Miszelle

Wolfgang Etschmann

Die über Osterreich. Kriegs- und Friedensoperationen der britischen Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges und im beginnenden Kalten Krieg, 1940-1947

Die historische Aufarbeitung der »Besatzungszeit« in Österreich zwischen 1945 und 1955 hatte bisher vor allem die amerikanischen und sowjetischen Verwal- tungsbehörden und Besatzungstruppen zum Thema. Intensivere und genauere Forschungen über das britische Besatzungselement lassen sich hingegen erst in den späten siebziger Jahren finden. Die Geschichte der britischen Streitkräfte, die in den ersten beiden Jahren nach 1945 als Besatzungstruppen in Österreich stationiert waren, kann - soweit es sich um Heeresverbände handelt - mittlerweile als recht gut erforscht gelten. Speziell durch die Arbeiten Siegfried Beers, bzw. die von ihm in den letzten Jahren ange- regten und initiierten Untersuchungen sowie einzelne Veröffentlichungen von stei- rischen und Kärntner Historikern, die sich intensiver mit der Landesgeschichte nach 1945 beschäftigt haben, kann von einem guten Forschungsstand gesprochen werden1. Interessanterweise ist über die britische Royal Air Force (RAF) als Element der britischen Besatzung in Österreich wenig bekannt und im deutschsprachigen Raum bisher kaum etwas publiziert worden. Und dies, obwohl die Verbände der RAF in Österreich vom Kriegsende bis zum Jahresbeginn 1947 gemäß den britischen strategischen Überlegungen eine nicht unbedeutende Rolle im ab Ende April 1945 stetig eskalierenden politischen Kon-

Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis eines jahrelangen Interesses für die Geschichte militärischer Luftoperationen im Zweiten Weltkrieg und in den Jahrzehnten danach. Die bis heute wenig bekannte, aber relativ starke Präsenz britischer Luftstreitkräfte auf österreichischem Gebiet zwischen Anfang Mai 1945 und Ende Januar 1947 haben mich bewogen, dieses Thema zu bearbeiten. Die knappe Darstellung ist einerseits ein Beitrag zur Geschichte der britischen Besatzungspolitik in Österreich und andererseits eine Fall- studie zur Frühzeit des Kalten Krieges in Mitteleuropa. Die Quellenlage für diesen The- menbereich ist durchweg gut. Im Prinzip stehen im britischen Staatsarchiv (Public Re- cord Office - PRO) alle Aktenbestände zur Besatzungszeit in Österreich zur Einsicht of- fen. Einige für das Thema relevante Aktenbestände sind bedauerlicherweise bereits ver- nichtet worden. Zu den informativsten deutschsprachigen Publikationen über die britische Besatzung in Österreich, speziell der Steiermark vgl. Die »britische« Steier- mark 1945-1955, hrsg. von Siegfried Beer, Graz 1995 (= Forschungen zur geschichtli- chen Landeskunde der Steiermark, Bd 38) sowie Alice Hills, Britain and the Occupati- on of Austria, 1943-1945, London 2000. Zur Geschichte jener Verbände der British Eighth Army, die Anfang Mai 1945 österreichisches Gebiet besetzten Richard Doherty, Α No- ble Crusade. The History of Eighth Army 1941^15, Staplehurst 1999, wie auch Ken Ford, Battleaxe Division. From Africa to Italy with the 78ft Division, 1942^15, Stroud 1999, so- wie Richard Dougherty, Clear the way! A History of the 38th (Irish) Brigade, 1941-47, Portland 1994.

Militärgeschichtliche Zeitschrift 61 (2002), S. 155-173 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 156 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann

flikt der westlichen Alliierten mit Jugoslawien und auch der Sowjetunion - also im rasch beginnenden Kalten Krieg, der schließlich auch sehr bald Österreich selbst zum Schauplatz machte, spielten2.

Einsätze der Royal Air Force über Österreich während des Zweiten Weltkriegs

Schon sehr bald nach der Kriegserklärung Italiens an Großbritannien am 10. Juni 1940 begannen nicht nur die Kämpfe zwischen britischen bzw. Commonwealth- Truppen und den italienischen Streitkräften in Nord- und Ostafrika sowie im ge- samten Mittelmeerraum, es verlagerten sich auch die Aktivitäten des Bomber Com- mand der Royal Air Force nach Norditalien, wodurch es im Sommer 1940 zu ver- einzelten Überflügen von österreichischem Gebiet kam. Abwürfe von Flugblättern durch britische Bomber der 4. Bomber Group über Osterreich lassen sich schon um die Jahreswende 1939/40 nachweisen - bereits ein deutliches Zeichen dafür, daß die »Ostmark« als der »Luftschutzkeller des Deut- schen Reiches« auch schon damals gegen Einflüge einzelner Flugzeuge keinesfalls so absolut »sicher« war wie von der deutschen Führung angenommen. Bei der Durchführung von Luftangriffen auf süddeutsche und norditalienische Ziele wurde Tiroler und Vorarlberger Gebiet zwischen Mitte Juni und Ende Au- gust 1940 von britischen Bombern mehrmals überflogen. Diese Flüge wurden von Bombern der 4. Group des Bomber Command der RAF, die, wie erwähnt, auch schon bis in den ostösterreichischen Raum vorgedrungen waren, durchgeführt3. Die Royal Air Force hingegen, die schon seit November 1940 die griechischen Streitkräfte bei ihren Abwehrkämpfen gegen italienische Verbände aller drei Waf- fengattungen unterstützt hatte, operierte nun bereits von Griechenland aus gegen Bulgarien und flog am 7. April 1941 erstmals schwere Angriffe gegen die nahezu unverteidigte Hauptstadt Sofia.

2 Als gedruckte Behelfe für Forschungen in diesem Bereich empfehlen sich John D. Cant- well, The Second World War. Α Guide to the documents in the Public Records Office, London 1993 und Simon Fowler, Peter Elliott, Roy Conyers Nesbit, Christina Goulter, RAF Records in the PRO, London 1994 (= PRO Readers' Guide, 8). 3 In der Nacht zum 17. August 1940 stürzte das vermutlich erste alliierte Flugzeug - ein britischer zweimotoriger Bomber des Typs Armstrong Whitworth »Whitley« der 102. Squadron über dem heutigen österreichischen Gebiet (nahe des Gipfels des Hohen Lichts im Lechtal) ab. Die sterblichen Überreste der Besatzung sind auf dem britischen Solda- tenfriedhof in Klagenfurt beigesetzt. Dazu W.R. Chorley, Royal Air Force Bomber Com- mand Losses of the Second World War, Vol. 1: Aircraft and Crews lost 1939-1940, Leice- ster 1992, S. 100; G. Larry Donnelly, The Whitley Boys. 4 Group Bomber Operations 1939-1940, New Maiden 1991, S. 180. Bereits in der ersten Phase des Balkanfeldzuges der deutschen Wehrmacht im April 1941 griffen in den ersten Tagen der Kampfhand- lungen einzelne Bomber der jugoslawischen Luftwaffe (vom britischen Typ Bristol »Blen- heim« - dabei wurden diese Flugzeuge von der deutschen Luftabwehr fallweise als RAF- Bomber angesprochen) Ziele in Südostösterreich an. Dabei wurde das Stadtgebiet um den Hauptbahnhof Graz getroffen. Ein weiterer jugoslawischer Bomber drang am 7.4. sogar in den Raum Wiener Neustadt vor, stürzte aber im Gebiet nördlich des Hoch- wechsels bei Pinggau ab. Dazu Christopher Shores and Brian Cull with Nicola Malizia, Air War for , Greece and Crete 1940-41, London 1987, S. 202. Die Royal Air Force über Österreich 157

Im gesamten Kriegsschauplatz des Mittelmeerraumes, aber auch in Ostafrika und im Nahen Osten wirkten die britischen Luftstreitkräfte (hauptsächlich die »De- sert Air Force«) bis zum Mai 1943 wesentlich an der Niederringung der Streitkräfte der Achsenmächte und ihrer Verbündeten (hierzu müssen auch Teile der Vichy-fran- zösischen und die irakischen Streitkräfte gezählt werden) bis zur Kapitulation der Achsenstreitkräfte in Tunesien im Mai 1943 mit4. Die westalliierten Operationen richteten sich nach den strategisch-operativen Vorgaben der Konferenz von Casablanca im Januar vorerst gegen den »weichen Un- terleib« der »Festung Europa«. Die auf dieser Konferenz in ihren Grundzügen fest- gelegte alliierte »Combined Bomber Offensive« (CBO) sah neben den Angriffen des Bomber Command der Royal Air Force und der amerikanischen 8. Air Force von England aus die schrittweise Errichtung einer »zweiten« strategischen Luftfront ge- gen das Deutsche Reich im Mittelmeerraum vor. Britische und amerikanische stra- tegische Luftstreitkräfte in Nordafrika flogen daher ab dem Hochsommer 1943 nicht tiur Angriffe zur Unterstützung der eigenen Heeresverbände bei der Besetzung Si- ziliens und Süditaliens, sondern griffen fallweise, wie die schweren Bomberverbän- de der amerikanischen 9. Air Force, bereits am 1. August 1943 die Ölraffinerien in Plo- esti und am 13. August 1943 die Messerschmitt-Werke in Wiener Neustadt an5. Eine erhebliche Verbesserung für die strategischen Bomberverbände der Alliier- ten hatte die Besetzung des Raumes Foggia in Apulien bis Ende September 1943 ge- bracht. Hier gelang es den effektiven Bodenorganisationen der allüerten Luftstreit- kräfte binnen weniger Wochen, neben der bereits vorhandenen italienischen Luft- waffenbasis bei Foggia noch dreizehn weitere Großflugplätze neu anzulegen. Von diesen Basen aus starteten nun die am 1. November 1943 in der neuaufgestellten 15. Air Force (ursprünglich unter dem Kommando von General Doolittle) zusam- mengefaßten amerikanischen strategischen Bomberverbände (ausgerüstet mit den viermotorigen Bombern Boeing B-17 »Flying Fortress« und Consolidated B-24 »Li- berator«) und ihre Begleitjägerverbände und schließlich auch die 205. Group der RAF ab Februar 1944 zu Luftoperationen im verstärkten Ausmaß gegen Ziele im zentral- europäischen Raum6. Zwischen Juli 1943 und April 1944 lag der Schwerpunkt der RAF-Operationen noch im westlichen Mittelmeerraum in der taktischen Luftunter- stützung der eigenen Kräfte (britische 8. Armee) in Sizilien und Mittelitalien. Ge- meinsam mit den taktischen Fliegerkräften der amerikanischen 12. Air Force wurden

