Kirchgessner, Marianne

und aufgrund seines obertonreichen, „gläsernen“ Klangs zahlreiche Künstler, Dichter und Musiker der Empfind- samkeit faszinierte. Obgleich sie blind war unternahm Marianne Kirchgessner (in Begleitung des Musikverle- gers Heinrich Philipp Bossler und dessen Frau) jahrelan- ge Konzertreisen und wurde so enorm populär. Schrifts- teller wie Johann Wolfgang von Goethe und Jean Paul wurden durch ihr Spiel inspiriert, zahlreiche Komponis- ten, darunter , komponierten für sie. Ihr früher, plötzlicher Tod gab der These Auft- rieb, dass das Spiel der Glasharmonika gesundheits- schädlich sei (vgl. Bosseler 1809). Sie starb jedoch an den Folgen von Unterkühlung, zugezogen auf einer win- terlichen Fahrt während einer ihrer Konzertreisen.

Orte und Länder

Aus stammend und in ausgebildet Scherenschnitt von Ursula Kühlborn ging Marianne Kirchgessner ab 1791 mehrfach auf ausge- dehnte Konzertreisen. Die erste, die fast 10 Jahre dauer- Marianne Kirchgessner te (mit zeitweiliger kurzer Rückkehr in ihre Heimat und Varianten: Marianne Kirchgäßner, Marianne Maria Eva mehrmonatigen Aufenthalten in London u.a.), führte sie Theresia Kirchgessner, Marianne Maria Eva Theresia u.a. auch nach Linz, Wien, , , , Kirchgäßner , London, Kopenhagen und Petersburg. Nach- dem sie sich in Gohlis (bei Leipzig) niedergelassen hatte, * 5. Juni 1769 in Bruchsal, Deutschland schränkte sie ihre Reisetätigkeiten etwas ein, wobei sie † 9. Dezember 1808 in Schaffhausen, Deutschland auch von dort aus mehrfach Konzertreisen unternahm.

Biografie Glasharmonika-Virtuosin Am 5. Juni 1769 wurde Marianne Kirchgessner in Bruch- „…ihr himmlisches Spiel auf diesem ausserordentlichen sal geboren. Mit etwa vier Jahren erblindete sie in der kostbaren Instrumente entzückte jedes an reine Harmo- Folge einer Blatternerkrankung, dennoch wurde ihre of- nie gewöhnte Ohr und zwar ganz über alle unsere Erwar- fensichtliche musikalische Begabung früh gefördert. Sie tung; denn bis daher hörten wir nur blosse schwerfällige, kam ab 1780 zur Ausbildung zum Karlsruher Kapellmeis- melancholische Adagios mit einzelnen heulenden Tönen ter Johann Alois Schmittbauer. Im Januar 1791 brach auf der Harmonika. Aber diese junge blinde Künstlerin Kirchgessner in Begleitung des Speyrer Musikverlegers behandelt dieses Instrument ganz anders; die vortreffli- Heinrich Philipp Bossler zu einer mehrjährigen Konzert- che Kompositionen, worauf sie sich hören läßt, spielt sie reise auf, die sie im ersten Jahr über Linz nach Wien vollgriffig mit ganzer Harmonie, ihre Nüanzirungen, führte, wo sie Wolfgang Amadeus Mozart begegnete. Die- Wachsen und Hinsterben der Töne, Mordenten u.d.gl. ser komponierte für sie das Quintett für Glasharmonika, sind unnachahmlich; Allegros, welche vor ihr noch kein Flöte, Oboe, Viola und Violoncello KV 617 und das Ada- Künstler gewagte hat, spielt sie mit einer unglaublichen gio KV 356/617a für Glasharmonika solo, weitere Werke Fertigkeit, voll von sanfter Grazie und Empfindung.“ Mozarts für die Glasharmonika blieben Fragment. Kirch- Auszug aller europäischen Zeitungen. Wien. Freytag den gessner gab mehrere Konzerte in Wien, bei denen sie u.a. 13. May 1791, Nr. 109 (zit. nach Schneider 1985, S. 324). auch die Werke Mozarts uraufführte. 1792 konzertierte sie u.a. in Prag, Dresden, Leipzig, Berlin, Hamburg und Profil ; von März 1794 bis Herbst 1796 ließ sie sich Marianne Kirchgessner war eine der angesehensten Vir- als angesehene und erfolgreiche Glasharmonika-Virtuo- tuosinnen auf der Glasharmonika, einem Instrument, sin in London nieder. Weitere Stationen der Konzertrei- das 1761 von Benjamin Franklin erfunden worden war se zwischen 1796 und 1800 waren Hamburg, Kopenha-

