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W114 2201575-1/12E IM NAMEN DER REPUBLIK! Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit , vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 15.06.2018, Zl. 1098129000-151944743, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.02.2020 zu Recht erkannt: A) Die Beschwerde wird abgewiesen. B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE: I. Verfahrensgang: 1. XXXX , geboren am XXXX , (im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF), ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem, stellte am 07.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. 2. Bei der am 07.12.2015 erfolgten Erstbefragung vor dem Stadtpolizeikommando Linz gab der Beschwerdeführer an, verheiratet zu sein und keine Kinder zu haben. Er stamme aus der Provinz , in Afghanistan. Er habe zwölf Jahre lang eine Grundschule in Afghanistan besucht und eineinhalb Jahre an einer Universität in Afghanistan Wirtschaft studiert. Seine Ehefrau, seine Eltern, sein Bruder und seine drei Schwestern würden sich noch in Afghanistan befinden. Er sei schlepperunterstützt aus Afghanistan geflüchtet. Die Kosten seiner Schleppung hätten USD 3.000,- betragen. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF in der Erstbefragung aus, dass er in seinem Dorf der einzige Hazara gewesen sei und von den sunnitischen Dorfbewohnern schlecht behandelt worden wäre. Seine finanzielle Situation sei nicht gut gewesen. hätten angerufen und ihn aufgefordert, sein Studium zu beenden; ansonsten würden sie ihn töten. Als er einmal in der Nacht von einem Auto verfolgt worden sei, habe er Angst bekommen und daher beschlossen, Afghanistan zu verlassen. 3. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 28.02.2018 gab der BF an, gesund zu sein. Unter Hinweis auf eine von ihm selbst vorgelegte Tazkira wies er selbst darauf hin, dass er am XXXX geboren sei und sich 2

bei der Ersteinvernahme beim von ihm selbst angegebenen Geburtsjahr geirrt habe. Er sei traditionell verheiratet. Er stamme aus dem Dorf XXXX , welches sich im Distrikt Qarabagh, in der Provinz Kabul befinde. Dort habe er gemeinsam mit seiner Familie und seiner Ehefrau in einem Haus gelebt, welches im Eigentum seiner Familie stehe. In Mazar-e Sharif besitze seine Familie Grundstücke, die jedoch nicht bewirtschaftet werden würden. Seine Ehefrau, seine Eltern, seine Geschwister und seine Tanten hätten etwa zwei Monate, nachdem der BF geflüchtet sei, ebenfalls Afghanistan verlassen und würden derzeit im Iran leben. Mit seiner Kernfamilie habe er ein bis zweimal je Woche Kontakt. Das Wohnhaus der Familie sei vermietet und die Miteinnahmen würden von seinem Onkel mütterlicherseits eingehoben werden. Mit seinem Onkel in Afghanistan habe er etwa einmal im Monat Kontakt. Zudem habe er in Afghanistan in der Provinz Kabul auch zwei gute Freunde, mit denen er in Kontakt stehe. Abweichend von seinen Angaben in der Erstbefragung berichtete der Beschwerdeführer, dass die Bevölkerung in seinem Heimatdorf zu ca. 1/8 Hazara und Schiiten gewesen wären. Es habe in seinem Dorf auch eine schiitische Moschee gegeben. Als Kind habe der BF seinem Vater bei Schweißerarbeiten geholfen. Er habe in 13 Jahren 12 Klassen einer Schule besucht und habe "maturiert". Vor seiner Flucht habe er vormittags in einem Unternehmen gearbeitet, welches Wasserspeicher hergestellt habe; abends habe er eine Universität besucht. Sein Vater habe einen LKW gehabt und damit Waren transportiert. Der Beschwerdeführer sei zwei Jahre lang Mitglied der Wahdat-Partei gewesen und habe manchmal an Versammlungen teilgenommen. Bei Bedarf habe er mitgeholfen. Befragt nach diesem "Mithelfen" konkretisierte der Beschwerdeführer: "Freitags hat der Parteivorstand viele Gäste empfangen. Wir standen am Empfang. Im Jahr 1393 (damit ist das Jahr 2014 gemeint) waren Präsidentschaftswahlen, wir haben mitgeholfen, Plakate zu drucken. Das war¿s. Nachgefragt war ich ansonsten mit keinen anderen Tätigkeiten bei der Partei beschäftigt. Donnerstags haben wir die Vorbereitung für den Gästeempfang organisiert, wie z.B. Teezubereitung usw." Insgesamt habe er für seine Flucht ca. EUR 6.000.-- bezahlt. Diese Kosten für diese Flucht hätten er und sein Vater angespart gehabt; 500 oder 600 US Dollar habe er sich von seiner Schwester, die verheiratet sei, ausgeborgt. Befragt, zu seinem Fluchtgrund, führte der BF aus, dass er von einer Person (erst über Nachfrage nannte er den Namen und erklärte, dass XXXX in der Nähe seines Hauses gelebt habe) aufgefordert worden wäre, ihm gegen ein monatliches Entgelt von USD 300.--, Informationen über die Universität und über die Partei zu verschaffen. Dieses Angebot habe der BF abgelehnt. XXXX habe ihn sehr oft telefonisch kontaktiert bzw. versucht telefonisch zu erreichen. Er habe jedoch die Anrufe nicht entgegengenommen. Der BF gehe davon aus, dass XXXX ein Mitglied der Taliban sei, da dieser nachts von Menschen in Autos oder auf Motorrädern Besuch erhalten habe. Dabei habe es sich um "keine normalen Personen" gehandelt. Der BF habe nachts mehrmals XXXX mit einer Kalaschnikow bewaffnet gesehen. Nach mehreren vergeblichen Anrufen, habe XXXX den BF persönlich bedroht. Einige Tage später habe er in der Nacht bemerkt, dass er von zwei Personen aus 3

dem Umfeld von XXXX beobachtet und am Heimweg in einem Auto verfolgt worden wäre. Es sei ihm jedoch gelungen seinen Verfolgern zu entkommen und zu einem Freund zu flüchten. Nach diesem Vorfall habe er sich mit seinem Vater bei seinem Freund getroffen. Dieser habe ihm Geld gegeben. Der Freund habe einen Schlepper organisiert, sodass er um Mitternacht habe fliehen können. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, dass er gefunden werde, zur Kooperation gezwungen oder getötet zu werden. 4.Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, vom 15.06.2018, Zl. 1098129000-151944743, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der BF keinen Fluchtgrund habe glaubhaft und schlüssig darlegen können. Nicht nachvollziehbar sei insbesondere, dass die Taliban überhaupt Interesse am BF gehabt hätten, zumal er lediglich einfache Hilfstätigkeiten für eine Partei geleistet habe. Die vom BF geschilderte Verfolgung, wobei dieser von einem Auto verfolgt worden wäre und Männer ihm aus dem Auto zugerufen hätten, stelle noch keine individuelle Verfolgung dar. Unschlüssig sei weiters, dass sich der BF nicht an die Sicherheitsbehörden gewandt habe. Eine akute Bedrohungssituation sei auch für seine Familie nicht vorgelegen, da seine Verwandten erst zwei Monate, nachdem der BF geflüchtet sei, aus Afghanistan ausgereist wären. Eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara bzw. aufgrund seines schiitischen Glaubens, habe der BF ebenfalls nicht glaubhaft dargelegt. Der BF könne nach Kabul zurückkehren, zumal der BF dort über familiäre Anknüpfungspunkte und familiären Grundbesitz verfüge. Er verfüge weiters über Schulbildung, Universitätsbildung und Arbeitserfahrung und könne mit finanzieller Unterstützung seiner Familie rechnen. Dieser Bescheid wurde dem BF am 20.06.2018 durch Hinterlegung zugestellt. 5. Gegen diese Entscheidung erhob der BF, vertreten durch XXXX , mit Schriftsatz vom 05.07.2018, eingelangt beim BFA am 11.07.2018, Beschwerde. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, dass er sein Fluchtvorbringen glaubhaft und substantiiert dargelegt habe. An die Polizei habe sich der BF nicht gewandt, da eine tatsächliche Schutzgewährung durch die staatlichen Behörden 4

nicht möglich gewesen wäre. Er sei aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie aufgrund seiner Tätigkeit für die Partei Hezb-e Wahdat verfolgt worden. Aus diesem Grund habe auch seine Familie Afghanistan verlassen. Der BF verwies auch auf die allgemeine schlechte Situation in Afghanistan. Aufgrund seiner Integration, wäre ihm jedenfalls ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen. Als Nachweis seiner berücksichtigungswürdigen Gründe legte der Beschwerdeführer ein Zertifikat des Prüfungszentrums der WIFI OÖ GmbH in Linz vom 20.12.2017, in welchem bestätigt wird, dass er die Prüfung "ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1" mit befriedigend bestanden hat, sowie eine Beurteilung der Schule für Sozialbetreuungsberufe des Sozialhilfeverbandes Linz-Land vom 26.06.2018 vor, in dem bestätigt wird, dass der BF vom 19.06.2018 bis 26.06.2018 ein Schnupperpraktikum absolviert habe. 6. Die Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 24.07.2018, mit Schreiben des BFA vom 23.07.2018 zur Entscheidung vorgelegt. 7. Gemeinsam mit der Ladung zur Beschwerdeverhandlung vom 08.01.2020 wurden dem Beschwerdeführer Länderinformationen zu Afghanistan zugänglich gemacht und ihm die Möglichkeit geboten, dazu eine Stellungnahme abzugeben. 8. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 25.02.2020 wurde der Beschwerdeführer von der XXXX vertreten. Die Verhandlung fand im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache statt. In dieser Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft sowie zu seinen Fluchtgründen befragt. Befragt zu seinen Fluchtgründen steigerte der Beschwerdeführer sein Vorbringen neuerlich und behauptete in seiner Partei Hezb-e Wahdat eine sehr wichtige und verantwortungsvolle Position innegehabt zu haben. Er habe neben dem Parteiführer, einer Person im Sekretariat der Partei und vier weiteren Personen im Bereich des Empfanges, somit als einer von nur wenigen Parteimitgliedern Zugang zu Informationen betreffend die Gästeliste und Besuchszeiten der Freitagsbesuche gehabt. In diesem Computer, wären auch Informationen über Parteimitglieder abgespeichert gewesen, wobei diese Datensätze keine kompromittierenden Informationen enthalten hätten. Der Beschwerdeführer sei bei den Treffen anwesend gewesen und habe an allen Gesprächen teilgenommen. Er habe auch über Informationen verfügt, wann und wo Parteimitglieder an Gesprächen auswärts teilnehmen würden. Er sei auch über die Gesprächsthemen und Inhalte informiert gewesen. Die Frage, über welche Informationen er verfügt habe, die so wertvoll wären, dass dem BF dafür Geld geboten worden wäre, beantwortete er damit, dass er Zugang über die Zeitpläne der Freitagsbesuche beim Parteivorsitzenden verfügt habe. Darüber hinaus habe er als ein von wenigen Mitgliedern seiner Partei Zugang zu einem Computer gehabt, in dem Daten über Parteimitglieder und 5

Parteiangelegenheiten abgespeichert gewesen wären. Die Frage, über welche wertvollen Informationen er über die von ihm besuchte Universität verfügt habe, die so wertvoll wären, dass ihm dafür auch Geld angeboten worden wäre, beantwortete er mit dem Hinweis, dass es sich um eine Universität handle, die insbesondere von Hazara besucht worden wäre. Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan, aufgrund seiner politischen Gesinnung sowie aufgrund seiner Weigerung mit den Taliban zusammenzuarbeiten, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in gesamten Staatsgebiet verfolgt werden. Durch seine politische Tätigkeit sei der BF als "High Profile" einzustufen. Ebenfalls könnte der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan, von den Taliban erneut aufgefordert werden, Informationen über die Partei und über die Universität zu beschaffen. Zwei Freunde des Beschwerdeführers aus Kabul hätten ihm mitgeteilt, dass XXXX und Personen, die mit ihm gesehen worden wären, in seinem Heimatdorf nach dem BF und seiner Familie gefragt hätten. Der Beschwerdeführer verwies im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung neuerlich auf "seine außergewöhnliche Integration" und legte diverse Schulbesuchsbestätigungen, verbunden mit dabei verpflichtend zu absolvierenden Praktika in Sozialeinrichtungen hinsichtlich einer Ausbildung zum Altenpfleger, sowie diverse Unterstützungserklärungen vor. Abschließend wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass ihm als hochrangige Zielperson in Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit in Afghanistan eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sei. II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen: 1. Feststellungen: Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA vom 28.02.2018, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der Stellungnahme des BF vom 24.02.2020, der im Asyl- bzw. Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vom 25.02.2020 und der Einsichtnahme in die Bezug habenden Unterlagen des Verwaltungsverfahrens, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs- Informationssystem bezüglich des BF und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, den EASO-Länderleitfaden und EASO-Berichte betreffend Afghanistan, EASO Country Guidance: Afghanistan; Guidance note and common analysis vom Juni 2019, einen Bericht des Generalsekretariats der UNO zur Situation in Afghanistan und deren Auswirkungen auf den internationalen Frieden und die Sicherheitslage vom 14.06.2019, einen UNAMA-Bericht über den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten vom Juli 2019, einen Amnesty International-Bericht zur Menschenrechtslage 6

