Nationalsozialistischen Volksarmee"
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Bernhard R. Kroener Auf dem Weg zu einer „nationalsozialistischen Volksarmee" Die soziale Öffnung des Heeresoffizierkorps im Zweiten Weltkrieg* „Mit der neuen Wehrmacht", schrieb der Kommandeur der 1. Panzerdivision, der spä- tere Feldmarschall Freiherr von Weichs, bereits 1937 in einem weithin beachteten Be- fehl über die Erziehung des Offizierkorps, „ist ein deutsches Volksheer entstanden, das in deutschem Volkstum wurzelt, kein Eigenleben im alten Sinne mehr führen kann, sondern deutsches Wesen und deutsche Art dem ganzen Volk vorlebt."1 Mit diesem Satz hatte der General Trauma und Programm der nationalkonservativen mili- tärischen Elite des Dritten Reiches prägnant beschrieben. Mit dem bewußten Verzicht auf soziale Exklusivität versuchten führende Vertreter des Heeres mit Beginn der Auf- rüstung und der allgemeinen Wehrpflicht an die Erfahrungen des Weltkrieges anzu- knüpfen. Der enorme psychische Spannungen erzeugende Stellungskrieg hatte Führer und Truppe zusammengezwungen und keinen Raum mehr gelassen für die Privile- gien einer sozial geschlossenen, eigenen Normen verpflichteten Offizierkaste. Der Frontkämpfer erschien vielen Zeitgenossen als der zukunftsweisende Soldatentypus des modernen Massenzeitalters und seiner Kriege. Der Nationalsozialismus, der die Frontkämpfermythologie wirkungsvoll mit der Idee der Volksgemeinschaft verknüpft hatte, mochte daher vielen Offizieren zunächst als der Garant einer Annäherung von Volk und Armee erscheinen, wobei nicht jedem bewußt wurde, welche Konsequenzen diese Verbindung für die soziale Komposition des Offizierkorps haben würde. Die Protagonisten einer geschmeidigen, systemkonformen „Wehrmachtideologie", wie etwa Reichskriegsminister von Blomberg, entwickelten bereits früh feste Vorstellun- gen, auf welche Weise dem Heer neue offizierfähige Schichten erschlossen werden sollten. In einer Rede vor Kreisleitern der NSDAP auf der Ordensburg Vogelsang markierte er wenige Wochen nach dem von Weichs erlassenen Befehl die Grundlagen moderner militärischer Führerauslese, wie er sie verstand: „Im 20.Jahrhundert wird je- dem Volksgenossen, sofern er gesund an Körper, Charakter und Geist ist, die Offi- zierlaufbahn erschlossen. Wir tun das nicht nur aus der Ideenwelt des Nationalsozialis- mus heraus, sondern auch aus rein militärischen Gründen: Weil das moralische Ge- füge der Armee um so stärker wird, je mehr ihr Offizierkorps im ganzen Körper der * Manfred Messerschmidt zum 60. Geburtstag gewidmet. 1 1. PzDiv., Abt. Ha, Az. 21a Nr. 6737 geh. vom 2. 3. 1937; BA-MA, RH 53-7/v. 709. 652 Bernhard R. Kroener Nation wurzelt." Über den Weg, auf dem dieses Ziel zu erreichen sei, ließ Blomberg keinen Zweifel: „Ich erblicke ... in der schrittweisen Durchführung des Leistungsprin- zips ohne Rücksicht auf Herkunft, Stand und Geldbeutel des Vaters eine der wichtig- sten Forderungen des neuen deutschen Sozialismus ..."2 Damit leitete die Wehr- machtführung einen tiefgreifenden Modernisierungsprozeß im Bereich der Offizierre- krutierung und -Beförderung ein, legte aber auch gleichzeitig den Keim für eine lang- same, von innen heraus wirksame Zerstörung des