– 1 – Kirchgessner, Marianne gen, Danzig, Königsberg und Petersburg. Sie kehrte dann bekunden; genannt werden in diesem Zusammenhang über Schlesien und die Lausitz nach Sachsen zurück. Um u.a. , Carl Friedrich Christian Fasch, Jo- den Jahreswechsel 1799/1800 ließ sie sich in der Nähe seph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Antonio Salie- von Leipzig nieder (Gohlis) und ging von nun an von hier ri, Giuseppe Sarti, Giovanni Battista Viotti und Johann aus auf Konzertreisen, u.a. nach Hannover und Frank- Baptist Vanhal (vgl. Braunschweigisches Magazin, 4. Ap- furt/Main (1801), , Leipzig, Berlin, Wien und ril 1801, zit. nach Schneider 1985, S. 334). Marianne Prag (1802-1808). Im Sommer 1808 begegnete sie Jo- Kirchgessner hatte offenbar einen ausgeprägten musikali- hann Wolfgang von Goethe in Karlsbad. Sie starb auf ei- schen Geschmack, denn bereits 1791 heißt es über sie: ner Konzertreise von Stuttgart aus kommend in Schaff- „In diesen ihren so feinen Gefühl liegt auch der Grund, hausen. warum sie so wenige Kompositionen befriedigen kön- nen. Selbst Naumann und Schmittbauer thun ihr nicht Mehr zu Biografie Genüge. In den Werken des ersten, sagte sie, herrscht Marianne Kirchgessner wurde am 5. Juni 1769 als Toch- der Ausdruck der Kunst über den Ausdruck des Leiden- ter des Kammerzahlmeisters Joseph Anton Kirchgessner schaftlichen und Schmittbauers Kompositionen sind mir und seiner Frau Maria Theresia, die ihrerseits eine Toch- zu leicht.“ (Johann Friedrich Christmann, Pfarrer, Kom- ter des Würzburgischen Franz Georg ponist und Musikschriftsteller, in einem Brief vom 17. Fe- Waßmuth war, geboren. Mit vier Jahren erbildete sie bruar 1791, zit. nach Schneider 1985, S. 322). nach einer Blatternerkrankung. Kurz zuvor war auch ih- Anfang des Jahres 1791 brach Marianne Kirchgessner, of- re Mutter gestorben. Ihre frühe musikalische Begabung fenbar unterstützt vom Karlsruher Hof und in Begleitung ließ Anton Siegmund Joseph Reichsfreiherr von Beroldin- des Musikverlegers Heinrich Phillip Bossler und seiner gen auf sie aufmerksam werden, der ihr eine Ausbildung Frau, zu ihrer ersten großen Konzertreise auf: über Biber- bei Joseph Alois Schmittbauer in Karlsruhe ermöglichte ach nach Augsburg, wo sie am 16. März konzertierte, („Er gehört unter die vorzüglichsten Componisten unse- München, Regensburg nach Linz (Konzert am 24. Mai). res Vaterlandes […]“ Schubart 1806, S. 170) sowie den Er- Sie erreichte daraufhin Wien, wo sie am 10. Juni erst- werb eines teuren