(Berichtszeitraum 2019) vom 30.01.2020, eine ACCORD Anfragebeantwortung zur Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul, in die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, diverse aktuelle Medienberichte hinsichtlich von Verhandlungen zwischen den Taliban und den USA, die zu einem Abkommen am 29.02.2020 geführt haben, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt: 1.1. Zum Beschwerdeführer: Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Vorort von Kabul XXXX , welcher sich im Distrikt Qarabagh, in der Provinz Kabul befindet. Seine Muttersprache ist Dari, eine in Afghanistan sehr gebräuchliche Sprache. Er besuchte 12 Klassen einer Schule, schloss diese Schule ab und studierte ca. zwei Jahre lang an einer Universität in Kabul. Der Beschwerdeführer verfügt über Berufserfahrung in der Herstellung von Wasserspeichern, als Hilfsarbeiter bei Schweißtätigkeiten und im Bereich der Pflege. Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und hat keine Kinder. Die Familie des Beschwerdeführers besitzt ein Wohnhaus in Kabul, welches vermietet ist sowie Grundstücke in Mazar-e Sharif. Seine Eltern, seine Geschwister, seine Ehefrau und seine Tanten leben im Iran. Mit seiner Kernfamilie im Iran steht der Beschwerdeführer in einem intensiven Kontakt. In Kabul hat der Beschwerdeführer mindestens einen Onkel und zwei Freunde, mit denen er in Kontakt steht. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann er mit Unterstützung durch Familienmitglieder, Verwandte und Freunde rechnen. Der BF lebte von der Grundversorgung und ist strafrechtlich unbescholten. Er ist gesund, jung und arbeitsfähig. Er hat am 07.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der Beschwerdeführer war in Afghanistan Mitglied der Partei Hezb-e Wahdat. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise war er bereits seit ca. zwei Jahren Parteimitglied. Der BF nahm nur gelegentlich an Parteiveranstaltungen teil und unterstützte seine Partei mit Hilfstätigkeiten. Diese Tätigkeiten umfassten die Vorbereitung von Empfängen, den Empfang und die Bewirtung von Gästen und damit zusammenhängende organisatorische Hilfstätigkeiten. Er half auch beim Drucken von Plakaten für den Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2014. Weitere Aufgaben innerhalb der Hezb-e Wahdat hat der BF nicht wahrgenommen. Es kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass der BF innerhalb der Partei Hezb-e Wahdat eine politisch oder organisatorisch bedeutende bzw. verantwortungsvolle Funktion innehatte bzw. über Zugang zu parteiinternen wichtigen Informationen verfügte. Es ist jedoch davon auszugehen, dass, wenn bekannte oder angesehene Personen ihren Besuch beim Parteiführer seiner Partei an einem Freitag angekündigt hatten, auch der BF - wie andere Parteimitglieder auch, die sich dafür interessierten - vom Besuch dieser Person bereits am Tag zuvor erfahren hat. 7

Der Beschwerdeführer selbst und seine Familie haben unmittelbar vor der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan unverfolgt im Heimatort des Beschwerdeführers gelebt. Der Beschwerdeführer hat, wenn er vorbringt, dass er in der Nacht vor seiner Ausreise aus Afghanistan von Taliban oder mit diesen sympathisierenden Personen verfolgt worden wäre, weil er sich geweigert hat, Informationen über seine Partei Hezb-e Wahdat bzw. über die von ihm besuchte Universität an einen Nachbarn mit dem Namen XXXX weiterzuleiten, diese Begebenheit nicht glaubhaft gemacht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan überall in Afghanistan von Taliban verfolgt werden würde. Im Besonderen hat der BF nicht glaubhaft gemacht, dass er bei einer Rückführung nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit überhaupt von einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr, insbesondere aufgrund seiner Tätigkeiten als Mitglied der Partei Hezb-e Wahdat bzw. deswegen, weil er sich geweigert hat an XXXX Informationen über die Partei Hezb-e Wahdat oder über die von ihm besuchte Universität weiterzuleiten, betroffen wäre. Er wäre weder aufgrund seines Studium, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara noch aufgrund seiner Religion als schiitischer Moslem, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung des Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch einen konkreten Akteur ausgesetzt. Ausgehend von den Länderfeststellungen zu Afghanistan vom 13.11.2019 und die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 berücksichtigend, kann der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan, nach Kabul zurückkehren. Er verfügt in der Provinz Kabul über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte und familiären Grundbesitz bzw. über ein Wohnhaus, das seiner Familie gehört. Der Beschwerdeführer kann sich aber auch jedenfalls in Herat oder in Mazar-e Sharif, Städte in Afghanistan, die über einen für Zivilflugzeuge erreichbaren Flughafen verfügen, niederlassen und sich dort eine neue Existenz aufbauen. Die Vor-Ort- Verhältnisse, die Versorgungslage und auch die Sicherheitslage in diesen Städten ist nicht derart, dass der BF als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Schulbildung, Universtitätsbildung und Arbeitserfahrung bei einer Wiederansiedelung - entsprechende erforderliche Bemühungen des BF vorausgesetzt - in diesen Städten auf Dauer in eine aussichtslose Situation geraten würde, wenn auch eine Wiederansiedelung am Beginn mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte. In Österreich besucht der Beschwerdeführer eine Schule für Sozialbetreuungsberufe mit dem Schwerpunkt Altenarbeit. Er verfügt über gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Er hat ein ÖSD-Deutschsprachkurs-Prüfungszeugnis vom 20.12.2017 vorgelegt, in welchem dem BF bescheinigt wird, dass er am Prüfungszentrum der WIFI OÖ GmbH in Linz die Prüfung "ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1" mit befriedigend bestanden hat. Eine außergewöhnliche Integration des Beschwerdeführers - wie sie vom VwGH gefordert wird - vermochte das erkennende Gericht darin nicht zu erkennen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte noch sonstige 8

Bezugspersonen, mit denen er einen gemeinsamen Wohnsitz hat oder hinsichtlich derer ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. 1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan: 1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019: Politische Lage: Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019). Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 07.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 03.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004). Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019). In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad als Nachfolger von in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.04.2019; vgl. AM 2015, DW 30.09.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.05.2019). Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.04.2019). Parlament und Parlamentswahlen: Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus 2 Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 9

250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt) sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019). Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident 2 Sitze für die nomadischen Kutschi und 2 weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019). Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011). Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019). Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019). Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, 10

wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.03.2019). Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.05.2019). Politische Parteien: Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.05.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004, USDOS 29.05.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.01.2004). Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 02.09.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 02.09.2019; vgl. AAN 06.05.2018, DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 02.09.2019). Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein patrimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019). Hezb-e Wahdat: Die verschiedenen Hazara-Parteien oder -bewegungen waren in den 1980er-Jahen untereinander stark zersplittert und vertraten in Bezug auf die Pläne oder Vorstellungen für die Zukunft des unterschiedlichste Ansichten. Diese Uneinigkeit führte zu erbitterten Kämpfen der Hazara-Organisationen untereinander, wodurch die einzelnen Organisationen ihre Glaubwürdigkeit und ihren Rückhalt unter den Hazara verloren. Um diese Streitigkeiten zu überwinden und die Hazara-Kräfte zu vereinen, fand 1988 ein Treffen verschiedener Hazara-Parteichefs statt. Aus 11

diesem Treffen ging die Hezb-e Wahdat hervor. Die 1989 gegründete Hezb-e Wahdat ist die Hauptpartei der afghanischen Schiiten und der Hazara. Sie bildet zudem eine militärische Kraft. Parteiführer war ursprünglich . Nach dessen Tod übernahm , Vizepräsident unter Karzai, die Nachfolge. Ein weiterer wichtiger Parteiführer ist Jah Mohammad Mohaqiq, unter Karzai Minister für Planung. Die Hezb-e Wahdat verfolgt einen moderaten Islam sowie einen Hazara-Nationalismus. Die Situation von Hezb-e Wahdat Anfang 2009 und seine politische Zersplitterung lassen sich am besten durch den Führungsstil seiner Führer erklären. Unmittelbar nach dem Fall der Taliban wurde Khalili weithin als Parteiführer anerkannt. Im April 2002 flog er von Bamyan nach Kabul, wodurch das Parteizentrum nach Kabul verlegt wurde. Er wurde von Mohaqiq, dem stellvertretenden Vorsitzenden und Planungsminister der Interimsverwaltung, und anderen hochrangigen Persönlichkeiten der Organisation herzlich empfangen. In der Übergangsverwaltung ersetzte Khalili Mohaqiq als Vizepräsident und wurde der höchste Hazara-Beamte in der Regierung. Bis vor den Präsidentschaftswahlen von 2005 leitete Mohaqiq zumindest offiziell den Ausschuss für politische Angelegenheiten von Hezb-e Wahdat in Kabul. Ihre Beziehung begann sich jedoch bald aufzulösen. Mohaqiq hatte innerhalb der Regierung einen konfrontativeren Ansatz in Bezug auf Entwicklungs- und Wiederaufbaupläne in Hazara-Gebieten. Seine Befugnisse als Planungsminister wurden unter der Führung des westlich ausgebildeten Technokraten Ashraf Ghani auf das mächtigere Finanzministerium übertragen. Mohaqiq verließ daraufhin das Kabinett 2004 im Streit. Khalili und Mohaqiq stehen seitdem in persönlicher Rivalität und in Konkurrenz um die Macht und die Führung unter den Hazara. Ihre Rivalität war offenkundig, als Mohaqiq sich 2005 entschied bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren und Khalili als zweiter Vizepräsident mit Hamid Karzai kandidierte. Nach dem Wahlsieg Karzais schloss sich Mohaqiq der wichtigsten Oppositionsallianz, der von geführten Verständigungsfront an. Da er sich vehement gegen die Regierung stellte und sich vor allem für die Rechte von Hazara einsetzte, untergrub er das Ansehen und das Vertrauen in Karim Khalili weiterhin. Persönliche Animositäten und Machtansprüche führten letztlich dazu, dass die Hezb-e Wahdat immer mehr zersplitterte. Die wichtigsten Gruppierungen sind die Hezb-e Wahdat Islami Afghanistan unter Führung von Karim Khalili, die Hezb-e Wahdat Islami Mardum-e Afghanistan unter Führung von , die Hezb-e Wahdat Milli Islami Afghanistan unter Muhammad Akbari und der Hezb-e Wahdat Islami Millat-e Afghanistan unter Leitung von Qurban Ali Erfani. Friedens- und Versöhnungsprozess: Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.08.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 08.09.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die 12

Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.08.2019; vgl. NZZ 12.08.2019; DZ 08.09.2019). Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, MS 28.01.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.05.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.02.2019; vgl. TN 31.05.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019; vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.03.2019; vgl. WP 18.03.2019). Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren wurden 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen (BAMF 06.05.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung jedoch nicht teil (HE 16.05.2019). Sicherheitslage: Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 03.09.2019), nachdem im Frühjahr 2019 sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 06.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.04.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.06.2019; vgl. AJ 12.04.2019; NYT 12.04.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.04.2019; vgl. NYT 12.04.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.06.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel, die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene 13

Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.01.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss, als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 08.09.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018). Am 29.02.2020 wurde zwischen Vertretern der Taliban und der amerikanischen Regierung ein Abkommen abgeschlossen, wobei abzuwarten bleibt, ob dieses Abkommen tatsächlich zu einer Befriedung des Landes und zu Friedensgesprächen zwischen Taliban und der afghanischen Regierung führt. Auch nach dem Abkommen ereigneten Zwischenfälle, wobei für den größten Zwischenfall mit Toten und Verletzten in Kabul der IS die Verantwortung übernahm. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 06.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 03.09.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 07.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.04.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 06.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 03.09.2019). 14

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 03.09.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 07.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 07.12.2018; vgl. ARN 23.06.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, und Jawzjan. (UNGASC 03.09.2019). Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.02.2019). Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 07.03.2016; UNGASC 03.03.2017; UNGASC 28.02.2018; UNGASC 28.02.2019)) Bild kann nicht dargestellt werden Für den Berichtszeitraum 10.05.2019-08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 03.09.2019). Für den Berichtszeitraum 08.02-09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.06.2019). Für den Berichtszeitraum 10.05.2019 - 08.08.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 03.09.2019). Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International 15

NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.). Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden: Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-08.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO- Daten (INSO o.D.)) 2016 2017 2018 2019 Jänner 2111 2203 2588 2118 Februar 2225 2062 2377 1809 März 2157 2533 2626 2168 April 2310 2441 2894 2326 Mai 2734 2508 2802 2394 Juni 2345 2245 2164 2386 Juli 2398 2804 2554 2794 August 2829 2850 2234 2443 Septembe 2493 2548 2389 - r Oktober 2607 2725 2682 - November 2348 2488 2086 - Dezember 2281 2459 2097 - insgesamt 28.838 29.866 29.493 18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-08.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO- Daten (INSO o.D.)) Bild kann nicht dargestellt werden Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 04.11.2019): Bild kann nicht dargestellt werden Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 01.01.2018-30.09.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 04.11.2019) 16

Im Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast 2 Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019). Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.01.2019). Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.04.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019). Zivile Opfer: Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01.-30.09.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019). Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.04.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als 17

doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.02.2019; vgl. SIGAR 30.04.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.02.2019). Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 01.01.2009-30.09.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.02.2019; UNAMA 17.10.2019)) Jahr Tote Verletzte Insgesamt 2009 2.412 3.557 5.969 2010 2.794 4.368 7.162 2011 3.133 4.709 7.842 2012 2.769 4.821 7.590 2013 2.969 5.669 8.638 2014 3.701 6.834 10.535 2015 3.565 7.470 11.035 2016 3.527 7.925 11.452 2017 3.440 7.019 10.459 2018 3.804 7.189 10.993 2019* 2.563* 5.676* 8.239* Insgesamt 32114 59561 91675

* 2019: Erste drei Quartale 2019 (01.01.2019-30.09.2019) Regierungsfeindliche Gruppierungen: In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani- Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 06.2019; vgl. CRS 12.02.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 06.2019): Taliban: Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.08.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen 18

Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.07.2019). Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 06.2019). Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah AKHUNDZADA (REU 17.08.2019; vgl. FA 03.01.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad YAQUB - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah OMAR - und Serajuddin HAQQANI (CTC 1.2018; vgl. TN 26.05.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.01.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 04.07.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 06.12.2018). Kabul: Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018). Kabul-Stadt - Geographie und Demographie Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-2020 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.03.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 04.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.03.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 04.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-2020 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.). Abb.1: Kabul, Police Distrikts (Darstellung der Staatendokumentation) Bild kann nicht dargestellt werden 19

(Quelle: BFA 13.02.2019) Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 04.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.03.2019). Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den "jüngsten Einwanderern" (USIP 04.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.03.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 04.2017). Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen. Jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel und wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man "seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.03.2019). Nichtsdestotrotz ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art "Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 04.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 04.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e- Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 04.2017). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure: Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz führten 20

Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 06.2019; vgl. USDOD 12.2018). Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksameren Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.09.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 02.09.2019; vgl. FAZ 02.09.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 02.09.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 03.09.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 02.09.2019). In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 06.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 05.09.2018). Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.03.2019; vgl. SAS 26.03.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.09.2018). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung: Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Kabul gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt): Tabelle kann nicht abgebildet werden (ACLED 05.10.2019; ACLED 12.07.2019; GIM o.D.) Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.02.2019). 21

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.03.2019; vgl. TN 26.03.2019, SAS 26.03.2019, TN 23.10.2018, KP 23.10.2018, KP 09.07.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.03.2019; vgl. SAS 26.03.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 07.08.2019; vgl. PAJ 07.07.2019, TN 09.06.2019, PAJ 28.05.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 07.08.2019) und verhaftet (TN 07.08.2019; PAJ 07.07.2019; vgl. TN 09.06.2019, PAJ 28.05.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 09.06.2019; vgl. PAJ 28.05.2019). IDPs - Binnenvertriebene: UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01.2018-31.12.2018 35 konfliktbedingt aus dem Distrikt Surubi vertriebene Personen, die alle in der Provinz Logar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01.2019-30.06.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt aus der Provinz Kabul vertriebene Personen (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum 01.01.2018-31.12.2018 meldete UNOCHA 9.422 Vertriebene, welche in die Provinz Kabul kamen, die meisten davon in den Distrikt Kabul (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01.2019-30.06.2019 meldete UNOCHA 2.580 Vertriebene in die Provinz Kabul, alle in den Distrikt Kabul. Sie stammten aus Kapisa, Kunar, Nangarhar wie auch Logar, Ghazni, Baghlan und Wardak (UNOCHA 18.08.2019). Bis zu zwei Drittel aller Afghanen, die außerhalb ihrer Provinz vertrieben wurden, bewegen sich in Richtung der fünf Regionalhauptstädte (NRC 30.01.2019), Kabuls Wachstum war besonders umfangreich. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul ist nicht bekannt. Die Bewegung in und innerhalb der Stadt fluktuiert und viele kehren regelmäßig in friedlicheren Zeiten in ihr Herkunftsgebiet zurück (Metcalfe et al. 06.2012; vgl. AAN 19.03.2019). Im September 2018 schätzte der afghanische Minister für Flüchtlinge und Repatriierung die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul auf 70.000 bis 80.000 Menschen (TN 21.09.2018). Zur Provinz Balkh und zu Mazar-e Sharif: Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.04.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-2020 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara 22

(Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.). Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.01.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 05.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.03.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 09.01.2019). Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure: Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 01.09.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 06.05.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed NOOR, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.03.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.08.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, die mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 01.02.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.02.2019). Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.04.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 06.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.09.2018). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung: Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Balkh gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt): Tabelle kann nicht abgebildet werden (ACLED 05.10.2019; ACLED 12.07.2019; GIM o.D.) 23

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.02.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.07.2019). Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.02.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF- Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.06.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäßig Operationen in der Provinz (RFERL 22.09.2019; vgl. KP 29.08.2019, KP 31.08.2019, KP 09.09.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.01.2019; vgl. KP 09.09.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 09.01.2019; vgl. TN 10.01.2019), Chemtal (TN 11.09.2018; vgl. TN 06.07.2018), Dawlatabad (PAJ 03.09.2018; vgl. RFE/RL 04.09.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.04.2019) an. Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.08.2019; vgl. 10.08.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawzjan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.08.2019). IDPs - Binnenvertriebene: UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01.2018-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01.2019-30.06.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum 01.01.2018-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01.2019-30.06.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.08.2019). Zur Provinz Herat und zur Stadt Herat: Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 04.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i- Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 09.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.06.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere 24

"temporäre" Distrikte - Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) -, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 03.07.2015; vgl. PAJ 01.03.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.). Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-2020 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 03.02.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.06.2019). Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 05.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch- iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.09.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.03.2019). Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den 10 wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018). Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure: Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.05.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.06.2019). Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.06.2019). 25

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.06.2019). Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban- Führer Mullah OMAR im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.01.2017; vgl. RUSI 16.03.2016; SAS 02.11.2018). Mullah RASOUL, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 02.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.06.2019). 2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 03.08.2017; Reuters 25.03.2018). Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 06.2019; vgl. PAJ 02.01.2019), das der NATO- Mission Train, Advise and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 06.2019; vgl. KP 16.12.2018). Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung: Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Herat gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt): Tabelle kann nicht abgebildet werden *temporäre Distrikte. Sicherheitsrelevante Vorfälle in diesen Distrikten werden dem Distrikt Shindand zugerechnet. (ACLED 05.10.2019; ACLED 12.07.2019; GIM o.D.) Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.02.2019). In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.06.2019; vgl. KP 28.09.2019, KP 29.06.2019, KP 17.06.2019, 21.05.2019). Unter 26

anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.06.2019; vgl. AN 23.06.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.06.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban- Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 07.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.04.2018; VoA 13.04.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.01.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 08.09.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 09.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 02.06.2019; vgl. PAJ 13.06.2019) und die Sicherheitskräfte führten beispielsweise Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.07.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 05.07.2019; vgl. PAJ 30.06.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i- Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.06.2019). Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018). IDPs - Binnenvertriebene: UNOCHA meldete für den Zeitraum 01.01.2018-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum vom 01.01.2019-30.06.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.08.2019). Im Zeitraum vom 01.01.2018-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.01.2019). Im Zeitraum 01.01.2019-30.06.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.08.2019). Flugverbindungen: Der folgenden Karte können Informationen über aktive Militär-, Regional- und internationale Flughäfen in den verschiedenen Städten Afghanistans entnommen werden. Bild kann nicht dargestellt werden (BFA Staatendokumentation 04.11.2019, Flughafenkarte; vgl. Migrationsverket 04.05.2018) Die im folgenden Abschnitt beispielhaft angeführten Flugverbindungen basieren auf Online-Flugplänen, auf die über eine Tracking-Site (Flightradar 24) zugegriffen wurde 27

und betreffen den Zeitraum von 30.08.2019 bis 04.11.2019. Es ist möglich, dass zu einem späteren Zeitpunkt Destinationen bzw. Flüge hinzukommen oder hier angeführte wegfallen. Internationale Flughäfen in Afghanistan: In Afghanistan gibt es insgesamt 4 internationale Flughäfen; alle 4 werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.01.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 03.11.2017). Internationaler Flughafen Kabul: Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen (TN 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.). Folgende internationale Airlines fliegen nach Kabul: Turkish Airlines aus Istanbul, Silk Way Airlines aus Baku, Emirates und Flydubai aus Dubai, Air Arabia aus Sharjah, Mahan Air aus Teheran und Emirates aus Hong Kong (Flightradar 24 04.11.2019). Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Kabul international aus Istanbul, Ankara, Medina, Dubai, Urumqi, Dushambe an (Flightradar 24 04.11.2019). Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Kabul (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kandahar, Bost (Helmand, nahe Lashkargah), Zaranj, Farah, Herat, Mazar-e Sharif, Maimana, Bamian, Faizabad, Chighcheran und Tarinkot (Flightradar 24 04.11.2019). Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif: Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (PAJ 09.06.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler 28

Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern (BFA Staatendokumentation 04.2018). Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif: Turkish Airlines aus Istanbul (Flightradar 4 11.10.2019). Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Mazar-e Sharif international aus Moskau, Jeddah und Medina an (Flightradar 4 11.10.2019). Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (Flightradar 4 11.10.2019). Internationaler Flughafen Herat: Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.; ACAA o.D). Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Afghan Airlines) fliegen Herat international aus Medina und Delhi an (Flightradar 4 11.10.2019). Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Farah und Chighcheran (Flightradar 4 11.10.2019). Allgemeine Menschenrechtslage: Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Außerdem wurde Afghanistan für den Zeitraum 2018-2020 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gewählt (AA 02.09.2019). Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 02.09.2019; vgl. MPI 27.01.2004). Darüber hinaus hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (AA 02.09.2019). Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken in Anliegen von Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen den Zugang der Bürger zu Justiz ein (USDOS 13.03.2019). In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt (FH 04.02.2019). 29

Bürger können Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen bei der Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC) einreichen, die dann glaubwürdige Beschwerden prüft und zur weiteren Untersuchung und Verfolgung an die Staatsanwaltschaft weiterleitet. Die gemäß Verfassung eingesetzte AIHRC bekämpft Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte; das Komitee für Drogenbekämpfung, Rauschmittel und ethischen Missbrauch; sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 13.03.2019). Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen operieren in der Regel ohne staatliche Einschränkungen und veröffentlichen ihre Ergebnisse zu Menschenrechtsproblemen. Regierungsbeamte sind in dieser Hinsicht einigermaßen kooperativ und ansprechbar. Die Sicherheitslage schränkt jedoch in vielen Landesteilen die Arbeit solcher Organisationen ein (USDOS 13.03.2019). Menschenrechtsverteidiger sehen sich regelmäßig mit Bedrohungen für ihr Leben und ihre Sicherheit konfrontiert (AI 22.02.2018). Die weitverbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für Amtsträger, die Menschenrechte verletzen, stellen ernsthafte Probleme dar. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft sowie Gewalt gegen Journalisten (USDOS 13.03.2019). Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht (UNHRC 21.02.2018). Im Dezember 2018 würdigte UNAMA die Fortschritte Afghanistans auf dem Gebiet der Menschenrechte, insbesondere unter den Herausforderungen des laufenden bewaffneten Konfliktes und der fragilen Sicherheitslage. Die UN arbeitet weiterhin eng mit Afghanistan zusammen, um ein Justizsystem zu schaffen, das die Gesetzesreformen, die Verfassungsrechte der Frauen und die Unterbindung von Gewalt gegen Frauen voll umsetzen kann (UNAMA 10.12.2018). Opposition: Regierung und Opposition sind in Afghanistan nicht ohne weiteres voneinander zu trennen. Kriterien wie Ethnie und Stammeszugehörigkeit spielen eine wichtigere Rolle als ideologische Aspekte. Politische Allianzen werden schnell geschlossen, gehen aber ebenso schnell wieder auseinander. Die Regierung der Nationalen Einheit (National Unity Government, NUG) wird regelmäßig aus verschiedenen 30

