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SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 LESENSWERT KRITIK

Sara Rai: Im Labyrinth

Draupadi Verlag aus dem von Johanna Hahn

ISBN 978-3-945191-43-9

192 Seiten

18 Euro

Rezension von Claudia Kramatschek

Freitag, 17.05.2019 (15:55 – 16:00 Uhr)

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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Der Schriftsteller Salman Rushdie soll gesagt haben, die spannendste Literatur aus Indien werde nunmehr in englischer Sprache verfasst. Ein absurdes Diktum über ein Land, in dem Vielsprachigkeit zum Alltag gehört. Wie absurd dieses Diktum ist: Das kann man erahnen, wenn man nun den sehr gelungenen Band „Im Labyrinth“ mit Erzählungen der Schriftstellerin Sara Rai zur Hand nimmt. In Indien gehört Sara Rai zur ersten Riege der auf Hindi geschriebenen Literatur – die sich an immerhin rund 500 Millionen Muttersprachler richtet. In Deutschland ist ihr Name noch unbekannt. Doch das wird sich ändern – nicht zuletzt, weil Sara Rai in diesen Tagen den renommierten Rückert-Preis entgegennimmt.

Die 1956 im nordindischen geborene Autorin ist die perfekte Preisträgerin: Wie Friedrich Rückert, der im frühen 19. Jahrhundert als Sprachgenie und Übersetzer zwischen rund 44 Sprachen hin- und herwechselte, ist auch Sara Rai eine Nomadin zwischen den Sprachen. Englisch, Hindi, Hindustani, verschiedene

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Soziolekte und Dialekte: All das mischt sich in ihren Erzählungen, die eben dieses Hin und Her zwischen Sprachen – was in Indien auch immer heißt: zwischen Klassen und Kulturen – zum Thema haben. Keine leichte Aufgabe für eine Übersetzung ins Deutsche. Doch Johanna Hahn hat sie im vorliegenden Band, der einen chronologischen Querschnitt aus dem Werk der Autorin bietet, hervorragend gemeistert. Alle zwölf Erzählungen kommen frisch und unverbraucht daher.

Was sofort betört, ist die Gabe der Autorin, von der ersten Zeile eine dichte Atmosphäre zu schaffen und den Leser so in ihre Geschichten hinein zu ziehen. Rai ist eine genaue Beobachterin; ihre Geschichten leben von Details, die jedoch nie Dekor sind, sondern immer Türöffner in die Welten, die sie beschreibt. Dies sind zumeist die Innenwelten ihrer Protagonisten – die oftmals einsam wirken, wie etwa Shekhar, der gescheiterte Sohn eines reichen Mannes, der nie in der Lage war, etwas aus den Möglichkeiten zu machen, die das Leben ihm an die Hand gegeben hat. Oder die kleine Reshmi, die sich aus magischem Aberglauben heraus für das Schicksal ihres älteren Bruders verantwortlich fühlt.

Immer aber reiben Rais Figuren sich zugleich an den äußeren, sozialen Gegebenheiten in einem Land, das auf Tradition beharrt und dennoch den enormen Fliehkräften eines rasanten Wandels ausgesetzt ist. Die Zeit ist in Sara Rais Erzählungen selbst eine Protagonistin – wirkmächtig verkörpert in einer Schlingpflanze namens Amarvallari, die sich in der gleichnamigen Erzählung inmitten von Neubaukomplexen und gefräßigen Shopping Malls zurückholt, was im indischen Turbokapitalismus verloren scheint: das urwüchsige, ursprüngliche Leben. Denn was vergangen ist, ist eben nicht vergangen: Das lehren alle Geschichten. In der titelgebenden Erzählung – die in , der heiligen Stadt am Ganges, angesiedelt ist –begegnen wir etwa mit Kulsum Bano der betagten letzten Nachfahrin jener untergegangenen Epoche, als in Indien eine so reiche wie bildungsgesättigte muslimische Kultur das Sagen hatte.

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Dass die Veränderungen in Indien immer auch gewaltsamer Natur waren, verschweigt Sara Rai nicht: Eine der Erzählungen spielt auf die Zerstörung der Babri- Moschee in Gujarat im Jahr 1992 an, der Ausschreitungen gegen Muslime folgten. Auch in den jüngeren Texten finden brisante gesellschaftliche Themen Platz: „An der Kante“ beleuchtet die noch immer sozial geächtete Homosexualität, die es Männern selbst in modernen Metropolen wie Delhi und unmöglich macht, eigenen Vorstellungen gemäß zu leben und zu lieben. Die Geschichte „Tatverdächtiger flüchtig“ wiederum – ein linguistisches Bravourstück – handelt von Gewalt gegen Frauen, ausgehend von einem Vergewaltigungsfall, der 2013 die Medien und das ganze Land beschäftigte.

Das mag düster klingen. Dem aber ist nicht so: Immer liegt über den Erzählungen ein Schimmer von Neuanfang und Zuversicht. Sara Rai intoniert insofern keinen nostalgischen Schwanengesang. Ihre Erzählungen sind im Hier und Jetzt verankert – und offenbaren eine so wache wie wagemutige Autorin, deren Stimme hoffentlich auch über die Grenzen Indiens hinaus Gehör finden wird.

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