Glasharmonika-Instruments finanzier- mals auftrat. Am 19. August folgte das zweite Wiener te. Bald machte sie große Fortschritte auf dem neuen Ins- Konzert, bei dem sie auch Mozarts Quintett KV 617 auf- trument, so dass sie häufig am Karlsruher Hof konzertier- führte: „Durchdrungen von dem Gefühle des wärmsten te. Dankes, über den glücklichen Beyfall, mit dem ich in mei- 1784 wird Marianne Kirchgessner erstmals in Cramers ner […] musikalischen Akademie, beehrt wurde, erkenne Magazin erwähnt: „Der hiesige Domcapitular, Freyherr ich es für meine Pflicht, der mir so schmeichelhaften Auf- von Beroldingen, läßt ein blindes Frauenzimmer aus forderung: mich noch einmal auf der Harmonika hören Bruchsal, Mademoiselle Kirchgasserin, bey welcher er zu lassen, nach allen meinen Kräften zu entsprechen. Ich Anlage fand die zweyte Paradies zu werden, bey Hr. Sch- werde daher […] vor meiner Abreise von hier nach Berlin mittbaur in Carlsruhe, die von ihm erfundene Harmoni- […] nächstkommende Woche noch eine grosse musikali- ca lernen. Sie ist eine Enkelin des Capellmeisters Wasmu- sche Akademie geben, und ein ganz neues, überaus schö- th in Würzburg, und Schmittbaur ist desto bereitwilliger nes Konzertquintett mit blasenden Instrumenten beglei- und unverdrossener in dem Unterrichte dieser blinden tet, von Hern Mozart […] spielen“ (Mozart- Person, da er selbst ihrem Großvater seine musicalischen Dokumente 1961, S. 350f.). Ein letztes Konzert in Wien Kenntniß und sein Glück zu danken hat.“ (Cramer 1784, fand am 8. September statt. S. 175) Interessant daran ist der Hinweis auf die 10 Jahre Weitere Stationen von Kirchgessners Konzertreise waren ältere Maria Theresia Paradis, die just zu dieser Zeit als Prag, Dresden, Leipzig, Berlin, Hamburg, Magdeburg blinde Pianistin durch Europa reiste. und Braunschweig. Bereits auf dieser Reise wurde sie all- Von 1790 datiert die erste (bekannte) Komposition, die gemein so hoch gerühmt, dass die Konzertbesprechun- für Marianne Kirchgessner komponiert wurde; zahlrei- gen meist von der „berühmten Virtuosin“ Marianne che weitere Kompositionen folgten im Laufe ihrer euro- Kirchgessner berichten (vgl. dazu etwa die in Schneider paweiten Karriere: Da das Repertoire für Glasharmonika 1985 abgedruckten Quellen) und dass auch mehrere Hul- noch sehr beschränkt war, fühlten sich zahlreiche Kom- digungsgedichte (wie das folgende) über sie abgedruckt ponisten, die Kirchgessner hörten, animiert, ihr mit ei- wurden: gens für sie komponierten Werken ihre Hochachtung zu

