und Theologen und Priester und Väter für die größeren Helden, die in heroischer Pflichterfüllung und in der tiefgläubigen Auffassung, den Willen Gottes auf ihrem Platz zu erfüllen, wie einst die christlichen Soldaten im Heere des heidnischen Imperators, gekämpft haben und gefallen sind.“234

231 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 169. 232 Vgl. Putz, Erna, Renoldner, Severin, Monika Würthinger: Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung, Seite 41. 233 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 169. 234 Zitiert in: Ebenda, Seite 191- 192. Seite 72

Neben diesem Grund, den der Bischof nannte, hat wahrscheinlich auch noch Folgendes eine wichtige Rolle gespielt: Während des gesamten Zweiten Weltkrieges rief die offizielle katholische Kirche zu treuer Pflichterfüllung durch den Soldatendienst auf. Konsens war, dass der einzelne Christ/ die einzelne Christin nicht darüber urteilen konnte, ob ein Krieg gerecht oder ungerecht sei. Wenn nun im Nachhinein der Eroberungsfeldzug Hitlers als wahnsinniges Verbrechen dastand, so hätte man die Empfehlung der katholischen Kirche an diesem Krieg als Mittäterschaft werten können. Es war daher einfacher zu sagen, dass man aufgrund der Nazipropaganda nicht genau über den Krieg hatte urteilen können. Eine positive Bewertung eines einzelnen, der sich gegen die Empfehlung der Kirche gerichtet hatte, wäre fatal gewesen. Christen, die nach dem Krieg heimkehrten, hätten sich die Frage gestellt, warum es nicht eher eine Empfehlung für Kriegsdienstverweigerung gegeben hatte. Die katholische Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg wollte sich einer solchen Herausforderung nicht stellen.235 Diese Einstellung allerdings, dass jene Soldaten, die gekämpft hatten, anstatt den Dienst zu verweigern und zu ihrem Gewissen zu stehen und die Konsequenzen ihrer Entscheidung zu tragen, hatte Bischof Fließer noch nachdem der Krieg vorbei war, und nachdem das gesamte Ausmaß der Zerstörung bekannt war. Die Tatsache, dass Menschen wie Jägerstätter immer noch weniger Bewunderung erfahren sollten, als die Soldaten, ist schwer nachvollziehbar.

Dies verhinderte eine Würdigung der Widerstandskämpfer und Wehrdienst-verweigerer in Österreich bis in die 1970er Jahre. 1963 gelang eine erste Veröffentlichung eines Artikels über Jägerstätter im Linzer Diözesanblatt, von Pfarrer Baldinger. Allerdings konnte dies nur unter der Prämisse geschehen, dass der Pfarrer in seinem Artikel inkludiert hatte, Jägerstätters Auflehnung sei kein Beispiel und Muster für einen Durchschnittschristen, sondern ein außergewöhnlich von Gott begnadeter Mensch.236 Noch bis in die 1980er war es selbstverständlich, dass die Bewunderung für Jägerstätter von gehässigen Kommentaren und Abwehrhaltungen gegenüber seiner Haltung begleitet wurden. Die Rede war von „Vaterlandsverrat“, „Fahnenflucht“ und „Feigheit“, obwohl bereits seit Jahrzehnten bekannt war, was das NS- Regime angerichtet und verbrochen hatte. Die Bewegung, die Jägerstätter

235 Vgl. Putz, Erna, Renoldner, Severin, Monika Würthinger: Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung, Seite 41. 236 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 190. Seite 73 eine offene Verehrung entgegenbrachte, und eine Neubewertung seines Falles von Seiten der Kirche war allerdings nicht mehr aufzuhalten.237

5.2 Franz Jägerstätter und die U.S.- amerikanische Friedensbewegung

Der Soziologe Gordon C. Zahn veröffentlichte 1967 das erste Buch über Franz Jägerstätter unter dem Originaltitel „In solitary witness. The life and death of Franz Jägerstätter”. Es wurde auch in Österreich veröffentlicht. Dieses Buch ist eine erste intensive Auseinandersetzung mit der Person Jägerstätter und versucht seine Beweggründe und sein Umfeld zu beschreiben. Das Buch hatte vor allem in den USA großen Erfolg.238

