WIRTSCHAFT ANDERS DENKEN 2 18 Monatszeitung OXIBLOG.DE 3,50 €

SCHWERPUNKT ÖKONOMINNEN

Seite 3 Das Jungsthema Sabine Nuss über Herr-Schaft, Ökonomie und Selbstzweifel

Seite 6 Eine Selbstverständlichkeit Die DDR-Ökonomin und Ministerin Christa Luft im Gespräch

Seite 18 Ein Anfang Silja Graupe und Florian Rommel über neue Orte für ökonomische Bildung

MURX

VINCENT KÖRNER

Eine Politischen Ökonomie des Umfrage- wesens ist noch nicht geschrieben. Oder doch? Man könnte eine Umfrage dazu in Auftrag geben, aus den Ergeb- Ökonomie, die nissen dann Schlagzeilen kneten und darauf warten, dass das mediale Echo auf das Antwortverhalten der übernächs- ten Umfrage zurückwirkt. Mag sogar Die Voreingenommenheit der Wirtschaftswissenschaften und der Politik gegenüber anderen sein, dass wir irgendwann eine Mehrheit vermelden könnten? Wofür? Keine Denkhaltungen und der Geschlechterfrage ist lebensgefährlich geworden Ahnung, denn 40 Prozent antworteten mit »Weiß nicht«. KATHRIN GERLOF der 1950er Jahre, die Theorien des 19. Jahr- Das ist ein vergleichsweise alberner Beweis, Zurück zum Thema. Dieser Tage ver- hunderts. Übertrüge man dies auf irgendeine tatsächlich aber entspricht die an die Öffent- lautete, eine Umfrage habe erwiesen, n ihrem im März in deutscher Sprache andere wissenschaftliche Disziplin, beispiels- lichkeit gelangende Expertise von Ökonomin- dass Frauen denken, Männer könnten erscheinenden Buch Die Donut-Öko- weise die Medizin, ginge man lieber zur Wun- nen nicht deren tatsächlicher wissenschaftli- nicht so gut mit Geld umgehen – und nomie (Hanser Verlag) widmet sich die derheilerin, als sich in ein Krankenhaus zu be- cher Leistung. Das war schon immer so und das Männer dasselbe von Frauen glauben. Autorin Kate Raworth eingangs der geben. trifft auch auf jene neuen Denkansätze zu, die Am Ende kommen dann Durchschnitts- umfassenden Krise der Wirtschafts- Die Politik aber holt sich die Grundlagen für sich mit der Frage befassen, wie eine Gesell- werte heraus: 32 Prozent aller Befragten wissenschaften, deren öffentlicher ihre Wirtschaftspolitik genau dort ab, wenn sie schaft nach dem Kapitalismus aussehen und meinten, es seien die Frauen, die besser IKanon seit jeher von Männern diktiert wird. nicht von vornherein Wirtschaftslobbyisten wie ein anderes Wirtschaftssystem jenseits mit Geld umgehen könnten. Nur Ökonomen seien mit der Aura der Autorität den Vorzug als Einfl üsterer gibt. Was sie meist des kapitalistischen funktionieren kann. magere 19 Prozent meinten, Männer ausgestattet. »Sie sitzen in der internationa- tut. Wer über die Neoklassik und das politi- Der Postkapitalismus ist ebenfalls Männer- seien auf diesem Gebiet besser. Was len politischen Arena – von der Weltbank bis sche Projekt des Neoliberalismus, der sich aus sache. Bislang. Es wäre interessant, im Stile der wir daraus lernen? Nun, Auftraggeber zur Welthandelsorganisation – als Experten in ihr nährt, hinausgeht, sich anderen Schulen, G-20-Ikonografi e ein Foto all jener, öffentlich der Umfrage war eine Bank, die sich der ersten Reihe. In den USA beispielsweise ist Denkrichtungen, Möglichkeiten öffnet, gilt zumindest diskutierter, Ökonom*innen zu se- so ins Gespräch brachte. Es lässt sich das Council of Economic Advisers des Präsiden- wahlweise als exotisch, bekloppt oder niedlich. hen, die als Expertise für neue ökonomische eben treffl ich über Fragen zu reden ten das einfl ussreichste, renommierteste und Der feministischen Ökonomie, bei der wir Ansätze gelten. Und in dem Suchbild die Frau wie »Wer neigt eher dazu, Geld für unnö- am längsten bestehende Beratungsgremium uns treffl ich streiten können, ob sie eine Denk- zu fi nden. tige Sachen auszugeben?« Zumal in des Weißen Hauses….« richtung, eine Nische oder ein grundlegend Die feministische Ökonomie kann für sich Zeiten, in denen das Überwinden von John Maynard Keynes oder Adam Smith wa- neuer Ansatz für ökonomisches Handeln ist, weiterhin in Anspruch nehmen, als einzige Rollenmodellen dazu führt, dass ren nicht die einzigen, die vor der Macht ihres kommt seit Ausbruch der Finanzkrise etwas Denkschule den großen Bereich der Repro- eben diese Rollenmodelle wieder im Berufsstandes warnten. Keynes beklagte, dass mehr Aufmerksamkeit zu. Die Krise hatten vor duktionsarbeit und die Geschlechterverhält- Kurs steigen. die Gedanken der Ökonomen, egal, ob sie im allem Männer zu verantworten (auch wenn die nisse in den Blick und Fokus zu nehmen. Bar- Was »unnötige Sachen« sind, hätten Recht oder im Unrecht seien, einfl ussreicher Frage, ob Lehman Sisters ebenfalls Pleite ge- bara Fried, Vizedirektorin des Instituts für wir allerdings schon gern erfahren. seien, als gemeinhin angenommen. »Prakti- gangen wären, nie beantwortet werden kann), Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg- Andererseits geht es uns wie den 47 ker, die sich ganz frei von intellektuellen Ein- als Krisenmanagerinnen kamen in der Poli- Stiftung, monierte zu Recht, dass Klasse und Prozent, die meinten, es gebe gar fl üssen glauben, sind gewöhnlich Sklaven tik, vor allem aber in den Familien und Sozial- Feminismus weiterhin gegeneinander ausge- keinen Unterschied. Wahrscheinlich irgendeines verblichenen Ökonomen.« Fried- räumen, viele Frauen zum Zug. Nennen wir sie spielt werden. dämmert es dieser relativen Mehr - rich August von Hayek bekam 1974 als erster Trümmerfrauen. In der Bundesrepublik war schon vor 15 Jah- heit, dass es mit der Realabstraktion den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirt- Wer sich allerdings heute bei Google ein ren die Reproduktionsarbeit zeitlich um das Geld doch mehr auf sich hat, als man schaftswissenschaften verliehen und merkte Alert für die Begriffe Wirtschaftsexperte und 1,7-fache größer als die Lohnarbeit. Gabriele am angeblich geschlechterspezifi schen an, er hätte sich, wäre er gefragt worden, gegen Wirtschaftsexpertin einrichtet, wird unter ers- Winker, Mitbegründerin des Feministischen In- Verhalten durchdeklinieren könnte. die Einrichtung eines solchen Preises ausge- tem Wort regelmäßig belohnt und bekommt ta- stituts Hamburg, sieht in der sogenannten Care- Und so warten wir einfach auf die nächste sprochen, da der Nobelpreis einem Menschen gelang nichts zum zweiten Wort geboten. Revolution deshalb auch einen grundlegenden Umfrage, in der die Leute dann darauf eine Autorität verleihe, die in der Ökonomie Perspektivwechsel, der statt Profi tmaximie- antworten, was Geld eigentlich ist, warum niemandem zukäme. rung die Verwirklichung menschlicher Be- es entscheidender ist, was sich darin Wenn es einer Wissenschaft gelingt, über dürfnisse ins Zentrum gesellschaftlichen und für soziale Verhältnisse ausdrücken und Jahrhunderte hinweg fast ausschließlich die ökonomischen Handelns stellt. Dieser Ansatz wer davon viel zu viel hat, weil er sich männliche Sicht- und Denkweise in die Öffent- könnte heißen, alle gesellschaftlich für die Da- fremde Arbeit aneignen kann. Und ehr- lichkeit zu tragen, ins Bewusstsein zu pfl an- Der Post- seinsvorsorge notwendigen Arbeiten von der lich: Wir würden dabei nicht die Bohne zen und ihr Einfl uss zu verschaffen, hat dies Warenproduktion und damit von Verwertungs- auf die Unterschiede bei den Antworten irgendwann gravierende Folgen. kapitalismus prinzipien auszuschließen. von Frauen und Männern glotzen. Raworth erklärt, dass in den USA jährlich Das alles wird viel zu wenig diskutiert. Kate Es könnte nämlich sein, dass es sich bei rund fünf Millionen Collegestudenten einen ist ebenfalls Raworth: »Den Kern des herkömmlichen wirt- solchen Ergebnissen um ziemlichen Ökonomiekurs absolvierten, der als standard- schaftlichen Denkens bildet eine Handvoll Dia- Murx handelt. mäßiger Einführungskurs namens Econ 101 Männersache. gramme, die ohne Worte, jedoch sehr eindrück- inzwischen weltweit angeboten und gelehrt lich Art und Weise bestimmt haben, wie wir würde. Überall dieselben Lehrbücher, dieselbe Bislang. über die ökonomische Welt denken – und alle Denkhaltung, derselbe Einheitsbrei, diesel- diese Diagramme sind überholt, betriebsblind ben Zahlen und Kurven, die Geisteshaltung oder schlicht falsch.« 2 OXI | 2 | 18 SCHWERPUNKT 3

EDITORIAL INHALT

Der Februar ist arm an Feier- und Ge- Seite 3 Das Jungsthema Unsere Männerwirtschaft, abgewirt- Seite 14 Marx nicht in Seite 18 Trotz oder gerade denktagen. Darüber tröstet auch Erfahrung als Frauen bleibt eine schaftet Und wer hat Adam den Klassiker-Schrank sperren wegen des »Machismo« Wie in der verbraucherfreundliche Valentins- der Herr-Schaft. Das hat mehr Smith das Abendbrot gemacht? Antonella Muzzupappa küm- Lateinamerika versucht wird, tag nicht hinweg. Der 14. Februar ist mit Ökonomie zu tun, als vielen Sigrun Matthiesen mert sich für eine Parteienstif- Feminismus und Wirtschaftsre- aber auch Tag des Riesenrads. Der Inge- bewusst ist Sabine Nuss tung um Politische Ökonomie formen zu verknüpfen nieur Gale Ferris Jr. hatte das Riesen- Seite 9 Ohne Druck geht fast Ulrike Kumpe rad erst erfunden und 1893 für die Welt- Seite 4 Eine zweite stille nichts Die Zahl von Frauen in Der unbezahlte Teil der Ökono- ausstellung gebaut, starb jedoch mit Revolution Die Zahl der Ökono- Spitzenjobs der Wirtschaft mie Bettina Haidinger arbeitet Seite 19 Glossar 37 verarmt, Ruhm und Geld bekamen minnen wächst, und doch sind wächst langsam. Frank Krüger an der Forschungsstelle Arbeits- die Manager der Ausstellung. Ein die Wirtschaftswissenschaften welt in Wien Seite 20 Hebel zur Flexibilisie- Jugendsender ernannte den 2. Februar immer noch eine Männer- Seite 9 Anderes als die rung, Folge öffentlicher Spar- zum »Tag des arbeitslosen Duftbaums«, domäne. Tom Strohschneider traditionellen Frauendomänen Ein stark männlich geprägtes politik Jüngere, Frauen und Ost- um auf dessen dramatische Situation Ulrike Malmendier gehört zu Klima haben Die Bonner Spe- deutsche sind öfter von sach- hinzuweisen. Laut einer Studie des Seite 5 Die Ökonomie braucht den Stars der deutschen Ökono- zialistin für Finanzmarktökono- grundlosen Befristungen betrof- Weltwirtschaftsforums gefährdet die den Feminismus dringend minnen und lehrt in Berkeley mie Isabel Schnabel ist die fen. OXI-Redaktion Industrie 4.0 vor allem Arbeitsplätze Katharina Mader arbeitet am Finanzwirtschaft erst dritte »Wirtschaftsweise« von Frauen, denn Jobs, die vom digitalen Institut für Institutionelle & Seite 21 Neue Facetten, unge- Wandel bedroht sind, werden zu 57 Heterodoxe Ökonomie Seite 10 Ihre Währung ist Seite 15 Unentbehrlich Den löstes Rätsel »Mittelweg 36« Prozent von Frauen gemacht, was zu Vertrauen Kirsten Paul arbeitet Begriff der Produktionsverhält- setzt das große Projekt fort, dem der Frage führt, ob es bald einen Tag Seite 6 »Die Praxis wird uns in Verden als Vermögensver- nisse weiterentwickeln: 13 Kapitalismus theoretisch auf der arbeitslosen Frau gibt, der sich zum zwingen, die Dinge anders zu be- walterin der Bewegungsstiftung Thesen zu Marxismus-Feminis- die Schliche zu kommen Gender-Pay-Gap-Tag gesellt, an dem trachten« Die Ökonomin und Ulrike Baureithel mus Frigga Haug Tom Strohschneider wir Jahr für Jahr beklagen, dass Frauen einstige DDR-Wirtschaftsminis- weit über zwanzig Prozent weniger terin Christa Luft über Macht Seite 11 Wie bestimmt sich der Seite 16 Warum es neue Orte Gegen die destruktive Ignoranz Geld als Männer bekommen, und das oder Ohnmacht der Wirtschafts- Wert der Arbeitskraft? Käthe für ökonomische Bildung Das »Handbook of Alternative auch noch für gleiche Arbeit, was ein wissenschaften Knittler lehrt in Wien und kriti- braucht Wirtschaftswissenschaft Theories of Economic Develop- bisschen damit zu tun hat, dass Frauen siert das »große Schweigen« muss sich nicht auf die Flucht ment« den größten Teil der unentgeltlichen, Seite 8 Die Revolutionärin über historische Ökonominnen in mathematische Scheinwelten Initiative »Was ist Ökonomie?« zugleich aber unentbehrlichen Arbeit von der IG Metall Christiane festlegen lassen leisten, die der Kitt jeder Gesellschaft Benner verkörpert auch die Seite 12 Sage noch jemand... Silja Graupe und Florian Rommel Seite 22 Wirtschaft in Bildern ist, so sie als Konstrukt überhaupt noch Öffnung einer Männerbastion ... es hätte sie nicht gegeben, die Kolumne existiert. Dieser Satz ist deshalb so der deutschen Wirtschaft Ökonominnen und Frauen, die Seite 17 Die Reichen müssen lang, weil am 25. Februar der von Bastian sich mit volkswirtschaftlichen sich stärker beteiligen Seite 23 Die Hörsäle und die Melnyk ins Leben gerufene Tag der Das Bier danach Geschlechter- Fragen, mit dem Arbeitsleben, Mechthild Schrooten lehrt in Reihenhäuser Waren »die Schachtelsätze begangen wird. Noch verhältnisse in der Wissenschaft dem Kapital befassten. Eine sehr Bremen und plädiert schon 1968er« zu weit weg von den mehr Sätze zum Thema Frauen und werden auch durch Netzwerke unvollständige Liste gege die lange für Umverteilung Arbeitern? Über die Chance, aus Ökonomie lesen Sie in dieser Ausgabe. geprägt Anne Schindler irrtümliche Deutungshoheit der der Geschichte etwas über Erhellende Lektüre wünscht Männer in den Wirtschafts- »Einheit in Differenz« zu lernen Kathrin Gerlof wissenschaften Kathrin Gerlof Tom Strohschneider

3/18 SCHWERPUNKT Das Jungsthema LINKE NOTIZEN AUS GRIECHENLAND WIRTSCHAFTSPOLITIK Unsere Erfahrung als Frauen bleibt eine der Herr-Schaft. Das hat mehr mit Ökonomie zu tun, als vielen bewusst ist Über Alternativen in der Wirtschaftspo- litik wird nicht erst seit der großen Fi- SABINE NUSS mich richtig vorzubereiten, bin gar nicht so im ist das Fach der Männer, die meinen, die Welt nanzkrise diskutiert. Aber was ist das ei- Thema, da gibt es doch geeignetere Experten, beherrschen zu können, indem sie sie be- und gentlich: linke Wirtschaftspolitik? Wie Ich zahle nicht! nlängst hat ein Wirtschaftsre- ich bin doch gar nicht so prominent, wie die Wäre es nicht ausrechenbar machen, sie in Zahlen, Kurven, erfolgreich waren solche Ansätze bisher? dakteur der österreichischen anderen, etc.. Wir kennen diese Selbstzweifel Modelle und Tortengrafi ken pressen. Natür- Wer sind die Träger und Adressaten einer Tageszeitung Der Standard und Selbstansprüche. Wäre es nicht sinnvoll, sinnvoll, darüber zu lich, Frauen können genauso gut mit Zahlen solchen Politik? Und geht das überhaupt, BJÖRN TVÄTT etwa die Hälfte der Verfahren persönlichen Schuldensituation Notarsverbände auf Druck der darüber refl ektiert, warum er darüber zu reden, woher die Zweifel am eige- wie Männer. Wussten Sie, dass die ersten Pro- im Kapitalismus das Ruder zugunsten endete zu ihren Gunsten. führten, organisieren die zahl- Bewegung geweigert, Auktionen in seinen Beiträgen so selten nen Vermögenkommen, woher die Scheu rührt, reden, woher die grammiererinnen in den 1960er Jahren Frauen sozialer, ökologischer und demokrati- In Griechenland besitzen circa Eindeutige Zahlen, wie »hilf- reichen Initiativen gegen Zwangs- durchzuführen. Nicht zuletzt Ökonominnen zu Wort kom- eben nicht auf die Bühne oder zum Leitartikel waren? Sie wurden rausgedrängt, als dieser Be- scher Raumgewinne herumzureißen? Die 80 Prozent der Menschen ihre reich« das Katseli-Gesetz ist, versteigerungen immer wieder lief Ende 2017 auch das bereits Umen lässt und er damit zur männlichen Domi- zu drängen? Über das schuldbewusste Gefühl, Zweifel am eigenen ruf an gesellschaftlichem Prestige gewann und März-Ausgabe von OXI sucht im Schwer- Wohnungen und Wohnhäuser veröffentlicht regelmäßig die Veranstaltungen und erstellen angesprochene Katseli-Gesetz nanz in Wirtschaftsfragen beiträgt. »46 Inter- das bleibt, wenn wir dann doch absagen, weil aussichtsreiche Karrieremöglichkeiten bot. punkt nach Antworten. Die Ausgabe liegt selbst. Ganz im Gegensatz zur Gruppe Drómos Anoichtós Broschüren, um über struktu- aus. Damit existiert de facto keine views habe ich in den vergangenen vier Jahren wir damit die männerdominierte Monokultur Vermögen, woher Es sind nicht vermeintlich mangelnde Re- am 3. März der Aboaufl age des »nd« bei deutschen Mieter*innengesell- (Offene Straße) (www.dromosan- relle Hintergründe, Möglichkei- Rechtsgrundlage mehr, um geführt, davon 42 mit Männern«, kann man da in der Ökonomie abermals reproduzieren? chen- oder Logikfähigkeiten, die uns abhal- und kommt am 6. März an den Kiosk. schaft. Mit dem Anstieg der oixtos.gr). Bei der Auswertung ten des Widerstands aufzuklä- privaten Wohnraum vor den Gläu- lesen. Es ist ein selbstkritisches Stück und es Der zitierte Kollege vom Standard hat sich die Scheu kommt, ten. Es ist jener Gegenstand der Wissenschaft, Immobilienpreise in den 1990er der landesweiten Auktionen stel- ren. biger*innen zu schützen. hat Beachtung gefunden. ebenfalls seinen Reim darauf gemacht. »Es der auf sein Diskursfeld eigentümlich zurück- Jahren wurden zunehmend lte sie fest, dass oft mehr als 60 Die Gründung einer Vielzahl von Trotz dieser düsteren Aus- Wer weitere Zahlen über dieses Missver- wimmelt nur so von Männern, die zu allem eben nicht auf wirkt und dies weit über das eigene Feld hi- mehr Menschen gezwungen, bis 70 Prozent unter dem Richt- Initiativen und die kontinuier- sichten sind die Aktiven zuver- hältnis lesen will, muss nicht lange suchen. Es eine Meinung haben« – soll heißen: Frauen zu naus: Ökonomie ist durch Konkurrenz struk- IMPRESSUM Kredite aufzunehmen, um wert von 300.000 Euro liegen, liche Arbeit haben Erfolg. Im Okto- sichtlich. Sie wollen weiterhin gibt Statistiken, laut derer 98 der 100 meist fi nden, ist gar nicht so einfach, weil sich viele die Bühne oder zum turiert, in der gewinnt, wer weiter, schneller, die eigenen vier Wände fi nanzie- die das Gesetz vorgibt. ber konnten rund 90 Prozent Druck auf die Notare und Banken zitierten WirtschaftsexpertInnen Männer Männer auf der Bühne nach vorne drängeln höher ist. Eine Welt, in der Dominanz, Potenz, OXI – Wirtschaft anders denken ren zu können. Zu Beginn der Auf Drängen der Troika wurde der wöchentlich circa 240 statt- ausüben, um diese an der sind. Daten belegen, dass immer noch weit und die Frauen dahinter verschwinden. Und Leitartikel Leistung und Macht die akzeptierten Währun- herausgegeben von der Krise stieg der Anteil nicht be- das erste Gesetz letztlich ersatz- fi ndenden Zwangsversteige- Durchführung dieser Form mehr Männer Karriere in der Wirtschaft und entsprechend wird sich dann auch verhalten. gen sind, und wo die Ergebnisse wie beim Fuß- common Verlagsgenossenschaft e. G. Franz-Mehring-Platz 1, 10243 dienter Kredite von rund fünf los gestrichen und durch einen rungen in ganz Griechenland ver- der Enteignung von oben der Wissenschaft machen. Es wird über Quoten Isabel Schnabel, eine der wenigen bekann- zu drängen? ball erst nach dem Spiel feststehen. Kein Mann auf über 50 Prozent an. Neben mündlichen Kompromiss hindert werden. 40 Prozent zu hindern. Zudem wollen sie fürs Management von Unternehmen, über die teren Ökonominnen in der Bundesrepublik kann vorhersagen: Mönchengladbach wird Redaktion: Anne Schindler, Kathrin Gerlof, Tom Strohschneider (V.i.S.d.P.) Steuerschulden oder Schulden zwischen Staat und Banken er- dieser Versteigerungen sollten erreichen, dass der Staat und Ungleichbehandlung von Frauen im Medien- und Mitglied des Sachverständigenrats, hat gegen Schalke 3:2 gewinnen. Aber alle Män- Gestaltung: Michael Pickardt, Schroeter & Berger durch Strom, Wasser oder Kran- setzt. Daraufhin kam es zu in der Hauptstadtregion Attika die Syriza-Regierung die Angriffe und Politikbetrieb allgemein gesprochen. Und unlängst eine Beobachtung geteilt: Das Klima ner können hinterher lange erklären, warum Bildnachweise: 123rf/jolka, liravega258, ms10, kenversicherung führten diese einem ersten landesweiten Ver- stattfi nden. auf die Bewegung beenden das seit Jahren. Immerhin hat dies für Sensibi- in den Wirtschaftswissenschaften sei stark Mönchengladbach 3:2 gewonnen und warum bojanovic78; shutterstock/Nevena Radonja, Kreditschulden dazu, dass die netzungs- und Strategietreffen Da viele der Gesetze zum Schutz und endlich den Erstwohnsitz lität gesorgt. Wer heute ein reines Männerpo- männlich geprägt, vor allem die Art der Aus- US-Senates gezeigt, dass mehr Macht bei Män- Schalke verloren hat. Und warum das so kom- Archiv, privat, IG Metall, Wiebke Johanning, public Menschen Hypotheken auf von Initiativen gegen die zuneh- der Betroffenen bereits abge- aller Menschen gesetzlich dium veranstaltet, muss eher mal mit öffent- einandersetzung. Schnabel sprach von Aggres- nern zu mehr Redebeiträgen führt. Bei Frauen men musste. domain (2x), Rosa-Luxemburg-Stiftung, Youtube, ihre Wohnungen aufnahmen. mend stattfi ndenden Zwangs- schafft oder relativiert wurden, schützen. licher Kritik und Häme rechnen als noch vor sivität und davon, dass sich Frauen damit nicht jedoch nicht. Ähnlich bei der Ökonomie: Männer erklären, Sachverständigenrat Von 2008 bis 2013 existierte versteigerungen. Dort wurden versucht nun die Regierung in Das Thema der Zwangsver- wenigen Jahren. Das ist gut so. wohl fühlten. Damit nicht genug: Es wirkten Und was helfen quotierte Redelisten? Ja, sie wer wann und warum welchen Erfolg hatte, Tel. (030) 2978-4678, Fax (030) 2978-1610 deshalb ein Gesetz, das den drei zentrale Forderungen Kooperation mit der Troika aktiv steigerungen und der Enteignung Aber es gibt auch eine andere Seite. Eine be- »unbewusste Verzerrungen, also Geschlechter- sind ein tauglicher Versuch, gegen solche Un- wer durch Missmanagement das Unternehmen E-Mail: [email protected] Abobestellungen: [email protected] Erstwohnsitz im Schuldenfall aufgestellt. gegen die Bewegung und ihre von Wohnraum betrifft nicht freundete Zeitung hatte sich vor Jahren fest Stereotypen«. Diese würden dazu »führen, dass gleichgewichte etwas zu tun. Aber wir ken- in die Pleite geführt oder wer mit kluger Vor- www.oxiblog.de vor dem Zugriff der Banken Neben einem allgemeinen Aktionsformen vorzugehen. Eini- nur Griechenland. Das hat auch vorgenommen, Autorinnen und Autoren zu Männer für kompetenter gehalten werden«. nen auch hier die andere Seite: das Gefühl ausschau das Unternehmen »konkurrenzfä- OXI – Wirtschaft anders denken schützte. Neben diesem Gesetz Recht auf Wohnen konzentrier- ge Aktivist*innen der Bewegung die Bewegung erkannt und gleichen Teilen zu Wort kommen zu lassen. Und sich selbst für kompetenter halten, ließe des Vorgeführtwerdens, wenn laut Liste eine hig« gemacht hat. Männer sagen, welches Land erscheint im Verlag Neues Deutschland gab es seit 2010 das sogenannte ten diese sich auf die Neuver- werden durch Polizei und Justiz versucht, eine engere Vernet- Gute Idee. Und die Praxis? Zwar kommt es im- sich ergänzen. Es gibt sogar einen Begriff da- Frau dran wäre, sich aber keine von uns mel- »notwendige« und »schmerzhafte« Reformen Druckerei und Verlag GmbH Katseli-Gesetz, das überschuldete handlung der Kreditkonditionen massiv verfolgt und einge- zung mit Initiativen aus mer seltener vor, dass explizit gefragt wird: für: Mansplaining. Jede kennt es: das selbstge- det, weil wir wirklich gerade nichts zu sagen durchgeführt hat, wodurch das Bruttoinlands- Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin Privatpersonen entlasten sollte. sogenannter roter Kredite. schüchtert. Außerdem sollen die anderen europäischen Ländern »Uns fehlt noch eine Frau, hättest du nicht Zeit wisse, unaufmerksame Sprechen von Männern haben oder weil wir das, was wir sagen wollen, produkt gestiegen ist. Sie kennen den gera- Geschäftsführer: Matthias Schindler Damit konnte ein gerichtlich fest- Damit sollten einerseits die Be- Versteigerungen sukzessive aufzubauen. Dies scheint nur und Interesse?« Aber wenn man als letzte Teil- gegenüber Frauen, diese Welterklärer-Hal- noch nicht ausgereift fi nden. Oder, oder, oder. den Weg zum Erfolg. Sie wissen, welches Land Tel. (030) 2978-1615 gelegter Schuldenplan auch dingungen an den aktuellen elektronisch abgewickelt werden, konsequent, denn die Gläubiger*- nehmerin für eine Diskussionsrunde angefragt tung, ohne Interesse an oder Bewusstsein für Und der Raum verstummt. Das Gefühl, das sich noch hinterherhinkt mit dem Wachstum, weil Vertrieb und Aboverwaltung: ND-Vertrieb (030) 2978-1800 gegen die Gläubiger*innen durch- Lohn angepasst werden, anderer- um die bisher sehr erfolgrei- innen sind global organisiert. wird, bei der bereits drei männliche Redner die Frage, ob die Gesprächspartnerin mögli- einstellt, wenn wir dann betreten zu Boden es nicht »wettbewerbsfähig« ist, weil es »Refor- E-Mail: [email protected] gesetzt werden. seits sollte der Tatsache Rech- chen Blockaden der Gerichte zu feststehen, entsteht unmittelbar der Gedanke: cherweise auch etwas dazu zu sagen weiß. schauen – nicht angenehm. Und es wird nicht men verschlafen« hat, sie kritisieren Politik, Anzeigenverkauf: Die vielen Ausnahmen bei der nung getragen werden, dass die umgehen. Bereits zum 1. Sep- Es geht um die Quote, nicht um mich. Es ist auch solche kommunikative Machtaus- besser, wenn wir uns vor Augen führen, wie die zu weich und nett zu den Menschen ist und tts offi ce support, Bettina Mützel Anwendung der Regel und die Banken durch umfangreiche tember sollte damit begonnen Kritik an mangelnder Sichtbarkeit von übung, die hierarchische Geschlechterordnun- heute Mädchenförderung oder Fraueneman- loben Strenge, Autorität und Konsequenz, weil Marburger Straße 2, 10789 Berlin, Abhängigkeit vom Gutdünken der staatliche Subventionen bereits werden. Frauen, insbesondere im ökonomischen, öf- gen am Leben hält. Das wurde sogar schon un- zipation als Anpassung an diese falschen Zu- Maßnahmen mit zunehmender Härte immer (030) 85 99 46 240 Richter*innen schreckte viele, zu Beginn der Krise für ihr Ende November starteten nun Björn Tvätt ist fentlichen Diskurs, auf Podien, in Talkshows tersucht: Eine Studie der Princeton University stände verstanden wird: »Lerne, dich durchzu- besser werden. Männer können sagen, wann E-Mail: info@tts-offi ce-support.de vor allem ärmere Menschen, da- Risiko entschädigt worden waren. die ersten Online-Auktionen. Stadtpolitischer und Publikationen, wird oft genug geübt. Aber zeigte 2012, dass der Anteil der Redezeit von setzen!« Und wir hören mit: Sei wie ein Mann. die nächste Krise kommen wird und erklären, Anzeigenverwaltung: Christian Hoppe (030) 2978-1844 vor ab, fi nanzielle Mittel und Mit dem Ziel aufzuzeigen, Auch der kürzlich beschlossene Aktivist aus Berlin. mal ehrlich: Wie weit reproduzieren wir Frauen Frauen in gemischt zusammengesetzten Ar- Und so bleibt unsere Erfahrung als Frauen wie es zur letzten gekommen ist. Zweifelsfrei. E-Mail: [email protected] psychische Kraft aufzubieten und dass nicht die oder der Einzelne strengere gesetzliche Schutz Der Beitrag selbst diesen Zustand? beitsgruppen signifi kant geringer war als je- eine der Herr-Schaft. Das hat mehr mit Öko- Denn Unwissenheit ist Schwäche. Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, sich durch das Verfahren zu Schuld hat, sondern Krise und von Notaren ist hier wichtig, denn erschien zuerst in der Zeitschrift Wie oft haben wir Anfragen abgesagt? Mit ner von Männern. Und Victoria L. Brescoll nomie zu tun, als vielen bewusst ist. Ökono- Aber: Wer hat die letzte große globale