Lagern scharf kritisiert. Auch Mitglieder der Regierung kritisieren diese zum Teil öffentlich, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Auf lokaler Ebene gibt es allerdings Berichte von Übergriffen bis hin zur Verhaftung durch lokale Polizeieinheiten nach Kritik an lokalen Machthabern (AA 02.09.2019). Zahlreiche Oppositionsführer und -parteien nehmen an Wahlen teil. Aufgrund des wiederkehrenden Problems des Wahlbetrugs ist jedoch nicht sicher, dass sich eine Unterstützung durch die Bevölkerung in einen Wahlerfolg umsetzt (FH 04.02.2019; vgl. USIP 02.11.2017). Oppositionspolitiker werfen der Regierung vor, sie zu unterminieren und stattdessen Rivalen zu fördern (FH 04.02.2019). Seit 2001 haben sich zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen in politische Parteien gewandelt. Diese repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu gefestigten Institutionen entwickelt. Jedoch ist keine von ihnen eine weltanschauliche Organisation oder dient der Wählermobilisierung, wie es für Parteien in reiferen Demokratien üblich ist (USIP 03.2015; vgl. AAN 06.05.2018). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der Regierung (NUG) sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf GHANI selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er-Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 02.09.2019). So kehrte Gulbuddin HEKMATYAR nach einem Friedensabkommen mit der Regierung im Jahr 2017 nach Afghanistan zurück (BBC 04.05.2017) und ist mittlerweile sogar Präsidentschaftskandidat (TN 07.08.2019). Religionsfreiheit: Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.04.2019; vgl. AA 02.09.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 02.09.2019; vgl. CIA 30.04.2019, USDOS 21.06.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.08.2019; vgl. BBC 11.04.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.06.2019; vgl. FH 04.02.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.06.2019; vgl. AA 09.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.06.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.05.2018). Schiiten: 31

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 30.04.2019; vgl. AA 02.09.2019). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari- Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 21.06.2019). Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 02.09.2019). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34% (USDOS 21.06.2019). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 04.02.2019; vgl. USDOS 21.06.2019, CRS 01.05.2019). Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt (HRW 17.01.2019). Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 04.02.2019). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich 4 Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 21.06.2019). Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 07.06.2017; vgl. USIP 14.06.2018, AA 02.09.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 21.06.2019). Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 21.06.2019). Ethnische Minderheiten: In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.04.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 07.2016; vgl. CIA 30.04.2019). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 32

30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 04.2019; vgl. CIA 2012, AA 02.09.2019). Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet" (BFA 07.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) 6 weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 02.09.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.03.2019). Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 02.09.2019). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.03.2019). Hazara: Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 04.2019; vgl. CIA 2012). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daykundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA 07.2016). Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (USDOS 21.06.2019). Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am Praktischsten ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und 33

sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht "man kenne seine Nachbarn nicht mehr" (AAN 19.03.2019). Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri, Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.03.2019). Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (BFA 07.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer- Schiiten (BFA 07.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 21.06.2019). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (BFA 07.2016). Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich Hazara sind (GS 21.08.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 21.06.2019). Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 02.09.2019; vgl. FH 04.02.2019). Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 02.09.2019). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 13.03.2019). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 04.02.2019; vgl. WP 21.03.2018). Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (BFA 07.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (BFA 07.2016). Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.03.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen (USDOS 13.03.2019). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (USDOS 21.06.2019). Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 01.01.2018- 30.09.2018 211 Todesopfer (USDOS 13.03.2019). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart (USDOS 21.06.2019). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten 34

in Syrien durchgeführt (MEI 10.2018; vgl. WP 21.03.2018). In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 01.2018). Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.09.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 13.03.2019). IDPs und Flüchtlinge: Im Jahresverlauf 2018 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre (USDOS 13.03.2019). UNHCR berichtet für das gesamte Jahr 2018 von ca. 350.000-372.000 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden (UNHCR 25.02.2019; vgl. IDMC 05.2019, USAID 14.02.2019, UNOCHA 28.01.2019). Trotz des im Zeitvergleich hohen Ausmaßes der Gewalt war im Jahr 2018 das Ausmaß der konfliktbedingten Vertreibungen geringer als im Jahr 2017, als ca. 450.000-474.000 Menschen durch den Konflikt innerhalb Afghanistans vertrieben wurden (IDMC 05.2019). Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu (USAID 14.02.2019). Nach Angaben von UNOCHA sind im ersten Halbjahr 2019 rund 210.000 neue Konflikt induzierte Binnenflüchtlinge hinzugekommen (UNOCHA 18.08.2019). Mehr als die Hälfte von ihnen stammen aus den Provinzen Takhar, Faryab und Kunar (UNOCHA 18.08.2019; vgl. AA 02.09.2019). Die Gesamtzahl von Binnenflüchtlingen lag IDMC zufolge Stand Jahresende 2018 bei ca. 2,598,000 Menschen (IDMC 05.2019). Im Jahr 2018 kam es in 33 der 34 Provinzen zu konfliktbedingten Vertreibungen. Der Auslöser für Flucht war häufig Einschüchterung durch bewaffnete Akteure. Beispielsweise wurden im Zuge des Angriffes der Taliban auf die Stadt Ghazni im August 2018 rund 36.000 Menschen zu IDPs. Auch wurden zum Beispiele im November 2018 in Folge eines bewaffneten Konfliktes zwischen Hazara und Taliban 6.400 Menschen aus bis dahin sicheren Distrikten der Provinz Ghazni vertrieben (IMDC 05.2019). Bild kann nicht dargestellt werden Diagramm: Zahl der ankommenden IDPs nach Provinz und Jahr (IOM/DTM 25.09.2018) Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz (USDOS 13.03.2019). 35

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 02.09.2019). Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft (USDOS 13.03.2019). IDPs sind in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kommt es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung (USDOS 13.03.2019). Mehr als 80% der Binnenvertriebenen benötigen Nahrungsmittelhilfe (USAID 30.04.2018). Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen (USDOS 13.03.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, der erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen fördert (USDOS 13.03.2019) sowie humanitäre und entwicklungspolitische Aktivitäten erstellt und diese koordiniert (WB 27.11.2018). Dürre und Überschwemmungen: Der Jahresbericht 2018 des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) nennt eine Zahl von rund 371.000 neuen IDPs aufgrund der Dürre in Afghanistan im Jahr 2018 (IDMC 05.2019). Durch die Dürre wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2018 mehr als 260.000 Menschen aus den Provinzen Badghis, Daykundi, Herat und Ghor zu IDPs (UNOCHA 20.01.2018), zahlreiche Menschen verließen auch ihre Heimatprovinzen Jawzjan und Farah (BFA 13.06.2019). Die meisten von ihnen kamen in Lager in den Städten Herat oder Qala-e-Naw (Badghis). Die Lager werden täglich mit Wasser und Lebensmitteln beliefert und es werden Zelte, Notunterkünfte, Hygiene-, Gesundheits- und Nahrungsdienste zur Verfügung gestellt (UNOCHA 20.01.2018). Im Jahr 2018 sind im Westen Afghanistans aufgrund der Dürre ca. 19 Siedlungen für Binnenvertriebene entstanden, der Großteil davon ca. 20-25 km von Herat-Stadt entfernt. Vertriebene Personen siedelten sich hauptsächlich in Stadtrandgebieten an, um sich in der Stadt Zugang zu Dienstleistungen (die in den Siedlungen, welche grundsätzlich auf leeren Feldern entstanden, nicht vorhanden 36

sind) und dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. In der Stadt kam es zu Demonstrationen von Bewohnern, welche die Binnenvertriebenen bezichtigten, ihnen die Arbeitsplätze wegzunehmen. Das gestiegene Angebot an billigen Arbeitskräften drückte den Tageslohn von 6-8 USD auf 2-3 USD (BFA 13.06.2019). Flüchtlinge in Afghanistan: Afghanistan hat die UN-Konvention für Flüchtlinge unterzeichnet. Die afghanischen Gesetze enthalten keine Regelungen zur Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus, jedoch haben Flüchtlinge und Asylwerber Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Die staatliche Verwaltung erlaubt Flüchtlingen keine Umsiedlung oder Einbürgerung und leistet keine Unterstützung bei einer freiwilligen Rückkehr. Das Büro des UNHCR registriert und koordiniert den Schutz von ca. 500 Flüchtlingen in Städten (USDOS 13.03.2019; vgl. UNHCR 25.02.2019). In Afghanistan leben ca. 75.000 pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Nord- Wasiristan in die Provinzen Khost und Paktika geflüchtet sind. Das vom UNHCR betriebene Flüchtlingslager Gulan beherbergt ca. 13.000 pakistanische Flüchtlinge. Viele Flüchtlinge, die sich in den lokalen Gemeinschaften angesiedelt haben, erhalten Unterstützung von UNHCR (UNHCR 25.02.2019). Grundversorgung: Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 02.09.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 02.09.2019). Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 07.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.08.2019; vgl. WB 07.2019). Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90% der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 05.2012; vgl. ACCORD 07.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 07.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (WB o.D.). Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert (WB 07.2019). 37

Afghanistan erlebte von 2007-2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 08.2018). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf 2 Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht (WB 07.2019). Arbeitsmarkt: Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64 Jahren alt (ILO 02.04.2018). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA 04.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 08.2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (BFA 04.2018; vgl. CSO 2018). Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 08.06.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018). Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. (BFA 04.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (BFA 13.06.2019). 38

Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (BFA 04.2018). In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (BFA 04.2018). Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018). Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif: Kabul: Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist (CSO 08.06.2017). Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist (USIP 10.04.2017). Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung (CSO 08.06.2017). Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten (USIP 10.04.2017). Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten (USIP 10.04.2017). Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und 39

Familienarbeitern. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul am größten (49,6 Prozent). Im Gegensatz dazu zeigt die Provinz Ghor ist der traditionelle Agrarsektor hier bei weitem der größte Arbeitgeber, des weiteren existieren hier sehr wenige Möglichkeiten (Jobs und Ausbildung) für Kinder, Jugendliche und Frauen (CSO 08.06.2019). Herat: Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den "bessergestellten" und "sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.06.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 02.04.2015). Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 04.2019, WB/NSIA 09.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 04.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 04.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 04.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 04.2019). Mazar-e Sharif: Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015). Dürre und Überschwemmungen: Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte 40

zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (FAO 23.11.2018; vgl. AJ 12.08.2018). Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert. Da sich viele Haushalte noch von der Dürre des Jahres 2018 erholen müssen, gilt die Ernährungslage für viele Haushalte im Zeitraum 10.2019-01.2020, weiterhin als "angespannt" bis "krisenhaft". Es wird erwartet, dass viele Haushalte vor allem in den höher gelegenen Regionen ihre Vorräte vor dem Winter aufbrauchen werden und bei begrenztem Einkommen und Zugang auf Märkte angewiesen sein werden (FEWS NET 08.2019). Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 03.2019). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (GN 06.03.2019). Armut und Lebensmittelsicherheit: Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), sind rund 45% oder 13 Millionen Menschen in Afghanistan von anhaltender oder vorübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen (CSO 2018; vgl. USAID 11.04.2019), wobei der Anteil der Betroffenen im Osten, Norden und Nordosten am höchsten ist (CSO 2018). Gegenüber dem Zeitraum 2011-2012 ist ihr Anteil bei einem Ausgangsniveau von 30% um 15 Prozentpunkte gestiegen (CSO 2018). Im Zeitraum 2016-2017 lebten dem ALCS zufolge 54,5% der Afghanen unter der Armutsgrenze. Gegenüber früheren Erhebungen ist der Anteil an armen Menschen in Afghanistan somit gestiegen (2007-2008: 33,7%, 2011-2012: 38,3%). Im ländlichen Raum war der Anteil an Bewohnern unter der Armutsgrenze mit 58,6% höher als im städtischen Bereich (41,6%) (CSO 2018). Es bestehen regionale Unterschiede: In den Provinzen Badghis, Nuristan, Kunduz, Zabul, Helmand, Samangan, Uruzgan und Ghor betrug der Anteil an Menschen unter der Armutsgrenze gemäß offizieller Statistik 70% oder mehr, während er in einer Provinz - Kabul - unter 20% lag (NSIA 2019). Schätzungen zufolge, ist beispielsweise der Anteil der Bewohner unter der Armutsgrenze in Kabul-Stadt und Herat-Stadt bei rund 34-35%. Damit ist der Anteil an armen Menschen in den beiden urbanen Zentren zwar geringer als in den ländlichen Distrikten der jeweiligen Provinzen, jedoch ist ihre Anzahl aufgrund der Bevölkerungsdichte der Städte dennoch vergleichsweise hoch. Rund 1,1 Millionen Bewohner von Kabul-Stadt leben unter der Armutsgrenze. In Herat-Stadt beträgt ihre Anzahl rund 327.000 (WB/NSIA 09.2018). 2018 gaben rund 30% der 15.012 Befragten an, dass sich die Qualität ihrer Ernährung verschlechtert hat, während rund 17% von einer Verbesserung sprachen und die Situation für rund 53% gleichblieb. Im Jahr 2018 lag der Anteil der Personen, 41