In den 1970er Jahren fanden viele junge Menschen in den USA in ihrer ablehnenden Haltung dem Vietnamkrieg Trost, Unterstützung und Bestätigung im Zeugnis, das Franz Jägerstätter abgegeben hatte. Für sie war Jägerstätter eine Bestärkung an ihrer Überzeugung festzuhalten nicht in einen Krieg ziehen zu wollen, der der eigenen Überzeugung und dem Gesetz Gottes nach nur ungerecht sein konnte. Er half ihnen dabei, an ihrer Einstellung, trotz des enormen gesellschaftlichen Drucks, der auf ihnen lastete, festzuhalten.239

Der bekannte Trappistenmönch Thomas Merton beschäftigte sich in vielen Schriftstücken und Reden mit Franz Jägerstätter. In seinem Buch „On Peace“ widmet er Jägerstätter ein ganzes Kapitel, mit der Überschrift „An Enemy of the State“. Er schreibt darin: „Franz Jägerstätter surrendered his life rather than take the lives of others in what he believed to be an „unjust war“.[…] He had to meet practically every “Christian” argument that is advanced in favour of war.[…] All these are very familiar arguments to be so conclusive that few Catholics dare to risk the disapproval they would incur by conscientious objection and dissent.”240

Merton vergleicht die Situation Jägerstätters mit der damals gegenwärtigen Situation in der sich Menschen befanden, die nicht am Vietnamkrieg teilnehmen wollten. Auch sie versucht man mit allen nur denkbaren Mitteln davon zu überzeugen, dass ein guter Christ/ eine gute Christin sich nicht über die allgemein geltende Meinung hinwegsetzt und sich selbst ein

237Vgl. Putz, Erna, Renoldner, Severin, Monika Würthinger: Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung, Seite 43. 238 Vgl. Ebenda, Seite 42. 239 Moore, Donald J.: Die Wirkungsgeschichte Franz Jägerstätters im Rahmen der US- amerikanischen Friedensbewegung, Seite 177. 240 Merton, Thomas: On Peace, Seite 56-57. Seite 74 Urteil bildet, sondern im System bleiben und sich den Regeln der Obrigkeit nicht widersetzen.

Daniel Berrigan, der bekannte Jesuit und Friedensaktivist war ein Freund und Vertrauter Mertons. Auch er bezeugte, dass Franz Jägerstätter auf ihn enormen Eindruck gemacht hatte und er sich durch sein Beispiel in seiner Entscheidung für einen pazifistischen Lebensweg bestärkt und unterstützt fühlte. Berrigan wies deutlich darauf hin, dass Jägerstätter ein „Sammelpunkt für verschiedene Friedensgruppen überall im Land (Anm.: USA) gewesen ist“241. Seine Geschichte hat all jene ermutigt, die sich aufgrund der herrschenden Gesetze dazu verpflichtet fühlen diese zu übertreten, wenn sie ihrem Gewissen und ihrer eigenen Überzeugung folgen wollen. Besonders schöpfen jene aus Jägerstätters Zeugnis Kraft, die für ihre Aktivitäten zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Bei manchen Sit-ins und Protestaktionen werden die Texte Jägerstätters öffentlich vorgelesen und Franz wird als Fürsprecher angefleht. 242 Die Geschichte von einem Bauer aus Oberösterreich, von seiner Weigerung in einem ungerechten Krieg zu kämpfen, hat in allen Bereichen des katholischen Lebens in den USA Anklang gefunden. Er wird als ein „besonders von Gott begnadeter Mensch gesehen, der alles hingab, um dieser Gnade zu entsprechen.“243

