Wirtschaftstheorie in Zwei Gesellschaftssystemen Deutschlands Wirtschaftstheorie
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Texte Günter Krause Christa Luft Klaus Steinitz (Hrsg.) Wirtschaftstheorie in zwei Gesellschaftssystemen Deutschlands Wirtschaftstheorie 1 74 74 Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 74 Rosa-Luxemburg-Stiftung Günter Krause / Christa Luft / Klaus Steinitz (Hrsg.) Wirtschaftstheorie in zwei Gesellschaftssystemen Deutschlands Erfahrungen – Defizite – Herausforderungen Karl Dietz Verlag Berlin Günter Krause/Christa Luft/Klaus Steinitz (Hrsg.): Wirtschaftstheorie in zwei Gesellschaftssystemen Deutschlands Erfahrungen – Defizite – Herausforderungen (Reihe: Texte/Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 74) Berlin: Karl Dietz Verlag 2012 ISBN 978-3-320-002279-2 © Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2011 Einband: MediaService GmbH; Fotomontage, v. l. n. r.: John Maynard Keynes, Wladimir Iljitsch Lenin, Alfred Marshall, Walter Eucken und Karl Marx Druck- und Bindearbeit: MediaService GmbH Druck und Kommunikation Printed in Germany Inhalt Günter Krause / Christa Luft / Klaus Steinitz Vorwort 7 Günter Krause Wirtschaftstheorie in der DDR – eine Frage und vier Thesen 12 Klaus Steinitz Das Spannungsfeld von ökonomischer Forschung und Politik in der DDR und ein Vergleich mit der Bundesrepublik 33 Harry Nick Drei Fragen zu Unterschieden zwischen ökonomischen Theorien in der DDR und in der Bundesrepublik 63 Reinhold Kowalski Die Kapitalismusforschung in der DDR – Ent- und Abwicklung 73 Walter Kupferschmidt 41 Jahre Hochschule für Ökonomie Berlin – eine Bilanz 84 Klaus Peter Kisker Das Elend bundesdeutscher ökonomischer Lehre und Forschung 109 Klaus Müller Wirtschaftsstudium in der Bundesrepublik und der DDR – Ähnlichkeiten und Unterschiede 120 Peter Thal Reflexionen zu Lehre und Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1951 – 1991 133 Norbert Peche Wirtschaftswissenschaftliche Lehre und Forschung zwischen Ost und West. Ein persönliches Statement 20 Jahre »danach« 139 Heinz-J. Bontrup Menschliche Arbeit in der Ökonomik. Nach der klassischen Lehre und Forschung kam fast nur noch Mystifikation 145 Rudolf Hickel Politische Ökonomie des Kapitalismus als gemeinsames Projekt gegen die Arroganz der neoliberalen Wirtschaftswissenschaft 147 Christa Luft Ökonomischer Mainstream zwischen Erschütterung und »weiter so« 171 Personenverzeichnis 196 Zu den Autorinnen und Autoren 201 Vorwort »Die Theorie des freien Marktes ist tot, aber sie wird noch durch nichts ersetzt.«1 So lautet das aktuelle Urteil des renommierten britischen Sozial- und Wirtschafts- historikers Eric Hobsbawm. In dieser knappen These des bekennenden Marxisten bündeln sich drei Momente. Erstens ist der Glaube an sich selbst regulierende Märkte in der jüngsten, einer systemischen Krise des Kapitalismus massiv in Frage gestellt worden. Ungezü- gelte Finanzmärkte würgen die Realwirtschaft, höhlen die Demokratie aus und drohen, das europäische Sozialstaatsmodell der Nachkriegszeit zum Einsturz zu bringen. Die in Lehre, Forschung und Politikberatung dominierende neoklassische Theorie kollidiert auffällig mit der Realität und steht den Zukunftsherausforderun- gen kaum problemadäquat gegenüber. Sie beharrt auf ihren Dogmen, dabei wäre ihre »Abwicklung« fällig. Zweitens sind einfache Rückgriffe auf das theoretische Modell, das dem ge- scheiterten Realsozialismus zugrunde lag, keine angemessene, sogar eine falsche Antwort auf die Frage »Wie weiter?« Wohl aber sollten produktive Ansätze be- wahrt werden, so vor allem die soziale Funktion wirtschaftlicher Tätigkeit, statt einseitiger einzelwirtschaftlicher Renditeorientierung. Und ohne »Ismen« zu re- animieren, dürfen Karl Marx und auch John M. Keynes im Kreise von Ratgeberin- nen und Ratgebern für ein alternatives Wirtschaftsmodell nicht fehlen.2 Drittens: Totgesagte sterben länger. Die totgesagte neoklassische Lehre hat immer noch einen Pulsschlag. Sie liegt im Koma, ist aber zählebig. Denn gesell- schaftliche Kräfte, die vom Neoliberalismus profitieren, insbesondere globale Konzerne des Finanzsektors, haben nicht an Einfluss verloren. Sie nutzen gar den Staat als Retter in der Not. Zurückzudrängen ist die Theorie des freien Marktes aus dem akademischen Alltag, aus Elitenbildung und Politikberatung nur, wenn Vision und Funktionsmerkmale eines alternativen, den Interessen von Bevölke- rungsmehrheiten entsprechenden demokratischen Wirtschaftsmodells präsentiert werden können. »Dabei gibt es ein großes Problem: Unser Wissen, was nicht geht, 1 Die Linke ist zu schwach. Eric Hobsbawm über die Wiederkehr von Marx und Keynes. In: Frankfurter Rundschau vom 16.11.2011. 2 Vgl. hierzu u. a. Günter Krause (Hrsg.): Keynes als Alternative(r)? Argumente für eine gerechte Wirtschaft. Berlin 2007. 