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Sendung vom 16.08.2007, 20.15 Uhr

Reinhard Klimmt Bundesminister a.D. im Gespräch mit Susanne Franke

Franke: Herzlich willkommen zum alpha-forum. Heute ist bei uns ein Mann zu Gast, den man kennt, und zwar als ehemaligen Verkehrsminister, Bauminister und Minister für Wohnungswesen, aber auch als Ministerpräsidenten des Saarlandes: Herzlich willkommen, Reinhard Klimmt. Klimmt: Guten Tag. Franke: Was man nicht so kennt, ist Ihre große Leidenschaft für afrikanische Kunst, denn die sammeln Sie seit langem. Wie kommt man denn dazu, solche Kunst zu sammeln? Klimmt: Wenn man politisch tätig ist, dann braucht man ja etwas, bei dem der Geist sich ein bisschen erholen kann. Wo ginge das besser als in Kunst und Kultur? Ich habe mich entschieden, afrikanische Kunst zu sammeln, weil sie sehr expressiv, sehr ausdrucksstark ist und qualitativ mit der klassischen Moderne durchaus mithalten kann. Da aber ein Picasso, den ich natürlich auch gerne sammeln würde, oder ein Giacometti für mich finanziell unerreichbar ist, habe ich mich auf die afrikanische Kunst gestürzt. Sie bietet für mich eine vergleichbare ästhetische Qualität wie die klassische Moderne. Mir gefällt sie jedenfalls sehr. Und das ist natürlich auch die ideale Ergänzung zu meiner anderen Leidenschaft, nämlich zu den Büchern. Denn die Skulpturen kann man vor die Regale stellen, während sonst Bücherregale und Bilder ja immer miteinander im Wettstreit stehen. Das ist nämlich der Kampf, den ich zu Hause mit meiner Frau immer ausfechten muss: Wie viel Platz an den Wänden meinen Büchern gehören darf und wie viel für Bilder frei bleiben muss, die sie nämlich sehr gerne hat. Franke: Sie sagen, Sie sammeln Skulpturen. Unter afrikanischer Kunst verstehe ich allerdings auch Masken. Ich dachte daher, in Ihrem Wohnzimmer würden lauter Masken an der Wand hängen. Klimmt: Nun ja, die Masken stehen bei uns auf Ständern und sind sozusagen freischwebend im Raum. Ein paar hängen auch an der Wand, aber sie geben einfach mehr her, wenn sie wirklich im Raum platziert sind: Auf diese Weise haben Sie dann auch etwas von einer Skulptur an sich. Franke: Und Türen sammeln Sie ebenfalls, afrikanische Türen. Warum denn Türen? Klimmt: Nein, nicht die Tatsache, dass das Türen sind, ist das Entscheidende, sondern das Entscheidende ist, dass sie mit Skulpturen und Schnitzereien versehen sind. Sie sind wie Tafelbilder: Man kann sie an die Wand hängen, man kann sie aber auch irgendwo hinstellen. Das sind jedenfalls richtige Kunstwerke. Man kann anhand des Katalogs auch sehr gut zeigen, wie solche Türen aussehen, wie sie gestaltet sind. Denn das sind Kunstwerke für sich. Hier sehen wir im Katalog eine solche Tür, die ich meine. Hier sehen wir wiederum zwei kleinere solcher Türen von den Dogon: Das sind Speichertüren. Sie haben in meinen Augen eine ungeheure ästhetische Qualität. Das gefällt mir einfach. Franke: Muss man sich das so vorstellen, dass Sie immer wieder mal nach Afrika fahren und dort dann zu jemandem sagen: "Oh, Ihre Speichertür gefällt mir, die würde ich gerne mitnehmen!"? Klimmt: Nein, diese Zeiten sind vorbei. Die Dinge, die ich gesammelt habe, habe ich fast alle in Europa erworben; die befanden sich auch schon länger hier in Europa in Galerien oder Kollektionen. Auf Flohmärkten findet man hingegen nur noch selten etwas, denn in Afrika wird nun in großem Stile ganz einfach direkt für den Markt produziert: Das sind dann keine authentischen Stücke mehr, sondern Touristenstücke. Diese sammle ich jedoch nicht, ich möchte vielmehr, dass diese Dinge möglichst authentisch sind und die Kultur dieser Menschen widerspiegeln. Denn damit kommt ja auch immer noch etwas Magisches hinzu. Das hat damit zu tun, dass Afrika für mich ein faszinierender Kontinent ist. Ansonsten neigen wir Menschen in Mitteleuropa ja normalerweise leider dazu, etwas von oben herab auf diesen Kontinent zu schauen. Aber wir müssen einfach wissen, dass ein großer Teil unserer Kultur hier ganz entscheidend von Afrika mitbestimmt ist. Unsere Musik wäre doch ziemlich langweilig, wenn wir nicht den Rhythmus aus Afrika mitbekommen hätten, der über den Jazz zu uns gekommen ist. Oder denken Sie an unsere Malerei und unsere bildende Kunst: Die sind sehr stark inspiriert von Afrika. Wir würden wahrscheinlich immer noch im Stechschritt tanzen, wenn wir nicht von den Afrikanern gelernt hätten, uns ganz anders zu bewegen. Unsere Kultur, unsere Art zu leben ist also sehr stark von der afrikanischen Kultur mitbestimmt. Und genau das umgibt mich bei mir zu Hause sehr stark. Ich höre z. B. sehr gerne Reggae, der ja ebenfalls mit Afrika zu tun hat. Ich höre aber auch Musik direkt aus Afrika: Das ist eine Musik, die heutzutage durchaus auf der Höhe des Weltpop und des Weltjazz steht. All das bildet sozusagen eine Einheit; dies hat mir auch früher schon neben den politischen Problemen, die sich ja selten auf Afrika bezogen, sondern viel mehr auf deutsche und europäische Themen, die notwendige Entspannung verschafft. Franke: Gab es denn einen speziellen Auslöser dafür, warum Sie gerade afrikanische Kunst sammeln? Klimmt: Das ist schwer zu sagen. Das