5.3 Würdigung Franz Jägerstätters durch die offizielle katholische Kirche in Österreich

Wie bereits erwähnt, dauerte es einige Jahrzehnte, und es bedurfte einen Umweg über die Vereinigten Staaten von Amerika, bis Franz Jägerstätter auch in seiner Heimat, Österreich die volle Anerkennung erhielt, die er verdiente. 1985 veröffentlichte die heute bekannteste und wichtigste Jägerstätter Biografin, Erna Putz ihr Buch: “Franz Jägerstätter...besser die Hände als der Wille gefesselt...“. Dieses Buch verbreitete sich rasch und trug unter anderem auch dazu bei, dass sich die öffentliche Meinung über ihn langsam änderte. War er in den 1940er und 1950ern noch eine „persona non grata“, veränderte er sich in den 1960er und 1970ern zu einem Idol der Friedensbewegungen in den USA und wird seit den 1980ern auch in Österreich vorwiegend positiv beurteilt. Negative Aussagen über Jägerstätter finden sich nur noch selten, sein Zeugnis, die Hingabe seines eigenen Lebens, wird heute als bewundernswert

241 Moore, Donald J.: Die Wirkungsgeschichte Franz Jägerstätters im Rahmen der US- amerikanischen Friedensbewegung, Seite 181. 242 Vgl. Ebenda. 243 Ebenda, Seite 189. Seite 75 betrachtet. Aussagen und Predigten über Jägerstätter von Seiten vieler Offiziellen der katholischen Kirche in Österreich machen dies deutlich. Ein ausgewähltes Beispiel soll dies verdeutlichen.

5.3.1 Vortrag von Bischof Christoph Schönborn 1992 hielt der damalige Weihbischof und jetzige Erzbischof von Wien, Christoph Kardinal Schönborn einen Vortrag, in dem er betonte, dass Jägerstätter klar in die Tradition der Märtyrer der katholischen Kirche einzuordnen ist. 244 Er sagte: „Man kann nur staunen, mit welcher Sicherheit dieser einfache Mann die geistige und auch politische Situation seiner Zeit erfasste, Lüge von Wahrheit unterschied, und selbst Priestern und seinem Linzer Bischof gegenüber bestimmt und demütig seinen Weg begründete, ohne je die Hierarchie oder die den Kriegsdienst leistenden Katholiken zu verurteilen.[...] Die Märtyrer sind gerade in Zeiten solcher scheinbarer Ausweglosigkeit die lebendigen Zeugen dafür, dass Gewalt auch in der Geschichte nicht das letzte Wort ist [...]So sind gerade die Märtyrer für den christlichen Glauben die Bestätigung, an die Macht der Liebe auch in der Geschichte zu glauben.“245

Schönborn lobt Jägerstätters scharfen Verstand, mit dem er die Situation der damaligen Zeit analysierte und konsequent seiner Überzeugung nach handelte. Selbst Priester und der damalige Linzer Bischof Fließer gaben ihm den, aus heutiger Sicht, falschen Rat: sie betonten die Gehorsamspflicht. Für Schönborn ist Jägerstätter ein Vorbild im Glauben. Sein konsequenter Weg führte zwar in den Tod, aber er ist nicht umsonst gestorben: sein Beispiel macht deutlich, dass Gewalt in der Geschichte nicht das letzte Wort hat, er bezeugte, das, was erst im Reich Gottes seine volle Realität zeigt: die Liebe Gottes zu den Menschen überwindet die Gewalt und lässt Frieden über die Menschheit kommen.

5.3.2 Aufhebungsbeschluss des Todesurteils Am 7. Mai 1997, 52 Jahre nach der Kapitulation Deutschlands und 54 Jahre nach der Hinrichtung Franz Jägerstätters, wurde das Todesurteil wegen Zersetzung der Wehrkraft offiziell vom Landgericht Berlin aufgehoben. „Diese Aufhebung kommt einem Freispruch gleich und bedeutet volle moralische und juristische Rechtfertigung seiner Haltung.“246

244 Bergsmann, Johann: Zwischen Ablehnung und Hochschätzung. Zur Rezeptionsgeschichte Franz Jägerstätters, Seite 173. 245 Chr. Schönborn: Gewalt und Martyrium: Franz Jägerstätter- Zeuge des Glaubens, Vortrag gehalten in St. Radegund- Ostermiething am 9. August 1992, in: Ebenda, Seite 173- 174. 246 Moos, Reinhard: Die Rehabilitierung Franz Jägerstätters durch das Landgericht Berlin, Seite 31. Seite 76