Offizierkorps traditioneller Prägung, seines konstitutiven Normengefüges ebenso wie seiner internen Regelmechanismen. So verwundert es kaum, daß die Siegermächte nach dem Kriege unter den Offizieren der Feldverbände des Heeres die Merkmale des klassischen deutschen Militarismus, wie er sich ihnen noch im Ersten Weltkrieg präsentiert hatte und dessen Bekämpfung sie sich zum Ziel gesetzt hatten, nicht mehr vorfanden. Andererseits liefert der Verän- derungsprozeß, der sich im deutschen Heeresoffizierkorps während des Krieges voll- zog, auch ein Erklärungsmuster dazu, warum sich die Eingliederung ehemaliger Offi- ziere in den neuen deutschen Staat, seine Wirtschaft und später auch seine Streitkräfte weitgehend reibungslos vollzog. Diesen für das Verhältnis von Militär und Gesell- schaft in Deutschland so bedeutsamen Umwälzungen soll in der vorliegenden Studie genauer nachgegangen werden. Der rasante Ausbau, durch den der Umfang des Heeresoffizierkorps in den dreißi- ger Jahren binnen kurzem nahezu um das Siebenfache erweitert wurde, ließ sich we- der mit den Angehörigen der alten offizierfähigen Schichten bewerkstelligen, die dazu schon allein zahlenmäßig kaum in der Lage waren, noch reichte die Zeit, um die neu- eingestellten Offiziere im Hinblick auf eine innere Geschlossenheit des Korps zu amalgamieren. Stärke des aktiven Heeresoffizierkorps vor dem Zweiten Weltkrieg l.Mai 1932: 3 724 Mann l.Mai 1935: 3 858 Mann 1. Oktober 1938: 21 793 Mann Quelle: Dienstalterslisten zur Stellenbesetzung des Reichsheeres und des Heeres 1932-19383. Das Tempo, mit dem die Aufrüstung vorangetrieben wurde, erreichte auf dem Per- sonalsektor eine Eigendynamik, durch die der Anspruch auf soziale Homogenität, wie er die Politik des Heerespersonalamtes noch in der Ära Seeckt bestimmt hatte, rasch aufgegeben werden mußte. Selbst während des Krieges hatte das Offizierkorps zu kei- nem Zeitpunkt eine im Verhältnis zu ihrer Gesamtstärke derartig umfangreiche Per- sonalzuführung zu verkraften gehabt wie zwischen 1935 und 1938, als sich die Reichs- wehr der Weimarer Republik zur Wehrmacht des Dritten Reiches wandelte. 2 Auszug aus einer Rede Blombergs vor Kreisleitern der NSDAP auf der Ordensburg Vogelsang am 27. 4. 1937. Abgedruckt in: Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten, hrsg. vom Militärge- schichtlichen Forschungsamt (MGFA), Stuttgart 1964, S. 267 ff., hier S. 267, Dokument Nr. 104. 3 Anlage zu: Der Chef des Heeres-Personalamts, Nr. 549/42 gKdos. vom 6. 7. 1942; BA-MA, RH 2/v. 156, je- weils für die Angaben aus: 1939, 1941 und 1942; Oberkommando des Heeres/Heerespersonalamt, Dienstal- tersliste zur Stellenbesetzung des Heeres jeweils für 1940, 1943 und 1944. Das Heeresoffizierkorps im Zweiten Weltkrieg 653 Zahlenmäßige Entwicklung des aktiven Heeresoffizierkorps während des Krieges 1. August 1939 21 760 1. Mai 1940 31893 1. Dezember 1941 35 113 1. April 1942 36 825 l.Mai 1943 42 709 1. Mai 1944 47 788 Quelle: Oberkommando des Heeres/Heerespersonalamt (1. Staffel), Überblick über die Zusam- mensetzung und Schichtung des Offizierkorps und die sich daraus ergebenden Fragen3. Die Heeresvermehrung führte bereits zu einem frühen Zeitpunkt dem Offizier- korps die Kräfte zu, die im Sinne der