Am Wasserwerk 11, 10365 Berlin kämpfen. Verständlich, denn nur Memoranden zur Zuspitzung der zuletzt hatten sich einige »contraste«. guten Gründen, sicherlich: Ich habe keine Zeit, von der Yale University hat am Beispiel des mie ist – salopp gesagt – ein Jungsthema. Es Krise vorausgesehen? Waren nicht alle ▼ 4 OXI | 2 | 18 SCHWERPUNKT 5

Eine zweite stille Revolution Die Zahl der Ökonominnen wächst, und doch sind die Wirtschaftswissenschaften immer noch eine Männerdomäne. Das hat Folgen: für die Inhalte, für die Einkommen, für Einfluss und für Posten

▼ überrascht? Wirtschaftliche Ergeb- TOM STROHSCHNEIDER gewachsen, 2010 waren es bereits 15,4 und Inzwischen gelangen Wirtschaftsakade- Birgit Erbe von der Frauenakademie Mün- nisse stellen sich im Kapitalismus oft 2015 dann 17,2 Prozent. mikerinnen vermehrt in Positionen, die für chen und die Mitgründerin der Frauengenos- Die Ökonomie braucht erst im Nachhinein dar, vieles hängt ab s ist nicht lange her, da meldete Die »Wirtschaftswoche« beobachtete vor Das Bild von sie früher unerreichbar waren, heißt es beim senschaft WeiberWirtschaft, Claudia Neusüß, von Unberechenbarkeiten. Und trotz- das Statistische Bundesamt, der ein paar Jahren, wie an Universitäten und For- Deutschen Gewerkschaftsbund – der aber auf haben in einer Betrachtung über die feminis- den Feminismus dringend dem: Unsicherheit, Zweifel, Ratlosig- Anteil von Frauen in der Profes- schungsinstituten »eine neue Generation von Fü hrung orientiert »erhebliche Einkommensunterschiede zu den tische Debatte um die globale Finanz- und keit ist in diesem männlich dominierten sorenschaft an deutschen Unis Top-Ökonominnen« heranwächst. Der Wan- Kollegen« verweist. Das wiederum hat etwas Wirtschaftskrise angemerkt, »immer noch Erklärer-Universum nicht vorgesehen. sei auf 23 Prozent gestiegen. del »in der ehemaligen Männerdomäne« zeige sich noch immer mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind kaum Frauen an exponierteren Stellen Katharina Mader arbeitet am Institut »Ökonomen wollen die Welt erklären«, Fast ein Viertel! Es klang wie eine sich etwa daran, dass 1993 »nur 15 Prozent der zu tun, wie man aus der bereits genannten Stu- der Wirtschaftswissenschaften zu fi nden und zitiert der Autor des bereits erwähnten Efrohe Botschaft. In absoluten Zahlen für 2015, Volkswirte, die eine Promotion abschlossen, an den tradierten die »Auf halbem Weg« lernen kann, an der ne- Wissenschaftlerinnen, die sich mit Makroöko- für Institutionelle & Heterodoxe Ökonomie Standard-Artikels eine Geschlechterfor- neuere Daten lagen nicht vor, waren das bun- weiblich« waren, gut 20 Jahre später wurde ihr ben Dorothea Schmidt auch Andrea-Hilla Carl nomie aus feministischer Perspektive beschäf- scherin. Und, so ergänzt sie, das mische desweit genau 10.501 Professorinnen. Das sind Anteil mit über 30 Prozent taxiert. Etwas weni- mä nnlichen und Friederike Maier mitwirkten. tigen, sind rar.« sich »mit einem gewissen Größenwahn«. fast doppelt so viele wie noch zehn Jahre zuvor. ger schnell zieht die Zahl der Habilitandinnen Bei der Einschätzung der Aussichten auf die Das macht sich dann natürlich im gesamten m Jahr 2017 erhielt sie den 16. Wiener Frauenpreis, da war die Denn wer erklären kann, der hat Kont- »Stetig« sei der Anstieg, hieß es in Wiesbaden. in der Ökonomie an: 1981 waren es fünf Pro- Lebenswirklich- eigene Berufsbiografi e – man kann auch sagen Fach bemerkbar. Auch Claudia Goldin hat die 1981 in Wien geborene Ökonomin auch schon recht bekannt. So- rolle über die Realität. Oder kann sich das Man darf hinzufügen: Der Zuwachs voll- zent, zwei Jahrzehnte danach »durchschnitt- die Karriere – refl ektieren Frauen die ungüns- Volkswirtschaftslehre, so wie sie an den Unis I weit Frau bekannt werden kann, wenn sie sich mit Wirtschafts- zumindest einbilden. zieht sich immer noch langsam, wenn man die lich 20 Prozent«, so das Magazin damals. keiten. tigen Bedingungen oft schon mit »und fühlen immer noch meist gelehrt wird, als abschre- wissenschaften beschäftigt. In Österreich ist das allerdings ein Natürlich, es geht hier nicht um bio- gleichstellungspolitischen Schaufensterre- Auch die »Frankfurter Allgemeine« sah vor sich stärker als Männer dafür zuständig, funk- ckend für Frauen bezeichnet. Diese wollten wenig anders, als in Deutschland. Dort gibt es zum Beispiel an der logische Determinationen. Nicht alle den zum Maßstab nimmt. Und es handelt sich einiger Zeit »eine neue Generation von Ökono- tionierende Arrangements zu fi nden«. Hinzu »über Fragen nachdenken, die am Menschen Wiener Universität das Institut für Institutionelle & Heterodoxe Männer sind so. Und auch nicht alle um einen Zuwachs, der es bisher praktisch im- minnen« heranwachsen, wenn auch nur »lang- kommen gesellschaftliche Rahmenbedingun- orientiert sind, und sie wollen Lösungen«. Ökonomie, an dem Katharina Mader seit 2007 arbeitet. Frauen sind anders. Wir haben gelernt, mer noch nicht über ein relativ erbärmliches sam«. Die Zeitung illustrierte dies mit folgen- gen, »die das Geschlecht immer noch zu einem Immerhin: Beim DGB heißt es, es gebe inzwi- Man kann heterodoxe Ökonomie mit »abweichende Wirtschaft« zu unterscheiden zwischen Sex und Niveau hinausgeschafft hat. Nicht einmal ein den Zahlen: Anfang der 1990er Jahre habe es Kriterium der Differenz machen, aber auch die schen »mehr Studentinnen der Wirtschafts- übersetzen. Das klingt ein wenig komisch, aber nichts könnten Gender, trennen in ein biologisches Ge- Viertel der Professuren wird von Frauen be- »in Deutschland sieben weibliche VWL-Profes- ungleicher Geschlechterverhältnisse wie auch betrieblichen Einstellungs-, Personal- und Or- wissenschaften als zum Beispiel der Germanis- wir so gut vertragen, wie vom Mainstream abweichende Wirt- schlecht – wie binär oder auch nicht es setzt. Die Hochämter des Akademischen – eine soren« unter den »insgesamt 313« Lehrstuhl- als Gradmesser für diese: Wer oben landen will, ganisationspolitiken«. tik«. Dafür mögen auch andere Konjunkturen schaftstheorie und dann bitte schön auch -praxis. Katharina Ma- immer sein mag – und die soziale Kons- Dreiviertel-Männer-Gesellschaft. inhabenden gegeben, vor fünf Jahren waren es muss laut der Zeitung »in mindestens zwei Fel- Eine Folge: Ökonominnen bekommen im eine Rolle spielen, etwa die Jobaussichten. der wurde für ihre Arbeiten für feministische Ökonomie geehrt. truktion, in der sich die gesellschaftli- Inzwischen wird vielerorts recht viel da- demnach »60 Frauen von 507 Professuren, also dern Resonanz vorweisen können: in der Wis- Schnitt weniger Gehalt. Ausgebildete Wirt- Zwar verweist die Stiftung für Hochschulzu- Die Ökonomie brauche den Feminismus ganz dringend, sagt die chen Verhältnisse als Geschlechterver- für getan, dass sich das ändert. Es gibt Rege- rund 12 Prozent«. senschaft und in der Öffentlichkeit«. In den schaftswissenschaftler würden schon »höher« lassung darauf, dass die Wahl »geschlechter- Volkswirtin. Ihre Themen: Gender Budgeting (das können wir hältnisse spiegeln. lungen, die bei der Besetzung von Stellen für Dorothea Schmidt hat mit Kolleginnen vor Medien freilich spielen Ökonominnen jenseits einsteigen als ihre Kolleginnen. Je länger man typischer Fächer« heute immer noch stark in Deutschland gerade so buchstabieren, in Österreich sind sie Und so wird die große Bühne zur klei- geschlechtergerechtere Verhältnisse sorgen ein paar Jahren untersucht, »wie es in Deutsch- mancher Echokammer kaum eine Rolle. Und Berufsbiografi en verfolgt, desto größer wird durchschlage. »Den Hintergrund für diese ge- gut vorn), Flexibilisierung am Arbeitsmarkt, Wirtschaftspoli- nen, zur Talkshow, in der sich gemessen sollen. Das Thema ist auch in der Politik nicht land in den letzten Jahrzehnten zur zunehmen- damit werden sie, ihre Ansätze, ihre möglicher- dann der Graben, so Schmidt und Kollegin- schlechtsstereotype Berufs- und Studienfach- tik und Gender. wird am Redeanteil, an Selbstgewissheit mehr nur eines unter ferner liefen. Wer auf das den Feminisierung wirtschaftswissenschaft- weise alternativen Erklärungen auch diskur- nen. Nach zehn Jahren verdienen Wirtschafts- wahl bilden oft auch unterbewusst Geschlech- Sie habe, sagt Mader, bei ihrem Studium der Volkswirtschafts- und Selbstsicherheit, daran, wer die Welt Missverhältnis hinweist, wird heute nicht län- licher Ausbildungsgänge gekommen ist«. Die siv verbannt. akademikerinnen nur 72 Prozent des Gehalts terrollenbilder, die nach wie vor Männlichkeit lehre an der Wiener Universität schnell erkannt, dass, was da ge- am überzeugendsten erklärt und damit ger sofort als Quotenfuzzi abgetan. Und es ist Ergebnisse wurden seinerzeit unter dem Titel Wenn hierzulande ein Wirtschaftsexperte männlicher Kollegen. mit Technik und Weiblichkeit mit sozialen und lehrt wird, mit der weiblichen Lebensrealität nur bedingt etwas zu zumindest theoretisch im Griff hat. Auch »normaler« geworden, dass Frauen erfolgreich »Auf halbem Weg« veröffentlicht. aktuelle Politik kommentieren soll, spricht Die Sache bekommt noch schärfere Kontur, kommunikativen Kompetenzen verbinden.« tun hat. Und oft genug musste sie hören, Frauen und Formeln pass- wenn es noch so viele verschiedene Mei- in die Spitzenjobs der Wissenschaft drängen. Die Wirtschaftswissenschaften seien »in den eine Handvoll »Top-Ökonomen«. Und eben wenn man sich vergegenwärtigt, dass heute Allerdings würden langsam diese »traditionel- ten nicht zusammen. nungen dazu gibt, auch wenn noch so Das schafft Vorbilder und befeuert auch beim letzten Jahren von einem Männer- zu einem fast keine Frau. Schnabel ist als Mitglied im etwa die Hälfte der Studienanfänger Frauen len Muster … aufgebrochen«. Die Volkswirtin und feministische Ökonomin erforscht, wer wel- viele Zweifel im Raum stehen, am Ende Nachwuchs das Selbstbewusstsein. gemischten Studienfach und zur quantitativ Sachverständigenrat der Regierung eine der sind und die ökonomischen Fachrichtungen Nimmt die zweite stille Revolution also jetzt che Arbeit im Haushalt macht und wie sich das Einkommen darauf bleibt ein Wettrennen um die beste Per- Und doch bleibt es ein langsames Aufschlie- wichtigsten Disziplin für junge Frauen gewor- Ausnahmen ebenso wie die Energieexpertin bei der Studienplatzwahl eine führende Rolle Fahrt auf? Zumindest sind die Voraussetzun- auswirkt. In Österreich sind 51 Prozent aller Arbeiten unbezahlte formance, um Dominanz, Leistung und ßen zu einer Selbstverständlichkeit. In den den«, wird das Ergebnis beschrieben. »Es hat Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für bei den Studentinnen spielen. gen so gut wie bisher nicht. Mehr Professorin- Arbeit, wenn auch notwendig dafür, dass Gesellschaft überhaupt Potenz. vergangenen Jahren ist dabei auch das Inter- sich gewissermaßen hinter dem Rücken der Wirtschaftsforschung. Das Ganze funktioniert Noch 2014 veröffentlichte das Forschungs- nen, mehr plurale Ökonomik, mehr Netzwerke funktioniert. Wenn wir daran etwas ändern wollen, esse an den Zuständen in den Wirtschaftswis- meisten Beteiligten eine Veränderung von er- dabei wie eine Art Kreislauf: Experte wird man institut zur Zukunft der Arbeit Ergebnisse ei- selbstorganisierter Wirtschaftswissenschaft- Die Deutschen leisten im Jahr rund 89 Milliarden Stunden un- wird uns eine Quote allein nicht reichen. senschaften gewachsen. Jede Menge Zahlen il- heblicher Tragweite ergeben.« auf der öffentlichen Bühne, und die öffentli- ner Studie über Großbritannien, welche eine lerinnen. Aber noch ist es ein ganzes Stück Weg. bezahlte Arbeit. 69 Milliarden Stunden sind bezahlte Arbeit. Bis- Nicht in den Wirtschaftswissenschaf- lustrieren diese »zweite stille Revolution« – als Hinter dem Rücken auch der Öffentlich- che Bühne holt sich Rat und Zitat bei Experten. Hauptursache darin sah, »dass Frauen auf- Die in Harvard lehrende deutsche Ökonomin lang beschäftigen sich nur feministische Ökonominnen mit diesem ten und auch sonst nicht. Das Gute ist, erste wurde die steigende Erwerbsbeteiligung keit. Denn so sehr man die Fortschritte beto- Die Geschechterverhältnisse in der Ökono- grund kultureller und sozialer Prägung schon Iris Bohnet hat vor ein paar Wochen im »Spie- Ungleichgewicht, aus dem sich ableitet, dass es mit dem Bruttoso- dass immer mehr kritisch darüber nach- von Frauen insgesamt bezeichnet, den Begriff nen sollte, weil sich darin zeigt, dass Wandel mik sind zugleich Ausdruck einer allgemei- im Kindesalter wenig Interesse für Mathema- gel« gefordert, »Schulen, Universitäten, Fir- zialprodukt als alleinig seligmachende Kennziffer nicht weit her gedacht wird, ob eine Quotierung unter prägte die US-Ökonomin Claudia Goldin, die in möglich ist, so realistisch muss man bleiben. Im nen Schiefl age. Das geht bei der Frage der Auf- tik zeigen und sich folglich deutlich seltener men und öffentliche Institutionen« so zu ge- ist. Eine Ökonomie jedoch, die nicht nur Löhne und bezahlte Arbeit den gegebenen Verhältnissen nicht eher Harvard Volkswirtschaft lehrt. aktuellsten Ökonomen-Ranking der »Frank- stiegschancen los, betrifft die Vereinbarkeit für ein VWL-Studium entscheiden als Män- stalten, »dass sich dort Menschen unabhängig misst, wäre keine reine Männerwirtschaft mehr. Das ist nun wirk- zur Aufforderung wird, bei einem Spiel Nun also auch in der Ökonomik? Frauen furter Allgemeinen« taucht die Bonner Wirt- von Familie und Beruf und hört bei den Ein- ner«. Die Geschlechterunterschiede bei den von ihrem Geschlecht oder auch ihrer Haut- lich nicht gewollt. mitzumachen, bei dem es darum geht, seien »eine (stark) wachsende Minderheit«, schaftswissenschaftlerin Isabel Schnabel auf kommensbedingungen nicht auf. Vorlieben für bestimmte Fächer seien aber farbe behaupten« können. Dazu braucht es po- Katharina Mader wird vermutlich eine der ersten Frauen im dass alles andere bleibt, wie es ist. Das heißt es etwa in der Metastudie über Selbstbe- Rang 11 auf – als eine von drei Frauen unter Die Münchner Ökonomin Monika Schnit- »keineswegs naturgegeben, sondern primär litischer Eingriffe. deutschsprachigen Raum sein, die zur feministischen Ökonomie Bessere wäre, die Verhältnisse so zu än- schreibungen bundesdeutscher Wirtschafts- den ersten 30. Nun wird man sagen dürfen, zer hat einmal auf die Schwierigkeiten hin- ein Ergebnis kultureller Prägung«, so einer der Dazu würde aber auch gehören, mit Kritik an habilitiert. Und Frau kann ja mal träumen: 70 Männern, die einen dern, dass niemand mehr das ungute Ge- wissenschaftler, die Thomas Fricke unter dem dass sich der zu geringe Anteil an Ökonomin- gewiesen – der Weg zur Professur ist lang und Autoren, Mirco Tonin. bestimmten Denkweisen nicht Halt zu machen. Wirtschaftsnobelpreis erhalten haben, steht bislang eine Frau, Eli- fühl ertragen muss, ein Spiel spielen zu Titel »Altes Einheitsdenken oder neue Viel- nen in der Forschung und der Lehre auch in sol- nicht eben mit Familienplanung kompatibel. Ein Faktor tritt noch hinzu: der Inhalt der In der erwähnten Studie von Thomas Fricke nor Ostrom, gegenüber. Simon Kusznets, US-amerikanischer Öko- müssen, dessen Regeln sie oder er nicht falt?« 2017 vorgelegt hat. Immerhin sei die chen Experten-Listen niederschlagen muss. In dem Moment, wo Frauen mit Kindern dann herrschenden ökonomischen Lehre. »Feminis- erfährt man, dass 2010 bei einer Umfrage un- nom russisch-jüdischer Herkunft, ist einer der 70, er erhielt den mag. Entwicklung eindeutig – weg »von einer fast Die Tatsache, dass in diesen Charts der Frau- zum Beispiel in Teilzeit gingen, setze oft ein tische Ökonominnen wollen sich nicht verar- ter Wirtschaftswissenschaftlern über 50 Pro- Nobelpreis im Jahr 1971 und arbeitete maßgeblich an der Entste- ausschließlichen Männerwissenschaft«. Bei enanteil unter den Top 30 bei nur zehn Pro- Karriereknick ein. Schnitzer übrigens wurde schen lassen von der klassischen Wirtschafts- zent für den geringeren Anteil von Frauen de- hung des Bruttosozialprodukts als Kennzahl mit. Kusznets emp- Sabine Nuss hat mit einer ökonomie- einer Befragung 1981 lag der Anteil der aka- zent liegt, belegt aber auch, wie langsam sich als erste Frau zur Vorsitzenden des Vereins für theorie, die nur ein Geschlecht kennt, weil allein ren mangelndes Interesse als Grund angaben. fahl damals, unbezahlte Arbeit einzuberechnen. Dieser Empfehlung kritischen Arbeit promoviert und demisch tätigen Ökonominnen noch »bei ver- die Verhältnisse ändern. Socialpolitik gewählt, so etwas wie der Dach- ein Geschlecht sie geschaffen hat«, hat die »Süd- Mehr noch: Vier Prozent meinten gar, Frauen wurde nicht gefolgt. Dies prangerten feministische Ökonominnen ist Geschäftsführerin des Berliner Karl schwindenden 4,8 Prozent«, bis 2006 war der Dabei erweist sich die Methode des Ran- verband der Wirtschaftswissenschaften in deutsche Zeitung« das einmal aus dem Blickwin- könnten weniger geeignet sein für ökono- und Feministinnen bereits in den 1960er und 1970er Jahren an. Dietz Verlages. Anteil in einer anderen Studie auf 13 Prozent kings zugleich als Motor der Reproduktion Deutschland. kel der Kritikerinnen auf den Punkt gebracht. misch-analytisches Denken. Geändert hat sich nichts. kge 6 OXI | 2 | 18 SCHWERPUNKT 7

