„Tatsozialismus” Und Anklage Als „Volksschädling” – Evangelische Kindergartenarbeit in Hannover in Der Zeit Des Zweiten Weltkriegs
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32 „Tatsozialismus” und Anklage als „Volksschädling” – evangelische Kindergartenarbeit in Hannover in der Zeit des Zweiten Weltkriegs Rainer Bookhagen Die Gestaltung kirchlicher Kindergärten werde beitsminister in einem gemeinsamen Erlass als zukünftig nach den Maßgaben der Partei erfolgen Reichsspitzenverband der freien Wohlfahrtspfle- – das teilte Hermann Althaus, der zweite Mann ge anerkannt worden. Damit war zugleich der der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt Anfang vom Ende der Deutschen Liga der freien (NSV) am 18. März 1941 dem Präsidenten des Wohlfahrtspflege angezeigt gewesen. Und im Central-Ausschusses für die Innere Mission Februar 1934 hatte es nur noch eine Arbeitsge- (CA), Constantin Frick in einem vertraulichen meinschaft der Spitzenverbände der freien Wohl- Gespräch mit. Dabei deutete er auch an, dass in fahrtspflege gegeben, der unter Vorsitz Erich Kürze eine dem entsprechende Verordnung ver- Hilgenfeldts, des Reichswalters und NSV- öffentlicht werde. Hauptamtsleiters in Berlin, neben oder besser un- ter der NSV die Innere Mission, der Deutsche Bereits drei Tage später, am 21. März 1941, lag Caritasverband und das Deutsche Rote Kreuz an- das vor, wovon Althaus gesprochen hatte. Es war gehörten. Eine Arbeiterwohlfahrt und eine Zent- ein gemeinsamer Runderlass des Reichsministe- ralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden hatte es riums des Innern und des „Stellvertreters des zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr gegeben. Führers und war das Ergebnis von Verhandlun- Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband gen der Ministerialbürokratie mit dem Parteiap- war in die NSV hinein aufgelöst worden. parat. Der Erlass regelte die „Zusammenarbeit der Gemeinden und Landkreise mit der NSV zur Diese Arbeitsgemeinschaft war das Instrument, Förderung der Kindertagesstätten”. Er hatte ganz mit dem Hilgenfeldt unter dem Vorzeichen der und gar nicht den Charakter einer direkten An- Planwirtschaft versucht hatte, die Führung der ordnung oder Weisung an irgendwelche Dienst- gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrtspfle- stellen oder Behörden. Verglichen mit den Über- ge zu übernehmen. Zum einen die ambulanten, nahmeanordnungen, die drei Monate zuvor in am wenigsten gesicherten Dienste, die Gemein- Thüringen und Sachsen verfügt worden waren, depflege, in die Trägerschaft der NSV zu bringen konnte dieser Erlass sogar als ein Rückzug der ebenso wie die Kindergärten, sowohl die kom- NSV betrachtet werden. Denn tatsächlich war mit munalen als auch die konfessionellen. Gleichzei- keinem Wort der Anspruch formuliert, dass kon- tig und zum anderen beanspruchte er für die fessionelle Einrichtungen nach und nach von der NSV, unter der rassistischen Vorgabe, dass die NSV übernommen werden müssten, noch enthielt kirchlichen Einrichtungen sich denen zuwenden er eine Bemerkung über eine Konzessionsentzie- können, denen man von Seiten der NSV nicht hung nach dem Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt mehr helfen zu können gemeint hatte, mithin den (RJWG). Es hieß vielmehr nur: „Die Übernahme unter eugenischen Gesichtspunkten „minderwer- sonstiger Kindertagesstätten ist ausschließlich tigen” Menschen, auch die Trägerschaft und Aufgabe der NSV.” Übernahme von Einrichtungen der Inneren Mis- sion. Die NSV wollte der ”sozialistische Arm der Seit dem 3. Mai 1933 war die NSV die partei- NSDAP” sein. amtlich und durch Hitler selbst anerkannte Orga- nisation der Volkswohlfahrt und der Fürsorge. Im Laufe der Zeit hatte sich die Auseinanderset- Sie war am 25. Juli 1933 vom Reichs- und Preu- zung nicht zuletzt auch hinsichtlich der Kinder- ßischen Minister des Innern und vom Reichsar- gärten zugespitzt. Finanzierungsfragen, Bauange- 33 legenheiten, Steuerfragen, waren von der NSV den Erlass vom 21. März 1941 auf Vorgänge an- vor Ort im Zusammenwirken mit den örtlichen wandten, die zu regeln sein Wortlaut an keiner Parteistellen und den Kommunalverwaltungen Stelle beabsichtigte. Genau durch solche Verfah- genutzt worden, um kirchliche Kindergartenträ- rensweise wurde die tatsächliche Rechtsgrundla- ger auszuschalten. Allerdings nur bedingt mit Er- ge, immer noch das RJWG und sein § 6, der die folg. Auch ein Gesetzesvorhaben, mit dem Hil- freien Trägerschaften gleichberechtigt neben die genfeldt sich zum Reichsbeauftragten für Wohl- öffentlichen stellte, scheinbar legal außer Kraft fahrtspflege hatte machen wollen, war spätesten gesetzt. Es wurde tatsächlich der Eindruck er- im Sommer 1939 gescheitert. Das zwar auch an weckt, dieser Erlass bedeute eine für das ganze der Gegenwehr der Inneren Mission und der Reich angeordnete Überführung der konfessio- DEK, die im übrigen immer dichter aneinander- nellen Kindergärten auf die