Das Landgericht Berlin geht heute davon aus, dass der gesamte Zweite Weltkrieg nicht dem deutschen Volk, sondern der nationalsozialistischen Ideologie gedient hat. Soldaten, die in diesem Krieg gekämpft haben und die ihr Leben in diesem Krieg verloren haben, taten dies nicht im Dienste der Heimat, sondern fielen auf einen verbrecherischen Krieg herein, der von Machtgier und Zerstörungswahn geprägt war. Sich einem solchen Verbrechen zu entziehen, wie Jägerstätter es getan hatte, kann deshalb kein Verbrechen sein.247

5.4 Seligsprechung

Den 26. Oktober 2007 kann man als Höhepunkt der offiziellen Anerkennung und der Würdigung in der katholischen Kirche für Franz Jägerstätter nennen. Er wurde im Linzer Mariendom vom Präfekt der Heiligsprechungskongegration, Kardinal Jose Saraiva Martins, der im Namen Papst Benedikt XVI. die Feier vollzog, selig gesprochen. Damit endet der lange Weg des oberösterreichischen Bauern, der im Zweiten Weltkrieg für seine Überzeugung starb, dass die Sache für die Hitler kämpfte ungerecht war, und deshalb den Wehrdienst verweigerte. Der 21. Mai gilt nun als Gedenktag Franz Jägerstätters.248

5.5 Franziska Jägerstätter

Nach dem gewaltsamen Tod ihres Mannes und dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte Franziska Jägerstätter unter zweierlei druck zu leiden: zum einen wurde ihr der Tod ihres Mannes angelastet, sie musste sich von vielen Dorfbewohnern den Vorwurf gefallen lassen, sie habe nicht genug getan, um ihren Mann von seinem Vorhaben abzuhalten und so laste auf ihr eine gewisse Mitschuld. Die Dorfgemeinschaft ließ sie dies durch verschiedene soziale Repressalien spüren.249

Zum anderen wurde sie auch finanziell benachteiligt. Die Behörden der Zweiten Republik verwehrten ihr eine Witwen- und Waisenrente, da Franz Jägerstätter nicht im Heer gefallen war, sondern freiwillig für seine Überzeugung starb. Erst 1950, nach Intervention von Pfarrer Kreutzberg und mit Hilfe eines Juristen erhielt sie Witwenrente.250

247 Moos, Reinhard: Die Rehabilitierung Franz Jägerstätters durch das Landgericht Berlin, Seite 32. 248 Vgl. „Österreichs Kirche verehrt den neuen Seligen Franz Jägerstätter“, http://www.katholisch.at/content/site/unsichtbar/jaegerstaetter/article/15010.html [abgerufen am 19. 03. 2009] 249 Vgl. Putz, Erna:...besser die Hände als der Wille gefesselt...,Seite 270-276. 250 Vgl. Ebenda, Seite 276- 280. Seite 77 Trotz der Repressalien, unter denen Franziska Jägerstätter noch lange zu leiden hatte, wird sie heute von den meisten bewundert: als eine Frau, die den Nationalsozialismus in all seinen Formen ablehnte und ihren Mann in seiner Entscheidung, sich dem Dienst im Heer Hitlers zu verweigern unterstützte. Die Aussage von Pfarrer Karobath, in einer ersten Würdigung Franz Jägerstätters 1945, gilt auch heute noch: „Ja, auch seine Frau ist eine Heldin.“251 Franziska Jägerstätter lebt heute noch in St. Radegund, Oberösterreich.