4 Zum Uberblick dient vor allem John D.R. Rawlings, The History of the Royal Air Force, London 1984. Zur genauen chronologischen Darstellung des Luftkrieges in Nordafrika und im Mittleren Osten sind vor allem Hans Ring und Christopher Shores, Luftkampf zwischen Sand und Sonne, Stuttgart 1974; Christopher Shores, Hans Ring und William N. Hess, Tunesien 1942/43. Luftkämpfe über Fels und Wüste, Stuttgart 1981 sowie Chri- stopher Shores, Dust Clouds in the Middle East. The Air War for East Africa, Iraq, Syria, Iran and Madagascar 1940-42, London 1996 zu nennen. 5 Dazu Richard G. Davis, Carl A. Spaatz and the Air War in Europe, Washington, London 1992, S. 260-265, sowie The Official Report of the British Bombing Survey Unit, ed. by Se- bastian Cox, London, Portland 1998. Zum Angriff auf Wiener Neustadt speziell Man- fried Rauchensteiner, Der Luftangriff auf Wiener Neustadt am 13. August 1943, Wien 1983 (= Militärhistorische Schriftenreihe, 49) und Wernfried Haberfellner und Walter Schroeder, Wiener-Neustädter Flugzeugwerke Gesellschaft m.b.H. Entstehung, Aufbau und Niedergang eines Flugzeugwerkes, Graz 1993. 6 Bereits Anfang Juni 1944 umfaßten die Bomber Groups der 15. Air Force 741 einsatzbe- reite viermotorige Bomber (davon 605 B-24 und 136 B-17) sowie 889 Begleitjäger. Zit. nach Olaf Groehler, Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin 1990, S. 381. 158 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann

diese verlustreichen Operationen (die meisten Verluste traten aber ab Spätfrühjahr 1944 überwiegend durch gegnerische Fliegerabwehr auf) intensiviert. Die Effizienz der deutschen fliegenden Luftwaffen verbände in Italien (bis 27. September 1944 Luft- flotte 2, danach unter dem »Kommandierenden General der Luftwaffe in Italien«) war ab dem zweiten Halbjahr 1944 kaum noch nennenswert und schließlich so gut wie nicht mehr existent - die Jagdgruppen der Luftwaffe waren bis zum Spätfrüh- jahr 1944 zur »Reichsverteidigung« oder an die neuentstandene »Invasionsfront« weitgehend abgezogen worden), die zahlenmäßig schwache Fliegertruppe der ver- bündeten »Repubblica Sociale Italiana« stellte seit ihrer Aufstellung im Herbst 1943 ebenfalls keine nennenswerte Bedrohung für die alliierten Luftstreitkräfte dar. Die alliierten strategischen Luftoperationen gegen den österreichischen und süddeutschen Raum wurden daher bis Ende April 1945, als die allüerten Heeres- verbände im Zuge ihrer letzten Offensive die norditalienische Tiefebene erreicht hatten, mit steigender Wirksamkeit fortgesetzt7. Der strategische Luftkrieg der RAF gegen den österreichischen Raum wurde ab Spätfrühjahr 1944 von der bereits iirf Herbst 1941 aufgestellten und vorerst vorwiegend über Nordafrika eingesetzten 205. Group durchgeführt, die über durchschnittlich acht Squadrons mit einem Soll- bestand von 120 Bombern verfügte (vorerst ausschließlich zweimotorige Vickers »Wellington« und einige viermotorige Handley Page »Halifax«, später wurden die Staffeln auf Consolidated B-24 »Liberator« umgerüstet). Bereits ab Februar, im vol- len Umfang ab April 1944 begann die 205. Bomber Group mit strategischen An- griffen, die sich gegen verschiedene Ziele auf österreichischem Gebiet richteten. Eine spezielle, mehrere Wochen dauernde Operation bildete die Verminung von mehreren Abschnitten der Donau, um die Öltransporte per Schiff aus Rumänien zu unterbinden. Allerdings verliefen diese Operationen der 205. Group durch die Einsätze von Nachtjagdverbänden der deutschen Luftwaffe wie auch durch Flie- gerabwehr und Unfälle phasenweise (besonders zwischen Juni und Ende August 1944) sehr verlustreich8. Nach der Kapitulation Italiens versuchten die britischen Streitkräfte, einen vor- geschobenen Stützpunkt in der mittleren Adria zur besseren operativen und logi- stischen Unterstützung der Streitkräfte Marschall Titos zu errichten. Bereits im Ok- tober 1943 gelang dies mit der Besetzung der Insel Lissa (), die rasch von der Roy- al Air Force mit dem Anlegen eines Flugplatzes von einigen Jagdstaffeln genutzt werden konnte, aber auch von Fliegerabwehrverbänden besetzt wurde. Lissa wur- de innerhalb kürzester Zeit ein wichtiges logistisches Zentrum für die Versorgung

7 Zu dieser Phase des Luftkrieges vor allem Nick Beale, Ferdinando D'Amico and Gabri- ele Valentini, Air War Italy 1944-45. The Axis Air Forces from the Liberation of Rome to the Surrender, Shrewsbury 1996; Andrew Brookes, Air War over Italy, Shepperton 2000, sowie Christopher Shores, Pictorial History of the Mediterranean Air War, Vol. 2: RAF 1943^15, Shepperton 1973. 8 In einer rezenten Darstellung werden die Gesamtverluste der 205. Group zwischen 1.2.1944 und 7.5.1945 mit 215 vermißten Bombern (»failed to return«) und 35 Bruchlan- dungen bei 228 Missions und 18 139 Sorties angegeben, nach: Maurice G. Lihou, It's di- cey flying Wimpys. Around Italian Skies, New Maiden 1992 sowie David Gunby, Sweeping the Skies. A History of 40 Squadron, Royal Flying Corps and Royal Air For- ce, 1916-1956, Edinburgh 1995. Zum Einsatz der 205. Group gegen Rumänien im Früh- jahr und Hochsommer 1944 vgl. Patrick Macdonald, Through Darkness to Light, Upton- upon-Severn 1994. - Zum Luftkrieg über den österreichischen Bundesländern Kärnten und der Steiermark ausführlich Siegfried Beer und Stefan Karner, Der Krieg aus der Luft. Kärnten und Steiermark 1941-1945, Graz 1992. Die Royal Air Force über Österreich 159

von Partisanenverbänden durch die westalliierte Seite. Kommandotruppen der British Army sowie der Royal Marines, Schnell- und Patrouillenbootflottillen so- wie einzelne Geleitzerstörer der Royal Navy führten von der Insel aus einen er- bitterten und teilweise verlustreichen, aber letztlich durchaus erfolgreichen Klein- krieg gegen deutsche Stützpunkte und Küstengeleitzüge im Bereich der dalmati- schen Küste9. Die durch die Operationen der RAF stark eingeschränkte deutsche Luftunter- stützung bei der Vorbereitung und Durchführung des Unternehmens »Rössel- sprung« am 25. Mai 1944 (versuchte Gefangennahme Titos in seinem Hauptquar- tier bei Drvar durch Verbände der Wehrmacht und der Waffen-SS) sowie die fol- gende Evakuierung Titos nach Lissa und danach mit Transportflugzeugen der RAF nach Bari war vor allem den taktischen »Interdiction«- und »Close Air Support- Operationen der RAF zu verdanken10. Die nach dem April 1941 nur noch rudimentär vorhandene jugoslawische Exil- luftwaffe kämpfte auf britischer Seite in Nordafrika weiter. Die eingesetzten ju- goslawischen Piloten wurden ab Frühjahr 1944 in Italien in zwei RAF-Staffeln zu- sammengefaßt. (351. und 352. Squadron, mit Hawker Hurricane Mk. II und Mk. IV, bzw. Mk. Vc ausgerüstet). Für eine effektive taktische Luft- unterstützung der jugoslawischen Partisanenverbände11 waren diese beiden von Cannae und auch Lissa (Vis) aus operierenden Staffeln allerdings in keiner Weise ausreichend. So kam es am 1. Juni 1944 zur offiziellen Aufstellung der »Balkan Air Force« (unter dem Kommando von Air Vice-Marshal Sir William Elliot), deren elf Staffeln mit einer ungefähren Stärke von etwas mehr als 200 Kampfflugzeugen massive Angriffe gegen die deutschen Streitkräfte im jugoslawischen Raum flo- gen12. Ebenso wurde Teile der auf Seiten der Alliierten kämpfenden »Cobellige- rent Air Force« der italienischen Luftstreitkräfte zur taktischen und logistischen Unterstützung der jugoslawischen Partisanen-Streitkräfte eingesetzt13. Die sowjetische Unterstützung für die Streitkräfte Titos war - nicht nur mit Ma- teriallieferungen - sondern auch den Einsatz von sowjetischen Luftwaffenverbän- den betreffend - bis Spätsommer 1944 äußerst begrenzt und hatte nur symbolische Bedeutung. Dagegen muß die effektive Luftversorgung der Streitkräfte Titos durch britische und amerikanische Transportfliegerkräfte sowie die Evakuierung von über elftausend verwundeten Partisanen und durch Kampfhandlungen bedrohte jugos- lawische Zivilisten nach Italien zwischen Spätherbst 1943 und Frühjahr 1945 er- wähnt werden. Noch im April 1945 flogen Jagdbomberstaffeln der RAF Einsätze ge- gen die in der Heeresgruppe Ε zusammengefaßten deutschen Streitkräfte und ihre Verbündeten vom Flugplatz Prkos (bei ) von jugoslawischem Territorium aus.