immer sehr viele Frauen dort stu- zu hören bekommen: Mit dem was an Erfahrungen in dem anderen Der Handel mit Grundnahrungs- diert haben. Ich würde fast sagen, Thema kannst du auch in die CDU Wirtschaftssystem gemacht mitteln hat an der Börse nichts fünfzig-fünfzig. Auch bei den Außen- oder FDP gehen. Dieses »die wurde. Obwohl man daraus hätte zu suchen. Mit Weizen, Mais, Reis wirten. Linken haben mit Wirtschaft nichts lernen können. Dass man Res- usw. darf nicht spekuliert werden. am Hut«, ist natürlich ein Tot- sourcen und deren Verbrauch pla- Das ist pervers. Die einen scheffeln Das war bis zum Schluss so, die schlagargument, aber wir selber nen muss, klingt so selbstver- Geld damit, die anderen verhun- gute quotierte Studentenschaft? haben auch viel Anlass gegeben. ständlich. Wird aber nicht gemacht. gern. Reparaturfähigkeit von tech- Ja, bis zum Schluss. Wer aber nicht in die Zukunft nischen Konsumgütern ist ein Ist das heute auch noch so? schauen und entsprechend planen Gewinnerthema. Es gibt so viele Trotzdem waren Sie mit der Bis zur Stunde geben wir nicht will, fährt an den Baum. ganz praktische Dinge, die man Karriere, die Sie dann gemacht wenig Grund, dass dieses Argument Heute ist an den Universitäten heute anfassen kann und muss. Ich haben, doch eher die Ausnahme immer wieder aufgewärmt wird. und Hochschulen die dominierende wünschte mir, dass wir solche in der DDR und nicht die Regel. Wirtschaft wird oft als »Sündenba- Denkschule die Neoklassik. Die Dinge viel deutlicher auf die Tages- Also die Gründungsrektorin der HfÖ bel« gesehen. Und Skandale wie in der Politik als Neoliberalismus ordnung setzen und so bei Men- war Professor Eva Altmann, die Steuerhinterziehung von Konzer- erscheint. Wer sich dem nicht schen Aufmerksamkeit für linke hat Politische Ökonomie gelehrt. nen, Abkassierung öffentlicher anschließt, hat es schwer, berufen Politik erreichen. Vielleicht lag darin schon ein Fördergelder und anschließende zu werden auf freiwerdende Grund, dass Frauen an der Hoch- Betriebsverlagerung ins Ausland, Lehrstühle. Die letzten Marxisten Woher rührt Ihrer Meinung schule Aufmerksamkeit genos- steigende Börsenkurse bei angekün- sind aus der Hochschullandschaft nach die Deutungshoheit, Deu- sen. Es gab Frauenförderungspläne. digter Entlassung von Beschäftig- verschwunden, Keynesianer kann tungsmacht der Ökonomen? Gut, die gab es ja überall. Aber ich ten usw. erhärten diesen Eindruck. man mit der Lupe suchen. Wobei, Ich sehe es gar nicht so, dass die eine kann mich erinnern, dass eine ganze Aber Wirtschaft ist ein Hauptbe- die Nachfolgeeinrichtung der HfÖ so hohe Deutungsmacht haben. Reihe promovierter, dann habili- reich der Gesellschaft, vor allem und die Universität Bremen wohl Was haben wir in der Bundesrep tierter Frauen, sofern es Stellen gab, dort fi ndet Wertschöpfung statt zwei Einrichtungen sind, die da eine u blik? Diesen Sachverständigen- zur Professorin berufen worden und das bedarf der konstruktiven Ausnahme darstellen. Da soll es rat. Wenn der seine dicken Papiere sind. In der Zeit, die ich überschaue, Aufmerksamkeit. Keynesianer geben und manche von mit den »Sachzwängen« vorlegt, gab es jedoch in der ganzen DDR, denen haben sogar einen gewissen bekommt er ja auch Gegenwind. Dass wenig Rektorinnen. An der TU Dres- Als Sie 1988 Rektorin der HfÖ marxistischen Einschlag. die Wirtschaftsweisen komplett den, in Merseburg und dann eben wurden, haben Sie in Ihrer durchdringen mit ihren Thesen, ab 1988 mich an der Hochschule für Antrittsrede gesagt: Ich möchte, Findet die Einteilung in Schulen kann ich nicht sehen. Ökonomie. dass dieses große Potenzial, weiterhin so starr und den alten Ich bedaure eher, dass über dieses das wir im Lehrkörper und unter Frontlinien folgend statt? Gremium hinaus nicht andere Wir könnten also mal kühn behaup- den Studenten haben, nicht Es gibt ja den Verein für Socialpoli- Denkwerkstätten offi ziell und regel- ten, die universitäre Landschaft, dazu da ist, immer im Nachhinein tik, der alle deutschsprachigen mäßig von der Politik wahrgenom- die Forschungslandschaft ist heute bejubeln zu müssen, wie weise Ökonominnen und Ökonomen um- men und richtig abgefragt werden. weitaus stärker als in der DDR die Parteiführung wieder Beschlüs- fasst. Und da gab es vor Jahren Ich meine zum Beispiel die Arbeits- eine Männergesellschaft. se gefasst hat, sondern ich mal eine Umfrage, wer sich wie ein- gruppe »Alternative Wirtschafts- Können wir. Als ich Ende 1960 mit möchte, dass wir im Vorfeld sortiert. Viele haben gesagt, sie politik«, die solide Analysen und Be- dem Studium fertig war – ich wollte daran mitarbeiten können. wollen sich nicht einsortieren lassen. richte vorlegt. Und oft hat sich übrigens gar nicht an der HfÖ Auf den Satz bin ich bis heute stolz. Als Marxist hat sich niemand zu bestätigt, was sie vorausgesagt hat. bleiben und hatte schon einen Ar- Es hätte schiefgehen können. Ich erkennen gegeben, als Keynesianer Aber deren Arbeiten werden beitsvertrag mit einem Außen- sehe, während der Saal applaudierte, schon. Aber unter Studierenden überhaupt nicht zur Kenntnis ge- handelsbetrieb –, hatte die Hoch- die betretenen Gesichter der gibt es Bewegung und auch unter nommen. Das ist ein Skandal, schule plötzlich sieben Assisten- Ehrengäste in der ersten Reihe jüngeren Hochschullehrern, die ein selektiver Umgang mit ökono- tenstellen zu besetzten. So etwas vor mir. Und später ist mir auch unzufrieden sind mit dem vorherr- mischer Wissenschaft. gibt es heute gar nicht mehr. gesagt worden, dass ich so kesse schenden Curriculum. Mit der Wenn sich Leute mit hoher Exper- Dann wurden aus meinem Studien- Reden nicht allzu oft würde theoretischen Enge. Sie vermissen tise zusammensetzen und etwas jahr sieben Absolventen ausge- halten können. Wirtschaftsgeschichte, Geschichte sagen, was nicht in den Kram passt, sucht und gefragt, seid ihr für den ökonomischer Lehrmeinungen, eben dann werden sie totgeschwiegen. Frieden oder nicht, und kamen Sind Sie denn in dieser kurzen neben Hayek und Friedman auch Aber die man sich einmal als Exper- »Die Praxis wird uns zwingen, auf die Assistentenstellen. Sechs Zeit, die noch blieb, gefragt worden, Smith, Ricardo und Marx, Ethik, tise rausgesucht hat, werden doch Männer und ich. Durchgehalten bevor die Partei ihre Beschlüsse Verhaltensökonomik und vieles ohne Ende gehypt. bis zur Abwicklung der HfÖ haben fasste? mehr. Aber das hängt doch von der mit Unterbrechung durch Aus- Ich hatte sofort Arbeitsgruppen Regierung ab und vom Parlament. landsaufenthalte ein männlicher gebildet, 14 an der Zahl, die für den Sie sind also verhalten optimis- Letzteres müsste den einseitigen die Dinge anders zu betrachten« Kollege und ich. Es gab damals zehnten Parteitag im Mai 1990 tisch? Umgang mit der Wissenschaft viel FRAUEN IN DER DDR eben auch Stellen. Und in der Praxis zuarbeiten sollten. Dann haben wir Ich glaube, da kommt Bewegung mehr in den kritischen Blick waren viele Positionen zu be- die Ergebnisse dieser Arbeit an hinein, wenn auch sehr langsam. nehmen. In der DDR lag 1989 die Er- Die Ökonomin und einstige DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft über setzen. Die Zeit ist also mit der ZK-Abteilungen und die Ministerien Aber die praktische Situation wird werbsquote der Frauen laut heutigen nicht vergleichbar. geschickt. Das höchste, was wir auch die Theorie drängen, be- Es werden zu wenige und offi ziellen Angaben bei 87,1 eine verloren gegangene Selbstverständlichkeit und Macht oder Ohnmacht der bekamen, war eine Eingangsbestä- stimmte Dinge anders zu betrach- dann auch noch die Falschen Prozent. Rechnet man die Machen wir den Sprung in die Wen- tigung. Meist aber gar keine ten. Wenn man sich nur mal zur Kenntnis genommen? Auszubildenden dazu, kommt dejahre und in das andere Sys- Reaktion. In den Zeiten davor wurde anschaut, wie der Ökonom Peter Ja, und was ich beobachte in den man auf eine Quote von über Wirtschaftswissenschaften tem. In meiner Wahrnehmung er- uns oft gesagt, dies und das ginge Bofi nger, der im Sachverständi- letzten Jahren: Der wortmächtigste 91 Prozent. Zum Vergleich: klärten von da an nur noch uns alles nichts an, wir sollten uns genrat sitzt, von den anderen vieren unter den Ökonomen war ja lange In der Bundesrepublik lag die Frauenerwerbsquote zu dieser Frau Luft, wie war es in der Zweig, und den Stoff neben dem Smith und Ricardo angesagt. sondern einfach wissen lassen: Männer, wie Wirtschaft funktio- da nicht einmischen. Heute sage abgewatscht wird. Immer wieder. Hans Werner Sinn. Wenn solche Zeit bei nur rund 50 Prozent. DDR, wenn man als Frau Ökono- normalen Studienbetrieb zu Wir haben uns mit deren Auffas- Alle haben jetzt den Zugang. niert. Sie waren eine Ausnahme als ich: Für die damalige Zeit war das, Nur weil er eine andere Meinung hat. Leute dann raus sind aus ihren In der DDR waren rund 27 Pro- min werden wollte? bewältigen, war unmöglich. ABF sungen zwar kritisch auseinan- Bereits Mitte der 1980er Jahre wirtschafts- und haushaltspoliti- was wir da versucht haben, schon Wenn man sich die eine Alibifrau bestallten Funktionen, fangen sie zent der arbeitenden Frauen in Darüber habe ich mir bislang war wirklich von morgens bis dergesetzt, aber sie gehörten zum hatte ich für jährlich zehn bis sche Sprecherin der PDS-Fraktion etwas kühn. Aber gemessen an dem, anschaut, die sich dieser Rat der plötzlich an, manche alte Denk- Teilzeit beschäftigt. Ein Grund tatsächlich nicht allzu viel Gedan- abends, einschließlich eines be- Lehrprogramm. Doch es war ein 15 Studierende mit der Ökonomi- und vorherige Wirtschaftsminis- was notwendig gewesen wäre, Weisen leistet. Die dort gut rein- schablone abzustreifen und ein für die hohe Erwerbsquote ken gemacht. Was dafür spricht, wachten Mittagsschlafes, ein großes Manko und das bedauere ich schen Universität Wien eine terin der Modrow-Regierung. nicht ausreichend. Wir hatten schon passt. Es müssen sich viele Dinge wenig zur Vernunft zu kommen. der Frauen war zweifellos der dass es eine große Selbstverständ- durchorganisiertes System. Ich bis heute, dass wir mit bürger- Vereinbarung über ein zunächst Es gibt ja den ewigen Vorwurf, oft die Faust in der Tasche ändern. Ich glaube eher, dass nicht die große Bedarf an Arbeitskräf- lichkeit hatte. Ich bin auf dem habe dort viel gelernt, zum licher Literatur kaum im Original einsemestriges, dann zweise- die Linken können Wirtschaft nicht. und haben sie nicht auf den Tisch Wirtschaftswissenschaft mächtig ten, zugleich wurde die Gleich- Dorf groß geworden. Meine Eltern Beispiel auch gut Russisch. in Berührung kamen. Wir sollten mestriges Zusatzstudium getrof- Und ich muss sagen, in unserer gehauen. Da es in der Öffentlichkeit so ist, selbst bei diesen Sachverstän- berechtigung politisch hoch- hatten Tiere und für mich stand uns mit den Lehren der bürgerlichen fen. Trotz einiger Hürden hat Gruppe hat sich auch niemand um wenig Ökonominnen gibt, digen. Stattdessen sind es die Lobby- gehalten. Was nichts daran änderte, dass an den Schalt- fest: Wenn es mal dazu kommt, dass Wie ging es weiter? Ökonomen auseinandersetzen, es geklappt und blieb bis zur Ab- das Thema beworben. Wirtschaft Trotzdem wurde die HfÖ kritisch lässt sich gegenwärtig auch isten. Wir leben doch in einem hebeln der Macht von SED und du studierst, dann machst du Dann kam, wie der Zufall es will, eine bekamen die aber nur über Sekun- wicklung der HfÖ erhalten. und Finanzen waren »harte« The- beäugt. schwer sagen, ob anders System, das durchdrungen ist von Politik fast ausnahmslos Män- Veterinärmedizin. Ich wusste auch Delegation der neugegründeten därliteratur zur Kenntnis. Das Der Effekt war ein doppelter. Nach men, Frauen haben da nicht Nach der Wende hat Margot über Wirtschaft geredet würde, Lobbyisten. Das sind die Einfl üs- ner zu fi nden waren. Zugleich Christa Luft, Jahrgang 1938, schon, dass ich in das Tierseuchen- Hochschule für Außenhandel in ist natürlich kein guter Weg, wenn Rückkehr aus Wien berichteten Schlange gestanden. Das machst Honecker in einem Gespräch mit gäbe es nur mehr Frauen. terer, die der Regierung schon bevor gab es aber vor allem seit der ist Ökonomin und leitete ab 1988 forschungsinstitut der DDR auf der Berlin-Staaken. Die suchten man eine Auseinandersetzung die Teilnehmer, auf welchen du, hat man einfach zu mir ge- einem Journalisten gesagt, die Man kann nichts generalisieren. Und der Sachverständigenrat seine 1970er Jahren eine Reihe um- die Hochschule für Ökonomie Insel Riems gehen werde. Nach Interessenten. Ich stand vor der wünscht, zu verweigern, dass die Gebieten man dort weiter ist als bei sagt. Ich wusste, dass ich es von jetzt Hochschule für Ökonomie sei schon wir können mangels praktischer Gutachten veröffentlicht, längst fangreicher sozialpolitischer in Ostberlin. In der sogenannten der 11. Oberschulklasse wurde ich Aufgabe, mir ein anderes Metier Studenten dann auch im Original uns. Aber sie wussten nach dieser an in den anderen Fraktionen mit immer eine revisionistische Beweise auch nicht verallgemeinern, gesagt haben, was sie zu tun Maßnahmen zur Frauen- und Übergangsregierung unter dann aber nach delegiert, zu suchen und entschied, dass ich lesen können. Das hat mich von Be- Vergleichsmöglichkeit auch, bestim- Abgeordneten zu tun haben werde, Denkfabrik gewesen. Und da habe dass Ökonominnen andere Vor- und was sie zu lassen hat. Familienförderung – von ei- Hans Modrow war sie Ende 1989, auf die Arbeiter- und Bauernfakul- mich dort bewerbe. Ich hatte ja ginn an gestört. Als ich 1988 mte Umstände des Studiums in die alle einen neoklassischen ich gedacht: Ihr habt bis zum schläge unterbreiten würden, einen ner liberalen Abtreibungs- Anfang 1990 Ministerin für tät, ABF. Mit verstärktem Rus- Interesse an Politik, Wirtschaft und Rektorin der Hochschule für Öko- der DDR besser zu schätzen. Ausbildungshintergrund hatten: Schluss nichts begriffen. Als Revi- anderen Blick auf den Umgang Was halten Sie von feministischer politik angefangen über das bezahlte Babyjahr, eine um- Wirtschaft. Von 1994 bis 2002 sischunterricht. Fremdsprachen. Das passte also. nomie wurde, war eine meiner Homo oeconomicus, der Markt sionismus galt alles, was auch mit Ressourcen, mit dem Planeten Ökonomie? fangreiche staatliche Kinder- war Christa Luft Bundestags- Und mich haben Außenwirtschaft, ersten Amtshandlungen, den Zu- Können Sie sich erinnern: Gab es richtet alles, der Staat muss sich nur ein wenig von den orthodoxen haben. Ich gebe zu, dass dies nie mein Spe- betreuung bis hin zur bezahl- abgeordnete der PDS. Eine Auszeichnung, die zugleich Weltwirtschaft interessiert. gang zu den »Giftschränken« in der Phalanx derer, die damals weitgehend raushalten. Es herr- Parteibeschlüssen abwich. Ich fi nde auch die Linken sehr zialgebiet war. Aber unter den ten Freistellung bei Krankheit ein Marschbefehl war. 1958 wurde diese Hochschule wie zu erleichtern, in denen die bürger- gelehrt wurden, eine Ökonomin? schte die Ideologie der sogenannten einseitig, wenn die sagen, man vielen neuen Ansätzen, die es gibt, der Kinder und einem Kündi- Das Gespräch führte Das war ein Problem in der DDR. zuvor 1956 die Hochschule für liche, die Westliteratur lagerte. Nein, kann ich nicht. Oder so: Sachzwänge. Ich merkte aber: Wenn Sie sich heute anschauen, komme nur voran in der Gesell- und manche von ihnen werden gungsverbot für alleinstehende Kathrin Gerlof. Die eigenen Entscheidungsspiel- Finanzen Potsdam-Babelsberg mit Das war spät, aber immerhin. Wir haben natürlich auch Rosa Mein Gott, du hast ja auch was zu welches Rüstzeug die Universitä- schaftsentwicklung, wenn man an einzelnen Hochschulen oder von Mütter. Die CDU-nahe Konrad- räume waren ziemlich begrenzt. Man der Hochschule für Planökono- Luxemburg gelesen, die nicht bieten. Trotzdem hieß es immer: ten und Hochschulen in den Be- die Eigentumsverhältnisse um- einzelnen Ökonomen vermittelt, Adenauer-Stiftung dazu: »All konnte sich kaum aussuchen, mie in Berlin vereinigt. Das haben Sie sich getraut? von Hause aus Ökonomin war, aber Sie haben nur Marx und Lenin im reichen Wirtschafts- und Finanz- stürzt. Für die lange, lange gehört feministische Ökonomie auf dies ermöglichte den Frauen was man wo machen möchte. Ich Es entstand die Hochschule für Ich habe nicht gefragt, sondern viele bis heute lesenswerte öko- Kopf, von Marktwirtschaft ver- ökonomie vermitteln, wie bewer- Sicht ist das natürlich richtig. jeden Fall dazu. Ich habe allerdings ein vergleichsweise selbstbe- kam von der Oberschule aus Ökonomie (HfÖ), die größte wirt gemacht. Gerade, wenn die Außen- nomische Texte geschrieben hat. stehen Sie nichts. ten Sie das? Aber warum, frage ich mich, den Eindruck, dass dies in der Breite stimmtes Leben im Rahmen des Systems.« Richtig ist aber einem sprachlichen Zug und wurde schaftswissenschaftliche Lehr- wirtschaftler ihre Arbeiten Aber so wie heute Elinor Ostrom Ich bin erschüttert. Natürlich. Aber, machen wir nicht stärker Druck nicht angekommen ist. Schon gar auch: Die Reproduktionsarbeit in Halle in den naturwissenschaft- und Forschungseinrichtung der DDR. schreiben mussten, war es doch not- sicher in aller Munde ist, so etwas Kamen Sie dagegen an? wer dieses System für das Ende beim Umgang mit Grund und nicht in der Politik. Dieser ganze war in der Regel Frauensache, lichen Zweig gesteckt. Da schrieb ich wendig, sich mit bürgerlicher gab es damals nicht. Es ging sowieso nur, mit handfesten der Geschichte hält, stellt sich gar Boden. Diese Ressource ist nicht Bereich Care-Arbeit, um den die alte Rollenbilder herrschten meine ersten Vieren in Physik Waren die Lehrinhalte vielfältig Wirtschaftswissenschaft zu befas- Argumenten und Beispielen zu nicht die Frage, ob es notwendig vermehrbar und zum Spekula- feministische Ökonomie ja auch fort, das führte zu Mehrbelas- und Mathe, habe das aber rasch auf- oder konzentriert auf die Klassi- sen. Und es war eine unerhörte Aber studiert haben schon viele punkten und sich nicht unterkrie- ist, die eigene Sicht zu ergänzen, tionsobjekt geworden. Warum kann wesentlich kreist. Da wird doch tung und letzten Endes auch holen können. Nach nur einem ker des Marxismus-Leninismus? Prozedur, bevor das genehmigt Frauen? gen zu lassen. In der eigenen sich mit anderen Theorien oder man nicht einen öffentlichen Bo- weiterhin so getan: Das ist Frauen- zu Barrieren, etwa was Karri- Jahr Latein fehlte mir das kleine Bürgerliche Ökonomen spielten wurde, oder oft eben auch nicht. Ja, die Hochschule für Ökonomie, Fraktion habe ich manchmal, wenn Denkansätzen zu befassen. Man hat denfonds bilden, statt immer weiter sache, das wird gemacht und erewünsche angeht. Latinum für den medizinischen eine Rolle. So waren zum Beispiel Ich habe kein Aufheben gemacht, die HfÖ, war bekannt dafür, dass ich mit Wirtschaftsthemen anfi ng, ja auch alles in die Tonne getreten, Ackerland zu privatisieren? Oder: mehr müssen wir dazu nicht sagen. 8 OXI | 2 | 18 SCHWERPUNKT 9

Das Bier danach Geschlechterverhältnisse in der Wissenschaft werden auch durch Netzwerke geprägt

ANNE SCHINDLER Geschlechterverhältnisse und Ökonomie sich gegenseitig beeinfl ussen, in den Hochschulen, mmer mehr Frauen beginnen ein Studium wenn überhaupt am Rande behandelt. der Wirtschaftswissenschaften, doch die Das berühmte Bier danach, das Netzwerk, I höheren Positionen der ökonomischen For- das nicht nur Wissen vermitteln kann, sondern schung und Lehre sind nach wie vor männlich auch Wege bereitet, ist mittlerweile auch unter dominiert. Studien zeigen, dass sich bereits Ökonominnen etabliert: als Mittel, der Män- nach dem Masterabschluss mehr Männer für nerdominanz etwas entgegenzusetzen. eine Promotion entscheiden. Diese Lebens- In den USA gründete sich 1990 das Netzwerk entscheidungen werden durch das Umfeld International Association for Feminist Econo- ermutigt. »Hier greifen bereits geschlech- mics, dem heute über 600 Ökonominnen, Akti- terselektive Mechanismen«, sagt die Wiener vistinnen und Forscherinnen aus 64 Ländern Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer. angehören und das den Wirtschafts- und Sozi- Was ist das Umfeld? Wer über die Geschlech- alrat der Vereinten Nationen berät. In jährlich terverhältnisse in der Wissenschaft reden stattfi nden Konferenzen beraten die Mitglie- will, kann über informelle Netzwerke nicht der unter expliziter Einbeziehung des globalen schweigen. Es gibt Erkenntnisse, dass Stellen Südens drängende Fragen der heutigen Zeit an Hochschulen oft über solche Beziehungen unter feministisch-ökonomischen Gesichts- Anderes als die erreicht werden. Informelle Netzwerke sind punkten. auch heute noch homosozial, das heißt: Es ge- Die diesjährige Konferenz des Netzwerks traditionellen hören meist vor allem Angehörige des gleichen widmet sich den Fragen von Migration, Un- Geschlechts dazu. gleichheit und Widerstand. Wirtschaftspoli- Frauendomänen Solche Netzwerke entstehen während der tische Debatten werden hier nicht in einem Va- Kolloquien, nach Tagungen – beim berühmten kuum aus Theorien geführt, sondern nehmen Bier danach oder der Zigarette zwischendurch. die konkreten Entwicklungen der Welt in den Ulrike Malmendier Die so geknüpften Verbindungen ziehen sich Blick: rechtspopulistische Tendenzen, Klima- durch die Hochschulwelt. Und sie sorgen da- wandel und ungleiche Zugänge zu ökonomi- gehört zu den Stars der für, dass die Ungleichheit bei der Besetzung schen Ressourcen. Theorie wird im Netzwerk von Stellen nicht schneller zurückgeht. Heute immer mit der konkreten Aktion verknüpft. deutschen Ökonominnen stehen den 50,5 Prozent Studienanfängerin- Feministische Ökonominnen aus dem globalen nen an deutschen Hochschulen nur 23,4 Pro- Süden werden besonders gefördert. und lehrt in Berkeley zent Professorinnen gegenüber. Auch in Deutschland existiert seit 2000 ein Hinzu kommt: Trotz der Zunahme des Frau- Netzwerk zur Förderung geschlechterbezoge- enanteils unter den Studierenden wirtschaft- ner Forschung und Lehre. Die Mitglieder von Finanzwirtschaft licher Fachrichtungen bleibt die Lehre in aller Efas – economics, feminism and science agieren Regel sehr einseitig. Die neoklassische Wirt- als Multiplikatorinnen, um fachliche und fach- ls Ulrike Malmendier einmal ge- schaftstheorie steht nahezu unumstößlich in übergreifende Fragen zu stellen und entspre- fragt wurde, wie es mit den Frauen den Lehrbüchern. Plurale Ansätze fi nden nur chende Konzeptionen in ihrem jeweiligen (uni- A in den ökonomischen Wissen- Die Revolutionärin sehr langsam den Weg an die Hochschulen. Der versitären) Umfeld zu integrieren. Die Ziele des Ohne Druck geht fast nichts schaften aussieht, erzählte sie von Kon- Homo Oeconomicus, der rationale Nutzenmaxi- Netzwerks sind einerseits, eine geschlechter- ferenzen in ihrem Fachgebiet Finanz- von der IG Metall mierer, ist bis auf wenige Ausnahmen die Grund- sensible Forschung zu stärken, beispielsweise wirtschaft, bei denen sie oft die einzige lage aller Theorie. Abweichungen von den rati- durch Vernetzung von Promovierenden und Be- Die Zahl von Frauen in Spitzenpositionen der Wirtschaft wächst nur langsam. Das liegt an zu Frau ist. »Da geht es häufi g aggressiv zu«, onalen Entscheidungen werden beispielsweise treuerinnen. Andererseits soll versucht wer- so die 1973 geborene Ökonomin. »Aber Christiane Benner verkörpert in der Verhaltensökonomie erforscht. Und auch den, geschlechterspezifi sche Lehre besser in laschen Gesetzen – und an Geschlechterstereotypen ich bin jemand, der auch, wenn es sein die feministische Forschung fi ndet in den Wirt- den Hochschulalltag zu verankern. muss, zurückschießen kann, ohne gleich die Öffnung einer der letzten Männer- schaftswissenschaften meist am Rande statt. Um gezielt junge Nachwuchsökonomin- den testosterongeladenen Mann spielen Hohe Studentinnenzahlen hin oder her. nen zu fördern, wird seit 2008 der efas-Nach- FRANK KRÜGER Doch von einer Signalwirkung für Vorstände Führungspositionen begonnen wurde. Vor al- zu müssen.« Bis hierher stehen wir also vor zwei zent- wuchsförderpreis im Rahmen der jährlich und Geschäftsführungen, heißt es beim Deut- lem müssten strenger Firmen in den Blick ge- Die Professorin an der University of Ca- bastionen der deutschen Wirtschaft ralen Problemen. Einerseits ist der akademi- stattfi ndenden Fachtagung verliehen. Hier eutschlands Wirtschaft kam schen Institut für Wirtschaftsforschung DIW, nommen werden, die ohne Frauen in Führungs- lifornia in Berkeley gehört zu den Stars sche Weg für Frauen noch immer steiniger als wird den Ökonominnen die Möglichkeit gebo- bisher auch hervorragend ohne dass den Frauenanteil an den Unternehmens- positionen auch bleiben wollen. Es gehe darum, der deutschen Wirtschaftswissenschaf- ie Medien haben gefeiert, als Christiane Benner 2015 als der, der ihren männlichen Kollegen bereitet ten, am Austausch über Forschung und Lehre Quoten aus«, sagt Wolfgang spitzen untersucht hat, könne keine Rede sein: »die Wirksamkeit des Gesetzes« zu verbessern, ten und hat es auch in eine wichtige Liste erste Frau in der damals 125-jährigen Geschichte der IG wird. Andererseits werden Fragen danach, wie genderspezifi scher Inhalte zu partizipieren. Steiger. Der Mann ist Gene- »Dort herrscht mit Blick auf die Repräsentation so die Sondierer. geschafft, in der die am meisten zitier- D Metall in die Führungsspitze der Industriegewerkschaft ge- ralsekretär des Wirtschaftsra- von Frauen beinahe Stillstand«, so das Institut. Unterstützung für eine solche Gesetzesver- ten Ökonomen aufgeführt sind. Den Fi- wählt wurde. Sie selbst sagt, die berüchtigte Glasdecke, die Frauen tes, ein CDU-naher Verein, der Unter den umsatzstärksten 200 Unternehmen schärfung dürfte es zumindest von Grünen und scher Black Prize erhielt die Mutter von nur schwer durchbrechen können, um in Führungspositionen zu Dstaatliche Regeln in etwa so begrüßenswert in der Bundesrepublik liegt der Frauenanteil in Linkspartei sowie von Frauenverbänden geben. drei Kindern als erste Frau überhaupt. gelangen, habe sie selbst nie gespürt. Trotzdem sei ihr in den Fir- fi ndet wie der Teufel das Weihwasser. Der Klub den Vorständen bei etwas mehr als acht Pro- Die Freidemokraten stemmen sich mit dem Ar- Nach einer Bankausbildung studierte men, in denen sie zuvor gearbeitet habe, das »Minderheitenge- betätigt sich ansonsten gern als Bauchredner zent. Bei den Versicherungen ging der Anteil gument dagegen, dies erhöhe die Bürokratie Malmendier Volkswirtschaftslehre und fühl« nicht fremd gewesen: »Man war immer so ein bisschen exo- marktradikaler Interessen. In diesem Fall der Vorständinnen zuletzt sogar zurück. und beschränke die unternehmerische Freiheit. Jura, promovierte sich in Bonn mit einem tisch und allein als Frau.« Männerwirtschaft, abgewirtschaftet warnt Steiger die kommende Regierung vor Elke Holst, die beim DIW Forschungsdirek- Holst hält das für schlechte Ausreden und rechtswissenschaftlichen Thema und ge- Christiane Benner wurde im Februar 1968 in Aachen geboren »mehr Quoten und bürokratischen Vorschrif- torin für Gender Studies ist, spricht denn auch rät, darüber nachzudenken, »die bisherigen nießt heute den Ruf einer anerkannten und studierte nach einer Ausbildung zur Fremdsprachensekretä- ten«. Warum? Damit enge man »die qualitative von einem »relativ klaren Bild«. Die Quote Regelungen für Frauen in Vorständen und Ge- Expertin für Unternehmensfi nanzierung rin Soziologie in Marburg, an verschiedenen Universitäten in den Und wer hat Adam Smith das Abendbrot gemacht? Personalauswahl nur noch weiter ein«. greift, »zur Wahrheit gehört aber auch, dass schäftsführungen, die auf Freiwilligkeit basie- und Verhaltensforschung. USA und in am Main. 1997 begann sie, in der IG Metall zu Der Gedanke, der hier kaum verhohlen aus- ohne Druck und drohende Sanktionen offen- ren, zu verschärfen«. Noch ein Tipp für die Un- Schon 2007 galt sie der »New York arbeiten, 2015 wurde sie mit 91,9 Prozent der Stimmen zur Vize- er ist schuld an der gegenwärtigen impulsiv, und keineswegs nur rational – eine gesprochen wird, lautet: Wenn es weitere, sichtlich fast nichts vorangeht, wie sich mit ternehmen hat sie parat: endlich selbst stärker Times« als Nachwuchsforscherin, deren chefi n der Gewerkschaft gewählt. Im Berliner »Tagesspiegel« stand Wirtschaftsmisere? Adam Smith, Eigenschaft, die dem »Homo Oeconomicus« schärfere Frauenquote für Gremien von Unter- Blick auf die Entwicklung in den Vorständen aktiv zu werden. Dazu gehöre es auch, Kandida- Namen man sich merken solle. Aufmerk- damals: »IG Metall wagt die Revolution«, was viel aussagt über den W weil er seine Mutter vergessen hat!« ebenso hartnäckig unterstellt wird wie der nehmen geben würde, kämen Managerinnen zeigt«, sagt Holst. tinnen früher zu fördern. Vor allem aber brau- samkeit erlangte sie mit Studien wie je- Zustand der Gewerkschaft und der Gesellschaft allgemein. So ließe sich zum Trump-Tweet verkürzt zu- Egoismus. zum Zuge, die es mit Männern nicht aufneh- Auch die deutsche Wirtschaftsprofessorin Ul- che es bessere Bedingungen. ner über die Selbstüberschätzung von Christiane Benner sitzt außerdem bei BMW und Bosch im Auf- sammenfassen, was Katrine Marçal in einem Interessanterweise sind diese Charakte- men könnten. Ganz so weit würde der Bundes- rike Malmendier, die als eine Art Superstar der Das DIW zählt dazu etwa den Ausbau der Kin- Managern, die systematisch zu Fehlent- sichtsrat. bemerkenswerten Vortrag zum Thema Öko- ristika genau jene, durch die zu Adam Smith verband der Deutschen Industrie nicht gehen, Ökonominnen gilt und inzwischen an der Uni- dertagesbetreuung und eine »Forcierung der scheidungen führten. In einer anderen Sie hat sich in ihrer Funktion vor allem die Gestaltung des digita- nomie zu sagen hat. Ausgehend von der harm- Zeiten auch Männlichkeit defi niert wurde. man befl eißigt sich, Vielfalt als Hebel für »op- versity of California in Berkeley bei San Fran- partnerschaftlich Aufteilung der unbezahlten Forschungsarbeit konnte Malmendier len Wandels vorgenommen, von dem eine Industriegewerkschaft, losen Frage »Wer machte Adam Smith das Damals ein Idealbild, heute von den meisten timale Ergebnisse« zu loben. Doch auch diese cisco lehrt, ist inzwischen überzeugt, dass es Arbeit in Haushalt und Familie«, etwa durch nachweisen, dass Kunden von Fitness- wie die ihre, besonders stark betroffen ist und sein wird. Intelli- Abendessen?«, killt die schwedische Feminis- Menschen längst als diskriminierend empfun- Lobbyvereinigung stemmt sich gegen neue ohne Quote nicht geht. »An mir ist das lange den Ausbau der Vätermonate beim Elterngeld. studios meist Verträge wählten, die ma- gente Roboter werden einen Großteil der Arbeitsplätze überfl üssig tin Grundüberzeugungen der modernen Wirt- den. Bloß die herrschende Ökonomie baut noch Quotenregelungen. Zeit komplett vorbeigegangen, ich habe mir Es wird aber auch ohne einen Kulturwandel teriell für sie ungünstig waren, was das machen, feste Anstellungsverhältnisse werden durch Auftragsar- schaftswissenschaften. immer darauf – und schafft es, diese Minder- Eine solche »für Vorstände wäre verfas- einfach keine Gedanken darüber gemacht«, nicht schneller vorangehen. Bild vom angeblich so rationalen Konsu- beit abgelöst. Benner hat ein Buch über Fallbeispiele herausge- Deren Begründer Adam Smith lebte Zeit sei- heiten-Fiktion als Beinahe-Naturwissenschaft sungswidrig, sie stellt einen massiven Eingriff erzählte sie vor ein par Wochen der »Welt am »Das Bild von Fü hrung orientiert sich noch menten ankratzte. geben, in dem es um Clickworking, Crowdworking, neue Arbeits- nes Lebens, von 1723 bis 1790, bei seiner Mut- darzustellen und dies Gesellschaft und Politik in die unternehmerische Freiheit dar«, wurde Sonntag«. Wolle man mehr Frauen in Wirtschaft immer an den tradierten mä nnlichen Lebens- Die gebürtige Kölnerin hat eine beacht- formen, die Macht der Firmen geht. Sie nennt diese Entwicklung ter Margret Douglas. Sie sorgte dafür, dass er als alternativlos zu verkaufen. BDI-Frau Iris Plöger unlängst vom »Handels- und Wissenschaft nach vorne bringen, komme wirklichkeiten«, sagt Holst. Bei den oberen liche akademische Laufbahn vorzuwei- selbst »Amazonisierung der Arbeitswelt«. Die IG Metall hat begon- weder verhungerte noch verdreckte – und Wer wirklich mal nachrechnet, welche Ar- blatt« zitiert. Außerdem seien viele Vorstände man »ohne Quote nicht schnell genug voran«. Etagen der Unternehmen würden »sehr lange sen. Harvard, Stanford, Chicago, Prince- nen, sich für Clickworker stark zu machen, darum zu kämpfen, wer weiß, vielleicht korrigierte sie auch seine beiten entscheidend sind für den Wohlstand ei- nur mit drei Personen besetzt, da würde eine Solche Regelungen könnten wie Hebel wir- Arbeitszeiten und eine große regionale sowie ton und nun Berkeley. Malmendier hat dass sich deren Arbeitsbedingungen verbessern. Daran hat Ben- Texte. Vermutlich, so Marçal, hatte Frau Dou- ner Gesellschaft, kommt zu anderen Ergebnis- Regulierung »unverhältnismäßig« sein. Was ken: »Wenn erst einmal Frauen an bestimmten zeitliche berufl iche Flexibilitä t« erwartet. sich auf ihrem Weg auch von Vorbil- ner großen Anteil. glas damals in Schottland wenig andere Kar- sen: Katrine Marçal zitiert eine Untersuchung man wörtlich nehmen kann: Die derzeit herr- Schlüsselpositionen sitzen«, so Malmendier, Zeitsouverände Berufsbiografi en, die auch dern inspirieren lassen, von jüngeren Christiane Benner gilt als eine Frau, der Gerechtigkeit viel be- riereoptionen. Vor allem aber kümmerte sie aus Großbritannien, wonach die Bedeutung der schenden Verhältnisse in den Spitzen der Kon- »dann kommen rasch auch andere nach.« Es einmal Teilzeit oder Auszeiten beanspruchen, Ökonominnen, die sich auf Finanzwirt- deutet, auch Geschlechtergerechtigkeit, insofern verkörpert sie sich wohl deshalb um ihren Adam, weil sie ihn unbezahlt geleisteten Kinderbetreuung für die zerne sind ganz durch Männerdominanz und wäre ein Hebel, denkt man an die Vorstände, werden »meist als Hinderungsgrund fü r den schaft spezialisierten. »Die haben gese- die Hoffnung vieler. Ihre Zuständigkeiten in der IG Metall: IT-Ange- liebte. Wirtschaft des Landes drei Mal so groß ist wie einen extrem geringen Frauenanteil gekenn- der auch einen Zustand überwindet, bei dem Aufstieg gesehen«. hen, dass auch eine Frau etwas anderes stellte, Frauen, Migrant*innen, Jugendliche – alles Zielgruppen, die Damit steht ihr Verhalten im krassen Gegen- die des gesamten Finanzsektors. zeichnet. die Nominierung einer Frau in so ein Gremium Und nicht zuletzt, sagt Holst, »tragen Ge- beherrschen kann als die traditionellen schwer für Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zu begeistern sind. satz zu dem, was der Sohn und seitdem die ge- Seriöse Wirtschaftswissenschaften müss- Daran hat auch die recht erfolgreiche Quo- noch meist nach der Logik geschieht, »wir schlechterstereotype dazu bei, dass Führung Frauendomänen in der Volkswirtschafts- Als das »Manager Magazin« im Dezember 2015 die 50 einfl uss- samte moderne Wirtschaftswissenschaft als ten solche, weiterhin weitgehend weibliche tenregelung für Aufsichtsräte nicht viel verän- brauchen jetzt eine Frau.« eher Mä nnern zugetraut wird als Frauen«. Geld lehre, wie Arbeits- oder Gesundheitsöko- reichsten Frauen der deutschen Wirtschaft kürte, wurde Benner als Leitmaxime ökonomischen Handelns defi niert Arbeit mitdenken und sie zur Grundlage ihrer dert. 2015 eingeführt hat die Quote dafür ge- Bleibt die Frage, ob eine erweiterte, verbind- und Macht würden immer noch »zum Rollen- nomie«, so die Professorin einmal gegen- Prima inter Pares gekürt. Nicht unbedingt, weil ihr faktischer Ein- hat: Eigennutz. Zweifelsohne eine menschliche Theorien machen. Dann käme es in Zukunft sorgt, dass in den Gremien der Frauenanteil auf liche Quote auch kommen wird. Die SPD hatte bild eines erfolgreichen Mannes« gehören. Es über der »Welt«. fl uss auf gesellschaftliche Entwicklungen so groß ist, stattdessen, Eigenschaft, aber eben nur eine unter vielen, so auch nicht mehr zu irrwitzig teuren, nutzlosen inzwischen etwa 30 Prozent gestiegen ist. Die in ihrem Wahlprogramm eine feste Quote von liegt nicht allzu fern, dabei auch an Wolfgang Und sie ist durchaus optimistisch, was weil sie die Öffnung einer der letzten Männerbastionen der deut- Katrine Marçal. Und keinesfalls die vorrangige Bankenrettungsaktionen und ähnlichen Kri- Regel gilt für gut 100 Unternehmen, die neue 50 Prozent für Frauen in Führungsgremien an- Steiger vom Wirtschaftsrat der CDU zu den- die Zukunft von Ökonominnen in der Wirt- schen Wirtschaft verkörpert. Im Jahr 2015! Das zu feiern, hat ei- »außer bei Kindern unter fünf Jahren«. Alle an- sen. Als Tweet formuliert: »Ökonomen, nehmt Aufsichtsratsposten so lange mit Frauen beset- gepeilt, im Sondierungspapier mit der Union ken. Jenen Mann also, der »Deutschlands Wirt- schaftswissenschaft angeht: Es würde sich nen ziemlich bitteren Beigeschmack, aber dafür kann Christiane deren Menschen sind eben auch fürsorglich eure Mütter endlich ernst, alles andere sind zen müssen, bis 30 Prozent des Kontrollgremi- hieß es dann: Man wolle den Weg weiterge- schaft« immer noch »hervorragend ohne Quo- die Atmosphäre ändern, wenn Frauen erst Benner nichts. kge und bedürftig, sie reagieren instinktiv und Sandkastenspiele!« sim ums weiblich sind. hen, der mit dem Gesetz für mehr Frauen in ten« auskommen sieht. einmal Fuß gefasst haben vk 10 OXI | 2 | 18 SCHWERPUNKT 11