6. Zusammenfassung und Resümee

Diese Arbeit hatte das Ziel die Geschichte der bellum iustum-Theorie der katholischen Kirche zu beschreiben, Veränderungen aufzuzeigen und verschiedenartigste Interpretationen zu benennen. Die Lehre wurde immer wieder verwendet um Kriege, auch im Namen der Kirche, zu rechtfertigen. Somit wurde die Lehre oft für die eigene Sache missbraucht, anstatt sie als die Möglichkeit zur Friedenswahrung, als welche sie ursprünglich intendiert war, zu verwenden. Immer wieder ließ sich die Kirche auf Kriege ein, auch um den eigenen Einflussbereich zu sichern und zu vergrößern. Im Zweiten Weltkrieg ließ sich die Kirche dann gänzlich zu einer fatalen Fehlentscheidung hinreißen: Sie akzeptierte Hitlers grausamen Eroberungsfeldzug, um nicht ihrem Lebens- und Einflussbereich entzogen zu werden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzte dann ein Umdenken ein: Papst Pius XII. proklamierte, dass nur noch Verteidigungskriege gerecht sein könnten und das Zweite Vatikanum trat verstärkt für die Schaffung einer internationalen Organisation ein, um Kriege gänzlich überflüssig zu machen.

Die bellum iustum-Theorie ist auch heute noch ein wesentlicher Bestandteil der kirchlichen Lehre, auch wenn in den letzten 30 Jahren eine Entwicklung – zumindest terminologisch – vom gerechten Krieg hin zum gerechten Frieden beobachtet werden kann. Es wird betont, dass die Theorie vom gerechten Krieg zu spät ansetzt, nämlich erst, wenn schon in Kriegskategorien gedacht wird und ein Krieg schon vorprogrammiert ist.

251 Vgl. Pfarrchronik St. Radegund II, 149, zitiert in: Putz, Erna:...besser die Hände als der Wille gefesselt..., Seite 272. Seite 78 Die Deutschen Bischöfe brachten im Jahr 2000 ein gemeinsames Dokument mit dem Titel „Gerechter Friede“ heraus. Der Hirtenbrief behandelt die Frage: Wie kann verhindert werden, dass man in Kriegskategorien denken muss, bzw. welche Voraussetzungen müssen für einen gerechten Frieden gegeben sein? Krieg kann und darf immer nur die allerletzte Option sein, zuvor müssen alle anderen Möglichkeiten zur Konfliktbeseitigung ausgeschöpft sein, so lautet das ultima ratio Kriterium der Lehre vom gerechten Krieg. Die Lehre, wie sie heute in der katholischen Kirche gelehrt und vertreten wird, knüpft allerdings viel früher an: Was muss gegeben sein, damit es überhaupt nicht erst zu Konflikten kommt, das heißt, welche menschlichen Grundbedürfnisse müssen gedeckt sein, damit es nicht zu politischen Konflikten kommt. Diese Fragen sind schwierig zu beantworten, die Lösung liegt noch in weiter ferne, deshalb ist die bellum iustum-Theorie noch immer wichtiger Bestandteil der katholischen Lehre.

Wie bereits erwähnt, ließ sich die katholische Kirche „gefangen nehmen“ im Zweiten Weltkrieg. Kirchliche Amtsträger glaubten den Versprechen Hitlers, dass, wenn sich die Kirche auf der Seite des NS-Regimes stellen würde, sie ihren Leben- und Einflussbereich nicht verlieren würde. Die Zustimmung der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus brachte jedoch nicht den gewünschten Erfolg: Hitler versuchte die Kirche systematisch zu verdrängen und zu zerstören. Die offizielle Kirche blieb allerdings auch hier tatenlos: Sie ließ Unmenschliches und Grausames gewähren und rief die Bürger und Bürgerinnen noch zu Gehorsam und Vaterlandspflicht auf. Die Kirche unterstützte das Regime, obwohl klar war, dass es gänzlich unmenschlich und menschenverachtend seinen Eroberungsfeldzug durch Europa, auf der Suche nach Bodenschätzen und Reichtümern, machte.

In dieser Zeit, in der die Kirche stillschweigend den Gräueln der Naziverbrechen zusah, und einige Tendenzen der Ideologie, wie beispielsweise den „Kampf gegen den gottlosen Bolschewismus“, sogar guthieß, legte ein Bauer aus Oberösterreich ein einsames Zeugnis ab: Franz Jägerstätter verweigerte den Wehrdienst. Er war davon überzeugt, dass der Krieg Hitlers nicht gerecht sei und nicht dem Willen Gottes untergeordnet sein könne. In einem solchen ungerechten Krieg könne und wolle er als Christ nicht kämpfen. Aus diesem Grunde wurde er hingerichtet. Er starb für seine Überzeugung, dass der Krieg nicht den Kriterien des gerechten Krieges standhalten könne.