Frontkämpferideologie des Ersten Weltkrieges eine Modernisierung befürworteten. Mit einer weitgehenden sozialen Öffnung des Korps mußte zwangsläufig die Einebnung nicht mehr zeitgemäßer, aber bisher als identitätsstiftend angesehener, ständisch orientierter Selektionsmechanismen einher- gehen. Die Bestrebungen in Hinblick auf eine weitgehende Nivellierung bestehender Ge- gensätze zwischen den Wertvorstellungen der Gesellschaft einerseits und denen der militärischen Elite andererseits, die bereits beim aktiven Offizierkorps erkennbar wur- den, verstärkten sich während des Krieges durch den Zustrom von Reserveoffizieren noch erheblich. Deren Zahl stieg von 48 756 im August 1939 auf 125 918 im Mai 1944 an4. Zusammen mit der sehr heterogenen Gruppe von etwa 30000 Offizieren in Sonderverwendungen und -dienststellungen dürfte das Heeresoffizierkorps zum Zeit- punkt seiner größten personellen Stärke (1943) etwa 250000 Menschen umfaßt ha- ben5. Das Bild bliebe jedoch unvollständig, rechnete man nicht auch noch die wäh- rend des Krieges entstandenen Offizierverluste hinzu. Bis zum 1. Mai 1945 erlitt das Heer (einschließlich Waffen-SS) einen Gesamtverlust von etwa 269000 Offizieren, darunter allein 87 000 Tote. Insgesamt trugen etwa eine halbe Million Menschen wäh- rend des Krieges die Offizieruniform des Heeres6. Die vorstehenden Zahlen vermitteln einen ungefähren Eindruck vom Umfang die- ser sozialen Gruppe und belegen eindrucksvoll die Dynamik des Wandlungsprozesses, den das Korps innerhalb weniger Jahre erfuhr und der die Auflösung traditioneller Nonnen entscheidend beschleunigte. Die Konflikte zwischen stärker an den Leitbildern eines ständisch geprägten Offi- zierkorps orientierten älteren und den von Jugendbewegung und Fronterleben des Er- sten Weltkrieges beeinflußten jüngeren Offizieren wurden in der ersten Kriegshälfte ausgetragen. Mit der Einstellung einer immer größeren Zahl jüngerer Offizieranwärter Ebd. Rudolf Absolon, Das Offizierkorps des Deutschen Heeres 1935-1945, in: Das deutsche Offizierkorps 1860-1960. Büdinger Vorträge 1977. In Verbindung mit dem MGFA hrsg. von Hans-Hubert Hofmann, Boppard 1980, S. 247 ff., hier S. 250. OKW/WFSt/Org Abt. (Heer), Nr. 5815 vom 10. 5. 1945, Gesamtverluste des Heeres (einschließlich Waf- fen-SS und Luftwaffe im Erdeinsatz) in der Zeit vom 1. 9. 1939-1. 5. 1945; BA-MA, RM 7/809. Die Erd- kampfverbände der Luftwaffe waren am 6. 5. 1945 ins Heer überführt worden. OKW/WFSt/Org Abt. (H) vom 6. Mai 1945; BA-MA, H 6/265. 654 Bernhard R. Kroener nach 1942 verschoben sich die Gewichte zwischen den beiden Gruppen so drama- tisch, daß die Vertreter eines traditionellen Offizierverständnisses immer stärker an Einfluß verloren und Auseinandersetzungen mit ihnen letztlich obsolet wurden. Diese Entwicklung führte zwangsläufig zu einem nachhaltigen Wandel im Erscheinungsbild und in der Struktur der deutschen militärischen Elite. Nachfolgend wird zu zeigen sein, wie sich das Offizierdasein in den Kriegsjahren von Grund auf veränderte, eine Auflösung des tradierten Korpsverständnisses statt- fand, und wie letztlich ein anderer, neuer, den Formen des modernen technischen Krieges angepaßter, eher funktional verstandener Offiziertypus entstand. Zweifellos