Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 17/173

Deutscher

Stenografischer Bericht

173. Sitzung

Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Inhalt:

Nachträgliche Ausschussüberweisung ...... 20471 A Dieter Jasper (CDU/CSU) ...... 20490 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 20491 C Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Tagesordnungspunkt 32: Pfeiffer, Nadine Schön (St. Wendel), Peter a) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin Altmaier, weiterer Abgeordneter und der von Notz, (Köln), Kai Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- Gehring, weiterer Abgeordneter und der neten Dr. , Dr. Martin Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lindner (Berlin), Claudia Bögel, weiterer Ab- EU-Datenschutzreform unterstützen geordneter und der Fraktion der FDP: Wachs- (Drucksache 17/9166) ...... 20493 C tumspotenziale der Digitalen Wirtschaft weiter ausschöpfen – Innovationsstandort b) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin Deutschland stärken von Notz, Volker Beck (Köln), Ingrid (Drucksache 17/9159) ...... 20471 B Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dr. Philipp Rösler, Bundesminister Völlige Unabhängigkeit für den Bun- BMWi ...... 20471 B desdatenschutzbeauftragten (SPD) ...... 20473 D (Drucksache 17/6345) ...... 20493 C Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) ...... 20475 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- Garrelt Duin (SPD) ...... 20476 B ordneten Dr. , Nicole Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 20476 D Maisch, Tabea Rößner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (DIE LINKE) ...... 20478 C GRÜNEN: Grundrechte schützen – Da- (BÜNDNIS 90/ tenschutz und Verbraucherschutz in so- DIE GRÜNEN) ...... 20479 C zialen Netzwerken stärken (Drucksachen 17/8161, 17/9198) ...... 20493 D Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) ...... 20480 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ (Peine) (SPD) ...... 20482 A DIE GRÜNEN) ...... 20493 D (SPD) ...... 20483 C Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär Manuel Höferlin (FDP) ...... 20485 C BMI ...... 20495 D Gerold Reichenbach (SPD) ...... Dr. (DIE LINKE) ...... 20486 D 20497 C Jörg-Uwe Hahn, Staatsminister (Hessen) . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ 20500 A DIE GRÜNEN) ...... 20488 A (DIE LINKE) ...... 20501 A Manuel Höferlin (FDP) ...... 20489 B Sebastian Blumenthal (FDP) ...... 20501 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) ...... 20503 C (CDU/CSU) ...... 20521 A Gerold Reichenbach (SPD) ...... 20504 B Bernd Scheelen (SPD) ...... 20522 D (SPD) ...... 20506 A Manuel Höferlin (FDP) ...... 20506 C Tagesordnungspunkt 35: Gisela Piltz (FDP) ...... 20507 C Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 20508 D Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kirsten Lühmann (SPD) ...... 20511 A Alleinerziehung von Kindern würdigen – Alleinerziehende gebührend unterstützen Sebastian Blumenthal (FDP) ...... 20511 D (Drucksache 17/8793)...... 20524 A (CDU/CSU) ...... 20512 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 20524 A Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 20525 C Tagesordnungspunkt 34: (SPD) ...... 20526 D Antrag der Fraktion der SPD: Umsetzung (FDP) ...... 20528 B von Basel III: Finanzmärkte stabilisieren – Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ Realwirtschaft stärken – Kommunal- DIE GRÜNEN) ...... 20529 C finanzierung sichern (Drucksache 17/9167) ...... 20514 A (CDU/CSU) ...... 20530 B Manfred Zöllmer (SPD) ...... 20514 B Nächste Sitzung ...... 20531 D Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20515 B (CDU/CSU) ...... 20515 C Anlage 1 Richard Pitterle (DIE LINKE) ...... 20517 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 20533 A Björn Sänger (FDP) ...... 20518 B Anlage 2 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 20519 D Amtliche Mitteilungen ...... 20534 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20471

(A) (C)

173. Sitzung

Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Technologien keine Bedrohung, sondern zuallererst eine Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Riesenchance für die Menschen in unserem Lande. Sitzung ist eröffnet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Interfraktionell ist vereinbart worden, den Entwurf ei- nes Gesetzes zur Einführung eines pauschalierenden Nirgendwo kann man das besser erkennen als im Be- Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische reich der modernen Informations- und Kommunikations- Einrichtungen auf Drucksache 17/8986 dem Ausschuss technologie. Schon jetzt sehen wir enormes Wachstum: für Arbeit und Soziales nachträglich zur Mitberatung über 840 000 Beschäftigte, 145 Milliarden Euro Umsatz. zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre Aber was noch viel wichtiger ist: Das, was früher einmal keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Webstuhl, Dampfmaschine oder auch Eisenbahn waren, sind heute eben Computer, Internet und Smartphones. Ich rufe als Erstes den Tagesordnungspunkt 31 auf: Wesentlich ist, dass die Dinge miteinander verschmel- (B) Beratung des Antrags der Abgeordneten zen: auf der einen Seite die klassischen Industrien und (D) Dr. , Nadine Schön (St. Wendel), auf der anderen Seite die neuen Informations- und Kom- , weiterer Abgeordneter und der munikationstechnologien. Hierin stecken die eigentli- Fraktion der CDU/CSU chen Wachstumspotenziale. So wie es mit der Erfindung sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto des mechanischen Webstuhls die erste industrielle Revo- Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia lution gab, mit der maschinellen Produktion die zweite Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion industrielle Revolution gab und mit der Einführung der der FDP elektronischen Datenverarbeitung die dritte industrielle Revolution gibt, brauchen wir jetzt die Verknüpfung der Wachstumspotenziale der Digitalen Wirt- Produkte und Maschinen mit dem Internet, das Internet schaft weiter ausschöpfen – Innovationsstand- der Dinge, und genau dafür setzt sich diese Regierungs- ort Deutschland stärken koalition ein, für eine Industrie 4.0. – Drucksache 17/9159 – (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Für eine Ver- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für knüpfung der Dinge, nicht der Menschen!) die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Wir wollen eine moderne Wirtschaft, die Informations- Widerspruch dagegen? – Das ist offenkundig nicht der und Kommunikationstechnologien umfassend einsetzen Fall. Dann ist das so beschlossen. kann. Darin stecken große Chancen für die Volkswirt- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- schaft in unserem Lande. ner dem Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) das Wort. Wenn wir die Chancen nutzen wollen, müssen drei (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wesentliche Voraussetzungen erfüllt werden:

Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft Erstens: eine gut ausgebaute Infrastruktur, also ein und Technologie: Breitbandnetz in Deutschland. Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Damen und Herren Abgeordnete! Zunächst einmal NEN]: Daran mangelt es!) danke ich ausdrücklich für den Antrag zum Thema Chancen der digitalen Wirtschaft. Dieser Antrag macht Zweitens: eine kluge, eine richtige Regulierung dieser eines deutlich: CDU/CSU und FDP sehen in neuen neuen digitalen Welt. 20472 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Bundesminister Dr. Philipp Rösler (A) Drittens: eine andere Grundeinstellung, eine andere hang dann andere, weniger hohe Datenschutzvorschrif- (C) Geisteshaltung, wie wir mit Technologien, wie wir mit ten gelten, als wenn es sich um personenbezogene Daten Innovationen in Deutschland umgehen. handelt. Das heißt, man muss immer die richtige Balance zwischen dem Datenschutzbedürfnis der Menschen auf Was den ersten Bereich angeht, ist schon einiges ge- der einen Seite und unternehmerischen Chancen und schafft. Schon heute hat die Hälfte der Menschen einen Wachstumsmöglichkeiten im Internet auf der anderen Internetanschluss mit mehr als 50 MBit/s. Gerade ist im Seite finden. Deutschen Bundestag und im Bundesrat die Telekom- munikationsnovelle verabschiedet worden; dem voraus (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gingen Beratungen im Vermittlungsausschuss. Mit die- Nun ist eine Regelung gefunden worden. Eine Rege- ser Novelle sind die besten Voraussetzungen für einen lung muss auch in anderen Bereichen gefunden werden. noch schnelleren Ausbau des Breitbandnetzes in Sonst wird es nicht gelingen, die Wachstumspotenziale, Deutschland geschaffen worden. die uns die digitale Welt bietet, zu heben. Wir werden die Es gibt künftig dauerhaft und langfristig angelegte Diskussion über Leistungsschutzrecht, aber auch über und damit planbare Anreizregulierungen im Bereich des Maßnahmen im Kampf gegen Internetpiraterie führen Netzausbaus. Wir erleichtern künftig die Nutzung auch müssen. klassischer Infrastrukturen wie Leerrohre. Auch die In- Das ist auch, aber nicht nur eine Aufgabe der Politik. vestitionsbedingungen werden deutlich verbessert, etwa Um es hier einmal ganz klar zu sagen: Wir erwarten na- wenn sich mehrere Investoren zusammenfinden. türlich zuallererst von der Wirtschaft, dass sie Geschäfts- Diese Anreize sind für uns das Entscheidende. Die modelle entwickelt, die von vornherein Piraterie verhin- Herausforderungen sind groß. Bis zum Jahr 2018 wollen dern. Allein nach dem Gesetzgeber, nach dem Staat zu wir eine flächendeckende Versorgung von Anschlüssen rufen, das wäre der falsche Weg. Wenn es darum geht, mit mehr als 50 MBit/s erreichen. Wenn wir diese An- Internetpiraterie zu verhindern, sehen wir zunächst ein- schlüsse haben wollen, dann müssen wir ordnungspoli- mal die Wirtschaft in der Verantwortung. tisch weiter auf die guten Grundsätze der sozialen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf Marktwirtschaft setzen. Das heißt, die Politik setzt den des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ richtigen Rahmen, aber nur die Wirtschaft wird in der DIE GRÜNEN]) Lage sein, diesen Rahmen vernünftig auszufüllen. Das Dritte ist die Frage der Grundhaltung: Wie stehen (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir den neuen Technologien gegenüber? Schauen Sie NEN]: Dann setzt doch einmal den richtigen sich einmal die Branche an: junge, hochmotivierte, Rahmen!) (B) hochengagierte und enorm kreative Start-ups. Wenn (D) Gerade angesichts dieser großen Herausforderungen diese Start-ups unternehmerisches Wachstum generieren dürfen wir die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft wollen, brauchen sie zuallererst neue Fachkräfte. auch in der digitalen Welt nicht aufgeben. Deswegen war es richtig, dass gerade in dieser Woche (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die Regierungskoalition eine gute Lösung für die qualifi- der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] zierte Zuwanderung in den ersten Arbeitsmarkt gefun- [SPD]: Minister der Schande da vorne!) den hat. Gerade die IT-Branche braucht eine qualifizierte Zuwanderung. Das ist ein guter Beitrag, um Start-ups Das Zweite ist die Regulierung. Wir brauchen eine eine echte Hilfe beim unternehmerischen Wachstum mit Regulierung, die den Unternehmen und den Menschen auf den Weg zu geben. die Chance gibt, in der digitalen Welt zu investieren. Es muss klar sein, dass es eine Verlässlichkeit im Sinne von (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Planungssicherheit und auch Refinanzierungsmöglich- der CDU/CSU) keiten gibt. Gleichzeitig darf die Regulierung nicht dazu Diese jungen Unternehmen brauchen auch ausrei- führen, dass Kreativität, Schaffenskraft oder Unterneh- chendes Kapital. Wir haben den High-Tech Gründer- mertum im Keim erstickt werden. fonds und weitere Gründungsfördermaßnahmen. Wenn Das beste Beispiel ist die Diskussion über die Cookie- wir die kreativen Unternehmen weiter fördern wollen, regeln, die wir im vergangen Jahr auch mit der EU- dann brauchen wir mehr Risikokapital und Menschen, Kommission geführt haben. Wenn man Cookies so be- die bereit sind, Risikokapital für diese jungen Unterneh- handelt wie personenbezogene Daten und sie auch den men zur Verfügung zu stellen. gleichen Datenschutzvorgaben unterwirft, dann wird das Deswegen plant die Bundesregierung, die Möglich- im Ergebnis dazu führen, dass jegliches Geschäftsmodell keiten zur Bereitstellung von Risikokapital in Deutsch- in Deutschland und in Europa von vornherein zunichte- land zu verbessern. Bei den Verlustvorträgen brauchen gemacht wird, weil man dann womöglich bei jedem wir bessere Regelungen. Wir brauchen mehr Steuer- Klick auf eine Internetseite sein Einverständnis geben transparenz. Außerdem ist die Umsatzsteuerbenachteili- muss. Das macht man vielleicht zwei- oder dreimal, und gung von deutschen Venture-Capital-Fonds im Vergleich dann hat man die Nase voll. zu französischen und anderen europäischen Venture-Ca- Deswegen war die Entscheidung richtig, zu sagen, pital-Fonds immer noch deutlich zu groß. Wer das dass Cookies nicht automatisch personenbezogene Da- Wachstum junger Unternehmen in der Internetbranche ten enthalten. Deswegen müssen in diesem Zusammen- fördern will, der muss auch für Risikokapital sorgen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20473

Bundesminister Dr. Philipp Rösler (A) Das haben wir uns in dieser Regierungskoalition ge- Wir sind zum Glück einen Schritt weiter. Wir werden (C) meinsam zur Aufgabe gemacht. diese Wachstumspotenziale nur dann heben können, wenn wir in den Bereichen Infrastruktur, Regulierung (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und auch Finanzierung die richtigen Rahmenbedingun- Es geht aber nicht nur um den Aufbau der Infrastruk- gen setzen. Das ist aber nur dann möglich, wenn wir tur, die Regulierung oder auch die Finanzierung, sondern technologieoffen an die neuen Kommunikationsformen es kommt auch auf die Grundhaltung an. Es geht grund- herangehen. sätzlich um die Frage: Wie gehen wir mit neuen Techno- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten logien um? Hier wurden in der Vergangenheit in anderen der CDU/CSU) Branchen Fehler gemacht, die wir gerade in der digitalen Welt nicht wiederholen dürfen. Wir sind dazu bereit. Der vorliegende Antrag zeigt genau das. Wir wollen die Chancen, die uns die digitale Bestes Beispiel ist die Biotechnologie. Hier gibt es Wirtschaft bietet, gemeinsam nutzen, durch eine Grund- eine neue Chance, neue Forschung, neue Ideen, Innova- haltung, die fortschrittsoptimistisch ist, und eine Einla- tionen und auch Kreativität. Es gibt aber auch die Fort- dung an die jungen kreativen Menschen, die sich in die- schrittsskeptiker und Fortschrittsverweigerer, die eine sem Bereich niederlassen und ein Unternehmen gründen ganze Industriebranche zunichtegemacht haben, was im wollen. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Ergebnis dazu geführt hat, dass große Unternehmen ihre der Regierung und der Opposition. Die Menschen ge- Biotechnologieforschung längst aus Deutschland heraus rade in der digitalen Welt können sich auf diese Regie- verlagert haben. Diesen Fehler dürfen wir nicht noch rungskoalition verlassen. einmal machen, schon gar nicht in der digitalen Welt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – [SPD]: Das muss alles Bei der Nanotechnologie deutet sich so etwas an. geprüft werden, was er gesagt hat!) Deswegen muss man hier gleich sagen: Wir müssen fort- schrittsoptimistisch sein. Wir müssen eher die Chancen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sehen als die Risiken. Darin unterscheiden wir uns in Das Wort hat jetzt der Kollege Garrelt Duin von der dieser Koalition von der Opposition, die im Zweifel im- SPD-Fraktion. mer erst die Risiken sieht und vor Gefahren warnt. (Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal zur (D) NEN]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist Sache! – [BÜNDNIS 90/DIE überhaupt nicht wahr!) GRÜNEN]: Jetzt redet mal jemand über das Gerade die Grünen, die den Kopf schütteln, haben doch Thema!) immer irgendetwas gegen etwas Neues, ob Autobahnen, Infrastruktur oder gerade die modernen Kommunika- Garrelt Duin (SPD): tionsformen. Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister hat interessanterweise mehr- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fach darauf hingewiesen, dass es um die Grundhaltung der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das und darum gehe, die Potenziale und Chancen, die im Be- sind ja lauter olle Kamellen!) reich der digitalen Wirtschaft vor uns liegen, ehrlich zu – Die ollen Kamellen, Frau Kollegin, stecken bei den benennen. In der Tat schreitet die Digitalisierung der einzelnen Kollegen vor allem zwischen den Ohren, näm- Volkswirtschaft massiv voran. Damit sind enorme Chan- lich im Kopf, weil sie so technologiefeindlich sind. Das cen verbunden. behindert das Wachstum der modernen Telekommunika- Die Arbeitsbedingungen der Menschen verändern tionsunternehmen. sich aufgrund der Digitalisierung. Wir erleben, dass (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- viele kleine und mittelständische Unternehmen die NEN]: Wir sind nicht technologiefeindlich! Im Chancen nutzen und dass sich junge Menschen selbst- Gegenteil!) ständig machen, was wir ausdrücklich begrüßen; aber gleichzeitig wird deutlich, dass die Menschen Sicherheit – Im Gegenteil? Es war doch Ihr Herr Kuhn, der im letz- im Umgang mit dem Netz wollen. Genauso wie die Un- ten Jahr die Diskussion mit geführt ternehmen wollen sie aber auch Planungssicherheit. Es und verloren hat; denn Christian Lindner hat noch ein- wäre gut gewesen, sehr geehrter Herr Minister, liebe Ko- mal daran erinnert, dass Herr Kuhn, der heute übrigens alitionsfraktionen, wenn Sie in Ihrem Antrag „Wachs- nicht anwesend ist, vor den ökologischen und sozialen tumspotenziale der Digitalen Wirtschaft weiter aus- Gefahren moderner Kommunikationsformen gewarnt schöpfen“ auch darauf eingegangen wären. hat, etwa vor Bildschirmtext und ISDN-Telefonen. Aber es setzt sich fort, was wir in den letzten zwei bis (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zweieinhalb Jahren in vielen anderen Politikbereichen NEN]: Belegen Sie uns mal das, was Sie eben erlebt haben, ob beim Wachstumsbeschleunigungsge- gesagt haben!) setz, beim Haushaltsbegleitgesetz, bei der Luftverkehr- 20474 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Garrelt Duin (A) steuer, bei dem Hü und Hott in der Energiepolitik oder Riesenhuber und dem stellvertretenden Vorsitzenden der (C) vielem anderen mehr. Die Reihe ließe sich noch viel CDU/CSU-Fraktion –, erfahren wir anderes. Da wurde weiter fortsetzen. Sie kündigen an, aber konkrete gesagt: Wir müssen mehr für Forschung und Entwick- Schritte lassen Sie vermissen. Das wird hier heute wie- lung tun. Da wäre zum Beispiel die steuerliche For- der deutlich. schungsförderung ein wichtiges Instrument. Dann ist zu Recht der Zwischenruf gekommen: Wer regiert denn (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hier eigentlich seit zweieinhalb Jahren? Es steht doch al- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – les in der Koalitionsvereinbarung, aber es wird nicht um- Thomas Oppermann [SPD]: Ankündigungs- gesetzt; es wird immer nur angekündigt. weltmeister!) Gehen wir einmal die einzelnen Themen durch. Wie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ist denn Ihre Bilanz, zum Beispiel beim Breitbandaus- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bau? In der Breitbandstrategie der Bundesregierung Der vierte Punkt ist ebenso dramatisch. Es nützt haben Sie das Ziel formuliert, bis Ende 2010 eine flä- nichts, wenn Sie darüber sprechen, dass wir Fachkräfte chendeckende Breitbandgrundversorgung mit einer Ge- brauchen; Sie müssen auch ein konkretes Programm vor- schwindigkeit von 1 MBit/s zu schaffen. legen, wie wir Potenziale im Bereich der MINT-Berufe (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- heben können und wie eine solche Initiative aus der Poli- NEN]: Das ist kein Breitband mehr!) tik heraus gemeinsam mit den Unternehmen, mit den Unternehmern, mit gesellschaftlichen Gruppen aussehen Dieses Ziel, so müssen wir feststellen, haben Sie ver- kann, eben eine Initiative für mehr Technikfreundlich- fehlt. keit, für mehr Technikoffenheit. Sie sagen heute hier – Sie betonen es noch einmal –, Das würden wir gern gemeinsam auf den Weg brin- dass das zweite Ziel der Bundesregierung sei, bis zum gen. Inzwischen ist es so, dass aus dem Umfeld der Un- Jahr 2014 eine Versorgung von 75 Prozent der Haushalte ternehmer viele auf uns zukommen und sagen: Da ist mit mindestens 50 MBit/s zu realisieren. In Ihrem eige- eine richtige Idee. Wir wollen das mit der Opposition be- nen Monitoringbericht zur Breitbandstrategie wird fest- sprechen; gestellt, dass die Ausbauanstrengungen deutlich zu verstärken seien, um dieses Ziel zu erreichen. Jeder (Lachen des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ Fachverband bestätigt Ihnen und der deutschen Öffent- CSU]) lichkeit, dass Sie von diesem Ausbauziel meilenweit ent- fernt sind und dieses Ziel erneut verfehlen werden, denn in der Regierung haben wir keinen Ansprechpart- (B) ner, um eine solche Initiative zu starten. (D) (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zu- weil – das ist der zweite Punkt – Investitionen bei Ihnen rufe von der FDP: Oh!) eine untergeordnete Rolle spielen. Sie haben über Grundhaltungen gesprochen, Herr Wir haben eine überall spürbare Investitionsschwä- Minister, und haben, wie üblich, die Rolle des Staates che. Jeder internationale Vergleich belegt das. Ich zitiere wie folgt beschrieben: Er soll maximal vielleicht einmal jetzt einmal den IWF. Die IWF-Experten stellen einen ein Gesetz machen, aber muss ansonsten untätig bleiben. – erheblichen Mangel an Investitionen in Deutschland Was sagt der Verband BITKOM zum Beispiel zu Ihren fest, was die Wachstumsprobleme verschärfe. Der IWF Grundvorstellungen? Er sagt: Im Bereich IKT ist eine sagt, Deutschlands Industrie stecke zu wenig Geld in klare ressortübergreifend abgestimmte Richtung, ein neue Fabriken und Maschinen; bei der Infrastruktur Kompass der Politik in der digitalen Welt trotz aller Stra- fahre die Bundesrepublik seit langem auf Verschleiß; die tegie der Bundesregierung kaum zu erkennen. Regierung investiere jedes Jahr zu wenig in Straßen, Der BDI veröffentlicht zu diesem Thema unter der Brücken, Schienen, Kanäle oder eben auch das Breit- Überschrift „Der Wettbewerb allein wird es nicht rich- band, um auch nur den Bestand zu wahren. Das ist die ten“. Dieser Feststellung kann man sich nur anschließen. Feststellung von außen. Wir haben es beim Breitband, bei der Digitalisierung der Man liest Ihren Antrag ganz genau. Man hofft, dass es Wirtschaft mit einem Bereich zu tun, in dem es der Wett- irgendwo vorkommt, aber – Sie haben es selber wahr- bewerb allein eben nicht schaffen kann, sondern der scheinlich gar nicht gemerkt – das Wort „Investitionen“ Staat mit seinen unterschiedlichen Initiativen, mit unter- taucht in Ihrem Forderungsteil kein einziges Mal auf. Sie schiedlichen Institutionen tätig werden muss, damit wir vergessen es schlichtweg. Das ist angesichts der Heraus- im internationalen Vergleich Schritt halten können und forderungen, vor denen wir stehen, skandalös. damit der Ausbau der Infrastruktur vorangeht. Was nützt es denn, hier am Pult darüber zu schwadronieren, was (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten man alles machen könnte, wenn gleichzeitig in vielen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Teilen Deutschlands kleine und mittelständische Unter- Das Dritte ist: Wir brauchen Forschung und Entwick- nehmen, Zulieferbetriebe keinen schnellen Internetzu- lung. Darüber reden Sie schnell. Wenn wir gemeinsam gang haben und deswegen aus ihrer wirtschaftlich guten bei Veranstaltungen sind – diese Woche mit Professor Position Schritt für Schritt herausgedrängt werden? Da- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20475

Garrelt Duin (A) gegen müsste man doch etwas tun, Herr Minister, man (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist doch (C) darf nicht nur immer ankündigen. nicht das Thema, Herr Kollege! – Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP] meldet sich (Beifall bei der SPD und der LINKEN) zu einer Zwischenfrage) Aber ich will ganz deutlich sagen: Wenn der Staat kleinen, neuen Unternehmen, Start-ups, helfen, unter die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Arme greifen kann, dann befürworten wir dieses aus- Herr Kollege Duin, erlauben Sie eine Zwischenfrage? drücklich. Es gibt dafür entsprechende Instrumente, zum Beispiel bei der KfW. Ich nenne Ihnen in diesem Zusam- Garrelt Duin (SPD): menhang nur ein Beispiel: Es gab seinerzeit in Nord- Nein, danke, auch nicht vom Namensvetter. rhein-Westfalen eine Firma im Bereich Internet und Di- gitalisierung, die sich Moomax nannte – ich weiß nicht Sie verteidigen hier Ihre längst der Vergangenheit an- genau, wie sich der Name ausgesprochen hat – und gehörenden ordnungspolitischen Grundsätze und ma- 30 000 Euro Eigenkapital hatte. Sie hat sich damals mit chen gleichzeitig ein ganz mieses, doppeltes Spiel; denn viel Euphorie auf den Weg gemacht und einen Unterstüt- Sie haben uns noch am Mittwoch im Ausschuss einen zungskredit der KfW in Höhe von 1,2 Millionen Euro Bericht zu diesem Thema gegeben und gesagt, selbstver- bekommen, ständlich wäre das Bundesministerium bereit, zu helfen, indem es bei der KfW entsprechend aktiv wird und bei (Thomas Oppermann [SPD]: Hört! Hört!) der Notifizierung in Brüssel Unterstützung leistet. All das sind verlogene Aussagen gewesen. Sie, Herr Rösler, weil sie offensichtlich eine Perspektive hatte. Ein Jahr sind nämlich unfähig zur Empathie. später war dieses Unternehmen pleite. So etwas kommt vor, trotzdem sollten wir diese Instrumente künftig bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten behalten, um jungen Leuten, die den Mut haben, sich des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) selbstständig zu machen, unter die Arme zu greifen. Sie sind nicht in der Lage, sich vor 11 000 Beschäftigte Ich will aber mit dieser Geschichte auf etwas ganz an- zu stellen und mit ihnen darüber zu sprechen, was das deres hinaus: Der Gründer dieser Firma, die dann pleite- für ihr individuelles Schicksal bedeutet. Dass Sie zurzeit gegangen ist, der diesen Förderkredit der KfW in Höhe als FDP-Vorsitzender völlig überfordert sind, sieht man von 1,2 Millionen Euro in Anspruch genommen hat, war im Saarland, das werden wir auch in NRW und Schles- ein gewisser Christian Lindner, der mit Ihnen gemein- wig-Holstein sehen; das wird jeden Tag deutlich. sam Worte wie „mitfühlender Liberalismus“ geprägt hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – (B) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wovon reden (D) GRÜNEN]: Das haben wir gestern gesehen! – Sie denn eigentlich?) Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber das Schlimme ist, dass Sie gleichwohl gemein- NEN]: Wie bei Schlecker!) sam mit Herrn Lindner noch von einem mitfühlenden Li- Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Rösler, beralismus reden, während jeder sieht: Das ist die kalte diese Verlogenheit kreiden wir Ihnen an: Arroganz der Macht. Die gehört in diesem Land nicht länger in die Bundesregierung und schon gar nicht in ir- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gendwelche Landesregierungen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Herzlichen Dank. LINKEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Auf der einen Seite haben Sie selbst, ganz individuell, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der überhaupt keine Hemmungen, entsprechende Unter- LINKEN) stützungen in Millionenhöhe durch die KfW in An- spruch zu nehmen, und auf der anderen Seite, wenn es um 11 000 Frauen in diesem Land geht, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen (Zurufe von der FDP: Oh!) Martin Lindner das Wort. zeigen Sie ein ganz kaltes Herz, tun nichts und sagen: Das ist uns egal. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Kollege Duin, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ( [Heidelberg] [SPD]: Das tat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weh jetzt!) Das ist die Verlogenheit, die Sie hier regelmäßig an den im letzten Jahr sind in Deutschland etwa 30 000 Insol- Tag legen. venzen zu verzeichnen gewesen. Wenn wir einmal davon (Thomas Oppermann [SPD]: Der Mann mit ausgehen, dass im Durchschnitt etwa fünf Mitarbeiter dem kalten Herzen!) pro Unternehmen davon betroffen waren, dann sind das 150 000. Wo waren denn Herr Beck, Herr Schmid und Sie stellen sich hier hin und verteidigen vermeintliche alle anderen, die sich jetzt hier auf Kosten der Mitarbei- ordnungspolitische Grundsätze. terinnen und Mitarbeiter von Schlecker profilieren wol- 20476 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Dr. Martin Lindner (Berlin) (A) len und wichtig machen, als diese 150 000 betroffenen berverbänden und den Gewerkschaften, ob die Einrich- (C) Mitarbeiter, diese 30 000 Unternehmen Hilfe brauchten? tung einer Transfergesellschaft ein Thema ist oder nicht. Kein einziger Ihrer Ministerpräsidenten, kein einziger Das ist es nicht in jedem Fall. Aber in dem konkreten Ihrer Wirtschaftsminister war da. Fall gestern wäre die Mehrheit der Bundesländer bereit gewesen, etwas zu tun. Es ist an drei Ländern, in denen (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ Sie Verantwortung tragen, gescheitert. Das ehrliche poli- CSU]) tische Bemühen, eine Perspektive für die Beschäftigten Das geht bei Ihnen nur nach Gutsherrenart. Wenn das zu finden, ist an Ihnen gescheitert, Unternehmen groß genug ist und Propaganda für die (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem SPD verspricht, dann stehen Sie vor den Werkstoren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Handwerksbetriebe und die kleinen und mittelstän- dischen Unternehmen, die wenige Mitarbeiter beschäfti- obwohl Bürgschaften und Transfergesellschaften – das gen, sind Ihnen nicht groß genug. Deren Mitarbeiter wissen Sie genauso gut wie ich – in der Wirtschaft zum müssen wie jeder andere zur Arbeitsagentur gehen. So täglichen Geschäft gehören. Es geht nicht darum, dass läuft das bei Ihnen – nach Gutsherrenart. der Staat der bessere Unternehmer sei oder ähnliche Be- hauptungen, die Sie uns immer unterstellen. Es geht Das ist genauso wie damals bei Philipp Holzmann. Da auch nicht darum, dass wir uns in jedem Fall einbringen hat sich der große Meister mit „Gerhard! Gerhard!“-Ru- können, um eine Insolvenz zu verhindern. Das, was Sie fen feiern lassen. Trotzdem ist das Unternehmen pleite- hier gemacht haben, macht allen Menschen in Deutsch- gegangen. Mit den Steuergeldern der Mitarbeiterinnen land eines klar: Es geht Ihnen um ordnungspolitische und Mitarbeiter von kleinen und mittleren Betrieben Prinzipienreiterei. Die Menschen, die davon betroffen wollen Sie Propaganda machen. Das ist schäbig und sind, sind Ihnen egal. Das ist die Politik des kalten Her- nicht das, was wir machen. Wir vertreten das Gesetz. zens, die Ihnen zum Verhängnis wird, und zwar zu (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Recht. DIE GRÜNEN: Oh!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Wenn Sie glauben, dass das Insolvenzrecht in Deutsch- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) land nicht ausreicht, wenn Sie glauben, dass man Trans- fergesellschaften braucht, dann werden Sie initiativ, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: damit allen Mitarbeitern geholfen werden kann, unab- Das Wort hat jetzt die Kollegin Nadine Schön von der hängig von der Größe des Unternehmens. CDU/CSU-Fraktion. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Auch die FDP- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D) Abgeordneten!) Machen Sie es nicht nach Gutsherrenart und nicht davon Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): abhängig, wie groß Ihre Show wird. Das vertreten wir, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und das ist vernünftig, das ist anständig und fair gegenüber Kollegen! Ich möchte wieder auf das Thema zurück- allen Beschäftigten in deutschen Betrieben. kommen, über das wir heute Morgen eigentlich reden Herzlichen Dank. wollten. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist ein Thema, das nicht nur unser Leben völlig verän- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dert hat, sondern auch einer der Wachstumsmotoren der Zur Erwiderung, Kollege Duin. deutschen Wirtschaft ist. Lieber Kollege Duin, so wichtig das andere Thema Garrelt Duin (SPD): ist, so wichtig wäre es gewesen, dass Sie unserem Vielen Dank, Herr Präsident. – Kollege Lindner, Sie Thema Ihre ganze Redezeit geschenkt hätten, anstatt und Ihre Kolleginnen und Kollegen – ein Abgeordneter, sich nach der Hälfte Ihrer Redezeit dem anderen Thema der aus meiner Region kommt, sitzt direkt hinter Ihnen – zu widmen. sind immer dabei, wenn wir Abgeordnete uns in unseren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wahlkreisen sehr engagiert dafür einsetzen, dass kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in Schwierig- Deshalb will ich das jetzt wieder tun. keiten geraten, geholfen werden kann. Jeder von Ihnen Es genügen wenige Zahlen, um die Bedeutung der di- weiß – es müssen nicht immer Ministerpräsidenten dabei gitalen Wirtschaft in Deutschland deutlich zu machen. sein –, dass wir uns in den Wahlkreisen sehr oft partei- Schon heute trägt die IT-Branche mit 75 Milliarden übergreifend zusammensetzen und überlegen, ob man Euro, das heißt mit 3 Prozent, zum Bruttoinlandsprodukt mit Landesbürgschaften, mit Landesförderbanken oder bei. Sie bietet mehr als 800 000 Menschen Arbeitsplätze mit den Instituten vor Ort etwas für Unternehmen ma- und – das ist besonders bemerkenswert – verzeichnet ein chen kann, die eigentlich auf einem guten Weg sind und jährliches Wachstum von 8 Prozent. Die Wachstums- vielleicht nur eine Durststrecke durchzumachen haben. potenziale liegen allerdings nicht nur in der digitalen Im Fall der Fälle überlegen wir lokale Abgeordnete Wirtschaft selbst, sondern vor allem in den klassischen mit der Agentur für Arbeit und auch mit den Arbeitge- Branchen: im Maschinenbau, in der Automobilindustrie, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20477

Nadine Schön (St. Wendel) (A) in der Gesundheitswirtschaft. Überall hier können durch Wir müssen aber auch darauf achten, dass wir diejeni- (C) Digitalisierung große Wachstumseffekte erzielt werden. gen nicht verlieren, die bereits Interesse an diesem Thema haben. Deshalb müssen wir uns fragen, was es Die Politik muss diese Entwicklung fördernd beglei- mit den hohen Abbrecherquoten in den IT-bezogenen ten. Sie muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen, Studien- und Ausbildungsgängen auf sich hat. Können um einen fruchtbaren Nährboden zu bilden für Innova- wir es uns wirklich leisten, jeden zweiten bis dritten In- tionen und für den globalen Erfolg der digitalen Wirt- formatikstudenten zu verlieren? Können wir es uns leis- schaft. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört zum einen ten, dass sich so wenige junge Frauen für diese Fächer die Infrastruktur. Ein umfassendes und effizientes Netz interessieren? von Breitbandverbindungen ist die Basis dafür, dass überall in unserem Land Innovationen entstehen können Einiges hat sich schon verbessert – wir arbeiten wei- und dass die Leistungen von IT überall in unserem Land ter daran –, aber wir dürfen in unseren Anstrengungen genutzt werden können. nicht nachlassen. Das gilt auch für das Bemühen um Fachkräfte aus dem Ausland. Das Gesetz zur Gewin- Beim Breitbandausbau sind wir auf einem guten Weg; nung ausländischer Fachkräfte wird dabei ein wichtiger Minister Rösler hat das dargestellt. Wir müssen aber da- Baustein sein. Unser Ziel muss es sein, im In- und Aus- rauf achten, dass der ländliche Raum von dieser Ent- land kluge Köpfe für die IT zu gewinnen; denn Fach- wicklung nicht abgekoppelt wird. kräfte für die digitale Wirtschaft werden dringend ge- braucht. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist er aber!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Außerdem dürfen wir die Bedürfnisse des Marktes nicht aus den Augen verlieren. Schon bald werden nämlich Außerdem brauchen wir Investitionen in Forschung 50 MBit/s und mehr notwendig sein, um den Bedürfnis- und Entwicklung. Herr Kollege Duin, Sie haben kriti- sen der Firmen und Verbraucher gerecht zu werden, und siert, es gebe in Deutschland zu wenige Investitionen. zwar überall. Daran gilt es zu arbeiten; das kürzlich ver- Das Gegenteil ist der Fall. abschiedete Telekommunikationsgesetz bietet dafür die (Garrelt Duin [SPD]: Oh!) nötige Voraussetzung. In den letzten sechs Jahren wurden allein die Ausgaben Der zweite wichtige Faktor sind die Fachkräfte. des Bundes für Forschung und Entwicklung um 42 Pro- Schon heute fehlen der IT-Branche nach eigenen Anga- zent gesteigert. ben über 30 000 Fachkräfte. Wir wissen: Das Problem (B) beginnt bereits beim mangelnden Interesse für Technik (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Infrastruktur- (D) gerade bei jungen Leuten. Das ist eigentlich eine para- investitionen!) doxe Situation; denn Tablets, Apps und moderne Tech- Wir reden also nicht nur, sondern wir tun auch etwas. nik findet jeder hip und spannend. Jeder nutzt diese Pro- dukte täglich; aber die IT, die dahintersteckt, interessiert (Beifall bei der CDU/CSU) kaum jemanden. Wir unterstützen Forschung und Entwicklung durch Dabei sind Medien- und Technikkompetenz heute Projektförderungen, etwa durch die Programme ZIM oder Trusted Cloud. Wir unterstützen Gründungen in der mindestens genauso wichtig wie Fremdsprachen. In al- IT-Branche, zum Beispiel durch das Programm EXIST. len Branchen – im Maschinenbau und der Automobilin- dustrie, aber auch auf dem Bildungs- und Gesundheits- Wir unterstützen Firmen in der Gründungs- und in der ersten Wachstumsphase, zum Beispiel durch den High- sektor – werden wir in Zukunft IT brauchen; deshalb Tech Gründerfonds. werden wir auch Fachkräfte brauchen, die etwas von IT verstehen. In meinen Augen gehört daher die IT-Kompe- Mit all diesen Programmen helfen wir jungen, inno- tenz in jeden Lehrplan, in jeden Ausbildungsplan und vativen Menschen, ihre Ideen umzusetzen, die Selbst- auch in jedes Studiencurriculum. ständigkeit zu wagen und Unternehmen zu gründen. Diese Gründungen brauchen wir; denn nur so entstehen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aus den vielen Ideen, die es in unserem Land gibt, Wert- In den Schulen müssen wir Interesse für Technik we- schöpfung und Arbeitsplätze. Auch Unternehmen wie cken, in den Hochschulen müssen wir für das Unterneh- SAP haben einmal klein angefangen. Insofern können mertum werben. Das ist zum einen die Aufgabe des Bil- wir auf die gute Gründerkultur in Deutschland stolz sein, dungssystems, das ist zum anderen auch die Aufgabe der die wir auch politisch unterstützen. Unternehmen selbst. Deshalb kann ich nur an die Unter- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nehmen appellieren: Gehen Sie in die Schulen, tragen neten der FDP) Sie das, was Sie antreibt – Ihren Unternehmergeist, Ihr technisches Verständnis –, an die jungen Leute heran. Was in Deutschland noch fehlt, ist Wachstumskapital. Stecken Sie sie mit Ihrer Begeisterung an; denn hier fin- Denn in der Wachstumsphase brauchen Unternehmen den Sie die Fachkräfte, die Sie in Zukunft brauchen wer- eben mehr als das, was staatliche oder halbstaatliche den. Fonds leisten können. Hier hilft nur privates Kapital, klassisches Venture Capital. Davon gibt es in den meis- (Beifall bei der CDU/CSU) ten Nationen deutlich mehr als bei uns, in den USA zum 20478 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Nadine Schön (St. Wendel) (A) Beispiel gut 100-mal mehr: das 100-fache Kapital, mit Halina Wawzyniak (DIE LINKE): (C) dem Unternehmen wachsen, mit dem sie Innovationen Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- umsetzen und damit Arbeitsplätze schaffen können, 100- ren! Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Das Internet ist mal mehr Investitionen in die Zukunft. Wir müssen An- nicht nur Motor für Wachstum und Beschäftigung; das reize dafür schaffen, dass in Deutschland mehr privates Internet ist vor allem ein Kulturraum, ein Kulturraum für Kapital in unsere Unternehmen investiert wird, und die Freiheit von Wissen und Information, ein Kultur- diese Anreize etwa durch die Möglichkeiten des Erhalts raum für freie Kommunikation. Das Internet sollte daher von Verlustvorträgen, durch Umsatzsteuerbefreiung von aus unserer Sicht in erster Linie ein Kulturraum der Management Fees und durch steuerliche Transparenz Menschen sein und kein Spielplatz für große Unterneh- von Beteiligungsfonds verstärken. Die Ideen liegen auf men und Konzerne. dem Tisch. Noch in diesem Jahr wollen wir sie umset- zen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Erkenntnis ist nicht neu; sie ist nur leider noch nicht bei allen angekommen. Wir betrachten das Internet Wir wollen Business Angels besser unterstützen, etwa nicht einseitig als Wirtschaftsraum. Die gesellschaftliche mit einem Zuschusssystem; denn wir wissen: Business und politische Bedeutung des Internets steht für uns im Angels sind wertvolle Helfer für junge Unternehmen, Vordergrund. Die gesellschaftlichen Innovationspoten- weil sie eben nicht nur Geld investieren, sondern auch ziale sind also entscheidend. mit ihrem Know-how, ihrem Netzwerk und ihrer Erfah- rung helfen und unterstützen. Das sind die Stellschrau- (Beifall bei der LINKEN) ben; auch die Branche bestätigt uns, dass dies die Knackpunkte sind. Wir streiten für einen Zugang zum Netz für alle Men- schen, unabhängig von Alter, Einkommen oder Bil- Kollege Duin, Sie haben die steuerliche Forschungs- dungsgrad. Doch dazu enthält Ihr Antrag nicht ein einzi- förderung angesprochen. Das ist ein Projekt, das wir alle ges Wort, und das ist beschämend. unterstützen. Die SPD hat es in ihrer Regierungszeit lei- der nicht umgesetzt. Wir haben uns der Haushaltskonso- (Beifall bei der LINKEN) lidierung verpflichtet. Wir sagen Ihnen aber auch: So- Dabei sind Zugang für alle und Förderung digitaler Inno- bald es der Haushalt zulässt, werden wir die steuerliche vationen kein Gegensatz; sie ergänzen sich. Eine Voraus- Forschungsförderung angehen; denn sie ist ein wichtiger setzung wäre ein wirklicher Ausbau von schnellen Inter- Baustein für das Innovationsland Deutschland. netzugängen im ganzen Land. Noch heute ist es in (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) unzähligen ländlichen Gemeinden nahezu unmöglich, (D) einen Internetanschluss mit mehr als 2 MBit/s zu be- Wir brauchen auch gute rechtliche Rahmenbedingun- kommen. Der Breitbandatlas der Bundesregierung zeigt gen. Minister Rösler hat bereits das Thema Datenschutz das Dilemma ganz deutlich. Doch die Bundesregierung angesprochen; darüber werden wir beim nächsten Tages- schaut tatenlos zu, und die Breitbrandstrategien be- ordnungspunkt debattieren. Wir setzen uns für eine EU- schränken sich darauf, die Ausbauziele immer weiter in Datenschutzrichtlinie ein, die zum einen das hohe die Zukunft zu verschieben. Schutzniveau garantiert, das wir in Deutschland haben und das Vertrauen schafft; gleichzeitig wollen wir aber Doch jetzt kommt die Koalition. Sie fordert von der die deutschen Unternehmen wettbewerbsfähig halten. Bundesregierung – ich zitiere –, „die … noch bestehende Unterversorgung von Gebieten im ländlichen Raum im Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles ist ein gu- Auge“ zu behalten. ter Nährboden für Innovationen. Was wir zudem brau- chen, ist ein Klima, in dem Innovationen entstehen kön- (Lachen der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ nen. Denn haben wir eine Gesellschaft, die auf neue DIE GRÜNEN]) Entwicklungen neugierig ist, die für Innovationen offen Da sage ich nur: Vielen Dank! Das hilft den Menschen ist und die bereit ist, sich Neuem zu öffnen, ist das eine im ländlichen Raum kein Stück weiter. Sie werden in gute Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Zu die- den nächsten Jahren wohl immer noch auf einen schnel- ser offenen Gesellschaft können wir alle beitragen. So len Internetzugang warten. werden wir es schaffen, dass die digitale Wirtschaft in Deutschland ihre Potenziale voll entfalten kann. Hier (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- können wir alle mithelfen. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Vielen Dank. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aber dankenswerterweise stellen Sie die Ideologie in Ihrem Antrag wieder einmal sehr deutlich heraus. Ich zi- tiere wieder: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Wo kurz- bis mittelfristig keine Aktivitäten des Halina Wawzyniak das Wort. Marktes zu erwarten sind, gilt es … die Rahmenbe- dingungen für kommunale Breitbandprojekte zu (Beifall bei der LINKEN) überprüfen … Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20479