Ihre Währung ist Vertrauen Kirsten Paul ist gelernte Bankfrau und arbeitet in Verden als Vermögensverwalterin der Bewegungsstiftung

VON ULRIKE BAUREITHEL Höhere-Töchter-Atmosphäre hat ihr nicht be- Anregungen mitnehmen für ihre eigenen In- hagt. Aber anecken will die freundliche und vestments.« ie Stifterinnen und Stifter ver- zugwandte Frau eigentlich nicht, sie ist es ge- Kirsten Paul hat in der Stiftung über sinn- trauen ihr fast blind. Sie strahlt wohnt, gemocht zu werden. Zwischen all den Wenn Kirsten Paul volle Geldanlagen nicht nur viel gelernt, sie eine Aura von Wärme und Zu- politisch Bewegten und Engagierten in der auf die Stiftung hat sich selbst auch verändert. Während un- versicht aus, die einen sofort Stiftung ist sie eher eine Exotin. seres Gesprächs läuft sie weg, sucht ein paar für sie einnimmt. Wenn sie Während ihrer Ehe etablierte sie sich lang- zu sprechen Bücher über alternative Lebensführung, regt spricht, sanft, aber sicher, wen- sam als Honorarberaterin für private und stra- sich über die inzwischen horrenden Immobili- Wie bestimmt Ddet sie sich offen an ihr Gegenüber. Dass sie tegische Finanzplanung und -begleitung. Mit kommt, redet sie enpreise in Verden auf und die »Blase«, die un- einen über den Tisch ziehen könnte, scheint 400.000 bis 500.000 freien Finanzvermittlern weigerlich folgen muss. unvorstellbar. »Viele kennen mich gar nicht«, weist Deutschland die höchste Vermittlungs- nicht wie eine »Früher war das Eigenheim Vorsorge fürs Al- sich der Wert der sagt sie von sich selbst, »aber ich muss so eine dichte Europas auf, die Konkurrenz war also ter«, sagt sie, aber für die kommende Genera- Ader haben, eine Empathie, dass sich meine groß. Doch als Unabhängige konnte sie ihren Bankerin, sondern tion ist das kaum noch fi nanzierbar. Noch we- Arbeitskraft? Kunden wohlfühlen und wiederkommen«. Kunden ohne Rücksicht auf Bankinteressen niger hat sie für »Renditejäger« übrig: »Wenn Kirsten Paul ist Finanzberaterin, eine Bran- zur Seite stehen. wie die engagierte jemand bei mir ankommt und will vier oder che, in der man Seriosität erwarten dürfte, Sie bildete sich weiter, absolvierte neben fünf Prozent Zinsen, da habe ich ein Problem. Käthe Knittler lehrt in aber nicht unbedingt fi ndet. Derzeit ist sie Haushalt und Kind noch ein Studium zur Fi- Patin eines Ich verstehe nicht, dass die Leute, die ohnehin angestellte Vermögensverwalterin bei der im nanzplanerin. »Aber das Zertifi zierungssys- schon haben, immer mehr haben wollen. Das Wien und kritisiert das niedersächsischen Verden ansässigen Bewe- tem ist mittlerweile eine Art Gelddruckma- Schutzbefohlenen. muss doch irgendwo herkommen, das geht zu gungsstiftung, die Projekte und politische In- schine geworden«, sagt sie. »Für alles und jedes Lasten der Menschen, die arbeiten, zu Lasten »große Schweigen« über itiativen fördert, die sich für gesellschaftli- benötigt man einen Schein, man muss sich im- der Natur. Da muss ein anderer Ansatz her.« che Veränderung einsetzen. Um dafür Mittel mer neu zertifi zieren lassen, und das kostet Die Bewegungsstiftung ist für sie der Keim bereitstellen zu können, investiert die als Ge- viel Geld.« Das hat inzwischen dazu geführt, dieses anderen Ansatzes. Beim sogenannten historische Ökonominnen meinschaftsstiftung organisierte Einrichtung dass fast nur noch Banken, große Versiche- »Mission Investing«, dem Investment in ethi- ihr Stiftungskapital in ethisch unbedenkliche rungen oder Beratungsgesellschaften das Ge- wird zunehmend schwieriger, überhaupt noch sche Geldanlagen, war sie Vorreiterin, »Impuls- ie österreichische feministische und nachhaltige Anlagen. Das ist der Job der schäft unter sich aufteilen. einen anständigen Zinsertrag zu erwirtschaf- geber«, so Paul. Ökonomin Käthe Knittler hat 48-Jährigen, die seit 2011 in der Bewegungs- Dem wollte sich Kirsten Paul nicht ausset- ten, ohne zu sehr ins Risiko zu gehen«, stellt die Mittlerweile tummeln sich jedoch auch Kon- D Volkswirtschaft studiert, lebt stiftung tätig ist. Zudem arbeitet sie als freie zen. Sie holte sich einen einfachen Gewerbe- Fachfrau fest. Die Stiftung ist vorsichtig, noch kurrenten auf dem Markt, und selbst Großkon- und lehrt in Wien. Ihre Diplomarbeit be- Honorarberaterin. schein und ließ sich als Finanzberaterin nieder. immer steckt die Hälfte des Kapitals in siche- zerne werden entweder von ihren Aktionären fasste sich mit Feministischer Kritik an Eigentlich hätte sie Geigerin werden sollen, Und es lief. Die Kunden kamen, vertrauten ihr. rem Festgeld bei Ethik- und Umweltbanken. und von ihren Ratingagenturen angehalten, der Marxschen Werttheorie. Darin heißt erzählt sie mir, als ich sie in ihrem großzügigen »Wenn ich die Leute erst mal hier habe, kom- Früher wurden im Stiftungsbereich sogar min- nach der CSR-Richtlinie Nachhaltigkeitsbe- es: »Es ging innerhalb der verschiedenen Haus nahe bei Verden besuche, das sie mit ih- men sie wieder, auch nach Jahren.« Ihr Kapital destens 70 Prozent des Kapitals festverzins- richte zu erstellen und ihr Geschäftsgebaren marxistischen Strömungen zwar immer rem 18-jährigen Sohn Joschi bewohnt. Kirsten ist ihr Wissen, ihre Währung Vertrauen. lich angelegt, das ist heute nicht mehr möglich. transparenter zu machen. Die DZ Bank hat um Befreiung, aber dennoch war Theo- Paul ist hier geboren, über Bremen und Ham- Das ging gut, solange ihr Mann als Vollver- Aber laut Stiftungsgesetz muss die Förderung kürzlich sogar angekündigt, aus der Finanzie- rie und Praxis auf zumindest einem Auge burg hinaus hat sie es in ihrer berufl ichen Lauf- diener für das Haushaltseinkommen sorgte. aus den Erträgen fi nanziert werden, der Kapi- rung von Kohle auszusteigen, Thyssen zieht blind: Frauenunterdrückung wurde weit- bahn nicht gebracht. Sie schätzt die kurzen Nach der Trennung 2009 wurde Kirsten Paul talstock bleibt unangetastet. sich von der U-Boot-Produktion zurück. gehend als Nebenwiderspruch behandelt. Wege, die ihr Lebenszeit schenken, und wohl aber klar, dass sie von Honorarberatung alleine Die Finanzfrau hat aus dieser Not eine Tu- Paul sieht das kritisch. »Es wäre ja wün- Im Zentrum stand der Hauptwiderspruch ANERKENNUNGSINVESTMENT auch das Vertraute. nicht würde leben können. gend gemacht, denn sie glaubt nicht, wie oft schenswert, wenn das ein nachhaltiger Trend zwischen Arbeit und Kapital. Die ›Frau- Dass sie, statt in Konzertsälen aufzutreten, »Irgendetwas mit Stiftung« konnte sie sich kolportiert wird, dass ethische Anlagen mit wäre. Es gibt sicher entsprechende Invest- enfrage‹ galt als wichtig, aber als ›lösbar‹ Es gibt auch förderungswürdige Akteure, am Bankschalter landete, war »eine Kurz- damals schon vorstellen, es sollte jedoch noch mehr Risiko behaftet sind. Seit Längerem sucht ment-Initiativen, die hier etwas bewirken wer- galt sie erst nach der Revolution.« die zwar in das Anlagekonzept der Bewe- schlusshandlung«, erklärt sie augenzwin- zwei Jahre dauern, bis sie zufällig auf die Aus- sie nicht mehr vorrangig Aktienfonds, sondern den, dennoch glaube ich, dass das bei den gro- In der »Einführung Feministische Öko- gungsstiftung passen, jedoch keine Erträge kernd. Acht Stunden Üben und die Rücken- schreibung der Bewegungsstiftung stieß, de- fahndet nach anderen Feldern, in denen man ßen Unternehmen eher der Imagepfl ege dient nomie«, die Knittler zusammen mit Bet- ausschütten können oder aus politisch- schmerzen, das sei nichts für sie gewesen. Die ren Gründung sie 2002 mitverfolgt hatte. Ethi- nachhaltig investieren kann: Zunächst waren als aus Überzeugung passiert. Woher wissen tina Haidinger verfasst hat, wird die fe- strategischen Gründen nicht ausschütten. Bank winkte mit einem sauberen Job und gu- sche und nachhaltige Geldanlagen gehörten es Fair-Trade-Unternehmen, dann kam sie auf wir, dass sich ein Unternehmen nicht aus ei- ministische Marxismuskritik erneut in Dann tätigt die Stiftung ein kleines soge- tem Geld, »und Zahlen haben mich schon im- damals noch nicht unbedingt zu ihrem Kern- Wohngenossenschaften und die Landwirt- nem Bereich zurückzieht und dafür eine Toch- einem eigenen Kapitel aufgenommen. nanntes »Anerkennungsinvestment«, das zwischen 500 und 1.000 Euro liegt. mer interessiert«. geschäft, trotzdem bewarb sie sich mit einem schaft. Das bedeutet zwar mehr Risiko, weil das tergesellschaft dieses Geschäft betreibt?« Sie »Die feministische Kritik setzt spätes- Ein Beispiel ist etwa die Kulturland eG, Aber obwohl sie bei der Dresdner Bank, zu Anlageplan für das Portfolio der Stiftung, über- angelegte Kapital unter Umständen auch aus- kann sich jedenfalls nicht vorstellen, irgend- tens beim Wert der Ware Arbeitskraft die Gemeinschaftseigentum an Grund und der sie nach ihrer Ausbildung wechselte, all- zeugte und hatte das Gefühl: Endlich kann ich fallen kann, hat aber den Vorteil, mit dem Geld wann einmal bei Thyssen oder bei der Deut- ein. Denn, wie bestimmt sich der Wert Boden erwirbt, um eine bäuerlich geführte mählich die Karriereleiter emporkletterte und mit meinem allgemeinen Bankwissen etwas Wohnprojekten oder landwirtschaftlichen Ge- schen Bank zu investieren. der Ware Arbeitskraft? Dieser entspricht ökologische Landwirtschaft zu fördern. Im die Vielseitigkeit der Kundenberatung ihrem Sinnvolles anfangen und Gutes tun. nossenschaften, die eine alternative Lebens- Und wo sieht sich Kirsten Paul in zehn Jah- dem Wert jener Waren, die – und das kann Rahmen der Genossenschaft können Anle- »Händchen« für Menschen und ihrer fachli- Wenn Kirsten Paul auf ihre Tätigkeit in der und Wirtschaftsform realisieren wollen, un- ren? Immer noch im Umfeld der Stiftung, ge- historisch betrachtet durchaus unter- ger Verantwortung für 2.000 Quadratme- chen Kompetenz entgegenkam, war sie bald Stiftung zu sprechen kommt, redet sie nicht ter die Arme greifen zu können: »Manchmal steht sie. Sie kann sich aber auch vorstellen, schiedlich ausfallen – zur Reproduktion ter Land übernehmen und sich, wenn ge- ziemlich genervt. Die Dresdner Bank war da- wie eine Bankerin, sondern wie die engagierte ermöglichen wir diese Projekte überhaupt erst größere Kapitaleigner zu beraten oder ihnen notwendig sind. Die gesamten unbezahl- wünscht, am Hofl eben beteiligen (www. mals Vorreiterin des provisionsorientierten Patin eines Schutzbefohlenen. Im Gegensatz durch unsere Beteiligung.« beim Aufbau einer Stiftung zu helfen. Die Ent- ten Arbeitsschritte (kochen, putzen, Kin- kulturland-eg.de). Verkaufens: »Wir haben unsere Zielwertlis- zur Bank, deren Benchmarking-Richtlinien Die Beteiligungsformen können ganz unter- scheidungsprozesse in der Bewegungsstiftung der gebären und aufziehen) zählen nicht Im Rahmen von Bürgeraktiengesellschaf- ten kann man sich auch an Regionalwert ten bekommen, in denen stand, wie viele Kre- sie zu folgen hatte, empfi ndet sie die für sie schiedlich sein: Paul vergibt Kredite. An GEPA, sind kompliziert und langwierig, das ist für ihre dazu. Des Weiteren stellt sich die Frage AGs beteiligen (z.B. in Hamburg oder Frei- dite, Lebensversicherungen, Bausparverträge verpfl ichtende stiftungsinterne Zielsetzung das älteste Fair-Trade, an Wohnprojekte wie Arbeit manchmal auch hinderlich. Sie denke nach der Produktivität und des Mehr- burg), in denen Kapitalgeber und Partner- und Investmentfonds wir im Jahr an den Kun- nicht als Bürde. »InWoLe« in Potsdam, »Fritze« in Frankfurt, heute politischer als früher. Aber demonstrie- werts. Warum sollte Haus- und Repro- betriebe zum Aufbau einer nachhaltigen den bringen müssen.« Völlig klar ist, dass sie keine Anlagen täti- »Collage« in Freiburg oder an die Allmende ren geht Kirsten Paul noch immer nicht. duktionsarbeit nicht produktiv sein oder Regionalwirtschaft beitragen (www.regi- Das wäre der Menschenfischerin auch gen darf, die mit Rüstung, Atomstrom, Kohle Wulfsdorf bei Hamburg. Manchmal wird die Mehrwert schaffen, wo sie doch für die onalwert-ag.de, www.regionalwert-ham- leichtgefallen, doch sie fühlte sich immer un- oder Gentechnik zu tun haben oder in Unter- Stiftung aber auch direkt Genossin wie bei Erstellung der für den Kapitalisten wich- burg.de). wohler. »Ich sollte den Leuten Produkte auf- nehmen, die gegen die Menschenrechte ver- BürgerEnergie Berlin oder dem bekannten ge- tigsten Ware – der Arbeitskraft – uner- Die Waldgenossenschaft Remscheid eG schwatzen, die für sie nicht sinnvoll sind oder stoßen oder in Ländern tätig sind, die Kinder- meindeeigenen Energieunternehmen in Schö- lässlich ist?« (www.waldgenossenschaft-remscheid.de) die sie gar nicht verstehen. Der alten Dame arbeit erlauben und vieles mehr. Die Liste ist nau im Schwarzwald. Ein Punkt, der als Antwort taugen bietet Bürgern, privaten Investoren, Unter- etwa, der ich immer festverzinsliche Wertpa- lang. Das wird ziemlich streng gehandhabt, Gerne würde Paul auch in soziale Einrichtun- würde: Die Leerstelle »Reproduktions- nehmen und Organisationen die Möglich- piere verkauft hatte, sollte ich auf einmal In- auch wenn nicht bei jedem Fonds transparent gen anlegen, in ein Wohnheim für psychisch arbeit« in der Ökonomie geht einher mit keit, ab einem Mindestbetrag von 500 Euro Es wird zunehmend Waldgenosse und damit ideeller Waldbe- vestmentfonds andrehen. Das habe ich nicht ist, ob es nicht irgendwo ein Tochterunterneh- Kranke, Demenzkranke oder Wohnungslose einer Leerstelle von Frauen in der Ge- sitzer zu werden. Ziel ist es, den Wald als gemacht.« Sie bekam zwar keinen Ärger, weil men gibt, dessen Tätigkeit mit den Richtlinien etwa, Ideen hat sie selbst oder sie kommen aus schwieriger, schichtsschreibung der Ökonomie. Ge- Bürgerwald multifunktional und für alle sie ihr Soll irgendwie doch erfüllt hat, aber der Stiftung nicht vereinbar ist. der Stiftungsgemeinschaft: »Aber, wenn ich genüber dem »Standard« hat es Knitt- nutzbar zu machen nach einheitlichen, öko- immer mehr Bauchschmerzen. Also hat sie Einen Großteil ihrer Zeit benötigt sie, um den da Rendite haben will, geht das auf Kosten der überhaupt noch ler einmal so formuliert: »Das ist ein logisch ausgerichteten Kriterien. erst einmal geheiratet, ein Kind bekommen Markt nach geeigneten Produkten zu sichten Angestellten und der Bewohner. Das möchte Thema, das viel zu wenig bearbeitet und Ein bekanntes Beispiel sind Bürgerstrom- und sich ins Privatleben zurückgezogen. »Mir und diese entsprechend zu bewerten. »Da bin ich nicht.« einen anständigen beachtet ist. Wenn man heute VWL stu- Genossenschaften wie in Heidelberg, Ber- war aber klar, dass ich so nicht mehr arbei- ich wirklich gestaltend tätig, ich bin der Fil- Zu den Aufgaben der Vermögensverwalte- diert, erfährt man nichts darüber.« Auch lin oder Bremen. Die Landwege eG Lübeck, ten möchte.« ter«, sagt sie. Ihre Exposés werden dann dem rin gehört auch der enge Kontakt zu den Ein- in den meisten Lehrbüchern herrsche eine Erzeuger-Verbraucher-Genossen- Zinsertrag zu Kirsten Paul ist, wenn man so will, eine Anlagenausschuss – das Gremium in der Stif- richtungen. Das ist zwar zeitaufwändig, macht »großes Schweigen« über historische schaft (www.landwege.de), bietet sogar Wertkonservative unter den Bankern. Was tung, das sich mit den Finanzanlagen befasst – ihr aber auch viel Spaß. Großen Wert legt die Ökonominnen. Diese gab es natürlich schon Rendite an. Sie arbeitet mit 30 re- erwirtschaften, gionalen Biohöfen zusammen, die Grund- sie macht, muss Hand und Fuß haben, und vorgelegt und diskutiert. Je nachdem, wie des- Stiftung darauf, ihre Anlagen transparent zu durchaus – »im Rahmen der bürgerli- lage für die fünf Märkte in Lübeck und Bad sie will dahinterstehen. Mit Politik hatte sen Urteil ausfällt, entscheidet am Ende der machen, alle Anlagen sind auf der Homepage ohne zu sehr ins chen Frauenbewegung, in der Gewerk- Schwartau sind. Landwege ist ein seit 1988 sie wenig am Hut, in Verden war sie eine Stiftungsrat. aufgelistet, mit »pädagogischem« Impetus zur schafts- und Arbeiterinnenbewegung bestehendes Modell »echter gelebter Re- Zeitlang sogar mal in einem Charity-Ver- Das hört sich einfacher an, als es ist. Denn Veränderung: »Ich würde mir wünschen«, sagt Risiko zu gehen. und im Zuge der Öffnung der Unis un- gionalität«. uba ein, eine Art weiblicher Ableger der Rota- auch die Stiftung bleibt von den Auswirkun- Paul, »dass viele Leute sich das Portfolio der ter den ersten Frauen, die studiert ha- rier, doch da ist sie wieder ausgestiegen. Die gen der Niedrigzinsphase nicht verschont. »Es Bewegungsstiftung anschauen und vielleicht ben«, so Knittler. kge 12 OXI | 2 | 18 SCHWERPUNKT 13

Sage noch jemand ...... es hätte sie nicht gegeben, die Ökonominnen und Frauen, die sich mit volkswirtschaftlichen Fragen, mit dem Arbeitsleben, dem Kapital befassten. Wir kennen sie nur zu wenig oder heften sie unter anderen Schlagworten ab, haben sie vergessen oder nie auf dem Schirm gehabt, folgen Medien, die uns fast nur Männer offerieren, wenn es um Volkswirtschaft geht. Das hat nicht nur, aber viel mit der Blindheit der Ökonomik gegenüber dem Geschlechterverhältnis zu tun. Auch in deren eigenen Reihen. Eine sehr unvollständige Liste gegen die irrtümliche Deutungs- hoheit der Männer in den Wirtschaftswissenschaften:

Jane Marcet Harriet Martineau Harriet Taylor Mill Barbara Leigh Smith Charlotte Perkins Gilman Rosa Luxemburg Hannah Arendt Elinor Ostrom (1769 – 1885) (1802 – 1876) (1807 – 1858) Bodichon (1827 – 1891) (1860 – 1935) (1871 – 1919) (1906 – 1975) (1933 – 2012) Tochter einer Schweizer Bankiersfamilie, in Enkelin eines hugenottischen Großvaters, der Tochter eines Chirurgen, die eine gute Allge- Sie wurde in England als Tochter des umtriebi- Sie war die Tochter einer Gelegenheitsarbeite- Stammte aus einer bildungsbürgerlichen jü- In Hannover als Tochter jüdischer Eltern ge- Sie ist die erste und bisher einzige Frau, die London geboren, dort und in der Schweiz ge- aus Frankreich ins protestantische England meinbildung erhielt und 1825 auf Wunsch ih- gen »Abweichlers«, Unterstützers der Armen rin und eines Buchhändlers und Schriftstellers dischen Familie in Polen, wuchs in Warschau boren, studierte Hannah Ahrend ab 1924 Phi- den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat. Ge- lebt, in London gestorben. Verheiratet mit ei- fl oh, Tochter einer Tuchfabrikantenfamilie. In res Vaters John Taylor heiratete, ein Großhan- und Universalisten Benjamin Leigh Smith ge- und wurde 1860 in Hartford (Connecticut) ge- auf und studierte ab 1889 Botanik in Zürich, wo losophie, Evangelische Theologie und Grie- boren in Los Angeles, studierte sie Politikwis- nem Schweizer Arzt, drei Kinder. Besuchte der Kindheit häufi g krank, seit dem 12. Lebens- delskaufmann, der pharmazeutische Produkte boren, der mit einer Arbeiterin zusammen- boren. Der Vater verließ die Familie früh, Char- sie sich in Leo Jogiches verliebte, dem zuliebe chisch in Marburg, promovierte 1928 bei Karl senschaften, promovierte mit einer Arbeit Chemie-Vorlesungen und schrieb darüber jahr unter zunehmender Schwerhörigkeit lei- verkaufte. Gebar zwei Söhne, lernte 1830 John lebte, ohne verheiratet zu sein, die fünf Kin- lotte wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, sie in die Wirtschaftswissenschaften wech- Jaspers, schrieb danach für die Frankfurter über das Agieren öffentlicher Unternehmen, mehrere populärwissenschaftliche Bücher in dend, erhielt sie ihre Bildung durch unitarische Stuart Mill kennen, verliebte sich später in ihn. der gebar und jung starb. Die Kinder wurden besuchte eine Kunstgewerbeschule und heira- selte. 1898 übersiedelte sie nach Deutschland, Zeitung und besuchte Seminare bei Paul Til- beschäftigte sich mit der Frage, wie Verwal- Form einer fi ktiven Konversation zwischen Geistliche. Ihre Mutter wollte, dass sie ihren 1831 wurde das dritte Kind geboren. Pfl egte gleichberechtigt erzogen, Brüder wie Schwes- tete 1884 einen Kunstmaler, den sie nach vier wo sie schnell in die erste Reihe der europäi- lich und Karl Mannheim. Sie verließ Deutsch- tung besser funktionieren kann und gehörte zwei Frauen. Verfasste drei Einführungsbü- Lebensunterhalt mit Handarbeit verdient, sie mit John Stuart Mill intensiven Gedankenaus- tern. Jahren verließ. Die gemeinsame Tochter blieb schen Sozialdemokratie aufstieg. Luxemburg land 1933, um den Nazis zu entkommen, ging gemeinsam mit ihrem Mann in den 1970er cher in die Volkswirtschaftslehre, die unter- entschied, schriftstellerisch tätig zu werden. tausch, gestaltete die in den Augen der Gesell- 1857 verfasste Barbara Leigh Smith Bo- nach der Scheidung beim Vater. Gilman ging kam aus der Schule von Marx, den sie aller- nach Paris, heiratete den Philosophen Heinrich Jahren zu den führenden VertreterInnen der schiedlichen Zielgruppen zugedacht waren. Ließ sich von Jane Marcets Büchern inspirie- schaft »menage a trois«, indem sie stets kund- dichon als erste Frau eine Abhandlung über nach San Francisco, wo sie politisiert wurde, ab dings kritisch auffasste. 1913 veröffentlichte Blücher, emigrierte in die USA, wo sie ab 1953 Bloomington School, die sich gegen versimp- Die Conversations on Political Economy (1816) ren, deren Conversations Ausgangspunkt für tat, keinen Ehebruch zu begehen. Wir wissen Frauenerwerbstätigkeit. Je größer die Arbei- 1902 als Journalistin und Rednerin tätig war sie ihr langes Werk Die Akkumulation des Ka- Professorin am Brooklyn College wurde, später lifi zierende Dichotomien (Markt-Staat, Kapi- waren für LeserInnen mit höherer Bildung ge- ihre Illustrations of Political Economy waren. es bis heute nicht. Ihr Ehemann willigte in ein terschaft, umso größer sei die Gesamtproduk- und acht Jahre lang eine eigene Monatszeit- pitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklä- an die Chicago University ging, um 1967 nach talismus-Sozialismus) wandte, stattdessen mit dacht und fi nanziell sehr erfolgreich (14 Auf- 1832 bis 1834 erschien dieses neunbändige räumlich getrenntes Leben ein, erkrankte an tion und umso leichter sei es, die Bedürfnisse schrift herausgab. rung des Imperialismus. Ihre Akkumulations- New York zurückkehren, wo sie 1975 starb. Selbstorganisation auf verschiedenen Ebenen lagen) sowie hochgeachtet u.a. bei Männern Werk, in dem sie Nationalökonomie populär- Krebs, wurde von Harriet gepfl egt, starb. Zwei aller zu befriedigen. Die Autorin setzt sich da- Ihr Hauptwerk, Women and Economics, theorie verarbeitete sie später noch einmal In Vita activa, die ihre Wurzeln in Betrach- befasste. wie Thomas Malthus, Jean-Baptiste Say, der wissenschaftlich erklärte. Diese Einführungs- Jahre später heirateten Harriet und John Stu- für ein, dass Töchtern ein Bildungsabschluss wurde ein internationaler Erfolg und wurde schlüssiger und besser lesbar in Antikritik tungen über den Marximus hatte, entwickelte Selbstorganisation, die Suche nach Misch- über sie schrieb, sie sei »die einzige Frau, die bände wurden ein großer Erfolg: »...von Stunde art Mill, der ausdrücklich auf alle ehelichen ermöglicht wird und wandte sich mit dieser in sieben Sprachen übersetzt. Der Untertitel (1921, zwei Jahre nach ihrer Ermordung er- Ahrendt Betrachtungen zur menschlichen formen von Markt und Staat, vor allem aber über die Politische Ökonomie geschrieben hat an habe ich mir niemals mehr wieder Sorgen Privilegien verzichtete, was fast nach einem Forderung vor allem an Väter. Smith Bodichon lautet übersetzt Eine Studie der ökonomischen schienen), dem der Ökonom Fritz Sternberg Aktivität, die sie in drei Arten des Tätigseins das Funktionieren der Commons (Allmende) und dabei ihre männlichen Kollegen überragt.« über meine Beschäftigung machen müssen – Filmstoff klingt. Aus der intensiven Zusam- kritisierte die Institution Ehe, trat für das Ar- Beziehung zwischen Männern und Frauen als (1895 – 1863) bescheinigte, sehr kluge Fragen unterteilte: Arbeiten, Herstellen, Handeln gehörten zu ihren wichtigsten Themen. Die Po- Auf der Webseite www.fembio.org steht: außer der, welcher ich nachgehen sollte, noch menarbeit der beiden entstanden mehrere beitsrecht für verheiratete Frauen ein und for- ein Faktum der sozialen Revolution. Gilman be- zu stellen, die aber nur zum Teil richtig beant- (labour, work and action). Unter Arbeiten ver- litologin analysierte ökonomisches Handeln »Marcet wollte ganz bewusst Frauen und Mäd- wirkliche Befürchtungen über Geld ausstehen Publikationen, die auch nach Harriets Tod derte die Gewerkschaften auf, sich für Frauen schreibt darin die ökonomischen Bedingungen wortet worden seien. stand sie alles, was für den Erhalt des Lebens von Menschen, die Güter gemeinsam nutzen, chen an die Wissenschaften heranführen. Als müssen.« (zitiert aus Bette Polkinghorn, Jane allesamt unter John Stuart Mills Namen er- zu öffnen. Auf Bodichon werden erste Ansätze der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die auf unabdingbar ist und dem Konsumieren dient, dafür untersuchte sie sowohl zeitgenössische der Vater der mit den Marcets befreundeten Marcet und Harriet Martineau, 2001, HG Gro- schienen, was nicht seinen Wünschen, statt- einer Crowdingtheorie am Arbeitsmarkt (Ver- völlig übersexualisierten Geschlechtsstereo- sie unterstellte, dass nur mit arbeiten kein Ziel als auch über 1000 Jahre alte Commons. Sie Erfolgsautorin Maria Edgeworth wohlmeinend nert, Anke). dessen den Gegebenheiten des Marktes ent- drängungstheorie) zurückgeführt. Die Konzen- typen beruhe: »Wir sind die einzige Spezies, in und keine Entfaltung hin zu Höherem mög- zeigte, dass Menschen jenseits von Markt und vorschlug, statt der Schülerin in Conversations Martineau setzte sich mit Theorien Ricar- sprach. So erschien auch das Werk Principles tration von Frauen in bestimmten Branchen der der weibliche Teil vom männlichen abhän- Alice Salomon lich sei. Arbeit allein könne nicht Sinn des Le- Staat in der Lage sind, sich selbst zu organisie- on Political economy doch lieber einen Schüler dos, Malthus’, Benthams auseinander. Sie war of Political Enonomy (Grundsätze der politi- und Berufen führe dort zu einem Überange- gig ist, und die einzige Spezies, in der die sexu- bens sein. Das Herstellen schaffe Dinge von ren und es gelang ihr zumindest, ÖkonomInnen zu nehmen, lehnte Jane Marcet ab. Ihre Bücher eine umtriebige Frau, die reiste, Landwirt- schen Ökonomie) 1848 unter seinem Namen. bot an Arbeitskräften und niedrigen Löhnen. elle Beziehung eine ökonomische ist.« Gilman (1872 – 1948) Bestand und oft über den Lebenshorizont der für Kooperationsformen zu sensibilisieren, verkauften sich auch so prächtig: Die Conver- schaft betrieb, im Winter Arbeitern Kurse 1851 erschien Das Stimmrecht der Frauen (The geht in ihrer Analyse auch auf Klassenunter- Schöpferin oder des Schöpfers hinaus, jedoch was im sterilen Mainstream der Wirtschafts- sations on Political Economy (1816) wurden gab, ihren Landsitz an Sommergäste vermie- Enfranchisement of Women), ein Jahr nach ih- schiede zwischen Frauen ein, deren ökonomi- Wurde als viertes Kind einer jüdischen Kauf- auch Dinge, deren Wert begrenzt ist, sich ab- wissenschaften fast einer kleinen Revolution sogar das meistverkaufte Buch des 19. Jahr- tete und Reisebeschreibungen über England, rem Tod (1858) On Liberty (Über die Freiheit) scher Status sich über den des Mannes her- mannsfamilie geboren, widmete sich ehren- nutzt und verbraucht. Handeln jedoch war für gleichkommt. hunderts.« Irland und den Orient schrieb. Eine emanzi- und 1869 The Subjection of Women (Die Hö- Mary Paley Marshall leite. amtlich der Unterstützung alleinerziehender Ahrendt die höchste Form des Tätigseins, es pierte Frau, angefeindet und geliebt, die für rigkeit der Frauen). In ihrer Zeitung Forerunner veröffentlichte Arbeiterinnen, war 1908 Mitbegründerin der vollziehe sich im öffentlichen Raum und sei das Frauenwahlrecht kämpfte und 1876 an Es ist nicht ganz klar, wie groß der Anteil (1850 – 1944) sie die Fortsetzungsgeschichte What Diantha reichsweit ersten Sozialen Frauenschule in das konstruktive Modell einer Teilhabe aller Einige der hier vorgestellten Ökonominnen den Folgen einer Bronchitis und langjähriger Harriet Taylor Mills an Grundsätze der politi- did, in der sie die Geschichte einer Frau erzählt, Berlin, deren Nachfolgeeinrichtung die heu- an Wirtschaft und Gesellschaft, das zugleich wurden bereits in »Oxi« ausführlich porträ- Krebserkrankung starb. schen Ökonomie war, die als eines der bedeu- Sie war eine der ersten universitär veranker- die von zu Hause auszieht und ein Unterneh- tige Alice-Salomon-Hochschule ist. ständig bedroht sei durch übermächtige Wirt- tiert. Die Texte, aus denen sich auch diese tendsten ökonomischen Werke des 19. Jahr- ten Ökonominnen, geboren und bis zum Ende men gründet, das Dienstleistungen für Haus- 1906 wurde Alice Salomon an der Berliner schaftsinteressen. Übersicht speist, fi nden Sie im Archiv auf hunderts gelten und bis Ende des Jahrhunderts im Vereinigten Königreich lebend, verbrachte arbeiten anbietet. Universität in Nationalökonomie promoviert. oxiblog.de. Viele Informationen verdankt diese das Standardwerk der Politischen Ökonomie sie einen Teil der Studienzeit in Cambridge, Salomon regte bereits Anfang des 20. Jahrhun- Übersicht zudem dem Buch von Bettina waren. Die feministische Ökonomin Michèle wo sie auch Politische Ökonomie studierte. derts an, über Mindestlohn nachzudenken, be- Haidinger und Käthe Knittler »Feministische Pujol ist überzeugt, dass dieses mehr als Danach arbeitete sie rund 40 Jahre als Dozen- fasste sich jedoch vor allem mit Theorie und Ökonomie: Eine Einführung«, erschienen 1000-seitige Werk gemeinsam verfasst wurde. tin für Ökonomie, lehrte Grundzüge des Steu- Praxis der Sozialen Arbeit. Das Thema ihrer 2016 bei Mandelbaum in Wien. Es entwickelt die Umrisse eines Reformpro- erwesens, Steuern und deren Auswirkungen Dissertation lautete Die Ursachen der unglei- gramms, das, so John Stuart Mill, im Wesentli- auf verschiedene Klassen, Methoden der Wirt- chen Entlohnung von Männer- und Frauenar- Zusammengestellt von Kathrin Gerlof chen auf Harriet zurückging: Radikale Verän- schaftswissenschaften und wirtschaftspoli- beit, in der sie herausarbeitete, dass nicht nur derung des Erbschaftsrechts, Schaffung von tische Maßnahmen. 1879 veröffentlichte sie Arbeiterinnen, stattdessen Frauen in allen Be- Produktions-, Konsum- und Kreditgenossen- das gemeinsam mit ihrem Mann, Alfred Mar- rufsfeldern ungleich entlohnt werden. Die un- schaften, um eine Besserung der Lage der Ar- schall geschriebene Buch The Economics of In- terstellten niedrigen Bedürfnisse der Frauen beitenden durch Selbsthilfe zu ermöglichen. dustry, half ihm später, seine weiteren Bücher hätten überall und klassenübergreifend zu ge- Die Gleichstellung von Männern und Frauen zu schreiben. ringeren Lohnhöhen geführt und Lohngrup- ist eine zentrale Forderung in dem Buch, darin pen richteten sich jeweils nach dem unters- enthalten der uneingeschränkte Zugang von ten Bedürfnis. Frauen zu allen Erwerbsbereichen und Ämtern. Die Nationalsozialisten drängten Salomon aus allen Ämtern, erkannten ihr beide Doktor- titel ab. Salomon emigrierte in die USA, wo sie 1948 mittellos und einsam starb. 14 OXI | 2 | 18 SCHWERPUNKT 15 Unentbehrlich Den Begriff der Produktionsverhältnisse weiterentwickeln: 13 Thesen zu Marxismus-Feminismus

Herrschaftsknoten nötig, die im kapitalisti- schen Patriarchat den Wunsch zur Verände- rung lähmen oder gar ganz fesseln können. 1. Feministinnen haben hier den Vorteil, kaum 9. Privilegien zu haben, die mit dem Zugang zu Macht einhergehen. Sie haben deshalb weni- Marxismus und Feminismus sind zwei Seiten ger zu verlieren und mehr Erfahrung, die Welt In den Umbrüchen, die der Krise des Fordismus einer Medaille (wie Helen Colley einschärft), von unten zu sehen. folgten und sich in der globalisierten Ökonomie aber diese Medaille gehört selbst umgeformt. von Krise zu Krise zeigen, welche die Menschen Feministischer Marxismus hält am Marxschen in immer prekärere Verhältnisse treiben, gehö- Erbe und damit an der Bedeutung der Analyse ren Frauen ebenso wie marginalisierte Praxen von Arbeit in Form der Lohnarbeit und damit und Gruppen zu den Verliererinnen. als Antriebskraft der Arbeiterbewegung fest 6. (wie Gayatri Spivak insistiert). Aber in der Be- strebung, die übrigen weiblichen Tätigkeiten ebenso ins Zentrum der Analyse zu rücken, Alle Mitglieder der kapitalistischen Gesell- geht Marxismus-Feminismus über die läh- schaft sind durch diese Herrschafts- und Un- 10. menden Versuche hinaus, häusliche und au- terwerfungsverhältnisse zugerichtet; inso- ßerhäusliche Tätigkeiten entweder gänzlich in fern sind sie noch weit entfernt davon, in einer eins zu setzen oder sie umgekehrt ganz ausein- befreiten Gesellschaft zu leben. Es gibt histo- Der Abbau des westlichen Wohlfahrtsstaats ander zu denken (dual economy debate, dome- risch tradierte Formen von Herrschaft und Ge- in einer globalisierten Ökonomie überlässt stic labour debate), und stellt sich der grund- walt, die sich nicht kontinuierlich oder durch die Sorge um das Leben Frauen in unbezahl- sätzlichen Herausforderung, den Begriff der einen Hauptwiderspruch in die Gegenwart ter häuslicher Arbeit oder in gering bezahlter Produktionsverhältnisse für feministische fortsetzen. Die brutalen Formen von Gewalt Lohnarbeit, global erfahrbar im global care- Marx nicht in Der unbezahlte Teil Ein stark männlich Fragen zu besetzen und weiterzuentwickeln. (gegen Frauen), von Verrohung, Kriegsbereit- chain. Wir können dies als Care-Krise fassen, schaft usw. (worauf Zillah Eisenstein abzielte) als notwendige Folge einer kapitalistischen sind als ungleichzeitige Schrecken alter Ver- Gesellschaft, die in der Verschiebung ihres den Klassiker-Schrank der Ökonomie geprägtes Klima haben hältnisse zu fassen. Aber Gewalt ist nicht nur ökonomischen Zentrums auf Dienstleistun- 2. Ausdruck tradierter, sondern auch gegenwär- gen in eine Profi tklemme gerät und zu immer sperren tig hergestellter Verhältnisse. Dafür braucht barbarischeren Formen der Austragung der Bettina Haidinger arbeitet an der Die Bonner Spezialistin für es ein spezifi sches Verständnis von Kritik und Krisen um ungleiche Wertschöpfungsniveaus Analyse, das Essenzialismen vermeidet. Für greift (wie Tove Soiland vorschlägt). Antonella Muzzupappa kümmert Forschungsstelle Arbeitswelt in Finanzmarktökonomie Isabel Dabei wird (wie schon bei Marx und Engels) von marxistische Feministinnen sind diese Ge- zwei Produktionen ausgegangen – der des Le- waltverhältnisse als elementarer Bestand- sich für eine Parteistiftung um Wien und hat eine Einführung in Schnabel ist die erst dritte bens und der der Lebensmittel. Im Zusammen- teil ihres Befreiungskampfes theoretisch und denken der beiden wird es möglich, konkrete praktisch einzuholen: für sich selbst, um ih- 11. Politische Ökonomie Feministische Ökonomie verfasst »Wirtschaftsweise« Praxen und ihr Zusammenwirken zu untersu- ren Subjektstatus zu erringen, sowie ihr Auf- chen. Dies öffnet ein riesiges Forschungsfeld, begehren gegen männlich-menschliche Un- in dem nach den je historisch und kulturell ver- terentwicklung. ür ideologische Spielchen mit Karl Marx hat An- ie studierte Ökonomie, Politikwissenschaft und s ist eigentlich ganz guter Beleg dafür, wie die schiedenen Ausprägungen von Herrschaft und Uns ist gemeinsam, das Leben ins Zentrum un- tonella Muzzupappa nicht besonders viel übrig. Sozialanthropologie in Wien und Lissabon und ar- Lage ist: Isabel Schnabel ist erst die dritte Frau deren Veränderungsmöglichkeiten gesucht serer Kämpfe zu rücken (u.a. Montserrat Gal- F Zum Beispiel, wenn einmal wieder in einem der S beitet seit 2007 als wissenschaftlich für die For- E im Sachverständigenrat zur Begutachtung der werden muss. cerán, Lise List) und damit die Kämpfe um ge- vielen Jubiläumsartikel behauptet wird, der Alte aus schungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) in gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – nach Beatrice meinsam selbstbestimmte Zeit zu führen. Wir Trier sei gleichsam für die Schrecken des Parteikom- Wien. Haidinger forscht, lehrt und publiziert zu Mig- Weder di Mauro, die 2004 als erste in die Phalanx der 7. können auch dem Vorschlag nachgehen, die munismus und das ökonomische Scheitern des Real- ration, Gender und Wohlfahrtsstaat, Arbeit und in- »Wirtschaftsweisen« einbrach und Claudia M. Buch. Krisen um das Leben als Folge ungleicher Zeit- sozialismus verantwortlich. »Marx hat weit mehr den dustrielle Beziehungen. 2011 promovierte sie an der 1971 geboren machte sie schnell in den Wirtschaftswis- logiken innerhalb hierarchisierter Bereiche zu Kapitalismus analysiert als über dessen Zukunft zu spe- Wirtschaftsuniversität Wien zum Thema »Transnatio- senschaften Karriere: 1998 Studienabschluss als Jahr- 3. Marxismus-Feminismus nimmt Stellung zum analysieren (Frigga Haug). Als Politik schlägt kulieren«, pfl egt die gebürtige Italienerin dann zu sa- nale Haushaltsorganisation«. Bettina Haidinger erhielt gangsbeste, 2003 Promotion, 2007 Professur. Die Spe- Primat von Arbeiterbewegung als histori- Haug die Vier-in-einem-Perspektive vor, das gen. Und sie verbindet dies gern auch mit der Warnung, 2014 den Käthe-Leichter-Preis für Frauenforschung, zialistin für Finanzmarktökonomie lehrt heute an der schem Subjekt und Trägerin von Transforma- heißt, Politik um die Verfügung über Zeit zu den Autor der »Kritik der Politischen Ökonomie« in »den Geschlechterforschung und Gleichstellung in der Ar- Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Es leuchtet ein, dass Geschlechterverhältnisse tion. Den Feminismus in den Marxismus hi- fuhren, und dabei die Bereiche nicht einander Schrank der Klassiker zu sperren«. Denn für Muzzu- beitswelt. Ob sie sich als Quotenfrau im Beratergremium der Re- Produktionsverhältnisse sind und nicht zu- neinzutragen und dabei beide zu verändern, anzugleichen, sondern sie durch Verallgemei- pappa sind die Schriften keineswegs bloß altes Papier, Zusammen mit Käthe Knittler veröffentlichte Bettina gierung sieht? Nein, sagt Schnabel, »denn es gab ja kei- sätzlich hinzukommen. Alle Praxen, Normen, macht eine kritische Sicht auf den traditionel- nerung zu enthierarchisieren. Erst wenn alle sondern hoch aktuelles Werkzeug. Haidinger im Verlag mandelbaum 2016 »Feministische nen männlichen Kandidaten, der in meinem Fachgebiet Werte, Autoritäten, Institutionen, Sprache, len Marxismus, der sich allein auf die Arbeiter- in allen Bereichen tätig sind, ist eine befreite Nach einem Studium der Politikwissenschaften kam Ökonomie. Eine Einführung«. Das Buch ergründet »all offensichtlich besser qualifi ziert gewesen wäre.« Ihr Kultur usw. sind in Geschlechterverhältnis- bewegung bezieht, unabdingbar. Marxismus Gesellschaft möglich. die Enddreißigerin Muzzupappa nach Berlin, wo sie für jene von der traditionellen Wirtschaftswissenschaft Schwerpunkt bei den »Weisen« sind Themen wie Ban- sen kodiert. Diese Annahme macht feminis- ist Marxsche Kritik der politischen Ökono- die Rosa-Luxemburg-Stiftung als Referentin für Politi- ausgeblendeten Bereiche ökonomischer Zusammen- king und Regulierung – ein Gebiet, zu dem die Ökono- tisch-marxistische Forschung so fruchtbar wie mie plus Arbeiterbewegung – das macht seine sche Ökonomie arbeitet. Seit 2006 werden dort »Kapi- hänge: Es geht darum, den unbezahlten Teil der Öko- min in der FAZ meinte, es würde dort inzwischen »oh- notwendig. Die Gleichzeitigkeit und Verbun- unvergleichliche Kraft aus. Es macht zugleich tal«- Lektü rekurse angeboten – jede Woche kommen nomie – sei es in Form von Haus- oder Subsistenzarbeit nehin relativ viele Frauen arbeiten«. Was die Gründe denheit innerhalb globaler Verhältnisse bei seine Grenze sichtbar. Das Schicksal der Ar- dann vor allem Jüngere zusammen, um sich gemein- – sichtbar zu machen und als wesentlichen Wertschöp- angeht, hält sich Schnabel bedeckt. Aber es falle eben Unterschiedenheit in den historisch konkre- beiterklasse zeigt auch ihre Unfähigkeit, Fra- 12. sam durch das Hauptwerk von Marx zu arbeiten, an- fungsprozess zu behandeln; die spezifi sche Situation schon auf, so die Dortmunderin, dass im Bereich Finanz- ten Unterdrückungen von Frauen macht das gen, die den historischen Horizont der Klas- geleitet von Teamern und Teamerinnen. »Wir wissen, von Frauen am Arbeitsmarkt als Arbeitnehmerinnen marktregulierung eher mehr Ökonominnen wirken als Zusammentragen von Erfahrungswissen inter- senkämpfe überschreiten, zu erkennen und dass Marx ein komplexer Autor ist und dass das ›Kapi- oder Unternehmerinnen ins Blickfeld zu bekommen; zum Beispiel in der Makroökonomik. nationaler Aktivistinnen notwendig. weiterzuentwickeln. Für die neuen feminis- Unsere Kämpfe sind gegen Herrschaft gerich- tal‹ nicht leicht zu lesen ist«, so Muzzupappa. Man wisse und die Ignoranz von Geschlechterverhältnissen in öko- Schnabel wurde einmal direkt gefragt: »Ist Sexismus tischen Fragen, ebenso wie für Fragen der tet und radikal demokratisch – dies braucht aber auch, dass die Analyse des Marxschen Werke »eine nomischen Prozessen der Produktion, Verteilung, Kon- in den deutschen Wirtschaftswissenschaften ein Prob- Ökologie, ist dieser traditionelle Marxismus auch Politik von unten. Unser Widerstand ist unverzichtbare Grundlage für das Verständnis der heu- sumtion, Investition oder Reproduktion aufzudecken.« lem?« Ihre Antwort gegenüber der FAZ: »Offenen Sexis- nicht aufnahmefähig. Er muss weiterentwi- kulturell und zeitlich unterschiedlich situiert. tigen Gesellschaft ist«. 2013 erschien ihre Studie »Zur Reproduktion des mus habe ich persönlich selten erlebt. Ich glaube nicht, ckelt werden (wie Rosa Luxemburg hervorge- Aber uns eint mit Marx, »alle Verhältnisse um- Aus dieser Art Bildungsarbeit ist dann auch ein Ar- transnationalen Haushalts«. Haidinger analysiert am dass dies das Hauptproblem ist. Es geht eher darum, 4. hoben hat). Die Fülle der vielfältigen sozialen zuwerfen, in denen der Mensch ein ernied- beitsmaterial entstanden, das inzwischen international Beispiel ukrainischer Migrantinnen in Österreich trans- dass wir in den deutschen Wirtschaftswissenschaften Bewegungen sowie auch der noch ungenutzte rigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein Furore macht: PolyluxMarx, eine Visualisierung des ers- nationale Haushaltsorganisation, widersprüchliche ein stark männlich geprägtes Klima haben.« Dabei gehe Reichtum von Marx’ kulturellem Erbe verlan- verächtliches Wesen ist«. Einen marxistisch- ten Bandes. »Für die über 2.500 Seiten von Marx’ ›Kapi- Klassenmobilität und sich verändernde Geschlechter- es vor allem um die Art der Auseinandersetzung – ihre Marxismus ist für die kapitalistische Gesell- gen eine kontinuierliche weitere Auseinander- feministischen Kongress zu organisieren und tal‹ braucht man fast sechs Jahre, wenn man pro Tag eine beziehungen, sie stellt in der Studie den Haushalt als seien immer wieder Nachwuchswissenschaftlerinnen schaft und ihre herrschaftslegitimierenden setzung. Hier sind alle marxistischen Feminis- darin unterschiedliche Umgänge mit Koopera- Seite liest. Wer soll das alles lesen? Und wann?«, heißt es (Re-)Produktionsort ins Zentrum ihrer Analyse und un- begegnet, die meinten: »Das tue ich mir nicht mehr an. wissenschaftlichen Disziplinen nicht nützlich. tinnen gefragt. tion und Konfl ikt zu fi nden, ist ein Mittel un- KOLLEKTIVER PROZESS zu dem beim Dietz Verlag Berlin erschienenen Kompen- tersucht transnationale Beziehungs- und Reichtumsun- Ich möchte nicht immer dieses extrem aggressive, ne- Weil feministischer Marxismus (wie Marx, serer Aufgabe, unseren Widerstand in eine be- dium. Inzwischen ist es in mehrere Sprachen übersetzt. gleichgewichte. kge gative Feedback bekommen.« aber auch vor allem Luxemburg, Gramsci, ständige marxistisch-feministische Bewegung Die hier gedruckten 13 Thesen zu Marxis- »Insbesondere eine jüngere, von ideologischen Graben- Für Schnabel ist das keine Sache von unterschiedli- Brecht u.a.) davon ausgeht, dass die Menschen zu übersetzen. mus-Feminismus hat Frigga Haug formu- kämpfen unbeleckte Generation liest wieder ›Das Ka- chen Generationen. Sie beobachtet männerdominan- ihre Geschichte selber machen bzw., wo sie da- liert, sie sind aber »Dokument eines kollek- tiven Prozesses und selbst nur ein Anfang«, pital‹«, so die Herausgeberinnen um Muzzupappa. Das tes Gebaren bei Älteren wie bei Jüngeren – und selbst ran gehindert werden, Selbstermächtigung zu 8. schreibt sie in einer Erläuterung zur Erst- ist dann auch das beste Mittel gegen den Erfolg ideolo- bei Kolleginnen. »Die Frauen verhalten sich dann wie suchen, ist Marxismus-Feminismus untauglich veröffentlichung in der aktuellen Ausgabe gischer Spielchen mit Marx. vk die Männer.« Für einen Wandel der Verhältnisse hält für autoritäres Handeln von oben. Dies setzt 13. der Zeitschrift »Das Argument«. Begonnen es Schnabel für sinnvoll, mehr Frauen auf Lebenszeit- Forschungen wie die zur Erinnerungsarbeit Die Debatte um den Zusammenhang von race, hat dieser Prozess bereits vor drei Jahren, professuren zu berufen – dies heiße auch: »mehr Vorbil- frei, ebenso eröffnet es einen historisch-kri- Klasse und Geschlecht (Intersektionalität) ein Aufruf von Haug an »Feministinnen, die der für die jungen Frauen«. Auch gegen Geschlechter- tischen Umgang mit sich selbst als Teil eines sollte vorangetrieben werden. Der Zusam- ich aus der Bewegung der 1970er Jahre aus Stereotpyen, die die Arbeit beeinfl ussen, müsse mehr Kollektivs, ist also auch eine Form der Selbst- menhang von Klasse und Geschlecht ist in al- Marxistische Feministinnen bleiben nicht län- Veranstaltungen, Reisen, Gastprofessuren getan werden – zunächst einmal, indem man »das Be- kritik als Produktivkraft, len kapitalistisch verfassten Gesellschaften ger in der Position, die den Frauen in der Ar- kannte«, führte zu einem ersten großen wusstsein für diese Probleme« schärfe. weiter konkret zu erforschen; was als »race beiterbewegung arbeitsteilig zugewiesen war, Kongress im Frühjahr 2015 in Berlin. Hier Dass Schnabel im Sachverständigenrat zu der Mehr- question« auftritt, ist je nach Gesellschaft und nämlich den Frieden zu verkörpern und da- entstand eine erste Version der Thesen, diese wurden später »in einem vielstim- heit gehört, die gern auch einmal polemisch gegen den Kultur konkret zu beantworten und auf die für einzustehen, während Männer die Kriege migen Diskussionsprozess« weiterentwi- gewerkschaftsnahen Vertreter Peter Bofi nger Front beiden anderen Unterdrückungsarten zu be- machen. Wir lassen uns auf diese Politik nicht 5. ckelt. 2016 fand ein zweiter Kongress statt, macht, ist allerdings auch wahr. Die Ökonomin will das ziehen (was Ann Ferguson und Gayatri Spi- zurückstauchen, sondern wollen die Gesamt- diesmal in Wien. Auch dort wurden die The- aber nicht so hoch gehängt sehen: »Es gibt viele wich- vak hervorheben). Nichtlineares Denken ist verantwortung mit übernehmen. Wir halten sen weiterdiskutiert. Im Oktober 2018 ist im tige Fragen, wo wir alle fünf einen Konsens haben. Das gefragt. die feministische Kraft in der gegenwärtigen schwedischen Lund eine nächste Konferenz geht leider meist unter. Und wäre es nicht viel schlech- Da alle Gesellschaftsmitglieder in ihrem Weltlage voll Krisen und Krieg für unentbehr- der »marxistisch-feministischen Internati- ter, wenn wir nicht auch kontroverse Diskussionen füh- Handeln an Herrschaftsverhältnissen teil- lich. Sie hat Verantwortung und starke Mög- onale« geplant. ren würden?« vk haben, ist eine konkrete Erforschung der lichkeiten. 16 OXI | 2 | 18 SCHWERPUNKT 17 Warum es neue Orte für ökonomische Bildung braucht Die Gedanken sind frei! Wirtschaftswissenschaft muss sich nicht auf die Flucht in mathematische Scheinwelten festlegen lassen

