HISTORISCH-POLITISCHE MITTEILUNGEN Archiv Für Christlich-Demokratische Politik
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1 HISTORISCH-POLITISCHE MITTEILUNGEN Archiv für Christlich-Demokratische Politik Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. herausgegeben von Günter Buchstab und Hans-Otto Kleinmann 7. Jahrgang 2000 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN 2 HISTORISCH-POLITISCHE MITTEILUNGEN Archiv für Christlich-Demokratische Politik 7. Jahrgang 2000 Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. herausgegeben von Dr. Günter Buchstab und Prof. Dr. Hans-Otto Kleinmann Redaktion: Dr. Felix Becker Anschrift: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Wissenschaftliche Dienste Archiv für Christlich-Demokratische Politik Rathausallee 12 53757 Sankt Augustin bei Bonn Tel 02241 / 246 210 Fax 02241 / 246 669 e-mail: x.400: c=de: a=dbp; p=kas; o=wd; s=zentrale-wd internet: [email protected] Verlag: Böhlau Verlag GmbH & Cie, Ursulaplatz 1, D-50668 Köln e-mail: [email protected] Die Zeitschrift »HISTORISCH-POLITISCHE MITTEILUNGEN/Archiv für Christlich-Demokratische Politik« erscheint einmal jährlich mit einem Heftumfang von ca. 260 Seiten. Der Preis beträgt DM 38,–. Ein Abonnement verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn die Kündigung nicht zum 1. Dezember erfolgt ist. Zuschriften, die Anzeigen und Vertrieb betreffen, werden an den Verlag erbeten. © 2000 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten Satz: Satzpunkt Bayreuth GmbH Druck und Verarbeitung: MVR-Druck, Brühl ISSN 0943-691X Inhalt AUFSÄTZE Winfried Becker Die Deutsche Zentrumspartei gegenüber dem Nationalsozialismus und dem Reichskonkordat 1930–1933: Motivationsstrukturen und Situationszwänge . 1 Herbert Hömig Heinrich Brüning – Kanzler in der Krise der Weimarer Republik. Eine Bilanz nach siebzig Jahren . 39 Bernd Schäfer Priester in zwei deutschen Diktaturen. Die antifaschistische Legende des Karl Fischer (1900–1972) . 53 Gerhard Wettig Programmatische und pragmatische Elemente in Stalins Deutschland- Politik 1945–1953. Untersuchung aufgrund sowjetischer und ost- deutscher Akten . 79 Stefan Donth Die Sowjetische Militäradministration und die CDU in Sachsen 1945– 1952. Eine bürgerliche Partei aus dem Blickwinkel der Besatzungsmacht . 109 Brigitte Kaff Die Arbeitsgemeinschaft der Ostsektor-Kreisverbände beim Landes- verband Berlin (West) der CDU . 135 Wolfgang Tischner Die Kirchen im Umfeld des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 . 151 Alexander Troche »Ich habe nur die Hoffnung, dass der Kelch an uns vorübergeht ...«. Der Zypernkonflikt und die erste deutsche Out-of-area-Entscheidung . 183 4 TAGUNG: EUROPA Beiträge einer deutsch-französisch-italienischen Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung über Grundlagen der europäischen Integration in Cadenabbia, 19.–22. November 1999 Bruno Béthouart La France, Robert Schuman et l’Europe . 197 Alfredo Canavero Alcide de Gasperi in der Literatur. Von der politischen Polemik zur Historiographie. 219 Ulrich Lappenküper Den Bau des »europäischen Hauses« vollenden. Die Europapolitik Ludwig Erhards (1963–1966) . 239 DOKUMENTATION Günter Buchstab Vom Mitarbeiter zum Miteigentümer. Der Burgbacher-Plan von 1969. 