7 ist umfassender und aus konkreten Erfahrungen besser begründet als unser Wissen darüber, wie die großen Probleme und Widersprüche der gegenwärtigen Welt zu lösen sind.«3 Für eine Alternative zum Realkapitalismus existiert keine Blaupause. Es gilt, Lern- und praktische Suchprozesse zu intensivieren. Offenheit und Plurali- tät in Lehre und Forschung sind dafür eine Grundbedingung. Die sich in Hobsbawms These spiegelnde Dreifach-Sicht durchzieht die vor- liegende Publikation. Sie stellt eine heute viele bundesdeutsche Ökonominnen und Ökonomen bewegende Frage: »Wohin steuert die ökonomische Wissenschaft?«4 Und sie lädt zur Debatte darüber ein, welcher Wirtschaftstheorie es zukünftig be- darf. Zugrunde liegt ihr eine wissenschaftliche Tagung zum Thema: »Ökonomi- sche Lehre und Forschung in der DDR und im vereinten Deutschland – Erfahrun- gen, Probleme und Zukunftsanforderungen«.5 Damit wurde am 1. Oktober 2011 an die Schließung der Hochschule für Ökonomie (HfÖ) Berlin vor genau zwanzig Jahren erinnert. Wie der größten ökonomischen Lehr- und Forschungseinrichtung der DDR erging es etwa zeitgleich anderen wirtschaftswissenschaftlichen Institu- tionen, oder sie wurden in bloßer Fortschreibung überkommener altbundesdeut- scher Standards umgestaltet. Für die Beschäftigten bedeutete das insbesondere hinsichtlich der Möglichkeiten und Bedingungen für eine weitere wissenschaftli- che Tätigkeit eine tiefe Zäsur in ihrer Lebensbiographie. Auch Studierende waren betroffen, Absolventinnen und Absolventen waren plötzlich ohne Alma Mater. Erstmals seit der deutschen Einheit haben mit dieser Tagung Ökonominnen und Ökonomen aus zahlreichen wirtschaftswissenschaftlichen Institutionen des Hochschulwesens und der Akademie der Wissenschaften der DDR6 in großer Run- de öffentlich über das eigene Wirken Bilanz gezogen. Sie blieben jedoch nicht unter sich: An der Tagung beteiligten sich auch Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus den alten Bundesländern. Welche Motive lagen dem Vorhaben zugrunde und warum veröffentlichen wir die Ergebnisse in einem Buch? 1. Das Scheitern des Realsozialismus heißt für die Angehörigen der wirtschafts- wissenschaftlichen Zunft nach der eigenen Verantwortung dafür zu fragen, 3 Klaus Steinitz: Aktuelle Fragen einer Dialektik des Antikapitalismus. In: Günter Krause (Hrsg.): Kapitalismus und Krisen heute – Herausforderung für Transformationen. Abhandlungen der Leibniz-Sozietät. Bd. 28. Berlin 2011, S. 195. 4 Volker Caspari/Bertram Schefold (Hrsg.): Wohin steuert die ökonomische Wissenschaft? Ein Methodenstreit in der Volkswirtschaftslehre. Frankfurt a. M. 2011. 5 Diese Tagung wurde dankenswerter Weise von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Helle Panke e.V. – Rosa- Luxemburg-Stiftung Berlin ausgerichtet. 6 Lehrer der Parteihochschule der SED haben in einem Sammelband u. a. auch die ökonomische Lehre an ihrer Einrichtung einer kritischen und selbstkritischen Analyse unterzogen. Vgl. Uwe Möller/Bernd Preußer (Hrsg.): Die Parteihochschule der SED – ein kritischer Rückblick. Schkeuditz 2006. 8 warum das Gewollte nicht den gewünschten Erfolg hatte. Das war nicht als selbstgerechtes oder gar nostalgisches Reflektieren der Vergangenheit gedacht. Nur eine vorbehaltlose kritisch-selbstkritische Rückschau schützt davor, mit wachsendem zeitlichem Abstand und angesichts zivilisationsgefährdender Vorgänge im Realkapitalismus damalige Fehler, Irrtümer und Versäumnisse zu verharmlosen. Zugleich erlaubt sie, im Hegelschen Sinne tragfähige Ansätze und Geleistetes vor dem Vergessen oder der Herabsetzung zu bewahren. Die Bilanz fiel auf der Tagung dementsprechend nicht beschönigend aus, vermied aber einseitige Urteile, wie sie vielfach Außenstehende abgeben. So hatte sich der Zeithistoriker Arnulf Baring mit einer auf Ostdeutschland bezogenen an- maßenden, von außerordentlicher Ignoranz zeugenden Bemerkung hervorge- tan: »Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psycho- loge, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal. Sein Wissen ist auf weite Strecken unbrauchbar.«7 Es liegt in der Natur der Sache, dass vor allem Ver- treterinnen und Vertreter der in der Bundesrepublik dominierenden Neoklassik eine andere Bewertung vornehmen als DDR-sozialisierte Ökonominnen und Ökonomen. Doch diese haben ein Recht auf eine eigene, eine differenzierte Sicht und machen davon auch Gebrauch. Wir möchten mit dieser Publikation alle Interessierten an den gewonnenen Erkenntnissen teilhaben lassen und die durchaus auch unterschiedlichen Sichtweisen bei der Bewertung des Vergan- genen deutlich machen. 2. Eine Diskussion über das Thema allein unter Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die in der DDR tätig waren, wäre unserer Meinung nach wenig zielführend gewesen. Handelt es sich doch um eine Problematik, die die gesamte wirtschaftswissenschaftliche Zunft Deutschlands angeht. Im Angesicht der systemischen Krise des Kapitalismus