9 Dazu Michael McConville, A Small War in the . British Military Involvement in Wartime Yugoslavia 1941-1945, London 1986; William G. Jenkins, Commando Subaltern at War. Royal Marine Operations in Yugoslavia and Italy 1944-1945, London 1996 sowie Dudley Pope, Flag 4. The Battle of the Coastal Forces in the Mediterranean, London 1998. 10 Ralph Bennett, Knight's Move at Drvar: Ultra and the Attempt on Tito's Life, 25 May 1944, in: Journal of Contemporary History, 22 (1987), S. 195-208. 11 Dazu John R.D. Rawlings, Fighter Squadrons of the Royal Air Force and their Aircraft, London 1978. 12 Dazu Bruce Robertson, Balkan Air Force, in: Air Pictorial, March 1984, S. 98-104 sowie Hilary St. George Saunders, Royal Air Force 1939-1945, Vol. 3: The Fight is won, Lon- don 1993, S. 234-257. 13 Angelo Lodi, L'Aeronautica Italiana nella Guerra di Liberazione 1943-1945, Roma 1975, S. 133-156. 160 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann

Die Entfremdung zwischen der britischen und der jugoslawischen politischen Führung sowie die verminderte Kooperation zwischen den britischen und jugos- lawischen Streitkräften war aber schon vor dem Ende des Krieges im Mittelmeer- raum deutlich. Sie sollte ab Anfang Mai 1945 zur offenen Konfrontation führen. Mit der Besetzung von italienischen Flugplätzen in Norditalien, vor allem im Raum Rimini und Ravenna ab Ende 1944, fanden zwischen März und Anfang Mai 1945 auch verstärkte Einflüge von Jagdbombern der RAF (hauptsächlich Staffeln der , die mit der P-51 D »Mustang« - britische Bezeichnung: »Mu- stang IV« ausgerüstet waren) bis in den Raum der nördlichen Steiermark statt. Da- bei erlitten diese Jagdbomber insbesondere durch die deutsche Fliegerabwehr hauptsächlich im Raum Graz und Bruck a.d. Mur immer wieder Verluste14. Mit der Kapitulation der deutschen Heeresgruppe C in Norditalien am 2. Mai 1945 fanden diese Operationen jedoch ein jähes Ende. Bei Kriegsende waren 88 Squadrons des britischen Commonwealth (davon 67 Squadrons der RAF, 17 der (SAAF) und vier der Royal Australian Air Force (RAAF) mit fast 1700 Flugzeugen) im westlichen Mittelmeerraum stationiert. Die Stärke der Desert Air Force, zu diesem Zeitpunkt mit der Masse ihrer Verbände in der Emilia Romagna bzw. schon auf einzelnen Basen im Raum Udine stationiert, betrug Ende April 1945 21 752 Mann mit 16 Fighter Squadrons, sieben SAAF Fighter Squadrons, einer SAAF Fighter Reconaissance Squadron und sechs Light Bomber Squadrons15.

Die Operation »Freeborn« und die ersten Operationen der Royal Air Force in Österreich ab Mai 1945

Der Anfang Mai 1945 erfolgte Vormarsch der britischen Heeresverbände der 8. Ar- mee nach Osterreich ist bereits umfassend erforscht und dargestellt worden, er soll hier nur kurz gestreift werden16.

14 Vgl. dazu Robin Brown, Shark Squadron. The History of 112 Squadron 1917-1975, Fal- mouth 1996, S. 186 f. und S. 266 sowie Brian Cull, 249 at War. The authorised History of the RAF's top-scoring Squadron of WW II, London 1997, S. 200. 15 Die Gesamtstärke der fliegenden Verbände der Luftstreitkräfte des Commonwealth un- ter dem Kommando der Royal Air Force umfaßte bei Kriegsende 505 Squadrons. Davon entfielen auf die Royal Canadian Air Force 45 Squadrons, Royal Australian Air Force 17, Polish Air Force 15, Free French Air Force 12, fünf der Royal New Zealand Air Force, drei der Royal Norwegian Air Force, vier tschechische Staffeln, drei der Royal Nether- lands Airforce, zwei mit belgischen Personal, zwei der Royal Hellenic Air Force und zwei aus Jugoslawien. Siehe dazu Royal Air Force 1995. The Royal Air Force Public Re- lations Magazine Complementary, No. 7, S. 39 f.; Shores, Pictorial History of the Medi- terranean Air War (wie Anm. 7), S. 108-110. 16 Zur Operation »Freeborn« vgl. Felix Schneider, Operation »Freeborn«. Okkupation und Kontrolle Österreichs insbesondere durch die Britische 8. Armee. Planung und Operati- onsphase 1943-1945, Diss. Graz 1997; Alice Hills, Britain and the Occupation of Austria 1943-45, London 2000 sowie Alex Ward, Die Rolle der britischen Streitkräfte bei der Be- setzung Südösterreichs im Jahre 1945, in: Österreich 1945. Ein Ende und viele Anfänge, Graz, Wien, Köln 1996 (= Forschungen zur Militärgeschichte, Bd 4), S. 157-183. Zur ge- planten Rolle der Desert Air Force der RAF in der Operation »Freeborn« und der vor- gesehenen Verbände vgl. die Bestände des Air Ministry im Public Record Office, Kew, AIR 23/3435. Die Royal Air Force über Österreich 161

Die erste Vormarsch- und Besetzungsphase im südösterreichischen Raum ab 7. Mai 1945 (»Operation Freeborn) war durch die Verlegung von Staffeln der RAF nach Österreich gekennzeichnet, um vorerst einen Luftschirm aufzubauen und Aufklärungsergebnisse für die britischen Heeresverbände in Kärnten (und später in der Steiermark) zu erzielen. Zwischen dem 9. und 16. Mai 1945 verlegte die 324. Wing der Desert Air Force mit insgesamt vier Jagdstaffeln (43., 72., 93. und 111. Squa- dron), ausgerüstet mit Spitfire IX Jagdflugzeugen, aus Rivolto zum vermutlich noch beschädigten, aber benutzbaren Flugplatz Klagenfurt. Eine Aufklärungs- staffel, die 40. Squadron der SAAF, wurde am 24. Mai auf dem Behelfsflugplatz Möderndorf (nördlich von Maria Saal) auf dem Zollfeld stationiert. Das Personal dieser südafrikanischen Staffel verlegte jedoch bereits ab Mitte Oktober 1945 nach Südafrika zurück und übergab die Flugzeuge der aus Lavariano in Klagenfurt ein- treffenden 225. Squadron der RAF17. Die in Klagenfurt stationierten Staffeln des 324. Wing standen schon seit Kriegs- beginn im Einsatz und ihre Piloten gehörten zu den erfahrensten Jagdfliegern der Royal Air Force18. Zu dieser Zeit hatte sich das Verhältnis zwischen den ehemaligen Alliierten Jugoslawien und Großbritannien bereits nachhaltig verschlechtert. Hat- ten sich diverse Spannungen schon um die Jahreswende 1944/45 erkennen lassen, so führte der schon ab Anfang Mai 1945 eskalierende Konflikt um Triest und die von Großbritannien - mit Unterstützung der USA - erzwungene Räumung der Ge- biete Südostkärntens bis zum 23. Mai 1945 zu Konfrontationen, die zwar noch un- terhalb der Schwelle militärischer Auseinandersetzungen blieben, jedoch ein ge- waltsames Vorgehen britischer Truppen gegen die Verbände der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee nicht mehr ausgeschlossen werden konnte19. Die Demarka- tionslinie - und schließlich der Grenzraum blieben für die nächsten drei Jahre eine Krisenzone. Bis zum Jahresende 1945 wurden allein sieben Bataillone der britischen Armee zur Überwachung der österreichisch-jugoslawischen Grenze eingesetzt20.

17 PRO, AIR 26/430, Operational Record Book 324 Wing, January-June 1945 sowie auch Ja- mes Halley, The Squadrons of the Royal Air Force & Commonwealth 1918-1988, Shep- perton 1988. Für weitere Hinweise über die Einsätze der südafrikanischen Squadron danke ich meinem Kollegen Erwin A. Schmidl. Ausführliche Informationen finden sich dazu in seinen Aufsätzen: Südafrikaner in Graz? Eine Miszelle aus der »Russenzeit« in der Steiermark, in: Graz 1945, hrsg. von F. Bouvier und H. Valentinitsch, Graz 1994 (= Hi- storisches Jahrbuch der Stadt Graz, Bd 25), S. 65-75, sowie Die 40. südafrikanische Staf- fel in Möderndorf und Klagenfurt. Eine wenig bekannte Episode aus der frühen Nach- kriegszeit, in: Carinthia I, 185 (1995), S. 319-342. Zur Geschichte des Flugplatzes Kla- genfurt auch Paul Posch, Flughafen Klagenfurt, Klagenfurt 1995 (= Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Landeshauptstadt Klagenfurt, Bd 9), S. 106. Nach den in dieser Publikation gegebenen Informationen lag der Flugplatz nicht nur in der Nähe von Mö- derndorf, sondern genau auf dem ehemaligen Arbeitsplatz der FFS (Flugzeugführer- schule) A14 der deutschen Luftwaffe bei Kading. 18 Diese vier Fighter Squadrons hatten von 1939 bis 1945 in zahllosen Einsätzen an mehre- ren Fronten eine große Anzahl von Abschüssen gegnerischer Flugzeuge beansprucht. Die 43. Squadron.erzielte allein 159 und die 93. Squadron 269 Abschüsse. Dazu Chri- stopher Shores and Clyde Williams, Aces High. Α Tribute to the Most Notable Fighter Pi- lots of the British and Commonwealth Forces in WWII, London 1994, S. 24-88. Zur Ge- schichte der 43. Squadron J. Beedle, The History of the Fighting Cocks, London 1985. 19 Zur Weiterentwicklung des Konflikts um Triest vgl. Winfried Heinemann, Vom Zusam- menwachsen des Bündnisses. Die Funktionsweise der NATO in ausgewählten Krisenfällen 1951-1956, München 1998, hier v.a. das Kapitel II: NATO und der abtrünnige Satellit: Triest und die Entstehung des Balkanpaktes, S. 11-70. 20 Hills, Britain (wie Anm. 1), S. 103. 162 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann

In den ersten Wochen der britischen Besatzung in Österreich kam es trotz der gespannten Beziehungen zu Jugoslawien zu keinen weiteren Verlegungen von RAF-Staffeln nach Österreich. Die taktischen Bomberverbände der Desert Air For- ce und der Balkan Air Force blieben weiter in Nord- und Mittelitalien stationiert. Der nunmehrige Auftrag der Squadrons des 324. Wing bestand in der Überwa- chung des Rückzuges der Verbände der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee aus Kärnten (der bis 23. Mai 1945 abgeschlossen war), in Aufklärungsflügen entlang der neuen Demarkationslinie (in Einzelfällen allerdings wurden diese bis weit in den slowenischen und istrischen Raum hinein geflogen) sowie routinemäßigen Ubungs- flügen über Kärnten. Hierbei traten jedoch einige Verluste ein21. Bis Anfang Sep- tember 1945 wurden diese Flüge fortgesetzt, bis schließlich der Befehl zur Verlegung auf den Flugplatz Zeltweg in der Obersteiermark eintraf. Zwischen dem 8. und 16. September verlegten drei Staffeln des 324. Wing unter dem Befehlshaber Wing Commander Kingcome auf den ehemaligen Flugplatz der deutschen Luftwaffe, der durch alliierte Luftangriffe ebenfalls Schäden davongetragen hatte und auf dem noch 150 beschädigte Flugzeuge der ehemaligen deutschen Luftwaffe abge- stellt waren. Die Bedeutung des Flugplatzes Klagenfurt für die RAF trat zu die- sem Zeitpunkt bereits in den Hintergrund, obwohl er noch für weitere zehn Jahre genutzt werden sollte. Eine wesentliche Rolle sollte ab Sommer 1945 auch der 700. Air Disarmament Mobile Wing spielen, dessen fünf Squadrons (eigentlich Kompanien) primär »In- telligence«-Aufgaben zu lösen hatten. Die hochspezialisierten Angehörigen dieses Verbandes sollten ursprünglich über die deutsche Luftfahrtrüstung auf öster- reichischen Boden zwischen 1938 und 1945 Informationen sammeln, offen gela- gerte deutsche Flugzeuge, Fliegerabwehrwaffen und andere Rüstungsgüter be- schlagnahmen oder versteckte aufspüren, zerstören bzw. zur Auswertung über- nehmen, Informationen über Schlüsselpersonal der deutschen Luftwaffe sammeln und versuchen, das Schicksal von rund 700 während des Krieges über österreichi- schem Gebiet abgeschossene und vermißte RAF-Besatzungsmitglieder zu klären22. Vorerst wurden alle diese Operationen von Klagenfurt aus koordiniert. Nach der Umorganisation der »Mediterranean Allied Air Forces« am 1. August 1945 wurde das »RAF Mediterranean und Middle East Command« (RAF MEDME) geschaf- fen. Am 26. August 1945 folgte die Errichtung des Air Headquarter Austria (AHQ Austria) der RAF in Klagenfurt. Ein »Advanced Headquarter« wurde in Wien im Schloß Schönbrunn eingerichtet23. Letzteres blieb jedoch in der taktischen Führung dem HQ der Desert Air Force in Udine unterstellt, das weiterhin unmittelbar vom RAF MEDME Command in Caserta geführt wurde.

21 So ging am 6.6.1945 eine Spitfire der 111. Squadron durch Zusammenstoß mit einer an- deren Spitfire in der Luft verloren, der Pilot konnte sich mit dem Fallschirm retten. Tags darauf stürzte eine Spitfire der 93. Squadron bei einer Tiefflugübung in den Ossiacher See, wobei der Pilot, P/O Mc Leod, ums Leben kam. Das Wrack wurde 1994 von einer deut- schen Bergungsfirma gehoben und nach Deutschland gebracht. Vgl. dazu ÖFH (= Öster- reichische Flugzeug Historiker), Nachrichten 1/95, S. 32. 22 Die fünf Squadrons waren zu Jahresbeginn 1946 wie folgt stationiert: A Squadron Schloß Lannach bei Graz, Β Squadron Liezen bzw. Aigen im Ennstal, C Squadron Klagenfurt, D Squadron Zeltweg, Ε Squadron Wien. Zu den Einsätzen geben die ausführlichen »Week- ly Intellegence Reports« des 700. Mobile Air Disarmament Wing Auskunft, PRO, AIR 55/14. 23 PRO, AIR 24/1702. Headquarter R.A.F. MEDME, Caserta. Organisation Memorandum, No. 90. Formation of H.Q. R.A.F., Austria. Die Royal Air Force über Österreich 163

Herbst 1945: Alliierter Luftkrieg gegen Jugoslawien und Bulgarien?

Die sich von Woche zu Woche verschärfende Lage in Griechenland - die kommu- nistischen Partisanen der ELAS begannen sich erneut gegen die westlich orien- tierte Regierung und die Monarchie zu erheben - und die unsichere Lage an der provisorischen jugoslawisch-italienischen Grenze im östlichem Venetien ließ die politische und die militärische Führung Großbritanniens nicht nur eine verstärk- te jugoslawische und bulgarische Unterstützung oder eine gar offene Intervention zugunsten der ELAS und einen Vormarsch jugoslawischer Truppen im östlichen Norditalien befürchten. Die von den Westalliierten als äußerst unsicher einge- schätzte politische Lage in Italien (aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Si- tuation und des wachsenden Einflusses der Kommunistischen Partei Italiens) so- wie die steigenden Spannungen mit Belgrad waren ein Grund, einen Überra- schungsangriff jugoslawischer Truppen gegen Triest und die italienische Provinz Venezia Giulia, eventuell mit angenommener sowjetischer Billigung, nicht mehr auszuschließen. Daher wurden bereits im Oktober 1945 nicht nur erste Einsatz- pläne der RAF in Abstimmung mit den Streitkräften der USA im Mittelmeerraum gegen die Streitkräfte dieser beiden Länder ausgearbeitet24, sondern parallel dazu auch Aktionen gegen die drohenden Operationen jugoslawischer Verbände gegen den Süden Österreichs und Venetiens vorbereitet, die 1946 wesentlich konkretere Formen annahmen. Die verschiedenen Ausarbeitungen und Detailplanungen der »Pincher«-Gruppe der amerikanischen Kriegsplanungen des »Joint War Plans Com- mittee« in den Jahren 1945/46 bezogen sich am deutlichsten im Plan »Cockspur« vom 20. Dezember 1946 auf die potentielle Bedrohung der alliierten Streitkräfte in Norditalien25. Da die US-Army nur mehr eine Infanteriedivision (die 88.), die British Army ebenfalls nur eine Division, zwei Brigaden (personell nicht mehr ganz aufgefüllt) und die RAF nur noch acht Fighter Squadrons mit 112 Jagdflugzeugen (Sollstand) in Italien stationiert hatten, während sich das nur fünf Brigaden starke italienische Heer und die Luftstreitkräfte mit britischer und amerikanischer Unterstützung erst im Aufbau befanden, befürchtete man bei einem jugoslawischen Angriff mit 14 In- fanteriedivisionen und einem Teil der 642 als vorhanden angenommenen Kampf- flugzeuge ein rasches Durchstoßen bis zum Piave. Eine Unterstützung der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee durch sowjeti- sche Streitkräfte (in einer zweiten Staffel) wurde nicht ausgeschlossen26.

24 Zur politischen Situation in Griechenland ausführlich David H. Close, The Origins of the Greek Civil War, London, New York 1995, und zur Übernahme der Schutzmacht- funktion durch die USA ab 1947: Lawrence S. Wittner, American Intervention in Greece 1943-1949, New York 1982 sowie insbesondere über die Rolle der Royal Air Force in Griechenland: Vic Flintham, The RAF in Greece 1943-1949, in: Aviation News, 23 No- vember - 6 December 1990, S. 632-640. 25 Dazu detailliert Christian Greiner, Die alliierten militärstrategischen Planungen zur Ver- teidigung Westeuropas, in: Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945-1956, Bd 1: Von der Kapitulation zum Pleven-Plan, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, München, Wien 1982, hier besonders S. 163-196. 26 PRO, AIR 24/861, Air HQ RAF Italy, Air Plans Section, 10.10.1945, Air action against Yu- goslavia and Bulgaria - Appreciation and outline Plan, bzw. 16./17.10.1945, »[...] WCdr Fields attended MJP Section Meeting on possible Yugoslav aggression in Venezia Giulia«. Ein weiterer Hinweis auf die britischen Planungen für die Verteidigung Julisch-Veneti- 164 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann

Bei der Beurteilung der Kampfkraft der jugoslawischen und der bulgarischen Luftwaffe wies der britische Luftwaffen-Attache in Belgrad im Herbst 1945 auf die gegenwärtig noch relative Schwäche der Luftstreitkräfte hin, betonte aber die seit Sommer 1945 rasch erfolgende umfangreiche ausbildungsmäßige und logistische Unterstützung durch die Sowjetunion, die zu einer laufenden quantitativen und qualitativen Verstärkung der beiden Luftwaffen führen werde. Die Einschätzung der Stärke der jugoslawischen Luftstreitkräfte durch die In- telligence Section der Desert Air Force um die Jahreswende 1945/46 war nur teil- weise zutreffend. Sie belief sich auf etwa 80 moderne Jagdflugzeuge des sowjeti- schen Typs Yakovlew Yak 9 und Yak 3, etwa 30 Supermarine Spitfire V, etwa 40 Hawker Hurricane IV, etwa 90 Schlachtflugzeuge des sowjetischen Typs Iljuchin II 2 (»Stormovik«) und etwa 60 zweimotorige Bomber (vermutlich vom sowjeti- schen Typ Petlyakow Pe 2). Tatsächlich verfügten die jugoslawischen Luftstreitkräfte zwischen Herbst 1945 und Ende 1947 schon über mehr als 200 Iljuchin II 2 Schlachtflugzeuge - weitere 300 Rümpfe des Typs wurden bis 1949 in Jugoslawien gebaut und zum Teil nach Bulgarien geliefert. Vom Typ Yak 9 (Versionen D, Ρ und U) dürften in der jugosla- wischen Luftwaffe tatsächlich mehr als 120 Stück im Zeitraum zwischen Frühjahr 1945 und 1950 in Verwendung gewesen sein27. Den mit diesen Ausarbeitungen befaßten britischen Offizieren der Intelligence Section dürfte jedoch die Tatsache nicht bekannt gewesen sein, daß durch Kriegs- beute und durch umfangreiche bulgarische Lieferungen im Laufe des Jahres 1947 den jugoslawischen Jagdfliegerregimentern zwischen Frühjahr 1945 und Herbst 1947 letztlich insgesamt 81 Jagdflugzeuge des deutschen Typs Messerschmitt Me 109 G zur Verfügung standen, von denen die letzten sogar bis 1952 im Dienst blie- ben28. Generell wurde der Kampfwert der jugoslawischen Luftstreitkräfte zwischen Herbst 1945 und Herbst 1946 noch nicht allzu hoch eingeschätzt (»at present the Yu- goslav Air Force is no match for either the RAF or the USAFE or for that matter any other air force of a first class power.«)29 Die ersten Überlegungen des MEDME Commands, des Air Headquarter Italy und der Desert Air Force sahen im Herbst 1945 für den angenommenen Fall einer Aggression Jugoslawiens und Bulgariens - der aber Ende Dezember 1945 noch als

