Effizienz Und Mord: Das Kz System 1943 1945
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98 | 99 EFFIZIENZ UND MORD: DAS KZ&SYSTEM 1943&1945 Stefan Hördler Ende Dezember 1943 sandte der SS-Hygieniker und Funktionskader desertierten, Wehrmacht, Polizei, SS-Sturmbannführer Karl Groß seine Vorschläge Feuerwehr, Volkssturm, Parteifunktionäre, SA, für eine eDzientere Organisation des Lagerbetrie- Reichsarbeitsdienst und Hitlerjugend sollten KZ- bes an den Amtschef D III (Sanitätswesen des KZ- HäNlinge beaufsichtigen und massakrierten nicht Systems) im SS-WirtschaNs-Verwaltungshaupt- selten – teils unter Beteiligung der ZiVilbeVölke- amt (SS-WVHA): „Um eine unnötige Belastung rung – aus Furcht oder aus niederen Beweggrün- des Betriebes mit körperlich mangelhaNem Men- den angeblich lästige, gefährliche, erschöpNe oder schenmaterial und eine dadurch bedingte Anhäu- flüchtende Gefangene. In summa bedeutete diese fung Von [A]rbeitsunfähigen zu Vermeiden, wäre Phase eine Aufgabe Vertrauter Machtstrukturen, eine entsprechend strenge Auswahl der HäNlinge gesicherter Machträume und eingeübter Hand- (ärztliche Musterung) Vor Arbeitseinstellung un- lungs- und Tagesabläufe. Die „Todesmärsche“ führ- bedingt zu empfehlen“. Weiter heißt es, dass „schon ten die bis dahin gültigen räumlichen und zeitli- jetzt an die Errichtung eines Ausweichlagers für chen Regeln ad absurdum. 2 arbeitsunfähige HäNlinge zu denken [sei], da deren Anzahl ständig steigen wird.“ Nicht zuletzt sei der Bau eines Krematoriums zu beschleunigen. „Hier- DAS KZ&SYSTEM IN DER ZWEITEN bei ist sofort an ausreichenden Verbrennungsraum KRIEGSHÄLFTE zu denken.“ 1 Was Groß nach seiner Visite des Buchenwal- Neben mehreren Zehntausend ungleich großen der Außenlagers Dora als menschenVerachtende sogenannten Arbeitserziehungslagern, Jugend- Handlungsanleitung für die reibungslose Auf- schutzlagern, Zigeunerlagern, Kriegsgefangenen- rechterhaltung des Lagerbetriebes formulierte, lagern, Zwangsarbeitslagern, Durchgangslagern, sollte 1944 zu einer Maxime für die Rationalisie- Ghettos und anderen HaNstätten stellten die Lager rung des gesamten KZ-Systems werden. Weder der Inspektion der Konzentrationslager bzw. der Chaos noch Zufall waren die bestimmenden Fak- Amtsgruppe D im SS-WVHA mit etwa 1000 Haupt- toren des KZ-Systems im letzten Kriegsjahr. Diese und Außenlagern Von 1933 bis 1945 eine zentrale Elemente prägten die Endphase des KZ-Systems, Konstante im nationalsozialistischen Lagersys- die unmittelbare Auflösung der Lager und die „To- tem dar. Nach einem 1933/34 föderal organisierten desmärsche“. Die ab April 1945 zunehmend ziel- Netz an staatlichen Konzentrationslagern und der losen und unkoordinierten Räumungstransporte reichsweiten Vereinheitlichung des KZ-Systems bildeten eine eigenständige Phase in der Geschich- 1934/35 kontrollierte der „Inspekteur der Konzen- te der nationalsozialistischen Konzentrationslager, trationslager und Führer der SS-WachVerbände“ die durch das Verlassen der fest umrissenen HaN- (IKL/FWV), Theodor Eicke, bis zum Neubau „mo- und Machträume der Gefangenen wie der Bewa- derner“ Barackenlager 3 1936/37 fünf Konzentrati- cher definiert war. Die Öhnung des geografischen onslager: Dachau, Lichtenburg, Sachsenburg, Es- Raumes, die zugleich eine unmessbare Vergröße- terwegen und Columbia. 