welche angaben, dass sich ihre Ernährungssituation verschlechtert habe, im Westen des Landes über dem Anteil in ganz Afghanistan. Beispielsweise die Provinz Badghis war hier von einer Dürre betroffen (AF 2018). Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen: Afghanistan ist von einem Wohlfahrtsstaat weit entfernt und Afghanen rechnen in der Regel nicht mit Unterstützung durch öffentliche Behörden. Verschiedene Netzwerke ersetzen und kompensieren den schwachen staatlichen Apparat. Das gilt besonders für ländliche Gebiete, wo die Regierung in einigen Gebieten völlig abwesend ist. So sind zum Beispiel die Netzwerke - und nicht der Staat - von kritischer Bedeutung für die Sicherheit, den Schutz, die Unterstützung und Betreuung schutzbedürftiger Menschen (BFA 01.2018). Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen (BAMF/IOM 2018; vgl. EC 18.05.2019). Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht (SEM 20.06.2017; vgl. BDA 18.12.2018). Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (BDA 18.12.2018). Ein Pensionssystem ist nur im öffentlichen Sektor etabliert (BAMF/IOM 2018). Der/die zu pensionierende Staatsbedienstete erhält die Pension jährlich auf ein Bankkonto überwiesen. Die Pension eines Regierungsbeamten kann von seinen/ihren Familienmitgliedern geerbt werden (BFA 04.2018). Berichten zufolge arbeitet die afghanische Regierung an der Schaffung eines Pensionssystems im Privatsektor (IWPR 06.07.2018). Private Unternehmen können für ihre Angestellten Pensionskonten einführen, müssen das aber nicht. Manche Arbeitgeber zahlen ihren Angestellten Abfertigungen, welche die Angestellten sich nach einem gewissen Zeitraum ausbezahlen lassen können (BFA 04.2018). Die weitgehende Informalität der afghanischen Wirtschaft bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitskräfte nicht in den Genuss von Pensionen oder Sozialbeihilfen kommt (ILO 05.2012). Die International Labour Organization (ILO) berichtet, dass im Jahr 2010 rund 10% der afghanischen Bevölkerung im pensionsfähigen Alter eine Pension erhielten (ILO 2017). Für Bedienstete des öffentlichen Sektors gibt es neben einer Alterspension finanzielle Unterstützung im Falle von Invalidität aufgrund einer Verletzung während des Dienstes, wie auch Witwenpensionen und Zulagen bei Armut oder im Fall von Arbeitslosigkeit (BDA 18.12.2018). Das afghanische Arbeits- und Sozialministerium (MoLSAMD) bietet ad hoc Maßnahmen für einzelne Gruppen, wie zum Beispiel Familienangehörige von Märtyrern und Kriegsverwundete oder Lebensmittelhilfe für von Dürre betroffene Personen, jedoch keine groß angelegten Programme zur Bekämpfung von Armut (BFA 13.06.2019). 42

Unterstützungsprogramm - das Citizens' Charter Afghanistan Project (CCAP): Im Rahmen des 10 Jahre andauernden "Citizens' Charter National Priority Program" (TN 18.01.2018) wurde im Jahr 2016 das Citizens' Charter Afghanistan Project ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, die Armut in teilnehmenden Gemeinschaften zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern, indem die Kerninfrastruktur und soziale Leistungen durch Community Development Councils (CDCs) gestärkt werden. Das CCAP soll Entwicklungsprojekte unterschiedlicher Ministerien umsetzen und zu einem größeren Nutzen für die betroffenen Gemeinschaften führen (WB 10.10.2016). Das CCAP ist das erste interministerielle und sektorübergreifende Prioritätenprogramm, in welchem Ministerien im Rahmen eines strukturierten Ansatzes gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Folgende Ministerien sind hauptsächlich in dieses Projekt involviert: MRRD (Ministry of Rural Rehabilitation and Development), MoE (Ministry of Education), MoPH (Ministry of Public Health) und MAIL (Ministry of Agriculture, Irrigation & Livestock) (ARTF o.D.). Ziel des Projektes war es von Anfang an, 3,4 Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen, die Qualität von Dienstleistung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, ländliche Straßen und Elektrizität zu verbessern sowie die Zufriedenheit der Bürger/innen mit der Regierung und das Vertrauen in selbige zu steigern. Außerdem sollten vulnerable Personen - Frauen, Binnenvertriebene, behinderte und arme Menschen - besser integriert werden (WB 10.10.2016). Alleine im Jahr 2016 konnten 9,3 Millionen Afghan/innen von den Projekten profitieren (TN 23.11.2017). Rückkehr: Die Zahlen der Rückkehrer aus Iran sind auf hohem Stand, während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen ist (2017: 154.000; 2018: 46.000), was im Wesentlichen mit den afghanischen Flüchtlingen jeweils gewährten Rechten und dem gewährten Status in Iran bzw. Pakistan zu begründen ist (AA 02.09.2019). Insgesamt sind in den Jahren 2012-2018 ca. 3,2 Millionen Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Seit dem Jahr 2016 hat sich die Zahl der Rückkehrer jedes Jahr deutlich verringert, jedoch hat sich die Zahl der Rückkehrer aus Europa leicht erhöht; 15% aller Rückkehrer siedeln in die Provinz Nangarhar (IOM 15.03.2019). Je nach Organisation variieren die Angaben zur Zahl der Rückkehrer: In den ersten 4 Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Davon waren 32.260 zwangsweise und 31.189 freiwillige Rückkehrer; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. 672 Personen erhielten Unterstützung von Hilfsorganisationen (MoRR o.D:): Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (AA 02.09.2019) bzw. 180.000 Personen aus dem Iran und 125.000 Personen aus Pakistan (IOM 15.03.2019). Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan (AA 02.09.2019). Rückkehrer haben zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, 43

insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie. Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 01.2019). Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle RückkehrerInnen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA 04.2018). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 02.09.2019). Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.06.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (KollegInnen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche RückkehrerInnen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für RückkehrerInnen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge RückkehrerInnen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA 04.2018). Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 02.09.2019). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage 44

verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (BFA 13.06.2019). Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 02.09.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich RückkehrerInnen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 13.03.2019). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (BFA 13.06.2019). Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.01.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018). Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für RückkehrerInnen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA 04.2018). RückkehrerInnen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (BFA 04.2018; vgl. Asylos 08.2017). Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) RückkehrerInnen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (AAN 19.05.2017). In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten (IRARA 09.05.2019). 45

Unterstützung von RückkehrerInnen durch die afghanische Regierung: Neue politische Rahmenbedingungen für RückkehrerInnen und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele RückkehrerInnen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (BFA 04.2018). Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 09.2018; vgl. UNHCR 06.2008). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 09.2018; vgl. UNAMA 03.2015, AAN 29.03.2016, WB/UNHCR 20.09.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzen. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 09.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 02.2014). Bereits 2017 hat die afghanische Regierung mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben mit neuer rechtlicher Grundlage an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Eine Hürde ist die Identifizierung von geeigneten, im Staatsbesitz befindlichen Ländereien. Generell führt die unklare Landverteilung häufig zu Streitigkeiten. Gründe hierfür sind die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, mangelhafte Verwaltung und Dokumentation von An- und Verkäufen, das große Bevölkerungswachstum sowie das Fehlen eines funktionierenden Katasterwesens. So liegen dem afghanischen Innenministerium Berichte über widerrechtliche Aneignung von Land aus 30 Provinzen vor (AA 02.07.2019). Unterstützung durch IOM: Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an (BFA 13.06.2019; vgl. BFA 04.2018). Hinsichtlich des Ausmaßes und der Art von Unterstützung wird zwischen freiwillig und unfreiwillig zurückgeführten Personen unterschieden (BFA 13.06.2019). 46

So ist beispielsweise die Provinz Herat hauptsächlich von der Rückkehr von Afghanen aus dem Iran betroffen. Landesweit ist die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan höher, als die der Rückkehrer aus Europa. Das von IOM durchgeführte Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Programme besteht aus einer Kombination von administrativen, logistischen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Personen, welche beschließen, freiwillig aus Europa, Australien und der Türkei in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren (BFA 13.06.2019). Im Zuge des AVRR-Programmes wurden im Jahr 2018 von IOM 2.182 Rückkehrer unterstützt. Etwa die Hälfte von ihnen erhielt Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens (IOM 30.01.2019). Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an (BFA 13.06.2019). 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz (IOM 30.01.2019). Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (BFA 13.06.2019). IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro (BAMF 20.05.2019; vgl. IOM 23.09.2019) sowie Informationen, etwa über Hotels (BAMF 20.05.2019). Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können, je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden (IOM 23.09.2019). Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt (BAMF 20.05.2019). Freiwillige RückkehrerInnen, die am Reintegrationsprojekt RESTART II teilnehmen, haben nach wie vor die Möglichkeit, neben der Unterstützung in Bargeld von 500 Euro, die zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse vorgesehen sind, eine Unterstützung für die Weiterreise und für temporäre Unterkunft bis zu max. 14 Tagen (in Kabul: Spinzar Hotel) zu erhalten. Unterstützungsleistungen aus dem Projekt RESTART II, welches durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert wird, können im gesamten Land bezogen werden und sind daher in Städten wie Mazar-e Sharif und/oder Herat dieselben wie in Kabul. Wichtig ist, dass die Teilnahme am Reintegrationsprojekt RESTART II durch das BFA und IOM für die RückkehrerInnen bewilligt wurde (IOM 23.09.2019). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 01.01.2017 vom österreichischen IOM- Landesbüro durchgeführt und vom österreichischen Bundesministerium für Inneres 47

und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) kofinanziert. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige RückkehrerInnen nach Afghanistan und in den Iran nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (IOM o.D.). 1.2.2. Bericht der Internetseite orf.at vom 29.02.2020 "USA schließen Deal mit Taliban": Ende von Afghanistan-Krieg? USA schließen Deal mit Taliban: Mehr als 18 Jahre nach dem US-Einmarsch in Afghanistan haben die USA und die radikalislamischen Taliban ein Abkommen über Wege zu einem Frieden geschlossen. Im besten Fall könnte damit der längste Krieg, den die USA je geführt haben, beendet werden und die internationalen Truppen abgezogen werden. In Doha, der Hauptstadt des Golfemirats Katar, unterzeichneten der US- Sondergesandte für Aussöhnung in Afghanistan, Zalmay Khalilzad, und der Leiter des politischen Büros der Taliban in Doha, Mullah Abdul Ghani Baradar, vor rund 300 geladenen Gästen das Abkommen. Auch US-Außenminister Mike Pompeo war bei der Zeremonie anwesend. Die mehr als eineinhalb Jahre lang verhandelte Einigung soll einen Abzug der US- Truppen aus Afghanistan einleiten. Im Gegenzug sollen die Taliban Garantien geben, dass das Land kein sicherer Hafen für Terroristen wird und sie Friedensgespräche mit der Regierung in Kabul aufnehmen. Truppenreduktion in erstem Schritt: In einem ersten Schritt soll die Zahl der US-Truppen um rund ein Drittel reduziert werden. Das geht aus einer gemeinsamen Erklärung der afghanischen und US- amerikanischen Regierungen hervor, die kurz vor der Unterzeichnung in Doha in der afghanischen Hauptstadt Kabul veröffentlicht wurde. Demnach soll die Zahl der US- Streitkräfte von aktuell zwischen 12.000 und 13.000 binnen 135 Tagen auf 8600 reduziert werden. Gleichzeitig würden die USA mit der NATO und anderen Verbündeten daran arbeiten, die Zahl der NATO-Truppen proportional dazu zu verringern, heißt es in der Erklärung weiter. Die USA und ihre Verbündeten würden alle ihre verbleibenden Streitkräfte innerhalb von 14 Monaten abziehen. Woche der "Gewaltreduzierung" als Voraussetzung: Washington hatte als Voraussetzung für ein Abkommen von den Taliban sieben Tage der "Gewaltreduzierung" in dem kriegszerrissenen Land verlangt. Die sieben Tage waren um Mitternacht (Ortszeit Afghanistan) zu Samstag abgelaufen. Die Phase verlief lokalen Angaben zufolge zwar nicht gewaltfrei, aber erheblich ruhiger als üblich. Die Woche war als Test angesehen worden, ob die Taliban ihre Reihen kontrollieren können. 48