Halina Wawzyniak (A) Toll! Überprüfen! Sinnvoll wäre es, den Kommunen Da sich im Antrag der Koalition davon leider nichts (C) Geld in die Hand zu geben, damit sie ihre eigenen Netze findet, bleibt uns nichts anderes übrig, als diesen Antrag erstellen können. zu Recht abzulehnen. (Gisela Piltz [FDP]: Das dürfen wir doch gar (Beifall bei der LINKEN) nicht! Haben Sie schon einmal ins Grundge- setz geguckt? Dann wüssten Sie, dass das gar Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nicht geht!) Jetzt hat die Kollegin Kerstin Andreae für Bünd- Sie wollen prüfen, wenn der Markt versagt. Die Aussage nis 90/Die Grünen das Wort. könnte auch heißen: Im Zweifel lassen wir euch im Stich. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der LINKEN) gen! Bevor ich zum eigentlichen Thema der Debatte Die Innovation setzt im Übrigen auch Netzneutralität komme, möchte ich eines zu der Diskussion sagen, die voraus. Wir haben darüber lange Debatten geführt. Es wir gerade geführt haben. Ich meine die Schlecker-Insol- zeigt sich: An der gesetzlichen Festschreibung der Netz- venz und das, was gestern passiert ist. Wissen Sie, Herr neutralität führt kein Weg vorbei. Alle Datenpakete müs- Rösler, Ihnen wird fehlende Empathie vorgeworfen. sen mit gleicher Qualität im Internet fließen können, Wenn Sie auf der anderen Seite das Attribut „mitfühlen- egal wer sie verschickt, egal ob es sich um eine E-Mail der Liberalismus“ vor sich hertragen, dann können Sie oder ein Video handelt. doch nicht einfach sagen, dass diese Frauen schon alle eine „Anschlussverwendung“ finden werden. Es zeugt (Beifall bei der LINKEN) wirklich von fehlender Empathie, einfach darüber hin- Die Entwicklerinnen und Entwickler der kleinen wegzugehen, wie es diesen Frauen gerade geht. So kön- Start-ups sind darauf angewiesen, dass ihre Anwendun- nen Sie sich doch nicht äußern. gen im Internet mit der gleichen Qualität angeboten und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, genutzt werden können wie die der großen Anbieter. bei der SPD und der LINKEN – Tabea Rößner Wenn die Koalition Innovationen in der digitalen Wirt- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um schaft wirklich fördern will, dann sollte sie dafür die ge- die Anschlussverwendung von Herrn Rösler!) setzlichen Grundlagen schaffen und die Netzneutralität im Gesetz festschreiben. Aber Sie können nicht einmal Es ist gut, dass wir in der Kernzeit über digitale Wirt- Innovationen. Innovation in der digitalen Wirtschaft schaft reden. Die Themen der Kernzeit finden immer hö- here Aufmerksamkeit. Es ist gut und sinnvoll, dass wir (B) heißt eben nicht, die Geschäftsinteressen der großen Un- (D) ternehmen und Konzerne zu schützen. Aber auch das ist hier dieses Thema diskutieren. Wir haben uns gefreut, bei Ihnen noch nicht angekommen. dass dieser Antrag gekommen ist, und haben ihn mit In- teresse gelesen. Aber dieser Antrag gibt nichts her. Darin Netzneutralität ist im Übrigen nicht nur für das Inno- steht nichts Innovatives und nichts Neues. Darin steht vationspotenzial entscheidend. Netzneutralität sichert nicht, was Sie machen wollen und was Sie einmal anpa- die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit und schützt cken wollen, sondern er besteht aus reinen Absichtser- vor einem Zweiklasseninternet. Der Geldbeutel eines al- klärungen. leinerziehenden Vaters darf nicht darüber entscheiden, mit welcher Qualität sein Kind das Internet nutzen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe Ihren Antrag gelesen und mich dann gefragt: Warum stehen keine Namen von Netzpolitikern von Dass die Internetwirtschaft eine der innovativsten CDU/CSU und FDP auf diesem Antrag? Entweder fin- Branchen ist, dass darin Schwung ist, dass sich hier et- den sie in ihren Fraktionen kein Gehört, oder sie haben was bewegt, dass sie zur Gesamtwirtschaftsleistung bei- den Antrag aus inhaltlichen Gründen nicht mittragen trägt und immer mehr beitragen wird, das wissen wir wollen. Letzteres könnte ich nachvollziehen. doch alles. Sie aber beschränken sich auf Absichtserklä- rungen und wolkige Reden. Sie schreiben, dass wir Rah- (Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: menbedingungen brauchen, dass wir etwas fördern und Quatsch!) dass wir dieses und jenes überprüfen wollen. Denn in dem Antrag steht nicht mehr als: Wir fordern Aber das tun wir doch schon seit Jahren. Wir wissen nichts Konkretes. Wir finden die Arbeit der Regierung schon seit Jahren, dass wir neue Fördermaßnahmen gut. Ansonsten schlagen wir Abwarten vor. brauchen. Wir wissen seit Jahren, wo es hakt. Das heißt, Sie hätten deutlich vorangehen können, Sie hätten kon- Für die Linke ist klar: Wir wollen ein freies und offe- krete Vorschläge machen können, wie wir eine flächen- nes Internet als Kulturraum für alle Menschen. Wir wol- deckende Versorgung im Bereich Breitband tatsächlich len einen schnellen Internetzugang für jede und jeden in hinbekommen. allen Teilen der Republik. Wir wollen die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität. Das ist das Mindeste, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ um das gesellschaftliche Innovationspotenzial des Inter- DIE GRÜNEN) nets nutzbar zu machen. Sie hätten klären können: Wo liegt das Problem? Wie lö- (Beifall bei der LINKEN) sen wir das Problem? 20480 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Kerstin Andreae (A) Beispiel TKG-Novelle. Sie sind von der EU-Kom- Forschungsförderung? Frau Schön, ich weiß, dass Sie (C) mission gedrängt worden und haben monatelang gezö- immer wieder sagen: Ja, wir wollen das. Auch in jedem gert. Jetzt haben wir ein schwaches Ergebnis: keinerlei Antrag, in dem es um Innovationen geht, steht: Ja, wir klares Bekenntnis zur Netzneutralität, keine klare An- wollen es. Aber wenn Sie es wollen, dann müssen Sie es sage zum Ausbau Glasfasernetz und auch keine klare auch machen. Geben Sie das Geld nicht für unsinnige Ansage zu ausreichendem Datenschutz. Das ist reines andere Projekte aus, sondern entscheiden Sie sich klar Gerede, reine Prosa ohne klare Ansage. für die steuerliche Forschungsförderung. Das wäre sinn- voll für Innovationsanreize. Das ist das, was die Branche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Ihnen fordert. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Beispiel Breitbandausbau. Es ist schon gesagt wor- DIE GRÜNEN) den: Das erste Ziel, bis 2010 eine flächendeckende Ver- sorgung zu gewährleisten, haben Sie nicht erreicht. Nun Fazit: völlig belangloser Antrag, nichts Neues, nichts setzen Sie sich ein neues Ziel. Bis 2014 sollen 75 Pro- Innovatives, nichts zur Umsetzung, wie Sie den Mittel- zent der Haushalte mit 50 MBit/s versorgt werden. Sie stand unterstützen wollen, kein Wort dazu, wie Sie Inno- müssen doch irgendwann anerkennen, dass Sie ohne die vation und Bildung verbinden wollen, kein Angebot an Universaldienstleistungsverordnung nicht weiterkom- ausländische Fachkräfte. Es ist eine einzige Prosa. Wir men. Diese Verordnung heißt nichts anderes, als dass je- hätten wirklich mehr erwartet. Die Debatte hätte, ehrlich der einen Anspruch auf einen Internetanschluss hat. Sie gesagt, mehr verdient: mehr Vorschläge von Ihnen, über müssen sich klar dazu bekennen: Ja, jeder soll einen An- die wir hier in der Kernzeit hätten diskutieren können, schluss an das Internet haben, das machen wir mit der und nicht eine reine Absichtserklärung. Universaldienstleistungsverordnung, wir setzen uns mit Vielen Dank. der Wirtschaft zusammen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Doch was machen Sie jetzt? Sie setzen ein neues wol- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- kiges Ziel. Sie sagen überhaupt nicht, wie Sie die KEN) 75 Prozent erreichen wollen und was mit den restlichen 25 Prozent ist. Man sieht, es ist nur Prosa – reine Ankün- digungen und keine klaren Regeln. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Andreas Lämmel. Beispiel Fachkräftesicherung. Sie haben sich gestern (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) dafür gelobt, dass Sie einen neuen Gesetzentwurf für die (D) erleichterte Zuwanderung von ausländischen Fachkräf- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): ten eingebracht haben. Das hätten Sie schon früher ha- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ben können. Wir haben Ihnen schon 2010 den Vorschlag ren! Es soll der amerikanische Soziologie Bell gewesen gemacht, wenigstens die Einkommensgrenze für auslän- sein, der 1973 eine Theorie einer nachindustriellen Ge- dische Fachkräfte zu senken. Das haben Sie damals ab- sellschaft entwickelt hat, in der der Begriff Informa- gelehnt. tionsgesellschaft erstmals auftauchte. Als diese Theorie Was machen Sie jetzt? Eine umfassende Niederlas- damals aufkam, waren Sie noch lange nicht auf dem sungserlaubnis war angekündigt, aber jetzt bekommen Trip, Herr Duin. Hochqualifizierte nur ein befristetes Bleiberecht für drei (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da war ich ein Jahre. Die langfristige Anerkennung von Fachkräften Jahr alt!) knüpfen Sie an deren Deutschkenntnisse. Das ist doch keine Willkommenskultur. Glauben Sie denn, dass uns – Sehen Sie, da konnten Sie noch nicht dabei gewesen die indischen Programmierer die Bude einrennen? Nein! sein. – Dass er damals ein völlig neues Szenario entwi- Wir befinden uns im Wettbewerb um die kreativsten ckelt hat und dass er damit am Puls der Zeit war, hätte er Köpfe, und die überlegen sich genau, ob sie zu uns oder selbst wohl nicht geahnt. woanders hingehen. Wenn Sie Deutschkenntnisse zur Ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Die digitale Wirt- Voraussetzung machen, dann werden die hochqualifi- schaft wird hier auf das Internet verengt. Sie ist aber ein zierten Programmierer, die Fachkräfte, die die Branche großer Sektor und umfasst nicht nur Internetfirmen und braucht, nicht zu uns kommen, sondern sie werden wo- Themen wie Netzneutralität, die Sie zum größten Teil anders hingehen. Das ist keine Willkommenskultur. Sie angesprochen haben. Die digitale Wirtschaft umfasst die haben im Wettbewerb um die kreativsten Köpfe einen gesamten Informations- und Kommunikationstechnolo- kapitalen Fehler bei der Gewinnung von Fachkräften ge- gien, und das ist weit mehr, als Sie hier dargestellt ha- macht. ben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Raju Sharma [DIE LINKE]) Die Branchenverbände erwarten von der digitalen Wirtschaft in Deutschland für das Jahr 2012 einen Um- In Ihrem Antrag findet sich nichts über Anreize und satz von 150 Milliarden Euro. Das ist erst einmal eine Rahmenbedingungen. Wo bleibt denn die steuerliche Menge Holz. Dies zeigt aber noch lange nicht die Be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20481

Andreas G. Lämmel (A) deutung, die diese Querschnittsbranche für die Entwick- Frau Andreae, dass Sie jetzt die Schlachten bezüglich (C) lung der gesamten deutschen Wirtschaft und für die Ent- des Universaldienstes wieder aufnehmen wollen, ver- wicklung unserer Gesellschaft hat; denn kein Projekt der wundert mich. Da ist sogar der Bundesrat schlauer ge- Zukunft, das wir hier im Deutschen Bundestag diskutie- wesen. ren oder das wir auch politisch wollen, ist ohne Informa- (Raju Sharma [DIE LINKE]: Was heißt hier tions- und Kommunikationstechnologien möglich. „sogar“?) In den nächsten Jahren würde kein Elektroauto auf Die Länder haben nämlich darauf verzichtet, dieses der Straße fahren, wenn es keine Leistungselektronik stumpfe Beil hervorzuholen. Diesen Punkt haben Sie gäbe. Die Energiewende wäre ohne intelligente Netze, jetzt wieder in die Diskussion gebracht. Sie meinen, wir die mit Leistungselektronik funktionieren und nur mit müssten über den Universaldienst im Zusammenhang internetbasierten Softwarelösungen existieren können, mit dem TKG reden. Einen entsprechenden Vorschlag völlig undenkbar. Keine Windmühle würde sich drehen, hätten Sie vor zwei Jahren einbringen können. Daran wenn oben in dem Rotorhäuschen keine Leistungselek- kann man sehen, dass Sie nur zurückblicken und über- tronik installiert wäre. Auch Fragen hinsichtlich der al- haupt nicht nach vorne schauen. ternden Gesellschaft und des lebenslangen Lernens sind mit diesen Technologien verknüpft. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt komme ich zu den Rahmenbedingungen für Innovationen, die hier schon vielfach angesprochen wor- Frau Andreae, das, was Sie hier dargestellt haben, ist den sind. Es ist wohl unbestritten, dass in Deutschland schon interessant gewesen. Sie sagten, es sei zwar gut, sehr viel Geld für Forschung, Entwicklung und Techno- dass wir den Antrag eingebracht haben, aber er sei noch logie ausgegeben wird, und zwar sehr viel staatliches nicht ausführlich genug. Es wäre interessant gewesen, Geld, aber auch sehr viel privates Geld. Trotzdem muss hätten Sie selbst einen Antrag auf den Weg gebracht und man sich fragen, warum Deutschland zum Beispiel in zumindest eine einzige Idee hier vorgetragen. der Informations- und Kommunikationstechnologie keine großen Firmen mehr hat und warum aus den vielen (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae Neugründungen keine großen Firmen gewachsen sind. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hatten wir schon ganz viele, Herr Lämmel!) In diesem Zusammenhang muss man sich einmal die gesamte Kette von Innovationen anschauen. Dann stellt Sie haben sich über all das mokiert, was Ihnen an unse- man nämlich fest, dass es ohne Zweifel erst einmal eine rem Antrag nicht passt. Aber ich habe kein einziges Menge gute Ideen gibt, aber dass dann viele Ideen offen- (B) Wort gehört, was Sie machen würden. sichtlich irgendwo absterben. Schauen wir uns einmal (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae die verschiedenen Phasen einer Unternehmensgründung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätten Sie an. Aus meiner Sicht kristallisieren sich zwei Felder he- besser zuhören sollen!) raus, auf denen dringender Handlungsbedarf besteht – wir werden in die entsprechende Richtung weitermar- Damit komme ich zum Thema Infrastruktur, Herr schieren –: Duin. Ich kann mich noch daran erinnern, dass die Breit- bandstrategie in der Großen Koalition beschlossen wor- Zum einen geht es – dieses Thema hat meine Kollegin den ist. Damals waren Sie doch dabei. Von daher können Schön schon dargestellt – um die Frage des Wagniskapi- Sie doch jetzt nicht sagen: Das alles ist viel zu wenig, tals, des Risikokapitals. Wenn es uns nicht gelingt, aus- das alles ist viel zu schlecht, das ist nicht zu schaffen. reichend privates Kapital zu mobilisieren, dann wird es uns auch nicht gelingen, kleinen Firmen den Weg zu eb- Die flächendeckende Versorgung mit Internetan- nen, damit sie einmal große Firmen werden können. schlüssen mit Datenübertragungsraten von 1 MBit/s ha- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben wir fast geschafft. NEN]: Es wollen doch gar nicht alle große Fir- (Garrelt Duin [SPD]: Was? Knapp vorbei ist men werden!) auch daneben!) Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Wir haben das Sie können doch nicht leugnen, dass es im letzten Jahr erkannt und werden demnächst vor allem im Bereich der bei der Breitbandversorgung in Deutschland große Fort- Business Angels aktiv werden. schritte gegeben hat. Auch international wird anerkannt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass Deutschland bei der mobilen Internettechnologie weltweit führend ist. In keinem anderen Land der Welt Zum anderen geht es – das ist das zweite Feld – um konnte das mobile Internet flächendeckend so stark aus- die Forschungsprämie. Die steuerliche FuE-Förderung gebaut werden wie in Deutschland. steht bei uns ganz oben auf der Agenda. (Beifall bei der CDU/CSU) (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das sagt ihr in jeder Rede!) Innerhalb eines Jahres sind fast 7 500 mobile Internetsta- Das ist überhaupt gar keine Frage. tionen auf der Basis von LTE in Betrieb genommen wor- den. Zeigen Sie mir ein Land auf dieser Welt, wo dieses Bevor vor allen Dingen in der SPD die Backen wieder ähnlich funktioniert! aufgeblasen werden, wollen wir uns einmal anschauen, 20482 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Andreas G. Lämmel (A) was die SPD machen wird: Wenn es einen Gesetzent- Wann kommt der Gesetzentwurf zur steuerlichen For- (C) wurf zur steuerlichen Forschungsförderung gibt, dann schungsförderung? Sagen Sie uns möglichst den Monat. geht er in den Bundesrat. Dann können wir ja darüber reden, wie wir das hinbe- kommen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Deswegen macht ihr sie jetzt nicht, (Beifall bei der SPD) oder was?) Dieser Gesetzentwurf zur steuerlichen Forschungsförde- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): rung liegt dann im Vermittlungsausschuss direkt neben Herr Heil, vielen Dank. – Ich kann nur sagen: Ich habe Sie auf einem IT-Gipfel noch nicht getroffen. Es dem Gesetzentwurf zur CO2-Gebäudesanierung. Dort liegen vielleicht noch zwei oder drei andere Projekte. sind viele Leute dort, vielleicht habe ich Sie nur nicht Herr Duin, dann kommt der Tag, an dem Sie beweisen gesehen. Ich will damit sagen, dass ich dort gewesen bin. können, dass Sie bei einem solchen Projekt mitmachen. Punkt eins. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Zuruf von der SPD: Virtuell!) Garrelt Duin [SPD]: Der Tag kommt früher, Punkt zwei. Wenn Sie Kontakte in die Wirtschaft hät- als Sie denken!) ten und mit den Leuten, die beim IT-Gipfel dabei sind, gesprochen hätten, dann hätten Sie gehört, dass wir diese Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Plattform, diesen IT-Gipfel, dringend brauchen. Herr Kollege Lämmel, erlauben Sie eine Zwischen- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die gibt es frage des Kollegen Heil? doch schon!)

Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): – Ja, klar. Wir machen auch einen nächsten Gipfel. Der ist schon avisiert. – Wir brauchen diese Plattform, um Bitte. über die Themen, die sich um die digitale Wirtschaft und die Entwicklung der digitalen Gesellschaft ranken, dis- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: kutieren zu können. Bitte schön. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das gibt es doch schon! Wollen Sie noch mehr darüber re- Hubertus Heil (Peine) (SPD): den?) Herr Kollege Lämmel, damit wir bei diesem Thema (B) (D) nicht Formulierungen wie „Backen aufblasen“ gebrau- – Ja, klar. Jetzt kommt der nächste. – Es ist so, dass auf chen müssen, möchte ich darauf hinweisen, dass wir dem IT-Gipfel Themen diskutiert werden, die weiter vo- beide der Meinung sind, dass es die steuerliche For- rangebracht werden müssen. schungsförderung geben sollte. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber was ist Erstens. Können Sie uns sagen, wann Sie den entspre- daran neu? Den gibt es doch schon!) chenden Gesetzentwurf vorlegen werden? Ich bitte um – Ja, klar. Wir wollen ihn fortführen. Die Frage war ja, eine möglichst exakte Angabe, zumal wir eine Antwort ob der IT-Gipfel eine temporäre Veranstaltung sein soll des Bundesfinanzministers erhalten haben, nach der es oder ob man ihn regelmäßig abhalten sollte. Wir sind ge- mit der in Ihrem Koalitionsvertrag beschriebenen steuer- meinsam der Auffassung, dass der IT-Gipfel bestehen lichen Forschungsförderung aus haushalterischen Grün- bleiben soll. Wir wollen diese Plattform behalten, auf den in dieser Legislaturperiode nichts mehr wird. Sie der über diese Fragen diskutiert werden kann. kennen möglicherweise diese Aussage. Können Sie die- sen Widerspruch aufklären? (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Super!) Zweitens. Sie haben vorhin gesagt, dass Ihr Antrag Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Heil, zur steuerlichen toll und revolutionär ist. Können Sie mir einmal sagen, FuE-Förderung. Sie wissen selbst, dass dieses Vorhaben warum die zentrale Forderung ausweislich Ihres Antra- – das gebe ich ja zu – nicht so leicht umzusetzen ist. ges an die Bundesregierung lautet: (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ 1. den Dialog zwischen Politik, Wirtschaft und DIE GRÜNEN) Wissenschaft zur wirtschaftlichen und gesell- – Die Grünen haben dieses Thema, als sie regiert haben, schaftspolitischen Bedeutung des Internets und der nicht einmal angepackt. Sie haben noch nicht einmal den digitalen Wirtschaft im Rahmen des Nationalen IT- Gedanken im Kopf gehabt, dass man so etwas machen Gipfels der Bundesregierung weiter zu intensivie- könnte. ren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Waren Sie schon einmal auf einem IT-Gipfel? Läuft das Zurufe von der SPD: Oh!) hier nach dem sozialpädagogischen Motto „Es ist wich- tig, dass wir noch mehr darüber reden“? Ist das Ihre zen- Man muss natürlich über die notwendigen finanziel- trale Forderung? Das sagt doch ein bisschen etwas über len Ressourcen verfügen. In der Koalition befinden wir den Gehalt Ihres Antrags aus. uns darüber in Gesprächen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20483

Andreas G. Lämmel (A) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Lars Klingbeil (SPD): (C) GRÜNEN]: Sie haben doch schon beschlos- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sen, dass Sie es nicht machen!) Kollegen! Wir sind uns einig: Die digitale Wirtschaft in Deutschland ist ein bedeutender Wachstumsmotor. Sie Das steht im Koalitionsvertrag. Die Koalition besteht ja ist Treiber für Innovationen, und die Digitalisierung un- noch anderthalb Jahre. Also ist noch Zeit, die steuerliche serer Gesellschaft ist Taktgeber für den Wandel von FuE-Förderung in Deutschland umzusetzen. Wirtschaft und Wissenschaft. Deswegen ist es richtig, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – dass wir heute Morgen zur Kernzeit die Gelegenheit ha- Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Also wird gar ben, über ein solch wichtiges Thema zu diskutieren. Es nichts kommen!) ist richtig, dass das Thema heute im Deutschen Bundes- tag auf der Tagesordnung steht. – Das ist Ihre Interpretation. Das habe ich nicht gesagt. Genauso richtig ist aber auch, dass der Antrag, der Wir stehen dazu – das möchte ich hier definitiv sagen –, von CDU/CSU und FDP vorgelegt wurde, meilenweit und wir werden weiterhin mit unserem Koalitionspartner hinter den notwendigen Antworten zurückbleibt, die wir und mit der Bundesregierung darüber diskutieren, in bräuchten, um die digitale Wirtschaft in Deutschland zu welchem Umfang und wann die steuerliche Forschungs- gestalten. Sie sind hier viele Antworten schuldig geblie- förderung umsetzbar ist. Wir sind der Auffassung: Wir ben. Der Antrag beinhaltet in weiten Teilen eine ordent- brauchen gleiche Rahmenbedingungen für FuE-Unter- liche Analyse – das will ich zugestehen –, aber wenn es nehmungen weltweit; denn letztendlich schaut sich jeder am Ende um die konkreten Forderungen geht, dann rei- zunächst die Rahmenbedingungen in einem Land an, be- hen Sie Schlagwörter aneinander. An dieser Stelle wird vor er dort neue Aktivitäten startet, bevor er zum Bei- deutlich: Sie haben keine Richtung, Sie haben keine spiel neue Forschungszentren aufbaut. Hier müssen wir Substanz, und Sie geben keine Impulse. einen Nachteil Deutschlands aufholen. (Beifall bei der SPD) Ich möchte noch etwas zu den Schlüsseltechnologien sagen. Diese haben bisher überhaupt keine Rolle ge- Ich will ein Beispiel aus Ihrem Antrag nennen. Dort spielt. Es ging, wie gesagt, bisher nur um das Internet, geht es um eine der vielleicht drängendsten Fragen, über um Netzneutralität und anderes. Die Schlüsseltechnolo- die wir gerade im Bereich der digitalen Wirtschaft disku- gien, zum Beispiel die Mikroelektronik, sind aber die tieren: das Urheberrecht. In Ihrem Antrag steht: entscheidenden Technologien, die wir in Deutschland Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie- brauchen, um all unsere Vorhaben zu realisieren. Die rung auf, … die Regelungen zum Datenschutz und Mikroelektronik ist eine strategische Branche in Urheberrecht an die Bedingungen des Internets und (B) (D) Deutschland. Wir müssen uns darüber klar werden, wie der Digitalisierung fortlaufend anzupassen. wir in Deutschland und in Europa mit den Wertschöp- fungsketten im Bereich der Mikroelektronik umgehen. Mehr nicht. Man findet keine Stellungnahme, wie es hin- sichtlich ACTA weitergehen soll, keine Stellungnahme Wir müssen darüber diskutieren, wie wir zum Bei- zum Leistungsschutzrecht und keine Position zum Drit- spiel die gleiche Wettbewerbsfähigkeit wie Asien be- ten Korb. Das reicht nicht, um ein Thema voranzubrin- wahren können. Das Problem der Abwanderung in Rich- gen. Wenn Sie ein Thema voranbringen wollen, dann tung Asien besteht ja in mehreren Branchen. Dies ist müssen Sie den Mut haben, Stellung zu beziehen. Dann nicht nur ein Problem der Mikroelektronik, sondern zum brauchen Sie Mut für klare Konzepte. Diese fehlen in Ih- Beispiel auch der Solartechnik, über die wir gestern dis- rem Antrag. kutiert haben. Selbst im hochinnovativen Maschinenbau erwachsen in Asien große Konkurrenten, die deutschen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unternehmungen das Leben schwer machen. der LINKEN) Ich möchte zusammenfassen. Die Verengung des Wenn es darum gegangen wäre, ein Thema parlamen- Blicks auf das Internet im Bereich der digitalen Wirt- tarisch voranzubringen, dann hätte ich mir gewünscht, schaft ist falsch. Die digitale Wirtschaft ist breiter aufge- dass Sie Ausschussberatungen zu diesem Antrag zuge- stellt. Wir als christlich-liberale Koalition stehen zu lassen hätten. dieser Branche. Wir werden alles tun, um die dort beste- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- henden Potenziale zu heben, damit dieser Bereich der NEN]: Das wäre gut gewesen!) Kreativwirtschaft weiterhin ein gutes Wachstumsumfeld in Deutschland hat. Wir haben den Antrag am Dienstagabend bekommen. Er wird nicht in den Ausschüssen beraten. Ich frage mich, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. warum CDU/CSU und FDP nicht auf die Expertise der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Enquete-Kommission zurückgreifen. neten der FDP) (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das haben wir uns auch gefragt! – Zu- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ruf von der CDU/CSU: Doch!) Das Wort hat jetzt der Kollege Lars Klingbeil von der Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell- SPD-Fraktion. schaft“ tagt gerade, beispielsweise im Rahmen der Pro- (Beifall bei der SPD) jektgruppe „Wirtschaft, Arbeit, Green IT“. Wir haben 20484 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Lars Klingbeil (A) teure Gutachten in Auftrag gegeben, beispielsweise zu Ich will Ihnen sagen: Ich bin es leid, dass wir jedes (C) der Frage: Wie können wir Venture Capital in Deutsch- halbe Jahr hier im Deutschen Bundestag darüber disku- land stärken? Diese Gutachten liegen noch nicht vor. tieren, wie der Breitbandausbau gelingen kann, und dass Stattdessen wird hier ein Antrag vorgelegt, der nach ei- wir dann immer wieder die ideologische Marktgläubig- ner Schaufensterdebatte verabschiedet wird. keit der Regierung zu hören bekommen. Wenn der Markt es nicht gebacken bekommt, dann brauchen wir staatli- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- che Lösungen, die garantieren, dass die Forderung, dass NEN]: Das ist Wahlkampf!) alle Menschen ein Recht auf Netz haben sollen, umge- Hier soll ein Thema besetzt werden. Das ist nichts ande- setzt werden kann. Wir wollen an der Gleichwertigkeit res als Wahlkampf. der Lebensverhältnisse festhalten. Wir wollen allen Menschen Zugang und Teilhabe ermöglichen. Deswegen (Beifall bei der SPD – Halina Wawzyniak brauchen wir in Deutschland einen Universaldienst. [DIE LINKE]: Aber schlechter Wahlkampf! – [SPD]: Schlechter Wahlkampf! – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer Wahl- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE kampf gemacht hat, lieber Kollege, das haben GRÜNEN – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/ wir gesehen!) DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist nämlich keine Debatte von gestern, sondern eine Debatte von Wenn es allerdings darum geht – das scheint hier ja der morgen!) Fall zu sein –, dass dieser Antrag ein schwarz-gelber Hilferuf ist, dass diese Regierung endlich etwas tun soll, Wenn wir einen Zugang für alle schaffen, dann hat dann haben Sie mich und uns an Ihrer Seite. das auch Folgen für die Wirtschaft. Dann können sich (Lachen des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] nämlich Portale, Dienste und Unternehmen breitmachen [FDP]) und neue Geschäftsideen entwickeln. Dann zahlt es sich auch aus wirtschaftlicher Perspektive aus, einen Univer- In der Rede des Ministers heute Morgen ist deutlich saldienst zu schaffen. geworden, dass es zwar viele blumige Absichten gibt, dass aber zweieinhalb Jahre nichts passiert ist. Herr Der zweite Punkt, den ich nennen will. Wir brauchen Rösler, ich will Ihnen klar sagen: Digitale Wirtschafts- eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität. Netz- politik kann nicht nur darin bestehen, dass man einmal neutralität war und ist ein entscheidender Faktor für den im Jahr den IT-Gipfel oder die CeBIT eröffnet. Sie müs- Erfolg der Internetwirtschaft. Sie sichert die Offenheit sen endlich anfangen, zu arbeiten. und Kreativität des Netzes; das schafft internationale Wettbewerbsfähigkeit. Aber die Netzneutralität sichert (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt. Der Sie- (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geszug des Internets und vieler IT-Dienste wäre ohne ein Liebe Kolleginnen und Kollegen, Netzpolitik muss offenes und neutrales Netz nicht möglich gewesen. Wir umfassende und moderne Gesellschaftspolitik sein. Da- haben, ähnlich wie die anderen Oppositionsparteien, für müssen wir auch politisch die richtigen Rahmenbe- schon im Rahmen der TKG-Novelle gefordert, die Netz- dingungen schaffen. Ich will an ein paar Punkten skiz- neutralität gesetzlich zu verankern. Wir haben uns schon zieren, was das für uns bedeutet. damals gewundert, dass Sie auch hier auf das freie Spiel der Kräfte setzen und die Offenheit des Netzes nicht Erster Punkt. Grundlage für den digitalen Wandel, für festschreiben wollen. Das ist ein großer Fehler. Ich sage Wachstum und für Arbeitsplätze muss die Überwindung Ihnen: Wir werden die gesetzliche Verankerung der der digitalen Spaltung sein. Das muss zuallererst bedeu- Netzneutralität in Deutschland weiter fordern. ten, dass die Menschen Zugang zum Internet haben und an den Prozessen der Digitalisierung teilhaben können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir müssen dafür sorgen, dass der Zugang zum Internet LINKEN) heute als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge betrach- Dritter Punkt, den ich ansprechen will. Wir brauchen tet wird. Wer keinen Zugang zum Netz hat, ist von sozia- die Förderung digitaler Kompetenz und digitaler Selbst- ler, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe ab- ständigkeit. Denn nichts ist für die Internetwirtschaft so gehängt. Wir brauchen in Deutschland endlich ein Recht wichtig wie gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und auf Netz, liebe Kolleginnen und Kollegen. Arbeitnehmer. Sie sind Garant für Kreativität und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wachstum in Deutschland im digitalen Zeitalter. Das be- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE dingt einen radikalen Wandel von Schule, Ausbildung GRÜNEN) und Universitäten. Dabei geht es um die Vermittlung neuer Kompetenzen, um die Vermittlung technischer Die Bundesregierung wird die Ziele ihrer Breitband- und digitaler Kompetenzen. Der Laptop muss zur Werk- strategie verfehlen. In meinem Wahlkreis, der im ländli- bank des 21. Jahrhunderts werden. Damit müssen sich chen Raum liegt, müssen die Kommunen und der Land- auch unsere Bildungsstrukturen verändern. kreis anfangen, den Breitbandausbau zu finanzieren, weil Land und Bund es nicht hinbekommen. Das belastet Ich will auf die Beschlüsse der Enquete-Kommission die kommunalen Haushalte. Der Druck der Bürgerinnen „Internet und digitale Gesellschaft“ hinweisen. Sie hat und Bürger, aber auch der Unternehmen ist allerdings so gesagt: Jeder Schüler, jede Schülerin in Deutschland groß, dass dort etwas passieren muss. braucht ein Tablet oder ein Laptop. Sie hat auch gesagt: Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20485

Lars Klingbeil (A) Wir müssen die Lehrerausbildung komplett verändern. dass der Staat seiner Verantwortung als Nachfrager ge- (C) Die Enquete-Kommission hat außerdem Beschlüsse zur recht wird. Digitalisierung der Bildungsmaterialien und zur Stär- Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Wichtig- kung der naturwissenschaftlichen und technischen Stu- keit dieses Themas kann ich nur feststellen: Mit den For- diengänge gefasst. All diese Schritte müssen erfolgen. derungen in Ihrem Antrag bleiben Sie weit hinter den Er- All diese Schritte stehen aber nicht in Ihrem Antrag. Ob- wartungen und auch hinter den Debatten zurück, die wir wohl der Fachkräftemangel schon heute evident ist, ha- im Deutschen Bundestag, beispielsweise in der Enquete- ben Sie an dieser Stelle nichts getan. Kommission, führen. Ich hätte mir gewünscht, dass hier (Beifall bei der SPD) heute Morgen mehr als eine Schaufensterdebatte stattfin- det und dass ein wirklicher Impuls für digitale Wirt- Das bringt mich zu meinem vierten Punkt. Die digi- schaftspolitik aus der Mitte des Parlaments kommt. Lei- tale Gründerkultur ist heute schon oft angesprochen wor- der hat es nicht geklappt. Vielleicht wird es mit der den. Ja, wir brauchen in Deutschland ein positives Um- nächsten Regierung besser. feld für Gründungen. Wir müssen dafür sorgen, dass die digitale Kompetenz gestärkt wird; dazu habe ich gerade Herzlichen Dank fürs Zuhören. etwas gesagt. Wir müssen Cluster an Universitäten auch (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin staatlich fördern und dafür sorgen, dass kreative Juristen Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und Betriebswirtschaftler an Universitäten frühzeitig zu- sammenkommen und ermutigt werden, ihre kreativen Ideen und Konzepte umzusetzen. Das ist die Erfolgsge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schichte von Gründungsmythen, die wir in anderen Staa- Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege ten erlebt haben. Manuel Höferlin. Wir brauchen eine ordentliche Finanzierung von (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gründungen. Hier reichen die bisherigen Strukturen für der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wagniskapital in Deutschland nicht aus, hier muss mehr Zwei Minuten sind besser als 1 Prozent!) passieren. Es müssen passgenaue und vor allem unbüro- kratische Finanzierungen zur Verfügung stehen. Manuel Höferlin (FDP): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- Es geht auch um die steuerliche Forschungsförde- nen und Kollegen! Nachdem gerade ein so schlauer rung. Ich wundere mich schon, dass hier zwar Einigkeit Spruch aus der SPD gekommen ist, will ich ein Wort zu darüber besteht, dass wir sie eigentlich bräuchten, dass Schlecker verlieren: Der Ministerpräsident von Rhein- (B) dann aber gesagt wird: Dafür haben wir kein Geld. Liebe land-Pfalz hat vor einiger Zeit zu einem Arbeitslosen ge- (D) Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsseite, ich sagt: Rasieren und waschen Sie sich erst einmal, dann mache Ihnen einen Vorschlag: Verzichten Sie auf das bekommen Sie Ihren Job. schwachsinnige Betreuungsgeld. Dann haben wir auch Geld für die steuerliche Forschungsförderung. Das wäre (Zurufe von der SPD: Oh!) ein großartiger Schritt für die Internetwirtschaft in Jetzt blasen Sie hier die Backen auf. Sie sollten auf dem Deutschland. Boden der Tatsachen bleiben und daran denken, was Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu welchen Zeitpunkten gesagt haben. Ich glaube, diese der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Aussage spricht Bände. Was Sie machen, ist Schaufens- GRÜNEN) terpolitik. Zur anderen Kultur gehört auch, dass wir das Schei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tern anerkennen. Wir waren neulich mit dem Unteraus- der CDU/CSU – Inge Höger [DIE LINKE]: schuss „Neue Medien“ in den USA. Dort wurde uns Das ist ja wohl ein kleiner Unterschied! – gesagt: Wenn du zwei-, dreimal mit einer Unterneh- Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So kommen Sie mensgründung gescheitert bist, dann wissen wir, du bist auf 0,5 Prozent! – Garrelt Duin [SPD]: Weiter vernünftig ausgebildet. Beim vierten oder fünften Mal so!) klappt es dann. – Wenn man hier in Deutschland einmal Lassen Sie mich bitte auf den vorliegenden Antrag zu mit einer Unternehmensgründung gescheitert ist, dann sprechen kommen. Die SPD ist bekannt dafür, dass sie kommt man kaum noch auf die Beine. Auch hier können gerne viel regulieren will und den Staat gerne auffordert, wir in Bezug auf das gesellschaftliche Klima für Grün- die Dinge vorzugeben. Ich glaube, wir verlieren dadurch dungen noch viel nachholen. Chancen für Innovationen und die Chance, dass diese Innovationen, die in der Wirtschaft entstehen, die Ge- Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, ist die sellschaft und die Wirtschaft voranbringen. Rolle des Staates. Der Staat muss Treiber von Innovatio- nen sein. Bei der Energiewende und bei Veränderungen Gerade in den Ländern zeigen Sie, wie Sie zu Innova- in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Verkehr und Ver- tionen stehen. Ich komme aus Rheinland-Pfalz. Dort waltung ist der Staat in der Pflicht, Treiber von Innova- schließt ein Unternehmen wie BASF jetzt die For- tionen und Veränderungen zu sein. Herr Rösler, hierzu schungssparte. Sie vertreiben sie aus dem Land, und mit haben Sie leider nichts gesagt. Ich hätte mir gewünscht, Ihrem Koalitionspartner, den Grünen, freuen Sie sich dass Sie heute Morgen einige Sätze dazu gesagt hätten, auch noch darüber, dass Arbeitsplätze vernichtet wer- 20486 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Manuel Höferlin (A) den. Das ist die Realität; eine solche Politik machen Sie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) in den Ländern. Hier glauben Sie, uns weismachen zu Denken Sie an die Zeit, Herr Kollege. können, dass Sie eine ganz andere Meinung haben. Das ist scheinheilig. Manuel Höferlin (FDP): (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ich komme gleich zum Ende. Garrelt Duin [SPD]: Unfug!) Das Internet ist ein Wirtschaftsnetz. Deswegen be- Die Grünen spielen sich als Innovationstreiber der fasst sich der Wirtschaftsausschuss damit. Die Wirt- Nation auf. Ich habe einmal nachgeguckt: 1987 waren schaftspolitiker meiner Fraktion haben daher den vorlie- Sie gegen Videotext, gegen ISDN, gegen Breitbandver- genden Antrag eingebracht, liebe Kolleginnen und kabelung und gegen Kabel- und Satellitenfernsehen. Kollegen von der Linken. Unsere drei Netzpolitiker, die Wenn man auf Sie hören würde, wäre man 30 Jahre spä- Sie aus der Internet-Enquete kennen, haben daran mitge- ter unheimlich weit zurück. Deswegen ist es gut, wenn wirkt. Ihre Namen stehen nicht auf dem Antrag, weil sie wir heute nicht auf das hören, was Sie beim Thema Inno- nicht Mitglieder des Wirtschaftsausschusses sind. Aber vationen wollen. Sie haben einfach keine Ahnung davon. selbstverständlich waren wir Netzpolitiker involviert. Sie können ganz beruhigt sein. In der Fraktion arbeiten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – wir bestens zusammen. Das ist vielleicht nicht überall Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie doch so. mal, was Sie wollen! – Tabea Rößner [BÜND- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist ja NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist 30 Jahre her!) peinlich für Sie! – Garrelt Duin [SPD]: Das Auch heute sind Sie gegen Innovationen und gegen spricht nicht für Sie!) Forschung. Sie sind zum Beispiel gegen Infrastruktur- Wenn man ein Wirtschaftsnetz wie das Internet sich projekte. Immer dann, wenn irgendeine Straße oder Brü- entwickeln lässt, dann kommt es nachher den Menschen cke gebaut werden soll, schreien Sie als Erste auf. Wenn zugute. Das sehen wir auch. Die Menschen haben etwas Kabel übers Land verlegt werden sollen, schreien Sie davon. Es ist ein Netz der Menschen geworden. Die auf. Menschen treiben es voran. In anderen Bereichen sagen Sie aber, Sie wollen gerne wahnsinnig neue Techniken haben. Auch das ist Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: scheinheilig. Kommen Sie jetzt zum Schluss, bitte. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜND- Manuel Höferlin (FDP): (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hilft Ihnen auch Ich glaube, dass unser Antrag vor diesem Hintergrund nicht weiter!) in die richtige Richtung geht.