ens (Plan »Larwood«) findet sich auch bei Manfried Rauchensteiner, Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945-1955, Graz 1985, S. 151. Dazu genauer Steven T. Ross, American War Plans 1945-1950, London 1996, S. 38-40. 27 Zur Aufstellung der mit sowjetischen Flugzeugen ausgestatteten jugoslawischen Luft- waffenverbände im Spätherbst 1944 und im Frühjahr 1945 in Serbien und Mazedonien siehe auch Tomas Polak and Christopher Shores, Stalin's Falcons. The Aces of the Red Star, London 1999, S. 372. 29 PRO, AIR 23/6352. Planning Memorandum AHQ Italy: Aggression by Yugoslavia and Bulgaria sowie PRO, AIR 23/6358. Zur Ausstattung der jugoslawischen Luftwaffe mit sowjetischen Schlachtflugzeugen vgl. Hans-Heiri Stapfer, 11-2 Stormovik in action, Car- rollton, TX 1995 (= Squadron/Signal Publications Aircraft, 155), S. 38-41. Zur Ausrü- stung mit Messerschmitt Me 109 Jagdflugzeugen vgl. David Donald, Messerschmitt Bf 109. The later variants, in: Wings of Fame. The Journal of Classic Combat Aircraft, 11 (1998), S. 46-109. 29 PRO AIR 55 /127, Report on the visit to Italy and Austria by Staff Officiers of Air Head- quarters (Operations) B.A.F.O. between 28th August and 3rd September 1946. Appendi- ces »G« und »H«. Die Royal Air Force über Österreich 165 weniger wahrscheinlich als für die nächsten 18 Monate angesehen wurde - vor- erst die massive Verstärkung der im Herbst 1946 aus drei Fighter Bomber Wings und zwei Tactical Reconnaissance Squadrons bestehenden taktischen Fliegerkräf- te der RAF durch einen Fighter Wing aus dem BAFO-Bereich (ausgerüstet mit der Hawker »Tempest II«) und zwei Fighter Bomber Groups der USAAF30, aber schließ- lich auch den begrenzten Einsatz strategischer Luftstreitkräfte der Royal Air For- ce - und im geringeren Maß auch der USAAF - gegen militärisch wichtige Ziele in diesen beiden Staaten vor. Aufgrund ihrer Struktur (praktisch eine infanteriestarke Armee mit nur gerin- gen mechanisierten Anteilen und geringem Motorisierungsgrad) hätten die ju- goslawischen Heeresverbände allerdings in der Aufmarschphase nur schwer zu treffende Ziele für schwere Bomberverbände abgegeben. In der Folge sollten da- her nach den Überlegungen der RAF gemeinsam mit einer noch nicht demobili- sierten amerikanischen Heavy Bomber Group der 15. Air Force Angriffe gegen Kraftwerke und Elektrizitätsversorgungsanlagen nördlich von Sofia und gegen Bahnhofsanlagen im Raum Belgrad und Skoplje geflogen werden. In den Studien wurde ausgeführt, daß bei den Angriffen die unweigerlich auftretenden Verluste an Zivilpersonen und zivilen Einrichtungen in Kauf genommen werden müßten: »This must lead to a certain damage to civilian life and property but there is no other satisfactory strategical target in the country and the attack will be seen and felt by the Government and the people of the capital31.« Bei einer Überprüfung der realen Möglichkeiten der Royal Air Force für den Ein- satz strategischer Bomber gegen Ziele in Jugoslawien und Bulgarien ergab sich je- doch ein ernüchterndes Bild. Im Januar 1946 waren bereits alle im Frühjahr 1945 mit der B-24 »Liberator VI« ausgerüsteten Squadrons der 205. Group nach Ägyp- ten verlegt worden (davon verlegten zwei Staffeln später nach Palästina). Schon bei einer Rückverlegung der Squadrons nach Zypern hätten sich bei Angriffen auf Ziele im Balkanraum möglicherweise erhebliche Probleme mit dem Aktionsradi- us und mit der Bombenzuladung ergeben. Eine rasche Rückverlegung der schwe- ren Bomber Squadrons der 205. Group in den Raum Bari und Foggia wäre aber für die Durchführbarkeit dieser Operationen erste und wichtigste Voraussetzung ge- wesen. Einzelne Staffeln (z.B. die 104. Squadron) waren bis Jahresende bereits auf den viermotorigen Bomber AVRO »Lancaster VII« umgerüstet worden, der über eine höhere Bombenzuladung, aber eine geringere Reichweite als die B-24 »Liberator« verfügte. Zwei mit B-24 »Liberator« ausgerüstete Staffeln der South African Air Force, die seit Frühjahr 1944 Teil der 205. Group gewesen waren, befanden sich schon seit Ende September 1945 in Shallufa in Ägypten, andere Staffeln waren be- reits aufgelöst oder befanden sich unmittelbar vor der Auflösung. Die tatsächliche Zahl der bei den Squadrons in Ägypten und Palästina vorhandenen Lancaster-

30 Nach diesen Planungen war folgende Order of Battle für die alliierten Luftstreitkräfte in Norditalien vorgesehen: Von der Royal Air Force: 112 »Spitfire IX« und 48 P-51 D »Mustangs« der zehn Staffeln (drei Wings) des AHQ Italy, 48 Hawker »Tempest II« der BAFO sowie (angenommen) 144 P-47 D »Thunderbolt« (plus mindestens 38 Reserve- flugzeuge) von Provisional Fighter Groups der USAAF aus Deutschland. Dies hätte - ohne Reserveflugzeuge - eine Stärke von 352 ergeben. 31 PRO, AIR 23/6352, HQ R.A.F.MED/ME, Cairo, 19 October 1945. TS 63809/Plans. Air Action against Yugoslav and Bulgarian aggression. Appreciation and outline Plan. 166 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann

Bomber hätte daher bereits zu Jahresbeginn 1946 auf keinen Fall mehr als fünfzig betragen und sollte tatsächlich bis Jahresbeginn 1947 auf 18 (!) absinken. Die prak- tische Durchführbarkeit der beabsichtigten massiven Luftschläge gegen Jugoslawien und Bulgarien durch die Royal Air Force war damit ab Jahresbeginn 1946 von Wo- che zu Woche unwahrscheinlicher geworden. Im Gegensatz dazu waren für die alliierten taktischen Luftstreitkräfte (leichte Bomber und Jagdbomber) einigermaßen erfüllbare Aufträge formuliert worden. Die Verbände der Desert Air Force sollten durch die britischen Air Forces of Oc- cupations aus Deutschland verstärkt werden und gemeinsam mit einer nach Kla- genfurt oder Graz-Thalerhof verlegten amerikanischen Fighter-Bomber-Group die jugoslawischen Luftstreitkräfte entscheidend schwächen und den Vormarsch ju- goslawischer Heeresverbände in der Provinz Venezia Giulia verzögern. Auf die zu dieser Zeit begrenzte Sicherheit der Flugplätze im Raum Udine und ihre notwen- dige adäquate Luftabwehrkapazität wurde ausdrücklich hingewiesen. Der ange- nommene Vormarsch jugoslawischer Heeresverbände in das Kanaltal hätte die Ver- bindungen zwischen dem britischen XIII. Korps in Norditalien und den britischen Truppen unterbrochen. Im einzelnen sahen die britischen Verteidigungsplanun- gen vor, daß die aus polnischem Personal bestehende 318. Squadron so schnell wie möglich die Anmarschwege zum Kanaltal überwachen und taktische Luftauf- klärung fliegen sollte, ohne dabei eine Grenzverletzung zu begehen. Nach Durch- gabe des Codewortes »Gander« (»prepare for immediate action«) sollte die Masse der britischen Jagdbomber des 324. Wing von Zeltweg nach Campoformido ver- legt werden. Die ausreichende Vorwarnzeit konnte nur durch erfolgreiche Fern- meldeaufklärung und eine ausreichende Anzahl von mobilen Radarstationen ge- währleistet werden. Hinsichtlich der bereits voll angelaufenen Demobilisierungs- maßnahmen wurde allerdings darauf hingewiesen, daß die meisten Squadrons der Royal Air Force in Italien im Frühjahr 1946 jeweils nur noch durchschnittlich acht Flugzeuge einsetzen konnten und bei der British Army um Bereitstellung von Luft- abwehrgeschützen vorstellig werden mußten32. Immerhin wurde am 14. Mai 1946 ein unmittelbar bevorstehender jugoslawischer Angriff auf Venetien oder Kärnten vom Mediterranean Joint Planning Staff für wenig wahrscheinlich gehalten, ob- wohl die Fähigkeit der jugoslawischen Land- und Luftstreitkräfte dazu als ausrei- chend eingestuft wurde. Da kaum nennenswerte Verstärkungen der eigenen Land- und Luftstreitkräfte in kurzer Zeit möglich war, wurde nur eine aktive Verteidi- gung der Linie Triest-Görz-Udine durch das britische XIII. Korps mit ausreichen- der Luftunterstützung als möglich erachtet. Ausdrücklich wurde auch noch dar- auf hingewiesen, daß diese Planungen auf keinen Fall mit den »Polish or Italian Forces in your area« besprochen werden sollten33.