Seite 79 Die Kirche seiner Zeit allerdings verlangte Gehorsam und Pflichterfüllung, er, der dies nicht leisten wollte, wurde als „närrisch“ und „nach Sühneleiden dürstend“252 deklariert. Weil er nicht den Weg ging, den die meisten seiner Zeitgenossen einschlugen, nämlich den Befehlen der Obrigkeit zu gehorchen, sondern seinem eigenen Gewissen folgte, wurde er von kirchlicher Seite aus nicht unterstützt. Sein gewaltsamer Tod war die logische Konsequenz seines unorthodoxen Handelns. Er handelte streng nach seinem Gewissen, und nach der Bibel, in der er die Begründung seines Tun fand.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Frage der Kriegsdienstverweigerung noch immer kritisch beurteilt, es dauerte bis zum Zweiten Vatikanum, bis die Frage der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen positiv beurteilt wurde. Auf dem Zweiten Vatikanum geschah auch eine Aufwertung des Menschen zum mündigen Laien, das heißt, blinder Befehlsgehorsam, wie er noch im Zweiten Weltkrieg von den Christen und Christinnen gefordert wurde, wich nun einem Konzept, das die Gewissensentscheidung jedes/ jeder Einzelnen akzeptieren soll und Alternativen und rechtlichen Schutz anbieten soll. Ebenso wurde die Frage der Gerechtigkeit eines Krieges neu beurteilt. Nicht mehr Kriegsrechtfertigung soll im Vordergrund stehen, sondern, wie bereits erwähnt soll die Kriegsvermeidung und Schaffung eines gerechten Friedens im Vordergrund stehen.

Franz Jägerstätter ist, so die Argumentation dieser Arbeit, ein Vorreiter der modernen Lehre vom gerechten Krieg in der katholischen Kirche. Er legte mutig Zeugnis ab, in einer Zeit, in der auf Befehlsverweigerung öffentliche Ächtung und der Tod folgte. Er war davon überzeugt das Richtige zu tun. Wenn Jägerstätter in seiner Zeit zwar nicht verstanden, und sogar als närrisch bezeichnet wurde, so wird er heute, mehr als 60 Jahre nach seinem Tod als Vorbild im Glauben, als Seliggesprochener, von vielen Menschen verehrt. Allerdings war es ein langer Prozess bis zur offiziellen Würdigung Franz Jägerstätter. Sein Zeugnis wurde erst circa 20 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod durch Gordon Zahn der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Bevor Jägerstätter in Österreich Würdigung und Anerkennung erfuhr, wurde er zum Vorbild vieler U.S. amerikanischer FriedensaktivistInnen. Sie sahen in ihm ein Beispiel, wie man sich angesichts eines ungerechten Krieges zu verhalten habe. In Österreich wurde Jägerstätter erst in den 1980er Jahren durch Erna Putz bekannt.

252 Vgl. Zahn, Gordon: Er folgte seinem Gewissen, Seite 191. Seite 80 Nicht nur im Glauben ist er für Viele ein Vorbild: Er lebte vor, was heute anerkannte kirchliche Lehre ist. Man muss seinem Gewissen folgen und darf nicht gegen sein Gewissen, vor allem in der Frage des Krieges handeln. Krieg darf immer nur als letzter Ausweg in Kauf genommen werden. Angriffskriege sind verwerflich, das Recht auf Verteidigung darf man einem Land allerdings nicht absprechen.

Franz Jägerstätter ist ein Vorreiter der modernen bellum iustum-Theorie der katholischen Kirche. Er handelte nach seinem Gewissen in einer Zeit, in der Befehlsausführung wichtiger war, als die eigene Auffassung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Durch sein Zeugnis veränderte und verschärfte die katholische Kirche die Lehre vom gerechten Krieg. Vieles, was er bereits in den Jahren des Zweiten Weltkrieges gelebt hatte, vertritt heute das kirchliche Lehramt. Er wurde zu einem Beispiel, das etwas in der Kirche veränderte.

Seite 81 7. Literaturverzeichnis

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