Luthers Sprachschaffen Und Aktuelle Fragen Seiner Erforschung
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„Gotis lob sol sein altzeit in meinem munde“ – Luthers Sprachschaffen und aktuelle Fragen seiner Erforschung Von Rudolf Bentzinger, Berlin Luthers deutschem Sprachschaffen, das zum großen Teil theologisch motiviert war (das Zitat aus dem 34 . Psalm steht an auffallender Stelle in seinem Sermon „Von den guten Werken“, WA 6, 218, 22), als einem Lieblingsobjekt der Ger- manistik sind etwa 5000 Publikationen gewidmet . Schon die „Germanistische Luther-Bibliographie“ von Herbert Wolf verzeichnete 4003 Titel von 1880 bis 1980,1 und in seiner Anthologie „Luthers Deutsch“ mit 28 Aufsätzen nam- hafter Germanisten von 1883 bis 1990, die im Jahre 1996 erschien, sind über 700 Titel aus den Jahren 1846–1990 angegeben .2 Ein Großteil stammt aus der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts . Eine Schubwirkung übten das Lutherjahr 19833 und die Luther-Dekade 2008–20174 aus . Trotzdem soll im Folgenden 1 Vgl. Herbert Wolf: Germanistische Luther-Bibliographie. Martin Luthers deutsches Sprach- schaffen im Spiegel des internationalen Schrifttums der Jahre 1880–1980 . Heidelberg 1985, 40–358 . 2 Vgl. Herbert Wolf (Hrsg.): Luthers Deutsch. Sprachliche Leistung und Wirkung (Doku- mentation Germanistischer Forschung 2) . Frankfurt a .M . [u . a ]. 1996, 345–387 . 3 Vgl . u .a. Joachim Schildt (Hrsg.): Luthers Sprachschaffen. Gesellschaftliche Grund lagen. Geschichtliche Wirkungen . Referate der internationalen sprachwissenschaftlichen Konfe- renz Eisenach 21 .–25 . März 1983 (Linguistische Studien A 119 / I, II, III) . Berlin 1984; Birgit Stolt: Luthers Übersetzungstheorie und Übersetzungspraxis. In: Helmar Junghans (Hrsg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546 . Festgabe zu seinem 500 . Geburts- tag. Berlin 1983 (Lizenzausgabe Göttingen 1983), 241–252; Friedhelm Debus: Luther als Sprachschöpfer . Die Bibelübersetzung in ihrer Bedeutung für die Formung der deutschen Schriftsprache. In: Jürgen Becker (Hrsg.): Luthers bleibende Bedeutung. Husum 1983, 22–52 (Wiederabdruck: Friedhelm Debus: Kleinere Schriften. Bd. I. Hildesheim [u. a ]. 1997, 33–63); Manfred Lemmer (Hrsg.): Martin Luther: Das Magnificat, Von der Beicht, Eine treue Vermahnung . Schriften aus der Zeit des Aufenthaltes auf der Wartburg . Eisenach 1983; Joachim Schildt: Martin Luther und die deutsche Bibel. Eisenach 1983; Heimo Reinitzer: Biblia deutsch . Luthers Bibelübersetzung und ihre Tradition . Wolfenbüttel 1983; Helmar Junghans: Aus der Ernte des Lutherjubiläums 1983. In: Luther-Jahrbuch 53 (1986), 55–138; Frédéric Hartweg: Luthers Stellung in der sprachlichen Entwicklung. Versuch einer Bilanz. In: Études germaniques 40 (1985), 1–20; Karl Stackmann: Probleme germanistischer Lutherforschung. In: Archiv für Reformationsgeschichte 75 (1984), 7–31 (Vortrag inner- halb der Göttinger Ringvorlesung 1983). Zusammenfassend: Herbert Wolf: Zum Stand der sprachlichen Lutherforschung. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 106 (1987). Sonderheft: Frühneuhochdeutsch. Zum Stand der sprachwissenschaftlichen Forschung, 246–272 . 