Wenn Sie es gut finden, wenn es in Ihr Lebensbild passt, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dann wollen Sie, dass der Staat das am Ende finanziert. Herr Höferlin, bitte! Wir brauchen aber Grips und Gründergeist. (Garrelt Duin [SPD]: Grips, ja das wäre mal Manuel Höferlin (FDP): was!) Wir werden weiterhin daran arbeiten, dass die Chan- cen der digitalen Welt in Deutschland genutzt werden. – Ich weiß, dass Ihnen Grips abgeht. Aber das ist nun einmal so. Herzlichen Dank. (Garrelt Duin [SPD]: Unerhört!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen Menschen, die intelligent sind und et- was voranbringen wollen. Grips und Gründergeist ent- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wickeln sich, wenn man ihnen Luft lässt. Man muss eine Das Wort hat jetzt für die Fraktion Die Linke die Kol- freie Entwicklung zulassen. Eine solche Entwicklung hat legin Dr. Petra Sitte. es in den letzten 20 Jahren im Internet glücklicherweise gegeben, weil nicht so viel reguliert wurde. (Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrter Herr Duin, Sie haben vorhin zugerufen: Knapp vorbei ist auch daneben! – Das zeigt, wie Sie mit Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Gründergeist umgehen. Lars Klingbeil hat gesagt: Die Danke schön. – Herr Präsident! Meine Damen und Kultur des Scheiterns ist wichtig. – Mit einem solchen Herren! Halina Wawzyniak hat vorhin zu Recht darauf Satz können Sie jeden gescheiterten Gründer unheimlich hingewiesen, dass eine zu einseitige Fixierung auf die motivieren, wieder aufzustehen und weiterzumachen. digitale Wirtschaft zu einem verkürzten Begriff von Ich glaube, das ist der falsche Ansatz. Innovation führt. Herr Rösler hat uns das heute Morgen deutlich gezeigt. Weder begreifen die Kollegen von (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Union und FDP das Internet als gesamtgesellschaftli- CDU/CSU) chen Raum, noch fassen sie Innovation als Prozess auf, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20487

Dr. Petra Sitte (A) der dem Fortschritt der Gesellschaft dienen soll. Die ge- noch ein Projekt ist, das Dienstleistungen für den deut- (C) samtgesellschaftliche Bedeutung der Internets streifen schen Mittelstand und die produzierende Industrie zur sie lediglich als Thema im Dialog zwischen Politik, Verfügung stellen kann. Da war, wie gesagt, der antike Wirtschaft und Wissenschaft. Die Zivilgesellschaft ist in Held Theseus deutlich erfolgreicher. Er hat nämlich ge- diesen Prozess nicht eingebunden. meinsam mit der klugen Ariadne die Athener von der Tributlast des kretischen Königs Minos befreit. Das gleiche Spiel spielen Sie beim Urheberrecht. Ih- nen ist erstaunlicherweise endlich aufgefallen, dass das (Beifall bei der LINKEN) Urheberrecht Anpassungen an die Digitalisierung Ich muss aber zur Ehrenrettung vieler beteiligter For- braucht. Allein Repressionen gegen die als Raubkopierer scherinnen und Forscher, aber auch der Unternehmen sa- kriminalisierten Bürgerinnen und Bürger sind nicht ein- gen, dass dabei durchaus mehr als die beworbene Rolle mal mehr für Sie des Rätsels Lösung. Was machen Sie des kleinen Helferleins herauskam. aber konkret? Konkret schießen Sie sich doch wieder nur auf den Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen ein. Ihre PR-Strategie zeigt aber noch etwas: Sie zeigt Alles andere, was schiefläuft, sollen nach Ihrem Willen nämlich auch, wie Sie Innovation wirklich verstehen. – das haben Sie heute Morgen bekräftigt – die Inhaltean- Schauen wir noch einmal zurück: Am Anfang stand die bieter durch neue Angebote korrigieren. Wirklich inno- Abwehr der Suchmaschine Google; am Ende haben Sie vativ und dringend notwendig wäre es, für einen Erneue- nur noch ein Projekt, das lediglich als Unterstützung rungsprozess im Bereich des Urheberrechts auch die mit dessen dient, was schon immer gut lief. Und so liest sich ins Boot zu holen, die das Urheberrecht unmittelbar be- eben auch ein Großteil Ihres Antrags. In Ihrer Welt ist trifft, das Internet sozusagen der Logistikkanal der klassischen Wirtschaft, der darüber hinaus den Telekommunika- (Beifall bei der LINKEN) tionskonzernen Geld in die Kassen spült. nämlich Künstlerinnen und Künstler, Journalistinnen (Manuel Höferlin [FDP]: Ach, das ist doch und Journalisten und viele andere mehr, also die wirkli- Quatsch! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: chen Kreativen, denen die Rechte zumeist spottbillig ab- Nein! Hör auf!) geknöpft werden. Auch die Nutzerinnen und Nutzer soll- ten endlich eingebunden werden. Das wäre eine Erst an vorletzter Stelle – das ist die vorletzte Forde- gesamtgesellschaftliche Debatte. Das wäre ein offener rung in Ihrem Antrag – kommen Start-ups und junge Un- Innovationsansatz auf politischer Ebene. ternehmen als eine Ihrer Zielgruppen ins Spiel. Im Übri- gen: Einzelne Bürgerinnen und Bürger fehlen in Ihrem (Beifall bei der LINKEN) Antrag ganz; auf dieses Potenzial wird nicht eingegan- (B) Sie aber gehen an dieser Stelle überhaupt nicht inno- gen. (D) vativ vor. Ansonsten würden Sie beispielsweise nicht (Manuel Höferlin [FDP]: Sind junge Gründer krampfhaft versuchen, ein Leistungsschutzrecht für keine einzelnen Bürger?) Presseverlage zu entwerfen. Sie schützen lieber alte Ge- schäftsmodelle, als Innovationen zu fördern. – Es gibt noch mehr als Start-up-Unternehmer. Das wis- sen Sie genauso gut wie ich. Darüber haben wir lange (Beifall bei der LINKEN) genug in der Internet-Enquete gesprochen. Wohin die Ausgrenzung der Zivilgesellschaft führt, ha- (Manuel Höferlin [FDP]: Aber das sind doch ben wir gerade erst erlebt. Tausende Menschen haben einzelne Bürger!) auf den Straßen gegen Ihre ACTA-Geheimpolitik protes- tiert; das finde ich sehr spannend. Demzufolge können Doch gerade diese einzelnen Menschen – lassen Sie Sie sich nicht weiter abschotten. mich das noch einmal betonen – stellen ein besonderes Potenzial dar; dieses Potenzial sollte man auch bei der Lassen Sie mich noch auf die im vorliegenden Antrag Digitalisierung berücksichtigen. Diese nutzen nämlich ebenfalls angesprochene Innovations-, Forschungs- und das Netz als gemeinsamen Ideenpool, der offen und cha- Technologieförderung in den Bereichen Internet und otisch – das mag oft so sein –, aber auch ungeheuer digitale Wirtschaft eingehen. Theseus ist nicht nur ein schnell und flexibel ist. Dabei entstehen wunderbare antiker Held, sondern auch der Name des im Februar ab- Innovationen. geschlossenen Mammutprojekts des Forschungsministe- riums. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie es bisher lief. (Manuel Höferlin [FDP]: Aber das müssen wir Es entstand damals aus dem verzweifelten Versuch, nicht alles staatlich regulieren! Dann ist die Google mit einer europäischen Suchmaschine zu begeg- Innovation weg!) nen und Konkurrenz zu machen. Dieses Ziel hat man Ich erinnere beispielsweise an wheelmap.org, den roll- dann sehr schnell aufgegeben. stuhlgerechten Stadtplan des Vereins Sozialhelden; ich Übrig blieb nun der Plan, das große und spannende erinnere an eine weltweite Onlinecommunity, die ge- Forschungsgebiet der semantischen Suche weiter auszu- meinsam hängende Gemüsegärten für die Fenster von bauen. Das musste nun aber irgendwie politisch verkauft Großstadtwohnungen entwickelt hat und derzeit sozu- werden; also sprach man, wie auch Sie heute Morgen, sagen über die ganze Welt verstreut miteinander kom- vom Internet der Dinge, vom Internet der Dienste. Große muniziert. Oft folgen aus solchen in offenen Prozessen Worte! Bei der Abschlusspräsentation zeigte sich aber, entstandenen Innovationen dann eben auch Produktent- dass THESEUS in der Eigenvermarktung nunmehr nur wicklungen, die wiederum die Wirtschaft stärken. 20488 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Dr. Petra Sitte (A) Würden Sie Innovation als offenen und gesamtgesell- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) schaftlichen Prozess denken, käme das auch der digita- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- len Wirtschaft zugute, wahrscheinlich auch einer digita- KEN) len Wirtschaft, unter der nicht nur die üblichen Konzerne Innovationsstärke, Kreativität und vor allen Dingen verstanden werden. Aber dafür – das will ich abschlie- ungewöhnliche Ideen sind in den Augen vieler Investo- ßend sagen – müssten Sie Menschen statt Fabriken Vor- ren oft die Schwäche eines Unternehmens. Erfolg oder fahrt in Ihrer Politik einräumen. Misserfolg lassen sich hier eben nicht so leicht berech- Danke schön. nen wie der Erfolg eines Konzeptes einer Bäckerei in der Innenstadt. Hier brauchen wir mehr Mut zum Risiko und (Beifall bei der LINKEN – Manuel Höferlin schnellere Entscheidungswege. [FDP]: Gründer sind Menschen mit Grips und Gründergeist! Die wollen wir haben! Keine Damit bin ich beim nächsten Problem. Es gibt mehr Staatsleute!) als genug öffentliche Förderprogramme; das wurde auch in der Anhörung deutlich. Nur, diese sind nicht auf die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bedürfnisse dieser Branche zugeschnitten. Anders als bei großen Wirtschaftszweigen dominieren in der Krea- Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die tivwirtschaft nämlich Kleinstbetriebe mit unter zehn Be- Kollegin Tabea Rößner. schäftigten. Sie brauchen oft viel geringere Kreditvolu- mina. Aber bei Beträgen von unter 30 000 Euro ist das Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): für die Banken kein interessantes Geschäft. Auch die öf- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In fentlichen Förderprogramme berücksichtigen das nicht. dem vorliegenden Antrag bezeichnen Sie, liebe Kolle- Genau hier müssen wir ansetzen. Außerdem brauchen ginnen und Kollegen von der Koalition, Innovationen wir längere Rückzahlungsfristen, da sich ein finanzieller und moderne Technologien als „Motor für Wachstum Erfolg meist erst später einstellt. Wir haben eben von der und Beschäftigung“. Und es stimmt: Wir haben hier ei- Kultur des Scheiterns gesprochen: Manchmal ist man nen wichtigen Wirtschaftsfaktor, in dem noch sehr viel erst beim zweiten oder dritten oder sogar vierten Versuch Potenzial steckt. Aber dieser Motor kommt nicht so erfolgreich. recht zum Schnurren. Woran liegt das? Ich kann es Ihnen sagen: Ihnen fehlt der Mut, jetzt die richtigen Weichen (Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Au- zu stellen. ßer bei Christian Lindner, der darf das nicht! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [SPD]: Der ist auch schon mehrfach geschei- tert!) (B) Hierzu gibt es – der Kollege Klingbeil hat darauf verwie- (D) sen – ungeheuer viele Vorschläge. In der Internet-En- Die Politik muss die Förderprogramme deutlich ein- quete haben wir schon vieles erarbeitet; an anderem ar- facher gestalten, übrigens nicht nur für die IKT-Branche. beiten wir noch. Nichts davon findet sich jedoch in Die Beantragung ist zu komplex und dauert oft viele diesem Antrag wieder. Das ist sehr bedauerlich. Monate – Monate, die in dieser Branche oft das Aus für solche kleinen Unternehmen oder Start-ups bedeuten Viele Menschen haben mit dieser Branche insgesamt können. Wenn wir also mit den USA oder mit Ländern noch ihre Schwierigkeiten; sie fremdeln. Das stellen wir wie Frankreich konkurrenzfähig werden wollen, dann auch in der Internet-Enquete fest. Wenn die Unterneh- müssen wir auch die Bürokratie konkurrenzfähig ma- mer von morgen richtig Gas geben wollen, treten gleich- chen. zeitig Banken und Bürokratie auf die Bremse. Auch von der Politik kommt viel zu wenig Anschub. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ KEN – Manuel Höferlin [FDP]: Das machen DIE GRÜNEN) wir ja gerade!) Eine Bremse sehe ich in dem, was Sie in Ihrem An- – Naja. Davon ist in dem Antrag nicht viel zu lesen. – trag recht lapidar „allgemeine“ und „IKT-spezifische Flexibel, passgenau und offen für Neues, so muss unsere Rahmenbedingungen“ nennen. Ich möchte das gerne Investitionspolitik aussehen. Das wäre schon einmal der konkretisieren. Eine, wenn nicht die wichtigste Rahmen- richtige Antrieb für unseren Motor. bedingung ist das Investitionsklima in Deutschland. Im vergangenen Jahr haben wir zu diesem Thema eine An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hörung im Unterausschuss Neue Medien durchgeführt; sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD]) Lars Klingbeil und Petra Sitte waren auch dabei. Dabei Dass dieser Motor umweltfreundlich betrieben wer- wurde sehr deutlich: Eine Wachstumsbremse für weite den sollte, ist dabei selbstverständlich; Green IT ist da Teile der Branche ist die latente Unterfinanzierung; das das Stichwort. Es stünde Deutschland wirklich gut zu ist ein Problem. Vor allem kleine Unternehmen mit einer Gesicht, wenn wir hier unsere Anstrengungen noch ver- innovativen Idee, aber ohne ein bewährtes Geschäftsmo- stärkten. Denn wenn das T in IKT grün wird, sparen wir dell – das ist ja das Problem – leiden unter einem er- Ressourcen und damit Geld und machen diese Technolo- schwerten Kapitalzugang. Eine Verbesserung der Finan- gie selbst zum Exportschlager für Deutschland. zierungssituation könnte der Kreativwirtschaft hier den Weg hin zu mehr Wachstum ebnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20489

Tabea Rößner (A) Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Infrastruktur. kunft neue Technologien – zum Beispiel die nächste Ge- (C) Es wurde viel zum Ausbau der Breitbandanschlüsse ge- neration von LTE mit breiteren Anbindungen – sagt. Sie haben recht: Breitbandanschlüsse sind zwin- entwickeln können, wenn man Technologien staatlich gende Voraussetzung für die digitale Wirtschaft. Auf fördert? diesem Gebiet gibt es erheblichen Nachholbedarf; auch das haben wir schon gehört. Ich zitiere: Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn man es bei der Stromanbindung auch so ge- Herr Höferlin, ich glaube, Sie haben unseren Antrag macht hätte, wie wir es im Moment mit der Internet- nicht richtig gelesen. anbindung machen, dann wären noch immer tau- (Manuel Höferlin [FDP]: Wir reden über den sende Höfe im Schwarzwald nicht am Strom … Antrag! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil Wissen Sie, wer das gesagt hat? Der Fraktionsvorsit- [Peine] [SPD]: Da steht nichts drin!) zende auf dem Kongress der Unionsfrak- In unserem Antrag wird der Universaldienst richtig tion vor einigen Tagen. Er hat völlig recht: So wie bisher durchbuchstabiert. Es geht nämlich darum, dass jeder geht es nämlich nicht weiter. Mensch genauso, wie er einen Anspruch auf einen Strom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – anschluss oder einen Wasseranschluss hat, auch einen Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anspruch auf einen Breitbandanschluss haben soll; NEN]: Diesen Worten folgen keine Taten!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb brauchen wir, wie bei der Stromversorgung, ei- denn der Zugang ist wichtig für die digitale Wirtschaft, nen Universaldienst für ein flächendeckendes Breitband- und zwar vor allen Dingen im ländlichen Raum. Deshalb netz. Sie peilen da zwar hohe Bandbreiten an, aber für ist es egal, wie die Übertragungen sind. In unserem An- das Jahr 2014 nur für 75 Prozent der Haushalte. Ich finde trag steht, dass sie technologieneutral sein sollen. Das es geradezu niedlich, wenn Sie in Ihrem Antrag schrei- muss auch so sein. Das gibt die EU-Richtlinie vor. Es ben, der Breitbandausbau solle bedarfsgerecht und im würde auch nicht etwa viele Fördergelder des Staates be- Rahmen der rechtlichen und haushalterischen Möglich- deuten, weil die Unternehmen das über eine Umlage fi- keiten gestaltet werden. Das ist doch ein Widerspruch in nanzieren. Damit sind nicht nur 1 bis 2 MBit/s zu errei- sich. chen, wie Sie das immer – –

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Manuel Höferlin [FDP]: Sondern 50!) Frau Kollegin Rößner, möchten Sie noch eine Zwi- (B) – Nein. 6 MBit/s auf jeden Fall. Eine Übertragungsge- (D) schenfrage zulassen? Falls nicht, müssten Sie zum Ende schwindigkeit von 6 MBit/s könnte ganz schnell erreicht kommen. werden. Den Ausbau der Übertragungswege auf 50 MBit/s für 75 Prozent der Haushalte betrifft vor allen Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dingen die Städte. Dabei werden die ländlichen Regio- Ich komme gerade zum Ende. Aber Herr Höferlin soll nen völlig abgehängt. Deshalb ist das nicht der richtige seine Zwischenfrage stellen. Bitte. Weg. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der hatte nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zwei Minuten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen. Also, Herr Höferlin, bitte schön. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Manuel Höferlin (FDP): Ich komme zum Schluss. Liebe Frau Kollegin Rößner, würden Sie mir zustim- Meine Damen und Herren, in der digitalen Wirtschaft men, dass es etwas anderes ist, ob man Strom oder Da- steckt viel Potenzial. Es fehlt Ihnen aber an Mut und an tenpakete transportiert, vor allen Dingen hinsichtlich der Kreativität, um wirklich etwas für die Branche zu ver- Transportmedien? Strom lässt sich bisher noch nicht bessern. Auf der Überholspur sind wir noch lange nicht. durch die Luft transportieren. Der Unterschied zur Breit- bandstrategie ist doch wesentlich. Man sagt: Wir Vielen Dank. schmeißen da einfach Geld rein, und dann wird schon je- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der eine Breitbandanbindung von 2 oder 3 MBit/s haben. sowie bei Abgeordneten der SPD) Man finanziert das staatlich und schneidet damit die Innovation ab, dass sich vielleicht neue Techniken ent- wickeln könnten, wie Daten auch auf eine andere Art Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: und Weise zum Endkunden kommen können. Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dieter Jasper das Wort. Beim Strom ist das technologisch gesehen doch sicher eine völlig andere Sache. Da stimmen Sie mir wahr- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- scheinlich zu. Wie gewährleisten Sie, dass sich in Zu- neten der FDP) 20490 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

(A) Dieter Jasper (CDU/CSU): bindungen und eine hochwertige Breitbandstruktur sind (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen unverzichtbar für hohe Lebensqualität und für die wirt- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind schaftliche Prosperität in den Städten, aber auch auf dem vielleicht nicht auf der Überholspur, wir sind aber auf Land. dem richtigen Weg. Auf diesem Weg wollen wir weiter (Beifall bei der CDU/CSU) vorangehen. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Der fehlende Zugang (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zu dieser essenziellen Infrastruktur schließt Menschen Die digitale Wirtschaft ist kein Zukunftsthema, son- und Unternehmen von wesentlichen gesellschaftlichen dern ein Thema der Gegenwart. Die digitale Wirtschaft Aktivitäten und Entwicklungsmöglichkeiten aus. ist ein Begriff, der hohe Erwartungen weckt, der aber Eine moderne Breitbandstruktur ist Voraussetzung für auch diffus und unbestimmt ist, Anwendungen wie Internetfernsehen, telemedizinische (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Anwendungen, digitalisierte Heimarbeitsplätze usw. Un- GRÜNEN]: Genauso wie Ihr Antrag!) erlässlich hierfür ist eine flächendeckende Anbindung besonders für Unternehmen und Freiberufler, ein Feld, auf dem noch viele Fragen offen und genauso viele Entscheidungen zu treffen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) In jedem Fall ist die digitale Wirtschaft ein zentraler aber auch für die Familien. Wachstums- und Innovationsmotor. Völlig neue Kom- Wir haben vor einigen Tagen hier im Bundestag da- munikationsformen sind entstanden. Es ist eine struktu- rüber diskutiert, wie der Anteil von Frauen in der Wirt- relle Änderung von Entscheidungsprozessen in Wirt- schaft vergrößert werden kann. schaft, Politik und Gesellschaft zu beobachten. Es entwickeln sich völlig neue Produkte, Geschäftsfelder (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) und Berufszweige. Auch und gerade hier bietet das Internet erhebliche Durch das Internet und seine verschiedenen Plattfor- Möglichkeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf men verschiebt sich die Marktmacht immer mehr vom zu verbessern, und zwar sowohl für Frauen als auch für Anbieter zum Nachfrager bzw. zum Verbraucher. Trei- Männer. bende Kraft und Motor dieser Entwicklung ist die expo- (Beifall bei der CDU/CSU) nentielle Steigerung der Zahl der Internetnutzer. Es dau- ert nur noch wenige Jahre, dann wird bereits die Hälfte Die digitale Wirtschaft schafft völlig neue Produkte und Tätigkeitsfelder. Aber es findet auch eine zuneh- (B) der Weltbevölkerung online sein. Die Social Networks (D) erfahren immer größeren Zuspruch. Die zunehmende mende Auflösung der traditionellen Aufbau- und Ab- Popularität mobiler Geräte forciert zusätzlich die rasante laufstrukturen statt. Bisher bestehende Hemmnisse kön- Entwicklung des Internets. nen abgebaut und neue Wege gegangen werden. Es entstehen völlig neue Führungs- und Bearbeitungswege. Wenn wir heute über die digitale Wirtschaft reden, Dies ist meines Erachtens eine riesige Chance für eine dann versteht man darunter zunächst Netzpolitik mit den familienfreundlichere Arbeits- und Berufswelt. zentralen Themen Urheberrecht, Datenschutz und Netz- neutralität. Immer mehr wird die digitale Wirtschaft aber Technologische Innovationen ziehen somit gesell- auch zu einem Themenfeld der Wirtschaftspolitik. Die- schaftliche und ökonomische Änderungen nach sich. ses neue Medium wird zunehmend als weiterer Produk- Das kann aber nur dann funktionieren, wenn allen Bür- tionsfaktor anerkannt. gerinnen und Bürgern der Zugang zu den Datenautobah- nen der Zukunft möglich ist. Breitbandanschlüsse mit Ziel der Wirtschaftspolitik muss es sein, Innovations- hochrangigen Datentransferraten gehören genauso wie freude und Technologieoffenheit zu fördern. Chancen Strom-, Wasser- und Abwasserleitungen zu einem un- müssen erkannt und Risiken begrenzt werden. verzichtbaren Bestandteil der infrastrukturellen Daseins- vorsorge. In welchen Bereichen liegen denn nun die Potenziale der digitalen Wirtschaft? Wir finden sie in den Bereichen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Innovation, Wachstum und Beschäftigung. Wir finden Sie sind ein entscheidender Wettbewerbsfaktor bei sie erstens im Bereich der Informations- und Kommuni- Standortfragen. kationstechnologie selbst, zweitens in den klassischen Branchen – hier vor allen Dingen durch innovative An- Die Breitbandstrategie der Bundesregierung hat in wendungen, Produktivitätssteigerungen und neue Ge- den letzten Jahren signifikante Ausbauerfolge vorweisen schäftsmodelle – sowie drittens in der Bereitstellung und können. Eine fast flächendeckende Versorgung mit An- im Ausbau zukunftsfähiger und sicherer Netze und In- schlüssen von 1 MBit/s ist erreicht worden. Dieser frastrukturen. schöne Erfolg kann jedoch nur ein erster Schritt sein und sollte uns ermutigen, auch den zweiten Schritt konse- Gerade der dritte Punkt liegt mir besonders am Her- quent zu gehen. zen. Ich vertrete als Abgeordneter den Kreis Steinfurt im Münsterland. Mein Wahlkreis ist ländlich strukturiert Die Situation in den ländlich geprägten Kommunen und geprägt durch eine hohe Anzahl von kleinen und ist noch nicht zufriedenstellend. Zahlreiche Kommunen mittelständischen Unternehmen. Schnelle Internetver- haben zwar praktikable und wirtschaftliche Lösungen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20491

Dieter Jasper (A) vor Ort entwickelt; es ist aber unsere Aufgabe, diese Lö- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) sungen auf Bundesebene zu fördern und zu unterstützen. neten der FDP) Es gilt, Verantwortung zu übernehmen, besonders in den Bereichen der Daseinsvorsorge und der Gleichheit von Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Lebensqualität. Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das Die Anstrengungen der Bundesregierung, auch die Thema digitale Wirtschaft ist kein Zukunftsthema. Es ist bisher nicht ausreichend versorgten Gebiete zu erschlie- ein Gegenwartsthema, bei dem über die Zukunft unserer ßen, werden von mir ausdrücklich begrüßt. Grundsätz- Wirtschaft und unserer Gesellschaft entschieden wird. lich spreche ich mich für einen technologie- und wettbe- Auch wenn der Kollege Lämmel recht hat, dass es werbsoffenen Ansatz aus, der auch Funklösungen hier um mehr geht als nur die Frage des Breitbandan- beinhaltet. Doch nach heutigem Wissensstand stellen schlusses, möchte ich mich auf die Debatte einlassen, die diese Satelliten- und Mobilfunktechniken nur Über- hier geführt wurde, und möchte vorrangig über dieses gangslösungen dar. Es müssen schwankungsfreie Daten- Thema reden, mich auch auf das beziehen, was wir in übermittlungen mit hohen Übertragungsraten für jeden der TKG-Novelle festgelegt haben, was uns aus meiner Endnutzer gewährleistet sein. Langfristig werden wohl Sicht ein ganzes Stück voranbringen wird. nur leitungsgebundene Anschlüsse zu zufriedenstellen- den Ergebnissen führen. Glauben Sie mir, mir tut es schon leid, dass wir diese Novelle erst jetzt in Kraft setzen können, weil die Län- Deutschland ist in vielen Bereichen Weltmarktführer, der das verzögert haben. Sie haben im Übrigen nicht aber leider nicht im Bereich der IT. Hier haben wir er- über die Sache verhandelt, sondern über den schnöden heblichen Nachholbedarf. Aufgabe der Politik ist es, ver- Mammon. Bei dem, was der Bundesrat beraten hat, ging lässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies gilt ins- es am Ende nur um das Geld für die Rundfunkanstalten besondere im Bereich der Vorratsdatenerfassung, wo und nicht um Inhalte. Das ärgert mich; das sage ich ganz endlich eine Lösung gefunden werden muss. offen. Aber auch der Datenschutz ist ein zentrales Thema. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unabhängig Deutsche Unternehmen, die sich im internationalen von der Partei!) Wettbewerb befinden, sehen sich hier 17 Datenschutz- behörden – 16 auf Länderebene und auf Bundesebene – – Es ist keine parteipolitische Kritik, Kollege Heil, son- gegenüber und fühlen sich durch unterschiedliche Geset- dern ganz einfach der Hinweis darauf, dass es nicht sein zesauslegungen immer wieder ausgebremst. Ich bekenne kann, dass der Bundesrat Dinge, die gut sind, die auch er mich ausdrücklich zu unserer föderalen Struktur in explizit für gut hält, verzögert, weil er meint, man (B) Deutschland. Aber die Anforderungen des Datenschut- könnte an der Stelle noch ein paar Euro herausschlagen. (D) zes müssen dringend koordiniert werden. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch die mangelnde Investitionskultur in Deutsch- NEN]: Das letzte Mal hat es nicht funktio- land ist ein Problem. Junge Start-ups haben es häufig niert!) schwer, ihre Ideen umzusetzen, da die notwendigen fi- Ich möchte noch einmal deutlich machen, was uns die nanziellen Mittel fehlen. Dafür sind unbürokratische TKG-Novelle letztendlich sehr konkret bringen wird. staatliche Hilfestellungen sinnvoll und notwendig. Hier Wir haben den abstrakten Begriff der investitionsorien- sind die Stichworte KfW und staatliche Forschungsför- tierten Regulierung das erste Mal in einem Gesetz klar derung zu nennen. definiert, haben damit Planungssicherheit für beteiligte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unternehmen, die der Regulierung unterworfen sind, ge- schaffen und Risikoteilung verordnet. Wir haben auch Die Wachstumspotenziale der digitalen Wirtschaft klargemacht, dass das oberste Regulierungsprinzip in sind gewaltig. Unsere Aufgabe als Bundespolitiker ist Zukunft nicht ein preisbezogener Verbraucherschutz sein es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese Poten- kann, sondern ein Investitionsanreiz sein muss. ziale in Deutschland schnell und effizient gehoben und ausgeschöpft werden können. Die unionsgeführte Koali- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tion hat hier schon einiges erreicht. Der vorliegende An- der FDP) trag unterstreicht unseren Willen, den eingeschlagenen Ich hoffe, dass auch die Regulierungsbehörde das als Weg weiterzugehen und den Innovationsstandort Deutsch- Hinweis darauf versteht, dass sich in diesem Bereich re- land weiter zu stärken. gulatorisch außerhalb des Gesetzes noch einiges tun Herzlichen Dank und Glückauf. muss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wir haben einen Beitrag dazu geleistet, dass wir auch neten der FDP) die ländlichen Räume kostengünstiger erschließen kön- nen. Wir erreichen das dadurch, dass wir das Microtren- ching ins Gesetz geschrieben haben. So besteht die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Möglichkeit, ohne riesigen baulichen Aufwand Kabel Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat beispielsweise in Bürgersteigen zu verlegen, indem man nun der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU- nur einen Schlitz schneidet und das Kabel hineinlegt. Sie Fraktion das Wort. glauben gar nicht, mit wie vielen Widerständen aus der 20492 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Dr. Georg Nüßlein (A) Baubranche, aber auch aus dem Ministerium man letzt- solchen Ausmaß vorhanden sind. Aber das wird kom- (C) endlich kämpft, wenn man so etwas Vereinfachendes in men. ein Gesetz schreiben will! Trotzdem ist es uns gelungen. Ich erinnere mich noch immer lächelnd an den Irrtum Wir haben den Zugang zu breitbandrelevanter Infra- meines EDV-Professors, der vor über 20 Jahren gesagt struktur geregelt und festgelegt, dass insbesondere die hat, dass es an seiner Universität jetzt einen 1-Megabyte- öffentliche Hand die bei ihr bereits vorhandene Infra- Rechner gibt, dass das das Beste ist, was man haben struktur zur Verfügung stellen muss. Auch da gab es eine kann, und man damit in dem Bereich alles machen kann, ganze Reihe von Bedenkenträgern. Ich möchte mich was man machen will. – Was er gesagt hat, war inner- ausdrücklich bei Bundesminister als halb von einem halben Jahr Geschichte. So wird es uns dem zuständigen Minister dafür bedanken, dass er am auch bei den Frequenzen und bei der Inanspruchnahme Schluss ein Machtwort gesprochen und gesagt hat: Na- von Frequenzen gehen. türlich muss als Erstes der Bund seine Infrastruktur zur Wir müssen wissen, Herr Minister Rösler: Der Auf- Verfügung stellen, um auch die Länder verpflichten zu bau von Infrastruktur im Wettbewerb ist schwierig. Aber können und um über ein Schiedsverfahren auch Private er ist doppelt schwierig, wenn sich diese Infrastruktur an den Tisch holen und mit ihnen verhandeln zu können. auch noch dynamisch entwickelt. Deshalb sage ich für Infrastruktur wollen wir ja nicht doppelt aufbauen, son- die CSU, dass wir natürlich eine hohe Sympathie für die dern volkswirtschaftlich sinnvoll. Auch das wird auf Überlegung hegen, die verbleibende Lücke am Schluss diese Art und Weise kostengünstiger gelingen. mit einem Universaldienst zu schließen. Ich will jetzt gar nichts zu den zahlreichen Regelun- (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen zum Wegerecht sagen, die jetzt im TKG stehen. NEN]: Da hätten wir gerne Ihre Unterstützung Auch hier haben wir wieder einen Schritt nach vorn ge- gehabt!) macht. Ich würde mir wünschen, dass ein solches Gesetz dann auch in entsprechender Weise gewürdigt wird. Wir müssen jetzt – und wir sind gut dabei, auch die Bun- desregierung – alles dafür tun, damit diese Lücke so Natürlich ist das noch nicht alles. Ich spreche hier nie- klein wie möglich bleibt, und dann durch staatliches Ein- manden an, aber jeder muss sich überlegen, ob er sich greifen gleiche Verhältnisse bei der Breitbandversorgung angesprochen fühlt. Ein guter Marktwirtschaftler muss in Stadt und Land sicherstellen. Ich bin der Meinung, das abschätzen, was der Markt kann, muss aber ganz ge- muss und wird uns gelingen. Das sind wir gerade unse- nauso auch wissen, was der Markt nicht kann. Bei der ren ländlichen Räumen schuldig. Erschließung der ländlichen Räume werden wir am (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) Schluss nicht vollumfänglich auf den Markt setzen kön- (D) nen, weil der Markt natürlich nur die Dinge im Wettbe- neten der FDP) werb realisieren kann, die am Schluss dann auch renta- Darüber hinaus ist alles richtig, was zum Thema Inno- bel sind, bei denen Renditen entstehen. Das wird bei vationsförderung gesagt wurde, insbesondere das, was dem einen oder anderen Dorf, gerade bei mir in Bayern, Minister Rösler zum Thema Venture Capital gesagt hat. letztendlich nicht der Fall sein. Deshalb ist mir ganz klar, Es kann nicht sein, dass es für Management Fees in dass wir andere Möglichkeiten brauchen, um solche Orte Wagniskapitalfonds Nachteile bei der Umsatzbesteue- anzuschließen; denn es steht sogar in Art. 87 f unseres rung gibt. Es kann auch nicht sein, dass Steuernachteile Grundgesetzes, dass wir eine flächendeckende Erschlie- in anderen Bereichen aufrechterhalten werden. Wir brau- ßung gewährleisten müssen. Im Übrigen steht da auch, chen Anreize für Business Angels in Form von Steuerer- dass eigentlich der Bund für diese flächendeckende Er- leichterungen; hier müssen wir tätig werden. Deutsch- schließung zuständig ist. Diese Dinge sind also sehr prä- land kann sich nämlich in der Tat in einem Bereich mit zise geregelt. den USA vergleichen, und zwar in der Innovations- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dichte. Bei der Anzahl der Patente pro 1 Million Ein- NEN]: Das ist doch wunderbar! Go! – wohner ist Deutschland so gut wie die USA. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Erklären Sie das (Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]) bitte der FDP noch mal!) – Das ist hervorragend, insofern ist der Applaus der Kol- Wie geht es nun weiter? Die mit LTE verbundenen legin absolut angebracht. Möglichkeiten entspannen die ganze Situation natürlich. Dass wir in der Lage sind, den ländlichen Raum über Wir sind aber schlecht bei der Umsetzung; wir sind Funk mit relativ hoher Frequenzbreite einzubinden, ent- schlecht darin, die Patente ökonomisch zu nutzen. Dabei spannt die Situation, aber meiner festen Überzeugung geht es dann um Venture Capital und darum, Wege zu nach nur zeitlich begrenzt. Denn am Ende des Tages gehen, um solche Innovationen unternehmerisch umzu- werden wir beides nutzen: die Funktechnologie und den setzen. Darauf sollten wir unser Augenmerk richten. Wir Glasfaseranschluss. Und es kann nicht sein, dass die sollten alles dafür tun, um Innovationen zu fördern, aber ländlichen Räume nach einer gewissen Zeit wieder abge- am Schluss auch den Breitbandzugang für alle zu garan- hängt werden, wenn in den Städten höhere Frequenzen tieren. und auch die entsprechenden Anwendungen vorhanden Vielen herzlichen Dank. sind. In der Tat stimmt es nämlich, dass momentan die Anwendungen für hohe Frequenzen noch nicht in einem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20493

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vizepräsident : (C) Ich schließe die Aussprache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sind alle wieder in der Lage, einen neuen Tagesordnungspunkt zu behan- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der deln? – Das scheint der Fall zu sein. Wir machen weiter. Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/9159 mit dem Titel „Wachstumspotenziale der Digitalen Wirt- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 a bis c auf: schaft weiter ausschöpfen – Innovationsstandort a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Deutschland stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Kai Wer stimmt dagegen? – Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist die Mehrheit!) EU-Datenschutzreform unterstützen Wer enthält sich? – Drucksache 17/9166 – Überweisungsvorschlag: (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Innenausschuss (f) GRÜNEN]: Die Opposition hatte die Mehr- Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und heit, Herr Präsident! – Weitere Zurufe) Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe – Ich bin der Meinung, die Mehrheit war dafür, aber wir Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sind hier unterschiedlicher Meinung. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Dann Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), müssen wir einen Hammelsprung machen! Ich Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der muss nicht nach Hause! – Weitere Zurufe) Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wenn eine Fraktion die Beschlussfähigkeit feststellen Völlige Unabhängigkeit für den Bundesdaten- lassen will, müssen wir einen Hammelsprung vorneh- schutzbeauftragten men. – Drucksache 17/6345 – (Zurufe) Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) – Es ist so und nicht zu ändern. So sieht es die Ge- Ausschuss für Kultur und Medien schäftsordnung vor. Das macht nicht viel Freude, Sie c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (B) müssen es aber selbst verantworten. richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem (D) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Ich bitte Sie, den Plenarsaal zu verlassen. Dann Notz, Nicole Maisch, Tabea Rößner, weiterer Ab- schließen wir die Türen, und Sie klingeln und trommeln, geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE damit die Kollegen kommen. GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie noch Grundrechte schützen – Datenschutz und Ver- einmal, den Saal zu verlassen und die Türen zu schlie- braucherschutz in sozialen Netzwerken stär- ßen, damit wir mit der Auszählung beginnen und diese ken so zügig wie möglich durchführen können. – Drucksachen 17/8161, 17/9198 – Wir beginnen mit der Abstimmung. Berichterstattung: Darf ich um ein Signal von den Schriftführern bitten? – Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting) Ja, dann schließen wir die Türen. – Kann mir einer der Gerold Reichenbach Schriftführer bitte das Ergebnis mitteilen? – Liebe Kol- Gisela Piltz leginnen und Kollegen, ich bitte darum, Platz zu neh- Jan Korte men. Ich möchte Ihnen das Ergebnis der Zählung be- Dr. Konstantin von Notz kannt geben. – Es haben insgesamt 334 Kolleginnen und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Kollegen an der Abstimmung teilgenommen. die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. (Beifall des Abg. Thomas Oppermann [SPD]) Ich eröffne somit die Aussprache. Erster Redner in Das heißt, die Sitzung geht jetzt weiter. Es haben unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- 198 Abgeordnete mit Ja gestimmt und 136 Abgeordnete nen unser Kollege Dr. Konstantin von Notz. Bitte schön, mit Nein. Damit ist der Antrag angenommen. Kollege Dr. Konstantin von Notz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich warte einen Moment, damit diejenigen, die an NEN): dem nun folgenden Tagesordnungspunkt nicht mitwir- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ken wollen, den Saal verlassen können, und übergebe an Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! den Kollegen Oswald. Nachdem wir vor knapp einem Jahr einen eigenen Ge- 20494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Dr. Konstantin von Notz (A) setzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz eingebracht Immer wieder suchen große Player nach dem Standort (C) haben, diskutieren wir heute Morgen über drei weitere mit den schwächsten Datenschutzvorgaben, das soge- Anträge der Grünen zu dem wichtigen Thema Daten- nannte Forum Shopping. Gleichzeitig stehen wir vor den schutz: erstens einen Antrag zur Unabhängigkeit des Herausforderungen des Cloud Computing. Es ist deshalb Bundesdatenschutzbeauftragten, zweitens unseren An- überfällig, die Anwendungsregelungen nach dem Markt- trag zum Datenschutz in sozialen Netzwerken in zweiter ortprinzip festzuschreiben. Weil diese Bundesregierung und dritter Lesung und drittens einen Antrag zur anste- das Marktortprinzip immer noch nicht im Bundesdaten- henden Reform des Datenschutzes auf EU-Ebene. schutzgesetz festgeschrieben hat, brauchen wir die euro- päische Datenschutzreform. Wir brauchen hohe, gemein- Mit unseren Anträgen betreten wir thematisch same, europäische Standards. schwarz-gelbes Brachland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – und bei der SPD) Manuel Höferlin [FDP]: Was ist denn das für eine Sprachblase?) Es stimmt: Es gibt in Deutschland in Teilen ein gutes und im Vergleich zu anderen Ländern ein hohes Daten- Die vollmundigen Versprechen aus dem Koalitionsver- schutzniveau. Die zuständige EU-Kommissarin Reding trag – ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, die Stiftung erklärte vor einigen Tagen, deutsches Datenschutzrecht Datenschutz, Reformen im Bundesdatenschutzgesetz – sei Richtschnur und Messlatte für die anstehende Re- sind bisher allesamt Rohrkrepierer. Wir haben die De- form auf europäischer Ebene. In einer Zeit, in der mo- batte auf die heutige Tagesordnung gesetzt, um die Bun- derner Datenschutz zur Schlüsselfrage in der digitalen desregierung und speziell das Bundesinnenministerium Welt geworden ist, in einer Zeit, in der moderner Daten- endlich dazu zu bringen, sich konstruktiv an dieser Dis- schutz ein Standortvorteil ist, darf unser Land nicht vom kussion zu beteiligen. Innovationsmotor zum Bremsklotz dieser Entwicklung werden. Die EU-Datenschutzverordnung ist das zentrale Da- tenschutzreformprojekt der nächsten Jahre. Hier wird (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich entscheiden, ob es der Politik gelingt, einen zeitge- sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]) mäßen Grundrechtsschutz vor dem Hintergrund von In- Sonst drohen ein Ausverkauf der Grundrechte und ein ternet und Digitalisierung umzusetzen oder ob dieses diskriminierendes Kastensystem, das auf Verhaltenspro- Projekt scheitert mit unabsehbaren Folgen für die Rechte filen und automatisierten Bewertungen aufbaut: Wer der Bürgerinnen und Bürger. Von vielen Seiten wird jetzt trägt das Stigma der Kreditunwürdigkeit? Wer bekommt versucht, den nicht perfekten, aber guten ersten Auf- (B) überhaupt noch einen Vertrag? Wer verendet in der War- (D) schlag der Kommission zu zerpflücken: einerseits von teschleife des Callcenters? Wer erhält den Arbeitsplatz Konzernen und Wirtschaftsverbänden, die versuchen, nach welchen Kriterien? – Solche Fragen berühren die ihre lukrativen Geschäftsmodelle durch automatisierte Menschen ganz konkret. Wenn komplexe Algorithmen Verhaltensauswertung und Datenhandel profitabel zu über soziale Teilhabechancen von Menschen entschei- halten, andererseits auch von verschiedenen Bundeslän- den, dann laufen die Grundrechte einfach leer. dern, die derzeit aus Sorge um Kompetenzverlust leider gegen die dringend notwendige Reform mobil machen. Eine ganz zentrale Grundlage der Freiheit ist die indi- viduelle Wahlmöglichkeit, die Entscheidung, was mit Hierzu gesellt sich die Bundesregierung. Minister den eigenen Daten geschieht. Mit diesem Grundsatz ist Friedrich – er ist leider heute nicht da – hat sich ent- die gegenwärtige Praxis vieler Unternehmen einfach schieden, an diesem wichtigen Projekt nicht konstruktiv nicht zu vereinbaren. mitzuwirken, sondern es zu hintertreiben. Es ist doch nicht zu fassen, dass bald 30 Millionen (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nutzerinnen und Nutzer allein in Deutschland soziale NEN]: Unglaublich!) Netzwerke als zentrale Informations- und Kommunika- tionsplattform nutzen, aber diese Bundesregierung noch Der Minister sagt, dass unser Datenschutzrecht nicht eu- immer nicht willens und nicht in der Lage ist, hier für ei- ropäischem Recht unterstellt werden dürfe. Er sagt etwas nen adäquaten Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und volkstümlich – ich zitiere –: „An Bewährtem und Gutem Bürger zu sorgen. aus deutschen Landen wollen wir festhalten“, ganz so, als lebten wir nicht in einem gemeinsamen Europa, als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebe es kein grenzüberschreitendes Netz. Ich frage Sie: sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Was hilft es den Menschen, wenn das gute Datenschutz- KEN) niveau in Deutschland endet, sobald Sie in Spanien im Ich komme auch nicht darum herum, das Verhalten Urlaub sind, der Bundesverbraucherschutzministerin zu erwähnen. (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE Frau Aigner ist nach – zugegebenermaßen – unerquickli- GRÜNEN]: Gar nichts!) chen Gesprächen mit Facebook persönlich dort ausgetre- ten. Seither ist nichts geschehen. Das ist doch unfassbar. wenn die Server des Anbieters, den Sie nutzen, ganz wo- Die Ministerin erkennt Probleme und Gefahren und zieht anders stehen oder wenn Sicherheitsbehörden oder Un- zwar für sich persönlich Konsequenzen, lässt aber ternehmen Daten einfach in andere Länder weiterleiten? 25 Millionen Menschen bei Facebook in diesem Land Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20495