hängt erstens mit den Büchern zusammen, die ich gelesen habe. Es war einfach immer sehr spannend von den Entdeckern Afrikas zu erfahren, wie sie z. B. diesen Kontinent erforscht haben. Als kleiner Junge ist man ja recht an Waffen interessiert: Mein Bruder hat mir deswegen sogar einmal echte Speerspitzen mitgebracht. Bereits als 16-Jähriger habe ich damals auf der Weltausstellung in Brüssel meine erste kleine Figur erstanden, weil sie mir so gut gefallen hat. Franke: Wie alt ist denn die älteste Figur, die Sie besitzen? Kann man das überhaupt angeben? Klimmt: Ich glaube schon, dass einige sogar aus dem 18. bzw. dem frühen 19. Jahrhundert sind. Franke: Sie haben vorhin gesagt, das Sammeln von afrikanischer Kunst sei ein Ausgleich für Ihre politische Tätigkeit. Fangen wir bei Ihrem Werdegang doch einfach mal von vorne an. Sie stammen aus einer sozialdemokratischen Familie: Wie hat sich das geäußert? War Ihr Vater SPD-Mitglied? Klimmt: Er war vor der Nazizeit Parteimitglied und ist deswegen auch nie zu etwas gekommen. Er war dann nach dem Krieg nicht mehr in der Partei, aber das ganze familiäre Umfeld war doch dadurch geprägt. Meine Mutter hatte z. B. in ihrem Poesiealbum, das ich nach ihrem Tod geerbt habe, vorne drin den Spruch stehen, der die ganze sozialdemokratische Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts beeinflusste, nämlich den Satz: "Der Mensch ist gut." Damit war der Glaube an eine bessere Zukunft gemeint, die man erarbeiten kann, und die Vorstellung von der Verantwortung der Menschen. Meine Eltern waren beide Lehrer: Ich stand zwar oft in Opposition zu ihnen, aber ich muss doch zugeben, dass sie glaubwürdig vorgelebt haben, was sie mir einzutrichtern versucht haben. Nach einer gewissen anarchischen Phase des Widerstandes ist dieser Same dann eben doch bei mir aufgegangen und ich habe mich an den Dingen orientiert, die sie mir vorgelebt haben und die sie mir beizubringen versucht hatten. Franke: Sie haben dann ja im angefangen zu studieren und lernten dabei noch während des Studiums kennen. Stimmt das? Klimmt: Ja. Ich ging zum Studieren nach Saarbrücken: Ich wollte in die Nähe Frankreichs, weil mich die französische Kultur immer schon sehr stark interessiert hat. Mich interessierten französische Filme, französische Literatur oder auch französische Musik, die ja in Deutschland ansonsten bis auf wenige Ausnahmen nicht so sehr geliebt wird. Saarbrücken war also mein Studienort. Dort habe ich Geschichte studiert und irgendwann lief mir dann auch Oskar Lafontaine über den Weg. Wir trafen uns im Bus und daraus entstand eine Freundschaft und eine jahrzehntelange politische Zusammenarbeit, in der wir sehr erfolgreich waren als Doppel. Franke: Entwickelte sich damals bei Ihnen auch schon Ihr Engagement für den linken Flügel bei den Sozialdemokraten? Klimmt: Nun, ich glaube, das ist bei uns beiden doch etwas unterschiedlich gewesen. Ich war immer auf der gemäßigten Linken positioniert, während er immer so ein bisschen danach gesucht hat, wo am besten das Loch zu finden ist, um nach vorne zu kommen. Deswegen hat er dann auch mehrfach seine Position relativiert, wie ich das ausdrücken möchte. Lange Zeit war ich der "Linkere" von uns beiden. Mit diesen unterschiedlichen Profilen waren wir auch sehr erfolgreich. Denn im Saarland, wo wir zusammengearbeitet haben, haben wir auf diese Weise beide Spektren der SPD gut abgedeckt. Heute ist das allerdings etwas anders geworden: Ich bin der Meinung, ich bin immer noch ein Linker, befinde mich immer noch auf der geraden Linie, die ich einst eingeschlagen habe – natürlich einschließlich der notwendigen Veränderungen, weil die Realität sich verändert hat und immer noch verändert. Er jedoch hat sich nun anders positioniert. Ich glaube, dass das bei ihm wohl leider eher eine strategisch- taktische Überlegung ist, als dass das seiner wirklichen Überzeugung entspränge. Und das führt eben auch dazu, dass eine Reihe der Positionen, die er zurzeit vertritt, im Grunde genommen eher eine taktische Linie darstellt. Ein realistisches Angebot zur Lösung der Probleme unseres Landes stellen sie leider nicht mehr dar. Franke: 1964 traten Sie in die SPD ein. Begann bereits damals diese Zusammenarbeit mit Oskar Lafontaine? Haben Sie von da an alles zusammen gemacht in politischer wie in privater Hinsicht? Klimmt: Ich war etwas früher in der SPD als er. Damals begann dann auch gleich die Arbeit bei den Jungsozialisten. Manchmal war er Vorsitzender und ich sein Stellvertreter, aber es gab auch mal eine Phase, in der ich Vorsitzender und er mein Stellvertreter war. Ja, wir haben das damals immer im Doppelpack gemacht. In der Tat, wir sind von 1966 an bis 1999, also 33 Jahre lang, eigentlich unzertrennlich gewesen. Wir waren wie eine Doppelverglasung kaum zu knacken, weil jeder wusste: "Wenn wir den einen schaffen, dann ist der andere immer noch da!" Und deswegen hat das auch zu Recht nie jemand ernsthaft versucht. Franke: Ein erster gemeinsamer politischer Höhepunkt war 1985 die Landtagswahl im Saarland, als die SPD die CDU besiegte, und zwar ziemlich spektakulär. Oskar Lafontaine wurde dann auch Ministerpräsident des Saarlandes. War