Plenarprotokoll 16/216

Deutscher

Stenografischer Bericht

216. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung: Entwurf Fragestunde eines Gesetzes zur Bekämpfung der (Drucksachen 16/12641, 16/659) ...... 23446 D Kinderpornografie in Kommunikations- netzen ...... 23441 A Dr. , Bundesministerin Dringliche Frage 1 BMFSFJ ...... 23441 B Dr. (DIE LINKE) (BÜNDNIS 90/ Gefährdete Zahlungsfähigkeit der Bun- DIE GRÜNEN) ...... 23441 D desagentur für Arbeit und Maßnahmen der Bundesregierung angesichts steigen- Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Aufgaben aufgrund der Wirtschafts- BMFSFJ ...... 23442 A krise Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) ...... 23442 B Antwort Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMAS ...... 23447 A BMFSFJ ...... 23442 C Zusatzfragen Martin Dörmann (SPD) ...... 23443 B Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . 23447 A Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin Volker Schneider (Saarbrücken) BMFSFJ ...... 23443 C (DIE LINKE) ...... 23447 D Werner Dreibus (DIE LINKE) ...... 23448 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) ...... 23444 A Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ ...... 23444 C Mündliche Frage 1 (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 23444 D DIE GRÜNEN) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin Vorschlag für eine EU-Rahmenrichtlinie BMFSFJ ...... 23444 D zum Schutz vor Diskriminierung außer- halb des Berufslebens Christoph Waitz (FDP) ...... 23445 C Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin Antwort BMFSFJ ...... 23445 D Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ ...... 23448 C Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) ...... 23446 B Zusatzfragen Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ BMFSFJ ...... 23446 C DIE GRÜNEN) ...... 23448 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Mündliche Frage 2 Mündliche Frage 15 (CDU/CSU) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gefährdung des Prädikats „Nordseeheil- bad“ für die Insel Borkum durch den Bau Unterzeichnung des deutsch-polnischen von Kohlekraftwerken im niederländi- Staatsvertrags zur Hohensaaten-Fried- schen Eemshaven richsthaler Wasserstraße und zur Oder Antwort sowie Zeitplan für den Ausbau Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin Antwort BMG ...... 23449 B Karin Roth, Parl. Staatssekretärin Zusatzfragen BMVBS ...... 23453 C Gitta Connemann (CDU/CSU) ...... 23449 C Zusatzfragen Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 23453 D Mündliche Frage 4 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 16 Maßnahmen zur Weitergabe gesunkener Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Gasbezugspreise an die Verbraucher sowie DIE GRÜNEN) fehlende Initiativen vor der Veröffentli- chung der Gaspreisstudie Bisher fehlende Maßnahmen zur Umset- zung der Ortsumgehungen Berge und Antwort Lietzow bei Nauen Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi ...... 23450 B Antwort Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Zusatzfragen BMVBS ...... 23454 C Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 23450 C Zusatzfragen Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 23454 C Mündliche Frage 6 Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) Mündliche Frage 24 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Anrechnung der sogenannten Abwrack- DIE GRÜNEN) prämie auf SGB-II-Leistungen als geldwer- ter Vorteil und Erfordernis einer Gesetzes- Rechtsgrundlage für die Einlagerung von änderung Giftstoffen und Tierkadavern im Atom- Antwort mülllager Asse II und Klärung von deren Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär Herkunft BMAS ...... 23451 C Antwort Zusatzfragen Michael Müller, Parl. Staatssekretär Volker Schneider (Saarbrücken) BMU ...... 23455 D (DIE LINKE) ...... 23451 C Zusatzfragen Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) ...... 23452 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 23456 C Mündliche Frage 14 Jan Mücke (FDP) Mündliche Frage 27 Angebot des Bundesministeriums für Ver- Gitta Connemann (CDU/CSU) kehr, Bau und Stadtentwicklung an den Freistaat Sachsen zur finanziellen Beteili- Gültigkeit der Emissionsgrenzwerte der gung an einer Untertunnelung der Elbe im EU-Richtlinie zur Begrenzung von Schad- Zusammenhang mit dem Bau der Wald- stoffemissionen von Großfeuerungsanlagen schlösschenbrücke in Dresden in die Luft auch für Reinluftgebiete Antwort Antwort Karin Roth, Parl. Staatssekretärin Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 23453 A BMU ...... 23457 A Zusatzfragen Zusatzfragen Jan Mücke (FDP) ...... 23453 A Gitta Connemann (CDU/CSU) ...... 23457 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 III

Mündliche Frage 32 Mündliche Frage 40 Hellmut Königshaus (FDP) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kenntnis bzw. Mitwirkung der Bundes- regierung an der Vereinbarung des NATO- Abgabe der bahnpolizeilichen Aufgaben an Rates in Brüssel vom 4. Oktober 2001 über die Länder im Rahmen der Reform der die Duldung der US-amerikanischen Ter- Bundespolizei rorbekämpfung auf europäischem Boden Antwort Antwort , Parl. Staatssekretär Dr. h. c. , Staatsminister BMI ...... 23461 C AA ...... 23458 A Zusatzfragen Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ Zusatzfragen DIE GRÜNEN) ...... 23461 D Hellmut Königshaus (FDP) ...... 23458 B

Mündliche Frage 47 Mündliche Frage 33 (DIE LINKE) Hellmut Königshaus (FDP) Schlüsse der Bundesregierung aus dem Zusammenhang zwischen einer Vereinba- Einsatz der französischen Polizei bei den rung des NATO-Rates in Brüssel über die Demonstrationen in Straßburg am 4. April Duldung der US-amerikanischen Terrorbe- 2009 kämpfung auf europäischem Boden sowie Antwort der Auskunftsverweigerung des ehemali- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär gen Bundesministers des Innern Schily und BMI ...... 23462 C der Unkenntnis des Auswärtigen Amtes über die Entführung des Deutschen Khaled Zusatzfragen el-Masri nach Afghanistan Karin Binder (DIE LINKE) ...... 23462 C Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) ...... 23463 C Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 23464 A AA ...... 23459 A (DIE LINKE) ...... 23464 C Zusatzfragen Hellmut Königshaus (FDP) ...... 23459 B Mündliche Frage 48 Karin Binder (DIE LINKE) Mündliche Frage 36 Etwaiger Eingriff in die Grundrechte der Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) Demonstrantinnen und Demonstranten durch die polizeilichen Maßnahmen am Konsequenzen aus der Verhaftung von 4. April 2009 in Straßburg Professoren und Medienvertretern im Rah- men der umstrittenen Ergenekon-Razzien Antwort in der Türkei Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI ...... 23465 A Antwort Zusatzfragen Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister Karin Binder (DIE LINKE) ...... 23465 B AA ...... 23460 A Bodo Ramelow (DIE LINKE) ...... 23465 D Zusatzfragen Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) ...... 23460 B DIE GRÜNEN) ...... 23466 B Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 23467 A