Die Einschätzimg der strategischen Lage im Adriaraum durch die oberste Führung der RAF sollte sich in den nächsten eineinhalb Jahren nicht wesentlich ändern. Wie von höchster Stelle der Royal Air Force die Situation in Jugoslawien noch im Früh- jahr 1948, also nur wenige Wochen vor dem endgültigen Bruch zwischen Tito und Stalin eingeschätzt wurde/legte der Director des Imperial Defence College, Air Mar- shai Sir , in einem Vortrag über die sicherheitspolitische Lage in Europa

32 PRO, AIR 23/6358, HQ Desert Air Force to Air HQ Royal Air Force Italy, 14 March 1946, D.A.F. Plan for Air Action in event of Jugoslav Aggression. 33 PRO, AIR 23/6358, Air HQ RAF Italy to Air HQ Desert Air Force (S. A.S.O), 14 May 1946, Reference to Operation »Kipper«. Die Royal Air Force über Österreich 167

im April 1948 vor dem United States National War College dar. Bezugnehmend auf die Erfahrungen der letzten Monate, der kommunistische Putsch in der Tschecho- slowakei hatte erst wenige Wochen vorher stattgefunden, widmete er sich nach ein- führenden Worten über die gesamtstrategische Lage der britischen Position in Europa bei einem angenommenen konventionellen Krieg mit der Sowjetunion: »Britain can serve [...] as an unsinkable aircraft carrier for the striking forces of the United Nations [...] a Communist Coup in Italy might result in Italian troops with US and British support fighting Jugoslav troops with Russian and Bulgarian support at the head of the Adriatic, with the Quadripartite Commission (the inter-allied body responsible for the administration of Germany) still sitting in Berlin [...] We should not reject the idea of a local trial of strength [...] a localised testing of how much we or they mean business34.« Im Jahr 1946 wurden die Operationen der taktischen Verbände der RAF in Öster- reich in enger Abstimmung mit jenen fliegenden Verbänden in Norditalien trotz des Auftretens erheblicher logistischer Schwierigkeiten weitergeführt. Ab Anfang Mai 1946 begannen intensive Übungen des 324. Wing, dessen Staffeln im Rotations- prinzip, gemeinsam mit den Staffeln des 244. Wing und jenen des 239. Wing (auf dem Flugplatz Lavariano stationiert) von Zeltweg nach Treviso verlegt wurden35. Diese Übungen umfaßten angenommene taktische Luftunterstützung für die 88. US-Infanteriedivision in der Verteidigung, bzw. wie am 25. Juni 1946 in der »Übung »Bedlam« Sturz-Bombenangriffe auf die Brücken über die Piave im Raum San Dona di Piave und am 3. Juli auf Brücken über den Tagliamento. Dabei verun- glückte am 26. Juni der Kommandant der in Zeltweg stationierten 87. Squadron, durch Motorausfall seiner Spitfire bei Treviso tödlich. Die erwähnten Übungen wie- sen deutlich auf die Absicht der Westalliierten hin, die Unterläufe von Tagliamen- to und Piave als Verteidigungslinien gegen einen Angriff aus dem Isonzogebiet zu nutzen36. Wie gespannt die Lage in diesem Raum aber tatsächlich war und wie kri- tisch sie plötzlich werden konnte, zeigten zwei schwere Zwischenfälle im folgenden Monat. Am 9. August 1946 wurde eine C-47 »Dakota« Transportmaschine der USAAF auf dem Weg von Wien nach Udine in der Nähe von Ljubljana von jugos- lawischen Jagdflugzeugen abgeschossen. Zehn Tage später fiel erneut eine US-Trans- portmaschine des gleichen Typs auf dem Flug von Üdine nach Wien Angriffen ju- goslawischer Jagdflugzeuge zum Opfer, wobei diesmal die gesamte Besatzung ums Leben kam. Diese Vorfälle lösten eine schwere diplomatische Krise zwischen den Ver- einigten Staaten und Jugoslawien aus, die erst nach einer Entschädigungszahlung für die Angehörigen der Abschußopfer vorübergehend beigelegt werden konnte37.

34 Zit. nach Michael Howard, Sir John Slessor and the prevention of War, in: Royal Air For- ce Historical Society Journal, 19 (1999), S. 140 und Henry Probert, Marshal of the Royal Air Force Sir John Slessor GCB DSO MC, in ebd., S. 154-158. 35 Der 239. Wing setzte sich Ende 1945 aus drei mit »Mustang IV« ausgerüsteten Staffeln (112., 250., 237.) und einer mit »Spitfire IX« (318.) mit polnischem Personal zusammen. Die 237. Squadron wurde am 1.1.1946 aufgelöst und in die neue 93. Squadron umbe- nannt. Dazu Halley, Squadrons (wie Anm. 17), S. 166. 36 PRO, AIR 26/329, Command Diary 244 Wing 1946. Dabei drängt sich indirekt ein Rück- blick auf die Situation des italienischen Heeres im Herbst 1917 auf. 37 PRO, AIR 24/861, Air HQ RAF Italy, Monthly Report August 1946. Zu diesen Zwi- schenfällen auch Lorraine M. Lees, Keeping Tito afloat. The United States, Yugoslavia and the Cold War, S. 13-18 sowie zur weiteren Politik der westlichen Alliierten gegen- über Jugoslawien Beatrice Heuser, Westem Containment Policies in the Cold War: The Yugoslav Case 1948-53, London, New York 1989. 168 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann

Am 23. September 1946 löste der 244. Wing den 324. Wing in Zeltweg ab. Das Personal litt offensichtlich unter dem viel rauheren Herbst- und Winterklima nörd- lich des Alpenhauptkammes. Extrem schlechtes Wetter führte zu zwei Abstürzen bei Übungs- und bei Patrouillenflügen im Bereich der österreichisch-jugoslawi- schen Grenze. Einen erneuten schweren Zwischenfall gab es am 24. November 1946 südlich von Graz, als eine Spitfire der 87. Squadron ein in den österreichi- schen Luftraum eingedrungenes jugoslawisches Jagdflugzeug vom Typ Yakowlew stellte. Dieses wich jedoch einem Luftkampf aus38.

Die wirtschaftliche Lage Großbritanniens von 1945 bis 1947 und die Demobilisierung der britischen Streitkräfte

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen Großbritanniens für eine Weltmachtrolle waren im Sommer 1945 in keiner Weise mehr erfüllt. Die Staatsfinanzen Großbri- tanniens waren während des Krieges völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Die Deckung der Auslandsschulden durch die britischen Goldreserven, sie betrugen nur einen Bruchteil jener der USA, war im Dezember 1943 nur noch zu knapp 16 Pro- zent gegeben. Im Herbst 1945 hatte die Auslandsverschuldung Großbritanniens die enorme Höhe von 3,35 Mrd. Pfund (14 Mrd. US $) erreicht. Zusätzlich muß- ten Vermögenswerte durch Verkauf und Investitionen im Ausland in der Höhe von 1,18 Mrd. Pfund abgeschrieben werden. Die britische Exportwirtschaft hatte während des Krieges einen Rückgang um 50 Prozent hinnehmen müssen und war bei einigen Gütern im Vergleich zur Vorkriegszeit fast völlig zum Erliegen ge- kommen. Das Pro-Kopf-Einkommen in den USA war 1950 bereits doppelt so hoch wie in Großbritannien39. Die Tonnage der britischen Handelsmarine war in den Jahren 1939 bis 1947 durch die Kriegsverluste (11,5 Mill. BRT) von 21 auf 17,5 Mill. BRT gesunken (trotz des Neubaus von 7,9 Mill. BRT während der Kriegsjahre), während sich die Tonnage der US-Handelsmarine im gleichen Zeitraum verdrei- facht hatte (von 9 auf 27 Mill. BRT)40. Da Ende August 1945 nahezu alle Goldre- serven und Auslandsguthaben Großbritanniens aufgebraucht waren, mußten Schatzkanzler Hugh Dalton und John Maynard Keynes Anfang Dezember 1945 in Washington ein Wirtschaftshilfeabkommen mit den USA unterzeichnen, das auf die reale Machtkonstellation zwischen den westlichen Alliierten mit aller Deut- lichkeit hinwies. Großbritannien erhielt einen Kredit von 950 Mill. Pfund (4,4 Mrd US $) und mußte einer Liberalisierung des Außenhandels zustimmen und dem Abkommen von Bretton Woods, das den Beitritt zur Weltbank und die freie Kon- vertibilität der Währungen gewährleisten sollte, unterzeichnen. 1949 wurde erneut eine massive Abwertung des Britischen Pfund notwendig.

38 PRO, AIR 26/329 244 Wing. Operational Record Book. Monthly Report November 1946. Im Original wird das Ende dieses Zwischenfalles wie folgt beschrieben: »it was thought possible that the Yugoslav aircraft might have crashed into the cloud-covered mountains as this action took place about 1500 feet above the ground.« 39 Paul Kennedy, The Rise and the Fall of British Naval Mastery, London 1983, S. 375; ders., The Rise and the Fall of the Great Powers, New York 1987, S. 475. 40 Alan S. Milward, Der Zweite Weltkrieg, München 1977 (= dtv-Geschichte der Weltwirt- schaft im 20. Jahrhundert, Bd 5; dtv-Wissenschaft, 4125), S. 399. Die Royal Air Force über Österreich 169