4 Bis 1939 wurden außer rung der Handlungsräume und einen Verlust der Dachau alle Lager aufgelöst und durch fünf zent- gewohnten Machtkonfigurationen nach sich zog, rale Neugründungen ersetzt: Sachsenhausen (Juli setzte nochmals eigene Mechanismen in Gang, 1936), Buchenwald (Juli 1937), Flossenbürg (Mai auf die weder die Bewacher noch die Gefange- 1938), Mauthausen (August 1938) und RaVens- nen oder die ZiVilbeVölkerung Vorbereitet waren. brück (Mai 1939). Von September 1939 bis April Eine Vielzahl der bisherigen WachmannschaNen 1944 erhöhte sich die Zahl auf 22 Hauptlager (mit wurde zu Kampfgruppen formiert und als letztes 165 Außenlagern), daVon 15 im Reichsgebiet, drei Aufgebot an die Front geworfen, altgediente SS- im GeneralgouVernement (GG), drei im Reichs- kommissariat Ostland und ein Lager in den Nie- in Silber Vorgeschlagen. Die Begründung listete derlanden. 5 Eine wichtige Zäsur bildete im März die Verdienste auf, welche eine der höchsten Aus- 1942 die Einbettung der IKL als Amtsgruppe D in zeichnungen im nationalsozialistischen Deutsch- das neue gegründete SS-WirtschaNs-Verwaltungs- land rechtfertigen sollten. Dazu gehörten die mili- hauptamt und unterteilte den Zeitraum Von 1939 tärische und disziplinarische Führung Von 40 000 bis 1942 und Von 1942 bis 1944 in zwei Phasen. Männern, die in den SS-Bewachungsmannschaf- Unter Regie des SS-WVHA setzten bis Frühjahr ten zusammengeschlossen waren, sowie die Ver- 1943 die umfangreichsten und rein utilitaristisch antwortung für 15 Konzentrationslager und 500 motiVierten Bemühungen der SS ein, die Verhält- Außenlager mit angeblich 750 000 Gefangenen. 6 nisse in den Lagern zu bessern und die Sterblich- In weniger als einem Jahr hatte sich die Zahl der keit zugunsten des Verstärkten HäNlingseinsatzes Insassen mehr als Verdoppelt. Nachdem das SS- in der Rüstungsindustrie zu senken. Zugleich ent- WVHA im März 1944 22 Hauptlager mit 165 Au- standen zahlreiche Außenlager an den Produkti- ßenlagern und etwa 300 000 HäNlingen Verzeich- onsstandorten der Rüstungsindustrie. Nach den net hatte, 7 waren es im August 1944 schon 524 000 gezielten alliierten Bombenangrihen auf deutsche HäNlinge. 8 Mehr als 250 000 der nachweislich über Rüstungszentren Anfang 1944 und der Gründung 700 000 im Januar 1945 registrierten KZ-HäNlinge interministerieller Sonderstäbe zur sicheren Ver- überlebten die Befreiung der Lager nicht. lagerung der Rüstungsindustrie explodierte das Trotz dieser hohen Todesrate 1945 sind Desorga- System der Außenlager. Die Hauptlager Verloren nisation, Willkür und Rassenwahn keine Attribute, sukzessiVe an rüstungspolitischer Bedeutung. Das mit denen sich das KZ-System im letzten Kriegsjahr Vorletzte Lager, das den Status eines eigenständi- zutrehend beschreiben lässt. Stattdessen bestimm - gen Konzentrationslagers erhielt, war das KZ Mit- te ein pragmatisches Ordnungsbedürfnis der SS telbau mit den UntertageVerlagerungen u.a. zur die Anweisungen und Praxis in den Lagern. Zwei Raketen- und Flugzeugproduktion im Harz. Das Ansprüche galt es dabei zu Vereinen: erstens eine Außenlager des KZ Buchenwald wurde im Oktober ab März 1944 Von außen (so