Mündliche Frage 37 Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) Mündliche Frage 49 Heike Hänsel (DIE LINKE) Einsatz der Bundesregierung für ein Ende Haltung der Bundesregierung zur Abriege- der Repressionen gegen Laizisten und lung der Europabrücke in Kehl durch die Regierungskritiker in der Türkei deutsche Polizei am 4. April 2009 Antwort Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär AA ...... 23460 D BMI ...... 23467 C Zusatzfragen Zusatzfragen Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) ...... 23460 D Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 23467 D IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Mündliche Frage 50 Antwort Heike Hänsel (DIE LINKE) Andreas Storm, Parl. Staatssekretär BMBF ...... 23483 C Verhalten von Landes- und Bundespolizei am 4. April 2009 auf der Europabrücke gegenüber Bundestagsabgeordneten der Fraktion Die Linke und einem Mitglied des Anlage 3 Europäischen Parlaments Mündliche Frage 5 Antwort Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) BMI ...... 23468 C Umgang der Bundesanstalt für Geowissen- Zusatzfragen schaften und Rohstoffe mit Informationen Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 23468 C aus einem Abschlussbericht über die Einla- gerung von diversen nichtradioaktiven Giftstoffen im Atommülllager Asse II Zusatztagesordnungspunkt 1: Antwort Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin DIE LINKE: Konsequenzen aus dem Urteil BMWi ...... 23483 D des Oberverwaltungsgerichtes Berlin- Brandenburg zur militärischen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide vom 27.03.2009 Anlage 4 (Bombodrom) ...... 23469 A Mündliche Fragen 7 und 8 Dr. (DIE LINKE) ...... 23469 B Katrin Kunert (DIE LINKE) Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär Anspruch von Arbeitslosengeld-II-Bezie- BMVg ...... 23470 C henden auf die Abwrackprämie Birgit Homburger (FDP) ...... 23471 B Antwort Andreas Weigel (SPD) ...... 23472 B Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär BMAS ...... 23484 A (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 23473 B Bernd Siebert (CDU/CSU) ...... 23474 B Anlage 5 Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 23475 A Mündliche Frage 9 Frank Spieth (DIE LINKE) Jörn Thießen (SPD) ...... 23476 A Michael Stübgen (CDU/CSU) ...... 23477 A Anspruch auf Krankengeld auch über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses (Neuruppin) (SPD) ...... 23477 D hinaus für in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung freiwillig Versi- Dr. Hermann Kues (CDU/CSU) ...... 23478 C cherte mit einer Angestelltentätigkeit Dieter Steinecke (SPD) ...... 23479 C außerhalb der Landwirtschaft Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) ...... 23480 C Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Nächste Sitzung ...... 23481 C BMELV ...... 23484 B

Anlage 1 Anlage 6 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 23483 A Mündliche Frage 10 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Erkenntnisse der Bundesregierung über Anlage 2 den Anbau von Genmais MON 810 bereits Mündliche Frage 3 vor dem Verbot am 14. April 2009 sowie Cornelia Hirsch (DIE LINKE) Konsequenzen für betroffene landwirt- schaftliche Betriebe Vorlage der Ergebnisse aus der Befragung der Geförderten der Begabungsförde- Antwort rungswerke durch die HIS Hochschul- Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Informations-System GmbH BMELV ...... 23484 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 V

Anlage 7 Anlage 11 Mündliche Frage 11 Mündliche Frage 19 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Herstellung von Barrierefreiheit bei deut- Beauftragte „unabhängige Experten“ des schen UNESCO-Welterbestätten mithilfe Bundesministeriums für Ernährung, Land- des „Förderprogramms UNESCO-Welt- wirtschaft und Verbraucherschutz für die erbestätten“ Erarbeitung eines Strategiepapiers zur Agro-Gentechnik sowie inhaltliches und Antwort zeitliches Vorgehen Achim Großmann, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 23486 A Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV ...... 23485 A Anlage 12 Mündliche Frage 20 Jörg Tauss (SPD) Anlage 8 Vom Atomkraftwerk Tschernobyl ausge- Mündliche Frage 12 hende Gefahr aus Sicht der Bundesregierung Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) Michael Müller, Parl. Staatssekretär Geltungsbereich des Anbauverbots für BMU ...... 23486 B Genmais MON 810 auch für angemeldete Sorten-Wertprüfungen von MON-810- Varianten durch das Bundessortenamt im Anlage 13 Jahr 2009 Mündliche Frage 21 Jörg Tauss (SPD) Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär Maßnahmen zur Absicherung des Atom- BMELV ...... 23485 A kraftwerks Tschernobyl und des umgeben- den Betonmantels in den letzten vier Jahren Antwort Anlage 9 Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU ...... 23486 C Mündliche Frage 13 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 14 Bisher eingetretene Umweltschäden durch Mündliche Frage 22 die Aussaat von MON 810 seit der Geneh- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ migung im Jahr 2005 sowie weitere DIE GRÜNEN) geplante Untersuchungen Virenbefall von Computersystemen in Antwort Atomkraftwerken und etwaige Auswirkun- Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär gen auf die Kraftwerksleistung BMELV ...... 23485 B Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU ...... 23487 A Anlage 10

Mündliche Fragen 17 und 18 Anlage 15 Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 23 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Ausgangsdaten der Ermittlung der zukünf- DIE GRÜNEN) tigen Lkw-Maut-Einnahmen in den Wirt- Herauf- und Herunterfahren von Atom- schaftlichkeitsuntersuchungen für die kraftwerken bei kurzfristigen Schwankun- Pilotprojekte für das Betreibermodell für gen der sonstigen Stromerzeugung ohne den mehrstreifigen Autobahnausbau Gefährdung der Anlagensicherheit Antwort Antwort Achim Großmann, Parl. Staatssekretär Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMVBS ...... 23485 C BMU ...... 23487 B VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Anlage 16 Anlage 21 Mündliche Frage 25 Mündliche Frage 31 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Vorkommen der Chemikalie TMDD in Bewertung der Aussage des US-Präsi- deutschen Gewässern sowie davon ausge- denten Obama zur Demokratisierung hende Gefahren Afghanistans sowie Ziele des deutschen Einsatzes Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär Antwort BMU ...... 23487 C Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 23489 A