SILJA GRAUPE UND FLORIAN ROMMEL verdrängen kann (überlegen Sie einmal kurz, Derart in den Köpfen von Millionen Men- wie selbstverständlich es uns ist, in den Super- schen unbewusst verankert, können diese ab- irtschaft ist mir zu abs- märkten der Gegenwart weitgehend schwei- Lehrbücher strakten Denkwelten ein ungeheures transfor- trakt«, hört man oft. Zu- gend herumzulaufen und noch nicht einmal matives Potenzial entfalten. Sie mögen etwa gleich teilen viele Men- mit der Kassiererin in persönliche Beziehung sparen nicht mit mit der Ökonomisierung von immer mehr Le- schen die Einschätzung, zu treten). Auch kann das Geld dazu verführen, bensbereichen in Zusammenhang stehen. dass Wirtschaft immer nur noch über Formeln und Algorithmen mit- emotionalen Doch trotz allem gilt: Die Gedanken sind stärker unseren Alltag einander in Beziehung zu treten und etwa mo- frei! Wirtschaftswissenschaft muss sich nicht Wprägt, sie also sehr konkrete Folgen hat. Wie ralische oder politische Erwägungen praktisch Aufl adungen: So auf die Flucht in mathematische Scheinwel- kommt es, dass Abstraktes Konkretes prägt? nicht zu Wort kommen lassen. Wir begegnen ten festlegen lassen. Schon gar nicht muss sie Wie können wir abstraktes und konkretes uns dann »rein ökonomisch« als Käufer und koppeln sie diese Welten als Ausgangspunkt zu manipula- Denken verbinden lernen? Verkäufer, indem beide Parteien sozusagen tiven Zwecken missbrauchen. Das wirtschaftliche Leben ist bunt und voll. auf der Leiter stehend handeln. Geld ist, kurz »Den Markt« Es ist Zeit, wissenschaftliche Formen und Täglich stehen wir mit zahlreichen Menschen gesagt, eine »Realabstraktion« (Alfred Sohn- Möglichkeiten zu entdecken, die lebendige in sozialen Interaktionen, reden, spielen, ko- Rethel), eine Abstraktion, auf deren selektiver durch gezielte Mannigfaltigkeit wieder in den Blick zu neh- ordinieren, organisieren, handeln, täuschen, Grundlage wir tatsächlich handeln. men und dabei immer wieder neu die richtige tauschen. Eine Wissenschaft, die auf der Ebene »des Wortwahl an Balance zwischen abstraktem und konkretem Dabei bewegen wir uns immer in unter- Marktes« operiert, könnte solchen Prozessen Denken zu fi nden. Es braucht Freiräume, sich schiedlichen medialen Welten; Sprache, Sym- auf die Spur kommen. Sodann könnte sie leh- positive Gefühle mit der Bedeutung etwa von Sprache, Kultur, bole, Zahlen, Emotionen, Gewohnheiten und ren, die Abstraktionsleiter wieder sicher hi- Tausch, Schenken und Verantwortung fun- Gesetze sind Räume, in denen wir uns begeg- nabzusteigen und die Einbettung und Inter- wie »Sicherheit« diert zu beschäftigen. Und es braucht Räume, nen, durch die wir uns koordinieren und zwi- relationen dieser Prozesse in Wirtschaft und verstehen zu lernen, wie Abstraktionen im schen denen wir uns immer wieder auch miss- Gesellschaft allmählich zu erfassen – und da- und alltäglichen wie politischen Wirtschaftsle- verstehen können. mit nicht zuletzt auch der Realabstraktion ben wirken. Der gegenwärtig dominanten (Volks)Wirt- des Geldes sprachlich etwas entgegenzuset- »Freiwilligkeit«. Sich darin von Anfang an zu üben, wollen wir schaftswissenschaft liegt es oftmals jedoch zen. Also etwa zu klären, wie und wo sich diese an der Cusanus Hochschule in unserem Bache- fern, in diese lebensweltliche Vielfalt einzu- Abstraktion verantworten lässt. lor Studiengang ermöglichen. Deshalb werden tauchen oder gar Licht zu bringen. Vor allem Doch der Mainstream der Ökonomie, wie er Studierende etwa direkt im ersten Semester für Studierende ist durch den weltweit stan- an Schulen und Hochschulen weltweit gelehrt angeregt, mit verschiedenen Fragestellungen dardisierten Lehrbuchkanon bereits vorent- wird, schult nicht das bewusste Herauf- und Hi- wöchentlich einen Supermarkt aufzusuchen, schieden, fast ausschließlich in mathemati- nabsteigen auf der Abstraktionsleiter. Statt- haben können? Wie soll der sprichwörtliche zu beobachten und in Tagebucheinträgen das sche Scheinwelten entführt zu werden, die als dessen verlängert er die Leiter nach oben in akademische Elfenbeinturm in dieser Welt Alltagsgeschehen und sich selbst als Beobach- Die Reichen müssen sich Ausgangspunkt einer Manipulation des Den- die Unendlichkeit, bis unser Denken gleichsam wirken können, wo er sich doch jenseits von ter und Teilnehmer immer tiefergehender zu kens genutzt werden können. durch ein Tor hin zu einer reinen Scheinwelt ihr befi ndet? refl ektieren. Zu abstrahieren bedeutet vor allem, von Phä- geführt wird, die – jenseits aller konkreten Er- Eine Antwort kann darin liegen, dass voll- Dies wird von Anfang an mit einer histori- stärker beteiligen nomenen abzusehen, sie auszublenden. Abs- fahrung – nach eigenen Regeln funktioniert kommen abstraktes Denken in Modellen in schen und theoretischen Pluralität an Denk- traktes Denken funktioniert wie eine Leiter, und jeden konkreten Blick auf Wirklichkeit den Köpfen sehr vieler Menschen alltäglich weisen fl ankiert. Selbstrefl exivität zu fördern, Mechthild Schrooten plädiert schon auf der man emporkletternd immer weniger konsequent verstellt. wirksam werden kann, wenn es gemeinsam zieht sich wie ein roter Faden durch das Stu- erkennen kann. Solche »Leitern« sind prak- Wie kann das sein? Auch der Mainstream mit manipulativen Elementen im Zuge von Bil- dium. Durch die Rückbindung an eigene Praxi- tisch, um von »oben« zu erkennen. Man erhält nutzt das eben gewonnene abstrakte Bild von dungsprozessen erlernt wird. Unserer Kennt- serfahrungen schwindet die Grenze zum bloß lange für Umverteilung. Seit 2007 lehrt eine gute Übersicht über Muster und Struk- Märkten, jedoch nur als Assoziation und letzte nis nach kann dies in der heutigen ökonomi- Theoretischen und befähigt, aus beiden Polen turen. Im Gegenzug muss dafür manches kog- Stufe, um sodann in eine Welt reiner mathema- schen Standardlehre der Fall sein: Nicht um heraus klarer zu sehen und zu handeln. sie an der Hochschule Bremen nitiv ausgeblendet werden, ist dann zwar real tischer Modelle zu springen. die sorgfältige Argumentation in einem klar Im Master Ökonomie geht es gerade bei noch vorhanden, schwindet aber aus unserem Diese Modelle sind nicht durch Beobachtung defi nierten Raum mathematischer Abstrak- Studierenden, die vorher Standardökonomie etzt muss es für die Vermögenden selbstverständlich werden, Aufmerksamkeitsfokus. von Märkten entstanden. Im Bestreben, dem tion geht es hier. studiert haben, darum, die Wirkungen öko- sich stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteili- Wenn wir aus dieser neuen Sichtweise han- Erfolg der Naturwissenschaften nachzueifern, Stattdessen passiert etwas gänzlich ande- nomischen Denkens, insbesondere von wis- J gen«, so Mechthild Schrooten. »Geeignete Instrumente hierzu deln und dabei vergessen, dass wir auf einer begann eine kleine Gruppe, zumeist Ingeni- res: Scheinbar mathematisch präzise Argu- senschaftlichen und realen Abstraktionen sind eine Vermögensabgabe und die Wiederbelebung der Vermö- Leiter stehen, kann ein Fehltritt fatale Folgen eure, im 19. Jahrhundert, Lehrbuchrechnun- mentation wird dazu genutzt, junge Menschen auf die eigene Biographie sowie Politik, Wirt- gensteuer.« Das Zitat ist ein paar Jahre alt – hat aber, siehe die De- haben. gen aus der klassischen Mechanik auf ökono- erstaunlich schnell die Abstraktionsleiter hin- schaft und Gesellschaft im Ganzen zu erken- batten über globale Ungleichheit, die immer weiter klaffende Ver- Auf das ökonomische Denken übertragen, mische Fragen nicht nur zu beziehen, sondern aufzuführen, so dass ihr Kopf zunächst prak- nen. Hierfür schulen wir ein Geschichtsbe- mögensschere hierzulande und die Folgen des Superreichtums für können wir uns auf der ersten Stufe die ein- schlicht anzuwenden (Edgeworth, Walras, Je- tisch von ihren alltäglichen Wirtschaftsver- wusstsein ebenso wie eine genaue Kenntnis die Demokratie immer noch aktuell. Gefordert wird Umverteilung gangs angesprochene Mannigfaltigkeit unse- vons; Mirowski, 1991). ständnissen »geleert« wird. Sodann werden heutiger Ökonomisierungsprozesse. Auf die- nicht nur von Schrooten, sondern unter anderem auch von der Ar- res Zusammenlebens vorstellen, die sich mit Entstanden sind so Modelle von Menschen, die weitgehend leeren Konzepte gleichsam ser Grundlage entwickeln wir sodann mit den beitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, der die Bremer Hoch- »Alles Soziale« bezeichnen lässt. So weit und Wirtschaft und Gesellschaft, die nach den rein wie Container mit neuen Inhalten gefüllt. So Studierenden ein breites, interdisziplinär fun- schullehrerin angehört. reichhaltig der Blick von dieser Stufe noch ist, abstrakten Regeln der Mathematik funktio- wandelt sich »Der Markt« – ursprünglich ein diertes Vorstellungsvermögen realer institu- Geboren 1961 in Duisburg studierte Schrooten zunächst Mathe- abstrahiert er dennoch bereits etwa von unse- nieren. So ist der homo oeconomicus nicht ein Ort sozialen Austausches mittels des Medi- tioneller und gesellschaftlicher Transforma- matik, Geschichte und Germanistik in Marburg und ging danach ren Beziehungen mit und Erfahrungen in der Mensch, der sich einem Maximierungskalkül ums Geld – in den Lehrbüchern zu einer »Ma- tionsprozesse. mit einem Auslandsstipendium nach Polen. 1990 schloss sie ein Umwelt und der Natur. anpasst; er ist nur noch dieses Kalkül. Als sol- schine« oder gar in ein handelndes autoritäres So kann die wesentliche Grundfrage des Stu- Studium der Volkswirtschaftslehre in Berlin ab und promovierte Auf der nächsten Stufe schränken wir diesen cher ist er kein Wesen von dieser Welt, sondern Subjekt, etwa einen »Zuchtmeister«, der mit diums, wie man selbst in Zukunft gemeinsam sich. Als Vertrauensdozentin der gewerkschaftsnahen Hans-Böck- Fokus noch weiter ein. Es wird nur noch »Wirt- ein Gedankenkonstrukt aus einer mathema- den Preisen als »Karotte« oder »Peitsche« die mit anderen für eine bessere Welt wirken und ler-Stiftung hielt Schrooten Tuchfühlung nicht nur zu linken The- LITERATUR schaften« betrachtet: Staat, Zivilgesellschaft tischen Scheinwelt. Er ist als Realabstraktion Unternehmen zu (vermeintlich) gutem Han- eintreten möchte, immer fundierter gestellt men, sondern auch zur Nachwuchsförderung. Wenn man über den aber auch politische und kulturelle Aktivitä- nicht lebbar, sondern nur als mathematisch- deln zwingen kann. und können mögliche Antworten zunehmend Stand von Ökonominnen in der akademischen Welt redet, ist das ❱ Silja Graupe Beeinfl ussung und ten, die mit »Alles Soziale« noch angesprochen funktionale Abstraktion berechenbar. Und mehr noch: »Der Markt« wird durch im Handeln und Forschen erprobt werden. keinesfalls eine Nebensächlichkeit. Manipulation in der ökonomischen waren, werden ausgeblendet, während Phä- Nach diesem Sprung ist das Denkbare an das sprachliche Manipulationen mit politischen Insgesamt wollen wir so Beispiel geben für Zwischen 1992 und 2007 arbeitete Schrooten, die sich auf Fra- Bildung Hintergründe und Bei- spiele. FGW-Studie Neues Ökonomi- nomene wie Arbeiten, Produzieren, Sorgen, mathematisch Darstellbare gebunden und in oder gar ideologischen Konzeptionen assozi- neue Formen wirtschaftswissenschaftlicher gen der globalen Ökonomie und der Finanzkrise spezialisierte, beim sches Denken, 2017. Tauschen etc. in den Vordergrund treten. Be- seiner Beweglichkeit ausschließlich davon be- iert – so etwa mit »Freiheit«, »Kapitalismus«, Bildung, die auch an anderen Hochschulen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Dort war sie ❱ Sybille Krämer Figuration, Anschau- trachten wir nur noch »Märkte«, abstrahieren stimmt (Morgan, 2001; Krämer, 2016). Doch denen beispielsweise »der Staat« oder ein eine Transformation ökonomischen Denkens zuletzt stellvertretende Abteilungsleiterin Weltwirtschaft, zwi- ung, Erkenntnis – Grundlinien einer wir noch weiter. Es scheint, als wäre allein der damit nicht genug: Nicht nur der Gegenstand »Zwangssystem« wie feindlich gegenüberge- in Theorie und Praxis inspirierend wirken kön- schendurch erhielt sie den Ruf auf eine Professur an der Hitotsub- Diagrammatologie, Suhrkamp Ver- geldförmige Tausch zwischen Menschen von ökonomischen Denkens verliert seinen Be- stellt wird. Und auch mit emotionalen Aufl a- nen. ashi-Universität im japanischen Tokio. Seit 2007 lehrt Mechthild lag 2016. Erkenntnisinteresse. zug zur Realität, sondern ebenso der Wis- dungen sparen moderne Lehrbücher nicht. So Schrooten an der Hochschule Bremen. ❱ More Heat than Light: Economics as Entlang unserer Abstraktionsleiter nimmt senschaftler selbst: Auch er darf, wie Alfred koppeln sie »Den Markt« etwa durch gezielte Silja Graupe ist Professorin für Ökonomie Und sie mischt auch auch weiterhin politisch ein. Ob nun im Bünd- Social Physics, Physics as Nature’s die Selektivität der Erkenntnis immer weiter Schütz es formuliert hat, kein »Hier« in der Wortwahl an positive Gefühle wie »Sicherheit« und Philosophie sowie Mitgründerin und nis Umfairteilen oder in der Initiative steuermythen.de. Mit Blick , Cambridge University Economics zu. Immer weniger vermögen wir refl exiv zu Sozialwelt mehr haben. Stattdessen ist er zu und »Freiwilligkeit«. -leiterin der Cusanus Hochschule in Bern- auf die Krise in der EU warnt Schrotten vor Rückzügen in die na- Press 1991. erfassen. Zugleich aber lässt sich dadurch ein kühlem Gleichmut, zu Mitleidlosigkeit und Di- Derart aufgeladen, verbleibt nun der Markt- kastel-Kues. Sie leitet dort den Master- tionalstaatliche Wagenburg. Damit komme man nicht in die Lage, ❱ Mary S. Morgan Models, stories and the economic world, Journal of Econo- gewisser Teil der sozialen Wirklichkeit (eben stanz gegenüber jeglicher weltlichen Erfah- begriff nicht einfach in einem abstrakten El- studiengang Ökonomie. »die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Kli- mic Methodology 8, S. 361-384, 2001. der geldförmige Tausch) eingehend struktu- rung verpfl ichtet. fenbeinturm. Stattdessen wird seine unkriti- Florian Rommel ist wissenschaftlicher mawandels, der Sicherheitspolitik, der Migrationsbewegungen und ❱ Walter Otto Ötsch Mythos Markt. rell analysieren. Man mag nun fragen: Na und? Eine solche sche, ja weitgehend unrefl ektierte Übernahme Mitarbeiter am Institut für Ökonomie an der des Terrorismus zu bewältigen«. Die Welt brauche, sagt Schrooten Marktradikale Propaganda und öko- Auf diese Weise kann etwa in den Blick rü- Gedankenakrobatik mag seltsam und als Zeit- in den alltäglichen Sprachgebrauch durch eine Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues. nicht nur mit Blick auf US-Präsident Donald Trump und seine Po- nomische Theorie, Metropolis 2009. cken, dass und wie Geld andere gesellschaft- verschwendung angesehen werden. Aber wie Vielzahl scheinbar alltäglicher »Beispiele« im- Er hat dort im ersten Jahrgang den Master liik, »weniger Nationalstaat, sondern mehr europäische sowie in- liche Kommunikationsformen tatsächlich sollte sie Auswirkungen auf die reale Welt mer wieder und wieder antrainiert. Ökonomie abgeschlossen. ternationale Kooperation.« vk 18 OXI | 2 | 18 OXI | 2 | 18 19