Dr. Konstantin von Notz (A) mit der Gefahr und den Problemen alleine. Das wäre un- schutzbeauftragte ist bisher ohne entsprechende Stellung (C) gefähr so, als hätten wir einen Gammelfleischskandal und Durchsetzungsmöglichkeiten geblieben. Weil seine und Frau Aigner erklärte: Alles kein Problem, die Bun- Anbindung an die Parlamente die notwendige politische desregierung muss nichts machen. Ich selbst habe mich und rechtliche Verantwortlichkeit gewährleistet, fordern entschieden, keine Bratwurst mehr zu essen. – So kann wir mit unserem Antrag die längst überfällige Anglei- man keine Politik machen, meine Damen und Herren! chung seiner Stellung insbesondere an die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs. Mit Blick auf die Aufsichts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN funktion im nichtöffentlichen Bereich muss festgestellt sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- werden, dass die fehlende Möglichkeit des Beauftragten, KEN) selbst Bußgelder zu verhängen, eine echte Schutzlücke Auch Bundesinnenminister Friedrich hat sich im letz- ist. ten Jahr mit Vertretern von Facebook getroffen; man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trifft sich öfter. Mit dem Unternehmen wurde eine soge- und bei der LINKEN) nannte Selbstverpflichtung vereinbart. Danach sprach der Minister von einer deutlichen Entschärfung des Kon- Das Internet ist herausragendes Element der digitalen flikts. Seither ist nichts passiert. Im Gegenteil: Jüngst hat Revolution. Neue Politikfelder und eine eigene Öffent- sich der Konzern ganz offiziell final vom Begriff des lichkeit mit großem politischem Gewicht sind geschaf- Datenschutzes verabschiedet. Gerade heute wird die so- fen worden. Obwohl wir alle wissen, dass erst der Daten- genannte Timeline verpflichtend für alle eingeführt. Die schutz das notwendige Vertrauen in die freie und Erfahrungen der letzten Wochen mit Facebook und unbefangene Nutzung des Netzes schafft, obwohl eine Google zeigen: Hier werden ständig willkürlich Ände- der wichtigsten ständigen Rechtsprechungslinien des rungen der ohnehin völlig unverständlichen AGB ein- Bundesverfassungsgerichts den Schutz der Privatheit in fach durchgedrückt. allen Facetten betrifft und obwohl zahlreiche Gesetze seit den 70er-Jahren in Kraft sind und ein entsprechen- Das alles überrascht nur Naive, sage ich Ihnen; denn des Schutzniveau zu entfalten suchen, können das bis heute gibt es im Datenschutz kein einziges funktio- Grundverständnis und eine breite Akzeptanz der Privat- nierendes Selbstregulierungsmodell. Deswegen sage ich heit nicht automatisch als gesichert gelten. Das zeigen Ihnen: Hören Sie auf, sich hinter dem Begriff der Selbst- uns alle aktuellen Debatten über die verpflichtende an- regulierung zu verstecken, und machen Sie endlich Ihre lasslose Vorratsdatenspeicherung, über die Staatstroja- Hausaufgaben! ner, über Facebook, über die Funkzellenabfrage etc. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deswegen müssen wir die Privatsphäre und den Daten- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- schutz, dieses besondere Schutzgut unserer Demokratie, (B) (D) KEN) jeden Tag neu begründen, erklären und erstreiten. Bewusst haben wir heute unseren Antrag zum Daten- Ganz herzlichen Dank. schutz in sozialen Netzwerken aufgesetzt. Die schwarz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gelbe Koalition hat bislang leider nicht reagiert. Deswe- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- gen freut es uns, dass der Entwurf der EU-Datenschutz- KEN) verordnung viele wichtige unserer Forderungen, die dort enthalten sind, aufgegriffen hat. Vizepräsident Eduard Oswald: Lassen Sie mich klar sagen: Ausreichend ist dieser Vielen Dank, Kollege Dr. Konstantin von Notz. – Entwurf der Verordnung noch lange nicht. Wir müssen Nächster Redner in unserer Aussprache ist der Parla- jetzt dafür sorgen, dass viele Bestimmungen weiter kon- mentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder. Bitte kretisiert werden, dass Spielräume für innovative Daten- schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. schutzkonzepte bleiben und dass unser bewährtes Sys- tem der Betriebs- und Behördendatenschutzbeauftragten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – nicht ausgehöhlt wird. [CDU/CSU]: Jetzt kommt Sachlichkeit in die Debatte! – Gegenruf des Aber weil weltweit gerade wegen der EU-Reform Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE erstmalig Konturen eines globalen Datenschutzkonzep- GRÜNEN]: Herr Grindel, so wie Sie immer! tes erkennbar werden und in den USA sogar das Weiße Sachlichkeit!) Haus eigene Vorschläge in Reaktion auf die EU-Initia- tive vorlegt, ist es mit der Verweigerung und einem halb- Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- garen Verweis auf das schöne Datenschutzrecht aus minister des Innern: deutschen Landen nicht getan. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herren! Es ist schon interessant, zu hören, dass die Grü- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nen plötzlich den Staat auffordern, tätig zu werden, Neben der aktuellen Diskussion um die EU-Reform (Gisela Piltz [FDP]: Das ist aber nichts Neues! ist die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten zen- So sind sie doch immer, in letzter Zeit! – Ge- traler Bestandteil eines effektiven Datenschutzes. Sie genruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz wird sogar in Art. 8 der EU-Grundrechtecharta aus- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben drücklich genannt. Aber ausgerechnet der Bundesdaten- Sie ihn wieder lieb? – Gegenruf der Abg. 20496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder (A) Gisela Piltz [FDP]: Ich habe jeden von Ihnen Landes gilt, in dem die Dienstleistungen angeboten wer- (C) mal lieb! Ich bin da wählerisch!) den. Diesen Übergang schaffen wir nur, wenn wir diesen großen Wirtschaftsraum mit einer halben Milliarde Ver- dass sie die Autorität des Staates einfordern, wenn es da- braucherinnen und Verbrauchern in die Waagschale wer- rum geht, Sicherheit für die Bürger zu erlangen. Da fen. Wir begrüßen die Maßgabe, vom Marktortprinzip kommen wir uns sehr nahe. Wir sind auch der Auffas- auszugehen. sung, dass wir klare Regeln brauchen, gerade im Inter- net, die dann auch durchgesetzt werden müssen. Von da- Dennoch gibt es grundsätzlichen Erörterungsbedarf. her begrüße ich das, was Sie, Herr von Notz, hier gerade Dabei geht es zum Beispiel um die Frage nach den Gren- an Grundsätzlichem ausgeführt haben. zen und der Reichweite des Datenschutzrechts. Daten- schutz ist ein wichtiges Grundrecht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau!) Wir reden heute über das EU-Datenschutzrecht. Wir haben jetzt einen Verordnungsvorschlag der Kommis- Aber wir dürfen den Datenschutz nicht über alle anderen sion vorliegen, der fast alles regelt. Eine Verordnung fin- wichtigen Grundrechte stellen. Vielmehr müssen wir im- det unmittelbare Anwendung. Ausgenommen sind nur mer abwägen. Ich denke zum Beispiel an die Meinungs- die Bereiche Justiz und Polizei. freiheit. Es darf nicht sein – dies wird in diesem Rechts- akt eben nicht ausgeräumt –, dass eine Privatperson, die Wo stehen wir heute? Wir haben auf europäischer beispielsweise etwas in einem Blog postet oder in sozia- Ebene zu wenig Vereinheitlichung im Bereich der Wirt- len Netzwerken aktiv ist, unter das Datenschutzrecht schaft, im Bereich des Verbraucherschutzes. National fällt und betroffene Dritte umfassend informieren oder sehr unterschiedliche Standards prägen das Bild. Das ein Datenschutzkonzept erarbeiten müsste. Das kann Schutzniveau ist sehr unterschiedlich. Der Vollzug ist nicht der richtige Weg sein. Wir können nicht alles mit überhaupt nicht einheitlich geregelt, und es fehlt an dem Datenschutzrecht regeln. Es gibt auch andere Rege- Transparenz, Verständlichkeit und Anwenderfreundlich- lungsinstrumente, beispielsweise das Urheberrecht und, keit. Das führt natürlich zu Wettbewerbsverzerrungen in- wenn es zum Beispiel um Beleidigungen geht, das Straf- nerhalb des europäischen Wirtschaftsraums. Die Debatte recht. über Facebook hat das gezeigt. Facebook hat wohl nicht ohne Grund Irland als Standort in Europa gewählt. Mein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vorredner hat das als Forum Shopping bezeichnet. neten der FDP) Das Datenschutzrecht auf europäischer Ebene ist in Wir müssen bei allen Ambitionen, die wir bezüglich (B) die Jahre gekommen. Als es entwickelt wurde, haben die des Datenschutzes haben, darauf achten, dass wir die (D) sozialen Netzwerke und die Datenverarbeitungsmöglich- Bürokratie in Grenzen halten. Wir dürfen die Chancen, keiten von Privaten noch keine so große Rolle gespielt. die sich durch diesen einheitlichen Wirtschaftsmarkt bie- ten, nicht dadurch verspielen, dass wir den kleinen und (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE mittelständischen Betrieben bürokratische Hemmnisse GRÜNEN]: So ist es!) auferlegen, die sie nicht erfüllen können. Dann würden Auf Fragen der modernen Informationsgesellschaft fin- wir genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir den wir hier nur unzureichende Antworten. Cloud Com- wollen. puting ist genannt worden. Ich erinnere an die Diskus- Wir müssen die Innovationsfähigkeit erhalten. Wir sion über den „Like it“-Button von Facebook oder die dürfen mit dem Datenschutzrecht, so wichtig es auch ist, Behandlung von Twitter. nicht jede Innovation im Internet von vornherein abwür- Wir haben einen EU-Wirtschaftsraum mit 500 Millio- gen. Wenn ein junges Unternehmen beispielsweise die nen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Das ist ein gro- Idee hat, auf Basis öffentlicher Geodaten eine App zu ßer Markt, und das ist zunächst einmal eine unglaubliche entwickeln, dann muss transparent sein, welche daten- Chance für die IT-Branche und für jeden einzelnen Ver- schutzrechtlichen Voraussetzungen gelten. Ansonsten braucher. Daher ist ein einheitliches Datenschutzniveau wird dieses innovative Produkt nicht in Deutschland, von großer Bedeutung. Wir müssen erreichen, dass Hür- nicht in Europa entwickelt, sondern in Amerika und an den abgebaut werden, um wirtschaftlich in ganz Europa anderen Standorten. tätig werden zu können. Wir wollen erreichen, dass un- ser hohes Datenschutzniveau auf europäischer Ebene Wir müssen uns auch sehr genau über die Rolle der durchgesetzt wird. Kommission, insbesondere gegenüber den Datenschutz- beauftragten, unterhalten. Ist es richtig, dass die Kom- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mission in dem Kohärenzverfahren gegenüber den Da- NEN]: Da könnten Sie so richtig aktiv wer- tenschutzbeauftragten faktisch weisungsberechtigt wird? den!) Wenn ja, dann erreichen wir genau das Gegenteil von dem, was hier gefordert wurde. Die Kommission ist Natürlich bietet das auch die Chance, dass wir gegen- nicht die Superaufsichtsbehörde unserer Datenschutzbe- über den Großen wie Facebook und Google unsere Stan- auftragten. dards durchsetzen können. Deshalb ist der Übergang vom sogenannten Niederlassungsprinzip zum Marktort- Wir müssen uns auch darüber unterhalten, ob es rich- prinzip richtig. Das heißt, dass das Datenschutzrecht des tig ist, dass die Kommission mit Ermächtigungen zum Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20497

Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder (A) Erlass von delegierten Rechtsakten – es sind insgesamt könnten wir allerdings enormen Schaden anrichten, den (C) 26 – mehr oder weniger an den Mitgliedstaaten vorbei wir lange Zeit nicht wiedergutmachen könnten. Deshalb Recht setzen kann. Wir haben bisher überhaupt keine ist es notwendig, dass alle mitarbeiten, auch die nationa- Möglichkeit, die Auswirkungen abzusehen. Das halte len Parlamente. Die Union tut das. Das zeigt sich schon ich nicht für den richtigen Weg. allein daran, dass ein Berichterstatter, Michael Frieser, heute spricht, obwohl er Geburtstag hat. Herzlichen Wir müssen uns insbesondere auch die Auswirkungen Glückwunsch, lieber Michael! auf unseren bereichsspezifischen Datenschutz an- schauen. Unsere modernen Gesetze – ich denke bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie spielsweise an die Gesetze in den Bereichen Soziales bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- und Gesundheit – beinhalten zum größten Teil Daten- NISSES 90/DIE GRÜNEN) schutzregeln, die sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte entwickelt haben. Es gibt dort ein sehr austariertes Sys- Vizepräsident Eduard Oswald: tem. Wenn jetzt alles mit der Verordnung geregelt wird, Jetzt müssen wir nur klären: Galt der Applaus dem dann verdrängt das natürlich die bereichsspezifischen Parlamentarischen Staatssekretär oder dem Geburtstags- Datenschutzregelungen, die wir uns erarbeitet haben. kind? Wollen wir das wirklich? Ich bin der Auffassung, dass wir diesen Rückschritt nicht machen sollten. Dies würde (Heiterkeit – Beifall bei der CDU/CSU und letztendlich ein Weniger an Datenschutz, eine Absen- der FDP) kung des Datenschutzniveaus bedeuten. Das wollen wir – Herr Staatssekretär, jetzt haben auch Sie noch Applaus nicht. erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Als nächsten Redner rufe ich auf für die Fraktion der neten der FDP – Dr. Konstantin von Notz Sozialdemokraten unseren Kollegen Gerold Reichenbach. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts ver- Bitte schön, Kollege Reichenbach. standen!) (Beifall bei der SPD) Ähnliches gilt für den Bereich der Polizei und Justiz. Moderne Polizeigesetze und eine moderne Strafprozess- Gerold Reichenbach (SPD): ordnung bestehen zu einem großen Teil aus Daten- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schutzregelungen, die austariert und in den jeweiligen Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu- Bereichen sehr spezifisch sind. nächst einmal: Lassen Sie auch mich von hier aus gratu- (B) Die EU hat deshalb zu Recht in diesem Bereich eine lieren, Kollege Frieser. Herzlichen Glückwunsch! (D) Richtlinie und keine Verordnung gewählt. Dennoch Wir reden heute über Datenschutz, über den Schutz muss ich sagen: Der EU fehlt die Kompetenz, den Da- von Daten in sozialen Netzwerken, über Verbraucher- tenaustausch innerhalb eines Landes zu regeln. Gerade und Persönlichkeitsschutz. Deutschland ist, weil unser Land einen föderalen Aufbau mit den Bundesländern, mit den unterschiedlichen Si- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Bis jetzt alles cherheitsbehörden hat, darauf angewiesen, dass die Si- richtig!) cherheitsbehörden die Daten untereinander austauschen Wir reden auch darüber, wie dies in einem internationa- können. In unserem Datenschutzrecht gibt es dafür ent- len Netz bei Diensten – sie sind alle schon genannt wor- sprechende Regelungen. Deshalb sagen wir ganz klar: den: Facebook, Twitter, und wie sie alle heißen – und bei Die EU hat hierfür keine Kompetenz, und es ist auch international agierenden Bestellshops durchsetzbar ist. nicht sinnvoll, dass die EU den Datenschutz im Bereich von Polizei und Justiz regelt. Das ist völlig in Ordnung, Aber wir haben auch über die Untätigkeit der Bundes- wenn es um den Datenaustausch zwischen den Mitglied- regierung zu reden. staaten geht. Aber es gibt keine Notwendigkeit dafür, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE wenn es um den Datenaustausch innerhalb der Mitglied- GRÜNEN]: So ist es! – Wolfgang Wieland staaten geht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, haben dafür ein Beispiel gegeben. Die Verhandlungen sind auf einem guten Weg. Wir sollten die Chancen nutzen, die sich für die Verbraucher (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE und für die Wirtschaft ergeben. Das Datenschutzrecht, GRÜNEN]: Mehrere!) wie wir es uns jetzt geben, wird unser Zusammenleben in den nächsten 10, 20 Jahren prägen. Deshalb ist hier Sie haben am Anfang gesagt: „Das ist ganz wichtig; da große Sorgfalt angebracht. Wenn wir es richtig machen, müssen wir etwas machen“ und anschließend erklärt, dann kann das ein großer Standortvorteil für Europa was alles gar nicht geht. werden. Wenn wir es falsch machen, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Bedenken!) (Kirsten Lühmann [SPD]: Was machen Sie denn? Sie machen ja gar nichts! Das ist das Das war Bedenkenträgerei. Wenn wir uns die Debatten Problem!) der letzten Jahre anschauen, können wir feststellen: Das 20498 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Gerold Reichenbach (A) geht immer nach dem Motto: Eigentlich müssen wir den wusst mitgeteilt habe. Aber es ist nicht okay, wenn dies (C) Datenschutz vorantreiben. – Dann pfeift die Wirtschaft von den jeweiligen Diensten unter Umgehung der Sie zurück, und es passiert nichts, frei nach dem schönen Selbstschutzmöglichkeit des Verbrauchers ausspioniert hessischen Sprichwort: Bevor ich nix mach’, mach’ ich wird. lieber gar nix. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gab ja auch in Deutschland einige Fälle. Das Land- So lautet das Motto dieser Koalition im Bereich des Da- gericht Berlin hat ein Urteil gegen Facebook gefällt. Es tenschutzes. ging dabei um die Umstellung seiner Datenschutzrichtli- nie und die Voreinstellung, dass automatisch, wenn Sie Das gilt sogar im Hinblick auf die eigenen Reihen. Es eine Facebook-App installieren, diese anfängt, Ihre Da- freut mich, dass mein ehemaliger hessischer Landtags- ten, Ihre Adressdaten – und zwar nicht nur Ihre, sondern kollege, der jetzige hessische Justizminister, nach mir auch die von Dritten, die vielleicht gar nicht bei Face- sprechen wird; vielleicht kann er Ihnen ja ein bisschen book sind – zu synchronisieren und herunterzuladen. Dampf machen. Denn noch nicht einmal da, wo FDP Nur derjenige, der sich wirklich auskennt und schnell und CDU in den Ländern eine Initiative gestartet haben, genug reagiert, kann diesen Prozess stoppen. um die Daten und die Bürger im Netz besser zu schützen – eine Initiative zur Umsetzung eines europäischen (Manuel Höferlin [FDP]: Quatsch! Man wird Rechts, das bereits existiert und das Sie den Menschen in gefragt! Blödsinn! Das gibt es doch nicht!) diesem Lande seit über einem Jahr vorenthalten –, waren Zur Durchsetzbarkeit und Wirksamkeit dieses Urteils: Sie in der Lage, Ihren Kollegen in den Landtagen zu fol- Facebook sagt, wir sind ein international agierender gen. Sie haben keine Ausrede mehr dafür. Konzern. Wir Sozialdemokraten haben Ihnen hier einen Geset- Die europäischen Datenschutzbeauftragten haben kri- zesvorschlag vorgelegt. Es geht darum, wie die Bürger tisiert – der französische Datenschutzbeauftragte wird vor Cookies geschützt werden. Das sind kleine Dateien, jetzt ein Verfahren einleiten –, dass die Datenschutzbe- die aufzeichnen, wie Sie sich beim Surfen verhalten, was stimmungen für die Google-Dienste, denen der Nutzer Sie im Netz tun und lassen, welche Seiten Sie sich an- vorher bewusst zustimmen muss, so allgemein und schauen und wie oft Sie im Netz sind. Es geht darum, nichtssagend sind, dass sie die Voraussetzungen einer dass diese kleinen Cookies ohne das bewusste, aus- bewussten Zustimmung nicht erfüllen, weil darin Wörter drückliche Ja am Anfang nicht gesetzt werden dürfen. wie „womöglich“, „könnte“, „vielleicht“ und, und, und (B) Sie sagen: Dann muss man seinen Browser umprogram- vorkommen. Kein Mensch würde bei uns in ein Restau- (D) mieren; dann kann man das ja auch hinbekommen. rant oder in eine Kneipe gehen, wo auf der Speisekarte Worum es hier geht, macht ein Beispiel deutlich, das steht: Der Preis für Cola könnte womöglich oder viel- in dieser Woche im Spiegel geschildert wird. Der Vater leicht 3 Euro betragen. Aber genau das ist momentan eines 14-jährigen amerikanischen Mädchens, das regel- Usus im Netz. mäßig Targeting Shops besucht und in Netzwerken un- (Gisela Piltz [FDP]: Wenn man mehr als fünf terwegs ist, hat sich bei der Geschäftsführung eines sol- Minuten Zeit hat, erzählt man viel Unsinn! – chen Shops darüber beschwert, dass es seiner Tochter Manuel Höferlin [FDP]: Aber wahrscheinlich beim Surfen im Internet, aber auch per Post, Werbung fragt Sie die Bedienung, ob Sie noch ein Bier für Babykleidung, Babyspielzeug und Kinderbetten ein- haben wollen!) blendet bzw. zuschickt. Ich finde es immer spannend, dass die ansonsten auf (Gisela Piltz [FDP]: Interessant! Ich erinnere Bürgerrechte fokussierte Partei FDP genau das vertei- mich an die Debatte über Opt-in und Opt-out digt, weil es hier ja um Geschäftsmodelle geht. und wie Sie da argumentiert haben!) (Gisela Piltz [FDP]: Herr Kollege, wer hat Er hat gesagt: Es kann doch nicht sein, dass Sie mit Ba- denn Opt-in und Opt-out geregelt? Waren Sie bywerbung versuchen, einem 14-jährigen Mädchen un- das oder wir?) terzujubeln, dass es schön ist, ein Baby zu bekommen. – Es stellte sich heraus, dass das Mädchen tatsächlich Ich sage Ihnen: Im Grundgesetz der Bundesrepublik schwanger war. Das heißt, der Targeting Shop und die Deutschland steht: „Die Würde des Menschen ist unan- Netzwerke haben durch Verknüpfungen von Daten, tastbar.“ Daraus hat das Bundesverfassungsgericht abge- durch das Aufzeichnen des Surfverhaltens des Mäd- leitet, dass der Mensch auch über seine Daten selber be- chens, durch das Aufzeichnen ihres Bestellverhaltens stimmen kann. Was aber nicht in der Verfassung steht, und durch das Aufzeichnen dessen, was sie sich im Netz ist: Jedes Geschäftsmodell ist unantastbar. – Auch da- angeguckt hat, herausbekommen, was selbst die nächs- rüber diskutieren wir hier. ten Verwandten nicht wussten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir reden heute doch über diese Situation, dass viele soziale Netzwerke und viele dieser Shops mehr wissen Deswegen ist das, was die Grünen in ihrem Antrag als der eine oder andere nächste Partner oder Verwandte. vorgelegt haben, richtig. Das unterstützen wir inhaltlich. Ich sage: Das kann ja okay sein, wenn ich denen das be- Darauf will ich nicht im Detail eingehen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20499

Gerold Reichenbach (A) (Gisela Piltz [FDP]: Jetzt haben Sie so viel die Bundesregierung sie lässt. So sehen Ihre Selbstver- (C) Zeit und sagen uns nichts!) pflichtungen aus! Aber so kann man den Datenschutz in Europa nicht voranbringen. Es müssen klare, für alle gel- Sie machen aber natürlich einen falschen Schritt, indem tende Regeln her. sie sagen: Lasst uns doch schon jetzt mit einem Gesetz- gebungsverfahren anfangen, wo die europäische Verord- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nung vorliegt. – Das macht keinen Sinn. Es gibt einen DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE Bereich – das habe ich bereits angesprochen –, in dem LINKE]) Sie uns unterstützen können. Das ist die sogenannte Es ist richtig, dass die Verordnung – sie gilt für die Da- E-Privacy-Richtlinie. Sie ist bereits europäisches Recht. ten aller europäischen Bürger, egal wo die Daten verar- Aber die Bundesregierung setzt diese Richtlinie seit über beitet werden – klare Zustimmungspflichten, das Recht einem Jahr nicht in deutsches Recht um. Nach dieser auf Vergessen und auch Strafen für Unternehmen vor- Richtlinie ist es erforderlich, dass, bevor solche Cookies, sieht, die sich nicht an sie halten. Es ist allerdings ein biss- die den Nutzer ausspionieren können, gesetzt werden, chen seltsam, dass man den Umfang der Sanktionen auf der Betreffende seine Zustimmung erteilen muss. Aber 2 Prozent des jährlichen Umsatzes festgesetzt hat. Im diese Regierung setzt es nicht um. Herr Hahn, da Sie Wettbewerbsrecht gelten üblicherweise 10 Prozent. Das gleich nach mir sprechen und eine ähnliche Position im wirft die Frage auf: Ist der Wettbewerb mehr wert als der Bundesrat vertreten haben, können Sie vielleicht dieser Schutz der Würde und der Persönlichkeitsrechte der Bür- Regierung sowie Ihren Parteikollegen und -freunden die ger in Europa? Seltsam ist auch die Altersgrenze von Meinung geigen. Oder Sie haben das, was Sie im Bun- 13 Jahren zum Schutz der Jugendlichen. Eine solche Al- desrat vorgetragen haben, gar nicht so ernst gemeint, tersgrenze kommt in keinem anderen Rechtskonstrukt weil Sie wussten, dass die Kollegen in der Bundesregie- vor. Die einzige Erklärung ist, dass man schon mit 13 Jah- rung das sowieso ablehnen werden? ren bei Facebook mitmachen kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir fordern die Bundesregierung auf: Unterstützen Es stellt sich die Frage, wie sich das durchsetzen lässt. Sie diese Verordnung da, wo sie bereits gute und richtige Der Staatssekretär hat zu Recht darauf hingewiesen: Akzente setzt! Beteiligen Sie sich nicht am Abschleifen Durchsetzbar ist dies im europäischen Rahmen. – Des- der Standards! Bessern Sie da nach, wo Nachbesse- wegen begrüßen wir diese Verordnung. Ich kann mich rungsbedarf besteht! Ich will nicht wiederholen, was der aber des Verdachts nicht erwehren, dass es denjenigen, Kollege von Notz dazu gesagt hat. Auch Sie haben ja ei- die unter Hinweis auf die Subsidiarität mit Bedenken un- nen Teil benannt. terwegs sind, um etwas anderes geht. Alle sind sich ei- (B) Ich möchte zum Ende kommen. Sie haben zu Recht (D) nig: Datenschutz lässt sich nur auf europäischer Ebene moniert: Der Europäische Datenschutzbeauftragte ist ge- und mit größtmöglicher Harmonisierung organisieren. mäß der Verordnung nicht unabhängig; er ist abhängig Aber dann kommen die Bedenken; viele sagen: Harmo- von der Kommission; diese kann hineinregieren. Der nisierung ist gut, aber nicht so viel und nicht auf dem Ni- EuGH hat den Ländern vorgeschrieben: Die Daten- veau. – In welche Richtung es gehen soll, haben Sie schutzbeauftragten müssen unabhängiger von den Re- schon angedeutet, Herr Staatssekretär: möglichst niedri- gierungen sein. Aber dann fangen Sie im eigenen Hause ges Niveau und möglichst viel Selbstverpflichtung. an! Der Bundesdatenschutzbeauftragte ist abhängig vom Der Herr Innenminister hat anlässlich der Vorlage der Innenministerium. Er steht unter der Fach- und Rechts- Verordnung bereits erklärt: Natürlich soll das hohe deut- aufsicht dieses Ministeriums. sche Datenschutzniveau gelten. – Das Beispiel der E-Pri- vacy-Richtlinie zeigt, dass Deutschland in einigen Punk- Vizepräsident Eduard Oswald: ten bereits jetzt hinter dem europäischen Niveau zurück Würden Sie bitte zum Schluss kommen? ist. Weiter hat er erklärt: Es soll möglichst viel Spiel- raum für Selbstverpflichtungen geben. Gucken wir uns Gerold Reichenbach (SPD): doch einmal die bisherigen Selbstverpflichtungen an, die Ich sage: Wir sind für unabhängige Datenschutzbe- von Herrn de Maizière, dem Vorgänger des jetzigen In- auftragte, für ein breites Datenschutzrecht, auch hier in nenministers, groß gefeiert wurden. Er hat auch gesagt: Deutschland. Deswegen unterstützen wir auch an dieser Ich lege ein Gesetz vor, um eine rote Linie zu ziehen, die Stelle den Antrag der Grünen. Werden Sie endlich im verteidigt werden muss. – Eine solche rote Linie ist nir- Sinne des Datenschutzes tätig, und verharren Sie nicht in gendwo in Sicht. Das ist eine Nirwanalinie, aber kein Ge- Ihrer abwartenden und industriehörigen Haltung! setz. Herr de Maizière erklärte damals weiter: Ich habe es geschafft – das ist eine gute Selbstverpflichtung –, eine Ich danke Ihnen. Selbstverpflichtung mit Diensten wie Google zu den Geodaten zu vereinbaren. – Gucken wir uns einmal an: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Was ist denn von dieser Selbstverpflichtung bis jetzt um- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gesetzt worden? Nichts! Die Selbstverpflichtungsverein- LINKEN) barungen der Bundesregierung mit der Industrie sehen doch offenkundig so aus: Die Bundesregierung ver- Vizepräsident Eduard Oswald: pflichtet sich, gesetzlich nichts zu tun, während sich die Vielen Dank, Kollege Reichenbach. – Nächster Red- Industrie verpflichtet, heimlich weiterzumachen, weil ner ist der Staatsminister der Justiz, für Integration und 20500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Vizepräsident Eduard Oswald (A) Europa aus Hessen, Herr Kollege Jörg-Uwe Hahn. Bitte chen. Wenn Wirtschaftsunternehmen, die personenbezo- (C) schön, Herr Kollege Jörg-Uwe Hahn. gene Daten verarbeiten, bei der Wahl ihres Standortes eine Art Cherry-Picking machen können, ihn also da- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nach aussuchen können, wo es die aus ihrer Sicht besten der CDU/CSU) datenschutzrechtlichen Regelungen gibt, ist klar, dass eine nationale Regulierung in diesem Bereich nicht aus- Jörg-Uwe Hahn, Staatsminister (Hessen): reicht. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Ebenfalls, meine sehr verehrten Damen und Herren, und Kollegen! Ich sage vielen herzlichen Dank, dass ich möchte ich Ihnen auch die Kritik der Länderkammer heute die Möglichkeit habe, als stellvertretender Minis- vortragen, die sich insbesondere auf zwei Gebiete be- terpräsident des Landes Hessen, aber auch als Sprecher zieht. der Justizministerkonferenz zu Ihnen zu sprechen und Ihnen die Überlegungen, die wir in der Länderkammer Da ist zum einen die kritische Frage: Ist denn eigent- zum Thema EU-Datenschutz-Grundverordnung und Da- lich eine entsprechende Kompetenz vorhanden, in Form tenschutzrichtlinie angestellt haben, vorzutragen. Zeit- einer EU-Verordnung alles und jedes zu regeln? Ich gleich berät ja auch der Bundesrat über dieses Thema. möchte darauf hinweisen: Beim Thema Schufa, also bei der Frage „Wie gehen entsprechende Organisationen mit Ich kann bestätigen, Kollege Reichenbach, dass wir der Verarbeitung von personenbezogenen Daten um?“, Hessen eine besondere Empathie für das Thema Daten- haben Sie, der Deutsche Bundestag, eine Änderung des schutz haben. Das erste Datenschutzgesetz überhaupt ist Bundesdatenschutzgesetzes, übrigens in enger Abspra- in Hessen im Jahre 1970, übrigens damals von einer so- che mit den Ländern, vorgenommen. Ich sage das, damit zial-liberalen Regierung, Herr Kollege Reichenbach Sie alle darüber Bescheid wissen: So etwas wird es künf- – lange ist es her –, verabschiedet worden. tig nicht mehr geben, weil dann die entsprechende (Gerold Reichenbach [SPD]: Das waren noch Rechtszuständigkeit ausschließlich auf europäischer Zeiten! Da hatten Sie mehr Prozente! Da wa- Ebene liegt. Wir sind der Auffassung, dass das falsch ist. ren Sie noch nicht bei 1,2 Prozent! – Wir sind der Auffassung, dass man, wenn man über den Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Standard hinausgehen will – in Deutschland liegt ja der GRÜNEN]: Gute alte Zeiten! – Christian Datenschutz in vielen Gebieten über dem europäischen Lange [Backnang] [SPD]: Da war die FDP Standard, auch über dem künftigen europäischen Stan- noch in der Mitte!) dard –, das auch machen können oder dürfen sollte. Aber das wäre dann aufgrund der Strukturen des europäischen Wir haben damals aber nicht nur das Datenschutzgesetz Rechts nicht mehr möglich. (B) verabschiedet, sondern auch einen unabhängigen Daten- (D) schutzbeauftragten für die öffentliche Verwaltung in Das Zweite ist – auch das ist eben schon angespro- Hessen installiert. chen; ich will es einmal etwas polemisch formulieren –: Die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten – wir Ich möchte Ihnen, meine sehr verehrten Damen und in Hessen sind ja stolz darauf, dass wir dieses Amt als Herren, sagen, dass wir uns in den letzten Wochen in den Erste eingeführt haben – wird abgeschafft. Dieses Amt Ausschüssen des Bundesrats sehr ausführlich sowohl mit gehört dann in die Struktur der europäischen Regulie- der Verordnung auf der einen Seite wie auch mit der rung, und die Kommission entscheidet über diese Fra- Richtlinie auf der anderen Seite auseinandergesetzt ha- gen. Ich halte das, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf ben. Ich gehe davon aus, dass die meistens einstimmig alle Fälle für bedenklich und – wenn ich ganz ehrlich bin – gefassten Beschlüsse nachher auch vom Plenum des eigentlich für falsch. Bundesrates so bestätigt werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Was ist unsere Überlegung? Wir begrüßen zum einen der SPD) ausdrücklich, dass es eine Reform des Datenschutzrech- Ich bin der festen Überzeugung, dass wir es anders orga- tes in Europa gibt. Die technische Entwicklung und der nisieren müssen. gewandelte gesellschaftliche Umgang mit personenbe- zogenen Daten lassen die alte Datenschutzrichtlinie aus Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich dem Jahre 1995 als ungenügend erscheinen bzw. alt aus- glaube, dass der Deutsche Bundestag die Chance nutzen sehen. In einer Zeit – einige Vorredner haben es ja schon sollte, wenn der Bundesrat heute in diesen beiden Berei- angemerkt –, in der Informationen selbst zur Handels- chen die Subsidiaritätsrüge erhebt. Ich bin eben auch als ware geworden sind, in der neue Informations- und Europaminister angekündigt worden. Wie ich weiß, Kommunikationsangebote, zum Beispiel Google oder kann man nicht immer – ein Kollege hat es angespro- Facebook, eine ganz andere Art von Umgang mit perso- chen – mit dem Zeigefinger durch Brüssel gehen und sa- nenbezogenen Daten hervorgerufen haben, hat sie nichts gen: Europäisches Recht muss sich an deutsches Recht mehr zu bieten. halten. – Deshalb bin ich bei Subsidiaritätsrügen aus Prinzip sehr zurückhaltend. Die hier behandelte Frage ist Darüber hinaus – das ist der zweite Gedanke – sind so wichtig, dass wir sie weiterhin auf die Tagesordnung wir Ländervertreter im Bundesrat uns einig darüber, dass setzen müssen. es eine Reihe von Gebieten gibt, in denen eine nationale Regulierung keinen Sinn mehr macht. Das Thema Face- Wir sollten in Deutschland weiterhin ein sehr moder- book und das Thema Google wurden eben angespro- nes Datenschutzrecht haben. Im Sinne der Subsidiarität Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20501

Staatsminister Jörg-Uwe Hahn (Hessen) (A) sollten wir die entsprechenden Kompetenzen in den Län- wie es in Deutschland umgesetzt wurde, verfassungs- (C) dern belassen. Aber natürlich muss es im Hinblick auf widrig ist. – Das ist ein sehr gutes Urteil gewesen. den grenzüberschreitenden Verkehr auch ein europäi- Jetzt haben wir die Situation – das ist sehr interessant –, sches Recht geben. dass die zwei letzten Linksliberalen, die es in der FDP Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. noch gibt – die Justizministerin und ihr wackerer Staats- sekretär –, sämtlichen Widerstand auffahren, um die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten CDU/CSU daran zu hindern, ihr Lieblingsprojekt, die der CDU/CSU) Vorratsdatenspeicherung – in dem Fall leider zusammen mit der SPD –, durchzusetzen. Vizepräsident Eduard Oswald: (Gisela Piltz [FDP]: Es gibt manchmal Lob, Herzlichen Dank, Herr Staatsminister Jörg-Uwe das man gar nicht hören möchte!) Hahn. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Jan Korte. Bitte – Berücksichtigt man die Kollegin Piltz, gibt es viel- schön, Kollege Jan Korte. leicht noch zweieinhalb Linksliberale, Bürgerrechtslibe- rale in der FDP. (Beifall bei der LINKEN) (Dr. [DIE LINKE]: Zwei- Jan Korte (DIE LINKE): einviertel!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das mag sein. So viel Nettigkeit vor dem Wochen- Kollegen! Es ist sehr erfreulich, dass wir heute einmal ende ist in Ordnung. die Gelegenheit haben, dieses Thema zu einer vernünfti- gen Uhrzeit zu diskutieren. Ich möchte für die Fraktion Wir reden ja über Europa. Interessant ist jetzt folgende Die Linke vorweg einige grundsätzliche Anmerkungen Situation: Die CDU/CSU und in diesem Falle die SPD machen, bevor ich auf die vorliegenden Anträge der sind hochgradig erfreut – sie können damit kaum hinter Grünen konkret eingehe, die übrigens unsere Zustim- dem Berg halten –, dass die Europäische Union voraus- mung finden, weil sie sehr sinnvoll sind. sichtlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutsch- land einleiten wird. Das ist übrigens eines von 80 bei Wir sprechen über das Thema Datenschutz und insgesamt 2 000 Vertragsverletzungsverfahren in der ge- Europa. Wir haben es mit einer zunehmenden Dominanz samten Europäischen Union. Das ist erst einmal mit Inte- von Finanzmärkten, von Rettungspaketen, Sparpaketen resse zur Kenntnis zu nehmen. Ich glaube, der Kollege und anderem, übersetzt gesagt: mit einer Diktatur der Stadler und die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger ha- (B) Finanzmärkte, zu tun. Ich glaube, dass wir in Europa ben in dieser Frage sehr recht – der Bundestag sollte sie (D) mehr Gegenwehr, mehr Kritik brauchen. Vor allem ist dabei unterstützen –, dass die Kommission erst einmal dafür ein unangepasstes Verhalten notwendig. ihre Hausaufgaben machen und die Richtlinie zur Vor- ratsdatenspeicherung evaluieren und überprüfen muss. (Beifall bei der LINKEN) Das wäre der richtige Schritt. Der Datenschutz ist neben der Frage der sozialen Sicher- (Beifall bei der LINKEN) heit in Europa eine entscheidende Säule für eine intakte Demokratie, für eine intakte Bürgergesellschaft. Wenn In diesem einen Fall haben Sie, liebe FDP, unsere Unter- allerdings immer mehr überwacht und gespeichert wird, stützung. Es bleibt nämlich dabei – das ist sachlich ei- stirbt spontanes Handeln. Menschen fangen an, sich an- gentlich unbestritten –: Die Vorratsdatenspeicherung ist gepasst zu verhalten. Genau das können wir in Europa unverhältnismäßig. Wir hatten dazu einige hochgradig zurzeit nicht gebrauchen. Wir brauchen in Europa unan- emotionale Innenausschusssitzungen. gepasstes Verhalten; das ist entscheidend. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Eduard Oswald: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Kollege Sebastian Blumenthal hat eine Zwi- schenfrage. – Bitte schön, Herr Kollege. Wenn wir über das Thema Datenschutz und Europa reden, dann ist eine Frage in Deutschland aktuell beson- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Der ders interessant – vielleicht bekommen wir noch eine ist auch noch ein Drittel liberal!) Auskunft dazu –: die Vorratsdatenspeicherung. Es gibt ein paar Indizien dafür, dass es innerhalb der Bundesre- Sebastian Blumenthal (FDP): gierung Unstimmigkeiten in dieser Frage gibt. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie mir die Zwi- schenfrage gestatten. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Da trügt der Schein!) Sie haben einen Großteil Ihrer Redezeit auf Punkte verwendet, über die wir in der FDP-Fraktion ganz gut Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es bekannter- Bescheid wissen. Da brauchen wir jetzt keine Aufklä- maßen – man muss das ja für diejenigen übersetzen, die rung von Ihnen. zuhören – um die Totalprotokollierung des Kommunika- tionsverhaltens der Menschen in der Europäischen (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber Union. Wir erinnern uns: 2010 hat das Bundesverfas- vielleicht wissen die Leute hier das noch nicht sungsgericht in aller Deutlichkeit gesagt, dass das, so alles!) 20502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Sebastian Blumenthal (A) Meine Frage ist: Haben Sie die Absicht, auch noch keine Alternative dazu. – Das muss dringend geändert (C) zur Tagesordnung und zu den Anträgen der Grünen zu werden. sprechen? (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Eine sehr gute Es wäre schön, wenn diese Bundesregierung nicht als Frage!) Anwalt immer neuer Überwachungsmöglichkeiten über den Umweg Europa auffallen würde, sondern wenn sie Jan Korte (DIE LINKE): als Anwalt und Garant eines hohen Datenschutzstan- Lieber Kollege, ich habe Ihnen doch eben zugestan- dards in Europa agieren würde. Das wäre mal was den – ich versuche, hier auf Sachpolitik einzugehen –, Neues. dass in diesem einen Fall – als Linker fällt es mir durch- aus schwer, das auch auszusprechen – die FDP in der Tat (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. richtig liegt. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Das Problem ist aber, dass der Zustand Ihrer Partei Jetzt möchte ich zu dem anderen Antrag kommen, uns nicht große Hoffnung macht, dass Sie sich in der den wir heute beraten und der sich mit der Unabhängig- Frage der Vorratsdatenspeicherung gegen die CDU/CSU keit des Bundesdatenschutzbeauftragten befasst. Auch durchsetzen werden. Deswegen habe ich gesagt: In die- das hat in der Tat mit Europa zu tun. Das zeigt die ganze sem Punkt haben Sie unsere Unterstützung. Zweischneidigkeit und Differenziertheit der europäi- (Beifall bei der LINKEN) schen Innenpolitik, in der nicht alles schlecht, aber eben auch nicht alles gut ist. Wenn wir über Europa und Datenschutz reden, dann muss es doch wohl erlaubt sein, auf die Frage der Vor- In diesem Falle gibt es ein wirklich gutes Urteil des ratsdatenspeicherung einzugehen, die viele Menschen EuGH, in dem es heißt: Die Datenschützer müssen – ich bewegt. Es ist komisch, dass darauf noch nicht eingegan- zitiere – „vor jeglicher Einflussnahme von außen ein- gen wurde. So sieht es aus. schließlich der unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss- nahme des Bundes oder der Länder sicher sein …“. Das (Beifall bei der LINKEN) ist ein wegweisendes Urteil. Wenn Sie wegen Vertrags- Um zum Thema zurückzukommen: Wir reden davon verletzungsverfahren in große Panik verfallen, verstehe – das ist die Position der Linken, und ich finde, das wird ich nicht, warum Sie dieses Urteil des EuGH nicht zum im Antrag der Grünen auch sehr gut dargestellt –, dass Anlass nehmen, um an der Situation etwas zu ändern. Es wir eine Umkehr in der europäischen Innenpolitik brau- ist doch höchste Eisenbahn, das zu tun. Wir würden Sie (B) chen. Auch die Linke ist in der Tat dafür, dass die Daten- in diesem Falle dabei unterstützen. (D) schutzstandards in der Europäischen Union harmonisiert (Beifall bei der LINKEN) werden. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Wenn wir über die Unabhängigkeit des Bundesdaten- Die Frage ist aber: Auf welchem Niveau werden sie schutzbeauftragten sprechen, dürfen wir nicht nur über harmonisiert? Das ist doch die Frage in der Auseinander- die institutionelle Unabhängigkeit reden – das ist zu setzung, die wir haben. Die Linke tritt dafür ein, die Har- Recht hier schon angesprochen worden –, sondern – und monisierung auf dem höchstmöglichen Niveau durchzu- das ist natürlich ganz entscheidend in der Politik – wir setzen. müssen auch über die finanzielle Unabhängigkeit, die (Beifall bei der LINKEN) haushalterische Unabhängigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz sprechen. Denn – auch das ist in Sie wollen das niedrigstmögliche Niveau. Das ist der dem Antrag richtig angedeutet – es gibt immer mehr Da- Unterschied, um den es hier heute geht. teien; die Speicherung nimmt zu. Es gibt übrigens er- freulicherweise auch ein immer größeres Bewusstsein Deswegen ist der Antrag der Grünen richtig. Wie es für Fragen des Datenschutzes. Allerdings sind die Mittel in diesem Antrag richtig formuliert worden ist, darf es zu des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die In- keinerlei Absenkungen des Datenschutzniveaus kom- formationsfreiheit nicht kongruent mit den neuen He- men. Dabei ist noch einmal anzumerken – das darf man rausforderungen gestiegen. Will man eine richtige Unab- nicht vergessen –, dass das Datenschutzniveau, das wir hängigkeit, ist mehr Personal notwendig, damit der haben, nicht vom Himmel gefallen ist, sondern relativ Bundesbeauftragte endlich mit der zunehmenden Spei- heftig erkämpft und erstritten worden ist von Bürger- cherung Schritt halten und analog dazu seinen Prüfauf- rechtlern, von Bürgerrechtsorganisationen und vielen an- gaben nachkommen kann. Dafür ist seine finanzielle Un- deren. Allein deswegen gilt es schon, dieses hohe Ni- abhängigkeit notwendig. veau anzuheben und auf diesem Niveau eine europäische Harmonisierung hinzubekommen. (Beifall bei der LINKEN) Zweiter Punkt zu dem Antrag. Ich glaube, wenn wir Zu überlegen ist auch, ob wir nicht bei Gesetzen, die über Europa und Datenschutz sprechen, dürfen wir eines für den Bundesbeauftragten für den Datenschutz einen nicht vergessen: Es geht natürlich nicht, dass – ich erhöhten Personalaufwand mit sich bringen – ein aktuel- nehme einmal das Beispiel biometrischer Merkmale in les Beispiel sind die Dateien zum Thema Rechts- Pässen – die Bundesregierung über Europa Gesetze ein- extremismus –, die dafür notwendigen Kosten im Ge- bringt und dann sagt: Das kommt von Europa, es gibt setzgebungsverfahren berücksichtigen sollten. Das ist Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20503