Anlage 17 Mündliche Frage 26 Anlage 22 Gudrun Kopp (FDP) Mündliche Frage 34 Haltung der Bundesregierung zu den in (BÜNDNIS 90/ der Broschüre „Roadmap Energiepolitik DIE GRÜNEN) 2020“ dargestellten Positionen Konkrete Schritte der Bundesregierung für Antwort den vom Bundesminister des Auswärtigen Michael Müller, Parl. Staatssekretär anvisierten Abzug von in Deutschland sta- BMU ...... 23488 A tionierten US-Atomwaffen Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister Anlage 18 AA ...... 23489 C Mündliche Frage 28 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Anlage 23 Ausrichtung eines Essens im Bankettsaal des Bundeskanzleramtes anlässlich des Mündliche Frage 35 60. Geburtstages von Josef Ackermann Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ sowie vergleichbare Einladungen in der DIE GRÜNEN) 16. Legislaturperiode Haltung der Bundesregierung auf der drit- Antwort ten Sitzung des Preparatory Committee Hermann Gröhe, Staatsminister zur NVV-Überprüfungskonferenz in Bezug BK ...... 23488 B auf die nukleare Abrüstung Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister Anlage 19 AA ...... 23489 D Mündliche Frage 29 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Anlage 24 Kostenschätzung für die Einrichtung der Dokumentationsstätte „Sichtbares Zei- Mündliche Frage 38 chen“ (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Antwort Hermann Gröhe, Staatsminister Situation der Homosexuellen im Irak BK ...... 23488 B Antwort Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister AA ...... 23490 A Anlage 20 Mündliche Frage 30 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Anlage 25 Barrierefreiheit bei deutschen UNESCO- Mündliche Frage 39 Welterbestätten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Antwort , Staatsminister Anteil von Homosexuellen an den von BK ...... 23488 D Deutschland und anderen EU-Mitglied- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 VII staaten aufgenommenen Irak-Flüchtlingen Anlage 30 sowie Pläne zur verstärkten Aufnahme die- ser Gruppe Mündliche Frage 45 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär Ungleichbehandlung von Bundestagsabge- BMI ...... 23490 C ordneten der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an den polizeilichen Absperrungen der Brücke Anlage 26 von Kehl nach Straßburg Mündliche Frage 41 Antwort (DIE LINKE) Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär Negativempfehlungen des Bundeskriminal- BMI ...... 23492 A amtes über Journalistinnen und Journalis- ten gegenüber der NATO anlässlich des diesjährigen NATO-Gipfels Anlage 31 Antwort Mündliche Frage 46 Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär Sevim Dağdelen (DIE LINKE) BMI ...... 23490 D Eintreffen der französischen bzw. der deut- schen Feuerwehr nach Brandbeginn des Anlage 27 Zollhauses und des Hotels Ibis auf der Straßburger Seite Mündliche Frage 42 Ulla Jelpke (DIE LINKE) Antwort Rechtsgrundlage für die Weiterleitung per- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär sonengebundener Daten über Journalisten BMI ...... 23492 A an die NATO und gegebenenfalls geplante Reform dieser Praxis Antwort Anlage 32 Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI ...... 23491 B Mündliche Frage 51 Bodo Ramelow (DIE LINKE)

Auswirkungen und Umfang der Steueraus- Anlage 28 fälle in diesem Jahr sowie Konsequenzen Mündliche Frage 43 für die geplante Einführung der Schulden- Inge Höger (DIE LINKE) bremse Sperrung der Europabrücke von Kehl Antwort nach Straßburg am 4. April 2009 für Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin Demonstranten des Ostermarsches BMF ...... 23492 B Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI ...... 23491 D Anlage 33 Mündliche Frage 52 Anlage 29 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 44 Inge Höger (DIE LINKE) Rechtliche Zulässigkeit von Parteispenden Beteiligung deutscher Polizisten am Ein- durch staatlich gestützte Finanzinstitute satz gegen Demonstranten in Straßburg am sowie fehlende Vereinbarung zur Unterlas- 4. April 2009 sung dieser Praxis Antwort Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMI ...... 23491 D BMF ...... 23492 C VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Anlage 34 dem Hintergrund seiner Mitverantwor- tung als ehemaliger IKB-Aufsichtsrat für Mündliche Frage 53 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ die geschaffenen Fehlstrukturen liberali- DIE GRÜNEN) sierter Finanzmärkte Geeignetheit des Staatssekretärs Jörg Antwort Asmussen im Bundesministerium der Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin Finanzen zur Lösung der Finanzkrise vor BMF ...... 23493 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23441