Trump spricht von Treffen mit Taliban: US-Präsident Donald Trump teilte am Freitag in Washington mit, beim Einsatz in Afghanistan seien große Fortschritte gemacht worden - aber unter hohen Kosten für US-Truppen, für den amerikanischen Steuerzahler und für das afghanische Volk. Im Wahlkampf habe er dem amerikanischen Volk versprochen, "dass ich damit beginnen würde, unsere Truppen nach Hause zu bringen und zu versuchen, diesen Krieg zu beenden. Wir machen erhebliche Fortschritte bei der Einlösung dieses Versprechens." Und Trump kündigte an, er wolle sich "in nicht so ferner Zukunft" mit Taliban-Führern treffen. Zugleich schränkte er in Bezug auf den geplanten US-Truppenrückzug ein: "Sollten schlimme Dinge passieren, werden wir zurückkehren." Die USA-Taliban-Vereinbarung ist ein erster Schritt in Richtung Frieden. Es handelt sich im klassischen Sinne nicht um einen Friedensvertrag, weil bisher eine Konfliktpartei, die Regierung in Kabul, fehlte. Gleichzeitig wurden zwei wichtige Punkte für einen dauerhaften Frieden an die innerafghanischen Verhandlungen ausgelagert: ein landesweiter, dauerhafter Waffenstillstand sowie ein Abkommen über die künftige Verteilung der politischen Macht in Afghanistan - also darüber, wie die Taliban politisch eingegliedert werden. Die eigentlichen Friedensgespräche für das Land stehen somit erst noch bevor. Beobachter gehen davon aus, dass es mindestens ein Jahr bis zu einem innerafghanischen Friedensschluss dauert. 2. Beweiswürdigung: 2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt der dem BVwG vom BFA vorgelegten Unterlagen im gegenständlichen Beschwerdeverfahren. 2.2. Die Feststellungen zum Namen des Beschwerdeführers, zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, zu seinem Religionsbekenntnis als schiitischer Moslem, zu seiner Herkunft, zu seiner Schulbildung, zu seiner Universitätsbildung, zu seinen Arbeitserfahrungen, zu seinem Gesundheitszustand, zu seiner Kernfamilie, zum Haus- und Grundbesitz seiner Familie in Afghanistan, zum Aufenthalt seiner Kernfamilie, zu seinen Angaben, dass er in Afghanistan zumindest sowohl einen Onkel als auch Freunde hat, mit denen er in Kontakt steht, zu seinem Familienstand und, dass der BF keine Kinder hat, stützen sich auf dessen insoweit im Asylverfahren gleichbleibende und glaubhaften Angaben, die im Übrigen auch nicht bestritten wurden. 2.3. Das BVwG konnte sich in den mündlichen Verhandlungen davon überzeugen, dass der Beschwerdeführer Dari, eine in Afghanistan weit verbreitete Sprache, spricht. 2.4. Die Feststellungen zur Unbescholtenheit des BF und, dass er von der Grundversorgung lebt, stützen sich auf die eingeholte Strafregisterauskunft sowie auf den eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem über die 49

Gewährung der vorübergehenden Grundversorgung. 2.5. Der Beschwerdeführer gab glaubhaft an, vor seiner Ausreise aus Afghanistan, ca. zwei Jahre lang Mitglied der Partei Hezb-e Wahdat gewesen zu sein. Er legte dazu im Asylverfahren einen Mitgliederausweis vor. Während der BF bei der Erstbefragung eine mögliche Verfolgung durch Taliban damit begründete, dass er, nachdem er von Taliban telefonisch dazu aufgefordert worden wäre, sich geweigert habe, sein Universitätsstudium zu beenden, änderte er in der Befragung vor dem BFA sein Vorbringen gänzlich und behauptete nunmehr, dass er deswegen verfolgt worden wäre bzw. bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt werden würde, weil er sich geweigert habe, als Informant für die Taliban zu arbeiten. Gänzlich neu brachte er bei seiner Einvernahme vor dem BFA vor, dass er den Taliban Informationen über die politische Partei Hezb-e Wahdat, bei der er Mitglied gewesen ist bzw. über die von ihm besuchte Universität geben sollte. Erklärend führte er vor dem BFA aus, dass er manchmal bei Parteiveranstaltungen der Hezb-e Wahdat teilgenommen habe. Dabei habe er geholfen, Gäste, die an Freitagen den Parteivorstand besuchten, in Empfang zu nehmen und bereits am Vortag dafür organisatorische Vorbereitungshandlungen zu treffen. Er habe sich jedoch geweigert für die Taliban als Informant tätig zu werden und sei nunmehr deswegen damals in Afghanistan verfolgt worden oder wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch deswegen von Verfolgung durch die Taliban betroffen. In der mündlichen Verhandlung änderte der BF sein Fluchtvorbringen neuerlich. Nunmehr stellte er seine Mitgliedschaft bei der politischen Partei Hezb-e Wahdat so dar, dass er ein wichtiges und außerordentlich gut informiertes Parteimitglied gewesen wäre. Er habe Zugang zu allen wichtigen Informationen der Hezb-e Wahdat gehabt, habe an allen Besprechungen teilgenommen und habe auch gewusst, wann Parteimitglieder Auswärtstermine wahrgenommen hätten und um welche Gesprächsinhalte es dabei gegangen wäre. Angesichts der fortlaufenden Änderung seines Fluchtvorbringens und der damit einhergehenden Steigerungen wird seinem Fluchtvorbringen kein Glaube geschenkt. Würden seine Ausführung der Wahrheit entsprechen, hätte der Beschwerdeführer bereits von Anfang an auf seine politisch bedeutsame Parteimitgliedschaft bei der Hezb-e Wahdat hingewiesen bzw. darauf hingewiesen, dass er deswegen verfolgt worden wäre bzw. bei einer Rückkehr nach Afghanistan immer noch deswegen verfolgt werden würde. 2.6. Sofern der Beschwerdeführer angibt von einem Nachbarn mit dem Namen XXXX aufgefordert worden zu sein, ihm gegen Entgelt Informationen über die Hezb-e Wahdat bzw. über die Universität, die er besuchte, zu übergeben, vermochte der BF nicht darzulegen, um welche wertvollen Informationen es sich handeln könnte. Wenn der BF dazu in der mündlichen Beschwerdeverhandlung anmerkte, dass es sich um Besuch-Ankunftszeiten von wichtigen Personen beim Parteivorstand bzw. beim Anführer der Hezb-e Wahdat gehandelt habe, hat er, befragt nach konkreten Namen, ausweichend geantwortet und ausgeführt, dass es schwierig sei konkrete Namen zu 50

nennen, zumal innerhalb eines Jahres tausende Gäste gekommen wären. Darauf bestehend, dass der BF konkrete Namen nennen möge, verwies er auf Besuche von Regierungschef Abdullah Abdullah und von Karim Khalili, Vizepräsident Afghanistans bis 2014 und derzeit Vorsitzender des afghanischen Hohen Friedensrates, wobei der Beschwerdeführer über Nachfrage ausführte, dass "Abdullah Abdullah geschätzt ca. zweimal gekommen" sei sowie Karim Khalili "ein bis zweimal" gekommen sei. Aus den weiteren Angaben des BF in diesem Zusammenhang kann erkannt werden, dass der BF jedenfalls politisch interessiert ist. Als Hinweis, dass der BF tatsächlich über ganz genaue Ankunftszeiten von allen Gästen, die an Freitagen dem Parteivorstand bzw. dem Führer der Hezb-e Wahdat einen Besuch abstatteten, kann das jedoch nicht gewertet. Vielmehr geht das erkennende Gericht davon aus, dass, wenn tatsächlich ein Regierungschef oder ein Vizepräsident ihren Besuch ankündigen, bereits im Vorfeld sehr viele Personen Kenntnis davon enthalten, zumal für solche Personen besondere (Sicherheits-) Vorkehrungen zu treffen sind. Wenn der BF darauf hinweist, dass er selbst Zugriff auf einen Computer gehabt hat, in welchem Partei-Daten abgespeichert gewesen wären, wird diesem Vorbringen - insbesondere aufgrund seines mehrfach gesteigerten Fluchtvorbringens und der Tatsache, dass er diesen Computer erst beim BVwG erwähnt hat - kein Glaube geschenkt. Wenn der BF bereits bei seiner Ersteinvernahme von einer nächtlichen Verfolgung berichtet hat, stand dieses Vorbringen in der Erstbefragung für sich isoliert und nicht in Zusammenhang mit einer Bedrohung durch Taliban. Taliban, die ihn hätten zur Rede stellen wollen oder umbringen wollen, hätten nicht irgendwo dem Beschwerdeführer aufgelauert, ihn verfolgt und schließlich irgendwo bei der Verfolgung verloren; sie wären direkt zu ihm nach Hause gekommen und hätten ihn dort gestellt - und wenn sie es beabsichtigt hätten - ihn dort auch ermordet. Der BF vermochte jedoch unbehelligt zu Hause leben, zumal er - aufgefordert alle fluchtrelevanten Ereignisse zu erzählen - von keinen gegenteiligen Begebenheiten berichtet hat. Die nächtliche Verfolgung erinnert viel mehr an einschlägig bekannte Romangeschichten und dürfte nach Auffassung des erkennenden Gerichtes der Fantasie des Beschwerdeführers entstammen. Der BF konnte dem erkennenden Gericht nicht glaubhaft machen, dass er jemals persönlich bedroht bzw. überhaupt von einem Talib angesprochen worden sei. Selbst wenn der BF tatsächlich von einem Auto verfolgt worden ist, kann nicht festgestellt werden, dass die Verfolgung XXXX bzw. Taliban zuzurechnen ist. XXXX habe dem Beschwerdeführer lediglich mitgeteilt, Mitglied einer großen Gruppe zu sein. Der Beschwerdeführer gab selbst zu, daraus lediglich auf seine Mitgliedschaft bei den Taliban geschlossen zu haben. Nach den Angaben des BF, habe sich XXXX nachts mit bewaffneten Männern getroffen. Auch daraus kann nicht automatisch erkannt werden, dass der BF von Taliban bedroht worden wäre. Das erkennende Gericht gelangt auch zum Ergebnis, dass der BF weder über Informationen über die Partei Hezb-e Wahdat, noch über Informationen über eine Universität jemals verfügt hat oder bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfügen würde, die für Dritte bzw. für die Taliban von Wert sein könnten. Dass er daher als 51

"high profile" einzustufen wäre und daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan von einer politisch motivierten Verfolgung betroffen sein könnte, kann vom BVwG nicht einmal im Ansatz erkannt werden. Jedenfalls konnte der Beschwerdeführer das erkennende Gericht nicht davon überzeugen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevant verfolgt werden würde. Die Angaben des BF, dass er von Freunden erfahren habe, dass sich XXXX nach wie vor nach dem Verbleib des BF erkundigen würde, ist gänzlich unglaubwürdig. Der BF hat Afghanistan vor mehr als vier Jahren verlassen. Selbst wenn der BF, wie behauptet, über wertvolle Informationen über die Partei oder die Universität verfügt hätte, wären diese Informationen bei einer Rückkehr bereits veraltet und somit jedenfalls nicht mehr wertvoll. 2.7. Der Beschwerdeführer gab widerspruchsfrei an, dass seine Ehefrau, seine Eltern, seine Geschwister und seine Tanten im Iran leben würden. Er führte aus, dass er mit seiner Kernfamilie ein- bis zweimal wöchentlich in Kontakt stehe. Aus welchen Gründen, seine Familie aus Afghanistan ausgereist sei, kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer führte aus, dass ein Onkel noch in Afghanistan lebe und für die Familie Mieteinnahmen einhebe. Auch von Freunden, mit denen er ständig Kontakt habe, hat der BF selbst berichtet. 2.8. Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung, kann der BF in die Provinz Kabul zurückkehren. Aufgrund der Angaben des BF kann festgestellt werden, dass er in Afghanistan, insbesondere in der Provinz Kabul, über familiäre und soziale Kontakte verfügt. Der Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit Unterstützung durch Familienmitglieder, Verwandte oder Freunde rechnen. Die Familie des BF ist wohlhabend, sie verfügt über Grundbesitz in Kabul und in Mazar-e Sharif. Der Beschwerdeführer wurde von seinem Vater und seiner Schwester bei der Finanzierung seiner Flucht finanziell unterstützt. Daher kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan von seiner Familie und seinen Freunden, zu denen er in Kontakt steht, auch Unterstützung erhalten wird. Auf der Grundlage der herangezogenen Informationen zu Afghanistan stehen dem BF darüber hinaus jedenfalls auch mit Herat und Mazar-e Sharif innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung. Der Beschwerdeführer verfügt zwar weder in Herat, noch in Mazar-e Sharif über ein soziales Netzwerk; er ist jedoch jung, gesund und arbeitsfähig. Er verfügt über Schulbildung und Universitätsbildung. Er hat bereits Arbeitserfahrung in Afghanistan und Österreich gesammelt und befindet sich aktuell in Österreich in einer Ausbildung zum Altenpfleger und wäre jedenfalls in der Lage für sein eigenes Einkommen zu sorgen. Warum ausgerechnet ihm aufgrund seiner persönlichen Situation in der Relation zu den anderen dort lebenden Rückkehrern nach Afghanistan in Herat oder Mazar-e Sharif eine Neuansiedelung nicht möglich sein sollte, oder dass er dort nicht hinreichend sicher leben könnte, ist für das BVwG nicht erkennbar. 2.9. Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft darlegen, aufgrund seiner 52

Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara, bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt zu werden, zumal er keine relevanten Ausführungen getätigt hat, warum ihm im Vergleich zu zigtausenden in Afghanistan lebenden Hazara ein erhöhter Schutzbedarf zuzuerkennen sei. Der Beschwerdeführer konnte das erkennende Gericht insbesondere auch nicht davon überzeugen, noch existieren entsprechende Beweismittel oder Berichte, aus denen abgeleitet werden könnte, dass gerade der Beschwerdeführer überall in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre oder bei einer Rückkehr nach Afghanistan tatsächlich überall in eine existenzbedrohende Lage geraten würde. 2.10. Es ist zudem notorisch, dass der Beschwerdeführer bei einer freiwilligen Rückkehr nach negativem Verfahrensausgang Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen kann, wodurch er Rückkehrhilfe bzw. zusätzlich die Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt beantragen kann: In Österreich stehen für afghanische Staatsangehörige zwei spezielle Reintegrationsprojekte zur Verfügung (ERRIN oder IRMA). Beide Angebote zielen effektiv auf die Wiedereingliederung im Heimatland ab und können erst nach Ankunft im Herkunftsland bezogen werden. Ziel ist es, den Rückkehrer vor allem durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, sowie Start Ups den Neustart im Heimatland zu erleichtern. Die Sachleistung beträgt bei ERRIN 2.800 EUR; in bar erhalten die Personen 200,- EUR; beim Caritas-Projekt (IRMA) besteht die Reintegrationsunterstützung aus maximal 3.000,- EUR Reintegrationsleistungen (Sachleistungen). IRMA bietet Reintegrationsunterstützung für vulnerable Rückkehrer (unter anderem Mitglieder von spezifischen Gemeinschaften, die mit Unterdrückung, Vorurteilen oder anderen Formen von Diskriminierung und diskriminierender Gewalt in ihrem Heimatland ausgesetzt sind). Sämtliche Informationen dazu können auch jederzeit aktuell auf www.voluntaryreturn.at in diversen Sprachen abgerufen werden. Bei einer zwangsweisen Außerlandesbringung stellt Österreich die sogenannte "Post Arrival Assistance" zur Verfügung. Die International Organization for Migration (IOM) führt dieses EU-finanzierte Unterstützungsprogramm im Auftrag der Europäischen Kommission (Directorate General for International Cooperation and Development) aus. Im Detail umfasst die Post-Arrival-Assistance eine Barzahlung von 150,- EUR sowie Hilfestellung beim weiteren Transport sowie ggf. medizinische und psychosoziale Betreuung. Der Fremde erhält im Rahmen des Kontaktgespräches im Zuge der Abschiebevorbereitung eine Information über die Möglichkeiten der "Post Arrival Assistance" und ein Informationsblatt mit den Kontaktdaten von IOM in Kabul. IOM Afghanistan wird vom BFA über die jeweiligen Ankünfte vorab informiert. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme (einer) dieser Unterstützungen stellt sicher, dass der Beschwerdeführer bei zusätzlichem Bedarf Hilfestellung bekommt. 2.11. Die Feststellungen zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers. Er führte in der mündlichen Verhandlung aus, keine Beziehung zu führen, sodass kein intensives, schützenswertes Privat- bzw. Familienleben bzw. Abhängigkeitsverhältnisse in Österreich bestehen. 53

2.12. Die Feststellungen zur Ausbildung des BF stützen sich auf die vorgelegten Dokumente sowie auf die schlüssigen Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung. Das erkennende Gericht konnte sich in der mündlichen Verhandlung von den guten Deutschkenntnissen des BF überzeugen. Der BF schilderte eingehend seine Tätigkeiten im Zuge seiner Ausbildung zum Altenpfleger. Eine außergewöhnliche Integration des Beschwerdeführers konnte vom erkennenden Gericht nicht festgestellt werden. Betreffend die Ausbildung des BF zum Altenpfleger darf nicht verkannt werden, dass der BF die Ausbildung für sich persönlich absolviert, um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern und besser Chancen am Arbeitsmarkt zu haben. Allein aufgrund der Tatsache, dass er eine Ausbildung zum Altenpfleger absolviert, kann nicht automatisch auf eine außergewöhnliche Integration geschlossen werden. 2.13. Die Länderfeststellungen zu Afghanistan beziehen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 13.11.2019 mit weiteren Aktualisierungen, und den darin berücksichtigten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen sowie den bereits oben angeführten ACCORD-Anfragebeantwortungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. 3. Rechtliche Beurteilung: Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den hier maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt somit in gegenständlicher Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Zu Spruchteil A) 3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides: 54

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht. Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren. 3.1.2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, RZ 9; 05.09.2016, Ra 2016/19/0074, RZ 9). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, RZ 9; 05.09.2016, Ra 2016/19/0074, RZ 9). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280, VwGH 05.08.2015, Ra 2015/18/0024; VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, 94/20/0858; VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153). Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 26.06.2018, Ra 2018/20/0307; VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203; VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, 92/01/0792; VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die 55

Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen nur Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinen Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0362; 26.09.2019, Ra 2019/19/0390; vgl. 20.05.2019, Ra 2019/20/0071). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119, RZ 13; 16.11.2016, Ra 2016/18/0233, RZ 12). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256). Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 30.04.2019, Ra 2018/14/0354, RZ 11; 03.05.2018, Ra 2017/19/0476, RZ 8) Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 56

und Zl. 98/01/0648). Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359). Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. 3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen landesweit verfolgt zu werden, nicht begründet ist. Der Beschwerdeführer vermochte eine ihm - im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan - drohende Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer vermochte nicht darzulegen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan überhaupt von einer Verfolgungsgefahr - unabhängig von allfälligen Gründen - betroffen wäre. Das BFA begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit, dass der BF keine Verfolgung seiner Person oder eine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft vorgebracht hat. Es konnte daher in diesem Fall schon aus diesem Grund nicht zur Gewährung internationalen Schutzes kommen. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde aus folgenden Gründen im Recht: 3.1.4. Der Beschwerdeführer konnte keine asylrelevante Verfolgungsgefahr durch Taliban glaubhaft machen. Eine akute und aktuelle Gefahr einer individuellen Verfolgung seiner Person konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen. 3.1.5. Eine konkrete individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. seines schiitischen Glaubens konnte der Beschwerdeführer ebenfalls nicht glaubhaft machen. Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und 57

die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan lebende schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Eine Verfolgung der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan liegt nicht vor (VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0258, 03.04.2019, Ra 2019/18/0032; VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428 oder VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0067). Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass es der Annahme der Zulässigkeit der Rückführung nach Afghanistan nicht entgegensteht, wenn ein afghanischer Staatsangehöriger, der die längste Zeit seines Lebens im Iran verbracht hat, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara ist (VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160; 19.04.2018, Ra 2017/18/0436; VfGH 12.12.2017, E 2068/2017). Aus den obigen Länderfeststellungen ergeben sich keine Hinweise auf eine Gruppenverfolgung der schiitischen Hazara, vielmehr hat sich deren Situation in Afghanistan seit dem Ende der Talibanherrschaft nachhaltig und wesentlich verbessert. Auch der EGMR sprach in seiner Entscheidung vom 05.07.2016, 29094/09, A.M./Niederlande, aus, dass weder die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara noch die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan als solche zu einem derart hohen Risiko führen würde, dass bei einer Rückkehr automatisch die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestehe (vgl. dort insb. Seiten 26/27, Punkt 86., wonach die Angehörigeneigenschaft zur Minderheit Hazara nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung drohen würde, unbeschadet der schlechten Situation dieser Minderheit: "86. Although this argument has only been raised in the domestic proceedings but not in the present application, the Court has examined the question whether the applicant runs a risk of being subjected to ill-treatment on account of his Hazara origin. On this point, the materials before the Court contain no elements indicating that the applicant's personal position would be any worse than most other persons of Hazara origin who are currently living in Afghanistan. Although the Court accepts that the general situation in Afghanistan for this minority may be far from ideal, it cannot find that it must be regarded as being so harrowing that there would already be a real risk of treatment prohibited by Article 3 in the event that a person of Hazara origin were to be removed to Afghanistan." Aus diesen Gründen ist das Vorliegen auch einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara in Afghanistan im 58

Ergebnis zu verneinen. 3.1.6. Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation sowie der vorherrschende Bürgerkrieg stellen nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist (dies gilt gleichermaßen für die vom Beschwerdeführer angedeuteten Gefahren, die sich aus der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ergeben). Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 war somit als unbegründet abzuweisen. 3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides: 3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht. 3.2.2. Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, 59

Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist. Das BVwG hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, 95/18/0049; 05.04.1995, 95/18/0530; 04.04.1997, 95/18/1127; 26.06.1997, 95/18/1291; 02.08.2000, 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214). Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011). Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, 95/21/0294; 25.01.2001, 2000/20/0438; 30.05.2001, 97/21/0560). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen 60

Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0068, RZ 11; 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11 mwN sowie die Rechtsprechung des EGMR und EuGH). Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309, RZ 14; 14.08.2019, Ra 2019/20/0347, RZ 6; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160, RZ 35). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 09.07.2002, 2001/01/0164; 16.07.2003, 2003/01/0059). 3.2.3. Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137). In seinen ergangenen Erkenntnissen (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11; 20.09.2017, Ra 2017/19/0190-11) hat der VwGH zur spezifischen Situation von Afghanistan erneut auf seine Vorjudikatur und die Rechtsprechung des EGMR in zuvor ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan und die Berichtslage zu Afghanistan bzw. zu den Städten Herat oder Mazar-e Sharif nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstößt. Ebenso sprach der VwGH im zitierten Erkenntnis (19.06.2017, 2017/19/0095) aus, 61

dass nicht verkannt werde, dass die Lage in Afghanistan sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in einzelnen Landesteilen als auch der wirtschaftlichen Situation angespannt sei. Davon zu unterscheiden ist nach der Judikatur des VwGH aber das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (19.06.2017, Ra 2017/19/0095 sowie 20.09.2017, Ra 2017/19/0190-11). Eine schwierige Lebenssituation für den Asylwerber im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, primär gestützt auf mangelnde tragfähige Beziehungen und/oder fehlende Ortskenntnisse in Großstädten, oder eine schwierige Situation bei der Wohnraum- oder Arbeitsplatzsuche, reicht nach der Judikatur des VwGH explizit nicht aus, um die Voraussetzungen zur Erlangung von subsidiärem Schutz glaubhaft zu machen (VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160, RZ 38, 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). 3.2.4. Der EGMR hat diese Rechtsprechung in ergangenen Urteilen im Hinblick auf die aktuelle Lage in Afghanistan ausdrücklich bestätigt (vgl. die Urteile jeweils vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande: S.D.M., Nr. 8161/07; A.G.R., Nr. 13442/08; A.W.Q. und D.H., Nr. 25077/06; S.S., Nr. 39575/06; M.R.A. ua., Nr. 46856/07). 3.2.5. Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der ihm dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.03.2013; U1674/12; 12.06.2013, U2087/2012; 13.09.2013, U370/2012). 3.2.6. Neben der Sicherheitslage im Herkunftsland können das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK relevant sein. Dies insbesondere dann, wenn es sich um Antragsteller handelt, bei denen individuelle Gründe bestehen, die die Annahme einer besonderen Schutzbedürftigkeit rechtfertigen, wie z.B. Personen mit Erkrankungen, Familien mit Kleinkindern oder schwangeren Frauen (VfGH 14.12.2011, U2495/2010 mit Verweis auf VfGH 07.10.2010, U694/2010). Es kann im konkreten Fall davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht in eine derart ausweglose Lage geraten würde, die ihm jegliche Existenzgrundlage entzieht. Der Beschwerdeführer kann nach Kabul zurückkehren. Er verfügt dort über ein familiäres und soziales Netzwerk. Gemäß seinen eigenen Angaben leben zumindest sowohl ein Onkel, als auch Freunde in Kabul, mit welchen er nach wie vor in Kontakt steht. Weiters ist der Beschwerdeführer mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut, zumal er in der Stadt Kabul gearbeitet und studiert hat. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus auch jedenfalls eine Ansiedlung in den Städten Herat und Mazar-e Sharif zumutbar. Die Sicherheitslage in Herat und Mazar-e Sharif ist - wie den obigen 62

Länderfeststellungen zu entnehmen ist - so, dass dort für den BF eine Ansiedelung jedenfalls möglich ist. Laut den oben zitierten Richtlinien des UNHCR müssen auch die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0278; 22.09.2017, Ra 2017/18/0166; 10.12.2014, Ra 2014/18/0103). Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es nämlich nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen. Solche Umstände vermochte der Beschwerdeführer im Verfahren jedoch nicht darzulegen: In Bezug auf Afghanistan entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt hat und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist. (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309, RZ 17; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160, RZ 39, vgl. auch VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, RZ 124). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass diese Rechtsprechung - im Besonderen auch in Bezug auf afghanische Staatsangehörige, die im Iran aufgewachsen sind oder dort die längste Zeit ihres Lebens verbracht haben - auch zur hier maßgeblichen Berichtslage aufrechtzuerhalten ist (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309, RZ 18; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160) Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in diesem Zusammenhang auch den Richtlinien des UNHCR (Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018) besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung"). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben sich die Asylbehörden (und dementsprechend auch das BVwG) mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im 63

