MICHAEL DALDER / REUTERS MICHAEL DALDER Vizekanzler Müntefering: Seine Rolle ist so wuchtig ausgelegt wie in keiner anderen Regierung zuvor

KABINETT Die Macht des Stellvertreters Union und SPD lassen keine Gelegenheit aus, die Harmonie der Großen Koalition zu beschwören. Doch im Alltag bringen sich die neuen Minister für künftige Auseinandersetzungen in Stellung – auch auf Kosten der eigenen Parteifreunde.

uf dem ovalen Konferenztisch im tefering zu, „sondern aus dem Haushalt kleinen Kabinettssaal des Kanzler- Bundesministerium für des Finanzministers“. Und der habe „sein Aamts brannten zwei Adventskerzen, ARBEIT UND SOZIALES Missfallen deutlich zum Ausdruck“ ge- in den Tellern dampfte Gemüsesuppe. Vor- Minister bracht. weihnachtliche Stimmung breitete sich aus, Franz Müntefering (SPD), 65 Für einen Moment bekam das Publikum als am vergangenen Donnerstag das erste einen Eindruck, wie weit es tatsächlich um Mal der Koalitionsausschuss der neuen Re- die Harmonie innerhalb der neuen Regie- gierung tagte. Dabei ging es um so freud- rung bestellt ist. Unterhalb der Schwelle lose Themen wie Hartz IV, den maroden der öffentlichen Aufmerksamkeit wird er- Haushalt und zusätzliche Gelder für Städ- Beamtete Staatssekretäre bittert um Macht und Einfluss gerungen. te und Gemeinden. •Rudolf Anzinger (SPD), 53 Um sich für die bevorstehenden Konflikte Binnen zwei Stunden einigten sich die •Heinrich Tiemann (SPD), 54 um Haushalt, Sozialreformen und Wirt- Kanzlerin, ihr Vizekanzler und die anderen •Karl-Josef Wasserhövel (SPD), 43 schaftsförderung in Stellung zu bringen, Spitzenfunktionäre von Union und SPD zwingen die neuen Ressortchefs ihre Häu- auf einen Kompromiss: Die Kommunen Parlamentarische Staatssekretäre ser eisern auf Linie – auch auf Kosten von bekommen im nächsten Jahr weit mehr •Gerd Andres (SPD), 54 Parteifreunden. Geld für die Hartz-IV-Reform als bisher •Franz Thönnes (SPD), 51 Wer als Spitzenbeamter nicht dem eige- geplant. Die Große Koalition war sich ei- nen Lager angehört, wird erbarmungslos nig, im Interesse des Landes wieder einmal versetzt oder auf Kosten der Steuerzahler Großes geleistet zu haben. herzlich genug versichern konnten, wie in den Ruhestand entsorgt, neue Führungs- Es gehe um nichts weniger als ein „Si- lieb man sich auf einmal habe. Und CSU- stäbe werden eingerichtet und die geneh- gnal an die Länder“, verkündete Ange- Generalsekretär Markus Söder präsentier- men Leute auf Schlüsselpositionen bug- la Merkel zufrieden, und Franz Münte- te der Öffentlichkeit gleich noch ein kleines siert. Zusammen mit seinem Vertrauten fering beschwor die nötige „Planungs- großkoalitionäres Weihnachtsgeschenk. Im Kajo Wasserhövel baut Vizekanzler Mün- sicherheit für Städte und Gemeinden“. Da Januar werde man die „prima Stimmung“ tefering sein Arbeitsministerium zu einer wollte CDU-Generalsekretär Roland Po- bei einer gemeinsamen Kabinettsklausur Nebenregierungszentrale aus, in der die falla nicht zurückstehen: Auch dieser in einem brandenburgischen Schlösschen Arbeit der SPD-Minister koordiniert wer- Kompromiss beweise, wie „erfolgreich die vertiefen. den soll. Peer Steinbrück gehörte zu den Große Koalition für Deutschland arbeiten Bei so viel Zweisamkeit ging fast unter, ersten Opfern von Münteferings neuem kann“. dass die Einigung bei Kerzenschein zu Las- Machtanspruch. Wieder einmal war die Stunde der Har- ten eines Dritten stattgefunden hatte, der Eine Vielzahl von Kungelrunden domi- monie gekommen – wie so häufig in den zu der Sitzung nicht geladen war. Das zu- niert das Bündnis zwischen Union und vergangenen Wochen, als sich die einstigen sätzliche Geld für die Kommunen stamme SPD. Neben den üblichen Sitzungen der Widersacher aus Union und SPD gar nicht „nicht aus meinem Haushalt“, gab Mün- Partei-, Fraktions- und Regierungsgremien