das denn ein Ergebnis dieser Doppelverglasung, dieses Duos Klimmt/Lafontaine? Klimmt: Ich glaube schon. Vor allem aber lag das, das muss ich einfach neidlos zugeben, an seiner Ausstrahlung. Er ist einfach mehr der stürmende Typ, während ich eher hinten in der Abwehr als Libero der alten Schule die Dinge zusammengehalten habe, wahrscheinlich nicht ganz mit der Eleganz eines Franz Beckenbauer, aber trotzdem schon auch mit einem gewissen Drang nach vorne. Es lag also, wie gesagt, an der Ausstrahlung seiner Persönlichkeit. Er war ja bis dahin sehr erfolgreicher Oberbürgermeister von Saarbrücken gewesen. Ja, das war ein spektakulärer Sieg über einen zugegebenermaßen etwas blassen CDU-Ministerpräsidenten Werner Zeyer. Trotzdem, aus dem Stand eine absolute Mehrheit zu erreichen, das hatte denn doch große Ausstrahlung auf die Partei insgesamt im Bundesgebiet. Das führte in der Konsequenz dann ja auch 1990 zu seiner Kanzlerkandidatur. Franke: Genau, denn es ging dann so weiter, die SPD gewann auch die folgenden Landtagswahlen im Saarland, was wohl ganz offensichtlich ebenfalls dieser Doppelspitze geschuldet war. Sie waren in dieser Zeit auch einmal Wahlkampfleiter. Das heißt, Sie mussten die Themen setzen, die die SPD dann im Wahlkampf vorgab. Wie kommt man auf diese Themen? Wie findet man die Themen, die den Bürger zur jeweiligen Zeit bewegen? Klimmt: Die Themen haben wir gemeinsam entwickelt. Es ist eine politische Entscheidung, in welche Richtung man die Akzente setzen möchte. Eine andere Frage ist dann die Umsetzung dessen, auch die jeweilige technische Vorbereitung der einzelnen Aktionen. Ich war Wahlkampfleiter bei allen erfolgreichen Wahlen im Saarland. Nicht so erfolgreich war ich bei der Bundestagswahl 1990, denn da sind wir gegen die Zeitläufte einfach nicht angekommen. Leider hat Oskar Lafontaine dann nach der doch recht spektakulär verlorenen Wahl 1990 den Parteivorsitz nicht übernommen. Deswegen wurde dann fast schon als Notlösung, als Lückenbüßer zunächst einmal Björn Engholm Parteivorsitzender. Nach ihm war dann Parteivorsitzender. Die Wahl 1994 hätte Lafontaine sicherlich gewonnen, das ist meine Überzeugung, wenn er damals nach der verlorenen Wahl 1990 den Parteivorsitz übernommen und Hans-Jochen Vogel abgelöst hätte, denn so war das ja ursprünglich auch vorgesehen. Dann hätte er 1994 als Kanzlerkandidat gewonnen, da bin ich mir ganz sicher. Franke: Bleiben wir noch kurz bei den SPD-Erfolgen im Saarland bzw. beim Verhältnis Klimmt-Lafontaine. Lafontaine galt ja laut Presse immer so ein wenig als der "Sonnenkönig an der Saar", während Sie der "ewige Kronprinz" waren. Hat Sie das geärgert damals, auf diese Weise in die zweite Reihe versetzt zu werden? Klimmt: Nein, das nicht. Denn ich bin einfach ein Mannschaftsspieler. Das ist schon mal das eine. Für mich ist also entscheidend, dass die Mannschaft gewinnt. Der zweite Punkt ist, dass ich Politik auch immer als Lösung von Aufgaben betrachtet habe. Das ist für mich fast wie das Gewinnen eines Schachspiels. Wenn also eine Strategie, eine Position, die ich erarbeitet habe, erfolgreich ist und sich durchsetzt, dann befriedigt mich das mehr als meine Ausstrahlung nach außen. Im Grunde genommen habe ich die großen Siege, die wir errungen haben, in dem Moment, als es so weit war, gar nicht mehr genossen, sondern habe an diesen Abenden immer schon daran gedacht, was als Nächstes passieren wird. Und ich hatte auch immer ein bisschen Mitgefühl mit den Unterlegenen, um die sich ja in der Regel dann niemand mehr kümmert. Das hat mir also im Grunde genommen nichts ausgemacht. Und wenn wir 1998 bei der Bundestagswahl nicht gewonnen hätten und Lafontaine Ministerpräsident im Saarland geblieben wäre, dann hätte ich gewusst, dass für mich ein weiterer Aufstieg sehr unwahrscheinlich sein würde. Aber damit hätte ich mich auch zufrieden gegeben, ohne dabei unglücklich zu sein. Franke: Das ist ein Wort! Ich würde gerne noch das Attentat auf Oskar Lafontaine ansprechen, das vielen von uns noch sehr gut in Erinnerung ist. Das war im Jahr 1990. Wie haben Sie damals dieses Attentat auf Lafontaine miterlebt? Klimmt: Wir hatten einen Fraktionsabend und er war zusammen mit Johannes Rau unterwegs im Wahlkampf von Nordrhein-Westfalen. Wir erfuhren es, als wir gerade in einer gemütlichen Runde mit unseren Frauen zusammensaßen. Das war natürlich eine schreckliche Erfahrung und ich bin dann auch gleich noch in der Nacht aufgebrochen und zu ihm nach Köln ins Krankenhaus gefahren. Ich war dann einer der Ersten, die bei ihm waren. Das war wirklich ein fürchterlicher Schock, weil durch die Nähe des plötzlichen Verlustes spürbar war, wie intensiv eben auch die persönliche Bindung an ihn war. Das ist auch heute noch so: Wir sind auf politischem Feld Gegner, das ist klar. Daran ist momentan nichts zu ändern und hier gibt es auch kein Augenzwinkern meinerseits. Ich halte das, was er macht, definitiv für falsch. Aber die persönliche, die freundschaftliche Zuneigung ist immer noch da. Wenn jemand so lange zu einem gehört, dann ist er wie ein Familienmitglied, und wenn so ein "Familienmitglied" mal daneben tappt oder in die falsche Richtung läuft, dann