Herkunftsstaat gekommen sind. Die UNHCR-Richtlinien geht nicht von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus. Es entspricht zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309; vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0546, mwN). Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0292). Wie festgestellt handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen ledigen, gesunden, leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter, der in einem afghanischen Haushalt aufgewachsen ist, über Schulbildung und Arbeitserfahrung verfügt und der in der Vergangenheit bereits nachdrücklich unter Beweis gestellt hat, dass er imstande ist, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, der jedenfalls als Muttersprache Dari genannt hat und darüber hinaus auch angegeben hat, die Sprache Farsi zu beherrschen. Sowohl bei Dari als auch Farsi handelt es sich um in Afghanistan weit verbreitete und geläufige Sprachen. Selbst im Falle allfälliger (anfänglicher) wirtschaftlicher Schwierigkeiten kann ihm eine Niederlassung in Mazar-e Sharif und Herat zweifelsfrei zugemutet werden (vgl. VwGH 08.01.2018, Ra 2017/01/0432, VwGH 12.01.2018, Ra 2018/20/0003, VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0377, VwGH 30.01.2018, Ra 2017/20/0406). Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut und stammt zudem aus einem Kulturkreis in dem das familiäre Netzwerk und das sich daraus ableitende Solidarsystem besonders stark ausgeprägt sind. Der VwGH hat in seiner Rechtsprechung unwidersprochen und gleichbleibend auch aktuell ausgesprochen, dass afghanische Staatsangehörige, die im Iran aufgewachsen oder die längste Zeit ihres Lebens dort verbracht haben, wieder nach Afghanistan zurückkehren können, auch wenn sie dort über kein familiäres oder soziales Netz verfügen (VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0258; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160, RZ 41, 18.07.2019, Ra 2019/19/0197; VwGH 29.04.2019, Ra 2019/20/0175; VwGH 24.06.2019, Ra 2018/20/0434; VwGH 07.06.2019, Ra 64

2019/14/0114; VwGH 17.06.2019, Ra 2018/20/0500). Außerdem kann der Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Herat ein Auslangen finden. Aus den herkunftslandbezogenen Feststellungen ergibt sich, dass die Grundversorgung der afghanischen Bevölkerung zumindest grundlegend gesichert ist. In diesem Zusammenhang kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer zu keinem Personenkreis gehört, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Aus diesem Grund ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Dem Beschwerdeführer ist es aufgrund der dargelegten Umstände daher möglich, auch nach Kabul zurückzukehren. Durch das familieneigene Wohnhaus steht dem BF bei seiner Rückkehr eine Unterkunft unmittelbar bereit. Es ist ihm weiters möglich sich in Herat oder in Mazar-e Sharif eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine (einfache) Unterkunft zu finden. Dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Der Beschwerdeführer hat auch nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos dargelegt, dass gerade ihm im Falle einer Rückführungsmaßnahme eine Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). In einer Gesamtschau der Angaben des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen und angesichts des Umstandes, dass es sich beim BF um einen jungen Erwachsenen handelt, haben sich daher keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage in Afghanistan reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, 98/21/0427; 20.06.2002, 2002/18/0028; konkret zu Afghanistan: z.B. Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 29.06.2010, BVerwG 10 C 10.09; weiters EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, 10611/09, Rz 84; 20.12.2011, J.H. gg. Vereinigtes Königreich, 48839/09, Rz 55). Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte 65

und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. In der gegenständlichen Angelegenheit haben sich die Angaben des Beschwerdeführers weitgehend auf allgemeine Ausführungen zur Sicherheitslage in Afghanistan und die konfliktbedingten Risiken, die sich auf die sozio-ökonomische Lage auswirken, beschränkt. Ein Vorbringen, wonach in der Person des Beschwerdeführers gelegene, konkret exzeptionelle Umstände im Hinblick auf eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK durch seine Rückführung in seinen Herkunftsstaat begründet würden, hat der Beschwerdeführer nicht erstattet. In seinem Erkenntnis vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016-5 wies der Verwaltungsgerichtshof in Anknüpfung an seine bisherige Judikatur unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR darauf hin, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahmen eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Der Verwaltungsgerichtshof betont in diesem Zusammenhang nochmals, dass es für den Antragsteller nicht ausreiche, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen (vgl. dazu VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mwN). Das Vorbringen des Beschwerdeführers war daher insgesamt nicht geeignet, ein reales Risiko im Sinne einer potenzierten Gefahrenlage, dessen Eintritt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erwartet werden muss, zu begründen. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft nachgewiesene Bedrohungssituation, kann vom Bestehen einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht ausgegangen werden. Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen. 3.3. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides: 3.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des 66

Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen: "1.wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht, 2.zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder 3.wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist." Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der BF Opfer von Gewalt wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines solchen Grundes behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art 8 EMRK geboten ist. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lauten: "(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur 67

Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. (2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen: 1.die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2.das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3.die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4.der Grad der Integration, 5.die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6.die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7.Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8.die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9.die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist. (3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre." Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls ist eine gewichtende 68

Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422, RZ 10; 24.09.2019, Ra 2019/20/0446, RZ 7; 20.10.2016, Ra 2016/21/0198; VwGH vom 25.01.2018 Ra 2017/21/0218). Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. Art. 8 EMRK schützt unter anderem - neben dem Familienleben - sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. Zum geschützten Privatleben gehört das Netzwerk der gewachsenen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen (EGMR vom 09.10.2003, Nr. 48321/99, Slivenko/Lettland). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in: Merten/Papier/Kucsko- Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, RN 52). Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist. Der VwGH geht bei einem vierjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und stellt im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, fest, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der VfGH und der VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne 69

bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfGH 17.03.2005, G78/04 ua; VwGH vom 26.06.2007, 2007/01/0479). Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN). 3.3.2. Es wurde weder im Asylverfahren noch im Beschwerdeverfahren vorgetragen oder zumindest behauptet, dass der BF über Familienangehörige oder sonstige enge Nahebeziehungen zu Personen in Österreich verfügt, sodass ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK auszuschließen ist. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben des BF eingreifen. In der gegenständlichen Angelegenheit reiste der BF illegal in das österreichische Bundesgebiet ein (vgl. dazu VwGH 22.01.2009, 2008/21/0654). Er hält sich bislang erst vier Jahre in Österreich auf, somit nicht so lange, als dass man nach vorhin angeführter Rechtsprechung des VwGH von einem schützenswerten Privatleben in Österreich ausgehen könnte. Selbst wenn man vom Vorliegen schützenswerten Privatlebens ausginge, wäre der Eingriff in dieses Recht durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig: Dass der Fremde strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (z.B. VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112; 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253). Die Dauer des Verfahrens überstieg nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 4.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.). Der BF lebt in Österreich von der Grundversorgung. Er ist in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen und somit nicht selbsterhaltungsfähig. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass der BF für die Dauer seines 70

Asylverfahrens in Österreich stets nur vorläufig aufenthaltsberechtigt war. Er musste von vornherein damit rechnen, dass es im Falle einer negativen Entscheidung über den Asylantrag zu einer Beendigung des Aufenthalts kommt. Eine Ausweisung - im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung - in derartigen Fällen, in denen sich die betroffene(n) Person(en) der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus bewusst sein musste(n), könne nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art 8 EMRK darstellen (vgl. hierzu zB: EGMR 11. 04. 2006, Useinov v. The Netherlands, Appl. 61.292/00 bzw. EGMR 08. 04. 2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06) oder zuletzt VwGH vom 10.04.2019, Ra 2019/18/0049 oder VwGH vom 18.03.2019, Ra 2019/01/0068 bzw. VwGH vom 28.02.2019, Ro 2019/01/0003. Der VwGH stellte in seinem Erkenntnis vom 05.11.2019, Zl. Ro 2019/01/0008 fest, dass eine außergewöhnliche Konstellation der Integration, aus der sich bei einer unter fünfjährigen Aufenthaltsdauer kein Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung ergebe, zu einem ähnlichen Sachverhalt nicht vorgelegen sei. Die Umstände, dass ein Fremder sehr gut Deutsch spreche, sozial vielfältig vernetzt und integriert sei, für seinen Lebensunterhalt selbst aufkomme, sich in einem aufrechten Lehrverhältnis befinde und nie straffällig geworden sei, würden keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen. Sämtliche diesbezüglicher Aspekte seien während eines unsicheren Aufenthalts entstanden und daher in ihrem Gewicht gemindert (vgl. VwGH 10.04.2019, Ra 2019/18/0049; Ra 2019/18/0058; 19.06.2019, Ra 2019/01/0051). Der VwGH hat sich mit der Rechtsfrage der Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere in Bezug auf die Tätigkeit als Lehrling während eines laufenden Asylverfahrens bereits umfassend auseinandergesetzt und zusammengefasst ausgeführt, dass die Berücksichtigung einer Lehre beziehungsweise einer Berufsausübung als öffentliches Interesse zugunsten des Fremden unzulässig ist und es maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 23.10.2019; Ra 2019/19/0289, 28.02.2019, Ro 2019/01/0003). Zur Lehre bzw. Berufsausübung als öffentliches Interesse ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der solche Interessen des inländischen Arbeitsmarktes nicht von Art. 8 EMRK umfasst sind (vgl. VwGH 5.10.2010, 2010/22/0147, 26.5.2003, 2001/18/0071; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003, RZ 47). Weiters wird auf die aktuellsten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes betreffend "Aufenthaltsberechtigungen Plus" verwiesen. Der VwGH stellte wiederholt fest, dass gute Deutschkenntnisse, ehrenamtliches Engagement und eine Lehrstelle, keine außergewöhnliche Konstellation darstellen. In den Erkenntnissen vom 23.01.2020, Ra 2019/18/0322 und Ra 2020/21/0002 stellte der VwGH weiters fest, dass ein Pflichtschulabschluss, Patenschaftserklärungen, eine Deutschprüfung auf C1-Niveau sowie Dolmetschtätigkeiten ebenfalls keine außergewöhnliche Konstellation darstellen würden. 71

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bis dato nicht festgelegt, welcher Umstand eine außergewöhnliche Konstellation im Sinne einer außergewöhnlichen Integration, darstellt. Die aktuelle Rechtsprechung des VwGH berücksichtigend, insbesondere welche Sachverhalte nicht als außergewöhnliche Konstellationen gewertet wurden, gelangt das erkennende Gericht zu dem eindeutigen Ergebnis, dass beim Beschwerdeführer ebenfalls keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, die zur Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung Plus" führen könnten. Der BF absolviert eine Ausbildung zum Altenpfleger. Im Gegensatz zu Personen die eine Lehre in einem Mangelberuf ausüben, ist er nicht erwerbstätig und somit nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer absolvierte im Zuge seiner Ausbildung lediglich die dafür vorgesehenen Pflichtpraktika. Darüber hinaus legte der BF keine weiteren Dokumente oder Bestätigungen vor, die auf eine außergewöhnliche Konstellation hindeuten würden. Die Absolvierung von im Zuge seiner Ausbildung verpflichteten Praktika, in Zusammenhang mit dem in der Beweiswürdigung dargelegten mangelnden Durchhaltevermögen des Beschwerdeführers, vermochte das Gericht nicht von einer außergewöhnlichen Integration des BF überzeugen. Die vorgelegten Unterstützungserklärungen und sonstigen Dokumente, waren ebenfalls nicht geeignet, eine außergewöhnliche Konstellation zu bescheinigen. Den schwach ausgeprägten privaten Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des VwGH kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (z.B. VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251). Der BF ist in Afghanistan in der Provinz Kabul geboren und hat bis zu seiner Ausreise in Kabul gelebt. Er beherrscht Dari. Der Beschwerdeführer ist sehr gut ausgebildet, er verfügt über Schul- und Universitätsbildung und sammelte bereits Arbeitserfahrung in der Herstellung von Wasserspeicher und als Schweißer- Hilfsarbeiter. Zudem absolviert er aktuell eine Ausbildung zum Altenpfleger und konnte durch die Absolvierung von Pflichtpraktika weitere Arbeitserfahrung sammeln. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich bei einer Rückkehrnach Afghanistan in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können wird, zumal er mit den dortigen gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten vertraut ist und in Kabul über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfügt. In einer Gesamtbetrachtung iS des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. 3.3.3. Im angefochtenen Bescheid wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass 72

die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig ist. 3.3.4. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234). Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. oder 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Dies entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wird mit der vorliegenden Entscheidung verneint. Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht. 3.3.5. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 leg. cit. zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gemäß § 55 Abs. 2 leg. cit. beträgt diese Frist 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, wenn nicht im Rahmen einer (vom BFA vorzunehmenden) Abwägung festgestellt worden ist, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß § 55 Abs. 3 leg. cit. kann, wenn besondere Umstände überwiegen, die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als den 14 Tagen festgesetzt werden; die besonderen Umstände hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen, zugleich hat er einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. Da derartige besondere Umstände vom BF nicht behauptet und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit zwei Wochen festgelegt worden. Zu Spruchteil B) Zur Unzulässigkeit der Revision: Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B- 73

VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.