28 der spiegel 50/2005 Deutschland

Auch in Ressorts, die in SPD-Hand bleiben, gehen etliche Karrieren zu Ende. Finanzminister Steinbrück etwa entfernt in seiner Behörde mehrere Vertraute sei- nes SPD-Vorgängers . Erst entließ er den parteilosen Haushalts- Chef des Bundeskanzleramtes und staatssekretär Gerd Ehlers und ersetzte Minister für besondere Aufgaben ihn durch den altgedienten Genossen Thomas de Maizière (CDU), 51 Werner Gatzer, zuvor Chef der Bundes- Staatsminister schuldenagentur. Als Nächster wird Steu- erstaatssekretär Volker Halsch gehen •Maria Böhmer (CDU), 55 müssen, ein enger Eichel-Vertrauer. Für •Hildegard Müller (CDU), 38 ihn rückt im nächsten Jahr der Deutsche- • (CDU), 63 Börse-Vorstand Axel Nawrath nach, ein Sozialdemokrat. Und längst ist klar, dass auch der letzte Einfluss- und Karrieremöglichkeiten be- verbliebene Führungsbeamte mit CDU- raubt, seit in ihren Häusern die Säube- Parteibuch einem Genossen weichen muss. rungsaktionen angelaufen sind. Eberhard Rolle, Leiter der Abteilung Be- So werden im Ministerium des neuen teiligungspolitik, wird durch Henry Cor-