GLOSSAR

Erwerbsarmut Brexodus Schuldenschnitt Solidaritätszuschlag

Erwerbsarmut bezeichnet eine soziale Der Begriff Brexodus – eine Zusammen- Ein Schuldenschnitt bezeichnet eine Der Solidaritätszuschlag, auch Soli Situation, in der eine Person trotz setzung aus Brexit und Exodus – meint vertragliche Vereinbarung zwischen genannt, ist eine ergänzende Abgabe Erwerbsarbeit von Armut betroffen oder das durch den Brexit und mit ihm verbun- Gläubiger(n) und Schuldner(n) über einen zur Lohn- bzw. Einkommens-, Körper- bedroht ist. Als erwerbstätig gilt in dene negative Folgen verursachte Teilerlass von Schulden. Ziel eines schafts- und Kapitalertragssteuer. Diese diesem Zusammenhang, wer mehr als Abwandern von Personen und Unterneh- Schuldenschnitts ist nicht nur die Ent- wurde 1991 zunächst befristet, ab 1995 sechs Monate eines Jahres arbeitet. men aus Großbritannien. lastung der Schuldner, sondern aus unbefristet eingeführt. Als Begründung Von relativer Armut bedroht ist, wer in Für die über drei Millionen im verein- Perspektive der Gläubiger vor allem die wurden die Belastung des Bundeshaus- einem Haushalt lebt, der mit weniger ten Königreich lebenden EU-BürgerIn- Absicherung der künftigen Zahlungs- halts durch den zweiten Golfkrieg, die Un- als 60 Prozent des mittleren bedarfsge- nen stellt sich insbesondere das Problem fähigkeit der Schuldner. terstützung von Ökonomien Mittel- wichteten Einkommens der Bevölke- ihres rechtlichen Status nach dem Während die Vereinbarung eines Schul- und Osteuropas sowie insbesondere die rung auskommen muss. Zudem werden Brexit, beispielsweise im Hinblick auf denschnitts bislang in Bezug auf hoch Kosten der deutschen Einheit ange- Personen als erwerbsarm bezeichnet, aufenthaltsrechtliche Fragen oder verschuldete Staaten des globalen Südens führt. Allerdings sind die Einnahmen die zwar einer bezahlten Arbeit nachge- den Anspruch auf Sozialleistungen. Dies thematisiert wurde, ist ein Schulden- aus dem Solidaritätszuschlag nicht zweck- hen, aber ein so geringes Einkommen veranlasst Betroffene, die Wahl ihres schnitt derzeit vor allem im Zusammen- gebunden, sie können für alle anfallen- hieraus beziehen, dass sie Anspruch auf Wohnortes in Frage zu stellen. So gibt die hang mit der hohen Schuldenlast der den Ausgaben des Bundes genutzt werden. Sozialleistungen haben. britische Statistikbehörde an, die Zahl griechischen Ökonomie in der Diskussion. Der Anteil der Erwerbsarmut in Deutsch- der Abwanderung von EU-BürgerInnen sei Bereits 2012 erfolgte hier ein erster SCHRITTWEISE SENKUNG GEPLANT land liegt bei knapp zehn Prozent, in 2017 auf den höchsten Stand der ver- Schuldenschnitt im Umfang von etwa etwa dem europäischen Durchschnitt. gangenen Dekade gestiegen und sieht 100 Milliarden Euro, der vor allem Die Höhe des Solidaritätszuschlags Allerdings ist die BRD – trotz steigen- einen Zusammenhang mit dem für Kredite privater Gläubiger – Banken, beträgt seit 1998 konstant 5,5 Prozent der Beschäftigungszahlen und Rückgang März 2019 erwarteten Brexit. Während Investmentfonds, Versicherungen der Lohn- bzw. Einkommens- und der Arbeitslosigkeit in den vergangenen in der aktuellen Debatte um einen und Privatanleger – umfasste. Seitdem Körperschaftssteuer. Aufgrund verschie- Jahren – europäische Spitzenreiterin im Brexodus vor allem die Abwanderung ist Griechenland vor allem bei öffent- dener Ausnahmeregelungen für unter- Anstieg von Erwerbsarmut: Die Anzahl Hochqualifi zierter aus dem Finanz- lichen Geldgebern verschuldet, zum Bei- schiedliche Einkommensgruppen kann der Betroffenen im Alter zwischen 18 und und IT-Sektor im Mittelpunkt steht, be- spiel Staaten und internationalen der Beitragssatz allerdings stark vari- 64 Jahren hat sich zwischen 2004 und zieht sich die heute zu beobachtende Organisationen. Aufgrund der weiterhin ieren: So zahlen Geringverdienende, deren 2014 nach Angaben des WSI verdoppelt. Abwanderung jedoch auf im britischen hohen Schuldenlast und der daraus jährliche Lohnsteuer 972 Euro nicht Betroffen waren damit rund 3,7 Millio- Niedriglohnsektor beschäftigte Mit- resultierenden negativen Konsequenzen überschreitet, keinen Beitrag. Personen, nen Erwerbstätige. Zur Gruppe der häufi g glieder vor allem osteuropäischer Staaten. für Bevölkerung und ökonomische deren Einkommen nur knapp über Betroffenen zählen zum Beispiel Ver- Die Abwanderung der insbesondere im Entwicklung forderte die griechische dieser Bemessungsgrenze liegt, zahlen käuferInnen, Putzkräfte, KraftfahrerIn- Hotelgewerbe, der Agrar- und Lebensmit- Regierung, aber auch der IWF wieder- einen verringerten Solidaritätszu- nen oder Pfl egekräfte. telindustrie Beschäftigten führte holt einen weiteren Schuldenschnitt. Dies schlag. Dieser steigt für Einkommen mit bereits zu Protesten von Unternehmens- blockieren derzeit die europäischen einer jährlichen Lohnsteuer bis etwa FOLGEN DER AGENDA 2010 verbänden, die aufgrund des Wegfallens Kreditgeber – allen voran die deutsche 1.300 Euro schrittweise auf den Höchst- billiger Arbeitskräfte eine Verschlechte- Regierung. betrag an und wird ab einer bestimmten Die starke Zunahme von Erwerbsarmut rung ihrer Wettbewerbsfähigkeit Die Auswirkungen eines Schulden- Beitragshöhe wieder reduziert. Durch trotz steigender Beschäftigtenzahlen befürchten. schnitts sind in der öffentlichen Debatte diese Staffelung zahlen die einkom- verweist auf die aktuelle Arbeitsmarkt- Für Unternehmen ist das künftige hoch umstritten. Neben den positiven mensreichsten 20 Prozent der Bevölke- Trotz oder gerade wegen des »Machismo« situation als wichtige Ursache von Verhältnis zur EU, insbesondere der Aspekten der Reduzierung der Schuldlast rung knapp 78 Prozent des durch den Erwerbsarmut: Die Deregulierung des Zugang zum EU-Binnenmarkt, eine zen- und erhöhten Handlungsfähigkeit der Solidarzuschlag erwirtschafteten Arbeitsmarktes, rasantes Wachsen trale Frage. Während ein sogenannter Regierungen der betroffenen Ökonomien Betrages, während die ärmere Hälfte des Niedriglohnsektors und die Zunahme harter Brexit einen Austritt Großbritan- wird in der Diskussion von GegnerInnen der Bevölkerung durchschnittlich Wie in Lateinamerika versucht wird, feministische Forderungen und wirtschaftspolitische Reformen zu verknüpfen ungewollter Teilzeitbeschäftigung niens aus dem EU-Binnenmarkt sowie einer Politik des Schuldenschnitts auf pro Person etwa zwölf Euro zahlt. sind wichtige Faktoren. Zudem sind die der Zollunion bedeuten würde, ermöglicht negative Konsequenzen für die Schuld- Betrachtet man allerdings die Vertei- ULRIKE KUMPE Meneses von der Fundación Colectivo Cabil- zu deutsch »gerechter Pfad«. Er konnte sich Gründe in der Sozialpolitik nach Ein- eine als weicher Brexit bezeichnete ner verwiesen. Neben fehlendem Druck, lung der gesamten Steuer- und Abgaben- deo Bolivia teilt. im Vorfeld des Weltsozialforums 2005 grün- führung der Agenda 2010 zu suchen, ins- Variante weiterhin das Nutzen beider Staatsfi nanzen und Ökonomie umzu- last, so stellt sich das Verhältnis anders rauen beteiligen sich auf vielfäl- Sie hebt in ihrem Beitrag »Buen Vivir: Eine Das Problem den. Es wurden Taschen für die Kongressteil- besondere der Verschärfung der Zumut- Vorteile. Die derzeitige britische strukturieren, erschwere ein Schulden- dar: Personen mit geringen und mittle- tige Weise an den Kämpfen zur Einführung aus der Perspektive von Frau- nehmenden gebraucht. Das war der Start für barkeitsregelungen und Sanktionen für Regierung lehnt diese Form des Brexits schnitt den späteren Zugang zu neuen ren Einkommen werden stark durch So- Überwindung des in die Krise ge- enrechten« hervor, dass die scheinbare Ge- beginne, so eine gerechte und umweltverträgliche Textil- BezieherInnen von Sozialleistungen. ab, da Mitglieder der Zollunion keine Krediten am Kapitalmarkt. zialbeiträge und (indirekte) Steuern ratenen Neoliberalismus in La- schlechtsneutralität des Buen Vivir seine produktionskette vom Saatgut bis zum ferti- Diese erhöhten den Druck auf Erwerbs- eigenen Handelsverträge abschließen belastet, während die Einkommensteuer teinamerika. Dennoch sind sie grundsätzliche patriarchale Struktur ver- Lanza Meneses, gen T-Shirt. lose, auch schlecht bezahlte Arbeit dürfen und der Zugang zum europäi- AUCH IM GLÄUBIGER-INTERESSE einschließlich des Solidaritätsbeitrages gesamtgesellschaftlich weiter- deckt, weibliche Teilhabe beschränkt und die Aktuell sind es eigenen Angaben zufolge 600 annehmen zu müssen. Im EU-Kontext schen Binnenmarkt an die Akzeptanz kaum eine Rolle spielt. Fhin benachteiligt. Sie sind am stärksten von Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in bei der Frage Beschäftigte. In den Genossenschaften von ist zudem eine weitere Verschärfung des Zuzugs von EU-BürgerInnen BefürworterInnen eines Schuldenschnit- Im Zuge der Gespräche zur Regierungs- Armut und in erheblichem Maße von Gewalt indigenen Gemeinschaften negiert. Das Prob- »Justa Trama« arbeiten mehrheitlich Frauen. dieser Trends mit den arbeitsmarktpoli- geknüpft ist. tes setzen dem entgegen, die historische bildung zwischen CDU, CSU und SPD betroffen. Sie sind sowohl Teil als auch Kritike- lem beginne, so Lanza Meneses, bei der Frage der politischen Ihr Anspruch ist ein gerechter Lohn für die tischen Reformen im Nachgang der Für in Großbritannien ansässige Unter- Erfahrung zeige, dass die genannten Kon- wird eine schrittweise Senkung des Soli- rinnen des verfassungsgebenden Prozesses in der politischen Teilhabe von Frauen aus indige- Arbeiter und Arbeiterinnen in der gesamten jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise nehmen, vor allem die international sequenzen vor allem bei einem nicht aus- daritätszuschlags um zehn Milliarden Bolivien und Ecuador, sind Unternehmerinnen nen Gemeinschaften. Während sich die Macht- Teilhabe Produktionskette. Außerdem gründen sie ihre zu beobachten. orientierten Bereiche des Finanzsektors, reichend umfassenden Schuldenschnitt Euro bis zum Jahr 2021 geplant. Während in der Bewegung der solidarischen Ökonomie verhältnisse in der bolivianischen Gesellschaft Produktion auf biologisch angebaute Baum- Während in der öffentlichen Diskus- ist aber der Zugang zum EU-Binnen- zum Tragen kämen und nur eine weit- die an den Sondierungsgesprächen in Brasilien und Wortführerinnen im Kampf insgesamt verschoben hätten, seien sie in den von Frauen aus wolle aus kleinbäuerlicher Produktion und sion die Arbeitsmarktentwicklung markt entscheidend. Sie nutzen bislang reichende Streichung von Kredit- und beteiligten Parteien die Reduzierung um ein menschenwürdiges Leben der zapatis- indigenen Gemeinschaften geblieben, wie sie verwenden nur regionale Naturstoffe. angesichts steigender Beschäftigten- vor allem London als Standort, um Zinsforderungen die notwendige – des Solidaritätszuschlages als Erfolg für tischen Bewegung in Mexiko. bereits waren. indigenen Auch in der Bewegung der solidarischen zahlen überwiegend positiv bewertet von dort aus Geschäften im EU-Raum wenn auch nicht hinreichende – Voraus- die Entlastung kleiner und mittlerer In ihrem Aufsatz »Das Konzept des Buen Vi- Gänzlich anders ist der Prozess innerhalb Ökonomie fi ndet sich der Anspruch auf eine wird, fordern Gewerkschaften und Sozial- nachzugehen. Der fehlende Zugang setzung für eine Entlastung der betrof- Einkommen bewerteten, fällt bei näherer vir in der ecuadorianischen Verfassung aus der zapatistischen Bewegung verlaufen. Hier Gemeinschaften. gerechtere und die Auswirkungen auf die Um- verbände zur Bekämpfung von Erwerbs- zum EU-Binnenmarkt würde dies erheb- fenen Ökonomien und die hier lebende Betrachtung auf, dass von spürbaren feministischer Perspektive« zeigt Anna-Lisa stehen die Rechte und Forderungen indigener welt berücksichtigende Gestaltung wirtschaft- armut ein drastisches Umdenken in der lich erschweren. Bevölkerung biete. Zudem steige bei fi nanziellen Erleichterungen für diese Gann viele Überschneidungen mit Theorien Frauen am Anfang politischer Organisierung. licher Tätigkeit. Die postulierte Gleichheit Arbeitsmarktpolitik – etwa Anheben einer starken Überschuldung mit einem Einkommensgruppen kaum die Rede feministischer Ökonomie hierzulande auf. Ein Sie setzten noch vor dem großen politischen innerhalb der Betriebe wird ganz unterschied- von Mindestlohn und Arbeitslosengeld, FOLGEN FÜR DEN FINANZSEKTOR Schuldenschnitt die Wahrscheinlich- sein kann: Fällt der Solidaritätszuschlag Beispiel ist die Defi nition von Arbeit: »In Hin- Auftritt der Zapatistische Armee der Natio- lich umgesetzt und muss in den Betrieben je- Ausweitung der Tarifbindung sowie keit, dass Schuldner die Restschulden und weg oder wird stark reduziert, profi tier- blick auf den Arbeitsbegriff greifen feministi- nalen Befreiung EZLN Anfang 1994 verschie- weils erkämpft werden. Bei Betriebsübernah- die Verringerung des Drucks auf erwerbs- Im Falle eines harten Brexits planen Zinszahlungen bedienen könnten. So ten Geringverdienende und mittlere Ein- sche Theorie und die in der ecuadorianischen dene Forderungen innerhalb der indigenen Ge- auch in Argentinien entlang der Bewegung der men durch die Belegschaften, die in Brasilien lose BezieherInnen von Sozialleistungen. Unternehmen daher eine partielle liegt eine Reduzierung der Forderungen kommen davon kaum, während höhere Verfassung vorgenommene Neubewertung in- meinden durch. Solidarischen Ökonomien. gesetzlich geregelt sind, bewältigt dies oft eine Nicht zuletzt wirft eine Entwicklung, in Verlagerung ihrer Standorte in das Gebiet durchaus im Interesse der Gläubiger. Einkommen durch den unterschiedlichen einander.« Das von ihnen erwirkte generelle Alkohol- In Brasilien liegt der Anteil der Solidarischen Kernbelegschaft, die bereits vorher im Betrieb der jede/r zehnte Erwerbstätige von des künftigen europäischen Binnen- Beitragsumfang deutlich mehr davon Dies gilt genauso für die Verfassung Bolivi- und Drogenverbot in zapatistischen Gemein- Ökonomien an der gesamten Wirtschaft bei tätig war. Zumeist männliche oder weibliche Armut betroffen ist, die Frage nach einer marktes. Derzeit wird von einer kurzfris- hätten. Passend dazu ist von einer um- ens. Neben der Verankerung eines Rechts auf den besteht bis heute. Sie treten mit ihren For- etwa drei Prozent. In Argentinien sind es 367 Belegschaften bleiben dies in der Regel dann grundsätzlichen Reorganisation der tigen Verlagerung von rund 10.000 fassendere Umverteilung der Sozial- Arbeit, ist der Begriff differenziert ausformu- derungen an die Öffentlichkeit und agieren Betriebe mit etwa 16.000 Beschäftigten. Wäh- auch nach der Übernahme. Verteilung von Arbeit und gesellschaftli- Stellen insbesondere nach Frankfurt am beiträge und Steuern gar nicht erst die liert: »Es werden alle Formen von Arbeit aner- selbstbewusst als Entscheidungsträgerinnen rend in Brasilien die Solidarischen Ökonomien Die Krise des Neoliberalismus in Lateiname- chen Ressourcen auf. Main, aber auch Paris oder Dublin Rede. kannt, in Abhängigkeitsverhältnis oder auto- innerhalb der von ihnen mitgeschaffenen ba- gefördert werden durch das Sekretariat für So- rika und die Krise des kapitalistischen Systems ausgegangen. Das Gros der Abwanderung nom, inklusive Arbeiten der Subsistenz und sisdemokratischen Strukturen, die im Gegen- lidarische Ökonomie, die Kirche und die soge- weltweit hat unterschiedliche Projekte und im Fall eines harten Brexits wird sich Texte: Jenny Simon menschlichen Pfl ege, und alle Arbeiterinnen satz zum Prozess in Bolivien und Ecuador erst nannten »incubadores« der Unterstützungs- Kämpfe hervorgebracht. Trotz oder gerade we- jedoch über einen längeren Zeitraum voll- und Arbeiter gelten als produktive soziale Ak- entwickelt worden sind. und Entwicklungseinrichtungen, können die gen des ausgeprägten »Machismo« beteiligen ziehen, ein wesentlich größerer Um- teurInnen.« (Artikel 325, 152) In beiden Ländern sind die bestehenden argentinischen Betriebe unter der aktuellen sich Frauen in vielfältiger Weise an den Prozes- fang wird erwartet. Allerdings scheint Die Neudefi nition des Arbeitsbegriffs durch patriarchalen Entscheidungsstrukturen in- Regierung des konservativen Präsidenten sen und Kämpfen. Die zentralen Forderungen, es zu früh, die migrationsbezogenen Feministinnen, die alle Arten von Arbeit integ- digener Gemeinschaften heute in ein parla- Macri nicht mit Unterstützung rechnen. Schutz der Umwelt, Recht auf ein menschen- Folgen des Brexits konkret zu benennen riert – insbesondere die sogenannte Sorgear- mentarisches und bislang auch weiterhin ka- Paul Israel Singer, Staatssekretär für Solida- würdiges Leben und demokratische Gestal- und es mehren sich die Stimmen, die beit – ist eine konstante Forderung. In Bezug pitalistisches System integriert worden, ohne rische Ökonomie in Brasilien, benannte 2015 tung, sind allen Kämpfen immanent. Lediglich Berichte über negativen Konsequenzen auf das Naturverhältnis geht Buen Vivir so- hinterfragt zu werden. Dies steht im Wider- auf einem Kongress zur Solidarischen Ökono- die Schwerpunkte werden verschieden gesetzt. des Brexits für den Finanzsektor für gar über westliche öko-feministische Forde- spruch zur breiten Partizipation und Neu- mie in Berlin die zentralen Prinzipien: Selbst- Die genannten Projekte und Auseinander- übertrieben halten. Diese könnten nicht rungen hinaus, indem es die Natur als Rechts- strukturierung der Verfassungen als grund- verwaltung, Autonomie und Gleichheit. Für setzungen sind nur ein kleiner Ausschnitt zuletzt darauf zielen, die britische subjekt defi niert. legendem Gesellschaftsvertrag. viele der solidarökonomischen Betriebe kom- der Kämpfe um Land, Demokratie, Arbeit und Regierung in Richtung einer für die Andererseits weist Gann darauf hin, dass Während in Bolivien und Ecuador die Trans- men zwei weitere Prinzipien hinzu: nachhalti- Würde in Lateinamerika. In allen fi nden sich Branche positiven Brexit-Variante Buen Vivir argumentativ deutlicher den Zu- formation ökonomischer Macht über die Ver- ges Wirtschaften und solidarisch nach außen feministische Forderungen und Theorien zu bewegen. sammenhang zwischen Geschlechterverhält- fassung und damit politische Macht geschieht, wirken, um die Idee einer anderen Wirtschaft wieder. Und auch wenn die Ausrichtung der nis, wirtschaftlichem Handeln und gesell- die zapatistische Bewegung sie militärisch und Gesellschaft zu vermitteln. Kämpfe und Projekte nicht explizit feminis- schaftlichem Wohlstand herausstellen könnte. und politisch durchsetzt, vollzieht sich die- Diesen Prinzipien folgt auch der brasiliani- tisch ist, spielen sie im Rahmen gesamtgesell- Eine Kritik, die auch Martha Eugenia Lanza ser Transformationsprozess in Brasilien, aber sche Genossenschaftsverband »Justa Trama«, schaftlicher Veränderung dennoch eine Rolle. 20 OXI | 2 | 18 WIRTSCHAFT ANDERS LESEN 21 Neue Facetten, ungelöstes Rätsel »Mittelweg 36« setzt das große Projekt fort, dem Kapitalismus theoretisch auf die Schliche zu kommen

TOM STROHSCHNEIDER aber schon deshalb kein Nachteil ist, weil im- Skizze«, die der Frage nachgeht, »warum eine mer noch gilt, dass man erst einmal begreifen solche Verdrängung erfolgte«. Thomas Wels- er Kapitalismus hat insbeson- muss, was man dann greifen will – reformis- kopp zeichnet Rosa Luxemburgs Analyse des dere auf die Theoretiker der tisch, revolutionär oder wie auch immer. Zu Akkumulationsprozesses »als eine sehr zeit- Linken seit jeher eine geradezu den Anstrengungen des Begreifens fi ndet man gebundene Erscheinung« nach und interpre- magische Anziehungskraft aus- einleitend den schönen Satz: Generationen lin- tiert sie als gescheiterten Versuch, »ihre zuvor geübt«, so startet die Zeitschrift ker Intellektueller hätten »entgegen ihrer Ab- doch eher voluntaristischen Revolutionsvor- »Mittelweg 36« in ihren Schwer- sicht« das Rätsel des Kapitalismus »dabei je- stellungen… an ökonomische Strukturbedin- Dpunkt »Theorien des Kapitalismus«. Sie tut dies doch nicht gelöst, sondern ihm vielmehr immer gungen rückzubinden«. Friedrich Wilhelm Graf mit einer Illustration von João Abel Manta – man neue Facetten hinzugefügt«. geht der Frage nach, warum ausgerechnet im sieht die echten und die selbst ernannten »Klas- Das muss kein Nachteil sein, wie das Heft be- deutschsprachigen Raum nach einer religiösen siker« von Marx bis Mao wie in einem Hörsaal weist, auch wenn sich die Autoren wohl nicht »Genese des Geistes des Kapitalismus« gesucht aufgruppiert, die Apologeten und manche Kri- durchweg als linke Intellektuelle bezeichnen wurde – etwa bei Max Weber. Und von Fried- tiker, auch einige Köpfe der Weiterentwicklung lassen würden. Jürgen Kocka verweist dar- rich Lenger bekommt man einen Vorabdruck sitzen da, wie sie ernst, grübelnd, mitschreibend auf, dass das Substantiv »Kapitalismus« erst zu lesen, der sich mit Rezeption und Fehlrezep- Hebel zur Flexibilisierung, auf den unsichtbaren Lehrer blicken. Man sieht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ge- tion von Adam Smiths’ »Wohlstand der Natio- fast ausschließlich Männer. läufi g wurde. Marx benutzte es als Substantiv nen« auseinandersetzt. Die Illustration ist einer Ausgabe der Jugend- kaum. Mit Werner Sombarts »Modernem Sozi- »Mit nur fünf Beiträgen lässt sich das weite zeitung des Kommunistischen Bundes aus dem alismus« von 1902 machte das Wort dann erst Feld einer Theoriegeschichte des Kapitalismus Jahr 1975 entnommen, das Blatt hieß »Rebell«. richtig Karriere, als Joseph Schumpeter 1912 nicht einmal eingrenzen«, schreiben Graf und Folge öffentlicher Sparpolitik Und in gewisser Weise kann das als ein verbin- seine »Theorie der wirtschaftlichen Entwick- Lenger in ihrer Einleitung zu den hier schrift- dender Begriff für jene Linke gelten, die die lung« vorlegte, war er schon hinreichend poli- lich gefassten Vorträgen einer Tagung des Ar- Zeitschrift »Mittelweg 36« da im Kopf hatte bei tisch ausgebeult. beitskreises für moderne Sozialgeschichte. Jüngere, Frauen und Ostdeutsche sind öfter von sachgrundlosen Befristungen der Auswahl der Illustration. Anders als beim Um Schumpeters »Betonung von ›schöpferi- Mit Smith, Marx und Luxemburg, Weber oder Schwerpunkt lautet die Überschrift hierzu: »Im scher Zerstörung‹, Kredit, Investition und Zu- Schumpeter geht es freilich um Autoren, die betroffen. Mit den unsicheren Jobs müssen vor allem Neueinsteiger und öffentlich Bann des Kapitalismus«. Was eine interessante kunftsorientierung als zentralen Merkmalen »die Diskussion um den Kapitalismus bis in die Frage eröffnet: Was hätten jene, die den Kapi- der kapitalistischen Wirtschaftsweise« geht es Gegenwart prägen und zu seinem Verständ- Beschäftigte leben. Ganz schlimm ist es im Wissenschaftsbereich talismus zu überwinden trachteten (Rebellen), Kocka dann vor allem. Wolfgang Knöbl blickt nis auch weiterhin vieles beizutragen haben«. eigentlich ohne Kapitalismus gemacht? auf »zwei Leerstellen der neueren Kapitalis- Und wenn manche Rätsel in der »Mittelweg Aber es trifft nicht nur die, die politisch ge- mustheorie« – und wartet mit der Beobach- 36« weiter ungelöst bleiben, hat man zumin- OXI-REDAKTION in der Phase der Familiengründung zu unter- »Befristete Beschäftigungen nehmen immer »Empirische Studien seien bisher nicht zu ein- gen den, sondern auch jene, die sich wissen- tungen auf, dass, wer heutzutage erwäge, sich dest wieder neue Facetten kennengelernt. stützen.« mehr zu. Inzwischen haben 3,2 Millionen Men- deutigen Ergebnissen gekommen.« Ein neuer schaftlich am Kapitalismus abarbeiteten. in die »Thematik von Mehrwert und Profi t ein- Worum dreht sich aktuell die Debatte? Merke: Die SPD zählt hier eine Reihe von »ge- schen nur ein befristetes Arbeitsverhältnis«, Ansatz aber helfe, »die Auswirkungen befris- Jürgen Kocka hat an anderer Stelle darauf zuarbeiten«, kaum auf Literatur dazu stoße. Theorien des Kapita- Ein Streitpunkt der nun beginnenden Koa- eigneten Maßnahmen« auf, die sie als »weitere hieß es denn auch in einer Analyse des Deut- teter Beschäftigung auf die Arbeitszufrieden- hingewiesen, dass von Anbeginn an »zur Ge- Knöbl sieht das »mit erheblichen Konsequen- lismus, Mittelweg 36. litionsverhandlungen wird das Thema »Be- Fortschritte« in den nun anstehenden Koaliti- schen Gewerkschaftsbundes vom Sommer heit zu bestimmen.« schichte des Kapitalismus die Geschichte sei- zen für eine angemessene Analyse des Kapita- Zeitschrift des Hamburger fristung« sein: Die SPD will Änderungen bei onsverhandlungen erreichen möchte. Eine Be- 2017. Danach betrifft dies vor allem Neuein- ner Kritik« gehöre; mithin setze der Begriff lismus« verbunden, gesteht aber ein, nicht zu Instituts für Sozialfor- den gesetzlichen Regelungen zur sogenann- dingung für einen Eintritt in die Regierung ist stellungen und damit viele junge Leute. »Inzwi- Wie viele befristete Beschäftigte werden Kapitalismus »eine wenn auch noch so vage wissen, wie das unter Marxologen hoch hän- schung, 26. Jahrgang Heft ten sachgrundlosen Befristung erreichen. Die damit aber nicht verbunden. Die Frage freilich schen sind 42 Prozent aller neu abgeschlosse- übernommen? Denkvorstellung von nichtkapitalistischen Al- gende Thema wieder etwas prägnanter in die 6 Dezember 2017 / Union zeigt sich hier einerseits ein wenig of- ist, was ein Erfolg überhaupt bringen würde. nen Einstellungen befristet«, so der DGB, der Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Be- ternativen voraus«. sozialwissenschaftliche Debatte zurückge- Januar 2018, 9,50 Euro. fen, wie Signale von Kanzleramtschef Peter »Sachgrundlose Befristungen abzuschaffen, darauf verweist, dass 2001 nur 32 Prozent der rufsforschung (IAB) der Bundesagentur ist Um solche geht es in den Texten über die holt werden könnte. Knöbl liefert immerhin Altmaier von der CDU in Richtung DGB-Vor- ändert daran zunächst einmal nichts«, wird der Neueinstellungen befristet waren. die Zahl der Übernahmen von befristeter in »Theorien des Kapitalismus« weniger, was eine spannende »wissenschaftshistorische stand gedeutet werden können. Andererseits IAB-Experte Christian Hohendanner beim Sen- Laut der gewerkschaftsnahen Böcklerstif- unbefristete Beschäftigung seit 2009 »merk- pochen die Lobbyverbände der Unternehmen der ntv zitiert. Er nannte es zudem »naiv« zu tung hat fast jeder fünfte abhängig Beschäf- lich« angestiegen: Waren 2009 noch 30 Pro- auf die Beibehaltung der bestehenden Rege- glauben, dass Unternehmen wegen des Weg- tigte unter 35 Jahren nur einen befristeten zent der zunächst befristet angestellten Be- lungen, die sie als Hebel zur Flexibilisierung falls des Instruments der Befristung »automa- Arbeitsvertrag, das heißt, »mehr als 60 Pro- schäftigten anschließend in eine unbefristete der Aneignung fremder Arbeit nutzen. Etwas tisch mehr Beschäftigte gleich dauerhaft an- zent aller befristet Beschäftigten in Deutsch- Beschäftigung übernommen worden, lag der polemisch ließ sich der sogenannte Arbeitge- stellen«. In der Privatwirtschaft könnten die land sind jünger als 35«. Sie seien »in der Be- Anteil im Jahr 2012 bei 39 Prozent. Das IAB: berpräsident Ingo Kramer ein: Wenn Union und Firmen dagegen dann mehr Leiharbeiter ein- rufseinstiegs- und Familiengründungsphase »Beendet wurden 37 Prozent der befristeten Gegen die destruktive Ignoranz SPD bei dem Thema Handlungsbedarf sehen setzen, Arbeitsbereiche auslagern oder Mitar- auch besonders stark von den Nachteilen die- Arbeitsverhältnisse im Jahr 2009 bzw. 28 Pro- würden, könnten sie die Befristungen im öf- beiter frei auf Honorarbasis beschäftigen. Im öf- ser atypischen Beschäftigungsform betrof- zent im Jahr 2012.« fentlichen Dienst reduzieren. fentlichen Bereich müsste eine Änderung wohl fen« – haben also »deutlich niedrigere Netto- Das Institut schreibt weiter: »Es gibt deutli- Das »Handbook of Alternative Theories of Economic Development« Damit spielt Kramer auf einen Knackpunkt eher dadurch erreicht werden, dass die Finan- einkommen als gleich alte Arbeitnehmer mit che branchenspezifi sche Unterschiede bei be- an: Befristet wird vor allem im öffentlichen zierung von Stellen dauerhafter gesichert ist. unbegrenztem Vertrag. Dementsprechend sind fristeten Einstellungen und Übernahmen. In INITIATIVE »WAS IST ÖKONOMIE?« Theorien heute größtenteils nutzlos und er- theoretischer Zugänge wie marxistischer, fe- Dienst und in der Wissenschaft, dort werden sie trotz Arbeit doppelt so häufi g von Armut den Bereichen ›Erziehung und Unterricht‹ und möglichen, in Allianz mit politischen Eliten, ministischer, regulationstheoretischer und DIE INITIATIVE auch weniger befristete Beschäftigte später Was ist sachgrundlose Befristung? bedroht. Junge Beschäftigte in befristeten Ar- ›Öffentliche Verwaltung‹ wird sehr häufi g be- n einer Zeit, in der sich entwicklungsökono- die kontinuierliche Bereicherung industriali- viele weitere eingeführt. Die Initiative »Was ist Ökonomie?« stellt an übernommen. Das liegt in der Natur der gel- Das Gesetz über Teilzeitarbeit nennt die Befris- beitsverhältnissen sind zudem seltener ver- fristet eingestellt: Die Befristungsanteile be- mische Forschung weitestgehend mit mik- sierter Länder und des Finanzsektors – auch Der dritte Teil schließlich bietet Einblicke in dieser Stelle regelmäßig wichtige ökonomi- tenden Regelungen, die 1985 »ursprünglich tung eines Arbeitsvertrages »zulässig, wenn heiratet und haben deutlich weniger Kinder tragen hier 76 bzw. 60 Prozent. Gleichzeitig roökonomischen Lösungen zur symptoma- nach dem Ende der Kolonialzeit. eine Vielzahl entwicklungsökonomischer Pro- I sche Bücher vor. Die an der Humboldt-Uni- als Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosig- sie durch einen sachlichen Grund gerechtfer- als unbefristet Beschäftigte.« sind die Übernahmequoten in diesen Berei- tischen Armutsbekämpfung begnügt, ist der Diese »destruktive Ignoranz«, die durch das blemfelder. Er stellt weder Anspruch an Kohä- versität Berlin angesiedelte Gruppe setzt keit gedacht« waren, inzwischen aber »zu ei- tigt ist«. Als solche Gründe werden insgesamt Interessant sind auch die regionalen Unter- chen besonders niedrig: Bei ›Erziehung und Un- Sammelband »Handbook of Alternative The- Auslassen realer historischer Entwicklungs- renz noch an Vollständigkeit und ist am ehes- sich für eine kritische und interdisziplinäre nem Massenphänomen geworden« seien, wie acht aufgezählt – darunter, dass »der betrieb- schiede: »Während Mecklenburg-Vorpommern terricht‹ lediglich 18 Prozent, im Bereich ›Öf- ories of Economic Development« ein lang er- erfahrungen aus der ökonomischen Lehre ten als Inspirationsquelle für interessierte Veränderung in der Volkswirtschaftslehre es die Gewerkschaften formulieren. »Arbeit- liche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorü- mit 55 Prozent befristeter Einstellungen an fentliche Verwaltung‹ 28 Prozent.« Der Grund sehnter frischer Wind. Die Herausgeber*innen entsteht, soll der Sammelband angehen. Dazu Leser*innen geeignet, die über den eigenen in- ein. Mit selbstorganisierten Veranstaltun- geber entlasten sich von Risiken, mit der Be- bergehend besteht«, dass »die Befristung im der Spitze liegt, sind es in Bayern mit 32 Pro- liege darin, dass in diesen Bereichen »Projekt- Erik Reinert (Talinn University of Technology, stellt er dem akademischen Ist-Zustand eine tellektuellen Tellerrand schauen wollen. gen sowie kritischen Interventionen ver- kämpfung der Arbeitslosigkeit hat dies Ver- Anschluss an eine Ausbildung oder ein Stu- zent die wenigsten«, fasst das eine Nachrich- und Haushaltsmittel häufi g nur für einen kur- Estland), Jayati Ghosh (Jawarhalal Nehru Uni- große Anzahl alternativer Erklärungsversu- Reinert, Ghosh und Kattel halten, was sie sucht sie, ein Bewusstsein für blinde Fle- halten nichts mehr zu tun.« dium erfolgt, um den Übergang des Arbeit- tenagentur zusammen. Neu abgeschlossene zen Zeitraum vergeben werden«. versity, Indien) und Rainer Kattel (Talinn Uni- che gegenüber. versprechen: Das »Handbook of Alternative cken in der Volkswirtschaftslehre und die Im Gesetz gibt es sogar eine eigene Klau- nehmers in eine Anschlussbeschäftigung zu Arbeitsverhältnisse von Frauen werden zu 47 In einer anderen Studie verweist das IAB versity of Technology, Estland) suchen nach Der erste und längste Teil des Handbuchs be- Theories of Economic Development« ist ein politischen Implikationen mainstream-öko- nomischer Denkmuster zu schaffen. Thema sel für den öffentlichen Bereich, die sich ver- erleichtern« oder »der Arbeitnehmer zur Ver- Prozent befristet, bei Männern nur zu 38 Pro- auf die Lage an den Hochschulen. »Das Niveau alternativen Konzepten und sprachlicher und fasst sich mit theoretischer, politischer und inspirierender Einstieg in Entwicklungsthe- im von ihnen organisierten studentisch-in- hängnisvoll auswirkt: Befristungen werden tretung eines anderen Arbeitnehmers beschäf- zent. »Hier wirkt sich aus, dass Befristungen befristeter Arbeitsverträge in der Wissen- geografi scher Vielfalt im akademischen Dis- empirischer Geschichte der Entwicklungs- orien abseits des Mainstreams und öffnet den terdisziplinären Kolloquium sind derzeit dort ausdrücklich dann erlaubt, wenn »der tigt wird«. vor allem im Dienstleistungsbereichen, im Ge- schaft liegt deutlich ü ber dem des restlichen kurs. Nicht zuletzt stellen sie die Frage, die ak- ökonomie in verschiedenen Teilen der Welt. Diskursraum. Wäre uns ein solcher Band zum kritische Perspektiven auf Globalisierung. Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergü- Befristet werden kann ohne »sachlichen sundheitswesen und im öffentlichen Sektor öffentlichen Dienstes.« Die Zahl sei kontinu- tuell von einem Großteil der Disziplin ignorant Während erste Arbeiten auf die Deutsche His- Studienbeginn vorgestellt worden, hätten wir Mehr unter: wasistoekonomie.de tet wird, die haushaltsrechtlich für eine be- Grund« derzeit für eine Dauer von zwei Jah- stärker verbreitet sind«, so der DGB. ierlich angestiegen, sie pendelt je nach Daten- umschifft wird: »Cui bono?« (Wem nützt es?). torische Schule und frühe Vertreter einer auf- Fragen der ökonomischen Entwicklung als die fristete Beschäftigung bestimmt sind, und er ren, Verträge können binnen dieses Zeitraums Die »Frankfurter Allgemeine« verweist auf grundlage zwischen 27 und 43 Prozent (2014), Der Ausgangspunkt ist, wie auch bei frühe- holenden Entwicklungspolitik fokussieren, komplexen, widersprüchlichen und politisch entsprechend beschäftigt wird«. Genau das maximal drei Mal verlängert werden. Tarif- Daten zum europäischen Vergleich, danach lag aber 2004 noch zwischen 25 und 37 Pro- ren Arbeiten der Editor*innen, eine Kritik an behandeln die folgenden Beiträge unter an- aufgeladenen Problemfelder verstanden, die aber geschieht oft: Mittel werden nur befris- verträge können diese Regeln zur Anzahl der liege »der Anteil der Befristungen hierzulande zent. Damit aber nicht genug: »Betrachtet man neoklassischen ökonomischen Theorien. Als derem muslimische, asiatische, ottomanische, sie sind, und nicht als trockene Nebenbedin- tet eingestellt. Das führt vor allem in der Wis- Verlängerungen oder zur Höchstdauer der Be- allerdings nicht besonders hoch, wie Zahlen lediglich die wissenschaftlichen Mitarbeiter Grundlage neoklassischer Entwicklungsöko- lateinamerikanische und afrikanische Pers- gungen in einem naiven mathematischen Ma- senschaft zu einer erheblichen Schwächung fristung abweichend regeln. Weitere Ausnah- des Statistischen Bundesamts zeigen. Bezo- im Arbeitnehmerstatus lag der Befristungs- nomik sehen sie David Ricardos Konzept des pektiven auf Entwicklung. Es werden Einblicke ximierungsproblem. der Beschäftigten, wie die hohen Befristungs- memöglichkeiten gelten für neugegründete gen auf die Gesamtzahl der Beschäftigten, also anteil laut dem Bundesbericht fü r den wissen- relativen Kostenvorteils. Ricardo zufolge kön- in nicht europäische, nicht englische und nicht Der eklektische Strauß an Beiträgen aus al- quoten zeigen. Unternehmen oder Beschäftigte im Alter über nicht nur die Neueinstellungen, beträgt er 8,5 schaftlichen Nachwuchs im Jahr 2010 bei etwa nen sich zwei Länder beim Handel miteinan- neoklassische Denkschulen gegeben. Dies ler Welt ist in dieser Form bisher einzigartig. 52 Jahren. Eingeführt wurde die Möglichkeit Prozent; und darin ist der öffentliche Dienst 90 Prozent.« der zum gegenseitigen Vorteil spezialisieren: steht in einem deutlichen Kontrast zu der Le- Wer auf eine inhaltliche Synthese gehofft hat, Was will die SPD erreichen? der sachgrundlosen Befristung 1985 mit der schon enthalten. Der EU-Durchschnitt liegt bei Das arme Land auf die Güter, in denen es rela- gendenbildung aktueller wirtschaftswissen- wird jedoch enttäuscht sein. Vielmehr bleibt Die SPD hat auf ihrem Sonderparteitag be- Begründung, die Hürden für Neueinstellun- elf Prozent.« Wie sieht die Lage im privaten Sektor aus? tiv weniger Produktionsnachteile hat. schaftlicher Textbücher. Diesen zufolge wurde es Aufgabe weiterer wissenschaftlicher und schlossen, in den Koalitionsverhandlungen gen so zu senken. Laut einer IAB-Studie von 2016 nennt die Pri- Fazit dieses Modells ist, dass freier Handel »die VWL« von Ricardo und Smith erfunden, praktischer Auseinandersetzung, die Ideen zu zu erreichen, dass befristete Arbeitsverhält- Was sind die Folgen der Befristung? vatwirtschaft als wichtigste Befristungsmo- beide Länder reicher macht. Die Editor*innen von britischen und amerikanischen Ökonomen verknüpfen und im globalen Austausch neue nisse »die Ausnahme sein« sollen, dies aber Wie viele Menschen arbeiten sachgrundlos Sieht man vom grundlegenden Problem ab, tive »die Erprobung neuer Mitarbeiter«. Der argumentieren, dass die logische Konsequenz weiterentwickelt und führte schließlich in den politökonomische Antworten auf Probleme un- konditioniert: »gerade für Berufseinsteigerin- befristet? dass die Stelle ausläuft und man seine Beschäf- Befristungsanteil lag hier 2014 um über sieben einer nach diesem Prinzip gestalteten Welt- 1980er Jahren geradlinig zum neoklassischen serer Zeit zu fi nden. nen und Berufseinsteiger muss das unbefris- Die Bundesregierung hat 2017 der Linksfrak- tigung verliert, gibt es Hinweise auf die dar- Prozent niedriger als im öffentlichen Bereich, handelsordnung ein sich verfestigendes Un- Wachstumsmodell. tete Arbeitsverhältnis wieder zur Regel wer- tion gegenüber in einer Antwort auf eine An- aus resultierenden Folgen für die Gesundheit. bezieht man in die Berechnung auch die Wis- gleichgewicht sei. Demzufolge spezialisieren Mögliche analytische Zugänge, um heutige Reinert Erik S, Ghosh den«. Es geht also der Sozialdemokratie vor frage erklärt, in der Bundesrepublik hätten 2,8 »Das Wohlbefi nden von Arbeitnehmern wird senschaft mit ein, wächst der Abstand auf über sich reiche Länder auf Aktivitäten mit ho- Phänomene ökonomischer Entwicklung zu Jayati and Kattel Rainer allem um die Jüngeren. »Deshalb sind die Ab- Millionen Beschäftigte befristete Jobs – dies durch Befristung erheblich beeinträchtigt. Der zehn Prozent. Das IAB: »Wä hrend ö ffentliche her Wertschöpfung (Industrie) und arme Län- begreifen, werden im zweiten Teil vorgestellt. (Hrsg.): Handbook of Alter- schaffung der sachgrundlosen Befristung, die sei ein Anstieg von rund zwei Millionen gegen- Grund dafür sei die fehlende Arbeitsplatzsi- Arbeitgeber befristete Arbeitsverträ ge als der auf solche mit geringer Wertschöpfung Kein mathematischer Werkzeugkasten be- native Theories of Einschränkung der Sachgründe für Befristun- über 2007. Laut dem Statistischen Bundesamt cherheit«, heißt es in einer Untersuchung von zentrales Instrument der Personalanpassung (Ressourcen, Agrikultur). Ihnen zufolge war stimmt hier, welcher Analyserahmen möglich Economic Development. gen sowie die Begrenzung von Befristungsket- wurden im Mikrozensus für das Jahr 2015 rund Adrian Chadi und Clemens Hetschko von der einsetzten, nutzten private Arbeitgeber dane- diese ›Arbeitsteilung‹ bereits die Ultima Ratio und ergo richtig ist – ein von den Editor*innen Edward Elgar, ten geeignete Maßnahmen, um insbesondere 3,2 Millionen Beschäftigte mit einem befris- Universität Trier und der Freien Universität ben hä ufi ger auch Erwerbsformen wie Leihar- jahrhundertelanger kolonialer Wirtschafts- zurecht kritisierter Ansatz neoklassischer Cheltenham 2016 für junge Menschen für mehr Sicherheit beim teten Arbeitsverhältnis gezählt – das sind 9,3 Berlin. Die Auswirkungen auf das Wohlbefi n- beit oder freie Mitarbeit und sprachen ö fter politik. Um die Realität zu beschreiben, so Wissenschaftler*innen. Stattdessen wird Start ins Berufsleben zu sorgen und sie damit Prozent aller abhängig Beschäftigten. den der Betroffenen waren bisher umstritten: Kü ndigungen aus.« die Editor*innen, sind solche neoklassischen in ein breites Spektrum verschiedenster 22 OXI | 2 | 18 OXI | 2 | 18 23