Jan Korte (A) vielleicht eine konkrete Idee, über die wir uns interfrak- Ich gehe abschließend noch ein Stück weiter: Ich glaube, (C) tionell verständigen können. der Datenschutz ist ein offensives Bürgerrecht, und er muss, gerade wenn wir über Europa reden, als Mittel des Zu dem letzten Antrag, der heute beraten wird, ist Protests und der Unangepasstheit dienen, um endlich ein schon viel gesagt worden. Rund 48 Prozent der bundes- solidarisches und soziales Europa zu schaffen. Das funk- deutschen Bevölkerung kommunizieren in sozialen tioniert mit Ihrer Trümmertruppe leider nicht. Netzwerken. Erfreulich ist, dass es aufgrund vieler De- batten und politischer Entwicklungen bei den dort Akti- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ven zunehmend ein Bewusstsein für Fragen des persönli- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chen Datenschutzes und die persönliche Integrität gibt. Das ist, glaube ich, eine sehr gute Entwicklung. Es ist Vizepräsident Eduard Oswald: völlig logisch, dass beispielsweise Facebook oder Vielen Dank, Kollege Jan Korte. – Nächster Redner Google völlig andere Interessen haben. Im Kapitalismus für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege ist das so; das ist zunächst so festzuhalten. Deswegen ist Michael Grosse-Brömer. Bitte schön, Herr Kollege. an dieser Stelle der Staat gefragt. Alle Selbstverpflich- tungserklärungen, auf die die FDP, die CDU und die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) CSU setzen, haben sich in allen Politikbereichen – seien es die Umweltfragen in den 80er-Jahren oder heute das Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Thema soziale Netzwerke und Fragen des Datenschutzes – als völlige Lach- und Luftnummern entpuppt. Das Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und müsste einem klar sein, wenn man die Fakten zur Kennt- Kollegen! Ich bin doch einigermaßen zufrieden, dass nis nimmt. Sie, Herr Korte, zum Schluss doch noch die Kurve zur Sozialpolitik gekriegt haben; mir hätte das sonst gefehlt. (Beifall bei der LINKEN) (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, das ist zwanghaft Daher bringen Selbstverpflichtungen überhaupt nichts. bei mir!) Sinnvoll ist vielmehr, dass jeder, der sich in den sozialen – Deswegen sind Sie auch in Ihrer Fraktion und nicht in Netzwerken bewegt, selber aufpasst und versucht, so unserer. weit wie möglich zu steuern, was er dort tut und was er dort einstellt. Entscheidend ist aber, dass wir mit Selbst- (Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt! – verpflichtungen der großen Konzerne nicht weiterkom- Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Er ist men. Hier muss vor Ort und in Europa staatlicherseits ein guter Mann!) eingegriffen werden. Deswegen unterstützen wir den (B) vorliegenden Antrag zu diesem Thema. Datenschutz war natürlich auch schon zu früheren (D) Zeiten eine Aufgabe, nur einfacher zu handeln. Es gibt Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass der Daten- noch ein paar Kolleginnen und Kollegen in meinem Al- schutz ein zentrales Anliegen von uns allen sein sollte. ter. Wir wissen noch, dass man Briefe auch handschrift- Zumindest für den Großteil der Opposition kann ich fest- lich verfassen und dann verschicken kann. Wer wollte, stellen, dass das der Fall ist. Bei der FDP ist davon leider dass der Inhalt nicht bekannt wird, packte diesen Brief nicht viel übrig geblieben. Das wäre vielleicht eine Mög- einfach nur in einen Umschlag. Wer vielleicht sogar be- lichkeit, sich in dieser Frage zu profilieren. wusst wollte, dass der Inhalt bekannt wird, schrieb eine Postkarte oder eine Ansichtskarte. (Gisela Piltz [FDP]: Ehrlich gesagt, Herr Korte, kann ich auf Ihre Ratschläge wirklich (Gisela Piltz [FDP]: Offener Brief! – verzichten!) Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das konnte er sogar anonym ma- – Sie sagen, Sie können auf die Ratschläge verzichten. chen!) Das glaube ich angesichts Ihrer Wahlergebnisse nicht. Sie sollten ein paar Ratschläge annehmen. Dann wären Jedenfalls entschied der Absender immer selbst, in wel- Sie vielleicht erfolgreicher. chem Maß Datenschutz für ihn wichtig oder gegebenen- falls völlig unwichtig war. Der Staat hat dann etwas ganz Aber davon abgesehen glaube ich, dass Datenschutz Sinnvolles gemacht. Er hat für die Fälle, in denen der nicht nur ein Thema für Fachpolitiker, sondern auch ein Bürger entschieden hat, dieser Brief wird in einem ge- großes Thema für die Öffentlichkeit ist. schlossenen Kuvert verschickt, den Inhalt durch das Postgeheimnis geschützt. Ich glaube, der Staat hat jetzt (Gisela Piltz [FDP]: Zu dem Thema kann ich die Aufgabe, Wege zu finden, wie man den Datenschutz mir von der Linken sowieso nichts sagen las- auf der Grundlage der Wünsche der Menschen sichert. sen!) (Kerstin Tack [SPD]: Richtig! – Halina Ich glaube darüber hinaus, dass Datenschutz ein elemen- Wawzyniak [DIE LINKE]: Vorratsdatenspei- tares Abwehrrecht gegenüber dem Staat und einer un- cherung!) kontrollierbaren Wirtschaftsmacht in Deutschland und Europa ist. Das ist eine ganz entscheidende Feststellung. – Dazu komme ich gleich noch. (Gisela Piltz [FDP]: Dann haben Sie aber die (Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE Grundrechte nicht ganz verstanden!) LINKE]) 20504 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Michael Grosse-Brömer (A) – Aber Sie sind doch im Ausschuss nicht so unruhig und mit Kampfbegriffen bezeichnet wird, wo dem Staat ein (C) schon gar nicht so ungeduldig, Frau Kollegin. Aufspürinteresse grundsätzlicher Art unterstellt wird. Man denkt: Wir kaufen einen Computer, und da ist im- Ich gehe mit meiner Fraktion jedenfalls vom mündi- mer ein kleiner Bundesinnenminister drin, der dann gen Bürger aus, gleich alles nach Berlin weiterschickt. (Beifall des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP]) (Heiterkeit der Abg. Gisela Piltz [FDP] – der erst einmal selbst entscheidet, ob er Datenschutz will Gerold Reichenbach [SPD]: So langsame oder nicht. Ich glaube, das ist die richtige Grundlage, im Computer gibt es nicht mehr!) Übrigen auch beim Verbraucherschutz. Wir als Union Das ist der wahre Unsinn. Deswegen gebe ich Ihnen und vielleicht auch als Koalition unterscheiden uns da recht. Ich glaube, in den sozialen Netzwerken ist die Ge- von Ihnen. Sie trauen den Menschen nicht zu, für sich fahr des Datenmissbrauchs für jeden einzelnen Bürger selbst verantwortlich sein zu können. Ich möchte nicht, und für jede einzelne Bürgerin wesentlich größer als bei dass der Staat mir mein Leben grundsätzlich erklärt und den Themen, über die wir hier sonst diskutieren. Deswe- alles vorschreibt. Ich möchte erst einmal selbst entschei- gen bin ich mit Ihnen der Auffassung: Wir müssen da- den, was ich will und was ich nicht will, auch im Hin- rüber nachdenken – dazu komme ich gleich noch –, wie blick auf den Datenschutz. wir Wege finden, möglichst auch grenzüberschreitend, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) um Datenmissbrauch zu verhindern. Ich halte es für völ- lig falsch, dass von 15-jährigen oder 16-jährigen Kin- Vizepräsident Eduard Oswald: dern Profile erstellt werden. Gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen (Kerstin Tack [SPD]: Das stimmt!) Reichenbach? Ich glaube, das können wir alle nicht wollen. Da müssen wir überlegen, wie man das verhindert; gar keine Frage. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Selbstverständlich. (Gerold Reichenbach [SPD]: Dann können Sie unserem Vorschlag ja auch zustimmen!) Vizepräsident Eduard Oswald: – Wir können uns auch gleich persönlich noch ein biss- Bitte schön, Kollege Reichenbach. chen unterhalten. Ich möchte jetzt eben die Rede zu (Gisela Piltz [FDP]: Das ist bei Reichenbach Ende führen. immer eine Kurzbelehrung!) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (B) CDU/CSU) (D) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Mein grundsätzlicher Gedanke geht dahin, dass wir Das wird er sich nicht trauen. Er wird jetzt eine kurze mit der freiwilligen Selbstverpflichtung und auch mit der Frage stellen. Vorstellung vom mündigen Bürger arbeiten müssen. Wir müssen die Medienkompetenz des Bürgers stärken, und Gerold Reichenbach (SPD): er muss selbst entscheiden, wie er vorgehen will. Deswe- Ich habe eine Frage zu Ihrem Beispiel. Beispiele hin- gen finde ich den grundsätzlichen Ansatz in dem Antrag ken ja bekanntlich. der Grünen gar nicht falsch. Endlich einmal wird er- kannt, dass da vielleicht ein wesentlich größeres Daten- Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): schutzproblem besteht als bei den Mindestspeicherungs- Aber nicht alles, was hinkt, ist ein Beispiel; das sollte fristen, über die wir sonst immer diskutieren. Wir haben man auch noch sagen. auf Antrag der Grünen und sonstiger Kolleginnen und Kollegen auch über die akustische Wohnraumüberwa- Gerold Reichenbach (SPD): chung diskutiert. Genau. – Beispiele sind aber auch immer schön. Um (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE bei Ihrem Beispiel mit dem Briefumschlag zu bleiben: GRÜNEN]: Gott sei Dank!) Jetzt haben wir aber die Situation, dass die Industrie Briefumschläge verkauft, die gegenüber dem Nutzer so Die hat 2010 viermal stattgefunden. Es ist manchmal aussehen, als seien es Briefumschläge; bestimmte Unter- sinnvoller, wenn man über die Fakten und Probleme re- nehmen aber können da hineingucken. Sind Sie der Auf- det, die es täglich gibt. Da sind Facebook, Google und fassung, dass diese Unternehmen gezwungen werden alles, was damit zusammenhängt, wesentlich gefährli- sollten, zu kennzeichnen, dass dieser Briefumschlag cher als das, was wir sonst diskutieren. nicht für alle dicht ist, sondern für sie offen und einseh- Ich glaube auch, wir müssen gerade in dieser Hinsicht bar? aufpassen. Das diffuse Gefühl des Beobachtetseins, das das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Vorratsda- Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): tenspeicherung festgestellt hat, das bei den Menschen Ja, ich glaube, da sind wir einer Auffassung. Ich bin offensichtlich vorhanden ist, erlegt uns vielleicht auf, der Meinung, dass gerade bei den sozialen Netzwerken einmal seriös mit dem Thema umzugehen, den Leuten Sensibilität wesentlich mehr angezeigt ist als bei der keine Angst zu machen, sondern ihnen zu erklären: Der Vorratsdatenspeicherung und bei allem anderen, was hier Staat kann deine Daten nur bekommen, wenn er den Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20505

Michael Grosse-Brömer (A) starken Verdacht einer Straftat hat, einer Tat, die mit Ter- In Ihrem Antrag zum Bundesdatenschutzbeauftrag- (C) rorismus zusammenhängt. Aber dann muss er es auch ten habe ich nicht so richtig verstanden, warum er nicht noch von einem Richter genehmigen lassen. Der Staat ist unabhängig handeln können soll. also nicht das Problem. Das Problem sind große, welt- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE weit agierende Unternehmen, die Profile erstellen, weil GRÜNEN]: Darüber können wir nachher noch sie sich daraus Vorteile erhoffen. Das können wir nicht mal reden!) zulassen, jedenfalls dann nicht, wenn die Menschen nicht wissen, was mit ihren Daten passiert. Das ist, Nach § 22 Abs. 4 Bundesdatenschutzgesetz ist er in der glaube ich, die große Aufgabe, die wir gemeinsam ha- Ausübung seines Amtes unabhängig und nur dem Gesetz ben. Deswegen bin ich ganz froh darüber, dass die Grü- unterworfen. Freie Stellen können nur im Einvernehmen nen fordern – ich glaube, wir alle sollten das tun –, dass mit ihm besetzt werden. wir uns mit dem EU-Datenschutzpaket beschäftigen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir müssen es aktiv mitgestalten und überlegen, wie es NEN]: Aber er kann nicht selber besetzen!) künftig ausgestaltet sein könnte. – Ja, das muss er vielleicht auch nicht, wenn er grund- Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Aspekt sätzlich auf das Personal zugreifen und selbst entschei- erwähnen, der hier noch gar nicht angesprochen wurde: den kann, ob es ihm passt oder nicht. Das ist doch kein Hierbei ist besondere Sorgfalt geboten, wie auch aus be- Zeichen fehlender Unabhängigkeit. rufenem Munde zu hören war; denn mit einer Vollhar- monisierung des Datenschutzrechtes durch eine europäi- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, wenn wir das bei Ihnen im sche Verordnung könnte – so jedenfalls die Auffassung Büro auch so handhaben können!) eines Bundesverfassungsrichters – die Kontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichts beim Datenschutz ausge- – Es ehrt mich ja, dass Sie mich mit dem Bundesdaten- schaltet werden. Darüber müssen wir reden. Damit schutzbeauftragten vergleichen, aber meine Aufgaben könnte die Rechtsprechung zum Datenschutz nach sind glücklicherweise, insbesondere in meinem Büro, 30 Jahren Geschichte werden. Da diese Verordnung wie andere. ein europaweites Gesetz wirkt, müssen wir schon überle- Das von Ihnen zitierte Urteil des EuGH ist jedenfalls gen, wie wir in Deutschland, wo das Datenschutzniveau nicht passend; denn es bezieht sich nur auf die Länder. hoch ist, mit einer solchen Verordnung umgehen wür- Es gibt nach meiner Kenntnis jetzt ein Verfahren gegen den. Darauf hat Johannes Masing, Richter am Bundes- Österreich; vielleicht sollte man das abwarten, damit verfassungsgericht, Anfang Januar in der Süddeutschen man konkrete Informationen hat. Es sollten nicht vor- (B) Zeitung hingewiesen. Er hat sogar davor gewarnt, dass schnell irgendwelche Forderungen aufgestellt werden. (D) die Grundrechte dann nicht mehr anwendbar seien und Einbußen beim Grundrechtsschutz entstehen könnten. Jedenfalls können wir als Parlamentarier im Deut- Seinen Worten nach – ich zitiere – schen Bundestag doch erst einmal froh und glücklich sein, dass eine so kluge Frau wie die Kommissarin erweisen sich die scheinbar rechtstechnisch daher- Reding am 21. März 2012 gesagt hat: kommenden Regulierungsvorschläge der Europäi- schen Kommission zum Datenschutz als hochpoli- Ihr habt bislang den stärksten Datenschutz in Europa, und das Bundesdatenschutzgesetz hat mich tisch. Ihrer Wirkung nach haben sie das Potenzial bei meiner Arbeit inspiriert. einer tiefgreifenden Verfassungsänderung – und müssen als solche diskutiert werden. Da muss man doch einmal sagen: Herzlichen Glück- wunsch, Bundesregierung! Alles habt ihr auch nicht Das ist auch für uns eine besondere Herausforderung. falsch gemacht. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Lachen der Abg. Kerstin Tack [SPD] – GRÜNEN]: Genau!) Gerold Reichenbach [SPD]: Das hat der Staatssekretär auch nicht verstanden!) Es ist nicht so, dass alles nur glorreich abzuwickeln wäre – Hauptsache, wir haben ein bisschen grenzüberschreiten- Manches scheint doch ganz gut zu sein. Aber natürlich den Datenschutz. Wir haben da noch einiges zu tun. ist es Aufgabe der Opposition, Fehler zu suchen; das nehmen wir Ihnen auch gar nicht übel. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Ich will zum Schluss noch sagen: Wie immer hat die GRÜNEN]: Das stimmt!) EU auch ein paar ganz tolle Ideen, zum Beispiel zu Ver- Darüber haben wir noch intensiv zu diskutieren. Das bandsklagerechten. Das findet meine Fraktion nicht so Verfahren in Brüssel läuft gerade erst an. Ich habe heute toll. Es soll derjenige klagen, der in seinen Rechten be- Vormittag noch mit einem Kollegen in Brüssel telefo- einträchtigt ist. niert. Ich glaube, es gab bislang eine vierjährige Vor- Wir werden also eine spannende Debatte zu spannen- arbeit in Kooperationsrunden, und jetzt rechnet man den Themen führen. Aus unserer Sicht müssen dabei im- noch mit anderthalb Jahren Arbeit an diesem Thema. mer die Selbstverantwortung und auch das Selbstbe- Deswegen haben wir als Bundestag noch ausreichend wusstsein der Menschen sowie deren Bereitschaft, sich Möglichkeiten, uns einzubringen. mit dem Thema auseinanderzusetzen, um künftig medial 20506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Michael Grosse-Brömer (A) sensibler zu sein, berücksichtigt werden. Ich glaube, das bewirbt, könnte ein potenzieller Arbeitgeber sagen: (C) ist unser aller Verpflichtung. Das geht in diesem Fall „Dich halten wir für charakterlich nicht geeignet“, weil auch einmal ohne Gesetz. Wir haben also noch viel zu er sich im Netz über Paul informiert hat. An dieser Stelle diskutieren; und das werden wir auch tun. Es wird span- merken wir, dass es möglich sein muss, einmal ins Inter- nend werden. net Gestelltes wieder löschen zu können. Würde Paul in der nicht digitalen Welt seine Fotos seinen Freunden zur Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Kenntnis geben und sie in der Schule oder woanders auf- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hängen, könnte er sie wieder abhängen. Das muss auch im Internet möglich sein. Hier zeigt sich, dass es auf eu- Vizepräsident Eduard Oswald: ropäischer Ebene Handlungsbedarf gibt. Vielen Dank, Kollege Grosse-Brömer. – Jetzt spricht Paul ist 13 Jahre alt und nicht geschäftsfähig. für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Kerstin Tack. Bitte schön, Frau Kollegin Kerstin Tack. Vizepräsident Eduard Oswald: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frau Kollegin Kerstin Tack, gestatten Sie eine Zwi- schenfrage? Kerstin Tack (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Kerstin Tack (SPD): glaube, wenn wir uns über die europäische Verordnung Ja, bitte schön. unterhalten, merken wir an vielen Stellen, dass wir Ge- meinsamkeiten haben, über die es sich zu reden lohnt. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir merken aber auch, dass wir die Verbraucherinnen und Verbraucher einbeziehen müssen, wenn es um die Bitte schön. Frage geht: „Wo und warum sehen wir Regelungs- und Handlungsbedarf?“, wenn es darum geht, Verbraucherin- Manuel Höferlin (FDP): nen und Verbraucher im Netz zu schützen und den Sehr verehrte Kollegin Tack, ich möchte auf Paul zu- Datenschutz hier so ernst zu nehmen wie außerhalb der rückkommen. digitalen Welt. Deshalb diskutieren wir über die Netz- politik. Kerstin Tack (SPD): Das Internet ist eine der größten Errungenschaften. Es Gerne. ist selbstverständlich, dass wir Internet haben. Wir alle nutzen es regelmäßig. Insbesondere der weltweite Aus- (B) Manuel Höferlin (FDP): (D) tausch stellt sich ganz anders dar. Aber – auch das ist Ich weiß nicht, ob Sie wirklich mit Paul gesprochen klar – wer sich im Netz bewegt, ist auf der einen Seite haben oder ihn sich ausgedacht haben. Ich habe mit Re- Verbraucher, auf der anderen Seite aber auch Anbieter; alschulklassen aus meinem Wahlkreis gesprochen. Das denn er konsumiert auf der einen Seite, aber er handelt sind 13-, 14-jährige Schüler. Ich muss sagen: Entgegen auf der anderen Seite, nämlich mit seinen persönlichen meiner Erwartung war ich höchst überrascht, dass diese Daten. Das Zahlungsmittel im Internet, in der digitalen Realschüler zu 80 bis 85 Prozent ihre Facebook-Profile Welt messen wir nicht in Euro, sondern in der Eingabe gesichert hatten. Ich jedenfalls konnte nicht darauf zu- der persönlichen Daten. Die Erkenntnis, dass dies nicht greifen. Es gibt also durchaus ein Bewusstsein dafür, wie kostenlos ist, dass ich mit meinen persönlichen Daten, man mit dem Datenschutz umgeht. Ich weiß nicht, wer die ich eingebe, zahle, weil andere ein wirtschaftliches Paul ist; ich kenne ihn nicht. Aber vielleicht kennen Sie Interesse daran haben und Vorteile daraus ziehen, muss ihn. Haben Sie das einmal überprüft? Meine Erfahrung reifen. Wir müssen uns klarmachen, warum wir Daten- jedenfalls ist eine andere. schutz im Internet brauchen, der sich am Datenschutz außerhalb der digitalen Welt misst. Ich mache an drei Sie fordern, es solle im Internet die Möglichkeit ge- Beispielen deutlich, was das bedeuten kann. ben, die Bilder wieder zurückzuholen, so wie in der ana- logen Welt, wenn man Bilder in der Schule verteilt hat. Ich fange an mit Paul. Paul ist erst 13 Jahre alt. Er ist, Ich weiß nicht, wo Sie zur Schule gegangen sind; aber wie viele seiner Freunde und Mitschüler, in sozialen ich weiß, dass sich Peinlichkeiten, die man sich in der Netzwerken. Seine Eltern nehmen das zur Kenntnis und analogen Welt geleistet hat – ich möchte keine Beispiele unterstützen das auch ein Stück weit. Er gibt ganz selbst- nennen; aber Sie können sich vielleicht Peinlichkeiten verständlich seine Daten, seinen Namen, seine Adresse eines Jugendlichen bei einem Dorffest vorstellen –, nicht und auch sein Geburtsdatum ein. Er chattet mit Freun- rückgängig machen lassen. Darüber wird noch nach den. Er lädt Bilder hoch. Er gibt im Netz Kommentare 20 Jahren geredet. Wie wollen Sie es in der digitalen ab. Das alles macht er ganz selbstverständlich, ohne dass Welt überhaupt technisch realisieren, Dinge, die einmal irgendjemand daran interessiert ist. Wenn er seine Bilder eingestellt wurden, wieder zurückzunehmen? Bilder, die hochlädt, so lädt er auch Bilder hoch, von denen man sa- Sie einmal in der Schule verteilt haben, bekommen Sie gen würde: Na ja, ob das die Bilder sind, die uns alle in- auch nicht mehr zurück. Ich finde das, was Sie hier vor- teressieren? – Es sind zum Beispiel Fotos, auf denen ge- tragen, völlig lebensfremd. rauft wird. Diese Fotos, auf denen er im Netz nicht immer nur positiv dargestellt wird, können ihm an ande- (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist rer Stelle aber wieder begegnen. Wenn sich unser Paul ein FDP-Problem zurzeit! Darunter leiden mit 16 Jahren zum Beispiel als Einzelhandelskaufmann Sie!) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20507

(A) Kerstin Tack (SPD): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Herzlichen Dank, Herr Kollege. Ich glaube, an dieser der CDU/CSU) Stelle merken wir, wie hoch die Anforderungen sein müssen, die wir an den Datenschutz stellen. Das gilt vor Gisela Piltz (FDP): allem im Hinblick darauf, wie schnell sich die Daten- Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- schutzbestimmungen und die Einstellungen in den sozia- legen! Ich denke, es ist klar, was jetzt kommt, nach den len Netzwerken verändern. Man hat es nämlich zum Ziel Reden von Herrn von Notz und von Herrn Reichenbach. des wirtschaftlichen Interesses gemacht, zu sagen: Die Einstellungen für einen gesicherten Datenschutz im Netz (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden ständig geändert. Es gehört zum Geschäftsmo- NEN]: Dass bei Rot-Grün alles viel schlimmer dell, bei den Schutzbestimmungen immer wieder Verän- war! – Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) derungen herbeizuführen. Man will die Schnelllebigkeit im Netz nutzen, sodass die jungen Leute und alle ande- – Danke. Warum sagt ihr es denn nicht selber? – Ich ren dies nicht mitbekommen. Das ist doch reines Ge- habe einmal den Koalitionsvertrag von 1998 mitge- schäftsinteresse. Hier gilt es eine Schutzfunktion einzu- bracht. Darin findet sich kein einziges Wort zum Daten- bauen. Darum wollen wir im Datenschutz Regelungen schutz. Dort steht aber: einführen, die über die Haltung „Wenn ihr euch selber Wir setzen uns in der EU zur Stärkung der Inneren nicht genügend informiert, dann seid ihr eben schutzlos“ Sicherheit und zur Gewährleistung der Bürger- hinausgehen. rechte folgende Ziele: Lassen Sie mich fortfahren. Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusam- (Manuel Höferlin [FDP]: Sie haben meine menarbeit bei der Verbrechensbekämpfung sowie Frage nicht beantwortet!) Ausbau von Europol unter Gewährleistung der ge- richtlichen Kontrolle und der Befassungsrechte des Auch und insbesondere für die ältere Generation sind Europäischen Parlaments. folgende Fragen wichtig: Wie schützen wir im Netz? Wie kann man erreichen, dass jeder ein eigenes Interesse Datenaustausch schon; aber Datenschutz hatten Sie nicht an seinen Zugängen entwickelt? Wie schaffen wir es, die auf dem Schirm. Verbraucherinnen und Verbraucher im Hinblick auf die Einwilligungsvorbehalte über nötige und einzuhaltende (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Schutzfunktionen zu informieren, bevor mit ihren Daten GRÜNEN]: Das war vor 14 Jahren! Es geht gearbeitet wird? – Die Verbraucherinnen und Verbrau- ums Jetzt!) cher müssen wissen, welche Daten von ihnen erhoben (B) Im Koalitionsvertrag 2002 – das ist noch gar nicht so (D) werden und was mit ihren Daten geschieht. Darüber lange her – müssen sie von vornherein eine klare Vorstellung haben, und dem müssen sie auch zugestimmt haben. Sie dürfen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE sich nicht darauf verlassen, dass die Schutzbestimmun- GRÜNEN]: Nur zehn Jahre!) gen schon ausreichen und die Daten nicht missbräuch- lich verwendet werden. stand Folgendes: Insbesondere wenn es um das Ausspionieren des Wir werden das Datenschutzrecht auf der Grund- Surfverhaltens von Verbraucherinnen und Verbrauchern lage der Vorarbeiten der 14. Legislatur umfassend geht, ist es wichtig, dass die Bundesregierung die reformieren. EU-Cookie-Richtlinie in nationales Recht umsetzt; das Darauf warten wir bei Ihnen bis heute. wurde bereits mehrfach angesprochen. Wir wollen die- sen Schutz; er muss klar und deutlich umgesetzt werden. Der Schutz der Daten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird erstmals in einem eigenen Ge- Ich komme zum Schluss. Wenn es um die Daten im setz verankert. Internet geht, die als Wirtschaftsgut gelten, ist ein Ver- braucherschutz mit entsprechenden Informationen, mit Das hören Herr Frieser und ich besonders gerne. Herzli- Transparenz und mit einer Kontrolle sämtlicher Vor- chen Glückwunsch, Herr Kollege! gänge im Internet unabdingbar. Diesen Schutzgedanken müssen wir auf europäischer Ebene regeln; das ist ganz (Gerold Reichenbach [SPD]: Da haben Sie klar. Aber auch auf nationaler Ebene müssen wir unsere doch auch nichts hingekriegt!) Regelungskompetenzen ernst nehmen und, soweit erfor- – In der Realität haben Sie nichts gemacht; wir arbeiten derlich, die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen er- wenigstens daran. Das unterscheidet uns. greifen. (Gerold Reichenbach [SPD]: Nur am Schutz Herzlichen Dank. der Arbeitgeber, nicht am Schutz der Arbeit- (Beifall bei der SPD) nehmer! Das ist ein Unterschied! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema verfehlt, Frau Piltz!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Tack. – Nächste Weil es so schön ist: Es gab ein Terrorismusbekämp- Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin fungsgesetz, ein Finanzmarktförderungsgesetz, ein Gisela Piltz. Bitte schön, Frau Kollegin Gisela Piltz. GKV-Modernisierungsgesetz, ein Gesetz zur Änderung 20508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Gisela Piltz (A) des Bundesgrenzschutzgesetzes, ein Steueränderungsge- fenen und den verantwortlichen nicht öffentlichen Stel- (C) setz, ein Telekommunikationsgesetz, ein EU-Passagier- len vor allen Dingen um die Betätigung und Ausübung datenabkommen und ein Gesetz zur Neuregelung von von Grundrechten. Nach unserer Einschätzung muss das Luftsicherheitsaufgaben. All das sind Regelungen aus noch klarer herausgearbeitet werden. Das fehlt uns in Ihrer Zeit, bei denen Sie sich nicht um den Datenschutz den Anträgen. gekümmert haben. Wir brauchen von Ihnen keine Beleh- Ich wende mich an die Kollegen von den Grünen. Aus rung. unserer Sicht lässt sich bei Ihren Vorschlägen ein auffäl- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten liges Missverhältnis zulasten des Datenschutzes bei der der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜND- polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit erkennen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches Gesetz ha- Zu den Vorstellungen der Europäischen Kommission, ben Sie denn jetzt geändert mit Ihrer Mehr- wie der Schutz der Bürgerrechte gerade in diesem sen- heit? Kein einziges wurde abgeändert!) siblen Bereich in Zukunft ausgestaltet sein soll, sagen Sie gar nichts; aber das wundert einen nicht wirklich. Wenn wir hier und heute über einen europäischen Rechtsrahmen für den Datenschutz reden, geht es im Er- Am Ende haben auch wir noch viele Kritikpunkte. Ei- gebnis um nicht mehr und nicht weniger als die nahezu nige sind hier schon, verstreut über alle Reden, genannt vollständige Ersetzung, das heißt Außerkraftsetzung, des worden. Auch wenn man sich mit der europäischen Sa- nationalen Datenschutzrechtes. Entsprechend sorgfältig che beschäftigt, gibt es noch viele Kritikpunkte. So stellt sollten wir alle uns mit den Entwürfen beschäftigen. sich etwa die Frage, ab welcher Größe der Unternehmen es Datenschutzbeauftragte geben sollte. Die Tatsache, (Zuruf des Abg. Gerold Reichenbach [SPD]) dass dort 45 Rechtsetzungsakte vorgesehen sind, kann – Hören Sie auf, zu blöken. – Zunächst ist es gut und man als stolzer Parlamentarier nicht hinnehmen. Wir richtig, dass die Ansätze der Kommission mehr sind als werden uns darum kümmern müssen, dass viele Sachen eine Lex Google oder eine Lex Facebook. Es geht um nicht direkt geregelt werden. Die Fragen, wie wir das eine harmonisierte Rechtsordnung im gesamten Binnen- Bußgeld, das Verbandsklagerecht und die Altersgrenze markt und damit auch außerhalb der virtuellen Welt. Das regeln, sind angesprochen worden. muss man sehen; denn wir reden hier nur über die virtu- Frau Kollegin Tack, ich wundere mich schon, dass elle Welt. Es geht um allgemein verbindliche Rechte für Sie für die SPD eine nicht gegenderte Rede halten und die Betroffenen und um einheitliche Spielregeln für nur von Paul reden dürfen. Bei uns müsste man schon sämtliche Branchen. Wir alle wissen: Manches, was für von Paul und Paula sprechen. uns ein kleiner Schritt ist – ich spreche in diesem Zu- sammenhang zum Beispiel vom Datenschutzbeauftrag- (Gerold Reichenbach [SPD]: Paula ist doch (B) (D) ten –, ist ein großer Schritt für Europa. Das sollten wir durch die Zwischenfrage der FDP geklaut nie vergessen. worden!) Die uns vorliegenden Anträge sind eine ordentliche Wenn Sie schon das Beispiel des 13-jährigen Paul nen- Diskussionsgrundlage. Wir freuen uns, dass damit end- nen, dann hätte ich mir schon – das hätte ich mir ge- gültig die Modernisierung des Datenschutzrechtes ange- wünscht – eine Äußerung zu der Altersgrenze auf euro- stoßen wird. päischer Ebene gewünscht. Denn es ist aus unserer Sicht nicht hinzunehmen, dass das total undifferenziert ist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden von unseren Anträgen, (Gerold Reichenbach [SPD]: Das hat sie doch hoffe ich!) gesagt!) Wir finden die holzschnittartigen Vorwürfe, die Sie uns – Ja, der erwähnte Paul war 13. Wir wissen immer noch immer machen, nicht ganz passend, weil sie nicht der nicht, ob es ihn gibt. Wir würden ihn gerne kennenler- Sache dienen. nen. – Wir werden sicherlich alle gemeinsam daran ar- beiten, dass der Datenschutz in Europa und damit in Wir haben natürlich auch Kritik; das ist klar. Vor al- Deutschland noch besser wird. lem im nicht öffentlichen Bereich sollte sich eine unmit- telbar wirkende Verordnung und der damit verbundene Herzlichen Dank. hohe Grad der Harmonisierung sowohl auf alle Unions- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) bürger als auch auf die datenverarbeitende Wirtschaft positiv auswirken, dies vor allem deshalb, weil künftig auch solche Unternehmen vom Rechtsregime der EU er- Vizepräsident Eduard Oswald: fasst werden, die ihren Sitz nicht in der EU haben; da- Vielen Dank, Frau Kollegin Gisela Piltz. – Nächster rauf ist schon hingewiesen worden. Ein hoher Harmoni- Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der sierungsgrad darf auf der anderen Seite nicht dazu CDU/CSU unser Kollege Stephan Mayer. Bitte schön, führen, dass das hohe deutsche Datenschutzniveau un- Kollege Stephan Mayer. terschritten wird; darauf werden wir sehr sorgfältig ach- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten. Es geht hier um Grundrechtseingriffe. Da muss man Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): ganz klar sagen – das war bei einigen von Ihnen nicht so Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- ganz klar –: Es geht im Verhältnis zwischen den Betrof- nen! Sehr geehrte Kollegen! Das EU-Datenschutzrecht Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20509