(A) (C) Redetext

216. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsident Dr. : In dem Gesetzentwurf ist festgelegt, dass zwingend Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- eine Seite mit einem Stoppzeichen erscheinen muss, zung ist eröffnet. wenn eine zu sperrende Website mit kinderpornografi- schen Inhalten aufgerufen wird. Das ist eine präventive Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Maßnahme. Durch diese Stoppseite wird ein gesell- Befragung der Bundesregierung schaftliches Signal gesetzt. Sie verdeutlicht, welch einen Inhalt der Browser gerade versucht hat zu öffnen, und in Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- welches Gebiet sich derjenige, der diese Seite aufrufen binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur wollte, begeben hätte. Über diese Seite findet man bei Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunika- Beschwerden oder Fragen auch einen Ansprechpartner. tionsnetzen. In dem Gesetzentwurf wird die Verteilung der Aufga- Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht ben sehr klar geregelt. Die Liste der zu sperrenden (B) hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen Adressen wird durch das Bundeskriminalamt täglich im (D) und Jugend, Frau Dr. Ursula von der Leyen. Rahmen seiner Zentralstellenfunktion ermittelt, bereit- gestellt und verantwortet. Die Zugangsanbieter sind aus- schließlich für die technischen Sperrmaßnahmen zustän- Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für dig, nicht für die Inhalte. Sie sind nicht verpflichtet, Familie, Senioren, Frauen und Jugend: selbst nach kinderpornografischen Inhalten zu forschen. Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Her- Alle größeren privaten Anbieter werden verpflichtet, den ren! Heute ist im Bundeskabinett der Entwurf eines Ge- Zugang zumindest auf DNS-Basis zu sperren. Die DNS- setzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kom- Sperre ist Grundlage der Verträge. Der Gesetzentwurf munikationsnetzen beschlossen worden. Dies ist ein hingegen ist bewusst technikoffen formuliert. Andere ef- wichtiger Schritt im Kampf gegen die Kinderpornografie fektivere Sperrtechniken wären möglich. im Internet. Die neuen Regelungen enthalten Vorschläge zu Änderungen im Telemediengesetz und im Telekom- Wir betreten mit diesen Zugangserschwerungen in munikationsgesetz. Sie beschränken sich auf Erschwe- Deutschland Neuland. Deswegen sehen wir in den Ver- rungen des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten. trägen eine Evaluierung nach einem Jahr vor. Außerdem wird die Bundesregierung zwei Jahre nach Inkrafttreten Am 25. März dieses Jahres sind im Bundeskabinett des Gesetzes einen Bericht vorlegen. Wir setzen mit die- bereits die Eckpunkte beschlossen worden. Am vergan- sem Gesetz ein entschlossenes Zeichen, den weltweiten genen Freitag, dem 17. April, hat das Bundeskriminal- Kampf gegen Kinderpornografie im Internet um diesen amt Verträge mit fünf großen privaten Internetzugangs- wichtigen Baustein zu ergänzen. anbietern geschlossen. Die Verträge stellen bereits jetzt eine solide Grundlage für die Zugangserschwerungen Vielen Dank. dar. Wir erreichen allein damit 75 Prozent des Marktes. Die Zugangsanbieter können sich jetzt konkret auf die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: technische Umsetzung vorbereiten und damit beginnen. Vielen Dank, Frau Ministerin. – Jetzt haben Sie die Ich kann Ihnen heute mitteilen, dass zwei weitere große Möglichkeit, zu fragen. Als Erste hat sich die Kollegin private Anbieter signalisiert haben, dass sie bereit sind, Grietje Staffelt von Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. die Verträge, so, wie sie vorliegen – ohne Gesetzesvor- behalt –, zu zeichnen. Mit dem aktuell vorliegenden Ge- setzentwurf werden wir noch mehr private Anbieter er- Grietje Staffelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fassen und somit eine noch größere Marktabdeckung, Frau Ministerin, was genau ist der Grund, warum man nämlich über 97 Prozent, erreichen. mit der Unterzeichnung des Vertrages zwischen BKA 23442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Grietje Staffelt (A) und Providern nicht warten konnte, bis ein Gesetz in Die erste Frage. Sie hatten ursprünglich geplant – mit (C) Kraft getreten ist? Was geschieht mit den Verträgen, sehr guten Gründen –, ein Spezialgesetz zu verabschie- wenn das Gesetz am parlamentarischen Widerstand, der den. Jetzt soll eine Regelung in das Telemediengesetz sicherlich groß sein wird, scheitern sollte? Schließlich aufgenommen worden. Die Befürchtung vieler ist, dass soll die Sperrung laut Vertrag nach spätestens sechs Mo- dies eine Öffnung für weitere Maßnahmen jenseits der naten implementiert sein. Kinderpornografie ist. Können Sie diese Bedenken zer- streuen? Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Die zweite Frage. Das Bundeskriminalamt ist für die Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Erstellung der täglichen Listen zuständig. Wer kontrol- Am 13. Januar haben wir zum ersten Mal mit den gro- liert eigentlich das Bundeskriminalamt? Was passiert, ßen Internetzugangsanbietern zusammengesessen, um die wenn das Bundeskriminalamt Fehler macht? Wer haftet Verhandlungen aufzunehmen. Sie alle haben mitverfol- dann? Wer steht dafür ein? gen können, dass es in den letzten Wochen und Monaten ausgesprochen intensive, zum Teil auch sehr harte Ver- Die dritte Frage. Sie haben darauf hingewiesen, dass handlungen gegeben hat. Dieser Prozess war meines Er- wir Probleme mit ausländischen Anbietern haben. Auf achtens wichtig und unabdingbar, damit alle Fragen auf die deutschen Anbieter, die eine .de-Domain haben, kön- den Tisch kommen konnten und über alle Themen disku- nen wir über die DENIC zugreifen. Warum werden sie tiert werden konnte. Inzwischen sind alle technischen genauso behandelt wie die ausländischen, obwohl wir an Fragen geklärt, und über alle rechtlichen Details wurde die deutschen Anbieter herankommen können? Die deut- diskutiert. Die Vertragsentwicklung hat den Weg vorge- schen Seiten können wir doch sperren, wenn sie kin- zeichnet, wie Rechte und Pflichten des Bundeskriminal- derpornografisches Material enthalten. Halten Sie es für amtes und der Internetzugangsanbieter geregelt werden verhältnismäßig, dass deutsche und ausländische Anbie- können. Ein Kontrollmanagement und ein Beschwerde- ter in diesem Bereich gleichbehandelt werden, obwohl management sind eingeführt worden. Außerdem hat eine die Ursachen und die Erscheinungsformen völlig unter- breite gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema statt- schiedlich sind? gefunden. Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Ich begrüße es sehr, dass die Internetzugangsanbieter Familie, Senioren, Frauen und Jugend: zu einem überwiegenden Teil durch die freiwillige Un- Sehr gerne beantworte ich als Mitglied der Bundesre- terzeichnung der Verträge deutlich machen, dass sie ih- gierung Ihre Fragen. rer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden (B) wollen und nicht erst durch ein Gesetz dazu gezwungen (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Gut!) (D) werden müssen. Wir gehen fest davon aus, dass das Ge- setz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Sie fragten als Erstes, ob wir nicht lieber ein sogenanntes Spezialgesetz gemacht hätten. Das ist niemals die Inten- Seit der Vertragsunterzeichnung am Freitag der ver- tion des Bundesfamilienministeriums gewesen, sondern gangenen Woche ist nun klar, was auf alle Internetzu- wir haben von Anfang an gesagt, dass im Grundsatz das gangsanbieter zukommt. Das heißt, sie können seit Telemediengesetz und, abgeleitet davon, bei tiefer ge- Freitag der vergangenen Woche mit der technischen henden Fragen das Telekommunikationsgesetz betrof- Umsetzung beginnen. Sie werden maximal sechs Mo- fen sind. nate Zeit haben, um die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Das Gesetz kann, sofern der Zeitplan eingehal- Ich möchte auch deutlich machen, dass die Verträge ten wird, in circa sechs Monaten in Kraft treten. Deshalb auf einer rechtlich sicheren Basis beruhen. Die weiter enthält das Gesetz keine Übergangsfristen. Wenn es in gehende Frage ist dann sicherlich, was die Verträge von Kraft tritt, muss umgehend gesperrt werden. Das ist ein dem Gesetz unterscheidet. Es sind vor allem zwei Dinge: deutliches Signal an die Internetwirtschaft in Deutsch- Erstens. Die Verträge regeln, dass eine DNS-Sperre land. Nachdem wir alles diskutiert haben und die Wege eingeführt wird. Wir haben zum Beispiel vom Bundes- klar sind, können sich alle darauf einstellen. beauftragten für Datenschutz die ganz klare Aussage, Auf Ihre Frage, was geschehen würde, wenn das Ge- dass dies nicht das Fernmeldegeheimnis berühren setz nicht zustande käme, sage ich: Dann bestehen diese würde. Das Gesetz selber – wohl wissend, dass Techni- Verträge selbstverständlich fort. ken reifen und sich verändern können – ist technikoffen formuliert; als Minimum wird eine DNS-Sperre ver- langt. Deshalb ist es möglich, dass das Fernmeldege- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: heimnis betroffen sein könnte. Nach dem Zitiergebot Vielen Dank. – Die nächste Frage hat der Kollege muss das Gesetz in diesem Falle Klarheit schaffen. Hans-Joachim Otto. Zweitens. Die Verträge regeln im Unterschied zum Gesetz, dass dann, wenn eine Stoppseite erscheint, nur Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): die Klicks, also die anonymisierte Anzahl der Zugriffe, Liebe Frau Ministerin, wir sind überrascht, Sie hier zu gezählt werden. Im Gesetz ist die Möglichkeit enthalten sehen; denn Sie sind meines Erachtens noch nicht Bun- – die Frage ist, ob und inwieweit die obersten Polizeibe- deswirtschaftsministerin. Sie werden meine Fragen hörden und die Strafverfolgungsbehörden davon Ge- trotzdem beantworten können. brauch machen –, die Täter auf Dauer zu verfolgen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23443