WIRTSCHAFT IN BILDERN Die Hörsäle Raus aus der Pubertät und die Reihenhäuser CORINNA VOSSE ist die Position mit einer Dro- Befragten täglich Obst oder Ge- Unfähigkeit, Wirtschaft nach- hung. Ob die aus Wirtschaft oder müse essen. Ob damit ein Apfel haltig zu gestalten. Am konkre- Während ich dies schreibe, sind Zivilgesellschaft kommt, also gemeint ist oder die empfohlenen ten Fall bestätigt sich, alle Waren »die 1968er« zu weit weg von den Arbeitern? Über die Chance, mal wieder Sondierungsge- Arbeitsplatzabbau oder Wähler- fünf Portionsbausteine bleibt gesellschaftlichen Sektoren sind spräche zu Koalitionsverhand- stimmenentzug lautet, hängt unklar. Klar ist die Botschaft: an der Aufrechthaltung des lungen im Gang. Wenn Sie vom Thema ab. Alles ist im grünen Bereich, Status Quo beteiligt: Zivilgesell- aus der Geschichte etwas über »Einheit in Differenz« zu lernen den Text lesen, haben wir viel- Unser Politikproblem hat also auch ohne politische Interven- schaft, Wirtschaft und Staat. leicht wieder eine Regierung mindestens diese zwei struk- tion, zum Beispiel zur Einfüh- Ich befürworte nicht die Individu- TOM STROHSCHNEIDER Gedanke an eine mögliche »plurale Einheit« oder zumindest ein Einverneh- turellen Dimensionen: Auf der rung einer verpfl ichtenden Le- alisierung von gesellschaft- (Angelika Ebbinghaus) auf. men darüber, wer für diese Seite der Politik fehlen Gestal- bensmittel-Ampel. Der Bericht lichen Problemen. Aber galt nicht uss über Alexander Dob- Zwei verbindende strukturelle Ursachen die- Die Revolution Herausforderung antritt. Ich tungswille und Durchsetzungs- schließt mit zuversichtlichen Wor- auch mal: Das Private ist poli- rindts Ruf nach einer »kon- ser »pluralen Einheit« sind leicht ausgemacht: fi nde das allein schon löblich, bereitschaft. Auf der Empfäng- ten zum Thema Lebensmittel- tisch? servativen Revolution« Man mag Anfang und Ende von »1968« unter- begann nicht in der ist Regieren doch eine Aufgabe, erseite politischer Gestaltung verschwendung und weist als ei- Bloß was bedeutet das heute? noch geredet werden? Pa- schiedlich markieren, immer jedoch wird da- an der Menschen derzeit nur fehlen Veränderungsbereit- nen Erfolg des Ministeriums Ich denke, es heißt eben nicht, ich trick Bahners hat den Bür- hinter als Bezugspunkt das Ende der Wachs- Fabrik, aber sie scheitern können. Egal, welches schaft und Solidarität. Politisches die Verbreitung der ‚Beste-Reste- werde zur dogmatischen Vega- ger, gemeint als Mehrheit, tumsperiode des globalen Kapitalismus nach Politikfeld ich mir vorstelle – Handeln kann deshalb kaum App’ zur Reduzierung von nerin und trage bei zu Fronten- Mals Citoyen, schon gegen die unangemessene dem Zweiten Weltkrieg und die Krise des For- stand fast überall der Problemdruck ist überall so initiiert oder verbreitet werden. Lebensmittelabfällen im Haus- bildung und Moralisierung. Inanspruchnahme durch das rechte Manifest dismus wahrzunehmen sein. Ein zweiter Punkt groß, dass eigentlich alles Da tut man doch besser gleich halt aus. Das Herunterladen Es beinhaltet vielmehr, mich für verteidigt. Georg Diez hat sich zum »Retorten- ist die Bildungsexpansion, die Zahl der Jugend- in Relation von Grund auf anders aufgebaut so, als gäbe es keinen Handlungs- einer App lässt Schlüsse zu über die Schaffung anderer Struk- Reaktionär« aus der CSU geäußert und die For- lichen, die eine mittlere und höhere Ausbil- werden müsste. bedarf. Am Politikfeld Ernäh- Medienaffi nität oder Interesse turen einzusetzen und so taug- derung erhoben, nicht länger zuzulassen, dass dung durchlaufen hatten, war seit 1945 stark zu diesem Ort. Alte Paradigmen behindern rung und Landwirtschaft lässt am Thema, nicht aber über den liche gesellschaftliche Lösung- »rechte Kräfte ›Freiheit‹ als Kampfbegriff ge- gewachsen. unser Denken, Verwaltungs- sich das gerade schön veran- Umgang mit Lebensmitteln, en mitzugestalten und mitzutra- gen Fortschritt instrumentalisieren.« Auch das Beiden Ursachen kann man widersprüch- abläufe sind nicht kompatibel schaulichen. würde ich sagen. gen. Das eine tun und das zur Mobilisierung der angeblich Macht- und liche Momente zuordnen: Der wachsende mit verbreiteten Kommuni- Das zuständige Bundesminis- Soviel zur Sicht des Ministeri- andere nicht lassen. Stimmlosen gemalte Zerrbild »linker Eliten« Wohlstand, der auf der politisch gewollten kationstechniken, überkommene terium für Ernährung und Land- ums. Wer jetzt noch Fragen hat, Vielleicht reproduzieren wir und ihrer angeblichen einfl ussreichen »Basti- Umverteilung eines vergleichsweise großen Verordnungen passen nicht zu wirtschaft (BMEL) hat bereits kann sich zum Glück auch im zeit- als Gesellschaft immer wieder onen« hat reich illustrierten Widerruf erfah- Mehrprodukts basierte, ließ einerseits neue der Proletarität« stärker bezogen, mal weni- heutigen Problemen, Produktion den Jahresbericht Ernährung gleich erschienenen Fleischatlas eine Politik, die wir dann bekäm- ren. Ende der Debatte? Ansprüche wachsen – solche der persönli- ger. Doch es waren eben nicht nur die in den ist nicht eingestellt auf eine 2018 vorgelegt. Er basiert auf 2018 informieren. Inhaltlich ver- pfen können. Damit jemand Ein Nachtrag sei zumindest noch vorge- chen Autonomie, des Konsums, der individu- »Hörsälen und Redaktionsräumen«, die ei- Welt mit endlichen Ressourcen, Befragungen von 1.000 Personen antwortet wird er von der Hein- anderes Schuld ist. So ähnlich wie schlagen, und er hat etwas mit Dobrindts Be- ellen Lebensführung -, andererseits geriet die nen umfassenderen Ruf nach individueller und wir Menschen haben ganz und weist aus, dass alles zum rich-Böll-Stiftung und vom Bund im Verhältnis von Kindern und hauptung zu tun, »die 68er« seien »immer eine Erfüllung dieser Bedürfnisse mit der Krise des und kollektiver Freiheit formulierten, son- alltäglich Gewohnheiten und Besten steht oder wenigstens auf für Umwelt und Naturschutz Eltern während der Pubertät. Ich Elitenbewegung« gewesen, »eine Bürger-, Ar- Fordismus unter Druck, worauf mit wachsen- dern dies geschah auch in den »Reihenhäusern Ansprüche ausgebildet, die uns einem guten Weg ist. Zum Bei- Deutschland. Nun ahnt man schon, denke, es ist an der Zeit, dass beiter- oder Volksbewegung waren sie nie«. der Unruhe in den Betrieben reagiert wurde. und Fabriken«. Gerd-Rainer Horn schreibt in zum Gegner unseres eigenen spiel sagen 90 Prozent der Be- hier wird die schweinchenrosa wir uns aus der Pubertät heraus- Was sich Dobrindt da als eine Art negatives Diese war stärker als je zuvor vom Wunsch »1968 und die Arbeiter«: Diese »verloren ihre Lebensraums machen. fragten aus, sie seien bereit, für Welt des BMEL getrübt. Kurz ge- wagen. Vielleicht wachen wir historisches Subjekt vorstellt, ganz einheit- nach Autonomie, mit Fragen der moralischen Angst gegenüber … den kleinen wie den gro- Als wäre das nicht Herausforde- Tierwohl höhere Preise zu bezah- sagt: Wir kaufen zu viel Fleisch, dann auf, und es gibt eine tatkräf- lich, ohne Widersprüche, kommt für ihn aus- Ökonomie, auch mit Auseinandersetzungen ßen Chefs. Sie ergriffen das Wort – und die- rung genug, gibt es außerdem len. Für mich klingt das sehr die Landwirtschaft bedient diese tige Regierung. schließlich »aus den Hörsälen und Redaktions- um Gleichheit verbunden; etwas, das auch aus ser Ausdruck ist wortwörtlich zu nehmen, im bei jeder Ankündigung einer staat- nach einer Antwort im Sinne sozi- Nachfrage und die Politik lässt räumen«, aber, so schreibt es der sonst um die den Bewegungen der Studenten und Schüler Sinne von prise de parole.« lichen Intervention in dieses aler Erwünschtheit. Im Kontext es zu, bzw. macht es möglich. dort Wohnenden so umfassend besorgte CSU- zurückwirkte. Diese wiederum agierten nicht Indem man diesen Teil des langen Aufbruchs dysfunktionale Gefüge eine gut des Berichts wird suggeriert, eine Folgen sind allbekannt: Tierleid, Corinna Vosse ist Mann, »nicht aus den Reihenhäusern und Fa- nur gegen den »Muff von 1000 Jahren«, ge- von »1968« wieder stärker in Betracht zieht, organisierte und medienwirk- verbindliche staatliche Regulie- Grundwasserbelastung, Regen- Wissenschaftlerin, briken«. gen autoritäre Zurichtung der Subjekte und werden auch die Einseitigkeiten mancher da- sam platzierte Gegenkampagne. rung industrieller Tierhaltung waldabholzung für Futtermit- Beraterin und Es klingt in diesen Formulierungen etwas für einen kulturellen Aufbruch. Sondern ihre maliger Darstellungen überwindbar. Herbert Transformation ist dringend zum Schutz von Tieren und sonsti- telanbau, Zerstörung der Märkte Geschäftsführerin an, das man auch aus der linken Debatte un- Kämpfe hatten natürlich ihre soziale Dimen- Marcuses Diktum von der integrierten Arbei- nötig, aber genau dieser Tatbe- ger Mitwelt sei überfl üssig, das für regionale bäuerliche Tier- der Akademie für serer Tage kennt, sozusagen das »Eribon-Mo- sion, es ging unter anderem darum, das per Bil- terklasse, die nicht mehr zur »großen Weige- stand darf aus diesem und regele sich alles über den Markt haltung. Suffi zienz, einem Reallabor für ment«: Die Linken hätten sich mehr und mehr dung befeuerte Aufstiegsversprechen auch zu rung« fähig sei, mag mit Blick auf die damalige jenem wirtschaftlichen und so- und ein freiwilliges Label. Zusammen gesehen sind die ökologisches Wirtschaften. Sie auf Fragen der Kultur und Identität beschränkt realisieren, was an die Grenzen des Gegebe- Politik der Gewerkschaftsapparate noch nach- zialen Grund auf keinen Fall An anderer Stelle wird ausge- Berichte ein bedrückender Beleg arbeitet zudem im Zentrum für und dabei die Arbeiterklasse und die einfachen nen stieß – sei es die Struktur von Universität, vollziehbar sein. Als Gesamturteil taugt es so angefasst werden. Untermauert führt, dass 72 Prozent der für unsere gesellschaftliche Kulturforschung, Berlin. Leute aus dem Blick verloren. Was dabei un- seien es die Fahrpreise im öffentlichen Nah- wenig wie die Idee, nur noch kritische Minder- ter der Fahne der Emanzipation in Marsch ge- verkehr, sei es die Aussicht auf eine Lohnar- heiten und Randgruppen hätten das Zeug zum setzt wurde, habe das »Kulturelle« gegen das beit. historischen Subjekt. »Soziale« ausgespielt, sei zum Treibstoff einer Peter Birke hat in dem Sammelband »Alte »Das Potential, das die Geschichte der Ar- auf Identitätsfragen versessenen »neolibera- Linke – Neue Linke?« den schönen Satz ge- beitskämpfe« auch der 1960er Jahre in sich ANZEIGE len Linken« geworden: einer Elite sozusagen, prägt: »Die Revolution begann nicht in der Fa- trägt, schreibt Birke, liegt darin, dass es sich die »aus den Hörsälen und Redaktionsräumen« brik, aber sie stand fast überall in Relation zu hier um eine »Geschichte der Veröffentlichung kam und letzten Endes gegen die Interessen diesem Ort.« Das mag in Frankreich und Ita- der Unzufriedenheit mit der Lohnarbeit« und derer in »den Reihenhäusern und Fabriken« lien weit stärker so gewesen sein als in der der ihr zugrunde liegenden Produktionsver- agierte. Bundesrepublik. In der DDR blickte man nach hältnisse handelt. In denen ist das angeblich Auch diese Fehlrezeption einer an sich not- Prag und sah dort einen politischen Frühling, Trennende (hier die Hörsäle, dort die Fabriken; wendig-kritischen Rückschau auf die Fehl- der sich auch in die Betriebe auswuchs, wo es hier die Einheimischen, dort die Migranten; schläge und Unzulänglichkeiten in der Verbin- um Demokratisierung, um neue Rollen, eben hier die Frauen, dort die Familienernährer) ge- dung von sozialen und kulturellen Kämpfen um Freiheit ging. Im Westen waren dabei die sellschaftlich zusammengeschweißt. Das hat oxiblog.de malt gern einmal das Bild von »den 68ern« an Verknüpfungen mit migrantischen und femi- die progressive Linke nicht immer gut begrif- die Wand. nistischen Kämpfen viel deutlicher. Junge Ar- fen und politisch ist die Erfolgsliste vielleicht Zwei Denkfehler verbinden diese, ansons- beiter fuhren in die Universitäten, sahen sich auch gar nicht so lang. ten in ihrer Motivlage so unterschiedlichen dort mit Sprechbarrieren konfrontiert – fühl- Aber man könnte ja daraus lernen. Der Kon- Sichtweisen: Erstens wird »1968« darin stark ten aber das kulturelle Band. fl ikt beinhaltete um 1968 weitaus mehr »als auf bestimmte Aspekte reduziert, vereinheit- In der Bundesrepublik hatten schon in den die Verteilungsfrage bzw. die Forderung nach licht und nur vom Ende der Geschichte aus be- früheren 1960er Jahren Arbeitskämpfe um der Sicherheit der Normalarbeit«, schreibt trachtet. Auch ist beiden eine Sicht auf sozi- die Höherwertung von »Frauenlohngruppen« Birke. »Immer wieder geht es auch um den ale Bewegung eigen, die diese als Resultat des oder für bessere Behandlung von migranti- Bruch mit den Grenzen der Fabrik und ihrer bloßen Wollens, aber weniger als Ausdruck ge- schen Arbeitern stattgefunden. An den Pro- inneren Vergemeinschaftungsformen, um die sellschaftlicher Verhältnisse und Krisen se- testen gegen Fahrpreiserhöhungen im öffent- Aneignung eines Lebens, das möglich wäre und hen will. Zugespitzt hat die Kritik daran (aus lichen Nahverkehr beteiligten sich zwischen schon ganz greifbar erscheint.« Nicht einfach, konservativer Sicht) Alexander Grau mit dem 1967 und 1969 in vielen Städten auch die Be- daraus für heute eine »Politik« zu machen. Hinweis, dass die »gesellschaftlichen Moder- schäftigten, gerade die jüngeren. Es gab eine Und es geht auch nicht um ein neues histori- nisierungsprozesse, die mit 68 assoziiert wer- Lehrlingsbewegung, eine der Schüler, einen sches Vorbild, das unkritisch angeeignet wer- den, schon sehr viel früher« einsetzten; was als Heimkinder-Aufbruch und so fort. Menschen den soll. Aber 1968 ist wichtig, um zu begrei- Revolte ablief, war also »nicht der Auslöser ei- aus proletarischen Elternhäusern, aus klein- fen, dass der Graben zwischen »den Hörsälen ner gesellschaftlichen Revolution, sondern de- bürgerlichen Familien. Natürlich gab es schier und Redaktionsräumen« und »den Reihenhäu- OXI abonnieren – ren Ergebnis«. unüberwindliche Widersprüche – die einen sern und Fabriken« nicht so tief sein muss. Und Der zweite Fehler besteht darin, die Ver- suchten nach Alternativen zur Lohnarbeit, die überwindbar. und 3 Plakate geschenkt bekommen. schränktheit von sozialen und kulturellen Mo- anderen wollten genau die nur unter besseren tiven auszublenden. Weil der »proletarische Bedingungen. Peter Birke, Bernd Hü ttner, Gottfried Oy Testen: drei Ausgaben für 10 Euro Mai«, die Unruhe in den Betrieben, die Lehr- Aber die »Einheit« bestand mitunter da- (Hrsg.): Alte Linke – Neue Linke? Die lingsbewegung, das übergreifende Bündnis ge- rin, diese »Differenz« zu erkennen und sie sozialen Kä mpfe der 1968er Jahre in der Jahresabo: 12 Ausgaben für 40 Euro gen die Notstandsgesetze, an dem sich auch zum Thema zu machen. Das könnte übrigens Diskussion, Karl Dietz Verlag, Berlin 2009. Teile der Kirchen beteiligten, das internati- auch ein Schlüssel für heute sein. Mal waren onalistische Band der Anti-Vietnamkriegs- die neuen Bewegungen, »die 68er«, mehr ein Bernd Gehrke und Gerd-Rainer Horn (Hrsg.): Fördern: 12 Ausgaben für 60 Euro Haltung, die Kontroversen zwischen Gewerk- Scharnier zwischen Fabrik und Gesellschaft, 1968 und die Arbeiter. Studien zum »pro- schaften und Studenten und vieles mehr mal waren es die Beschäftigten. Mal waren letarischen Mai« in Europa, VSA Hamburg weggelassen wird, kommt erst gar nicht der die Auseinandersetzungen »auf die Kondition 2007. Eine Neuaufl age erscheint im März 2018. Abbildung: wikimedia/SPÖ Presse und Kommunikation