Stephan Mayer (Altötting) (A) ist in die Jahre gekommen. Die noch heute gültige EU- Ich möchte deutlich betonen, dass es meines Erach- (C) Datenschutzrichtlinie stammt aus dem Jahr 1995, ist also tens sehr berechtigte und stichhaltige Gründe gibt, dass 17 Jahre alt. Das bedeutet Lichtjahre im Bereich des Da- sich der Bundesrat heute mit zwei Subsidiaritätsrügen zu tenschutzes, Wort meldet. Sehr geehrter Herr Landesminister Hahn, ich darf Ihnen stellvertretend für den Bundesrat ganz (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE herzlich dafür danken, dass Sie sich dieses Themas an- GRÜNEN]: Das gilt auch für den Koalitions- nehmen, weil die beiden Rechtsetzungsakte die durchaus vertrag!) berechtigte Frage aufwerfen, inwieweit hier nicht die gerade angesichts der rasanten Entwicklung im Bereich Kompetenz, die Rechtsetzungshoheit der nationalen der Informations- und Kommunikationstechnologie. Mitgliedsländer betroffen ist; andersherum gefragt, ob Deshalb begrüßen wir grundsätzlich das Tätigwerden die Europäische Union nicht teilweise Gesetzgebungs- der EU-Kommission in diesem Bereich. Die EU-Kom- kompetenzen an sich zieht, die ihr an sich gar nicht zu- missarin und Vizepräsidentin der EU-Kommission, gemessen sind. Viviane Reding, hat am 25. Januar 2012 zwei Rechtset- zungsvorschläge für eine neue Datenschutz-Grundver- Ich meine vor allem den Bereich der polizeilichen ordnung und für eine Datenschutzrichtlinie unterbreitet. und justiziellen Zusammenarbeit. Aus meiner Sicht geht es die EU-Kommission und auch die europäische Ge- Was mich wundert, gerade in Bezug auf die drei An- setzgebung nichts an, wenn Daten von einer Polizei- träge der Grünen, die wir heute debattieren: Meine lie- inspektion in Bad Reichenhall an eine andere Polizei- ben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie ge- inspektion nach Altötting übertragen werden. Ich sehe hen schon sehr zaghaft und sehr zögerlich in Ihrer Kritik die ganz konkrete Gefahr, dass unser bewährtes deut- gegenüber diesen beiden Rechtsetzungsakten vor. sches Strafprozessrecht durch diesen Vorschlag im Be- reich der Datenschutzrichtlinie ausgehöhlt wird. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konstruktiv!) In der Datenschutzrichtlinie werden umfangreiche Vorgaben für die Führung von Verfahrensakten, für Er- Ansonsten sind Sie mit Kritik gegenüber der Regie- mittlungsmaßnahmen unter der Verwendung besonderer rungsseite auf Bundes-, Landes- oder auf europäischer Kategorien von personenbezogenen Daten sowie für die Ebene nicht so zurückhaltend. Ich muss sagen: Ihre An- Akteneinsicht und die Auskunftserteilung gemacht. Dies träge sind insoweit schon reichlich armselig. ist alles sehr sauber und sehr ordentlich im Strafprozess- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- recht in Deutschland geregelt und bedarf keiner europäi- NEN]: Wir wollen Ihnen auch einen Aktions- schen Regulierung. Die Argumentation der Kommission (B) raum lassen!) ist: Es kann ja einmal sein, dass Daten, die von Polizei- (D) behörden erhoben werden, grenzüberschreitend weiter- Was mich ebenfalls wundert – auch das muss ich ganz gegeben werden. – Ich sage ganz offen: Dies ist aus mei- offen gestehen –, ist, dass Ihren Anträgen eine unheimli- ner Sicht eine zu kurz greifende und zu kurz springende che Regulierungshörigkeit innewohnt, eine Staatsgläu- Argumentation, weil die überwiegende Mehrheit der Da- bigkeit, die Ihnen an sich sonst eher fremd ist. Aber ten, gerade im polizeilichen Bereich, die Landes- und offenbar sind das die neuen Grünen, die lieber auf Regu- Bundesgrenzen nicht verlässt. Über die Hintertür, das lierung und gesetzgeberisches Handeln als auf Selbstver- abstrakt und rein hypothetisch die Möglichkeit besteht, pflichtungen oder auf die Eigenverantwortung der Bür- dass irgendwann einmal eine Weitergabe der Daten an ger setzen. ausländische Polizeibehörden erfolgt, eine Gesetzge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – bungskompetenz der Europäischen Union zu begründen, Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE halte ich für verfehlt. GRÜNEN]: Grundrechtsschutz, Herr Kol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lege!) Bei aller Grundsympathie gegenüber diesen beiden Auch die Datenschutz-Grundverordnung begegnet Rechtsetzungsvorschlägen der EU-Kommission bleiben aus meiner Sicht großen Bedenken. Ich habe grundsätz- meines Erachtens doch deutliche Kritikpunkte an den lich Verständnis für den Wunsch der Wirtschaft nach beiden Vorschlägen. Es ist gut, dass wir uns mit diesen einheitlichen Datenschutzstandards in der gesamten beiden Vorschlägen frühzeitig befassen. Es wird mit Si- Europäischen Union; dagegen ist zunächst überhaupt cherheit noch 18 Monate dauern, bis die beiden Vor- nichts einzuwenden. Ich sage ganz offen: Davon werden schläge letzten Endes Gesetzeskraft erlangen werden. die Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren, weil Aber gerade bei EU-Rechtsetzungsakten kann man sich auch die jetzige Regelung nicht zielführend ist, da sich aus meiner Sicht als nationales Parlament gar nicht früh manche Unternehmen – ein Fall ist heute schon genannt genug zu Wort melden. worden – als Sitzland das Land aussuchen, das die ge- ringsten Datenschutzstandards aufweist. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das kennen wir von der Vor- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ratsdatenspeicherung!) GRÜNEN]: Ja!) Deswegen begrüße ich grundsätzlich die heutige De- Insoweit ist es richtig, dass wir ein einheitliches Grund- batte. niveau in Europa schaffen. Es muss nur verhindert wer- 20510 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Stephan Mayer (Altötting) (A) den, dass damit die sehr hohen deutschen Datenschutz- Wege von Ermächtigungen, weil dann der Kommission (C) standards ausgehöhlt werden. die Möglichkeit gegeben wird, eigenmächtig, ohne jegli- che demokratische Rückkopplung Änderungen in das (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Datenschutzrecht zu implementieren. GRÜNEN]: Völlig richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Es ist schon mehrmals auf die Aussage der EU-Kom- Sebastian Blumenthal [FDP]) missarin Reding hingewiesen worden, die in der Wo- chenzeitung Die Zeit vom 21. März ganz deutlich betont Ich möchte auf einen sehr wesentlichen Punkt zurück- hat, dass das deutsche Datenschutzrecht mit das beste in- kommen. Wir haben in Deutschland bereits ein qualitativ nerhalb der Europäischen Union ist. hochwertiges Datenschutzrecht. Deswegen erfreut es mich, dass die EU-Kommission die Bedeutung von be- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Es ist das trieblichen Datenschutzbeauftragten grundsätzlich aner- Beste!) kennt. Ich möchte aber kritisch hinterfragen, dass die Das ist ein Ritterschlag für Deutschland. Ich kann den EU-Kommission die Einsetzung von betrieblichen Da- Vorwürfen vonseiten der Opposition nur entgegnen: Las- tenschutzbeauftragten erst ab einer Mitarbeiterzahl von sen Sie die Fakten sprechen und vor allem die profilierte 250 pro Unternehmen verbindlich vorsieht. zuständige EU-Kommissarin! (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist auch zu kritisieren!) GRÜNEN]: Die sagt, wir müssen weiterge- hen! Das ist doch kein Argument!) Es muss im Zuge von Öffnungsklauseln die Möglichkeit geben, dass die in Deutschland bewährte Regelung, dass Wenn sie der Auffassung ist, dass wir in Deutschland ei- schon ab einer Mitarbeiterzahl von 10 ein betrieblicher nen hohen Datenschutzstandard haben, dann sollte man Datenschutzbeauftragter vorgesehen ist, weiterhin in dies sehr wohlwollend und anerkennend zur Kenntnis Kraft bleiben kann. nehmen. Der Programmsatz, der im Verordnungsentwurf steht, Ich nehme ebenfalls sehr anerkennend und positiv zur dass es ein „Recht auf Vergessenwerden“ gibt, ist wun- Kenntnis, dass der Verordnungsentwurf der Kommissa- derschön. Das Problem ist nur, dass das derzeit technisch rin vorsieht, dass der Strafrahmen für Bußgelder deutlich nicht umsetzbar ist: Den digitalen Radiergummi gibt es erhöht wird. Das in Deutschland derzeit maximal festzu- nicht. Nach dem Ermessen von Fachleuten, von ausge- stellende Bußgeld von 300 000 Euro schreckt große wiesenen Experten, wird dies auch in absehbarer Zeit (B) Konzerne wie Microsoft oder Google nicht ab. Es ist nicht möglich sein. Deswegen sollte man ein großes Fra- (D) deshalb richtig, dass der Bußgeldrahmen auf 5,6 Millio- gezeichen hinter dieses „Recht auf Vergessenwerden“ nen Euro erhöht wird. setzen. Es ist zwar schön gemeint, aber meines Erach- tens nicht gut gemacht. Das vorgesehene Kohärenzverfahren hingegen sehe ich sehr kritisch. Aus meiner Sicht begegnet es großen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) verfassungsrechtlichen Bedenken. Ich teile die Auffas- sung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Das Verbandsklagerecht ist schon angesprochen wor- Länder, die in ihrer Entschließung vom 21. und 22. März den. dieses Jahres deutliche Kritik am vorgesehenen Kohä- renzverfahren geübt haben; denn mit dem Kohärenzver- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie fahren wird die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauf- schon erwähnt: Es ist gut, dass wir uns frühzeitig mit den tragten deutlich beeinträchtigt. Die EU-Kommission beiden Rechtsetzungsakten auseinandersetzen. Wir wer- schriebt sich ein Selbsteintrittsrecht zu, was im End- den mit Sicherheit in den nächsten Monaten bei unter- effekt bedeutet, dass die Befugnisse nationaler Daten- schiedlichen Gelegenheiten noch die Möglichkeit dazu schutzbehörden ausgehöhlt werden, dass die Entschei- haben. dungen von nationalen Datenschutzbehörden bis zu Den drei Anträgen, die heute zur Abstimmung stehen einem Zeitraum von zwölf Wochen sogar suspendiert und die seitens der Grünen gestellt worden sind, kann werden können und die EU-Kommission sich an die nur in aller Deutlichkeit die Zustimmung verweigert Stelle der nationalen Datenschutzbehörden setzt. Das ist werden. meines Erachtens mit deutschem Recht, vor allem mit deutschem Verfassungsrecht, nicht in Einklang zu brin- Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksam- gen. keit. Aus meiner Sicht ist ebenso kritisch zu sehen, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Verordnungsentwurf insgesamt knapp 50 Verord- nungsermächtigungen für die EU-Kommission beinhal- tet. Wir sollten unserem Selbstbewusstsein als nationales Vizepräsident Eduard Oswald: Parlament entsprechend die Auffassung vertreten, dass Vielen Dank, Kollege Stephan Mayer. – Nächste Red- die Grundzüge, die wesentlichen Inhalte des Daten- nerin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere schutzrechts entweder von den Mitgliedstaaten oder in Kollegin Frau Kirsten Lühmann. Bitte schön, Frau Kol- der Verordnung selbst geregelt werden, aber nicht im legin. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20511

(A) Kirsten Lühmann (SPD): (Gerold Reichenbach [SPD]: Hört! Hört!) (C) Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Das heißt, bei einer elementaren Zukunftsfrage, nämlich: Sehr verehrte Gäste! Eine junge Frau stellt ein freizügi- „Wie wollen wir unsere Gesellschaft organisieren?“, ist ges Foto von sich selbst in ein soziales Netzwerk und diese Bundesregierung abgetaucht. Das finde ich un- findet es auf einer privaten Sexseite wieder, deren Server glaublich. in Russland steht. Sie wird ihre Rechte genauso wenig geltend machen können wie das Opfer des Einbruch- (Beifall bei der SPD – Gerold Reichenbach diebstahls aus Reutlingen, das bei Facebook Hinweise [SPD]: Bevor wir nichts machen, machen wir auf den Täter vermutete. Der Server stand in den USA. lieber gar nichts!) Die Hinweise konnten nicht erlangt werden. Dabei gibt es doch Beispiele: Im internationalen Wir reden heute hier sehr viel über Deutschland und Flugverkehr haben wir die ICAO, im internationalen die EU. Die beiden Beispiele zeigen, dass eine Forde- Schiffsverkehr haben wir die IMO. Das heißt, gemein- rung aus dem Antrag, den wir heute debattieren, nämlich sam mit allen wurden Regeln festgelegt, die für alle ver- neben den Regelungen für Deutschland und die EU und bindlich sind. Nun weiß auch ich, dass man diese beiden auch den Schutz der Rechte von Bürgerinnen und Bür- Organisationen nicht eins zu eins auf das Netz übertra- gern gegenüber Drittstaaten zu sichern, von drängender gen kann. Aber wir haben doch eine Richtung, wohin es Bedeutung ist. gehen kann. Die Richtung heißt nicht binationale Ver- träge. Die Richtung heißt auch nicht G 8. Die Richtung Das Internet hat erreicht, was die Politik noch nicht heißt weltweite Standards. Gerade für Deutschland als geschafft hat – daran arbeiten wir –, nämlich eine welt- Hochtechnologieland sind Freiheit und Sicherheit im weite Gemeinschaft, Stärkung und Fortschritt durch Dis- Netz sowohl für die Wirtschaft als auch für die Zivilge- kussionen in allen Bereichen der Gesellschaft. Aber ne- sellschaft elementar wichtig. Und was hören wir dazu ben den Chancen dieser Gesellschaft ohne Grenzen gibt von der Bundesregierung? Dröhnendes Schweigen, es natürlich auch Möglichkeiten für unerwünschtes Ver- meine Herren und Damen. Reden Sie endlich, Frau halten. Wir alle sind uns einig: Regeln sind nötig. Aber Merkel! die Frage ist: Wer stellt diese Regeln in einem weltwei- (Beifall bei der SPD) ten Netz auf, und wie werden diese Regeln dann durch- gesetzt? Die Menschen in diesem Land haben ein Recht darauf, dass sich die Regierung hier für ihre Interessen einsetzt. Dieses Thema ist nicht neu. Die EU und die USA ha- ben bereits im Jahr 2000 das Safe-Harbor-Abkommen Danke schön. (B) (D) getroffen. Dabei geht es um die Speicherung von perso- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nenbezogenen Daten. Aber auch da ist die Frage der DIE GRÜNEN) Sanktionierung noch unklar. Der G-8-Gipfel hat sich im letzten Jahr des Themas angenommen. Präsident Sarkozy forderte die „Zivilisierung des Netzes“ mit ent- Vizepräsident Eduard Oswald: sprechenden Eingriffen. Attac merkte dazu an, der Fokus Wir danken Ihnen, Frau Kollegin. – Nächster Redner liege bei dieser Forderung wohl einseitig auf der Wirt- in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser schaft, und von der Freiheit sei wenig die Rede. Wenn Kollege Sebastian Blumenthal. Bitte schön, Kollege ich mir die Worte unseres Staatssekretärs Schröder von Sebastian Blumenthal. vorhin vor Augen halte, dann muss ich sagen, dass das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zu stimmen scheint. der CDU/CSU) Der UN-Sonderberichterstatter hat im Juni 2011 zu der Frage der Informations- und Meinungsfreiheit fest- Sebastian Blumenthal (FDP): gestellt: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen den Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben konventionellen Medien und dem Netz. Wir müssen auf- jetzt schon einige Debattenbeiträge zu den Anträgen ge- passen, dass wir die Freiheitsrechte sicherstellen. – Da hört, die Sie von Bündnis 90/Die Grünen uns hier vorge- stellt sich mir jetzt die Frage: Wo bleibt eigentlich die legt haben. Ich möchte in meinem Beitrag auf den Antrag Bundesregierung in dieser Debatte? von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8161 ein- gehen. Das ist der Antrag zu Datenschutz und Verbrau- (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist eine gute cherschutz in sozialen Netzwerken. Frage!) Lieber Herr Kollege von Notz, wir stimmen mit Si- – Genau, das ist eine gute Frage. – Bei der Antwort habe cherheit in vielen Punkten überein, gerade wenn es da- ich etwas gefunden. Die Kanzlerin nimmt Stellung. rum geht, darauf hinzuweisen, dass die bestehenden Da- Beim G-8-Gipfel hat sie Stellung genommen, aber weni- tenschutzgesetze von den Dienstebetreibern, namentlich ger zu den Einschränkungsplänen des französischen Prä- Facebook und Google, nicht immer vorbildlich eingehal- sidenten, sondern ihr wichtiges Thema bei den interna- ten wurden. Das eint uns. Gleichwohl sind in Ihrem An- tionalen Verhandlungen war: schnelles Internet. Bei der trag auch einige Punkte aufgeführt, zu denen ich, wie so UNO hat Deutschland den Bericht noch nicht einmal un- häufig, sagen muss: Die Arbeit ist im Detail nicht ganz terzeichnet. gelungen. 20512 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Sebastian Blumenthal (A) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang (C) GRÜNEN]: Es ist auch gut, wenn wir uns un- Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) terscheiden!) Gesetzlich regeln zu wollen, dass das nicht mehr passie- Darauf möchte ich im Folgenden gezielt eingehen. ren darf, dass Suchmaschinen das nicht mehr auslesen dürfen, widerspricht komplett den Gedanken von Wahl- Sie fordern die Bundesregierung und die Regierungs- freiheit und Nutzersouveränität. Dafür stehen wir von fraktionen auf, sich offensiver mit dem Thema zu be- der Fraktion der Freien Demokratischen Partei unbe- schäftigen. Genau das findet statt. Herr von Notz, Sie dingt. waren selbst dabei. Wir haben uns im Unterausschuss Neue Medien mehrfach mit Google und Facebook aus- Es gibt trotz vieler Gemeinsamkeiten also gute einandergesetzt, unter Beteiligung des Bundesinnen- Gründe, Ihren Antrag abzulehnen. ministeriums und des Verbraucherministeriums. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) GRÜNEN]: Ja! Unfruchtbar war das!)

Die handelnden Akteure waren dort vertreten und haben Vizepräsident Eduard Oswald: ihre Position dargestellt. Vielen Dank, Kollege Sebastian Blumenthal. – Letz- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ter Redner in unserer Aussprache ist das heutige Ge- GRÜNEN]: Und was ist passiert? – Gerold burtstagskind, Michael Frieser, dem schon mehrfach Reichenbach [SPD]: Und was ist herausge- gratuliert worden ist. Auch ich gratuliere ihm. Vielleicht kommen?) klatschen wir jetzt Beifall, weil sich jetzt vermutlich alle Fraktionen dem Beifall anschließen können. – Gut, dass Sie danach fragen. – Wir haben dort einen Erfolg erzielt. Sie erinnern sich, dass der Dienst (Beifall) Google+, ein Konkurrent von Facebook im Bereich so- Man weiß nie, wie das am Ende einer Rede ist. zialer Netzwerke, im letzten Jahr versucht hat, die Ver- wendung von Pseudonymen bei der Nutzung des Diens- (Heiterkeit) tes nicht zuzulassen. Das war ein klarer Verstoß gegen Bitte schön, Kollege Michael Frieser. das Telemediengesetz in Deutschland. Wir haben Google+ in der Sitzung des Unterausschusses mit die- sem Umstand konfrontiert. Wir haben schon vorher Michael Frieser (CDU/CSU): Druck ausgeübt. Es gab offene Briefe, auch von Parla- Sogenannter Akontoapplaus tut immer gut. Vielen (B) (D) mentariern; Sie waren mit dabei. In der Sitzung des Un- Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen terausschusses Neue Medien hat Google+ klargestellt, und Herren! Es ist ein schöner Tag, auch um über den dass das offensichtlich dann doch ein Versehen war. Die Datenschutz zu reden. Dann bekomme ich von den Grü- Pseudonyme dürfen wieder verwendet werden. Die nen auch noch drei Anträge, die ich nun zusammenfas- Rechtskonformität mit dem Telemediengesetz wurde send würdigen darf. Das ist ein wunderschönes Paket, hergestellt. aber es ist vieles dabei, was uns nicht ganz neu ist. Aber so ist das nun einmal mit Geschenken. Wann schaut man (Gerold Reichenbach [SPD]: Das zeigt, dass sie sich schon genau an? Wir freuen uns trotzdem da- sie sich an ein bestehendes Gesetz halten! Das rüber. Ein schönes Schleifchen gehört auch dazu: Zur ist ja schon ganz beachtlich! Also wirklich!) Stunde berät der Bundesrat bei der Subsidiaritätsrüge Hier den Eindruck zu erwecken, man schaue einfach nur über genau diese Frage. zu und tue nichts, ist nicht zielführend. Das Gegenteil ist Der letzte Redner hat immer das Problem, dass vieles der Fall, und das können wir mit Fakten belegen. schon gesagt wurde. Ich versuche, es zusammenzufas- Ich möchte nun auf Punkt III.4 Ihres Antrags einge- sen. hen. Sie möchten gesetzlich regeln, dass Maßnahmen zu ergreifen sind, „die grundsätzlich die Auslesbarkeit von Vizepräsident Eduard Oswald: Profilen und nutzergenerierten Inhalten durch Suchma- Man muss die Redezeit natürlich nicht ganz ausnut- schinen ausschließen“. Wer die Souveränität und die zen. Entscheidungsfreiheit von Nutzern ernst nimmt, kann so etwas auf gar keinen Fall gesetzlich regeln wollen. Ich (Heiterkeit) erinnere daran, dass zum Beispiel das Businessnetzwerk Xing die Möglichkeit bietet, dass sich Nutzer zum Michael Frieser (CDU/CSU): Zweck der Jobsuche mit ihren eigenen Profilen darstel- Ich wollte gerade sagen: Wenn mich das Präsidium len. Diese Menschen machen das ganz bewusst. Sie nicht unterbricht, könnte ich die geplante Redezeit sogar publizieren dort ganz bewusst ihre Skillprofile, also ihre unterbieten. Fähigkeitsprofile, um über die Suchmaschine entspre- (Heiterkeit) chend gefunden zu werden. Deswegen geben sie Stich- worte ein, die auf Branchenschwerpunkte hinweisen Ich möchte deutlich machen, dass es einen wirklichen oder auf besondere Fähigkeiten, zum Beispiel im Be- Konsens gibt: Es ist wichtig, dass sich Europa endlich reich Softwareentwicklung und Programmierung. mit der Frage einer EU-Datenschutzrichtlinie, soweit es Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20513

Michael Frieser (A) Recht und Justiz betrifft, und einer entsprechenden Ver- ken, aufgrund wirtschaftlicher Interessen, oder von öf- (C) ordnung, soweit es im weitesten Sinne die privaten Da- fentlichen Verwaltungen und staatlichen Behörden erho- ten betrifft, befasst. Wenn wir uns die Zahlen in Europa ben werden. Das sind unterschiedliche Risikosphären, anschauen, sehen wir, dass immer noch drei Viertel der die unterschiedlich behandelt werden müssen. Hier müs- Menschen ihr Verhältnis zum Thema Daten und Datensi- sen wir feststellen, dass in der vorgelegten Verordnung cherheit zumindest als gestört ansehen. In Deutschland noch Nachholbedarf besteht. sind es über 80 Prozent. Deshalb ist es nicht nur geboten, dass wir uns dieser Frage intensiv stellen, sondern auch, Ich komme zum zweiten wesentlichen Punkt; ich dass wir die Tatsache aufnehmen und uns mit der Frage, möchte mich ja in meiner Rede auf wenige Punkte be- wie man dieses Thema europaweit regeln sollte, aus- schränken. Die Delegated and Implementing Acts sind einandersetzen. Es ist keine Häresie und keine Majes- tatsächlich wichtig. Wenn man sich vorstellt, dass es bei tätsbeleidigung, wenn man sagt, dass das, was vorgelegt 45 von 91 vorgelegten Artikeln eine Ermächtigungs- wurde, noch nicht ganz dem entspricht, was wir wollen. grundlage für die EU geben soll, dann erweckt das den Wir haben eine Harmonisierung des Datenschutzes und Anschein, dass sich hier unterschiedliche Bereiche in- der Planungssicherheit auf europäischer Ebene erwartet. nerhalb der Kommission nicht ganz einigen konnten, Das sind die grundlegenden Ziele. Von diesen sind wir was man am Ende des Tages wirklich regeln kann und noch etwas entfernt. regeln will. Deshalb muss ich sagen: Über diese Form von nichtkontrollierbarer selbstgewählter Eigenmacht Ich darf sagen, dass ich von der heutigen Debatte et- der Kommission würde ich gerne näher informiert wer- was überrascht bin. Die Regelungswut, die uns hier von- den, bevor ich einer solchen Verordnung zustimme. Ich seiten der Grünen entgegenschlägt – sie wird zumindest glaube, an dieser Stelle ist es deshalb nicht zu viel ver- von den Linken akkompagniert –, hat mich etwas über- langt, wenn man versucht, etwas nachzubessern. rascht. Es wird Sie nicht irritieren, dass wir beim Thema Be- (Beifall der Abg. Gisela Piltz [FDP]) schäftigtendatenschutz hängen bleiben. Als Berichterstat- ter nehme ich mir heraus, noch ein Beispiel zu nennen. Ei- Herr Kollege, ich bin gespannt, welche Reaktionen von niges wird durch die EU vielleicht etwas überorganisiert. der Netzcommunity kommen, wenn sie Kenntnis davon Aber eines hat sie nicht geregelt. Wir finden in der ge- erlangt, welche Grenzen im Einzelnen gesetzt werden samten Verordnung nichts zum Thema Konzernprivileg. sollen und welche Einzelbestimmungen die Grünen for- Dabei geht es um Daten, die innerhalb eines europäisch, dern. international organisierten Konzerns – derer haben wir ja (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE nun wirklich viele – von einem Sitz an einen anderen (B) GRÜNEN]: Da täuschen Sie sich!) weitergegeben werden. Hier waren wir uns hinsichtlich (D) des Schutzniveaus relativ einig. Es soll erst einmal einen Wir wollen – das ist der Punkt –, dass nicht nur die Erlaubnistatbestand geben, das heißt, Daten dürfen über- Regelungen an sich betrachtet werden. Wir haben vor al- mittelt werden, aber beim Empfänger müssen alle An- lem die Sorge, dass es auf diesem sehr hohen Abstrak- forderungen an den Datenschutz erfüllt werden. tionsniveau zu einer Vollharmonisierung kommt. Was sind die Gefahren? Die Gefahren sind alle schon hin- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE länglich angesprochen worden. Deshalb möchte ich sie GRÜNEN]: Wo ist er denn, der Beschäftigten- nicht noch einmal benennen. Das Problem der Niveau- datenschutz?) absenkung scheint mir das entscheidende zu sein. Inso- Diese Frage ist im Augenblick noch nicht geregelt. fern sind alle politischen Kräfte aufgefordert, wenn sie Einfluss im Europäischen Parlament haben, darauf hin- Ich kann nur sagen: Wir sollten in der Debatte nicht zuwirken, dass man sich nicht auf dem niedrigstmögli- versuchen, das alte Klischee zu bedienen, dass der Staat, chen Niveau einigt. Das kann nicht unser gemeinsames dass Europa versucht, Daten zu sammeln, wo immer es Ziel sein. geht. Vielmehr sollten wir versuchen, bei dieser Frage ernst zu bleiben. Wir müssen das Datenschutzniveau so (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hoch halten, wie es irgend geht. Vor allem müssen wir Es bedarf auch noch der Konkretisierung. Das hat die Grenzen setzen, wenn es um sogenannte Datenmilliar- Kommission anscheinend selbst erkannt. Sie hat inso- däre geht, also um Unternehmen, die so viele Daten sam- fern einen Hilfsmodus eingenommen und gesagt: Das, meln, dass sie gar nicht mehr wissen, wohin damit. worauf wir uns jetzt nicht einigen können, werden wir ir- Letztendlich haben wir unsere Arbeit dann richtig getan, gendwann einmal regeln. Gerade deshalb sind wir in der wenn wir den Datenschutz auf unserem, dem deutschen Union bereit, die inhaltlichen Bedenken der derzeitigen Niveau gehalten haben, ohne überzureglementieren. Subsidiaritätsrüge zu teilen. Vielen Dank. Ich darf zu dem Thema der personenbezogenen Daten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sagen, dass es wichtig ist, dass wir nicht alle Daten, die wir sammeln, dem gleichen Schutzkatalog – ich spreche noch nicht einmal von Schutzniveau – unterwerfen. Es Vizepräsident Eduard Oswald: ist ein Unterschied, ob Daten zwischen Privaten ohne Vielen Dank, Kollege Michael Frieser. In der Tat ha- jegliches wirtschaftliches Interesse gesammelt werden ben Sie Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft. Das verdient oder ob private Daten mit einem kommerziellen Gedan- Anerkennung. Vielen Dank. 20514 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Vizepräsident Eduard Oswald (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Liebe Kolleginnen und Kollegen, die beabsichtigte (C) Aussprache. Stärkung der Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung von Banken ist notwendig, um die Krisenfestigkeit des Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Systems zu erhöhen. den Drucksachen 17/9166 und 17/6345 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. (Beifall bei der SPD) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Die quantitative und qualitative Anhebung der Eigen- kapitalausstattung erhöht die Risikovorsorge der Kredit- Wir kommen jetzt – Tagesordnungspunkt 32 c – zur institute. Aber: Diese Bundesregierung ist dafür ver- Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innen- antwortlich, dass dieses Regelwerk in Form einer ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Verordnung und nicht, wie wir Sozialdemokraten gefor- Grünen mit dem Titel „Grundrechte schützen – Daten- dert haben, in Form einer Richtlinie umgesetzt wird. Sie schutz und Verbraucherschutz in sozialen Netzwerken blockieren damit jede Möglichkeit, diese Regeln an die stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Besonderheiten der deutschen Bankenstruktur anzupas- empfehlung auf Drucksache 17/9198, den Antrag der sen. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8161 (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das deckt sich abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- jetzt aber nicht mit dem, was Sie in Ihrem An- lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – trag schreiben!) Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Enthaltungen? – Die Fraktion der Sozial- Wir haben in Deutschland nun einmal eine dreigliedrige demokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Struktur – mit Sparkassen, Genossenschaftsbanken und international agierenden Großbanken –, die so in ande- (Unruhe) ren Ländern nicht zu finden ist. Für die Kreditver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, um allzu große Ver- sorgung gerade des Mittelstandes sind die örtlichen zögerungen zu vermeiden, mache ich weiter. Sparkassen und Genossenschaftsbanken von zentraler Bedeutung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Nun ist Basel III aber für international agierende, ka- Beratung des Antrags der Fraktion der SPD pitalmarktorientierte Großbanken konzipiert. Deshalb Umsetzung von Basel III: Finanzmärkte stabi- wollen wir mit unserem Antrag auf ein wichtiges Problem lisieren – Realwirtschaft stärken – Kommu- aufmerksam machen: Wenn der Grundsatz „Same nalfinanzierung sichern Risk – Same Rules“, also „Gleiches Risiko – Gleiche Re- (B) geln“, richtig ist – und wir halten ihn für richtig –, dann (D) – Drucksache 17/9167 – müssen örtliche Sparkassen und internationale Großban- Überweisungsvorschlag: ken differenziert behandelt werden. Wir sind nicht der Finanzausschuss (f) Auffassung, dass eine Bankengruppe von dem neuen Re- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie gelwerk ausgenommen werden sollte, aber die Finanz- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss marktkrise hat gezeigt, wo Risiken und Gefahren liegen – jedenfalls nicht bei den örtlichen Sparkassen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Sie wi- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Richard dersprechen nicht. Dann ist auch das so beschlossen. Pitterle [DIE LINKE]) Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer Die Europäische Kommission hat diese Differenzie- Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser rung innerhalb der Bankenlandschaft in Deutschland bei Kollege Manfred Zöllmer. Bitte schön, Herr Kollege der Umsetzung von Basel III bisher allerdings zu wenig Manfred Zöllmer. beachtet. Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag nun auf, hier tätig zu werden. Wir fordern, dass die neuen Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen Manfred Zöllmer (SPD): auf die Größe und auf das Geschäftsmodell der Kredit- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein institute differenziert Anwendung finden. Neben der wesentlicher Baustein der Neujustierung der Finanz- Stabilisierung des Finanzsystems muss auch die Kredit- märkte sind die Vorschläge des sogenannten Baseler vergabefähigkeit besonders der Sparkassen und der Ge- Ausschusses für Bankenaufsicht – Stichwort Basel III –, nossenschaftsbanken, die ja die Hauptkreditgeber für der notwendige, strengere Regeln zur Regulierung des den Mittelstand sind, besondere Beachtung finden. Finanzsystems vorgelegt hat. Im Vordergrund und im Mittelpunkt dieser Regulierung stehen dabei Regelungen (Beifall bei der SPD) zur Eigenkapitalunterlegung. Die EU-Kommission setzt Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, bei den diese Vorschläge zurzeit in europäisches Recht um. Sie Verhandlungen über Basel III folgende Punkte umzuset- sollen stufenweise von 2012 bis 2018 umgesetzt werden. zen: Dabei hat die EU-Kommission die Empfehlungen des Baseler Ausschusses weitgehend übernommen. Diese Die Eigenkapital- und Liquiditätsregeln sind nach Ge- Empfehlungen wurden für international tätige Großban- schäftsmodell und Größe der Institute zu differenzieren. ken formuliert. Die Risikogewichte von Mittelstandskrediten sind an ihre Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20515

Manfred Zöllmer (A) tatsächlichen Risiken anzupassen und nicht mit dem und risikoarmen Geschäftsmodellen unterschieden wer- (C) gleichzusetzen, was von Großbanken spekulativ umge- den. setzt wird. Die besonderen Bedingungen der Finanzver- bünde bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere zu berücksichtigen. Bei der Bankenaufsicht – wir haben Ziele sind eine effektive Regulierung und eine effiziente bereits gestern Abend darüber diskutiert – muss es zu ei- Aufsicht. Entscheidend ist dabei der Grundsatz „Same ner vernünftigen Arbeitsteilung zwischen europäischer Risk – Same Rules“. Dieser Grundsatz muss bei Ba- und nationaler Bankenaufsicht kommen, die die Unter- sel III eingehalten werden. Die Bundesregierung ist hier schiede zwischen systemrelevanten internationalen Groß- in der Pflicht, für die deutschen Banken das Gebotene banken und zum Beispiel der Sparkasse Wuppertal be- nachzuverhandeln – ich habe eben versucht, das zu skiz- rücksichtigt. zieren – und auch auf europäischer Ebene durchzuset- zen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koali- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Richard tionsfraktionen, bei diesem Vorhaben werden Sie uns an Pitterle [DIE LINKE]) Ihrer Seite haben. Bei der risikounabhängigen Verschuldungsobergrenze, Vielen Dank. der sogenannten Leverage-Ratio, ist zu differenzieren. Wir Sozialdemokraten sagen: Wir brauchen eine Leve- (Beifall bei der SPD) rage-Ratio. Sie ist im Grundsatz eine wirksame Maß- nahme, um eine ausufernde Fremdfinanzierung der Ban- Vizepräsidentin : ken zu verhindern, und damit eine sinnvolle Ergänzung der risikogewichteten Eigenkapitalunterlegung. Wenn es Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Ralph diese Leverage-Ratio gibt, dann besteht für die Banken Brinkhaus. allerdings der Anreiz, auf risikoreiches und damit ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- winnträchtigeres Geschäft auszuweichen, um bei glei- neten der FDP) chem Geschäftsvolumen eine höhere Eigenkapitalren- dite erwirtschaften zu können. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Zöllmer hat schon erklärt: Ein Ergebnis der Kollege Zöllmer, gestatten Sie eine Frage oder Be- Bankenkrise 2008 ist die Erkenntnis, dass die Banken merkung des Kollegen Schick? mehr Eigenkapital und mehr Liquidität brauchen. Der sogenannte Baseler Ausschuss hat sich daraufhin zusam- (B) Manfred Zöllmer (SPD): mengesetzt und neue Regeln gemacht. Diese Regeln (D) Aber immer. werden gerade in europäisches Recht umgesetzt. Das nennt man CRD IV. Wenn diese Regeln in europäisches (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Schick Recht umgesetzt werden, kommen wir zu einem Grund- hat keine Heimat!) problem jeglicher europäischer Rechtsetzung: Sie passen – Das haben Sie jetzt gesagt. nicht für alle gleichermaßen. Das heißt, wenn wir ein- heitliche Regeln für ganz Europa aufstellen, dann passen Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sie nicht zu 100 Prozent zu Deutschland. Teilweise sind NEN): diese Regeln dann schlechter als diejenigen, die wir al- lein beschließen würden. Wir müssen uns daher die Die Frage ist auch ganz kurz: Mich würde interessie- Frage stellen: Was wollen wir? Was ist uns wichtiger: ren, welche Höhe die Leverage-Ratio nach der Vorstel- gemeinsame europäische Regeln oder ein Rechtssystem, lung Ihrer Fraktion haben soll. Ich habe das im Antrag das zu 100 Prozent zu uns passt? nicht gefunden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nichts- Manfred Zöllmer (SPD): destotrotz ist es mehr als berechtigt, dass wir uns mit Nein, das haben wir nicht in den Antrag hineinge- diesem Punkt befassen; denn wir kennen die vielfachen schrieben. Ich denke, hier muss man erst einmal die Vor- Sorgen insbesondere von kleinen, regionalen und mittel- schläge des Baseler Ausschusses abwarten, bevor wir ständischen Banken genauso wie die Sorgen des Mittel- uns differenziert über die Höhe unterhalten. standes, der sogenannten Realwirtschaft, und der Kom- munen. Man kann auf die eben gestellte Frage zwei (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Antworten geben. Die eine Antwort lautet – diese haben GRÜNEN]: Die gibt es doch!) wir auch in unserem Antrag gegeben, den wir gestern Wir haben gesagt: Bei einer Leverage-Ratio sind die Ri- hier im Plenum beschlossen haben –: Wir akzeptieren, siken unterschiedlich zu bewerten. Das muss in den Vor- dass es gemeinsame europäische Regeln gibt, aber wir gaben dann auch entsprechend umgesetzt werden. wollen diese Regeln verbessern. Wir wollen, dass diese Regeln alle Institute berücksichtigen, nicht nur die klas- Wir wollen nicht, dass eine solche Leverage-Ratio sische britische börsennotierte Bankaktiengesellschaft, letztendlich zulasten des risiko- und margenarmen Kom- sondern zum Beispiel auch die Volksbank Kaunitz mit munal- und Hypothekenkreditgeschäftes geht. Deshalb einer Bilanzsumme von 90 Millionen Euro in meinem muss bei einer Leverage-Ratio zwischen risikoreichen Wahlkreis. Ich denke, diese Antwort ist richtig. 20516 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Ralph Brinkhaus (A) Wenn ich allerdings Ihren Antrag lese, habe ich das krediten zu sagen: Die Bundesregierung arbeitet daran. (C) Gefühl, dass Sie eigentlich ein deutsches Sonderrecht Wir sollten das nicht dramatisieren. Wir werden zu einer generieren wollen. Ich glaube, dass das nicht gut ist. Ich guten Lösung kommen. will Ihnen das anhand einiger Beispiele erläutern. Sie haben als erste Forderung aufgestellt, dass unterschiedli- Ein weiterer Punkt ist die Eigenkapitalunterlegung che Banken unterschiedlich behandelt werden sollen, bei Verbundbeteiligungen. Das ist in der Tat sehr interes- dass also differenziert wird. Herr Kollege Zöllmer hat in sant. Hier geht es zum Beispiel um eine Sparkasse, die seiner Rede begründet, was damit gemeint ist. Im über ihren Verband wiederum an einer anderen wirt- Grunde ist damit ein spezielles Aufsichtsrecht für Spar- schaftlichen Einheit, wie zum Beispiel einer Bauspar- kassen und Volksbanken gemeint. Ich glaube, es ist nicht kasse oder Ähnlichem, beteiligt ist. Hier gab es in der gut und nicht richtig, für unser deutsches System und un- Tat bisher eine Sonderregelung. Diese hat ganz gut ge- sere deutschen Besonderheiten ein spezielles Aufsichts- passt, wenn auch nicht immer; denn durch solche Betei- recht zu schaffen. Das kann sich irgendwann einmal ligungen sind durchaus auch einige Risiken in das Spar- auch gegen uns richten. Griechen, Spanier und Portugie- kassenlager hineingekommen, wie wir in der jüngsten sen können dann ebenfalls ein spezielles Aufsichtsrecht Vergangenheit schmerzvoll erfahren mussten. Bei dieser für ihre kleinen und mittleren Banken fordern. Das kann Sonderregelung stellt sich aber nun auch wieder die man nicht wirklich wollen. Frage: Wollen wir, dass sie europaweit gilt? Wollen wir, dass solche Sonderregelungen, die das Finanzsystem Damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage. Was ist weniger stabil machen, auch in Griechenland und Spa- uns wichtiger: ein System, das zu 100 Prozent zu uns nien gelten? Ich frage mich angesichts dessen, ob es passt, oder gemeinsame europäische Regeln? Ich bin der nicht besser wäre, den deutschen Genossenschaftsban- Meinung, dass es gut ist, dass wir an dieser Stelle ge- ken und Sparkassen eine angemessene Übergangsfrist zu meinsame europäische Regeln haben. Aber wir müssen gewähren – diese haben wir ja auch ausgehandelt –, so- die Regeln so konstruieren, dass die deutschen Interes- dass wir auch hier am Ende des Tages zu einheitlichen sen berücksichtigt werden. Das hat die Bundesregierung europäischen Regelungen kommen. mit ihren Vertretern im Verhandlungsprozess im Baseler Ausschuss und im CRD-IV-Verfahren in Brüssel er- Nun kommen wir zu einem weiteren interessanten reicht. Die Bundesregierung hat es geschafft, dass als Punkt: Sie sagen, dass eigentlich bei Hypotheken- und Eigenkapital nicht nur – wie von mancher Seite ge- kommunalen Krediten überhaupt kein Risiko vorhanden wünscht – das Kapital gilt, das an der Börse oder auf sei, und fordern, dass man dieses Risiko auch entspre- dem Kapitalmarkt beschafft wird, sondern auch das gute chend geringer gewichten sollte. Das ist vielleicht sogar Genossenschaftskapital und stille Beteiligungen. Das ist richtig angesichts der heutigen Situation in Deutschland. Aber, wie gesagt, wir machen Regelungen für ganz Eu- (B) ein riesiger Erfolg. Herr Zöllmer, es ist nicht richtig und (D) nicht wahr, dass die Bundesregierung, wie Sie behauptet ropa. Finden Sie, Herr Zöllmer, dass bei griechischen haben, nichts erreicht und nicht versucht hat, den tat- Gemeinden gewährten Kommunalkrediten kein Risiko sächlichen Besonderheiten und Anforderungen des deut- besteht? schen Bankensystems gerecht zu werden. Wir haben hier (Zuruf des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) einiges geschafft, und das ist auch gut so. Ich denke, es ist ein besserer Weg, gemeinsame europäische Regeln zu Schauen wir einmal weiter in die Zukunft: Glauben Sie, schaffen, die zu allen passen, als spezielle deutsche Re- dass Kommunalkredite, die Ihrer Heimatstadt Wupper- geln. tal, für die Sie ja jahrelang als Kommunalpolitiker Ver- antwortung getragen haben und die eine der am höchsten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verschuldeten Städte Deutschlands ist, gewährt wurden, neten der FDP) auf ewige Zeiten sicher sind? Ich bin mir da nicht ganz Zu den Mittelstandskrediten. Sie haben gesagt, die sicher. Mittelstandskredite dürften sich durch Basel III nicht un- Wir haben, meine Damen und Herren, eines in der nötig verteuern. Wir sind hier genau der gleichen Mei- Krise gelernt: Dinge, die wir heute als sicher ansehen, nung. Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt, können auf einmal zu einem erheblichen Risikofaktor dass noch einmal geprüft wird, ob die Risikogewichtung werden. So hätte vor zwei oder drei Jahren jeder gesagt, der Mittelstandskredite richtig ist und gegebenenfalls bei griechischen Staatsanleihen könne nichts passieren. eine Anpassung notwendig ist. Herr Staatssekretär, wir Dementsprechend mahne ich zur Vorsicht, ehe man aus sind auf einem guten Weg. Wir werden hier einiges er- der Augenblicksbetrachtung heraus sagt: Das ist doch si- reichen. Aber die Dramatik, die Sie hier sehen, Herr cher. Da kann im Grunde genommen nichts passieren. Zöllmer, ist tatsächlich nicht gegeben. Erst heute hat die Dementsprechend müssen Banken dafür weniger Eigen- Bundesbank veröffentlicht, dass sie nicht damit rechnet, kapital hinterlegen und können mit diesem Risiko anders dass die Kreditkosten des Mittelstands durch Basel III umgehen. – Ich trete dafür ein, dass wir hier ein wenig signifikant steigen werden. Ich habe bei den Sparkassen mehr in die Zukunft schauen. nachgefragt und erfahren, dass man mit einem Anstieg von 30 bis 40 Basispunkten rechnet. Das führt zu 0,3 bis Jetzt zu den Punkten 5 und 6 Ihres Forderungskata- 0,4 Prozent höheren Kreditkosten. Wenn das tatsächlich logs: Diese Forderungen bezüglich der Aufsicht sind in dem Rahmen bleibt, dann sollte es uns, wie ich richtig gut, wir teilen sie auch. Wir kommen hier zu dem glaube, das wert sein, dass wir einen stabilen Finanzrah- eigentlichen Punkt, der bei der Umsetzung der CRD IV men in Europa haben. Insofern ist zu den Mittelstands- im Zuge von Basel III tatsächlich auch unsere Sparkas- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20517