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Ihre zweite Frage betraf das BKA. Das BKA trägt die dass diese Seiten dort gesperrt werden, weil die Sper- (C) volle Haftung dafür, dass die richtige Website identifi- rung hier nur mit Zeitverzögerung möglich ist? ziert wird und nur Websites mit kinderpornografischen Inhalten nach § 184 b des Strafgesetzbuches als ver- Mein zweiter Fragenkomplex betrifft das Bundeskri- schlüsselte Liste an die Internetzugangsprovider weiter- minalamt. Das Bundeskriminalamt wird ja Listen über gegeben werden. Diese Frage bezieht sich ausschließlich entsprechende Seiten im Ausland erstellen. Wie ist die auf die Arbeit des Bundeskriminalamtes. derzeitige Praxis im Hinblick auf ein Tätigwerden des Bundeskriminalamtes, indem zum Beispiel Kontakt mit Zu Ihrer dritten Frage: Es ist in der Tat so, dass Web- den zuständigen Stellen im Ausland aufgenommen wird, sites mit kinderpornografischen Inhalten auch in damit auch dort wirksam gegen Kinderpornografie vor- Deutschland, also von deutschen Servern aus, eingestellt gegangen werden kann, und zwar nicht nur bezogen auf werden. Hier gibt es schon lange eine gute Zusammenar- die Seiten, sondern auch auf die Täter? Wäre es mögli- beit mit den Internetzugangsanbietern dahin gehend, cherweise sinnvoll, eine Regelung, die eine Verpflich- dass auf diesen Servern die Quelle dieser Seiten gelöscht tung zum Tätigwerden des Bundeskriminalamtes vor- wird. Aber die Mehrzahl dieser Inhalte werden im Aus- sieht, in dieses Gesetz mit aufzunehmen? land, also irgendwo auf der Welt eingestellt. Man muss in diesem Zusammenhang beachten, dass Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für nur die Hälfte aller Länder dieses Globus überhaupt Kin- Familie, Senioren, Frauen und Jugend: derpornografie ächten und irgendwelche rechtlichen Ich möchte zunächst Ihre zweite Frage beantworten. Vorschriften haben, die regeln, wie dagegen vorgegan- Das, was Sie gerade geschildert haben, gehört bereits gen werden kann. Die andere Hälfte der Länder ächtet seit Jahren zur täglichen Arbeit des Bundeskriminal- dies eben nicht. Dort können diese abscheulichen Bilder amtes. Es ist tagtäglich damit beschäftigt, die sehr kurz- ohne Weiteres ins Netz eingestellt werden. Das macht lebigen und deshalb auch immer wieder neu erscheinenden deutlich, dass es sehr schwer ist, die Täter in diesen Län- Websites zu identifizieren und daraufhin zu analysieren, dern zu verfolgen oder irgendwelche Quellen zu schlie- ob es auf den veröffentlichten Bildern oder in den Fil- ßen. men Hinweise darauf gibt, wo, in welchem Umfeld und in welchem Rahmen das jeweilige Verbrechen stattge- Deshalb ist es richtig – neben der Täterverfolgung funden hat. Ferner vergleicht das Bundeskriminalamt, ob und dem weltweiten Schließen von Quellen im Rahmen von anderen Websites bekannte Daten vorliegen, die ei- internationaler Zusammenarbeit –, ein sehr deutliches nen Hinweis darauf geben, wo die Kinder vergewaltigt, gesellschaftliches Signal zu senden, dass der ungehin- missbraucht und gequält wurden. derte Zugang aufgrund der Zugangssperre nicht mehr (B) möglich ist und damit dem Massengeschäft ein Riegel Das Bundeskriminalamt ist bei seiner Arbeit interna- (D) vorgeschoben wird. tional sehr gut vernetzt. Im Rahmen von Europol wird gerade eine Bilddatenbank aufgebaut, um die vielen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: kurzlebigen Daten und Bilder, die relativ schnell und im- Vielen Dank. – Das Wort für die nächste Frage geht mer wieder neu ins Netz eingestellt werden können, da- an den Kollegen Martin Dörmann. raufhin abzugleichen, ob anhand von Details herauszu- finden ist, wo die dargestellte Schändung der Kinder stattgefunden hat. Dann kann mit den Behörden Kontakt Martin Dörmann (SPD): aufgenommen werden, und die Strafverfolgungsbehör- Frau Ministerin, ich begrüße es ausdrücklich, dass die den können vor Ort tätig werden, um die Kinder zu ret- Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegt. Ich glaube, ten und die Täter zu stellen. Das gehört zur täglichen Ar- dass eine wirksame und rechtsstaatlich unbedenkliche beit des Bundeskriminalamtes. Sperre nur auf gesetzlicher Grundlage geschaffen werden kann. Wir alle wünschen uns diese wirksame Sperre, auch Das Bundeskriminalamt versucht seit fast zehn Jah- wenn wir wissen, dass wir damit sicherlich nicht alle Um- ren, den von Ihnen erwähnten weiteren Baustein, der gehungsmöglichkeiten ausschließen können. Aber das ist auch sehr viel mit Prävention zu tun hat, zu installieren. ein wichtiges Signal; das will ich am Anfang meiner Fra- Auf diesem Gebiet sind wir allerdings nicht Vorreiter. gen betonen. Inzwischen gibt es auf europäischer Ebene neun Länder und auf internationaler Ebene weitere Länder, die bereits Weil wir wissen, dass wir es letztendlich mit Proble- vor einigen Jahren Zugangssperren eingerichtet haben, men zu tun haben, die ihren Ursprung im Ausland haben weil sie erkannt haben, dass sie ein unverzichtbarer Bau- – Herr Kollege Otto hat es schon angedeutet –, zielen stein sind. meine Fragen darauf, was die Bundesregierung und staatliche Stellen dafür tun, damit diese Seiten auch im In diesem Zusammenhang spielt das CIRCAMP eine Ausland gesperrt werden. Sie sprachen gerade davon, Rolle. Dabei handelt es sich um eine Vereinigung von dass Kinderpornografie nur in der Hälfte der Länder ge- Ländern, in deren Rahmen jeden Tag ein Austausch von ächtet wird. Inwieweit gibt es gegenüber Ländern, in de- Listen und von Informationen über Techniken des Sper- nen Kinderpornografie nicht geächtet wird, Initiativen rens stattfindet. Diesem Kreis können wir jetzt unver- der Bundesregierung, dies zu tun, sei es in internationa- züglich beitreten. Die Frage, warum sich Deutschland len Konferenzen, sei es in anderen Gremien? Verhandelt daran nicht stärker beteiligt, stellte sich schon seit länge- die Bundesregierung mit den Staaten, in denen Kin- rer