269 LITERATUR UND FORSCHUNG Neue Literatur zur sowjetischen Deutschlandpolitik während des Kalten Krieges. Gelesen und besprochen von Gerhard Wettig . 289 Manfred Agethen Die Protokolle der Leitungsgremien der CDU in der SBZ, 1945–1949. Ein Editionsprojekt des Archivs für Christlich-Demokratische Politik . 311 ABSTRACTS – Résumés – Zusammenfassungen . 325 Die Mitarbeiter dieses Bandes . 341 1 2 3 Die Deutsche Zentrumspartei gegenüber dem 4 Nationalsozialismus und dem Reichskonkordat 1930–1933: 5 Motivationsstrukturen und Situationszwänge* 6 7 Von Winfried Becker 8 9 Die Deutsche Zentrumspartei wurde am 13. Dezember 1870 von ca. 50 Man- 10 datsträgern des preußischen Abgeordnetenhauses gegründet. Ihre Reichstagsfrak- 11 tion konstituierte sich am 21. März 1871 beim Zusammentritt des ersten deut- 12 schen Reichstags. 1886 vereinigte sie sich mit ihrem bayerischen Flügel, der 1868 13 eigenständig als Verein der bayerischen Patrioten entstanden war. Am Ende des 14 Ersten Weltkriegs, am 12. November 1918, verselbständigte sich das Bayerische 15 Zentrum zur Bayerischen Volkspartei. Das Zentrum verfiel am 5. Juli 1933 der 16 Selbstauflösung im Zuge der Beseitigung aller deutschen Parteien (außer der 17 NSDAP), ebenso am 3. Juli die Bayerische Volkspartei. Ihr war auch durch die 18 Gleichschaltung Bayerns und der Länder der Boden entzogen worden.1 19 Die Deutsche Zentrumspartei der Weimarer Republik war weder mit der 20 katholischen Kirche dieser Zeit noch mit dem Gesamtphänomen des Katho- 21 lizismus identisch. 1924 wählten nach Johannes Schauff 56 Prozent aller Ka- 22 tholiken (Männer und Frauen) und 69 Prozent der bekenntnistreuen Katholiken 23 in Deutschland, von Norden nach Süden abnehmend, das Zentrum bzw. die 24 Bayerische Volkspartei. Beide Parteien waren ziemlich beständig in einem 25 Wählerreservoir praktizierender Angehöriger der katholischen Konfession an- 26 gesiedelt, das durch das 1919 eingeführte Frauenstimmrecht zugenommen hat- 27 te, aber durch die Abwanderung vor allem der männlichen Jugend von schlei- 28 chender Auszehrung bedroht war. Politisch und parlamentarisch repräsentierte 29 die Partei eine relativ geschlossene katholische »Volksminderheit«.2 Ihre re- 30 gionalen Schwerpunkte lagen in Bayern, Südbaden, Rheinland, Westfalen, 31 32 * Erweiterte und überarbeitete Fassung eines Vortrags auf dem Symposion »Die Christ- 33 lichsozialen in den österreichischen Ländern 1918–1933/34« in Graz am 4. März 1997. 34 1 Überblicke bei Frank WENDE (Hg.), Lexikon zur Geschichte der Parteien in Europa, 35 Stuttgart 1981, S. 133–136; Winfried BECKER, Art. »Zentrum«, in: Anselm FAUST (Hg.), Nord- 36 rhein-Westfalen. Landesgeschichte im Lexikon, Düsseldorf 1993, S. 489–493. 2 Rudolf MORSEY, Die katholische Volksminderheit und der Aufstieg des Nationalsozia- 37 lismus 1930–1933, in: Klaus GOTTO/Konrad REPGEN (Hg.), Die Katholiken und das Dritte 38 Reich, Mainz 31990, S. 9–22; Konrad REPGEN, Hitlers Machtergreifung und der deutsche Ka- 39 tholizismus. Versuch einer Bilanz, in: DERS., Historische Klopfsignale für die Gegenwart, Müns- 40 ter 1974, S. 128–152, 140 f.; Johannes SCHAUFF, Die deutschen Katholiken und die Zentrums- partei. Eine politisch-statistische Untersuchung der Reichstagswahlen seit 1871, Köln 11928 41 (2Mainz 1975), S. 137 ff. (Reichstagswahl Dez. 1924). 