– 2 – Kirchgessner, Marianne

Impromptu und Breslau; 1806 nach Wien; 1808 nach Prag. An die Harmonikaspielerin, Demoiselle Kirchgeßner. Im Juni 1808 traf Marianne Kirchgessner Johann Wolf- Es ist gewiß, es ist nicht bloser Glaube, gang von Goethe in Karlsbad. Im November gastierte sie Daß unser Geist, zerfällt der Leib zu Staube, in Stuttgart und fuhr dann weiter Richtung Süden, ge- In eine bessre Welt sich schwingt. plant waren Konzerte in der Schweiz. Auf dieser Fahrt st- Was diesem Instrument entklingt, arb sie an den Folgen einer Unterkühlung am 9. Dezem- Wenn deine Finger es mit Schöpferkraft berühren, ber 1808 in Schaffhausen. Das ist kein Erdenthon, das ist ein Himmellaut Ihr Tod löste neuerliche Diskussionen über die Schädlich- Aus seel’ger Geister Mund, mit denen sich vertraut, keit des Glasharmonikaspiels aus, vermutete man als To- Die Sterblichen zu überführen: desursache doch eine allzu starke Nervenreizung durch „Wir sind bestimmt für eine bessre Welt“ das Glasharmonikaspiel. Diese Diskussion war bereits Dein Geist hieniden unterhält. seit Jahren geführt worden, wie die ausführliche Abhand- (Anonymes Huldigungsgedicht auf Marianne Kirchgess- lung von Friedrich Rochlitz „Ueber die vermeynte Schäd- ner, abgedruckt in Musikalische Korrespondenz, 1792, lichkeit des Harmonikaspiels“ dokumentiert, die 1798 in zit. nach Hoffmann 1991, S. 119) der Allgemeinen musikalischen Zeitung erschienen war. Und obwohl auch Rochlitz vehement für das Spielen der 1793 kehrte sie kurzzeitig nach Bruchsal zurück, im März Glasharmonika eintrat, riet er zu einigen bezeichnenden 1794 traf sie allerdings bereits in London ein, wo sie bis Vorsichtsmaßnahmen: „Nervenkranke Personen sollten, zum Herbst 1796 blieb. Hier wurde ihr erstes Konzert am so lange sie nicht geheilt sind, nicht Harmonika spielen“ 17. März 1794 „un véritable triomphe“ (Fétis, zit. nach (Rochlitz 1798, Sp. 100), man solle grundsätzlich „nicht Schneider 1985, S. 318). In London spielte sie nicht nur allzu viel spielen“, schon gar nicht, „wenn man schon in auf Konzertbühnen, sondern ließ auch annoncieren, dass schwermüthiger Stimmung ist“. Auch das „Spielen in die sie „unter der Patronage der Herzogin von York in die- späte Nacht hinein“ solle man vermeiden, da der „Geist sem Jahr [1795] eine öffentliche Performance in ihrem durch die Stille und Düsterheit der Nacht – mehr, als zu Hause in Polandstreet, Goldensquare, errichtet, und anderer Zeit, zur Wehmuth geneigt“ mache (ebda., Sp. nimmt täglich zu gesezten Stunden von Kennern und 100f.). 