Zeit. Das gilt natürlich auch für die Zusammenarbeit derpornografie geächtet wird, um dafür Sorge zu tragen, im Rahmen von Europol. Ich möchte deutlich machen, 23444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) dass dies zwar nur ein Baustein, aber ein unverzichtbarer ( [CDU/CSU]: Falsche (C) Baustein ist, der bei uns in den letzten Jahren fehlte, Frage!) während andere diese Schritte schon gegangen sind. International muss in der Tat oberstes Ziel bleiben, Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für den Ländern, die die Kinderpornografie in gar keiner Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Form ächten, deutlich zu machen, dass dies nicht tole- Es geht ausschließlich um Kinderpornografie im In- rierbar ist. Es gibt Länder, in denen nur teilweise, mit ternet. viel weniger Nachdruck und ohne gesetzliche Vorgaben gegen Kinderpornografie vorgegangen wird. In diesem Das Bundeskriminalamt hat auf seiner Pressekonfe- Zusammenhang ist vor allem die Arbeit in Gremien wie renz in der vergangenen Woche deutlich gemacht, dass der Weltkonferenz in Rio, die im Dezember vergangenen es die Zahl der Stellen für Mitarbeiter, die sich mit die- Jahres stattgefunden hat, ein wichtiger Schritt. Auf nati- sem Thema und mit dem Bereich der neuen Medien ins- onaler Ebene haben wir bereits eine Nachfolgekonferenz gesamt befassen, um sechs bis zehn erhöhen wird. durchgeführt. In wenigen Wochen wird in Deutschland Zu Ihrer Frage, welche Seiten gesperrt werden. Ge- auch eine internationale Nachfolgekonferenz stattfinden. sperrt werden ausschließlich Websites, die kinderporno- Internationale Verhandlungen, die auch von Deutschland grafische Inhalte haben. Was unter diesen Straftatbe- betrieben werden, sind ein permanenter Prozess. stand fällt, ist in § 184 b StGB detailliert beschrieben.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu Ihrer Frage nach einer Sperrung von IP-Adressen. Vielen Dank. – Die nächste Frage geht an den Kolle- Wie ich anfangs erläutert habe, beruhen die Verträge auf gen Jörn Wunderlich. einer DNS-Sperre. Das ist, wie mit Inkrafttreten des Ge- setzes noch einmal bekräftigt werden würde, der Min- deststandard. Das Gesetz selber ist technikoffen formu- Jörn Wunderlich (DIE LINKE): liert. Das heißt, anderweitige Sperrungstechniken sind Frau Ministerin, Sie verweisen ständig auf andere eu- nicht ausgeschlossen. ropäische Länder, insbesondere auf die skandinavischen. Wie wir wissen, gibt es die Sperrlisten aus Dänemark, Finnland, Schweden und der Schweiz. Die Echtheit die- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ser Listen ist noch nie in irgendeiner Form angezweifelt Die nächste Frage stellt die Kollegin Michaela Noll. worden, höchstens einmal ihre Aktualität. In diesen Lis- ten befinden sich zum überwiegenden Teil Seiten, die Michaela Noll (CDU/CSU): auf Servern liegen, die in Ländern betrieben werden, in (B) Sehr geehrte Frau Ministerin, erst einmal möchte ich (D) denen Kinderpornografie strafbar ist, unter anderem in mich ganz herzlich bedanken. Endlich ist ein Gesetzent- Deutschland. wurf auf den Weg gebracht, mit dem die Kinderporno- Ich frage Sie: Was unternimmt die Bundesregierung, grafie wirklich bekämpft wird. Wenn man an ECPAT damit diese Seiten nicht nur gesperrt, sondern auch ge- Deutschland und an die Kindernothilfe denkt – die gestrige löscht und die dahinterstehenden Betreiber verfolgt wer- Pressenotiz zeigte, dass sie diese Maßnahme begrüßen –, den? Inwieweit braucht das BKA an dieser Stelle mehr sieht man, dass Sie nicht alleine dastehen. Unterstützung? Der Bund Deutscher Kriminalbeamter Ich habe folgende Fragen: Gilt das Gesetz, das Sie hat bereits darauf hingewiesen, dass eine bessere techni- verabschieden wollen, für alle kommerziellen Anbieter, sche, personelle und materielle Unterstützung gebraucht oder gibt es eine Mindestanzahl von Kunden? Werden wird, um eine effektive Verfolgung der Täter gewährleis- Übergangsfristen eingeräumt? Wann kann man damit ten zu können. Warum ist in dieser Hinsicht bislang rechnen, dass die Seiten tatsächlich gesperrt werden? nichts unternommen worden, um tatsächlich gegen Kin- Wir haben eben gehört, dass die Sperrlisten täglich neu derpornografie vorzugehen? Was bezweckt die Bundes- erstellt werden sollen. Wird das tatsächlich zur Folge ha- regierung mit dem Gesetzentwurf? ben, dass sie täglich an die Anbieter weitergeleitet wer- Wie ich jetzt erfahren habe, soll es auch möglich sein, den? Seiten sperren zu lassen, deren Zweck darin besteht, auf kinderpornografische Seiten zu verweisen. Nicht nur die Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für DNS-Sperre, sondern auch eine Sperrung von IP-Adres- Familie, Senioren, Frauen und Jugend: sen, die weitergehend ist, soll möglich sein. Zunächst einmal zu Ihrer Frage, wer von dem Gesetz Heute stand im Rheinischen Merkur, dass der Vor- erfasst wird. Durch die Verträge, die letzte Woche ge- standsvorsitzende des Bundesverbands Musikindustrie, schlossen worden sind, werden die fünf größten kom- Dieter Gorny, Ihnen zur Seite springt und sagt: Jawohl, merziellen Anbieter erfasst; sie decken 75 Prozent des das ist ein richtiges Signal: Es geht um eine staatliche Marktes ab. Zwei weitere Anbieter haben ihre Bereit- Kontrolle des Internets, und dazu gehört auch der Schutz schaft bekundet, diese Verträge ohne Gesetzesvorbehalt des geistigen Eigentums. – Ich frage Sie: Ist das nicht ein zu zeichnen; damit wären 94 Prozent des Marktes abge- Einfallstor für eine Internetzensur? Inwieweit unter- deckt. Ein großer Anbieter hat sich zu diesem Thema scheidet sich diese Internetzensur, was die geschilderten bisher nicht geäußert, würde aber durch das Gesetz ge- Maßnahmen und technischen Möglichkeiten angeht, zwungen werden, die Seiten zu sperren; damit wären noch von der chinesischen Internetzensur? über 97 Prozent des Marktes abgedeckt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23445