4 Vgl . u . a. Norbert Richard Wolf (Hrsg.): Martin Luther und die deutsche Sprache – damals und heute . Heidelberg 2017 (Tagungsband zum gleichnamigen Kolloquium am Institut für deutsche Sprache in Mannheim am 29. und 30. Mai 2017); Werner Besch: 500 Jahre Refor- mation – zugleich der lange Weg zur gesamtdeutschen Schriftsprache. In: Zeitschrift für 33 © 2018 Rudolf Bentzinger - doi http://doi.org/10.3726/JA501_33 - Except where otherwise noted, content can be used under the terms of the Creative Commons Attribution 4 .0 International license. For details go to http://creativecommons.org/ licenses/by/4 .0/ versucht werden, unabhängig von derartigen Jubiläen die Entwicklung sprach- wissenschaftlicher Luther-Forschung mit ihren vielfältigen Fragestellungen nachzuzeichnen . Luthers Bedeutung für die Weiterentwicklung der deutschen Sprache wurde seit seinen Lebzeiten immer wieder hervorgehoben oder problematisiert . Bemerkenswert ist, dass von Anfang an seinem Stil eine besondere Rolle bei- gemessen wurde. Schon 1536 pries ihn Erasmus Alberus: „Dr. Martinus ist der rechte man, der wol verdeüdschen kan, er ist ein rechter Teutscher Cicero “. Justus Jonas würdigte ihn in seiner Eislebener Leichenpredigt 1546: Er war ein trefflicher, gewaltiger Redener. Item ein überaus gewaltiger Dolmetz- scher der gantzen Bibel . Es haben auch die Cantzleyen zum teil von im gelernet recht deudsch schreiben und reden, denn er hat die Deudsche sprach wider recht herfür gebracht, das man nu wider kan recht deudsch reden und schreiben und wie das viel hoher leut mussen zeugen und bekennen .5 Luthers katholische Gegner sahen ebenfalls auch in seiner stilistischen Meister- schaft bei der Bibelübersetzung eine Gefahr für ihre reine Lehre: „Es kutzelt feyn seyn Deudsch / vnd helt den leser“, urteilte Georg Witzel, und Luther übersetze „alles mit dem aller gemeinisten deudsch / wie ers teglich vber disch von den welthansen horet / vnd jm frawen zimmer erforschet“6 haben . Diese Ansicht hat sich erstaunlich lange gehalten . Noch 1952 und 1957 schrieb Arno Schirokauer über Luthers Bibelübersetzung: Die Heilige Schrift, der sich bis dahin nur Träger von Bildungsprivilegien hatten nähern können, sollte demokratisiert werden, ihre Sprache aus Hof- und Palast- Deutsch übertragen werden in die niedere von Küche und Markt … Für ihn han- delt es sich darum, die Fremdsprache zu „verdolmetschen“, sie aus einer hohen, weltentrückten Kastensprache in ein gewöhnliches, ja niedriges Alltagsdeutsch umzusetzen […] Die Jünger Christi reden wie Bauern; so daß die Bauern beim Lesen sich selbst in den Aposteln wiedererkennen […]7 deutsche Philologie 136 (2017), 449–466; Matthias Schulz: Die Bibelübersetzung Martin Luthers aus sprachhistorischer Sicht . Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Re formation und katholische Reform“ im Sommersemester 2017 an der Universität Würzburg (im Druck) . 5 Beide Zitate nach Rudolf Bentzinger / Gerhard Kettmann: Zu Luthers Stellung im Sprach- schaffen seiner Zeit (Anmerkungen zur Sprachverwendung in der Reformationszeit). In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 36 (1983), 265–275, hier: 266. 6 Hermann Gelhaus: Der Streit um Luthers Bibelverdeutschung im 16. und 17. Jahrhundert. Mit der Identifizierung Friedrich Traubs. Tübingen 1989, 80 f . 