1809 versuchte Bossler mit der Veröffentlichung Liebhabern der Musik Besuche an.“ (Hamburgischer un- von detailgenauen Schilderungen der Todesumstände partheyischer Correspondent, 16. Mai 1795, zit. nach von Marianne Kirchgessner jenen Urteilen über die Glas- Schneider 1985, S. 329). Nach ihrem London-Aufenthalt harmonika zu widersprechen (AMZ Nr. 32, 10. Mai ging sie über Hamburg, Kopenhagen, Lübeck und Dan- 1809, Sp. [497]-509). zig nach Königsberg. Dort konzertierte sie am 31. Okto- Die Popularität der Glasharmonika fußte freilich nicht zu- ber 1797 und fuhr dann nach Petersburg weiter, wo sie letzt darauf, dass ihr Klang dem Zeitalter der Empfind- bis Mitte 1798 blieb. Im Oktober/November 1798 gastier- samkeit und der anbrechenden Romantik ein passendes te sie erneut in Königsberg und fuhr dann über Posen, akustisches Gewand zu geben schien, und der frühe Tod Schlesien und die Lausitz nach Sachsen. Hier ließ sie si- einer berühmten Glasharmonika-Virtuosin passte dabei ch 1799/1800 nieder; sie kaufte sich im Januar 1800 ein (allzu) gut in das Bild. Von dem Eindruck, den Marianne Haus in Gohlis (bei Leipzig), das von nun an ihr Lebens- Kirchgessner und ihr Spiel auf ihre Zeitgenossen ge- mittelpunkt wurde. Die AMZ teilte am 5. März 1800 mit: macht haben muss, sprechen auch zahlreiche Gedichte „Die bekannte Harmonicaspielerin, Demoiselle Kirch- und Kompositionen, die auf ihren Tod geschrieben wur- gessner aus Wien [sic!], hat sich in Gohlis, nahe bey Leip- den, u.a. die Fantasie für die Harmonica am Grabe der zig, ein sehr hübsches Landgut gekauft, wird, mit ihren um dieses Instrument so sehr verdienten Tonkünstlerin vormaligen Reisegesellschaftern, Herrn Rath Bossler Demoiselle Kirchgessner gesetzt von Vaclav Jan To- und seiner Frau, in Zukunft hier leben, und wahrscheinli- mašek (Johann Wenzel Tomaschek/Wenzel I. Toma- ch nur kleine und seltene Excursionen [d.h. Konzertrei- schek), die als Beilage zur AMZ abgedruckt wurde. sen] von hier aus machen.“ (zit. nach Schneider 1985, S. Würdigung 331). In der Tat reduzierte sich ihre Reisetätigkeit, denno- ch sind noch folgende Konzertreisen zu nennen: 1801 Marianne Kirchgessner gehörte zu den bekanntesten nach Hannover und /Main; 1802 nach Stutt- Glasharmonika-Virtuosinnen ihrer Zeit. Ihre ausgedehn- gart; 1804 ins nahe gelegene Leipzig; 1805 nach Berlin ten Konzertreisen machten das Instrument europaweit