Die Einbeziehung Großbritanniens in die Marshallplan-Hilfe ab Juni 1947 brach- te Mittel im Ausmaß von 4,5 Mrd US $ für die britische Wirtschaft, die jedoch noch in einigen Bereichen bis 1954 strengen Lenkungs- und Rationierungsmaßnahmen unterlag41. Trotz dieser unterschiedlichen Zielvorstellungen der Wirtschafts- und Innenpolitik läßt sich eine weitgehende Kontinuität der britischen Außenpolitik auch unter der Labour-Regierung in den Jahren nach dem Krieg nachweisen. Die wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen waren jedoch schon aufgebraucht bzw. rasch im Schwinden begriffen42. Die katastrophale Wirtschaftslage des eige- nen Landes machte jedoch eine rasche Demobilisierung der britischen Streitkräf- te, im Sommer 1945 noch immerhin 5 Millionen Soldaten, davon über 900 000 bei der Royal Air Force notwendig. Während die Demobilisierung der Gesamtstreit- kräfte bis Ende 1946 auf rund 1,1 Millionen Mann im wesentlichen abgeschlossen werden konnte43, sollten sich bei der personellen Demobilisierung der RAF Ver- zögerungen ergeben. Immerhin war es aber in einer mit Hilfe von Staffeln des Bom- ber Command eingerichteten Luftbrücke (»Operation Dodge«) zwischen Bari, bzw. Pomigliano in Italien und Glatton und St. Magwan in England gelungen, von Au- gust 1945 bis Januar 1946 über 55 000 britische Soldaten, darunter zahlreiche An- gehörige der RAF, von denen manche bislang auch in Osterreich Dienst versehen hatten, nach Hause zu transportieren44. Zehntausende weitere Soldaten wurden mit der Eisenbahn und mit Schiffen aus Italien nach Großbritannien zurückge- bracht. Der Personalstand der RAF im Bereich des MEDME-Commands ging da- durch von 133 653 am 1. September 1945 auf 71271 am 31. Dezember 1945 zurück45. Ebenso wurden zu Beginn des zweiten Halbjahres 1946 die Führungsebenen reduziert. Das HQ der Desert Air Force in Udine wurde mit 1. Juli 1946 zum Ad- vanced HQ der RAF Italy, das allerdings bereits die Masse des Stabes aus Caser- ta und Bari aufnahm46. Die materielle Demobilisierung der RAF ging ebenso schnell voran. Bei Kriegsende 1945 hatte die Royal Air Force noch über 9200 Einsatz- flugzeuge und eine Personalstärke von rund einer Million Mann besessen. Am 12. September 1945 ordnete der Air Staff's Director of Organisation die Reduzie- rung der verbliebenen 350 Squadron der RAF auf 242 an: Etwa drei Monate spä- ter wurde eine Stärke von 222 Squadrons und für den 31. März 1946 eine Stärke

41 Dazu äußerst kritisch gegenüber der Wirtschaftspolitik der Labour Party zwischen 1945 und 1950: Correlli Barnett, The Lost Victory. British Dreams, British Realities 1945-1950, London 1996. Zur innenpolitischen Machtverteilung auch Alan Sked and Chris Cook, Post-War Britain. A Political History, London 1993. Zum Marshall-Plan mit Schwerpunkt auf Westdeutschland Gerd Hardach, Der Marshall-Plan. Auslandshilfe und Wiederauf- bau in Deutschland 1948-1952, München 1994 (= dtv-Wissenschaft, 4636). 42 Reinhold Wagnleitner, Die Kontinuität der britischen Außenpolitik nach dem Wahlsieg der Labour Party im Juli 1945, in: Zeitgeschichte, 5 (1978), S. 273-291. Zur britischen Außenpolitik im ersten Nachkriegsjahrzehnt ausführlich: Bernd Ebersold, Machtverfall und Machtbewußtsein. Britische Friedens- und Konfliktlösungsstrategien 1918-1956, München 1992 (= Beiträge zur Militärgeschichte, Bd 31). 43 Dazu Rex Pope, British Demobilization after die Second World War, in: Journal of Con- temporary History, 30 (1995), S. 65-81. 44 John F. Hamlin, Operation Dodge - From Italy with Love, in: Fly Past, September 1997, S. 52-56. 45 Air Chief Marshal Sir David Lee, Wings in the Sim. A History of the Royal Air Force in 1 the Mediterranean 1945-1986, London 1989, S. 4. 46 PRO, AIR 24/861,15 March 1946, Staff Conference on the subject: Amalgation of AHQ Italy - Desert Air Force - AHQ Austria. 170 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann von 206 Squadrons vorgegeben47. Im April 1947 betrug die Stärke der RAF nur noch 1363 Flugzeuge in 141 Squadrons und rund 300 000 Mann. Der »Plan E« vom April 1947 sah weitere massive Reduzierungen vor48. Die rasch dahinschwinden- den Ressourcen der britischen Streitkräfte im westlichen Mittelmeerraum waren durch die beschriebenen ökonomischen Zwänge und die dadurch erforderliche rasche personelle und materielle Demobilisierung bis zum Jahresende 1946 be- dingt. Diese massive Abrüstungsphase bis zum Frühjahr 1947 sollte der Auftakt für einen nun langsamer verlaufenden, aber stetigen Rückzug der britischen Streit- kräfte aus dem Mittelmeerraum und dem Nahen Osten, der allerdings noch rund zwei Jahrzehnte dauern sollte, sein und letztlich auch den Abzug der Kampfver- bände der Royal Air Force aus Österreich einleiten.

Die Sicherheitspolitik Großbritanniens im zentraleuropäischen Raum 1947 und der Rückzug der RAF aus Österreich

Die Übernahme der politisch-militärischen Verantwortung für die militärische Ab- sicherung Griechenlands und der Türkei sowie später für Teile des Nahen Ostens durch die USA infolge der 1947 erlassenen »Truman-Doktrin« brachte schließlich auch der Rolle Großbritanniens in Südeuropa nachhaltige Veränderungen. Der von den Alliierten mit Italien abgeschlossene Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 sah den Rückzug der westalliierten Verbände aus Italien innerhalb von 90 Tagen vor. Tatsächlich zog sich der Rückzug der Masse der britischen Truppen aus Italien bis Juni und jener der US-Truppen bis September 1947 hin. Die mit britischer und anschließend wesentlich stärkerer US-amerikanischer Unterstützung zwischen Sommer 1946 und Jahresbeginn 1948 reibungslos ablaufende Neuorganisation und Neuausrüstung der Italienischen Luftstreitkräfte mit Jagdflugzeugen der Muster P-38 »Lightning«, P-51 D »Mustang« und »Spitfire IX«, die meisten wurden vom 324. Wing der Royal Air Force in Venetien an die italienischen »Stormos«-Ge- schwader übergeben, beschleunigte den Rückzug der britischen und der US-Luft- streitkräfte aus Italien bis zum Spätherbst 194749. Trotz dieser Lieferungen und materiellen Anstrengungen der Westalliierten zum Aufbau effektiver italienischer Streitkräfte wurden diese in einer Beurteilung im Sommer 1949 für eine effektive Verteidigung des norditalienischen Raumes noch als inadäquat eingestuft50.

47 Bruce Robertson, What's in Store?, in: Aeroplane Monthly, October 1995, S. 36-39. 48 Fowler [et al.], RAF Records (wie Anm. 2), S. 87 sowie Rawlings, The History of the Roy- al Air Force (wie Anm. 4), S. 178. 49 Nach Lee, Wings in the Sun (wie Anm. 45), erfolgte die endgültige Auflösung des HQ RAF Italy erst im Oktober 1947. Zum Friedens vertrag mit Italien siehe Treaties of Peace with Italy, Romania, Bulgaria, Hungary and Finland. Text for signature in Paris 10 Fe- bruary 1947, London 1947. Zur Entwicklung der italienischen Luftstreitkräfte nach 1945 Rosario Abate, Storia della Aeronautica Italiana, Milano 1974, S. 343-347 und Emilio Brotzu, Aerei italiani nel dopoguerra. Caccia, Roma 1983 (= dimensione cielo, 16). 50 Beatrice Heuser, Western »Containment« Policies of the Cold War. The Yugoslav Case 1948-1953, London 1989, S. 116. Die Royal Air Force über Österreich 171

Die sich im Herbst 1947 beschleunigende Entfremdung zwischen Tito und Sta- lin sollte im Juni 1948 zum endgültigen Bruch zwischen der Sowjetunion und Ju- goslawien führen. Rasch kam es nun zu einer wesentlichen Entspannung zwi- schen Großbritannien und den USA einerseits und Jugoslawien andererseits, die sich schließlich in Waffenlieferungen der USA und Großbritanniens an die jugo- slawischen Streitkräfte und einer engen militärischen Zusammenarbeit zwischen den drei Staaten in den ersten zwei Dritteln der fünfziger Jahre niederschlagen sollte51. Für die Royal Air Force in Österreich bedeutete die Demobilisierung bereits vor diesen Änderungen im Januar 1947 den Abzug der letzten Kampfflugzeuge aus ihrer Besatzungszone. Anfang Januar 1947 verlegten alle 44 vorhandenen Spit- fire - Jagdflugzeuge des 244. Wing von Zeltweg nach Treviso. Fünf Tage später wurde der 244. Wing und seine Staffeln aufgelöst. Von den nur noch temporären Verlegungen einiger britischer Jagdstaffeln nach Schwechat und Zeltweg im Früh- jahr und Sommer 1947 abgesehen, waren ab Herbst 1947 praktisch keine briti- schen Kampfflugzeuge mehr in Österreich stationiert. Im Sommer 1947 kam es zur kurzfristigen Verlegung von drei mit Hawker »Tempest II«-Jagdflugzeugen ausgerüsteten Staffeln des 135. Wing der BAFO (British Air Forces of Occupati- on) aus Fassberg in Norddeutschland nach Zeltweg. Zu Jahresbeginn 1948 ver- legte die Wing noch einmal für kurze Zeit nach Schwechat. Diese Verlegungen waren routinemäßig vorbereitet und sollten neben einer »showing the flag«-Funk- tion bei einer krisenhaften Entwicklung, vor allem mit Jugoslawien, Luftunter- stützung für die bereits stark reduzierten britischen Truppen in Österreich si- cherstellen. Sie blieben aber letztlich Episode. Militärische Transportflugzeuge der RAF wurden im größerem Ausmaß ebenfalls nicht mehr, von einzelnen Zwi- schenlandungen abgesehen, über Österreich eingesetzt. Der militärische Flug- verkehr wurde weitgehend nur noch von Kurier- und Verbindungsflugzeugen der RAF bis 1955 bestritten. Nach wie vor blieb vor allem der Flugplatz Schwechat eine Drehscheibe des britischen Luftverkehrs in und über Österreich und - in ge- wissem Maß - auch ein Instrument für das »showing the flag« der britischen Be- satzungstruppen52. Im September 1952 schlug jedoch der Kommandant der Air Division der britischen Besatzungstruppen, Wing Commander Boardman, vor, den zivilen Abfertigungsdienst, der bis dahin durch die British European Airways (ΒΕΑ) wahrgenommen worden war, österreichischen Stellen zu übergeben. Nach diversen Anfangsschwierigkeiten konnte die neugeschaffene österreichische »Flug- hafenbetriebsgesellschaft« ab März 1953 die Abfertigung von zivilen Passagier- und Frachtmaschinen, vorerst noch als »Austrian Handling Unit« von den Besat- zungstruppen formal angestellt, übernehmen53. Anfang 1954 nahm die »Wiener Flughafenbetriebsgesellschaft m.b.H.«, Aufsichtsratsvorsitzender war der frühe-