ist man damit zwar nicht einverstanden, aber er bleibt dennoch Familienmitglied. Und das wird sich auch nicht mehr ändern. Franke: Viele haben ja gesagt, Lafontaine hätte sich verändert nach dem Attentat. Sehen Sie das auch so? Klimmt: Hm, ja, sagen wir mal so: Dieses Gefühl des ungebrochenen Vorwärtsgehens ist bei ihm durch diese Erfahrung gemindert worden. Ich glaube, dass ihn das in einen Prozess des Nachdenkens gebracht hat, der ihm aber insgesamt, also im Hinblick auf seine gesamte Persönlichkeit, nicht geschadet hat. Denn die Erfahrung auch von Schicksalsschlägen – denn das war ja keine von ihm verschuldete Niederlage, sondern das war ein Schicksalsschlag, der von außen kam – ist wichtig: Sie kann Menschen ängstlich machen und dazu führen, dass sie sich nichts mehr trauen, aber sie kann sie auch wachsamer machen, wohl wissend, dass eben jederzeit etwas Vergleichbares passieren kann. Diese "Drohung" betrifft ja alle Menschen, Sie genauso wie mich, und so geht es eben darum, dass man sein Leben unter dieser "Drohung " verantwortlich gestaltet. Ich glaube also nicht, dass sich das negativ auf ihn ausgewirkt hat. Natürlich hat sich das jedoch auf seine persönliche Befindlichkeit ausgewirkt. Denn so etwas steckt man wohl sein Leben lang nicht mehr weg. Aber auch damit muss man eben leben können. Man sieht das ja an Wolfgang Schäuble, den es etwa zur gleichen Zeit viel, viel härter getroffen hat, dass man auch damit sehr wohl ein erfülltes Leben gestalten kann. Franke: Oskar Lafontaine ging nach der Wahl 1998 nach Bonn und wurde dort Bundesfinanzminister. Das hieß für Sie, dass Sie Ministerpräsident im Saarland wurden. Die "TAZ" hat damals getitelt: "Der ewige Nachfolger ist am Ziel." Sahen Sie sich an einem Ziel angekommen? War das so eine Art von Genugtuung für Sie, nun doch den Platz in der ersten Reihe einzunehmen? Klimmt: Ja, das war schon so etwas wie das Erreichen eines Ziels. Es ging mir nicht um den Platz in der ersten Reihe, aber ich war der Auffassung, dass ich lange genug Vorbereitungszeit gehabt hatte, um dieses Amt führen und diese Verantwortung übernehmen zu können – zum Besten des Saarlandes, das ich, genauso wie seine Bewohner, ja sehr liebe. Ich habe dieses Amt in der Tat gerne angenommen. Das war schon ein Gefühl der Genugtuung, als dieser Moment eingetreten ist. Franke: Sie haben ja eine nicht so ganz einfache Situation vorgefunden im Saarland: Hohen Schulden drückten das Land, es gab eine hohe Arbeitslosenrate, denn der Niedergang des Kohlebergbaus und der Stahlproduktion war schon seit Jahren im Gange. Das waren einige harte Nüsse, die Sie da zu knacken hatten. Hatten Sie dafür als neuer Ministerpräsident bereits ein paar Konzepte in der Schublade? Klimmt: Nein, es wäre sicherlich vermessen zu sagen: "In dem Moment, als ich dort diesen Job antrat, ging die Sonne auf!" Ich war ja vorher auch schon die ganze Zeit über mit dabei gewesen. Das heißt, im Grunde genommen war ich ja davor in meiner Funktion als Fraktionsvorsitzender bereits stellvertretender Ministerpräsident gewesen. In der Zeit, als sich Lafontaine auf Bundesebene bewegte, habe ich mehr oder weniger die Geschäfte im Saarland geführt. Ich hatte also zumindest in Teilen bereits vorher diese Funktion. Die Arbeit, die wir damals gemeinsam gemacht hatten, war ja sehr erfolgreich gewesen, wir haben diesen Strukturwandel in Bezug auf die Kohle und den Stahl gut bewältigt. Wir hatten z. B. Forschungseinrichtungen gegründet und hatten dabei das Glück, dass Diether Breitenbach als Wissenschaftsminister diese Dinge, von denen wir heute im Saarland sehr profitieren, auf den Weg gebracht hat. Als ich dann das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, war das in gewisser Weise die Fortsetzung einer erfolgreichen Politik, die es geschafft hatte, den Montankern zu stabilisieren und gleichzeitig neue Impulse zu setzen. Das, was bei mir sicherlich etwas stärker in den Vordergrund getreten wäre, wäre die grenzüberschreitende Zusammenarbeit gewesen. Das war mein eigentliches Thema, denn das Saarland kann alleine seine Selbständigkeit nicht rechtfertigen. Das ist ein kleines Land in der südwestdeutschen Ecke mit einer mittlerweile doch schon weit zurückreichenden Tradition und auch mit einer eigenen Identität. Aber das Entscheidende ist, dass wir es auch im Hinblick auf die europäische Entwicklung schaffen müssen, Lothringen, Luxemburg und den westlichen Teil von Rheinland-Pfalz zu einer Einheit zusammenzubringen. Ich sah also meine Hauptaufgabe darin, hier eine funktionierende Region im Herzen Europas zu schaffen und dabei die Selbständigkeit des Saarlandes als ein Instrument zu nutzen. Ich habe das früher schon zu Rudolf Scharping und später dann auch zu Kurt Beck gesagt, also den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten: "Wir können natürlich auch gerne diese beiden Länder zusammenlegen, aber dafür gibt es drei einfache Bedingungen. Das neue Gebilde heißt Saarland, zweitens wird die Hauptstadt Saarbrücken sein und drittens wird der Oskar oder ich Ministerpräsident. Wenn ihr das erfüllt, dann sind wir für eine Zusammenlegung dieser beiden Bundesländer." Sie gingen leider