– 3 – Kirchgessner, Marianne bekannt, ihr Spiel inspirierte zahlreiche Komponisten zu Kompositionen wurden daher für die Glasharmonika, Originalkompositionen für Glasharmonika und zahlrei- bzw. für die Glasharmonika-Spieler/innen geschrieben. che Schriftsteller, die im Klang des ungewöhnlichen Ins- Marianne Kirchgessner kam auf diese Weise im Laufe ih- truments eine Versinnbildlichung romantischer und emp- rer Karriere zu einem immer umfangreicheren Repertoi- findsamer Ästhetik erkannten. re, das heute – nicht zuletzt da das Instrument kaum no- ch gespielt wird – nur noch in Bruchstücken rekonstru- Rezeption iert werden kann (vgl. dazu unter Forschungsbedarf). Zu Lebzeiten genoss Marianne Kirchgessner eine große Da die Musikerin als blinde Virtuosin ohnehin nicht auf Popularität, die mit der ihres Instruments einherging. gedrucktes Notenmaterial zurückgreifen konnte und vie- le Dokumente von ihrer enorm schnellen Auffassungsga- Mehr zu Rezeption be berichten, ist außerdem anzunehmen, dass einige der Von frühester Jugend an wurde das Spiel von Marianne für sie komponierten Werke nie gedruckt vorlagen. Kirchgessner immer wieder in verschiedenen Publikatio- Mehr zu Repertoire nen erwähnt und gewürdigt (vgl. dazu die Quellen in Schneider 1985). Vor allem aber war es Marianne Kirch- Mozart komponierte seine Werke für Glasharmonika be- gessners Virtuosität, die erstaunte, da die Glasharmoni- reits vor dem Eintreffen Marianne Kirchgessners in Wi- ka bis dahin vor allem als ein Instrument für getragene en: bereits die Berichte, die er über die Virtuosin las, in- Musik eingesetzt worden war. Daneben war sie – ähnlich spirierten ihn dazu, für sie und das von ihm sehr ge- wie ihre Zeitgenossin Maria Theresia Paradis – auch als schätzte Instrument zu komponieren. Vollendet wurden Blinde eine Attraktion auf den Konzertbühnen. In einer dabei folgende Werke: Zeit, in der die Blindenbildung sich erst langsam entwi- · Quintett für Glasharmonika, Flöte, Oboe, Viola und ckelte (vgl. dazu u.a. Fürst 2005), gehörte sie zu der klei- Violoncello KV 617 nen Gruppe blinder Musiker, die gerade auch durch ihre · Adagio KV 356/617a für Glasharmonika solo Behinderung das Publikum in Staunen versetzte. Weitere Werke blieben Fragment. Ihr Tod selbst löste darüber hinaus weitere Publikatio- nen (und Kompositionen) aus. Zugleich gab er der leb- Auf ihren Konzertreisen spielte Kirchgessner darüber hi- haft geführten Diskussion um die Gesundheitsschädlich- naus u.a. folgende Werke (Liste unvollständig, s. unter keit des Glasharmonika-Spiels neuen Auftrieb. Punkt 15): Während der Hochphase der Glasharmonika als Instru- · Johann Evangelist Brandl: Quartett für Glasharmoni- ment blieb der Name Kirchgessner bekannt. Später ge- ka, zwei Bratschen, Violoncello riet er (zusammen mit der Glasharmonika) mehr und · Johann Rudolf Zumsteeg: „Una“ (Ballade, gesetzt für mehr in Vergessenheit. Hermann Ullrich gehörte zu den Glasharmonika) ersten, die im 20. Jahrhundert dem Lebensweg der Ma- · Joseph Haydn: Adagio (ungesichert, wahrscheinlich rianne Kirchgessner nachging. eine Bearbeitung) · Paul Wranizky: [Solostücke] Werkverzeichnis · Johann Baptist Vanhal: Variationen über das Duett Es ist nicht bekannt, dass Marianne Kirchgessner selbst „Nel cor piu non mi sento“ auch komponiert hat. Ob sie – nach zeitgenössischem · Johann Friedrich Christmann: Menuett, vermutl. Usus – an ihrem Instrument improvisiert hat, kann man auch ein Konzert für Oboe und Glasharmonika hingegen durchaus vermuten. · „eigenes gesezte sehr schöne Sonaten, Quartetten, Quintetten und Konzert von dem geschikten Hrn. Eich- Repertoire horn“ (vgl. Musikalische Korrespondenz der teutschen Fi- Da die Glasharmonika um 1790 ein relativ neues Instru- larmonischen Gesellschaft, 29. Dezember 1790, zit. nach ment war, lagen – von den Zeitgenossen mehrfach be- Schneider 1985, S. 312) klagt – kaum Originalkompositionen vor. Es ist daher da- von auszugehen, dass häufig Bearbeitungen von Klavier- Auf den Tod Marianne Kirchgessners komponierte u.a. oder anderen Werken aufgeführt wurden. Darüber hin- Vaclav Jan Tomašek die Fantasie für die Harmonica am aus war die Faszination des Instruments auch Anlass, ei- Grabe der um dieses Instrument so sehr verdienten Ton- gens für die Glasharmonika zu komponieren. Zahlreiche künstlerin Demoiselle Kirchgessner.