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Es bleibt die Frage nach dem Rest. Es ist so, dass zum mand „fasst“ also diese Listen an. Die Provider werden (C) Beispiel Behörden und Universitäten eigene Netze ha- dann maximal sechs Stunden Zeit haben, um die Sper- ben. Sie sind also autonom und nutzen nicht die Dienste rung vorzunehmen. eines Anbieters, um Zugang zum Internet zu bekommen. Ich möchte aber sehr deutlich sagen: Gerade die Behör- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den haben klare interne Regelungen, was innerhalb ihrer Netze abgerufen werden kann und was nicht abgerufen Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege werden darf. Sie kontrollieren dies durch Stichproben. Christoph Waitz. Wer innerhalb dieser – wenn ich es einmal so ausdrücken darf – Intranets die Regeln verletzt, muss mit empfindli- Christoph Waitz (FDP): chen Strafen rechnen. Sehr geehrte Frau Bundesministerin, wenn ich mich Es bleibt – dies betrifft nur einen Promillebereich des richtig entsinne, haben Sie Ihre Gesetzgebungsinitiative Marktes – eine Gruppe ganz kleiner Anbieter, nämlich und Ihr Engagement gegen die Kinderpornografie immer der Anbieter mit weniger als 10 000 Kunden. Diese An- damit begründet, dass das besondere Ziel darin bestehen bieter würden von dem Gesetz nicht erfasst werden. Wir müsse, die Zufallsnutzer, die durch E-Mails und Spams sehen dies auch als einen Wermutstropfen an. Dies war angeregt werden, daran zu hindern, diese Seiten zu be- aber Ergebnis eines Abwägungsprozesses zwischen Auf- suchen, und dass Sie mit Ihren Maßnahmen diesem be- wand und Nutzen. Weil diese sehr vertraulichen Listen sonderen Gewerbe die wirtschaftliche Basis entziehen in einem engen Rahmen kommuniziert werden müssen, wollten. Dieses Argument ist in der Community der ging es auch um die Frage, wie weit man diesen Rahmen Computerinteressierten kritisiert worden. Könnten Sie stecken kann. Dieses Thema werden wir aber sehr genau bitte – dies ist meine erste Frage – noch einmal ausfüh- im Auge behalten; es ist einer der entscheidenden Ge- ren, wo das besondere wirtschaftliche Interesse liegt und genstände der Evaluation. Dann wird man erkennen, ob wie Sie es mit den jetzt beabsichtigten Maßnahmen man hier noch weiter in die Tiefe gehen muss oder nicht. schaffen wollen, dieser Industrie die wirtschaftliche Ba- Aber ich sage deutlich, dass wir hier von einem Promil- sis zu entziehen? lebereich sprechen. Meine zweite Frage bezieht sich darauf, dass nach Zu Ihrer zweiten Frage, warum das Gesetz keine dem von Ihnen jetzt vorgelegten Gesetzentwurf die Ver- Übergangsfristen hat: Das ist einer der entscheidenden pflichtung der Internetprovider besteht, die Nutzerdaten Faktoren bei den Vertragsverhandlungen gewesen. Ohne zu speichern und zu Zwecken der Strafverfolgung wei- die harten Auseinandersetzungen bei den Vertragsver- terzuleiten. Soweit ich es gesehen habe, ist der Versuch (B) handlungen und ohne die detaillierten Diskussionen über nach §§ 184 b und c StGB gegenwärtig noch nicht straf- (D) das Wenn und Aber, über die zu klärenden Rechte und bar. Sehen Sie hier ein Problem der Verhältnismäßigkeit, Pflichten sowie darüber, was man sich alles denken dass diese Daten in einem Vorfeld der Strafbarkeit schon könnte, wären wir heute nicht so weit, dass wir dieses in dieser Form gespeichert werden? Gesetz, das sehr viel von dem repliziert, was in den Ver- trägen schon enthalten ist, so formulieren könnten, wie Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für es geschehen ist, und eine so deutliche Ansage machen Familie, Senioren, Frauen und Jugend: könnten, dass es in dem Moment, in dem das Gesetz in Kraft treten wird, keine Übergangsfristen mehr geben Ich bitte Sie, mir auch hier zu erlauben, zunächst die wird. zweite Frage zu beantworten. Es gibt keine Verpflich- tung für die Internetzugangsanbieter, die Daten zu spei- Durch das Abschließen der Verträge sind die Grund- chern. Ich möchte es noch einmal ganz klar formulieren: bedingungen für alle Internetzugangsanbieter klar. Sie Der Versuch ist in der Tat nicht strafbar. In den Verträgen wissen seit letzter Woche, was auf sie zukommt, und – jetzt spreche ich von den Verträgen – ist geregelt, dass auch diejenigen, die bis zu dem Zeitpunkt, an dem das die Zahl der anonymisierten Klicks registriert wird. Das Gesetz greift, noch nicht so weit sind, wissen, dass es Gesetz lässt offen – deshalb ist ein Gesetz nötig –, ob zu dann für sie ebenfalls gelten wird. Wir haben, beginnend Zwecken der Täterverfolgung der Aufruf der Seiten spä- ab dem 17. April, eine Frist von maximal sechs Monaten ter ausgewertet werden kann, und zwar dann, wenn sich eingeräumt, in der man die Techniken des Sperrens ent- jemand wiederholt auf einschlägigen Seiten bewegt oder wickeln und umsetzen kann. Die Unternehmen sagten versucht, auf solche Seiten Zugriff zu nehmen. uns, dass sie maximal diese Zeit brauchten. Das liegt aber nicht im Interesse des Bundesfamilien- Diese Listen werden täglich vom BKA aktualisiert. ministeriums. Unser Interesse gilt der Prävention. Des- Im Schnitt sind rund 1 000 Seiten aktiv. Man muss wis- halb ist das in den Verträgen auch ganz klar geregelt. Ich sen, dass diese Seiten sehr kurzlebig sind und nach Ta- sage aber deutlich: Wenn alle gezwungen werden, eine gen oder wenigen Wochen bereits zu anderen Servern Stoppseite einzurichten, dann muss eine klare gesetzli- wechseln; sie sind also sehr fluide. Die Aktualisierung che Grundlage dafür vorliegen, und es muss vor Erlass der Listen bedeutet auch, dass wir mit den europäischen dieses Gesetzes auch diskutiert werden, was mit der Da- Ländern, die dies bereits jeden Tag machen, einen tägli- tenspur, die automatisch entsteht – genauso automatisch chen Wissenstransfer haben können. Diese Listen wer- wird sie bei einer DNS-Sperre gelöscht, wenn nicht wei- den dann täglich in verschlüsselter Form an die Provider ter gehandelt wird –, potenziell eigentlich passieren übermittelt. Dies geht auf elektronischem Wege; nie- kann. 23446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Zur zweiten Frage, bei der es um das Massengeschäft auf die Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet (C) ging. Die Experten sagen – das ist nicht nur eine Exper- ausgewirkt hat? tise aus Deutschland, sondern die internationale Erfah- rung –, dass grob gepeilt etwa 80 Prozent der – in An- Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für führungsstrichen – Kunden, die kinderpornografisches Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Material nachfragen, über Spammails und Teasing-Pro- dukte in diese Szene einsteigen. Sie werden systematisch Im europäischen Raum sind es neun Länder, die diese immer tiefer in diese Szene hineingelockt, auch mit dem Sperrtechniken miteinander teilen, und 13 Länder, die Ziel, dass die Hemmschwelle sinkt. Je mehr man davon sich an dem Ring CIRCAMP für den Informationsaus- konsumiert, desto mehr entsteht der Eindruck, dass das tausch untereinander über Täterprofile, Bilddatenbanken selbstverständlich ist, weil man das im Internet ja jeder- und täglich zu aktualisierende Websites mit pornografi- zeit bzw. jeden Tag konsumieren kann. Deshalb sinkt schem Inhalt beteiligen. Wie gesagt: Es gibt eine breite auch die Hemmschwelle. Palette von Ländern von Italien über die Schweiz bis hin zu den skandinavischen Ländern, deren Grundhaltungen Genau das ist der Punkt: Diesen Einstieg – es geht sehr unterschiedlich sind. also um den Anfang – wollen wir präventiv verhindern Interessant ist erstens, dass es als Selbstverständlich- bzw. sehr schwer machen. Natürlich wissen wir, dass es keit einer gesellschaftlichen Haltung inzwischen voll- Schwerpädokriminelle und versierte Pädokriminelle gibt ständig akzeptiert ist, diesen Weg zu gehen. Zweitens – rund 20 Prozent –, die sich in völlig anderen geschlos- finde ich es interessant, dass die Zahl der Beschwerden senen Foren bewegen. Dort ist allerdings auch die Poli- in den letzten vier Jahren darüber, dass die falsche Web- zei tätig. Das bekommen wir immer wieder mit, wenn site gesperrt ist, im einstelligen Bereich liegt und damit bestimmte Händlerringe gesprengt und diese Vorgänge sehr überschaubar ist. dann auch veröffentlicht werden. Wir haben auch nicht gehört, dass das Internet in der Mit diesem Baustein, den ich nenne – das ist zwar nur Schweiz, in Schweden, in Großbritannien oder in Ka- ein Baustein, aber ein unverzichtbarer –, stehen wir hin- nada aus diesen Gründen zusammengebrochen wäre. sichtlich der Prävention am Anfang. Es ist ein Baustein, Wichtiger sind meines Erachtens die ganz klare Haltung durch den auch deutlich gemacht wird, dass das kein Ka- der Gesellschaft dahin gehend, dass dies nicht toleriert valiersdelikt und nichts Selbstverständliches ist, sondern wird, und das Wissen darüber, was dort abläuft. Es ist dass man sich hier aus gutem Grund auf dem Strafrecht uns ganz wichtig, an diesen Prozessen teilzunehmen. unterliegendes Gebiet begibt. Sie haben nach dem Massengeschäft gefragt. Leider (B) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (D) ist es so, dass mit diesen Angeboten Millionenbeträge Vielen Dank, Frau Ministerin. verdient werden. Dies geschieht durch das Locken der Masse auf bestimmte Websites, auf denen sie für 50 bis Gibt es Fragen zu anderen Themenbereichen der heu- 90 Euro pro Monat – ich sage es sehr vorsichtig und in tigen Kabinettssitzung? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Anführungsstrichen – Material bekommen kann. Das ist Fragen an die Bundesregierung, die nicht mit der Kabi- also eine Nutzungsgebühr. Dieses Massengeschäft hat nettssitzung zusammenhängen? – Das ist auch nicht der einen Umfang von Millionen. Fall. Dann beende ich die Regierungsbefragung. Wie immer bei organisierter Kriminalität muss das Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Prinzip unter anderem sein – nicht als Einziges, aber un- ter anderem –, den Geldfluss bzw. das Lukrative an die- Fragestunde sem Geschäft und den Machtanspruch über die Masse – Drucksachen 16/12641, 16/12659 – empfindlich zu stören. Genau das ist der Ansatz hier. Zu Beginn der Fragestunde rufe ich wie immer gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringli- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: chen Fragen auf. Vielen Dank. – Ich kann noch eine Frage zulassen. – Martina Krogmann hat das Fragerecht. Ich habe eine dringliche Frage der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann: Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Was will die Bundesregierung tun, um rasch im Sinne der gebotenen Vorsorge die – wie am Wochenende bekannt wurde – Frau Ministerin, Sie erwähnten eingangs, dass wir in ab Herbst gefährdete Zahlungsfähigkeit der Bundesagentur Deutschland mit diesem Gesetzentwurf Neuland betre- für Arbeit abzuwenden, und welche Maßnahmen plant die ten und dass das Gesetz ein Jahr nach Inkrafttreten eva- Bundesregierung in diesem Zusammenhang, um angesichts luiert werden soll. der anhaltenden Wirtschaftskrise und den damit steigenden Aufgaben der Bundesagentur bei Kurzarbeit, Arbeitslosen- Nun gibt es ja bereits andere Staaten, die in diesem geld I, bei Weiterbildung und öffentlicher Beschäftigung die finanzielle Basis der Bundesbehörde nachhaltig zu stärken? Bereich ähnlich vorgehen – auch mit Sperrlisten. Kön- nen Sie sagen, wie viele Länder dies sind, und können Diese betrifft den Geschäftsbereich des Bundesminis- Sie vor allem sagen – das ist der spannendere zweite Teil teriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht meiner Frage –, welche Erfahrungen man in diesen Län- der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Brandner zur dern mit den Listen gemacht hat und ob sich dies positiv Verfügung. Bitte, Herr Staatssekretär. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23447