nicht darauf ein. Gut, entscheidend und für mich viel wichtiger ist diese Verbindung nach Frankreich. Denn man muss sich das wirklich mal genauer anschauen. Die Grenze zu Frankreich verläuft ja direkt am Stadtrand von Saarbrücken. Nur sieht man nicht, dass das ein Stadtrand ist, weil die Bebauung, die Siedlungsstruktur einfach so weitergeht. Das heißt, jenseits dieser Grenze leben noch einmal 350000 Menschen in einem Umkreis von 20 Kilometern vom Stadtkern von Saarbrücken. Wenn also dort diese Grenze nicht wäre, dann hätte entweder Frankreich oder Deutschland eine weitere Millionenstadt! Das ist etwas, das man unbedingt wissen muss, wenn man für diese Region die Zukunft plant. Franke: Sie haben es ja bereits erwähnt: Die Selbständigkeit des kleinen wurde immer wieder in Frage gestellt. Es gab also durchaus solche Vorstöße, das Saarland entweder mit Rheinland-Pfalz oder mit Hessen oder gar mit Baden-Württemberg zu verschmelzen. Was setzt die SPD im Saarland so einem Ansinnen entgegen? Klimmt: Mein Argument ist, dass unsere natürlichen Partner, also die Partner, die uns von der Geographie her wie auch aufgrund der ökonomischen Verbindungen zugemessen sind, eben Luxemburg und Lothringen sind. Hingegen liegt zwischen uns und z. B. der Rhein-Schiene, also Ludwigshafen/Mannheim, der Pfälzer Wald; das ist wirklich eine ganz andere Region. Aber Luxemburg und Metz liegen direkt daneben. Das ist der Grund, warum es wichtig ist, die Selbständigkeit zu erhalten: weil man nämlich von Saarbrücken aus diesen notwendigen, diesen auch für die andere Seite notwendigen Einigungsprozess besser betreiben kann als von Mainz oder Stuttgart aus. In Mainz guckt man stattdessen viel stärker nach Wiesbaden, nach Frankfurt: Da sieht man die Flugzeuge aufsteigen und landen und ahnt die Bankentürme von Frankfurt – wer denkt da schon an die Zusammenarbeit zwischen Saarbrücken und Metz? Nein, das müssen wir schon selbst machen. Franke: Kommen wir noch einmal zu Ihnen als Ministerpräsident. Eigentlich sind Sie ja gebürtiger Berliner und wuchsen in Osnabrück auf. Erst mit 20 Jahren kamen Sie dann ins Saarland. Sie sind also gar kein echter Saarländer, wenn ich das so formulieren darf. Dennoch sind Sie dann als Landesvater gewählt worden. Hat Sie das erstaunt? Denn in Bayern wäre so etwas kaum denkbar. Klimmt: Nun gut, jetzt wird ja auch ein Franke Ministerpräsident in Bayern. Franke: Aber Franken liegt ja immerhin auch in Bayern. Klimmt: Das ist doch ein etwas anderes Bayern als meinetwegen Oberbayern. Aber das ist sicherlich ein anderes Thema. Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass sich die persönliche Identität in verschiedenen Lebensphasen erst entwickelt. Natürlich ist meine Familie, die von geprägt war, auch prägend für mich gewesen. Auch das Osnabrücker Land und die Weite Norddeutschlands machen einen Teil meiner Persönlichkeit aus. Aber die wichtigsten Dinge in meinem Leben habe ich doch im Saarland erlebt und deswegen verbindet mich mit den Menschen dort, mit dem Land, mit der Stadt Saarbrücken – es sind ja mittlerweile schon über 40 Jahre, die ich mich dort bewege – so viel, dass das wirklich ein Teil meiner Persönlichkeit geworden ist. Andererseits bin ich auch Teil dieses Landes und der Menschen dort geworden. Die Menschen dort haben mich diesbezüglich auch voll akzeptiert, das war also nie ein Problem. Franke: Wir würden Sie denn den typischen Saarländer beschreiben? Klimmt: Das ist jemand, der das Schicksal hinter sich hat, in der Geschichte immer zwischen Frankreich und Deutschland hin und her gerissen, hin und her geschoben worden zu sein. Die Saarländer hatten im 20. Jahrhundert fünf verschiedene Nationalitäten, also fünf verschiedene Pässe! Aus diesem Grund nimmt es der Saarländer mit der nationalen Frage nur teilweise so richtig ernst. Aber es gibt natürlich auch sehr extrem eingestellte Menschen, sozusagen die Grenzwächter gegen das "welsche Frankreich", wie das in der Vergangenheit hieß, die besonders deutsch sind. Aber das Entscheidende ist wohl, dass die Saarländer weltoffen sind, weil sie das andere sehr genau kennengelernt haben. Gleichzeitig sind die Saarländer aber auch in sich gekehrt, weil sie wissen, dass all diese großen Worte auch hohl sein können, dass es mit all dem, was man ihnen erzählt, auch sehr schnell vorbei sein kann. Deswegen sind sie sehr eng auf sich selbst bezogen. Es gibt nirgendwo eine solche Dichte an Vereinen wie im Saarland – und das auf allen Gebieten. Das Saarland hat aber auch die höchste Eigenheimdichte in Deutschland. Man möchte mit sich und seinen Nachbarn zusammen sein, während man die große Welt immer mit einer gewissen Zurückhaltung betrachtet. Man schaut sozusagen mit hochgezogener Augenbraue, was da nun wieder passiert. Ansonsten sind die Saarländer sehr, sehr gastfreundlich und eben auch ganz klar ein deutscher Menschenschlag. Das Saarland ist deutsch! Wenn manche glauben, das Saarland hätte auch irgendwie eine französische Identität, dann liegen sie falsch, denn das ist nicht der Fall. Denn die Sprachgrenze verläuft drüben in Frankreich. Das heißt, jenseits der Grenze leben Menschen, die eigentlich auch – wie im Elsass – von Hause aus deutschsprachig sind. Von daher ist also diese Identität klar. Aber die Weltoffenheit ist einfach auch vorhanden. Aufgrund der Kenntnis der anderen, des anderen ist auch ein sehr großes Verständnis für den europäischen Gedanken vorhanden. Franke: Zappen wir doch gleich mal weiter in Ihrem Leben, denn wir dürfen auf keinen Fall auslassen, dass Sie irgendwann auch Bundesverkehrsminister geworden sind. Das hing nämlich mit der Landtagswahl 1999 im Saarland zusammen. Die SPD verlor diese Wahl, und zwar ganz knapp mit einem Prozent Abstand zur CDU. Peter Müller von der CDU wurde daraufhin Ministerpräsident. Und bei Ihnen hat dann sofort Kanzler Schröder angerufen und gefragt, ob Sie nicht Bundesbauminister werden wollen – so stelle ich mir das zumindest vor. Das hat die Außenstehenden doch ein wenig verwundert, weil Sie ja zuvor zusammen mit Lafontaine die Speerspitze der innerparteilichen Opposition angeführt und die Politik der Schröder-Regierung oft als unsozial kritisiert haben. Hat Sie also Kanzler Schröder ins Kabinett geholt, um Sie sozusagen in die Kabinettsdisziplin einbinden zu können? War das also ein taktisches Vorgehen von Kanzler Schröder? Klimmt: Ich glaube, die Gründe dafür waren mehrschichtig. Schröder und ich kannten uns ja auch schon sehr lange, und zwar noch aus der Zeit der Jungsozialisten. Er hatte dann 1990, nachdem er noch bei der Wahl davor gegen Ernst Albrecht von der CDU verloren hatte, die Wahlen in Niedersachsen gewonnen, unter anderem auch im Sog unserer Arbeit, die wir damals auf Bundesebene gemacht haben. Das hat er auch sehr wohl so anerkannt. Es hat also auch immer eine persönliche Ebene zwischen uns beiden gegeben, auf der wir uns begegnet sind. Das ist auch heute noch so, trotz der Kontroversen im Inhalt. Er hat auch gewusst, dass er später als Kanzler mit seinem missglückten Papier zur Sozialpolitik, das er mit Tony Blair verfasst hatte, mit zu meiner Niederlage im Saarland beigetragen hatte. Der Rücktritt von Oskar Lafontaine war allerdings sehr viel entscheidender gewesen für meine Niederlage. Aber die SPD insgesamt war damals in einer sehr schlechten Verfassung. Sie lag damals bei den Umfragen ungefähr auf dem Niveau, auf dem sie zurzeit liegt. Als es dann Wahlen gab, sauste Stolpe in Brandenburg um 15 Prozent nach unten! Er konnte jedoch aufgrund der dortigen Konstellationen und Koalitionen Ministerpräsident bleiben. Die Grünen kamen hingegen bei uns im Saarland nicht in den Landtag. So kam es, dass es eben nicht gereicht hat für mich, obwohl ich das beste Ergebnis aller Landtagswahlen nach 1998 für die SPD erzielt hatte. Weil es nur zwei Parteien waren, die es in den saarländischen Landtag geschafft hatten, ging dann eben die absolute Mehrheit an die CDU. Es war dann, wie ich denke, schon auch ein Stück schlechtes Gewissen bei Schröder vorhanden, weil er wusste, dass eben auch ich ein Opfer dieser politischen Linie war, die er später teilweise ohnehin wieder zurückgenommen hat. Tja, und der dritte Grund war, so selbstbewusst bin ich, das zu sagen: Er hat gewusst, er bekommt einen guten Mann für dieses Amt. Franke: Es ist schon hilfreich, wenn man ein gutes Selbstbewusstsein hat. Sie saßen also plötzlich im Kabinett und hatten die Macht in der Hand. Sieht man die Welt dann plötzlich mit anderen Augen? Klimmt: Nein, denn das ist ja im Grunde genommen genau dasselbe wie in einem Bundesland auch – nur eben auf einer anderen Ebene. Ob man eine Stadt regiert und in einem Dezernentenkollegium sitzt oder in einem Länderkabinett oder in einem Bundeskabinett, das ist in Bezug auf die Mechanismen, die dort herrschen, dasselbe. Die Themen und die Verantwortlichkeiten sind natürlich anders, das ist klar. Ich war ja daran gewöhnt, Regierungsarbeit zu machen, und habe das auch sehr gerne gemacht. So habe ich mich in diesem doch sehr groß angelegten Ressort, in dem man sehr viel machen kann, auf den Weg gemacht, möglichst viel zustande zu bringen. Das hat natürlich insofern Spaß gemacht, weil man als Bundesminister gerade in diesem Ressort wesentlich mehr bewegen kann als wenn man Ministerpräsident in einem so kleinen Land wie dem Saarland ist. In Nordrhein-Westfalen oder in Bayern ist das sicherlich anders, denn dort hat ein Ministerpräsident wiederum wesentlich mehr effektive Einflussmöglichkeiten als ein Bundesminister. Aber in meinem Fall war es eben schon so, dass ich als Bundesminister mehr bewegen konnte als als Ministerpräsident. Franke: Sie hatten auch einen relativ großen Etat zur Verfügung, nämlich 50 Milliarden Mark: Das ist doch ein recht hübsches Sümmchen. Was macht man mit so viel Geld, das man da auf einmal zur Verfügung hat? Klimmt: Sie dürfen ruhig mal davon ausgehen, dass von diesem Geld 95 Prozent festgelegt sind durch Gesetze oder durch Entscheidungen der Vorgänger, egal welcher politischer Couleur sie waren, an denen man nichts mehr ändern kann. Man kann jedoch bestimmte Richtungen verändern und es gibt gewisse Möglichkeiten, eigene Akzente zu setzen. Für mich war es ein ganz entscheidender Punkt, wieder mehr Mittel für die Verkehrsinfrastruktur auch in Westdeutschland zu mobilisieren und hier vor allem eine