– 4 – Kirchgessner, Marianne

Schmidt, Matthias. Das Andere der Aufklärung. Zur Kom- Quellen positionsästhetik von Mozarts Glasharmonika-Quintett Quellen: KV 617. In: Archiv für Musikwissenschaft, Jg. 60, Heft 4 Bossler, Heinrich Philipp. „Mariane Kirchgessner in den (2003), S. 279-302. letzten Tagen ihres Lebens (Bruchstück der zu erwarten- Schneider, Hans. Der Musikverleger Heinrich Philipp den Biographie dieser Künstlerin von Hrn. Rath Boss- Bossler 1744-1812. Mit bibliographischen Übersichten ler).“ In: Allgemeine musikalische Zeitung Nr. 32 (10. und einem Anhang: Mariane Kirchgeßner und Boßler, Mai 1809), Sp. [497]-509. Tutzing 1985. Cramer, Carl Friedrich. Magazin der Musik. Zweyter Sterki, Peter. Klingende Gläser. Die Bedeutung idiopho- Jahrgang 1784. ner Friktionsinstrumente mit axial rotierenden Gläsern, Rochlitz, Friedrich. „Ueber die vermeynte Schädlichkeit dargestellt an der Glas- und Tastenharmonika. Bern u.a.: des Harmonikaspiels“. In: Allgemeine musikalische Zei- Peter Lang 2000. tung, 1. Jg., Nr. 7 (14. November 1798), Sp. [97]-102. Thomsen-Fürst, Rüdiger. „This will be delivered to you Rölling, Carl Leopold. Über die Glasharmonika. Ein Frag- by Mr. & Mrs. Davies & charming Daughters“. Die Kon- ment. Berlin, o.J. [1787]. zertreise der Familie Davies 1767/68-1773. In: Le musici- Schubart, Christian Friedrich Daniel. Ideen zu einer Äst- en et ses voyages. Christian Meyer Hg.). Berlin 2003, S. hetik der Tonkunst. Wien 1806. 349-369. Mozart. Die Dokumente seines Lebens. Gesammelt und Ullrich, Hermann. Die blinde Glasharmonikavirtuosin erläutert von Otto Erich Deutsch. Kassel u.a.: Bärenrei- Mariane Kirchgessner und Wien. Eine Künstlerin der ter 1961. empfindsamen Zeit, Tutzing 1971. Unseld, Melanie. Mozarts Frauen. Begegnungen in Mu- Zahlreiche Quellen sind außerdem abgedruckt in Schnei- sik und Liebe. Reinbek: Rowohlt 2005. der 1985 (s.u.). Welck, Friedrich von. Karlsruher Geschichte der Stadt und ihrer Verwaltung. Bd. 1. Karlsruhe 1895.

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– 5 – Kirchgessner, Marianne

ren Erforschung der Tätigkeiten Marianne Kirchgess- Hochschule für Musik und Theater Hamburg ners. Nachforschungen im Karlsruher Stadtarchiv haben Projektleitung: Prof. Dr. Beatrix Borchard keine weiteren Hinweise auf die Ausbildungszeit Kirch- Harvestehuder Weg 12 gessners ergeben. Es ist anzunehmen, dass eine systema- D – 20148 Hamburg tische Aufarbeitung der Reiseroute weitere Details zu den Konzerttätigkeiten Marianne Kirchgessners zu Tage brächten (s. unter Forschungsbedarf). Die von Bossler angekündigte Biographie über Marianne Kirchgessner ist – soweit bislang bekannt – nie vollendet worden.

Forschungsbedarf

· Über die bereits vorliegenden Dokumentationen der Konzertreisen bei Schneider und Ullrich hinaus gehört ei- ne Untersuchung zu den Konzertreisen zu den wichtigs- ten Forschungsdesideraten. · Weiterer Forschungsbedarf besteht bei der Aufarbei- tung ihres Repertoires und der für sie komponierten Wer- ke. Dies könnte u.a. durch die systematische Auswertung der Rezensionen erfolgen. · Der Einfluss ihres Spiels auf die zeitgenössischen Lite- raten wird aus literaturwissenschaftlicher Perspektive er- wähnt, auch hier müssten allerdings Forschungen anset- zen, um im interdisziplinären Dialog dem Phänomen des Klangs der Glasharmonika in Verbindung mit der Person Kirchgessners nachzugehen. · Schließlich gehört eine allgemeinere Aufarbeitung der im 18. und frühen 19. Jahrhundert auftretenden Glashar- monika-Virtuso(inn)en zum weitergreifenden For- schungsbedarf (vgl. dazu auch Thomsen-Fürst 2003).

Normdaten

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Autor/innen

Melanie Unseld

Bearbeitungsstand

Redaktion: Nicole K. Strohmann Zuerst eingegeben am 25.08.2006 Zuletzt bearbeitet am 06.03.2018

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