Ralph Brinkhaus (A) sen, Volksbanken und kleinen Privatbanken belastet. Ih- gung darüber bringen wir nach einer guten Diskussion (C) nen wird das Gefühl vermittelt, dass sie aufsichtsmäßig im Finanzausschuss zustande. genauso behandelt werden sollen wie Großbanken und dass eine große Bürokratie aufgebaut wird. Sie haben Danke schön. nun Angst, dass sie auf einmal Briefe von der EBA in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) London bekommen, mit denen sie nicht umgehen kön- nen. Diese Punkte sind in der Tat ernst zu nehmen. Genau aus diesem Grund haben wir gestern einen entsprechen- Vizepräsidentin Petra Pau: den Antrag gestellt, den die SPD dankenswerterweise Für die Fraktion Die Linke hat nun Richard Pitterle auch unterstützt hat. Ich glaube, wir sind uns einig, dass das Wort. wir aufpassen müssen, dass hier das passiert, was Sie im (Beifall bei der LINKEN) ersten Punkt Ihres Antrages fordern, nämlich dass unter- schiedliche Dinge unterschiedlich behandelt werden. Wir Richard Pitterle (DIE LINKE): werden über diesen Antrag auch noch im Ausschuss be- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- raten. Da sollten wir uns wirklich die Zeit nehmen, noch ginnen und Kollegen! Was haben wir nicht schon alles einmal auf diesen Punkt einzugehen, und uns fragen, ob von den Vertretern der Regierungskoalition in den letz- die Aufsicht so tatsächlich funktionieren kann. ten Monaten, aber auch heute wieder gehört: Die Regie- Ich habe lange nach einem passenden Vergleich ge- rung wolle die Finanzmärkte stabilisieren und die Real- sucht, um das verständlich zu machen. Vielleicht neh- wirtschaft stärken, nichts solle unbeaufsichtigt bleiben, men wir einmal eine Situation aus dem Straßenverkehr: alle Finanzprodukte sollten reguliert werden. Manchmal In einer geschlossenen Ortschaft dürfen Sie überall nur könnte man meinen, dass die Bundesregierung in die richtige Richtung denkt, zum Beispiel, wenn von Ban- 50 km/h fahren. Diese Regelung gilt für ungefährliche kenabgabe, der Finanztransaktionsteuer oder dem Fi- Straßen und auch für Unfallschwerpunkte. Ungefährli- nanzmarkt-TÜV die Rede ist. chen Straßen entsprächen in diesem Bild Sparkassen und Volksbanken, Unfallschwerpunkten große international Doch leider ist es nicht so. Die Redewendung „etwas tätige Banken und Institute. Wie kontrolliert die Polizei auf die lange Bank schieben“ bekommt erst bei dieser jetzt die einzuhaltende Geschwindigkeit? Sie stellt sich Bundesregierung ihren Sinn. ganz oft an die Unfallschwerpunkte. Das ist auch gut so; (Beifall bei der LINKEN) denn es ist ganz besonders wichtig, dass hier die Ge- schwindigkeitsgrenze eingehalten wird. Manchmal stellt Die Bundesregierung hat bei der Regulierung der Fi- (B) sich die Polizei auch an Stellen, die keine Unfallschwer- nanzmärkte fast nichts auf die Reihe bekommen: keine (D) punkte darstellen, aber eben nicht mit der gleichen Inten- Finanztransaktionsteuer, keine richtige Bankenabgabe. sität. Da müsste sie bereit sein, sich mit den Ackermännern anzulegen, statt ihnen Sahnetörtchen zu schenken. Wir sollten uns einmal überlegen, meine Damen und Herren, ob wir Finanzaufsicht nicht auch so organisie- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Oder ren: Da, wo große Risiken bestehen, also bei den großen Geburtstagsfeiern auszurichten!) Banken, muss es eine intensive Aufsicht geben. Hier Sie gehen Tippelschritte – zum Beispiel leichte Erhö- muss ganz genau hingeschaut werden. Hier ist es ange- hung des Eigenkapitals, Einschränkungen bei der Ver- bracht, lieber eine Zahl mehr als eine Zahl weniger zu schuldung –; ein größerer Wurf fehlt allerdings. Aber erheben. Aber bei den kleineren Banken, bei der von mir den bekämen Sie bei der FDP auch nicht durch. schon erwähnten Volksbank Kaunitz zum Beispiel, muss Da hatten wir einen Rettungsschirm mit 400 Milliar- nicht jedes Jahr genau das abgefragt werden, was bei den Euro Garantien und 80 Milliarden Euro direkte Ka- größeren Instituten abgefragt wird. Diese Banken sollen pitalhilfen. Damit haben wir unter anderem die Com- sich vor Ort mit der Kreditvergabe beschäftigen, mit den merzbank gerettet. Ja, die Commerzbank: Selbst als sie Häuslebauern, den Firmenkunden und den Handwer- Gewinne erwirtschaftet hatte, haben wir kaum einen kern, mit denen sie Geldgeschäfte tätigen. Cent davon gesehen, weil Sie die Verträge so schlecht Wenn man das Positive aus diesem Antrag heraus- ausgehandelt hatten, dass die Commerzbank bisher zieht, der sicherlich gut gemeint war, aber in vielen Be- kaum Zinsen auf die Kapitalhilfen zahlen musste. reichen einen falschen Ansatz verfolgt, weil gefordert (Zuruf von der CDU/CSU: Das war noch der wird, eine spezielle Regulierungswelt für Deutschland Steinbrück!) zu schaffen, so ist festzustellen: Gut an diesem Antrag ist, dass wir uns mit der Bürokratie, mit der Intensität der Durch Ihre mehr als großzügige Unterstützung greift die Aufsicht beschäftigen müssen. Da haben Sie auch mit Commerzbank außerdem Sparkassen und Genossen- schaftsbanken an und nimmt ihnen mit Kampfkonditio- uns einen Partner. Lassen Sie uns das gemeinsam ange- nen Spargelder weg. hen. Ich glaube, dann werden wir mehr für den Finanz- platz Deutschland tun, als wenn wir eine Diskussion da- Ich sage Ihnen: Wenn es um die Regulierung der Ban- rüber führen, ob wir eine Verordnung oder eine ken geht, haben Sie die Sache so gebogen, wie Sie sie Richtlinie, ob wir ein Sonderaufsichtsrecht für Sparkas- brauchen. Der Schutz von Sparkassen und Genossen- sen und Volksbanken brauchen. Ich denke, eine Eini- schaftsbanken kommt nicht vor. Dabei sind sie es, die in 20518 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Richard Pitterle (A) der Finanzkrise die Kreditversorgung der kleinen und Stärkung des Systems der europäischen Finanzaufsicht (C) mittleren Unternehmen, der Verbraucherinnen und Ver- erledigt. braucher sowie der Kommunen sichergestellt hatten. Dabei sind wir uns mit der SPD einig. Die strittigen (Beifall bei der LINKEN) Punkte sind von der Bundesregierung – durch das Bun- desministerium der Finanzen und das Bundesministe- Bei der Umsetzung der neuen Vorschriften für Ban- rium für Wirtschaft und Technologie – aufgegriffen wor- ken, Basel III genannt, in deutsches Recht, besteht jetzt den, und darüber wird in Brüssel gut verhandelt, sodass die große Gefahr, dass die bewährten Vorteile, beispiels- auch die Kreditversorgung der kleinen und mittleren Un- weise eine sichere und stabile Kreditversorgung, auf der ternehmen gewährleistet ist. Strecke bleiben. Bereits Bundesbankdirektor Zeitler be- tonte, dass das Kreditgeschäft der Banken wichtiger ist Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr Antrag als deren spekulative Geschäfte. geht aber von einem grundsätzlichen Missverständnis Meine Damen und Herren, was mir in dem Antrag der aus. Ich werde versuchen, darzulegen, worin das Miss- SPD noch fehlt, ist der stärkere Schutz der Kreditnehme- verständnis bestehen könnte. Sie gehen davon aus, dass rinnen und Kreditnehmer, nämlich des Mittelstands, der es nicht um „Same Business – Same Rules“, sondern um Verbraucherinnen und Verbraucher, der Kommunen. Wir „Same Risk – Same Rules“ geht. Wenn Sie aber eine wollen, dass sie weiter langfristige Kredite zu stabilen Bank betreiben, dann haben Sie eben ein bestimmtes Ri- Bedingungen bekommen können, für 10 Jahre, für siko, das für alle Bereiche gilt. 15 Jahre oder noch länger. Und nicht nur das: Auch die Ich habe gestern schon einmal versucht, das anhand Zinsen sollen für einen langen Zeitraum festgeschrieben der Gastronomie zu verdeutlichen. Das ist vielleicht bleiben. Damit hätten Unternehmen, Kommunen und nach dem Vergleich mit dem Straßenverkehr ein weite- Privatleute eine klare Kalkulationsgrundlage und wären res Bild, das Ihnen weiterhilft. Wenn Sie einen gastrono- vor unangenehmen Überraschungen an der Zinsfront ge- mischen Betrieb betreiben, dann unterliegen Sie den Hy- schützt. gienevorschriften. Deshalb können Sie nicht sagen: Ich (Beifall bei der LINKEN) habe aber ein besonders gutes Restaurant mit einem be- sonders ausgewählten Kundenkreis. Außerdem ver- Doch diese Sicherheit ist durch die geplante Umset- wende ich überhaupt gar keine Risikolebensmittel. Ro- zung von Basel III in deutsches Recht stark gefährdet. her Fisch kommt bei mir nicht auf die Karte. Ich Basel III fördert die aus den USA und Großbritannien verwende keine Mayonnaise. Eier lasse ich weg. bekannte Kurzfristkultur. Was bedeutet Kurzfristigkeit? Das sind Bankkredite für ein bis zwei Jahre für Maschi- (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE (B) nen, die aber zehn Jahre laufen sollen. Doch nach Ablauf GRÜNEN]: 7 Prozent Mehrwertsteuer!) (D) der zwei Jahre ist unsicher, ob die Unternehmerin oder Also im Prinzip all das, was möglicherweise zu Proble- der Unternehmer einen neuen Kredit bekommt. Wenn sie men führen könnte, lasse ich weg. Außerdem kommen oder er ihn bekommt, ist unsicher, zu welchem Zinssatz. die Tierchen nur aus ökologischer Aufzucht und werden Damit werden Finanzmärkte aber nicht stabilisiert, son- sanft in den Tod gekuschelt. dern es werden Schwankungen und Unwägbarkeiten er- höht. Das wollen wir nicht. (Heiterkeit bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) Ich brauche also nicht die Hygienevorschriften einzuhal- ten, die beispielsweise für eine grenzüberschreitend tä- Wir sagen: Statt Rentnerinnen und Rentner, Arbeit- tige Imbisskette gelten müssen, bei der die knoblauch- nehmerinnen und Arbeitnehmer zu belasten, müssen haltige Joghurtsoße vorne in der Auslage steht. endlich die Spekulation der Banken beendet, die Finanz- transaktionsteuer eingeführt, die großen Banken zer- Es beruht auf einem Grundmissverständnis, dass Sie schlagen und vergesellschaftet werden. Dann würden die diese Regeln ändern wollen. Im Grunde genommen wol- Banken auch wieder der Realwirtschaft dienen und nicht len Sie aus Basel III eine Art Lüneburg I machen. Das nur ihren Aktionären. wird aber nicht funktionieren. Vielen Dank. Natürlich bilden die Sparkassen und Volksbanken wertvolle Institutsgruppen. Ich bin Kunde von Instituten, (Beifall bei der LINKEN) die zu diesen beiden Säulen gehören, und außerordent- lich zufrieden mit ihnen. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Björn (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Dann bist du Sänger das Wort. befangen!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Ich bin nicht befangen, sondern gehe, wie man merkt, der CDU/CSU) kritisch damit um. Wir haben aber Krisenerfahrungen gemacht. Wir ha- Björn Sänger (FDP): ben auch eine Anhörung zu Basel III durchgeführt, in Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und der die Wirtschaftssachverständige Frau Professor Buch Herren! Im Grunde genommen hat sich die Debatte mit sehr klar gesagt hat, dass auch bei kleinen und mittleren der Abstimmung von gestern Abend über den Antrag zur Unternehmen systemische Risiken entstehen können. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20519

Björn Sänger (A) Weil Ostern vor der Tür steht, möchte ich Ihnen das (Beifall bei der FDP) (C) anhand eines Beispiels aus dem Lebensmittelbereich Aber auch die Kommunen können und müssen sich verdeutlichen. Wir haben Erfahrungen mit schadstoffbe- Alternativen überlegen, um Zugang zum Kapitalmarkt lasteten Eiern gemacht. Es ist sozusagen das Ei an sich zu bekommen. Damit kommen wir im Grunde genom- in Probleme geraten. Dabei wurde auch nicht differen- men zu der Intention Ihres Antrags, wenn man die Prosa ziert, aus welchem Betrieb das Ei kommt. Sondern das links und rechts wegstreicht. Ei an sich war das Problem. Sie möchten den Kommunen weiterhin niedrige Zin- Wenn beispielsweise ein Problem bei einer Bank mit sen sichern, damit Sie – Nordrhein-Westfalen macht es einem großen S auftaucht, dann differenziert der Kunde vor – Ihre Schuldenorgien weiterfeiern können. nicht, welche Sparkasse dies ist, ob dies die Lüneburger Sparkasse ist, die möglicherweise besonders gut aufge- (Zurufe von der SPD: Oh! – Bernd Scheelen stellt ist, oder ob dies die Sparkasse Köln-Bonn ist, bei [SPD]: Der Schuldenkönig von Deutschland der man vielleicht etwas vorsichtig sein sollte. heißt Wolfgang Schäuble! Das haben Sie wohl nicht mitbekommen!) Damit sind wir beim zweiten Punkt Ihres konsequen- ten Ausblendens der Krisenerfahrung. Sie möchten, dass Sie möchten weniger Sicherheit bei den Finanzsyste- Finanzbeteiligungen weiterhin beim Eigenkapital ange- men, um Ihre Schuldenorgien feiern zu können. Diesen rechnet werden. Herr Kollege Zöllmer, Sie haben die Weg gehen wir nicht mit. Wir machen keine Abstriche Sparkasse Wuppertal angesprochen, die auch an der bei der Sicherheit in den Finanzsystemen. WestLB beteiligt war. Ich habe nicht den Eindruck, dass (Beifall bei der FDP) das eine besonders werthaltige oder eine besonders risi- kofreie Beteiligung gewesen ist. Bei der BayernLB sieht Die berechtigten Anliegen, die der Antrag aufgreift, es ähnlich aus. sind bei der Bundesregierung in guten Händen. Darüber wird in Brüssel verhandelt. Mit der Ergänzung des An- Natürlich wird Basel III die Kreditvergabe hinsicht- trags gestern sind wir insgesamt auf einem guten Weg. lich der Konditionen für Unternehmen und auch für Deswegen kann Ihr Antrag keine Zustimmung finden. Kommunen verändern. Bei den Unternehmen ist es et- was problematisch, weil wir in Deutschland traditionell Herzlichen Dank. einen sehr starken Fokus auf die Kreditfinanzierung le- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gen. der CDU/CSU) An dieser Stelle sage ich Ihnen ganz klar: Wenn Sie (B) etwas für die kleinen und mittleren Unternehmen tun Vizepräsidentin Petra Pau: (D) wollen, können Sie beispielsweise dazu beitragen, dass Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat nun für die Frak- die Unternehmen in die Lage versetzt werden, Eigenka- tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. pital aufzubauen. Ihre Steuerbeschlüsse – bei der SPD plus 30 Milliarden Euro, bei den Grünen plus 26 Milliar- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Euro – passen aber sicherlich nicht dazu. Diese Be- NEN): schlüsse sind sicherlich nicht dazu geeignet, Eigenkapi- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tal bei kleinen und mittleren Unternehmen aufzubauen. Wenn man die Öffentlichkeitsarbeit der SPD in der letz- Dabei habe ich die Gebote und Verbote, mit denen Sie ten Zeit verfolgt hat, dann hat man festgestellt, dass kna- unseren gut arbeitenden deutschen Mittelstand überzie- ckige Sätze die Runde machten. Der Parteivorsitzende hen wollen, noch gar nicht eingepreist. hat gesagt: „Unsere Gegner sind die Fi- Es geht eher darum, auch kleinen und mittleren Un- nanzmärkte.“ Die Kampfansage lautet: „Demokratie ternehmen einen alternativen Zugang zum Kapitalmarkt statt Bankenmacht.“ zu verschaffen. Gute Ansätze dafür gibt es beispiels- Vor diesem Hintergrund habe ich den vorliegenden weise bei den Börsen in Düsseldorf oder Stuttgart. Diese Antrag gelesen und festgestellt, dass davon wenig übrig gilt es weiter auszubauen. bleibt. Auch für die Kommunen gibt es einen Weg, um aus (Manfred Zöllmer [SPD]: Ach! Dann haben der Finanzierungsproblematik herauszukommen. Dieser Sie ihn aber nicht ganz gelesen!) Weg heißt – das wird Sie jetzt möglicherweise ein biss- chen irritieren –: Sparen. Auch dafür gibt es in Nord- Alle Ihre Forderungen zum Thema Basel III laufen da- rhein-Westfalen gute Beispiele, etwa in Düsseldorf. Dort rauf hinaus: Die Aufsicht soll weniger tun. halten sich Einnahmen und Ausgaben die Waage. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Un- (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: sinn!) Du meinst jetzt die Kommunalpolitik, nicht Ich möchte aus Ihrer gestrigen Rede zitieren, Herr die Landespolitik!) Zöllmer: Die Düsseldorfer Bürger haben sich aber auch eine be- Wir hatten gehofft, dass Sie in Ihren Formulierun- sondere App geleistet. Diese App heißt Schwarz-Gelb. gen Konkretes von der Bundesregierung fordern. Da funktioniert das: Dort halten sich Einnahmen und Aber diese Hoffnung war vergeblich. Wir diskutie- Ausgaben die Waage. ren hier im Bundestag viele Anträge, aber selten 20520 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Dr. Gerhard Schick (A) gibt es im Forderungsteil eines Antrags eine solche monisierung sein oder nicht?“ um? Wichtige Auseinan- (C) Ansammlung von Plattitüden und Gemeinplätzen dersetzung in Brüssel! Die Regierung des Vereinigten wie hier. Königreichs hat gesagt: Wir wollen, dass eine nationale Regierung höhere Anforderungen an die Banken stellen Das haben Sie gestern anderen vorgeworfen und dann kann. Die Position der Kommission ist: Wir wollen eine gesagt, das sei alles nicht besonders klar. einheitliche Regelung für alle. Die Position von Bünd- Jetzt will ich zwei Beispiele nennen. Sie wollen, dass nis 90/Die Grünen dazu ist völlig klar: Es braucht eine Aufsichtsstandards angemessen angewandt werden. Sol- Mindestharmonisierung auf europäischer Ebene, aber es len sie etwa unangemessen angewandt werden? Das ist gibt keinen Grund, auszuschließen, dass eine nationale doch eine Selbstverständlichkeit. Aufsichtsbehörde dann, wenn sie feststellt, dass es zu wenig Kapital bei ihren Banken gibt, einen zusätzlichen (Manfred Zöllmer [SPD]: Es geht um Arbeits- Aufschlag festsetzt. Ich finde, wir müssen hier bei dieser teilung, Herr Kollege!) Debatte klären: Was ist eigentlich die Position Deutsch- – Sie sprechen von einer angemessenen Arbeitsteilung lands in dieser entscheidenden Frage? Darauf geben Sie zwischen nationaler und europäischer Aufsicht, ohne zu keine Antwort. sagen, wer eigentlich was machen soll. Mich würde bei den nachfolgenden Reden die Posi- Wenn Sie Forderungen zur Bankenregulierung vorle- tion der Regierungsfraktionen dazu interessieren; denn gen, dann sollten Sie auch konkrete Vorschläge vorle- ich höre, dass die Bundesregierung auf der Seite derer gen. Sonst geht der Vorwurf, den Sie gestern geäußert ist, die sagen: Nationale Regierungen sollen keinen Auf- haben, schlag festsetzen können. Ich fände diese Position falsch. Ich fordere Sie auf: Machen Sie den Weg frei da- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Der im Übri- für, dass wir eine Mindestharmonisierung bekommen, gen falsch war!) aber dass dann zusätzlich national Vorsorge getroffen auch an Sie. Sie haben nämlich gesagt: „Da werfen Sie werden kann! Es ist ja wichtig, konkret reagieren zu aber schwer mit Wattebäuschchen.“ Ich finde, das ist können, wenn es Schieflagen im nationalen Bankensek- verglichen mit den großen Forderungen Ihres Parteivor- tor gibt. sitzenden bei diesem Antrag der Fall. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Damit komme ich zu der abschließenden Bewertung. Manfred Zöllmer [SPD]: Gut, Sie sind kein Was passiert bei Basel III? Ich glaube, es gibt für eine (B) Germanist! Das halte ich Ihnen zugute!) Reihe von regionalen Banken tatsächlich zu hohe Anfor- (D) derungen, gerade in den Säulen 2 und 3, also bei der Ich will aber konkret sagen, um welche zentralen Frage der Standards. Das ist so. Wir müssen dafür sor- Auseinandersetzungen es in Brüssel bei der Kapitalad- gen, dass es hier Erleichterungen gibt, um nicht einem äquanzrichtlinie gerade geht. Eine zentrale Frage betrifft Konzentrationsprozess Vorschub zu leisten. die Leverage-Ratio. Deswegen habe ich gerade die Zwi- schenfrage gestellt. Es geht darum, ob ein Mindestni- Ich finde Folgendes richtig – an dieser Stelle aus- veau an Eigenkapital gelten soll, unabhängig davon, was drückliche Zustimmung; ich glaube, da haben wir einen man sich mit den Risikogewichten ausrechnet. Wir hal- Konsens –: Wenn die empirischen Daten zeigen, dass die ten diese Schuldenbremse bei Banken für eine zentrale Risikogewichte bei den Mittelstandskrediten zu hoch ge- Regelung. setzt sind, müssen diese runter. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir auch!) (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da sind wir uns ja einig! – Ralph Brinkhaus Die Bundesregierung hat sich dagegen ausgespro- [CDU/CSU]: Da sind sich alle einig!) chen, sie verbindlich zu machen, sowohl in Basel als auch in Brüssel. So hat die Bundesregierung meine Es ist völlig klar, dass wir uns hier an den wissenschaftli- Kleine Anfrage dazu beantwortet. chen Ergebnissen orientieren müssen. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir testen das Aber auf der anderen Seite müssen wir auch dafür erst!) sorgen, dass die Eigenkapitalanforderungen, die ja im- Wir fordern, dass sie auch in Deutschland verbindlich mer wieder heruntergerechnet werden, eine Mindestun- eingeführt wird. Das ist übrigens auch auf nationaler tergrenze bekommen. Ich will noch einmal die Zahl nen- Ebene möglich. Wenn man sie will, muss man eben an nen, die einfach die Verantwortung auch in Deutschland dieser Stelle auch einmal springen. verdeutlicht: Die Deutsche Bank hat eine ungewichtete Eigenkapitalquote von nur 2,3 Prozent. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Hört! Hört!) [CDU/CSU]: Ihr von den Linken dürft jetzt nicht klatschen!) Die Zahl ist vom Sachverständigenrat. Das zu tolerieren, halte ich für einen Fehler. Wir brauchen sofort eine ver- Die zweite Frage, die sich stellt, lautet: Wie gehen wir bindliche Untergrenze von 3 Prozent. Wir Grünen sagen: mit dem Streit über die Frage „Soll es eine Maximalhar- Die muss über die Jahre auf 5 Prozent aufwachsen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20521

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Aber selbstverständlich gibt es auch Kommunen, die (C) Kollege Schick, ich kann leider keine Zeitkredite ver- unverschuldet in die Situation geraten, dass ihr Haushalt geben. Sie müssen bitte zum Schluss kommen. nicht mehr ausgeglichen ist. Das kann zwei Gründe ha- ben. Erstens könnte ein großes Unternehmen, das den Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hauptanteil an den Gewerbesteuereinnahmen erbracht NEN): hat, aus einer Kommunen weggezogen oder pleitegegan- 5 Prozent Eigenkapital muss das Minimum sein, das gen sein. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise könn- wir bei Banken einfordern. ten also eine Kommune, die sehr abhängig von den Ge- werbesteuereinnahmen ist, besonders getroffen haben. Vielen Dank. Zweitens könnten Bürgerinnen oder Bürger, die eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hohe Einkommensteuer zahlen, aus einer Kommune weggezogen sein, weil sie anderswo einen Arbeitsplatz gefunden haben. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Antje Solchen Kommunen sagen Sie: Wir helfen dir. Wir ge- Tillmann das Wort. ben dir die Möglichkeit, zu deinen sowieso schon hohen Schulden weitere Schulden aufzunehmen, die du sehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) günstig finanzieren kannst. – Auch das ist doch wohl keine sinnvolle Lösung. Eine Kommune, die unverschul- Antje Tillmann (CDU/CSU): det in eine solche Situation geraten ist, braucht einen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Strukturwandel. Sie braucht Hilfen vom entsprechenden Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Kollegen Land, um ihre Struktur umzubauen. Wir haben auf Bun- der SPD, in Ihrem Antrag, der auch „Kommunalfinan- desebene reagiert, indem wir es schon seit einigen Jahren zierung sichern“ im Titel hat, gibt es drei Sätze über zulassen, dass mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse- Kommunalfinanzierung – ein bisschen enttäuschend. In rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ nicht mehr nur diesen drei Sätzen fordern Sie, dass wir sicherstellen, ostdeutsche Kommunen, sondern selbstverständlich auch dass auch hochverschuldete Kommunen unbegrenzt und strukturschwache westdeutsche Kommunen unterstützt preisgünstig an neue Kredite gelangen. Was macht das werden können. Einer betroffenen Kommune helfen für einen Sinn? Was macht das für einen Sinn für Kom- keine neuen Kredite, sondern Förderprogramme, wie wir munen, die selbstverschuldet in Schwierigkeiten geraten, sie zusammenstellen. weil sie jahrelang fahrlässig mehr Geld ausgegeben ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben, als es die Lage zuließ, weil sie auf sinkende Steuer- (B) einnahmen nicht mit Ausgabenkürzungen oder Personal- Wenn man sich dann die Verteilung der Schulden auf (D) abbau reagiert haben, weil sie gegebenenfalls bewusst die einzelnen Länder anschaut, dann wird doch ganz of- Probleme nicht beachtet und nicht dementsprechend re- fensichtlich, dass die Länder ihre Kommunen finanziell agiert haben? Mit Blick auf diese selbstverschuldeten sehr unterschiedlich ausstatten. Ich will nicht die Son- Schwierigkeiten macht Ihr Antrag gar keinen Sinn. dersituation der ostdeutschen Kommunen aufzeigen, die Gott sei Dank aus manchen Fehlern der westdeutschen Das gilt auch für die Aussage des Deutschen Städte- Kommunen gelernt haben, die von Anfang an Haushalts- tages: disziplin großgeschrieben haben, die aber natürlich auch Das Risikogewicht von Direktausleihungen der über den Solidaritätszuschlag und über den Solidarpakt Kreditinstitute an Kommunen … muss sich auch in Hilfen bekommen. Zukunft an der Bonität des Zentralstaates orientie- Aber vergleichen Sie nur einmal die Kommunen in ren können. Für die Bundesrepublik Deutschland Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg! Warum bedeutet das aufgrund des gesamtstaatlichen Haf- sind denn die Kommunen in Nordrhein-Westfalen so tungsverbundes aus Bund, Ländern und Kommu- viel höher verschuldet als in Baden-Württemberg? Man nen eine Beibehaltung der Null-Risiko-Gewich- hat doch den Verdacht, dass manche Länder ihre Haus- tung. halte sehr wohl auf Kosten der Kommunen entlasten. Für die Kommunen, die bewusst nicht reagieren, ob- Auch diesen Kommunen hilft man nicht durch zusätzli- wohl sie finanzielle Schwierigkeiten haben, heißt das: che billige Kredite, sondern man hilft ihnen, indem die Ganz egal, was sie ausgeben – irgendjemand im Staat Länder ihrer Verantwortung gerecht werden und ihre wird es schon bezahlen. Bezahlen wird es genau die Kommunen entsprechend entlasten. Kommune, die, gegebenenfalls mit hohen eigenen An- Gott sei Dank haben das die ersten Länder getan; es strengungen, versucht, auf die wirtschaftliche Situation gibt kommunale Hilfsfonds. Die ersten Länder haben zu reagieren, die ihren Bürgern und Bürgerinnen Einspa- festgestellt, dass zusätzliche Neuverschuldung keine Lö- rungen zumutet. Diese Kommune soll nach Ihrer Auffas- sung ist, sondern dass die Haushalte wieder zur Haus- sung demnächst der Nachbarkommune, die diese Diszi- haltsdisziplin und -konsolidierung zurückgeführt werden plin nicht aufbringt, aus der Patsche helfen. Das heißt, müssen. sie soll nicht nur beim eigenen Haushalt einsparen, son- dern auch noch die Fehler der Nachbarkommune mitbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zahlen. Das kann aus unserer Sicht nicht richtig sein. Aber ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kommunen sind verfassungsrechtlich Teil der Länder. 20522 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Antje Tillmann (A) Es ist nicht Bundesaufgabe, die Kommunen zu finanzie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- (C) ren, sondern das ist Aufgabe der Länder. Der Bund ist ruf der Abg. Caren Marks [SPD]) hingegen für die Sozialversicherungssysteme zuständig. – Das hätten Sie unter Rot-Grün ja mit sehr viel weniger Unsere Verantwortung für die Sozialversicherungssys- Druck haben können, Sie haben es aber nicht gemacht. teme nehmen wir genauso ernst wie unsere Verantwor- Von daher ist diese Aussage sehr fragwürdig. tung für die Schuldensituation im Bund. Wir haben aktuell eine einmalige Chance: Im Jahr 2011 Doch der Bund hat in der Vergangenheit auch Fehler stiegen die Einnahmen aus der Gewerbesteuer um fast gemacht. Wir sind dabei, diese Fehler peu à peu in dieser 14 Prozent auf einen neuen Rekordwert von 42,5 Milliar- Legislaturperiode zu beheben. Wir haben bei der Grund- den Euro. sicherung angefangen, bei der die rot-grüne Bundesre- gierung einen großen Fehler gemacht hat. Wir haben ihn (Bernd Scheelen [SPD]: Sie wollten sie ab- behoben, indem wir den Kommunen die Kosten für die schaffen!) Grundsicherung im Alter zu 100 Prozent erstatten. 2008 – vor der Krise – waren es 41 Milliarden Euro. Das (Bernd Scheelen [SPD]: Das haben wir Ihnen sind also Steuereinnahmen in einer Höhe, die es nie zu- doch abringen müssen im Vermittlungsaus- vor gegeben hat. schuss, Frau Tillmann! Das müssen Sie doch In dieser Situation erzählen Sie den Kommunen: Es wissen!) ist doch gut, wenn ihr zusätzliche Kredite zu günstigen – Dass Ihnen das nicht gefällt, Herr Scheelen, ist mir Konditionen aufnehmt. Wir helfen euch dabei. – Das ist klar. Aber Sie haben ja gleich noch fünf Minuten, um für uns der falsche Weg. Wir glauben, durch eine Kom- das richtigzustellen. bination aus Strukturmitteln, aus Hilfen aus den Ländern und auch aus Haushaltskonsolidierungen können wir die Es ist eine Tatsache, dass die Kommunen bis 2020 Kommunen auf dem richtigen Weg begleiten. Bei diesen von dieser Bundesregierung um 50 Milliarden Euro ent- Hilfsmaßnahmen stehen wir an der Seite der Kommu- lastet werden. nen. Das gilt aber nicht für den Fall, dass trotz über- (Beifall bei der CDU/CSU) schuldeter Haushalte zusätzliche Kredite aufgenommen werden. Seien Sie sicher, das hilft den Kommunen mehr, als Ich danke Ihnen. wenn ihnen Kredite zu günstigen Konditionen zur Verfü- gung gestellt würden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (B) ( [SPD]: Und wer hat das er- (D) rungen bei den Verhandlungen? Sie nicht!) Vizepräsidentin Petra Pau: – Es war diese Regierung. Die Finanzierung der Kom- Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernd munen hat unser Finanzminister Schäuble als Erster ins Scheelen das Wort. Gespräch gebracht. Ich habe Ihnen die Protokolle schon x-mal zugeschickt; ich tue das gerne noch einmal. (Beifall bei der SPD)

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber Bernd Scheelen (SPD): passiert ist doch nichts!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Ich weiß sehr sicher, dass die Verhandlungen zum 1. Ja- Herren! Liebe Kollegin Tillmann, die schwarz-gelbe Ko- nuar 2013 abgeschlossen sein werden und dass diese alition kann froh sein, dass es den Vermittlungsaus- Entlastungen kommen. schuss gibt, in dem die SPD und die Grünen eine ge- wisse Durchschlagskraft haben, sonst hätten Sie diese Aber ich möchte noch andere Punkte aufgreifen, die positiven Dinge für die Kommunen nicht auf Ihrer Ha- Sie aufregen werden. Von daher können Sie Ihre Emo- benseite verbuchen können. tionen noch ein bisschen zurückhalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Bernd Scheelen [SPD]: Hoffentlich! Da kom- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) men einem ja Tränen in die Augen!) Gestern war ich in meiner Heimatstadt Krefeld. Dort Wir kommen zum Thema Kinderbetreuung. Auch fand eine Konferenz zur Aufstellung der Kandidatinnen hier hat der Bund seine Aufgabe erfüllt. Wir haben und Kandidaten für die Landtagswahl am 13. Mai statt. 4 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt. Auch hierbei sieht man wieder, (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: welche Länder ihren Kommunen Kofinanzierungmittel Wechseln Sie?) zur Verfügung stellen und welche nicht. Es ging dort um die Wahlkreise Krefeld I und Krefeld II. Als ich sagte, dass ich heute im Bundestag eine Rede Bei den Familienhebammen, beim Bildungspaket, bei zum Thema Basel III halten werde, wurde ich gefragt, der Sprachförderung, bei Mehrgenerationenhäusern ha- welcher Wahlkreis das sei. ben wir unseren Anteil gezahlt. Der Bund lässt die Kom- munen nicht im Stich. Wir geben Hilfen und nicht die (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordne- Möglichkeit, neue Kredite aufzunehmen. ten der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20523

Bernd Scheelen (A) Dabei wurde mir deutlich, dass wir häufig über Dinge wird, verhindert, dass Banken überhaupt noch Kommu- (C) reden, die der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln nalfinanzierung machen. sind. Deswegen will ich noch einmal kurz erklären, was Basel III ist. Wie kommt das? In diesem Zusammenhang will ich ei- nen Punkt besonders hervorheben. Das ist die Verschul- (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: dungsobergrenze. Sie wird als Leverage-Ratio bezeich- Das war aber ein SPD-Parteitag!) net. Verschuldungsobergrenze heißt: Die Banken haben aufgrund ihres Eigenkapitals und Geschäftsmodells ein – Möglicherweise. bestimmtes Volumen, das sie als Kredit ausgeben können. Basel III ist ein Regelwerk, das der Baseler Aus- Kommunalkredite zeichnen sich dadurch aus, dass sie schuss für Bankenaufsicht geschaffen hat, um Leitplan- hundertprozentig sicher sind – Frau Kollegin Tillmann ken zu entwickeln, innerhalb derer sich Banken in ihrem und Herr Sänger, Sie haben diesen Punkt angesprochen –, Geschäft bewegen können, und um auf dem Bankensek- weil hinter den Kommunen der Haftungsverbund von tor Sicherheit herzustellen. Basel III heißt aber auch, Ländern und Bund steht. Wenn Sie hier die Bonität der dass es zuvor Basel I und Basel II gegeben haben muss. Bundesrepublik Deutschland anzweifeln wollen, dann Basel I und II haben die große Finanzkrise mit dem Zu- sollten Sie das zu Protokoll geben. Ich glaube, das wäre sammenbruch von Lehman Brothers im Jahre 2008 nicht eine falsche Aussage. verhindern können. Deswegen ist es logisch, dass es eine (Beifall bei der SPD) Weiterentwicklung des Regelwerks geben muss. Diese liegt uns jetzt vor. Darüber debattieren wir heute. Es geht, wie gesagt, darum, dass Kommunalkredite hundertprozentig sicher sind. Kommunen können nach Das Regelwerk Basel III ist sinnvoll, weil es system- der geltenden Gesetzeslage nicht pleitegehen. Banken relevante große Banken regulieren soll; denn dort ent- vergeben Kommunalkredite und erhalten dafür relativ stand die Krise. Das ist der Ansatz. Wir versuchen, in wenig Zins; denn für ein sicheres Geschäft bekommt unserem Antrag deutlich zu machen, dass das generelle man nur eine kleine Marge. Regelwerk, das für systemrelevante, weltweit agierende Banken gedacht ist, die besondere Handelsgeschäfte be- Wenn nun einer Bank im Hinblick auf ihre Geschäfte treiben, nicht für alle Banken gleichermaßen angewen- Grenzen vorgeschrieben werden, dann kann, um genü- det werden kann. Das würde nämlich einer Rasenmäher- gend Geld zu verdienen, die Neigung dieser Bank groß methode entsprechen, durch die die Geschäfte kleiner sein, zu sagen: Wir vergeben keine Kommunalkredite und mittlerer Institute, die nur regional tätig sind, sehr mehr; wir vergeben lieber Mittelstandskredite oder küm- begrenzt würden bzw. durch die bestimmte Kreditge- mern uns um andere, risikoreichere Geschäfte mit einer (B) schäfte sogar verhindert würden. größeren Marge, die also mehr Gewinn bringen. Auch (D) Das ist unser Thema. Deswegen haben wir die Kom- Institute wie Banken, Sparkassen, Genossenschaftsban- munen in unserem Antrag – „Kommunalfinanzierung si- ken und Förderbanken leben natürlich davon, dass sie ei- chern“ – erwähnt. Frau Kollegin Tillmann, es geht nicht nen Profit machen. Das ist ihre Aufgabe. Die Gefahr be- darum, Kommunen zu ermuntern, sich auf Teufel komm steht, dass sie das margenschwache Kommunalgeschäft raus zu verschulden. Das, was Sie hier vorgetragen ha- abstoßen und sich risikoreicheren Geschäften widmen. ben, ist Wahlkampfrabulistik. Genau das wollten wir mit Basel III eigentlich verhin- dern. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Wir haben doch keinen Wahlkampf!) Deswegen sagen wir: Das Regelwerk muss differen- ziert angewendet werden, um Kreditklemmen zu verhin- Es geht darum, zu ermöglichen, dass die Kommunen in dern. Ebenso muss verhindert werden, dass sich Kom- Zukunft noch Kredite aufnehmen können. munen in Zukunft nicht mehr finanzieren können; denn Kommunen tragen 60 Prozent der öffentlichen Investi- (Beifall bei der SPD) tionen. Sie haben die Verantwortung für Arbeitsplätze Sowohl der Bund, die Länder, die Kommunen wie und Beschäftigungssicherung im Mittelstand und im ört- auch die reale Wirtschaft kommen nicht ohne Kredite lichen Handwerk. aus. Es ist sinnvoll, dass man über Kredite Investitionen Wenn Sie das alles eliminieren wollen, dann müssen finanziert. Das macht jeder Privatmann, der sich ein Sie gegen unseren Antrag stimmen. Ich gehe aber davon Haus bauen oder eine Wohnung kaufen will. Er geht zur aus, dass auch Sie das örtliche Handwerk und den Mit- Bank und bittet um einen Kredit, den er dann über telstand in den Kommunen unterstützen wollen. Deswe- 20 oder 30 Jahre abbezahlt. So ähnlich agieren auch die gen müssen Sie unserem Antrag zustimmen. Ich rechne staatlichen Ebenen, zu denen auch die Kommunen gehö- mit einer breiten Mehrheit. ren. Vielen Dank. Uns geht es darum, dass dies in Zukunft weiterhin möglich ist. Wenn Sie mit den Vertretern der Sparkassen (Beifall bei der SPD) reden – reden Sie doch einmal mit Herrn Haasis; der steht Ihnen politisch doch näher als uns –, werden Sie feststellen, dass sie sehr große Sorgen haben, dass dieses Vizepräsidentin Petra Pau: Regelwerk, wenn es nicht differenziert angewendet Ich schließe die Aussprache. 20524 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf In Anbetracht der Kürze der mir verbleibenden Zeit (C) Drucksache 17/9167 an die in der Tagesordnung aufge- kann ich nur einige wenige Punkte aufgreifen. Es geht führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- zunächst um die Flexibilisierung der Arbeitszeit; darüber verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung haben wir schon gesprochen. Die Arbeitszeit muss flexi- so beschlossen. bel gestaltet sein. Das ist gerade für Frauen wichtig. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal an die Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Quote erinnern und daran, wie wichtig Frauen für die Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn Unternehmen sind. Ebenfalls erforderlich ist ein gesetz- Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, licher Mindestlohn, um die Situation von Alleinerzie- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE henden deutlich zu verbessern. LINKE (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Alleinerziehung von Kindern würdigen – neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Alleinerziehende gebührend unterstützen GRÜNEN) – Drucksache 17/8793 – Bei einem vorübergehenden Ausstieg aus dem Beruf muss weiterhin ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung Überweisungsvorschlag: bestehen, ebenso nach dem Wiedereinstieg in den Beruf. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Dieser Anspruch muss also während der Auszeit sowie nach der Rückkehr Bestand haben. Die soziale Infra- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die struktur, auf die Alleinerziehende besonders angewiesen Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre sind, ist auszubauen. Notwendig ist insbesondere eine keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. umfassende bedarfs- und altersgerechte Ganztagskinder- Ich bitte Sie, die notwendigen Umgruppierungen im betreuung. Plenarsaal zügig vorzunehmen, damit wir jetzt dem ers- Die Ausbildung und Qualifikation von Erzieherinnen, ten Redner folgen können. Erziehern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege sind sicherzustellen und dem gestiegenen Bedarf anzu- Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. passen. Vor Jahren habe ich Frau von der Leyen schon darauf hingewiesen, dass es, berechnet im Hinblick auf (Beifall bei der LINKEN) das Jahr 2013, einen Fehlbedarf von 14 000 Erzieherin- nen und Erziehern gibt. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): (Markus Grübel [CDU/CSU]: Guck mal, die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leute gehen!) (B) Bei dieser Debatte geht es um die Situation Alleinerzie- (D) hender; man könnte glatt von der „Auflage 3“ reden. Das – Ja, Markus, die Leute gehen, aber das hat, glaube ich, Thema dürfte eigentlich allen bekannt sein; für die, die andere Gründe. – Inzwischen wurde festgestellt, dass an partieller Demenz leiden, möchte ich kurz daran erin- nicht nur 14 000, sondern 20 000 Erzieherinnen und Er- nern: zieher fehlen. Es gibt aber keine entsprechend hohe Zahl von Auszubildenden. Das heißt, die Regierung weiß, (Zuruf von der FDP: Was für diskriminierende dass es zu einem Mangel kommt, aber sie macht nichts – Äußerungen!) das Übliche halt. Wir haben in der 16. Legislaturperiode darüber gespro- Die Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe müs- chen, wir haben auch vor anderthalb Jahren über die Si- sen rückgängig gemacht werden. tuation Alleinerziehender gesprochen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Frau Ministerin ist Alleinerziehende sind häufig massiv von Arbeitslo- auch nicht da!) sigkeit bedroht, sie befinden sich in Teilzeitarbeit oder sind im Niedriglohnsektor beschäftigt. Ich will aus dem – Frau Ministerin ist auch nicht da; das stimmt. Sie inte- Koalitionsvertrag zitieren; dort heißt es: ressiert sich anscheinend nicht so richtig für dieses Thema. – Wir wollen die Rahmenbedingungen für Allein- erziehende durch ein Maßnahmenpaket verbessern. (Sibylle Laurischk [FDP]: Die Regierung ist vertreten!) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach nee! Und was hat die Regierung gemacht?) In diesem Bereich geht es darum, auf kommunaler Ebene und auf Kreisebene letztlich die alleinerziehenden Was ist in der Zwischenzeit passiert? Nichts. Seit dem Mütter und – wir wollen sie nicht vergessen – die allein- letzten Mittwoch wissen wir ja, wie die Familienministe- erziehenden Väter zu unterstützen. rin mit solchen Themen umgeht: Sie weiß um die Situa- tion, sie fordert Sachverständigengutachten an usw., und In diesem Zusammenhang ist natürlich zu sagen, dass dann ruft sie hilfeschreiend nach Ideen und Initiativen, das sogenannte Betreuungsgeld zurückzunehmen ist. Es weil ihr selbst nichts einfällt. Gut. Wir legen nun ein ist familienpolitisch absoluter Quatsch und Nonsens; das Bündel von Maßnahmen und Initiativen vor. Ich hoffe, hat die Anhörung gezeigt. Insofern hat die Regierung dass die Ministerin zumindest das eine oder andere da- gestern wieder eine Chance vertan, als es um das Betreu- von aufgreift. ungsgeld ging. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20525

Jörn Wunderlich (A) Ich zitiere einmal den VAMV, der zum Kindertages- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wollte (C) stättenausbau sagt: Davon würden besonders Allein- ich ja sagen, aber das durfte ich dann nicht erziehende und Familienernährerinnen profitieren, denn mehr!) Alleinerziehende brauchen Kitaplätze und kein Betreu- ungsgeld. Die Kollegin Nadine Schön hat für die Unionsfrak- tion das Wort. (Beifall bei der LINKEN und der SPD – Caren (Beifall bei der CDU/CSU) Marks [SPD]: Da ist wieder das böse Wort!)