NSV.” gerückt waren, insbesondere aber auch an den Interessen der jeweils zuständigen Reichsministe- Was man auf Seiten der Streiter für die evangeli- rien und an den Forderungen in den ”Gauen” der sche Kinderpflege nicht wissen konnte war, dass NSDAP, in denen die Gauleiter ihren Einfluss diese Linie von der Partei-Kanzlei unter Martin nicht verlieren wollten. Schließlich hatte sich Bormann tatsächlich inzwischen vorgegeben war. Hilgenfeldt auch nicht gescheut, im Februar ”Hitlers bester Funktionär” hatte in einem streng 1940, die Gestapo zu veranlassen, die Geschäfts- vertraulichen Schreiben vom 11. Mai 1941 an telle des CA zu durchsuchen, Unterlagen zu be- alle Gauleiter festgestellt, dass aufgrund des Er- schlagnahmen und den ersten Direktor, Horst lasses alle nicht zum Wirkungsbereich der Ge- Schirmacher, immerhin Parteigenosse, kurzzeitig meinden gehörigen Kindertagesstätten aus- zu verhaften. Insofern stellte der Erlass vom 21. schließlich von der NSV zu übernehmen seien. März 1941 den Endpunkt einer Entwicklung dar Nicht nur dass er unmissverständlich erklärte, und bedeutete zugleich den Versuch, die bisheri- Staat und Bewegung könnten es nicht dulden, gen Maßnahmen zu legalisieren, oder genauer, dass Kinder in konfessionellen Kindertagesstät- die Geltung des zu keinem Zeitpunkt außer Kraft ten nach kirchlichen Gesichtspunkten und im gesetzten Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes Sinne einer „konfessionellen Spaltung” erzogen (RJWG) neu zu interpretieren und neue Maß- werden. Er meinte auch, dass diese Frage jetzt nahmen zu kanalisieren. Dabei konnten sich alle endgültig bereinigt werden könne und wies da- auf den „Führer” berufen, der nicht nur im No- rauf hin, solche Bereinigung geschehe ”zweck- vember 1937 proklamiert hatte, „das Kind bilden mäßigerweise dadurch, dass den Trägern konfes- wir!”, sondern bereits ein halbes Jahr vorher er- sioneller Kinderfürsorgeeinrichtungen die etwa klärt hatte: „Wir nehmen ihnen die Kinder weg! bisher erteilte staatliche Genehmigung entzogen ... und wir erziehen sie zu neuen deutschen Män- wird und neue derartige Genehmigungen nicht nern und Frauen.” mehr erteilt werden.” Allen Gauleitungen im Reich musste spätestens zu diesem Zeitpunkt klar Dabei ist es kennzeichnend für den doppelgesich- sein, dass dem durch die NSV „im Rahmen der tig sowohl maßnahmen- als auch, wenn es erfor- allgemeinen Menschenführungsaufgabe der Par- derlich, normenorientierten nationalsozialisti- tei” entsprochen werden müsse. schen Doppelstaat, dass die Machthaber im „Gau” ebenso wie die Zentralgewalt in Berlin 34 Zunächst herrschte auf Seiten von Kirche und ten. So gesehen hatte sich die Sorge insbesondere Innerer Mission Verwirrung. Während es Vertre- aus Württemberg als berechtigt erwiesen, wo ter der Inneren Mission gab, die sich über die man bereits im November 1939 ahnte, dass die Absichten des Erlasses vom 21- März 1941 nicht seinerzeit von v. Wicht und der Vereinigung ini- im klaren waren, jedenfalls aber eine verwal- tiierte und von siebzehn Landeskirchen unter- tungsmäßige Bestimmung im Blick auf die evan- zeichnete Eingabe nur scheinbar eindrucksvoll gelischen Kindergärten darin nicht entdecken war und und meinte, sie werde ”das Gegenteil konnten, hielt die Spitze des CA, sein Direktor von dem erzielen, was sie beabsichtigt hatte.” Horst Schirmacher, die Sache der Kindergärten ”Das Gegenteil” lag jetzt vor. Damit schien für für entschieden, so wie er ”es ja immer erwartet die evangelischen Kindergärten die Lage herbei- habe”. Und während man sich im Evangelischen geführt, die v. Wicht seit vier Jahren befürchtet Oberkirchenrat (EOK) Berlin, der obersten Kir- hatte. chenbehörde der Evangelischen Kirche der Alt- preußischen Union (ApU) und in der Kir- Weil aus seiner Sicht jetzt jedem Lande der Zeit- chenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche punkt, die Zweckmäßigkeit und die Art der (DEK) fragte, ob es im Deutschen Reich dafür Durchführung dieser ”verwaltungsmäßigen Be- bereits Vorbilder gäbe oder ob dies eine Anord- stimmung” überlassen bleiben musste, hatte v. nung zur Überführung der konfessionellen Kin- Wicht als Vorsitzender der Vereinigung evange- dergärten auf die NSV sei, war für Hermann von lischer Kinderpflegeverbände Deutschlands sich Wicht, den geschäftsführenden Vorsitzenden der verpflichtet gesehen, ”planmäßiges, geschlosse- Vereinigung evangelischer Kinderpflegeverbände nes und verantwortungsbewusstes Handeln” zu Deutschlands seit deren Anfängen im Jahr 1922, ermöglichen. Am 5. April 1941 sandte er an alle die Sache bereits ganz klar. Er meinte, dass der angeschlossenen Landes- und Provinzialverbände Erlass eine verwaltungsmäßige und abschließen- für evangelische Kinderpflege ein Rundschrei- de Festlegung der zwischen Hilgenfeldt, dem ben, in dem er die Lage erläuterte, eine feste und Reichsministerium des Innern und dem ”Stellver- nüchterne Haltung anmahnte, die Erstellung von treter des Führers”