7 Arno Schirokauer: Frühneuhochdeutsch (1952). In: Ders.: Germanistische Studien. Aus- gewählt und eingeleitet von F[ritz] Strich. Hamburg 1957, 311–393, hier: 368 f . (Wiederab- druck: Klaus-Peter Wegera (Hrsg.): Zur Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache. Eine Dokumentation von Forschungsthesen. Tübingen 1986, 113–194, hier: 169 f.; ebenso: Ders.: Frühneuhochdeutsch. In: Wolfgang Stammler (Hrsg.): Deutsche Philologie im Auf- 34 Diesen Thesen wurde bald widersprochen,8 und nun ist besonders auf die Ausführungen von Birgit Stolt, Mitglied der Bibelrevisions-Kommission, zu verweisen: Intellektuelles Verständnis, philologische Genauigkeit und eine Sprache, die, dem Volk auf’s Maul geschaut, den Menschen in seiner natürlichen Alltagssprache trifft – das sind, soll man den meisten modernen Übersetzern und Bearbeitern biblischer Texte Glauben schenken, die Voraussetzungen, die ein guter Bibel- übersetzer mitbringen muß . – Luther jedoch blieb dabei nicht stehen . Er machte in eben diesem Sendbrief eine entscheidende Bedingung: Ah es ist dolmetzschen ja nicht eines iglichen kunst … Es gehöret dazu ein recht, frum, trew, vleissig, forchtsam, Christlich, geleret, erfarn, geübet hertz … (WA 30 2,. 640, 25–28) […] Er hat demnach zwar dem gemeinen Mann aufs Maul geschaut, er hat ihm aber mitnichten nach dem Munde geredet . Seine Bibel spricht keine glatt ein- gängige Massensprache 9. Wiederholt betonte Birgit Stolt: „Luthers Bibelsprache ist von einer Anzahl sakralsprachlicher Stilelemente geprägt “. 10 Zu denen können auch Hebraismen gehören . Diese Interpretation ist heute opinio communis . Jüngst schrieb Karlheinz Jakob zu Luthers oft zitierter und „grundlegend missverstandener“ Sendbrief- Stelle „den man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie diese esel thun, sondern, man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und dar- nach dolmetzschen, so verstehen sie es den und mercken, das man Deutsch mit jn redet“ (WA 30.2, 637, 17–22): „Ihre Deutung ist gleichzeitig ein Muster- fall von parteiischer und quellenkenntnisarmer Luther-Philologie “. Es wurde „über sehen, dass Luthers Sprachvorbilder (Mutter, Kind, gemeiner Mann, Maul) hier nicht für stilistische, lexikalische oder gar soziolektale Quali täten riss. Bd. I. Berlin 1957, Sp. 855–930, hier: 899 f . 8 Vgl . die Rezensionen von Fritz Tschirch in den PBB 81 (1959), Tübingen, 242–261; Gott- fried Felix Merkel im Journal of English and Germanic Philology 59 (1960), 753–760; Johannes Erben in der Zeitschrift für Mundartforschung 29 (1962), 169 f . 9 Birgit Stolt: Luther, die Bibel und das menschliche Herz. Stil- und Übersetzungsprobleme der Lutherbibel damals und heute. In: Joachim Schildt (Hrsg.): Luthers Sprachschaffen (Anm . 3), 156, 168 . 10 Birgit Stolt: Lieblichkeit und Zier, Ungestüm und Donner. Martin Luther im Spiegel seiner Sprache. In: Herbert Wolf (Hrsg.): Luthers Deutsch (Anm. 2), 317–339, hier 330. Vgl. auch dies.: Erzählstrukturen der Bibel und die Problematik ihrer Übersetzung. In: Heinz Rupp / Hans-Gert Roloff (Hrsg.): Akten des VI. Internationalen Germanisten-Kongresses Basel