Konkurrenz herzustellen zwischen Bahn und Straße. Das heißt, ich habe, unterstützt von der rot-grünen Koalition, versucht möglichst viele Gelder in Richtung Bahn zu bringen, weil ich glaube, dass das ein Verkehrssystem ist, das bei uns im Hinblick auf die Infrastruktur immer noch unterausgestattet ist. Von München aus hat man ja inzwischen eine grandiose Verbindung per Bahn, aber es wäre natürlich schön, wenn das genauso schnell bis Berlin weitergehen würde, wodurch sich dann wiederum eine ganze Reihe von Voraussetzungen für Berlin verändern würden. Die Hinwendung zur Bahn war also für mich ein ganz wesentlicher Punkt meiner Politik. Mir war bewusst, dass diese allgemeine Forderung der Verlagerung des Güter- und Personenverkehrs von der Straße auf die Schiene nur dann umzusetzen ist, wenn man die Schiene auch wirklich funktionsfähig macht. Für eine wirkliche Entlastung der Straße müsste man also noch eine ganze Menge investieren. Franke: Der Transrapid war ja auch schon für Sie ein Thema damals. Sie haben die Planungen für die Strecke zwischen Berlin und Hamburg quasi als geschlossen erklärt: Sie haben sich also dagegen entschieden. Was sagen Sie jetzt zu den Plänen hier in München in Bezug auf den Transrapid, also zu dieser Minitrasse vom Münchner Hauptbahnhof hinaus zum Flughafen? Klimmt: In dieser ganzen Debatte waren ja zwei Argumente ausschlaggebend. Man kann erstens den Transrapid nur dann als deutsches Exportgut wirklich anpreisen, wenn man ihn auch im eigenen Land fahren lässt und so seine Leistungsfähigkeit zeigt. Man braucht also eine Referenzstrecke und dafür reicht es eben nicht, dass er in Shanghai fährt. Die zweite Frage lautet: Wo macht man das in Deutschland? Die Strecke Hamburg-Berlin hätte sich einfach nicht gerechnet, weil man dafür die Schienenstränge, die ja noch weiterhin bestanden hätten, hätte stilllegen müssen, um überhaupt den notwendigen Verkehr in den Transrapid zu bekommen. Man hätte also nur ein Stück gehabt, auf dem der Transrapid fährt, und ansonsten hätten alle wieder permanent umsteigen müssen. Das, was die Strecke in München so interessant macht, ist, dass das ein Stück ist, das den Flughafen, der doch ziemlich weit draußen liegt, schneller erreichbar macht. Man bekommt eben jedes Mal wieder mit, wenn man mit der S-Bahn da hinauszuckelt oder wenn man per Auto versucht, den Staus auszuweichen, wie nützlich es wäre, wenn man innerhalb von zehn Minuten draußen am Flughafen bzw. vom Flughafen aus in der Innenstadt wäre. Das macht sicherlich einen Sinn. Aber das Ganze birgt natürlich ein großes Problem und deswegen verstehe ich auch die Haltung der Sozialdemokraten hier in München: Es ist ein unglaublicher Aufwand für eine Stadt, einen solchen Verkehrsweg mit all den damit verbundenen Anforderungen noch einmal komplett neu anzulegen. Dennoch schien mir das die einzige sinnvolle Strecke für den Transrapid in Deutschland gewesen zu sein. Und im Übrigen kann ich ja auch ruhig mal etwas ausplaudern: Damit nicht nur ein süddeutsches Bundesland den Anspruch erheben kann, besonders viel für moderne Technik zu tun, sondern auch ein norddeutsches Bundesland diesen Anspruch erheben darf, wurde damals der Metrorapid entwickelt: Er sollte eine Verbindung zwischen Dortmund über Düsseldorf nach Köln herstellen. Aber auch diese Pläne wurden vor einigen Jahren beerdigt, weil sie nicht realisierbar waren. Und jetzt muss man mal sehen, was hier in München passiert. Dennoch, ich halte es immer noch für einen durchaus vernünftigen Ansatz, den Transrapid auch bei uns in Deutschland fahren zu lassen. Ansonsten muss man mal abwarten, ob diese Technologie überhaupt noch eine Chance hat. In den USA ist man sehr interessiert am Transrapid. Dort würde das auch ganz sicher einen Sinn machen, weil man in den USA kein besonders gut ausgebautes Schienensystem hat. Wir hier haben jedoch auf die Rad-Schiene gesetzt, also auf die Technologie des ICE. Mit dem TGV haben wir ja auch in Europa ganz großartige Züge. Franke: Ich sollte vielleicht nicht ganz unerwähnt lassen, dass Sie die Umweltschützer schon 1999 den Klimaschutz-Minister nannten. Sie propagierten nämlich das 3-Liter-Auto, traten für das Energiesparen beim Wohnungsbau, im Wohnungswesen ein und wollten den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlegen. Sie forderten also schon damals all das, was man heute in der großen Debatte um den Klimawandel erneut diskutiert, denn das Energiesparen allgemein ist groß im Kommen. Momentan sieht es ja so aus, als wäre man im Vergleich zurzeit vor acht Jahren nicht wirklich großartig weitergekommen in dieser Thematik. Würden Sie denn sagen, dass die deutsche Politik nicht nur hier, sondern ganz allgemein recht entscheidungsunfreudig ist? Klimmt: Vieles ist zäh, zäh auch deshalb, weil eben auch immer wieder starke Interessen mit hineinspielen. Unsere Autoindustrie hat nun einmal für unsere Arbeitsplätze eine ganz, ganz große Bedeutung. Dies gilt nicht nur für Bayern, sondern das ist in ganz Deutschland so. Auch im Saarland lebt der größte industrielle Anteil vom Automobil. Da ist es dann nicht so einfach, bestimmte Dinge durchzusetzen, weil dann angeblich