ARIS Wirtschaftsressortleiters des ersetzt, den Planungschef von Ex-Wirt- Kanzlerin Merkel, Minister de Maizière (CSU) systematisch die verbliebenen schaftsminister Wolfgang Clement. Sauber auf Parteilinie gebracht Sozialdemokraten aus den wichtigen Füh- Nicht weniger gründlich fiel die Flurbe- rungspositionen entfernt. An ihre Stelle reinigung im neuen Bundesarbeitsministe- trifft sich das politische Führungsperso- rücken treue Kader aus der CSU, die in- rium aus. Denn Münteferings Großminis- nal in diversen parteiübergreifenden Ab- zwischen die schönsten Büros in Minis- terium muss erst noch aus den Einzelteilen stimmungsrunden. ternähe bezogen haben. So verdrängte der des Wirtschafts- und Sozialressorts zusam- Für die Fußtruppen der Regierung sind neue Staatssekretär Joachim Wuermeling mengesetzt werden. das schlechte Zeiten. Die einfachen Abge- von der CSU seinen Kollegen Bernd Pfaf- Die heikle Operation übernahm Hein- ordneten kommen im Geflecht der Gre- fenbach aus dessen bisherigen Amtszim- rich Tiemann, damals Staatssekretär im mienbeschlüsse und Gipfelentscheide prak- mer an die Peripherie des riesigen Gebäu- Gesundheitsministerium und damit Unter- tisch nicht mehr vor. Und die Fachbeamten des. Bleiben darf Pfaffenbach ohnehin nur, gebener der weiter amtierenden Ministe- vieler Ministerien fühlen sich der eigenen weil er als eher CDU-nah gilt. rin . Doch Tiemann wollte Deutschland GOETZ SCHLESER Finanzminister Steinbrück Bundesministerium der Opfer von Münteferings Machtanspruch FINANZEN Minister koordiniert er Münteferings Rolle als Vize- Peer Steinbrück (SPD), 58 kanzler, die so wuchtig angelegt ist wie in keiner anderen Regierung zuvor. Jeden Mittwoch vor der turnusmäßigen Kabinettssitzung leitet der Minister eine Beamtete Staatssekretäre Vorbereitungsrunde der SPD-Ressortchefs. •Werner Gatzer (SPD), 47 Die politische Linie stimmt er in wöchent- •Thomas Mirow (SPD), 52 lichen Gesprächsrunden mit SPD-Frak- •Axel Nawrath (SPD), 51 tionschef Peter Struck und Parteigeneral ab. Einmal wöchentlich trifft Parlamentarische Staatssekretäre er sich zum Vier-Augen-Gespräch mit der • (SPD), 64 Kanzlerin; zudem sitzt er als einziges •Barbara Hendricks (SPD), 53 sozialdemokratisches Regierungsmitglied im Koalitionsausschuss, dem wichtigsten Entscheidungsgremium des neuen Regie- sich bei Müntefering für Höheres empfeh- rungsbündnisses. len. Auf die Interessen seiner Chefin moch- Kein Wunder, dass in der SPD Kritik an te er da keine Rücksicht nehmen. der Schlüsselstellung von Müntefering und Erst löste er aus deren Behörde die bei- Wasserhövel laut wird. Das Duo könne den Abteilungen für Rente und Sozialhilfe. zwar Parteiarbeit organisieren, klagen so- Dann plünderte er Schmidts Planungsab- zialdemokratische Finanzpolitiker, doch teilung, die er der Einfachheit halber na- für die inhaltliche Vorbereitung von Re- hezu vollständig der neuen Müntefering- gierungsbeschlüssen fehlten ihm die ent- Behörde einverleibte. Die Ressortchefin, sprechenden Zuarbeiter. die vom Doppelspiel ihres Mitarbeiters lan- Doch Müntefering möchte auf seine ge Zeit nichts ahnte, verfügt nun nicht ein- Macht nicht verzichten. Für ihn ist es mal mehr über einen Leiter für sozialpoli- die einzige Möglichkeit, der Kanzlerin na- tische Grundsatzfragen im eigenen Haus. hezu auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Ihr einziger Trost ist, dass sich die ver- Denn Merkel kann sich auf die Arbeit deckte Fusion auch für Tiemann nicht aus- des Kanzleramts stützen, das von ihrem zahlte. Der wendige Staatssekretär führt Minister Thomas de Maizière ebenfalls in im Müntefering-Ministerium zwar weiter diesen Tagen sauber auf Parteilinie ge- die Abteilungen für Rente und Sozia- bracht wird. les. Seine Hoffnung aber, auch die wichti- Münteferings Kollegen fürchten, dass ge Zentralabteilung zu übernehmen, ging der Vizekanzler seinen Apparat auch dazu nicht auf. Für alle Grundsatzfragen und nutzen wird, die eigenen Interessen als Ar- die politische Planung ist der neue Staats- beitsminister durchzusetzen. Gute Gründe sekretär Wasserhövel zuständig, Mün- für ihre Sorgen haben sie spätestens seit teferings enger Vertrauter aus der SPD- der vergangenen Woche, als Schwarz-Rot Zentrale. die Kommunen großzügig bedachte – zu Seine gescheiterte Kandidatur für den Lasten des Finanzministers. Posten des SPD-Generalsekretärs führte Es wird nicht der letzte Konflikt dieser zum Rücktritt Münteferings, doch nun be- Art bleiben. Müntefering und Steinbrück setzt Wasserhövel eine Schaltstelle der haben in vielen Punkten gegenläufige In- neuen Regierung. Als Fachpolitiker ist der teressen. Will der Finanzminister seinen altgediente Parteiarbeiter zwar bislang Etat zusammenhalten, muss er auch bei nicht aufgefallen, doch in Zukunft werden der Rente und am Arbeitsmarkt strikt spa- die meisten Vorgänge des Ministeriums ren. Darauf aber hat Müntefering seine über seinen Schreibtisch laufen. Zudem Hand. Michael Sauga

30 der spiegel 50/2005