51 Ebd., S. 155-183. 52 PRO, AIR 55/10 Internal Air Service within the three Western Zones, 1949/50. 53 PRO, AIR 55/13 Air Ministry to Air Division ACA (BE) Vienna, 2 December 1949. Pos- sible Withdrawal of all R.A.F Personnel from Austria for economical reasons. Besonders interessant ist die vorhergehende Korrespondenz im Archivbestand von Air Marshai Williams, Commander der British Air Forces of Occupation (BAFO) mit dem britischen Hochkommissar in Österreich General Sir Alexander Galloway; sowie aus österreichischer Sicht Wolfram Lenotti, Mehr als ein Landeplatz. Geschichte, Funktion und Zukunft des Flughafen Wien, Wien 1988, S. 44. 172 MGZ 61 (2002) Wolfgang Etschmann re Leiter des Heeresamts im Jahr 1945, Staatssekretär a.D. Franz Winterer, ihre Ar- beit auf, die neben der Abfertigung von Zivilflugzeugen in der Beseitigung der noch immer beträchtlichen Kriegschäden im Bereich des Flugplatzes bestand. Der Abschluß des Osterreichischen Staatsvertrages brachte innerhalb weniger Mona- te den Wegfall für die Beschränkungen in der österreichischen Zivil- und schließ- lich auch etwas später der Militärluftfahrt. Das Ende der Besatzungszeit führte im Spätsommer und Herbst 1955 zur Über- gabe der von den westlichen Alliierten genutzten Luftfahrteinrichtungen, aber auch jener der sowjetischen Besatzungsmacht an die österreichischen Behörden. Das britische Besatzungselement löste diese Aufgabe ebenso unspektakulär wie überhaupt die letzten Jahre der britischen Besatzung durchaus ruhig verlaufen wa- ren. Die kleine RAF-Unit in Schwechat versah ihren Dienst nahezu bis zum offizi- ellen Ende der Besatzungszeit, während der Flugplatz Zeltweg bereits Anfang Sep- tember 1955 in einer kleinen Zeremonie den österreichischen Behörden übergeben wurde. Die Anlagen des Flugplatzes Klagenfurt waren bereits 1952 der Bundes- gebäudeverwaltung II übergeben worden, eine kleine Truppe der RAF fertigte je- doch noch bis zum Spätsommer 1955 die immer seltener landenden britischen Mi- litärflugzeuge ab54. Auch der Flugplatz Thalerhof ging bis zum Herbst 1955 wieder vollständig in die österreichische Verwaltung über. Die Präsenz der Royal Air Force über einem besetzten Österreich war endgültig zu Ende gegangen.

54 Dazu Posch, Flughafen Klagenfurt (wie Anm. 17), S. 106; Eduard Schober, Luftfahrt in Kärnten, Klagenfurt 1995, S. 104-108. Der Versuch, aus den Dokumenten den Besat- zungsalltag (unter Einschluß der oral history Methode) nachzuvollziehen, stößt auf kei- ne unlösbaren Schwierigkeiten. Die Operational Record Books (Kommandotagebücher) und Monthly Reports der britischen Luftwaffenverbände zeigen im damaligen Alltags- leben viele menschliche, manchmal allzumenschliche Züge der verschiedenen Beteilig- ten. Bereits im Hochsommer 1945 entspannte sich das alltägliche Verhältnis zwischen den britischen Soldaten in Österreich und der Mehrheit Zivilbevölkerung, obwohl die po- litische und wirtschaftliche Kontrolle, Zensur und Jurisdiktion zumindest bis 1949 wei- terhin mit großer Strenge durch die britischen Besatzungstruppen ausgeübt wurden. Ei- nen Hinweis darauf bedeutete die Lockerung des Fraternisierungsverbots im Juli 1945 und bereits Erleichterungen und ein entspannteres Verhältnis im Umgang mit der öster- reichischen Zivilbevölkerung: »a) Fraternisation ban was lifted on 15th July (by the Eighth Army) [...] in view of the good behaviour of the Austrian people it has been decided to relax the non-fraternisation [...] but marriages with Austrian women are strictly forbid- den [...] e) The present relaxation is not intended that we have forgotten the misdeeds of Austrians nor that we are prepared to admit her to our full confidence and friendship [...] the relaxation of fraternisation is not related to POW or SEP [Surrendered Enemy Personnel - der Verf.] - even öf Austrian nationality.« Sehr rasch dürfte es zu entspann- teren Verhältnissen und auch schließlich zu einer merkbaren Fratemisierungswelle im Herbst und Winter 1945 gekommen sein, wofür die quellenmäßig nachweisbaren in- tensiven guten Kontakte vieler britischer Soldaten - auch von Angehörigen der RAF - zur Kärntner und Steirischen Zivilbevölkerung sprechen. Diverse Meldungen in den Monthly Reports über eine vom Wing veranstaltete Weihnachtsfeier für Kinder aus Zelt- weg und der Umgebung (im Monthly Report December 1945 - der Verf.): »27 December, 15 p.m.: Children Party« [...]; »31. December 1945: New Year's Eve Ball in Hangar: Beer, Buffet and at least 150 beautiful ladies.«; [...] »26 September: Club in Judenburg was ope- ned under the Direction of 244 Wing with a large party attended by many local frau- leins«. Die Royal Air Force über Österreich 173

Zusammenfassung

Zweifellos sind die temporäre Präsenz und die operativen Überlegungen der bri- tischen Teilstreitmacht Royal Air Force in Osterreich zwischen 1945 und 1947 nur im wesentlich größeren Zusammenhang der britischen Nachkriegsstrategie in Eu- ropa zu sehen. Die erste Phase der Präsenz der britischen Luftstreitkräfte in Öster- reich am Beginn der Besatzungszeit war die militärische Absicherung des ohne Kampfhandlugen verlaufenden Einmarsches der britischen 8. Armee in Österreich und der Etablierung der Verbände. Sehr rasch drohte aber nach Einschätzung der militärischen Führung der britischen Streitkräfte im Mittelmeerraum die bereits Anfang Mai 1945 äußerst gespannte Situation mit Jugoslawien zu eskalieren und es hätte letztlich durch den Übergang zur offenen Konfrontation zwischen briti- schen und jugoslawischen Truppen die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzun- gen im österreichisch-jugoslawischen Grenzraum sowie in Julisch-Venetien beste- hen können. Die Befürchtungen der Westalliierten über einen jugoslawischen Ein- marsch (mit sowjetischer Billigung oder gar Unterstützung) in diese Regionen und eine Intervention jugoslawischer und bulgarischer Streitkräfte in den neuaufflam- menden Bürgerkrieg in Griechenland gingen schließlich so weit, daß bereits im Herbst 1945 Überlegungen für strategische Luftkriegsoperationen gegen Jugosla- wien und auch Bulgarien vorangetrieben wurden. Die taktischen Luftstreitkräfte der RAF in Österreich und in Norditalien begannen gemeinsam mit den anderen Teilstreitkräften Großbritanniens Defensivmaßnahmen gegen einen befürchteten Überraschungsangriff der jugoslawischen Luftstreitkräfte einzuleiten und in Ve- netien »Close Air Support«-Einsätze zu üben. Letztlich zwangen aber die politi- schen und wirtschaftlichen Vorgaben die britische militärische Führung vorerst, die in Europa stationierten Land- und Luftstreitkräfte im Zuge der raschen De- mobilisierung bis zum Jahresbeginn 1947 erheblich zu reduzieren bzw. sogar aus einigen Regionen - wie aus Österreich - völlig abzuziehen. Die Präsenz der ge- ringen Reste der britischen Luftstreitkräfte in Österreich hatte danach nur noch marginale Bedeutung, obwohl ab 1950 die Verbände der Royal Air Force in Deutsch- land wie auch jene der British Army - beschleunigt durch die Vorgaben der NATO- Führung - eine erhebliche quantitative Verstärkung und Modernisierung erfuh- ren. Die Präsenz, die Operationsplanungen und die Operationen der Royal Air Force in Norditalien und Österreich bilden daher auch eine mikrokosmische Wi- derspiegelung des »Kalten Krieges«, die damals die politisch-militärisch handeln- den Zeitgenossen zwang, das Bedrohungsbild über den in absehbarer Zeit mögli- chen Ausbruch einer militärischen Ost-West-Konfrontation ernstzunehmen55.

Dazu auch Erwin A. Schmidl, »Rosinenbomber« über Wien? Alliierte Pläne zur Luft- versorgung Wiens im Falle einer sowjetischen Blockade 1948-1953, in: Österreichische Mi- litärische Zeitschrift, 36 (1998), S. 411-418. Zur britischen Nachkriegsstrategie in Mittel- europa vgl. Anne Deighton, Britain, the Division of Germany and the Origins of the Cold War, Oxford 1993. Für die Förderung dieses Forschungsprojekts möchte ich an dieser Stelle dem Beauftragten für Strategische Studien und Leiter des Militärwissenschaftli- chen Büros (MWB) im Bundesministerium für Landesverteidigung, Herrn Sektionschef Hon. Prof. DDr. Erich Reiter, sowie für die ausführlichen Gespräche und wertvollen Hin- weise meinem Kollegen Dr. Erwin A. Schmidl (Landesverteidigungsakademie/BMLV) sowie Herrn Univ. Prof. Dr. Siegfried Beer (Universität Graz) sowie Herrn Dr. Sebastian Cox vom Air Historical Branch, British Ministry of Defence (London), herzlich danken.