wirtschaftliche Schwierigkeiten für diesen Industriezweig entstehen. Ich bin aber der Auffassung, dass wir in dieser Frage doch einen etwas übergeordneteren Standpunkt einnehmen müssen, um besser zu erkennen, worum es eigentlich geht. Die Entwicklung, die wir momentan haben, etwa um Energie zu sparen, um das Klima zu schonen, ist nicht ausreichend. Diese Anstrengungen reichen nicht aus. Und das Entscheidende für mich war, dass man eben an das Auto selbst rangehen muss. Man wird den Deutschen das Auto nicht austreiben können und ich will das auch gar nicht, aber man muss dafür sorgen, dass man mit dem Auto möglichst wenig – ich fahre ja selbst – ökologischen Schaden anrichtet. Deswegen sind eben Strategien wichtig, um zu neuen Antriebsstoffen zu kommen. Gleichzeitig ist ja die größte Energiereserve, die wir haben, die Energieeinsparung. Das betrifft allerdings nicht nur den Verkehr, denn ein Großteil der Energie geht in den Häusern verloren, weil sie im wahrsten Sinne durch die Wände nach draußen verpufft. Wir haben auch bei unseren Haushaltsgeräten und vielen anderen Geräten noch sehr große Möglichkeiten, sie zu effektivieren. Das ist ein Punkt, der einfach wichtig ist im Hinblick auf die Ressourcenschonung. Auf diese Weise kommt man andererseits auch sehr schnell zum Begriff "Nachhaltigkeit", der für mich immer ein zentrales Element politischen Handelns war. Franke: Sie versuchen jetzt sogar, die Nachhaltigkeit ins SPD-Grundsatzprogramm einzubringen. Klimmt: Richtig. Franke: Denn dort sitzen Sie in der Kommission und sind auch Leiter der entsprechenden Steuerungsgruppe. Klimmt: Ich bin Leiter der Steuerungsgruppe im Saarland und war von Anfang in der Grundsatzprogrammkommission der SPD mit dabei. Ich bin in der Tat der Auffassung, dass die SPD jetzt eigentlich den Sprung über die Hürde wagen und sagen müsste: "Unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität gelten immer noch. Sie haben auch heute noch einen Sinn, sie müssen lediglich auf die moderne Welt hin orientiert werden. Aber es muss noch etwas anderes dazukommen!" Es geht nämlich nicht mehr nur darum, das Verhältnis der Menschen untereinander zu regeln, sondern wir haben plötzlich die Einsicht, dass wir auch das Klima beeinflussen. Früher schien das Klima ja vollkommen gottgegeben und wir sagten auch: "Petrus macht das Wetter!" Heute erkennen wir, dass wir durch unser Handeln das Wetter, das Klima sehr wohl auch selbst beeinflussen. Man muss nun einsehen, dass daraus Verantwortlichkeit entsteht: nicht nur gegenüber der Umwelt, in der wir leben, sondern auch gegenüber den späteren Generationen. Wir bzw. zumindest ich selbst werde das alles noch recht unbeschadet überstehen, was da an Veränderungen kommen wird. Aber bei meinen Enkeln sieht das bereits völlig anders aus. Deswegen sollte man dieses Thema einer neuen Sichtweise sowohl der ökonomischen wie der ökologischen und der sozialen Dinge mit ins Grundsatzprogramm hineinnehmen. Dann wäre die SPD endlich mal wieder vorne in der politischen Entwicklung, denn selbst die Grünen haben sich bis heute noch nicht dazu durchringen können, das zu einem ihrer Grundwerte zu machen. Franke: Sie sagen es gerade selbst: Die SPD will wieder nach vorne in der politischen Entwicklung. Muss sich denn die SPD auch im Inneren irgendwie neu definieren, um wieder nach vorne kommen, um neues Vertrauen gewinnen zu können? Klimmt: Die sozialdemokratische Partei legt ja ihr Gründungsdatum auf das Jahr 1863, auf die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins durch Ferdinand Lassalle. Wenn man sich die Zeit bis heute ansieht, dann muss man sagen, dass wir eigentlich die einzige Partei sind, die ungebrochen weiter existiert hat und die sich immer wieder gehäutet und ihre Programme geändert hat. Das letzte Mal geschah das durch das "Berliner Programm", als die neuen sozialen Bewegungen wie etwa die Frauenbewegung und auch bereits die Ökologie mit in die Programmatik aufgenommen worden sind. Vorher war es das Godesberger Programm, in dem sich die SPD mit der sozialen Marktwirtschaft anfreundete und so zur Volkspartei wurde; denn vorher war man doch immer noch eine klassische Arbeiterpartei gewesen. Heute muss die SPD eben den nächsten Schritt tun und angeben, wie sie ihre Grundwerte in einer von der Globalisierung und Europäisierung bestimmten Welt umsetzen kann. Hinzu kommt ja noch, dass sich auch die Gesellschaft in ihren Werten völlig verändert hat. Wenn man sich ansieht, wie Deutschland vor 50 Jahren ausgesehen hat - in den Arbeitswelten, in den Familienstrukturen usw. -, dann stellt man fest, dass wir uns im Vergleich dazu heute in einer ganz neuen, ganz anderen Phase befinden. Aus diesem Grund muss man das Programm so ändern, dass man den Menschen auch heute noch Antworten auf ihre Fragen geben kann. Franke: Hoffen wir, dass Sie Antworten auf diese Fragen finden. Ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch, Reinhard Klimmt. Unsere Sendezeit ist leider zu Ende, wir bräuchten eigentlich noch einmal 45 Minuten. Liebe Zuschauer, vielen Dank und auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal.

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