Bei der Gesundheitsförderung und den Maßnahmen Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): der Prävention, bei den Mutter-Kind- und Vater-Kind- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kuren – man muss sich nur die Ablehnungspraxis der Kollegen! Krankenkassen anschauen – besteht dringender Hand- lungsbedarf. All das steht in unserem Antrag. Wenn ich als Mutter alleine wäre und ich hätte we- der Partner noch Großeltern, noch soziales Umfeld Die finanzielle Absicherung von Alleinerziehenden oder Freunde noch irgendwas, dann würde ich viel- und Kindern ist zu gewährleisten. Der Unterhaltsvor- leicht wirklich sagen, bin ich „alleinerziehend“. schuss ist auszubauen. Es dürfen nicht, wie jetzt von der Regierung geplant, Streichungen erfolgen. Den Allein- Ich bin eine Mutter mit Kind, aber ich bin nicht al- erziehenden darf beim Unterhaltsvorschuss kein Monat leinerziehend. verloren gehen, wodurch sie wieder finanziell schlech- Das sind Aussagen aus der Studie Lebenswelten und tergestellt werden würden, was offensichtlich der Sinn -wirklichkeiten von Alleinerziehenden des Sinus-Insti- der Maßnahme ist. Vielmehr ist der Unterhaltsvorschuss tuts. auszubauen und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu gewähren. Die maximale Bezugsdauer von derzeit Diese Aussagen zeigen: Die meisten Alleinerziehen- 72 Monaten ist zu entfristen. Der Entlastungsbetrag für den mögen das Wort „alleinerziehend“ nicht, weil es Alleinerziehende im Steuerrecht ist auf 1 308 Euro anzu- nach Einsamkeit und Isolation klingt. Die Studie zeigt, heben. Die Kürzungen beim Elterngeld sind zurückzu- dass das Selbstbild alleinerziehender Mütter und Väter nehmen. in Deutschland – in der Studie dreht es sich vor allen Dingen um Mütter – wesentlich positiver ist als das Wenn mir jetzt einer von der Koalition kommt und Fremdbild. Das war für mich eine sehr interessante Er- sagt: „Da sind wir ja dran, und alles ist auf einem guten kenntnis. Weg“, dann muss ich sagen: Diesen „guten Weg“ kenne (B) ich jetzt seit sechseinhalb Jahren. Auf dem „guten Weg“ Laut der Studie überwiegt bei allen Schwierigkeiten, (D) ist so dermaßen viel abgeladen worden, dass ich nicht die Alleinerziehende anerkanntermaßen haben und die weiß, wo er zu finden ist; wahrscheinlich ist er im Be- wir auch in den Blick nehmen müssen, bei vielen das reich der Mythologie anzusiedeln. Es gibt Vorhaben der glückliche und stolze Gefühl, Mutter zu sein. Viele be- Regierung, die so alt sind, dass sie in Kürze eingeschult werten ihr Leben weitaus weniger kompliziert, als ihnen werden. das durch die Öffentlichkeit suggeriert wird. Sie leiden unter den Vorurteilen, dem negativen Fremdbild und der (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) Opferrolle, die ihnen zugeschrieben wird. Diese Studie verschafft wirklich ein sehr klares Bild. Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn man sich Medienberichte anschaut und auch Kollege Wunderlich, achten Sie bitte auf die Zeit. schaut, wie wir immer über das Thema diskutieren – ich glaube, da müssen wir uns an die eigene Nase fassen –, Jörn Wunderlich (DIE LINKE): dann erkennt man, dass das Bild wirklich von Begriffen wie „Hilfsbedürftigkeit“, „Chancenlosigkeit“, „finan- Ja, es geht doch noch. ziell schwierige Situation“ und „Einsamkeit“ geprägt ist. (Heiterkeit) Das ist auch der Tenor Ihres Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei. Ich finde, das müssen Ich bin sofort fertig. – Langsam habe ich den Eindruck: wir alle gemeinsam einmal überdenken. Bei dieser Regierung ist der Weg das Ziel. Ich denke, da besteht dringender Handlungsbedarf, damit den Allein- Das Bild, das Sie in Ihrem Antrag von den Allein- erziehenden endlich geholfen wird. erziehenden zeichnen, ist sehr einfach. Deshalb sind auch Ihre Antworten auf die wirklich komplexe Lebens- Danke für die Nachsicht. Ich wünsche frohe Ostern. situation Alleinerziehender ziemlich einfach. Sie sagen schlicht: Es muss mehr Geld her, und die Wirtschaft (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- muss umgekrempelt werden. neten der SPD) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Struktu- Vizepräsidentin Petra Pau: ren!) Ich weise darauf hin, dass es noch die Möglichkeit Ich habe mich beim Lesen Ihres Antrags wirklich gibt, diesen Antrag in aller Ausführlichkeit in den Aus- gefragt: Was bringt nun den Alleinerziehenden eine schüssen zu beraten. „kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnaus- 20526 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Nadine Schön (St. Wendel) (A) gleich“? Eben haben Sie die Quote angesprochen. So- diejenige werden, die die Verantwortung für das Kind (C) sehr ich dafür bin: Aber was bringt die Frauenquote den übernimmt. Deshalb gibt es den Unterhaltsvorschuss. Alleinerziehenden? Wie viele Unternehmen werden Wie Sie wissen, haben wir die Höhe in dieser Legislatur- dann noch Alleinerziehende einstellen, wenn Sie den periode angehoben. Wir sind mit der Entwicklung des Kündigungsschutz für Alleinerziehende bis zum 7. Le- Unterhaltsvorschusses ganz sicher noch nicht am Ende. bensjahr des Kindes ausdehnen? Ihre Vorschläge gehen Diese Art von Hilfe kommt wirklich an. in die falsche Richtung. Sie werden den Bedürfnissen Schließlich brauchen Alleinerziehende unbürokrati- und auch der komplexen Situation von Alleinerziehen- sche und schnelle Hilfe. In meinem Wahlkreis laufen den in keiner Weise gerecht. zwei Projekte mit Alleinerziehenden als Zielgruppe. Da (Beifall bei der CDU/CSU) wurde genau geschaut: Was brauchen Alleinerziehende vor Ort wirklich? Wie Sie wissen, komme ich aus dem Natürlich legen Alleinerziehende wie jeder andere ländlichen Raum, wo die Situation besonders schwierig auch Wert auf soziale Absicherung und finanzielle Si- ist. Als Ergebnis der Projekte hat sich herausgestellt: cherheit. Dass sie es besonders schwer haben – das zei- Wenn engagierte Menschen als Ansprechpartner vor Ort gen uns die Zahlen –, kritisieren Sie in Ihrem Antrag zu mit den Alleinerziehenden zusammen ein Netz spinnen, Recht. Was Sie aber verkennen, ist, dass auch Allein- wenn sie die Kinderbetreuung sicherstellen, wenn sie im erziehende die soziale Sicherheit am liebsten nicht vom Haushalt unterstützend tätig sind und sich dafür ein- Staat bekommen, sondern sich selbst erarbeiten wollen. setzen, dass die Arbeitszeiten mit dem Arbeitgeber ab- Dafür spricht, dass über 57 Prozent der Alleinerziehen- gestimmt werden, dann können diese Helfer dazu beitra- den tatsächlich einen Job haben. Zwei Drittel von denen, gen, dass die Alleinerziehenden genau das bekommen, die arbeitslos sind, wollen arbeiten. Selbstständigkeit, was sie brauchen. Dann können sie dazu beitragen, dass das eigene Leben managen, das wollen die meisten Al- Alleinerziehende ihr Leben selbst managen. Das ist leinerziehenden. Das ist ihnen wichtiger als die Transfer- wirklich konkrete Unterstützung, die ankommt. Von die- leistungen, die Sie fordern. Genau in diesem Wunsch sen Projekten können wir alle lernen. sollten wir sie unterstützen. Mit der chronischen Verteilungsmaschinerie, die Sie (Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich vorschlagen, hilft man bestimmt kurzfristig, aber nicht [DIE LINKE]: Genau! Kinderbetreuung! Kin- nachhaltig. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Wir dertagesstätten!) wollen Politik machen, die wirklich hilft. Dafür braucht es natürlich an erster Stelle einen Arbeits- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, dann platz. Hier gilt: Sozial ist, was Arbeit schafft. fangt mal an!) (B) (D) (Caren Marks [SPD]: Jede Arbeit?) Deshalb wollen wir genau so vorgehen, wie ich es eben Deshalb trägt die gute wirtschaftliche Entwicklung dazu geschildert habe. Mit Ihrem Antrag helfen wir vielleicht bei, die Chancen von Alleinerziehenden zu verbessern. kurzfristig, aber langfristig helfen wir den Alleinerzie- henden nicht. Will ich als Alleinerziehende arbeiten, dann brauche ich in dieser Zeit natürlich eine gute Kinderbetreuung. Vielen Dank. Deshalb ist der vom Bund forcierte Ausbau der Kinder- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn tagesstätten genau das Richtige für Alleinerziehende. Wunderlich [DIE LINKE]: Da ist er wieder, Nachmittagsbetreuung in den Schulen und vor allem der gute Weg!) verlässliche Schulzeiten sind hier unverzichtbare Ele- mente; denn als Mutter oder Vater kann ich nur dann ar- beiten, wenn ich mein Kind in guten Händen weiß. Be- Vizepräsidentin Petra Pau: treuung wiederum kann nur funktionieren, wenn die Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Caren Arbeitszeiten mit den Öffnungszeiten der Betreuungs- Marks das Wort. einrichtungen harmonisieren. (Beifall bei der SPD) Diese Zahnräder müssen perfekt ineinandergreifen. Das macht die Sache so schwer. Deshalb beschäftigt sich Caren Marks (SPD): die vom Bundesfamilienministerium forcierte Initiative Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen „Familienbewusste Arbeitszeiten“ mit genau diesem und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Thema. Sensibilität und Verständnis des Arbeitgebers letzten Tagesordnungspunkt in dieser Sitzungswoche vor sind wichtige Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Ostern debattieren wir ein wichtiges Thema: die Unter- Kindererziehung und Beruf und für Alleinerziehende stützung Alleinerziehender in unserem Land. Viele der ganz besonders wichtig. im Antrag der Linken formulierten Forderungen sind richtig und gleichermaßen wichtig. Über Details werden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir sicherlich noch in der Ausschussberatung sprechen. Neben dem Arbeitsplatz und neben der Betreuung ist (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dafür sind natürlich die finanzielle Absicherung ein wichtiges die da!) Thema, gerade dann, wenn derjenige, der Unterhalt zah- len muss, seinen Pflichten nicht nachkommt. Fehlende Fakt ist: Alleinerziehende, aber auch ihre Kinder leis- Unterhaltszahlungen können ein massives Problem für ten in ihrem Alltag Enormes und müssen von der Politik, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20527

Caren Marks (A) von uns, insgesamt noch mehr Unterstützung erfahren, Hauptgrund für Teilzeittätigkeit sind die Betreuung von (C) und zwar nicht nur in Form von politischen Erklärungen, Kindern und die Pflege von Angehörigen sowie unzurei- Frau Schön, sondern in Form von Taten. chende Betreuungs- und Unterstützungsangebote. Auch deshalb brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Wieder- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem aufstockung der Arbeitszeit und weder unverbindliche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nadine Schön Erklärungen von Arbeitgebern noch Showveranstaltun- [St. Wendel] [CDU/CSU]: Machen wir doch!) gen für die Presse. Der Anteil Alleinerziehender hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt. Die sogenannten Ein-Elternteil- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie Familien – in Deutschland sind es circa 1,6 Millionen – der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE machen ungefähr ein Fünftel aller Familien in Deutsch- GRÜNEN]) land aus. Es sind nach wie vor überwiegend alleinerzie- Teilzeitarbeit und die Beschäftigung zu Niedriglöh- hende Frauen, circa 90 Prozent. All das ist bekannt. nen stehen einer eigenständigen Existenzsicherung Al- Aufgabe der Politik ist es, gesellschaftliche Rahmenbe- leinerziehender im Weg. Deshalb ist die Einführung ei- dingungen zu schaffen, die die Lebenssituation Allein- nes gesetzlichen Mindestlohns – wir können es nicht oft erziehender und ihrer Kinder wirklich verbessert. Politik genug sagen – ein notwendiger und wirklich längst über- für Alleinerziehende ist und bleibt eine Querschnittsauf- fälliger Schritt. gabe. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber auch hier bleibt festzuhalten: Die Bundesregierung Dabei muss es insbesondere um die Vereinbarkeit von interessiert sich nicht für die Situation der Frauen, und Familie und Beruf, um die Betreuungssituation, die Bil- schon gar nicht für die Situation Alleinerziehender. dung, die Erwerbssituation, aber um auch um eine ge- zielte finanzielle Unterstützung gehen. Alles in allem ( [CDU/CSU]: Das ist einfach geht es um nichts anderes als um eine moderne und so- Quatsch! – Sibylle Laurischk [FDP]: Das zial gerechte Familienpolitik, die diesen Namen auch stimmt doch nicht, Frau Marks!) verdient; denn Familie ist für uns überall dort, wo Men- schen füreinander Verantwortung übernehmen. – Ich scheine es getroffen zu haben, sonst würden Sie nicht so aufjaulen. Beim Thema Alleinerziehende geht es aber auch um Gleichstellung und Chancengleichheit vor allem von (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – (B) Frauen, etwa auf dem Arbeitsmarkt; es geht aber auch Sibylle Laurischk [FDP]: Es ist nur die Frage, (D) um die Chancengleichheit von Kindern. Im Detail geht wer hier aufjault!) es natürlich – Herr Wunderlich sprach das an – um Re- – Der Beweis ist noch einmal erbracht; das ist schön. gelungen im Zusammenhang mit dem Elterngeld, dem Sorgerecht, dem Unterhalt, dem Unterhaltsvorschuss Alleinerziehende benötigen vor allem verlässliche und vieles andere Wichtige mehr. Es ist theoretisch ein Angebote an Kinderbetreuungsplätzen. Deswegen sind wirklich weites Betätigungsfeld für die Bundesregie- Kitas und Ganztagsschulen, aber auch die Erfüllung des rung. Nur leider kommt auch hier nichts, aber auch gar Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz für unter Drei- nichts Substanzielles. jährige ab 2013 so besonders wichtig. Der Ausbau muss Alleinerziehende brauchen einen gelungenen Mix aus hier schneller vorangehen. Wir fordern von Familienmi- all dem. Vor allem brauchen sie gute Arbeit. Nach wie nisterin Schröder, die hier in der Pflicht ist, zu Recht, vor haben sie nur eingeschränkte Möglichkeiten, einer endlich einen Krippengipfel einzuberufen, um mit den existenzsichernden Arbeit nachzugehen und eine eigen- Ländern und Kommunen schneller voranzukommen. ständige Alterssicherung aufzubauen. Der Gleichstel- Die Eltern und Kinder in unserem Land brauchen das. lungsbericht der Bundesregierung hat sehr deutlich dar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gelegt, dass eine eigenständige Existenzsicherung und DIE GRÜNEN – Ewa Klamt [CDU/CSU]: finanzielle Unabhängigkeit nur mit einer Vollzeitbe- Richtig, weil die Länder nichts bringen!) schäftigung bzw. vollzeitnahen Beschäftigung möglich sind. Alleinerziehende sind mit 37 Prozent mehr als an- Eine Verbesserung der Betreuungssituation bedingt derthalbmal so häufig in Vollzeit erwerbstätig als Mütter auch mehr Ganztagsangebote. Eine zuverlässige ganztä- in sogenannten Paarhaushalten. Die Möglichkeit, einer gige Betreuung geht mit mehr Chancen für eine Er- solchen Beschäftigung nachzugehen, hängt aber ent- werbstätigkeit gerade Alleinerziehender einher. Daher scheidend vom Betreuungsangebot in unserem Land ab. muss der Ausbau von Ganztagsangeboten und Ganztags- Ist die Betreuung der Kinder unter sechs Jahren sicher- schulen vorangehen. gestellt, ist immerhin über die Hälfte der alleinerziehen- Gerade erst gestern hat die Bundesfamilienministerin den Mütter erwerbstätig. eine neue Studie präsentiert. Die Studie zeigt, dass ein Allerdings liegt die Teilzeitquote von Frauen insge- flächendeckendes Angebot an Ganztagsbetreuungsplät- samt in Deutschland deutlich über dem EU-Durch- zen 110 000 Alleinerziehende in Arbeit bringen könnte. schnitt. Fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen ar- Damit wären 175 000 Kinder finanziell besser abgesi- beitet – überwiegend nicht gewünscht – in Teilzeit. chert. Zudem haben Kinder von Alleinerziehenden 20528 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Caren Marks (A) durch gute Betreuungsangebote – auch das sagt diese lich etwas zum Thema Alleinerziehende sagen sollten. (C) Studie – bessere Bildungschancen. Man kann dieses Thema sicherlich behandeln, indem man über viele Einzelleistungen spricht. Wir sollten uns Die Studie zeigt ebenfalls ganz klar, dass sich die aber bewusst machen, dass sich die Gesellschaft in den Ganztagsbetreuung mittelfristig für die öffentliche Hand letzten Jahren tatsächlich gewandelt hat. Diesem Wandel auch finanziell auszahlt: durch Erwerbstätigkeit, weni- widmen wir uns als die die Bundesregierung tragenden ger Sozialleistungen, weniger Nachqualifizierung und Koalitionsfraktionen ernsthaft. vieles mehr. Das alles sind viele richtige und wichtige Erkennt- Im Raum steht zum einen der Begriff des Alleinerzie- nisse. Aber es steht zu befürchten – wie bei vielen ande- henden, der alleinerziehenden Mutter; Frau Schön, Sie ren Studien, die aus dem Familienministerium veröffent- haben das Stichwort genannt. Vor Jahren war das noch licht werden –, dass es bei der Präsentation bleibt. ein Stigma. Das war ein Tabu. Es wurde die Frage ge- Fakten und wichtige Erkenntnisse, wie zum Beispiel im stellt: Ist da etwas schiefgelaufen? Mittlerweile ist das Gleichstellungsbericht, führen nicht zu einer politischen Realität. Ungefähr ein Viertel unserer Familien sind Fa- Umsetzung durch die Bundesregierung. Frau Schröder milien mit einem Elternteil. Das heißt, es sind Allein- ist und bleibt seit nunmehr gut zwei Jahren handlungsun- erziehende. Es gibt immer mehr Alleinerziehende, übri- willig. Ich finde, es ist Zeit zum Aufwachen. gens auch immer mehr alleinerziehende Männer. Männer nehmen zunehmend ihre Verantwortung wahr (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem und stellen sich der Aufgabe, die sich aufgrund von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Trennung oder anderen persönlichen Entwicklungen ein- Der Ausbau der Kinderbetreuung ist und bleibt die fach ergibt. Dieser Realität müssen wir uns politisch wichtigste Voraussetzung dafür, erwerbstätig sein zu stellen. können und damit unabhängig von staatlichen Transfer- Ich glaube, wir stellen uns dieser Realität. Im Fami- leistungen zu leben. Dies ist auch langfristig die wirklich lienausschuss sind wir einhellig der Auffassung, dass beste Armutsvermeidungsstrategie; denn Alleinerzie- wir den Bereich der Kinderbetreuung ganz entschieden hende haben nach wie vor ein hohes Armutsrisiko. Das ausbauen müssen. Es ist gar keine Frage mehr, ob wir ist nicht zu akzeptieren. Auch in diesem Zusammenhang das wollen. Die Frage ist eher, ob wir das in angemesse- bleibt unerklärbar, weshalb diese Bundesregierung das ner Zeit schaffen. Der Anspruch auf Kinderbetreuung ist unsinnige Betreuungsgeld einführen will. für uns eine Selbstverständlichkeit. Er wird überhaupt Natürlich haben auch die Transferleistungen für die nicht mehr infrage gestellt. Situation von Alleinerziehenden eine Bedeutung. Mehr (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (B) als jede dritte Familie mit nur einem Elternteil bezieht (D) Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Für Ich möchte hier durchaus auch anmerken, dass das knapp ein Drittel der Alleinerziehenden stellt diese Leis- Betreuungsgeld, das in diesem Zusammenhang immer tung eine Überbrückungsphase dar. Die Vermittlung in wieder genannt wird, nach meinem Dafürhalten zu existenzsichernde Arbeit ist eine sehr wichtige Aufgabe. Recht kritisiert wird. Der Wunsch, daheimbleiben zu Alleinerziehende brauchen auch Teilzeitqualifizie- können und sich seinem Kind widmen zu können, ist ja rungsmöglichkeiten; denn diese können gerade für ar- verständlich. Ob wir dafür unbedingt Geld ausgeben beitslose Alleinerziehende für die spätere Berufstätigkeit müssen, bezweifle ich. eine wichtige und gute Grundlage darstellen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Ich komme zum Schluss. Zu der Situation von Allein- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- erziehenden gäbe es noch viel zu sagen. Fest steht: Im geordneten der FDP) Gegensatz zu Schwarz-Gelb wollen wir, also alle Oppo- Es ist durchaus wünschenswert, sich seinem Kind wid- sitionsparteien, Alleinerziehende in unserer Gesell- men zu können. Ob wir uns das leisten können, ist eine schaft nicht im Regen stehen lassen. Sie brauchen die ganz andere Frage. In vielen Familien ist nicht nur das Unterstützung und Wertschätzung der Politik. Darum Einkommen eines Elternteils, sondern beider Elternteile muss gehandelt werden. dringend notwendig, um überhaupt die Existenz der Fa- Vielen Dank. milie zu sichern. Das zeigt, dass der Alleinerziehende bzw. die alleinerziehende Mutter mit ihrem Einkommen, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem so sie eines hat, oftmals am Rand des Existenzmini- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mums steht.

Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn die Alleinerziehende dann auch noch keinen Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Sibylle Unterhalt bekommt, dann ist die Situation der Familie Laurischk das Wort. ganz schwierig. In der Debatte wird dieses Thema mei- ner Ansicht nach völlig unterschätzt. Viele alleinerzie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hende Elternteile bekommen vom anderen Elternteil keinen Unterhalt für ihre Kinder. Das ist kein Kavaliers- Sibylle Laurischk (FDP): delikt – dies ist übrigens ein Straftatbestand im Strafgesetz- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese buch; dessen sollten wir uns einmal bewusst werden –, son- Debatte zeigt mir, dass wir noch einmal ganz grundsätz- dern dabei handelt es sich um eine völlige Verkennung Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20529

Sibylle Laurischk (A) der Situation der Alleinerziehenden. Hier müssen wir Das Wort hat nun die Kollegin Katja Dörner für die (C) Hilfestellung geben. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich glaube, dass das Ziel, eine Erhöhung des Unter- haltsvorschusses zu erreichen, richtig ist. Das ist finan- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ziell zweifellos schwierig; daraus mache ich gar keinen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Hehl. Der Unterhaltsvorschuss ist eine familienpoliti- Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Schön, ich finde es sehr sche Leistung und keine Sozialleistung, die es schon gut, dass Sie hier deutlich gemacht haben, dass sich Al- lange gibt. Dieser Unterhaltsvorschuss muss als Über- leinerziehende nicht in der Opferrolle sehen. Das ist brückungsleistung dann, wenn kein Unterhalt gezahlt nämlich nicht so. Aber das darf gerade nicht heißen, dass wird, für einen längeren Zeitraum gewährt werden und wir in der Politik ihre besondere Lebenssituation und nicht nur bis zum zwölften Lebensjahr eines Kindes. ihre besonderen Bedürfnisse komplett aus dem Blick Dies wurde von uns zu Recht im Koalitionsvertrag ver- verlieren. ankert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Meiner Ansicht nach müssen Alleinerziehende – in bei der SPD und der LINKEN – Nadine Schön der Mehrzahl sind es Mütter – die Möglichkeit zur Be- [St. Wendel] [CDU/CSU]: Das habe ich nicht rufstätigkeit haben. Hierfür ist öffentliche Unterstützung gesagt!) in Form von Kinderbetreuung nötig. Das ist leider bei dieser Bundesregierung der Fall. Im Zusammenhang mit dem Thema Alleinerziehende Weitere Belege dafür sind der aktuelle Achte Familien- wird oftmals die Situation von Migranten verkannt. Al- bericht und auch die Stellungnahme der Bundesregie- leinerziehende Migranten befinden sich in einer noch rung dazu. Der Familienbericht befasst sich dezidiert mit schwierigeren wirtschaftlichen Situation. Sie leiden be- dem Faktor Zeit. Der Faktor Zeit ist natürlich für Allein- sonders unter Stigmatisierung, weil es in der Zuwande- erziehende von ganz besonders herausragender Bedeu- rungsgesellschaft oftmals überhaupt nicht akzeptiert ist, tung, aber weder im Familienbericht noch in der Stel- alleinerziehend zu sein. lungnahme werden die Alleinerziehenden besonders erwähnt. Dabei müsste sich die Familienministerin den In diesem Feld haben wir also einige Fragen aufzu- Alleinerziehenden ganz besonders widmen. werfen und zu beantworten, die meiner Ansicht nach zu wenig Beachtung finden. Sie eignen sich auch nicht für Eben wurde schon gesagt: Zwei Drittel der Alleiner- Plattitüden und kontroverse Exkurse, die man heute in ziehenden bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Er- der letzten Debatte eventuell noch auf den Weg bringen werbstätigkeit. Mehr als die Hälfte von ihnen arbeitet in (B) will. Vollzeit. Damit ist die Erwerbsquote deutlich höher als (D) die verheirateter Frauen. Trotzdem ist das Armutsrisiko Ich werbe dafür, dass wir das Thema Alleinerzie- von Alleinerziehenden deutlich erhöht. Das muss uns zu hende als eine echte Aufgabenstellung der Familienpoli- denken geben. tik in diesem Lande verstehen und entsprechende Si- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gnale senden; dies tun wir insgesamt mit unserer bei der SPD und der LINKEN) familienpolitischen Aufstellung. Durch die Anhörung im Ausschuss werden wir hoffentlich die Differenziertheit Was ist zu tun? Selbstverständlich ist der Ausbau der dieser Situation noch besser verstehen. Wir müssen in Kindertagesbetreuung elementar; das ist schon gesagt unsere Gesellschaft das Signal senden, dass es kein worden. Erst gestern hat das Deutsche Rote Kreuz eine Stigma mehr ist, alleinerziehend zu sein, sondern dass es Studie vorgelegt, in der ganz klar belegt wird, dass Ganz- je nach persönlicher Situation durchaus ein Schicksal tagsplätze unabdingbar sind. Deshalb ist es überfällig, sein kann, das man sich so nicht ausgesucht hat, dem dass in dem diesbezüglichen Bundesgesetz klargestellt man sich aber stellt. Wir werden die bestehenden Pro- wird, dass es sich beim Recht auf einen Betreuungsplatz bleme hoffentlich gut lösen. um einen Ganztagsplatz handelt. Selbstverständlich muss auch der Ausbau der Ganztagsschulen forciert wer- Ich hoffe, dass ich in diese Diskussion etwas mehr den. Ruhe und Augenmaß bringen konnte; das ist mir bei die- sem Thema sehr wichtig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vielen Dank. Es geht um mehr. Gut die Hälfte der alleinerziehen- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) den Frauen mit Kindern zwischen null und sechs Jahren hat keinen Berufsabschluss. Fast 20 Prozent haben nicht Vizepräsidentin Petra Pau: einmal einen Schulabschluss. Vor diesem Hintergrund ist Mein Respekt, Kollegin Laurischk, Sie sind bisher die es fatal, dass die schwarz-gelbe Koalition die Anzahl der Einzige, die sich an die vorgesehene Redezeit gehalten öffentlich geförderten Beschäftigungsangebote fast hal- hat. biert hat; denn passgenaue Hilfen bei der Qualifizierung und die Heranführung an den ersten Arbeitsmarkt sind (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten für diese jungen Mütter unerlässlich. Wir unterstützen der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- ausdrücklich die Forderung im Antrag der Linken, die SES 90/DIE GRÜNEN) Möglichkeiten, eine Teilzeitausbildung zu machen, aus- 20530 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

Katja Dörner (A) zubauen, weil sich damit für viele Alleinerziehende neue verursacht. Aber viele Alleinerziehende sind nicht ein (C) Perspektiven eröffnen, insbesondere wenn sie kleine Leben lang alleinerziehend. Wer alleinerziehend ist, Kinder haben. muss all das, was vorher gemeinsam mit der Familie und dem Partner rund lief, allein bewerkstelligen. Dabei geht Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag verein- es um Erziehung, Schule, Unterhalt, Versorgung und bart, die Altersgrenze der Kinder im Unterhaltsvor- Freizeit; das sind nur einige Themen, die auf die allein- schussgesetz von 12 auf 14 Jahre auszuweiten. Das wäre erziehende Person und ihre Kinder zukommen. eine sinnvolle Maßnahme. Wir wissen: Dieses Vorhaben liegt auf Eis. Wir dürfen jetzt nicht nur nicht auf Verbes- In Ihrem Antrag fordern Sie zu Recht, dass der Staat serungen hoffen, sondern wir müssen uns eventuell so- hierfür Rahmenbedingungen schaffen muss, Rahmenbe- gar auch auf Verschlechterungen einstellen. Aus dem dingungen, wie sie der Staat auch für eine funktionie- Bundesrat kommt das sogenannte Unterhaltsvorschuss- rende, florierende Wirtschaft schafft. So gut wie diese entbürokratisierungsgesetz auf uns zu; Herr Wunderlich Bundesregierung dies für die Wirtschaft tut – wir mer- hat es schon angesprochen. Wir müssen befürchten, dass ken, es boomt in Deutschland –, tut sie das auch für die unter dem Label Entbürokratisierung Maßnahmen einge- Familien in Deutschland. Dazu zählen auch die Familien führt werden, die faktisch zulasten der unterhaltsberech- der Alleinerziehenden. Das Bild, das Sie von den allein- tigten Kinder und damit ihrer alleinerziehenden Eltern erziehenden Familien zeichnen, ist falsch. gehen. Wir werden uns damit im Bundestag befassen. Wir als CDU haben schon in der Großen Koalition Ich möchte Sie aber bereits jetzt für dieses Thema sensi- mit der zentralen Aufgabe einer modernen und zukunfts- bilisieren, weil ich finde, dass wir das nicht zulassen dür- weisenden Familienpolitik, wie es in Ihrem Antrag heißt, fen. begonnen. Unter Rot-Grün war so etwas nicht möglich. Kanzler Schröder hat Familienpolitik ja noch als „Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, döns“ abgetan. bei der SPD und der LINKEN) (Caren Marks [SPD]: Oje! Schon wieder!) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Verband al- leinerziehender Mütter und Väter hat in einem Positions- Wir haben diese Kompetenz an uns gezogen und – ich papier zur Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sehr nenne nur ein Beispiel, das wir schon mehrfach gehört gut herausgearbeitet, dass alleinerziehende Frauen auf haben – die Krippenvereinbarung zwischen Bund, Län- dem Arbeitsmarkt nicht in erster Linie deshalb benach- dern und Kommunen auf den Weg gebracht. Dies war teiligt sind, weil sie alleinerziehende Frauen sind, son- ein entscheidender Schritt zur Förderung der Vereinbar- dern erstens deshalb, weil sie Frauen sind, und zweitens, keit von Familie und Beruf. Besonders für Alleinerzie- weil sie Mütter sind. Solange die Geschlechtergerechtig- hende muss eine bedarfsgerechte Palette von Kinder- (B) keit auf dem Arbeitsmarkt nicht forciert wird, so lange betreuungsangeboten zur Verfügung gestellt werden. (D) wird sich auch für alleinerziehende Mütter wenig än- Denn gerade Alleinerziehenden ermöglicht oft erst die dern. Wir müssen also große und kleine Räder drehen. Kinderbetreuung eine eigene Erwerbstätigkeit, ohne die Es wäre wichtig, bei den Alleinerziehenden endlich da- nicht selten andere staatliche Leistungen wie das Ar- mit anzufangen. beitslosengeld II in Anspruch genommen werden müss- ten. Vielen Dank. Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass auf der Ebene (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der unterstützenden Infrastruktur Defizite unübersehbar bei der SPD und der LINKEN) sind. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja!) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich behaupte das Gegenteil. Der Ausbau der Kinderbe- Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Eckhard treuung für unter Dreijährige stockt nicht – wenn, dann Pols das Wort. vielleicht in den Ländern und Kommunen, in denen Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) an der Regierung beteiligt sind. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, ja! So wie Eckhard Pols (CDU/CSU): in München!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Ich will nur ein Beispiel nennen, wo das funktioniert, Damen und Herren! Frau Marks hat es schon gesagt: Herr Wunderlich. 1,6 Millionen Menschen in Deutschland sind alleinerzie- hend, und 90 Prozent davon sind Frauen; da haben Sie (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: In Bayern?) völlig recht. Die Linksfraktion hat in ihrem Antrag ver- – Nein, sucht, eine Momentaufnahme der Situation der Alleiner- ziehenden zu machen. Ich finde, das Bild, das Sie zeich- (Caren Marks [SPD]: Sagen Sie jetzt bitte nen, ist ein bisschen schief. Sicherlich ist nicht alles nicht: in Niedersachsen!) glänzend; aber das Bild ist schief. in Niedersachsen, Die Gründe für Alleinerziehung sind vielfältig. Mal (Caren Marks [SPD]: Oh Gott! Niedersachsen ist sie ungewollt, mal gewollt. Vielleicht kommt es auch ist Schlusslicht!) durch das Ende einer Beziehung dazu. Wenn es ganz schlimm kommt, wird sie durch den Tod des Partners und zwar in meiner Heimatstadt Lüneburg. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20531

Eckhard Pols (A) Ich kann Ihnen sagen, dass wir dort sehr gut aufge- Stadt Lüneburg widerspreche ich Ihnen, Herr (C) stellt sind. Bis Ende 2012 haben wir die 35-Prozent- Wunderlich, dass viele Kommunen öffentliche Infra- Quote erreicht. Wir hören aber nicht auf. Denn wir wis- struktureinrichtungen wie Büchereien, Jugendzentren sen: Wir leben in einer wachsenden Region, und wir und Musikschulen aus Finanznot schließen mussten. Die brauchen mehr. Wir wollen nämlich attraktiv bleiben. Stadt Lüneburg baut zurzeit eine neue Musikschule, Herr Wir wollen den Alleinerziehenden das bieten, was sie Wunderlich, und ein Jugendtheater ist vor zwei Jahren brauchen. Viele Alleinerziehende sind nämlich – das entstanden. wissen Sie – im Schichtdienst tätig: in der Alten- oder (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Kommen Sie Krankenpflege und in Produktionsbetrieben. Daher müs- einmal nach Sachsen!) sen sich Kinderbetreuungseinrichtungen, ob in kommu- naler oder freier Trägerschaft, den zeitlichen Bedürfnis- Innovativ und zukunftsorientiert ist auch eine Projekt- sen der Alleinerziehenden anpassen. Wenn Flexibilität idee des Landkreises Lüneburg, die im Rahmen des Mo- von der Wirtschaft gefordert wird, dann muss sie auch dellvorhabens „LandZukunft“ des Bundesministeriums von den Betreuungseinrichtungen gefordert werden. für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Dies ist aber Aufgabe der Kommunen. eingereicht wurde. Eine Kinder-Notfall-App wird Eltern verlässlich über Betreuungsangebote informieren. (Caren Marks [SPD]: Sagen Sie lieber mal etwas zum Land Niedersachsen!) (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Jugend- hilfe wird in allen CDU-regierten Ländern Auch Ihre Aussage zur nicht bedarfsorientierten Be- ohne Ende heruntergefahren! Alles Schwarz!) rechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder ist falsch. Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit nicht die Das ist ein wichtiger Schritt zur weiteren Verbesserung Höhe, sondern die Berechnungsverfahren beanstandet. der Situation von Alleinerziehenden. Die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in der Höhe unverändert gebliebenen Hartz-IV-Regelsätze Alle Alleinerziehenden brauchen unsere gesellschaft- für Kinder sind das Ergebnis einer realitäts- und bedarfs- liche Anerkennung; das ist richtig. Viele von ihnen sind gerechten Ermittlung. doppelt belastet: durch Erwerbstätigkeit und Fürsor- geaufgaben. Deshalb müssen wir die Möglichkeiten der (Dagmar Ziegler [SPD]: Na ja!) Unterstützung für Alleinerziehende ausweiten. Es darf kein Entweder-oder zwischen Familie und Beruf geben. Die Richter konnten nicht feststellen, dass die Regelleis- tungsbeträge evident unzureichend sind. Herr Wunderlich, ich wünsche Ihnen und auch allen anderen ein frohes Osterfest im Kreise Ihrer Familien Vieles, was Sie bemängeln und fordern, sind kommu- und freue mich, wenn wir uns in etwa vier Wochen hier (B) nale Aufgaben. Diese Bundesregierung ist die kommu- (D) wiedersehen. nalfreundlichste, die wir seit langem haben, und sie entlastet – das haben wir auch schon gehört – die Kom- Vielen Dank. munen auf vielen Ebenen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Caren Marks [SPD]: Da bekomme ich Hus- neten der FDP – Jörn Wunderlich [DIE ten!) LINKE]: Und im Ausschuss darüber diskutie- ren!) Die Kommunen sind für die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder zuständig. Insbesondere alleinerziehende Mütter, die überdurchschnittlich häufig Vizepräsidentin Petra Pau: auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende Herzlichen Dank. – Ich schließe die Aussprache. angewiesen sind, profitieren davon. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Ich möchte noch einmal auf meine Heimat zurück- Drucksache 17/8793 an die in der Tagesordnung aufge- kommen. Im Landkreis Lüneburg wurde im Vorfeld eine führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- umfangreiche und erfolgreiche Informationspolitik be- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung trieben. In Kitas und Schulen sind flächendeckend Hin- so beschlossen. weise verteilt worden. Auch meine Kinder kamen mit Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am den Hinweisen nach Hause. Außerdem wurden alle Be- Schluss unserer heutigen Tagesordnung. darfsgemeinschaften angeschrieben. Die Rücklaufquote beträgt immerhin über 60 Prozent. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, den 25. April 2012, 13 Uhr, ein. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Na ja!) Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Finden Sie auch ein wenig Erholung über die Fei- Die Verwaltung in Lüneburg ist damit ihrer Bring- ertage. schuld nachgekommen. Ich meine aber, die Eltern haben hier auch eine Holschuld. Als Mitglied des Rates der (Schluss: 14.27 Uhr)

Anlagen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20533

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bär, Dorothee CDU/CSU 30.03.2012 Kossendey, Thomas CDU/CSU 30.03.2012

Behrens, Herbert DIE LINKE 30.03.2012 Kramme, Anette SPD 30.03.2012

Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 Kressl, Nicolette SPD 30.03.2012 DIE GRÜNEN Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 30.03.2012 DIE GRÜNEN

Brase, Willi SPD 30.03.2012 Kunert, Katrin DIE LINKE 30.03.2012

Dr. Brauksiepe, Ralf CDU/CSU 30.03.2012 Dr. Lamers (Heidelberg), CDU/CSU 30.03.2012** Karl A. Brinkmann (Hildesheim), SPD 30.03.2012 Bernhard Meierhofer, Horst FDP 30.03.2012

Buschmann, Marco FDP 30.03.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 30.03.2012

Dörmann, Martin SPD 30.03.2012 Dr. h. c. Michelbach, CDU/CSU 30.03.2012 Hans Ernst, Klaus DIE LINKE 30.03.2012 Möhring, Cornelia DIE LINKE 30.03.2012 Ernstberger, Petra SPD 30.03.2012 (B) Möller, Kornelia DIE LINKE 30.03.2012 (D) Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 30.03.2012 Nietan, Dietmar SPD 30.03.2012 Gabriel, Sigmar SPD 30.03.2012 Nink, Manfred SPD 30.03.2012 Gerdes, Michael SPD 30.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 30.03.2012 Götz, Peter CDU/CSU 30.03.2012*** Ortel, Holger SPD 30.03.2012 Groth, Annette DIE LINKE 30.03.2012* Petermann, Jens DIE LINKE 30.03.2012 Günther (Plauen), FDP 30.03.2012 Joachim Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 30.03.2012

Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 Pieper, Cornelia FDP 30.03.2012 DIE GRÜNEN Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 30.03.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 30.03.2012 Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 Claudia DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Rupprecht (Tuchenbach), SPD 30.03.2012 Humme, Christel SPD 30.03.2012 Marlene

Kaczmarek, Oliver SPD 30.03.2012 Schäfer (Saalstadt), CDU/CSU 30.03.2012 Anita Kauder, Volker CDU/CSU 30.03.2012 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 30.03.2012 Keul, Katja BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 DIE GRÜNEN Schlecht, Michael DIE LINKE 30.03.2012

Koczy, Ute BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 Schnurr, Christoph FDP 30.03.2012 DIE GRÜNEN 20534 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012

(A) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (C) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2010 der Bundesnetzagentur für Schwartze, Stefan SPD 30.03.2012 Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisen- bahnen für den Bereich Eisenbahnen gemäß § 14b des Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 30.03.2012 Allgemeinen Eisenbahngesetzes Simmling, Werner FDP 30.03.2012 und Stellungnahme der Bundesregierung Strässer, Christoph SPD 30.03.2012 – Drucksachen 17/8525, 17/8833 Nr. 1.3 – Ulrich, Alexander DIE LINKE 30.03.2012 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Wagner, Daniela BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- DIE GRÜNEN dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Wicklein, Andrea SPD 30.03.2012 Auswärtiger Ausschuss Wieczorek-Zeul, SPD 30.03.2012 Drucksache 17/8227 Nr. A.5 Heidemarie Ratsdokument 15206/11 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ 30.03.2012 Rechtsausschuss DIE GRÜNEN Drucksache 17/8515 Nr. A.22 Ratsdokument 18755/11 Dr. Winterstein, Claudia FDP 30.03.2012 Drucksache 17/8673 Nr. A.3 Ratsdokument 5165/12 Ausschuss für die Angelegenheiten * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- der Europäischen Union lung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Drucksache 17/136 Nr. A.114 sammlung der NATO Ratsdokument 13879/09 Drucksache 17/720 Nr. A.17 *** für die Teilnahme an der 126. Jahreskonferenz der Interparlamenta- Ratsdokument 5107/10 rischen Union Drucksache 17/1492 Nr. A.43 (B) Ratsdokument 7386/10 (D) Drucksache 17/3791 Nr. A.21 Anlage 2 Ratsdokument 14954/10 Drucksache 17/5575 Nr. A.4 Amtliche Mitteilungen Ratsdokument 7897/11 Drucksache 17/5822 Nr. A.52 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Ratsdokument 8261/11 Drucksache 17/6568 Nr. A.7 mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Ratsdokument 11666/11 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung Drucksache 17/7423 Nr. A.43 zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ratsdokument 14864/11

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