42 2 Winfried Becker 1 Oberschlesien und in einem Teil Ostpreußens. Die Zentrumspartei des Bis- 2 marckreiches erwuchs aus einem schon im Vormärz neu artikulierten Konfes- 3 sionsbewusstsein, einem frühzeitig grundrechtlich ausgeprägten Freiheitsstre- 4 ben vorwiegend gegenüber einem fremdkonfessionellen Staatskirchentum. 5 Später kamen die Abwehr kleindeutsch-nationaler Herausforderungen der 6 Reichsgründungszeit und die Auseinandersetzung mit den sozialen Umschich- 7 tungen des beginnenden Industriezeitalters hinzu. In seiner grundrechtlich- 8 freiheitlichen und föderalistischen Ausrichtung verstand sich das Zentrum, zu- 9 mal seit dem Kulturkampf, als Verfassungspartei. Da es schichtenübergreifend 10 den kirchentreuen Kern des katholischen Volksteils umfasste, war es auch 11 Volkspartei. Im Parlament des Kaiserreichs errang die Zentrumspartei nach 12 dem Kulturkampf zeitweise die parlamentarische Bedeutung eines Züngleins 13 an der Waage, wurde aber in ihrem christlich gebundenen Politikverständnis 14 über ihre eigene Anhängerschaft hinaus nur schwer akzeptiert. Nicht zuletzt 15 aufgrund seiner vorherigen »Integration« in den Nationalstaat wirkte das Zent- 16 rum während der Revolution von 1918/19 zusammen mit den Sozialdemokra- 17 ten und den liberalen Parteien maßgeblich am Neuaufbau des demokratischen 18 Staatswesens mit. Allen Extremen abhold, vertrat die Partei eine sachbetonte 19 Politik der Mitte. Da sie sich überaus koalitionsbereit zeigte, war sie häufiger 20 als die anderen Parteien an Regierungen beteiligt und wurde trotz ihrer schma- 21 len Wählerbasis zu einer Art Staatspartei der »Instabilitätsrepublik« von Wei- 22 mar. Georg Schreiber hat die sozial und politisch bewusst ausgleichende Mitt- 23 lerstellung der Zentrumspartei staatstheoretisch überhöht. Für ihn bestand das 24 Wesensmerkmal der infolge ihrer unterschiedlichen sozialen Zusammenset- 25 zung auf Ausgleich bedachten Partei in dem unverzichtbaren Streben nach 26 Harmonisierung der Interessengegensätze im Staat. Die Politik des Zentrums 27 sei darum auf die staatspolitisch notwendigen Sacherfordernisse und auf die 28 Realisierung eines überparteilichen Gemeinwohls auszurichten. 29 Viele Zeitgenossen und Historiker registrierten mit Erstaunen den »ruhm- 30 losen Ausklang« und »lautlosen Abschied« des kampferprobten Zentrums zwi- 31 schen März und Juli 1933.3 Zu deutlich schienen die Zustimmung zu Hitlers 32 Ermächtigungsgesetz und die letzten Liquidationsakte, die Bemühungen um 33 die Aufnahme möglichst vieler Zentrumsabgeordneter in den Hospitantensta- 34 tus bei der NSDAP, dem selbstbewussten Traditions- und Geschichtsverständ- 35 nis4 der Partei zu widersprechen. War das nicht »politischer Selbstmord«, wie 36 der westfälische Zentrumsabgeordnete Franz von Galen einer Verwandten 37 38 39 3 Rudolf MORSEY, Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwi- 40 schen christlichem Selbstverständnis und »Nationaler Erhebung« 1932/33, Stuttgart–Zürich 1977, S. 193, 198. 41 4 Zeugnis dafür etwa das monumentale Geschichtswerk von Karl BACHEM, Vorgeschich- 42 te, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei, Bd. 1–9, Köln 1927–1932. Die Deutsche Zentrumspartei gegenüber dem Nationalsozialismus 3 schrieb,5