durch den Rüstungs - 1944 den übrigen Hauptlagern weitgehend gleich- minister Albert Speer) forcierte Ökonomisierung gestellt. Nur zehn Hauptlager existierten noch im und zweitens eine Von innen (Lager-SS) geforderte April/Mai 1945. Stabilisierung des Lagersystems. Die beschleunigte Im Januar 1945 wurde SS-Gruppenführer Ri- Erhöhung der HäNlingszahlen konnte ein an allen chard Glücks, Chef der Amtsgruppe D (1939 bis Kriegsfronten schrumpfendes und durch Raum- 1942 Inspekteur der Konzentrationslager) im SS- und Ressourcenknappheit geprägtes Lagersystem WVHA, für die Verleihung des Deutschen Kreuzes kaum noch VerkraNen. Ökonomisierung wie Stabi - 1 Bericht von Dr. Karl Groß an das Amt D III im SS-WVHA vom 23.12.1943, Archiv der Directie-generaal Oorlogsstachtoffers, Dienst Archieven en Documentatie in Brüssel, 1546/Ding-Schuler. Für den Hinweis danke ich Jens-Christian Wagner. 2 Anders Daniel Blatman, Die Todesmärsche 1944/45. Das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords, Reinbeck 2011. Zu den „Todesmärschen“ vgl. ferner den Beitrag von Martin Clemens Winter in diesem Band. 3 Insbesondere Sachsenhausen symbolisierte nach den Worten Heinrich Himmlers das „vollkommen neue, jederzeit erweiterungsfähige, moderne und neuzeitliche Konzentrationslager“, nach dessen Leitbild sich alle weiteren Planungen im KZ-Wesen richten sollten. Schreiben Himmlers an das RJM vom 8.2.1937, BArchB, R 2/24006. 4 Aufstellung von Günther Tamaschke vom 27.11.1935, BArchB, NS 31/256. 5 Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, Sachsenhausen sowie Auschwitz I bis III, Bergen-Belsen, Groß-Rosen, Hinzert, Natzweiler, Neuengamme und Stutthof für das Reichsgebiet, Lublin, Płaszów und Warschau für das GG, Kauen, Riga und Vaivara für Ostland sowie Herzogenbusch für die Niederlande. Schreiben von Oswald Pohl an Heinrich Himmler vom 5.4.1944, BArchB, NS 19/1921. 6 Begründung zum Vorschlag von Richard Glücks für die Verleihung des Deutschen Kreuzes in Silber vom 13.1.1945, BArchB (ehem. BDC), SSO, Glücks, Richard, 22.04.1889. Diese Zählung beinhaltet noch die KZ Auschwitz und Plaszow, laut Übersicht der Amtsgruppe D befanden sich am 1. Januar 1945 706 648 Häftlinge und 39 969 SS-Wachmannschaften im KZ-System. Aufstellung über die Zahl der KZ-Häftlinge und SS-Wachmannschaften aus der Amtsgruppe D im SS-WVHA vom 1.1. und 15.1.1945, BArchB, NS 3/439, Bl. 1 f. 7 Schreiben von Oswald Pohl an Heinrich Himmler vom 5.4.1944, BArchB, NS 19/1921. 8 Schreiben des Amtschefs D IV, Wilhelm Burger, an den Chef der Amtsgruppe B, Georg Lörner, vom 15.8.1944, Nürnberger Dokument, NO-1990 = PS-1166. 100 | 101 lisierung machten eine kurzfristige Reorganisation und in das rüstungs- und kriegswirtschaNliche des KZ-Systems unumgänglich. Zum besseren Ver- Entscheidungszentrum Vorzudringen. Selbst die ständnis beider Dimensionen wird hier der Begrih Dynamiken des Holocaust spiegelten diese Ent- der Rationalisierung eingeführt, der gleicherma- wicklung wider, als Himmler im Mai 1944 den Ar- ßen die personellen und strukturellen Veränderun- beitseinsatz Von 200 000 Juden im „judenfreien“ gen im Rahmen der Expansion und der Reduktion Reichsgebiet anordnete, um seine Position als Ju- des Lagerkosmos berücksichtigt.