Handschriftensammlung 6

SLUB erwirbt unveröffentlichte Briefe Minna Wagners

In dem 1938 erschienenen Buch des Mu- für sie zerstörerischen – Künstler- sikforschers , existenz erfährt“. „Minna Planer und ihre Ehe mit Richard Beide Autorinnen wären glücklich ge- “, war sie trotz des für sie auf- wesen, wenn sie bei ihren Recherchen gebrachten Verständnisses letztlich ein handschriftliches Briefkonvolut hät- doch nur die Gattin, die es dem Genie ten einsehen können, das die SLUB vor an ihrer Seite selten Recht machen kurzem aus Privathand erwerben durf- konnte. In den neuen Biographien von te (Signatur: Mscr. Dresd. App. 2829). Es Eva Rieger (Berlin 2003, Artemis & handelt sich um 46 Briefe, die Minna Winkler) und Sibylle Zehle (Hamburg Wagner zwischen 1842 und 1866 ihrer 2004, Hoffmann und Campe) kommt Schwägerin Caecilie Avenarius geschrie- Minna Wagner besser weg. Vor allem ben hat. Zwar hatte bereits Friedrich Sibylle Zehle hat erfolgreich „Spuren- Herzfeld dieses Briefkonvolut im Zuge suche“ betrieben – so der Untertitel ih- seiner Forschungen über Minna Wagner res Buches. Anhand vieler neuer Doku- einsehen und sogar Abschriften vorneh- mente schildert sie Minna Wagners Weg men können. Da er in seinem Buch von als den „einer jungen ehrgeizigen Auf- 1938 jedoch nur einige Briefe in Auszü- steigerin, die versucht, der Enge ihres gen mitteilte, ist die Masse des von der Elternhauses zu entfliehen, und statt SLUB erworbenen Bestandes noch un- veröffentlicht. der ersehnten bürgerlichen Sicherheit Die Schauspielerin Minna Wilhelmine Wagner, an der Seite Richard Wagners nichts als geb. Planer, erste Frau Richard Wagners (1809- Caecilie Avenarius war Richard Wagners die Unsicherheit einer unruhigen – und 1866). Aufnahme: SLUB/DF jüngere Halbschwester. 1840 zog sie Handschriftensammlung 7

nach Paris, um den Verlagsbuchhändler Eduard Avenarius zu heiraten, der von seinem Leipziger Verlagshaus dorthin entsandt worden war, um die „Librairie allemande“ zu leiten. Um die gleiche Zeit hielt sich das Ehepaar Wagner in Paris auf. Obwohl vor allem Eduard Avenarius zu dem Pumpgenie Wagner zunächst auf Distanz blieb, freundete man sich nach und nach an. Vor allem die Frauen blieben bis zum Tod Minna Wagners in gutem Kontext. Der erste erhaltene Brief Minna Wag- ners an Caecilie Avenarius ist im April 1842 nach Paris geschrieben: Die Wag- ners sind aus Paris nach Deutschland zurückgekehrt, während die Familie Avenarius noch eine Weile dort bleiben wird. ist voller Taten- drang: Er sieht gute Aussichten, endlich seine Opern „“ und „Der fliegen- de Holländer“ an deutschen Bühnen unterzubringen und reist demgemäß in der Gegend herum. Minna aber fühlt sich einsam: Sie hat großes „Heimweh“ Eng beschriebene Briefseite (Ausschnitt) mit der Handschrift Minna Wagners. nach Paris, wo sie mit ihrem Mann oft Schwägerin findet sie ein offenes Ohr Beleg einer gescheiterten Ehe betrach- zwar sehr kärglich lebte, sich jedoch in und viel solidarisches Mitgefühl, was ten. Jedoch sind sie viel mehr – nämlich der kleinen deutschen Kolonie gebor- jedoch die Lautstärke der empörten Kla- die kultur-, mentalitäts- und alltags- gen und geradezu als „Mutter der Kom- gen nur steigert. Bei aller Bewunderung geschichtlich hochbedeutenden Doku- panie“ fühlte. Nunmehr sah sie sich von für ihren Mann und ungeachtet blei- mentation eines Frauenlebens um die den Aktivitäten ihres Mannes ein we- bender Anteilnahme an seinem Ge- Mitte des 19. Jahrhunderts. In großer nig ausgeschlossen und war demgemäß schick fehlt es in den Briefen verständ- Authentizität enthüllt sich hier das täg- unzufrieden. licher Weise nicht an Sarkasmen. Im Ja- liche Leben einer mehr oder weniger nuar 1864 schreibt sie anlässlich der ihr alleinstehenden Frau, die sich den bür- Damit ist ein Thema angesprochen, das berichteten Annäherung ihres Mannes gerlichen Kreisen zurechnet, jedoch den Briefwechsel von Anfang bis Ende an die Schauspielerin Friederike Meyer: immer wieder um die Sicherung ihres wie ein roter Faden durchzieht: hier der Man sagt, „R. habe das Verhältnis zu ihr Leben kämpfen muss. Wir erfahren viel rücksichtslos seine Interessen verfolgen- abgebrochen. Schade, das hätte er nicht über ihre wechselhaften Wohnverhält- de Mann, dort seine Gattin, die ständig thun sollen, nun braucht er weniger nisse, ihren Umgang mit Dienstboten, Verständnis aufbringen soll, immer wie- Geld und hat die Noth sich eine andere ihren Verkehr mit Hausfreundinnen, der verzeiht und bis zuletzt auf ein Le- solche Person zu suchen.Vielleicht ist so über Kuraufenthalte, Krankheiten und ben an der Seite ihres Mannes hofft, das etwas schon im Gange und man macht Selbstmedizinierungen. zumindest dem Anschein nach den Nor- es ihm nicht so leicht. – Wenn mein men von Wohlanständigkeit entspricht. Mann unglücklich liebte, wünschte er Alles in allem bilden die Briefe an Doch stattdessen lebt sie in späteren sich stets den Todt, wollte sich erschie- Caecilie Avenarius den wichtigsten Bau- Jahren von ihrem Mann weitgehend ßen, in eine Gletscherspalte versinken stein für eine Auswahlausgabe aller getrennt, erfährt von seinen Abenteu- oder auf einem hohen Berge in einer Briefe Minna Wagners, die der Autor im ern gelegentlich nur aus der Zeitung Einsiedlerhütte elend unterkommen u. Lehmstedt Verlag Leipzig veröffentli- und hängt doch weiterhin an ihm – so d. g. m. Verzeihe mir daher, wenn mir chen wird – rechtzeitig zum Gedenken wie er an ihr hängt, wenn auch nur im sein Wunsch zu sterben, jetzt nicht recht ihres 200. Geburtstags im September Sinne einer emotionalen Bindung, die imponieren will.“ 2009. sich am besten als Mutter-Kind-Fixie- Es ist müßig, in einem Abstand von ein- rung deuten lässt. einhalb Jahrhunderten die Gattin und Martin Geck Je mehr die Jahre dahingehen, umso den Gatten je nach Blickrichtung hier bitterer werden die Töne in den Brie- verstehen und dort verurteilen zu wol- Der Verfasser, in frühen Jahren seines Berufslebens fen, die Minna Wagner an die inzwi- len. Vielmehr kann man Minna Wagners Gründungsredakteur der Richard-Wagner-Gesamt- schen nach Deutschland zurückgekehr- Briefe an Caecilie Avenarius in dieser ausgabe, ist emeritierter Ordinarius für Musikwis- te Caecilie Avenarius richtet. In ihrer Hinsicht nur als traurig stimmenden senschaft der Universität Dortmund.

SLUB-Kurier 2007/3