(A) Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ganze Reihe von Wirtschaftsexperten davon ausgeht, (C) minister für Arbeit und Soziales: dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um mindes- Herr Präsident! Frau Dr. Enkelmann, nach dem vom tens 5 Prozent sinken wird. Welche Schlussfolgerungen Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit im Februar zieht die Bundesregierung daraus? Plant die Bundesre- beschlossenen Nachtragshaushalt für das Jahr 2009 rech- gierung einen Rettungsschirm für die Arbeitslosenversi- net die Bundesagentur in diesem Jahr mit einem voraus- cherung? sichtlichen Defizit in Höhe von 10,9 Milliarden Euro. Am Jahresende 2009 würde damit die Rücklage, die zu Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Jahresbeginn rund 16,7 Milliarden Euro betrug, noch minister für Arbeit und Soziales: rund 5,8 Milliarden Euro betragen. Das Defizit des Jah- Die Bundesregierung hat überhaupt keine Veranlas- res 2009 kann somit durch die Entnahme aus der Rück- sung, einen Rettungsschirm für die Arbeitslosenversi- lage vollständig ausgeglichen werden. Da jedoch die cherung zu planen. Wie Sie meinen ersten Bemerkungen Bundesbeteiligung an der Arbeitsförderung in Höhe von entnommen haben, ist die Liquidität der Bundesagentur rund 7,8 Milliarden Euro erst Ende Dezember 2009 an für das Jahr 2009 gesichert. Wenn Sie die Zahlungs- die BA überwiesen wird, entsteht für den Zeitraum Ende ströme betrachten, dann wissen Sie, dass wir davon aus- Oktober bis Ende Dezember voraussichtlich ein Liquidi- gehen, dass am Jahresende 2009 noch eine deutliche Re- tätsengpass, der durch ein zinsloses Bundesdarlehen aus- serve vorhanden sein wird. geglichen wird. Laut Finanzplanung für 2010 wird zuerst diese Re- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: serve aufgebraucht werden. Die Bundesregierung hat Ihre Nachfragen, bitte. aber beschlossen, der Bundesagentur für Arbeit im Rah- men der Haushaltsgesetzgebung ein entsprechendes zinsloses Darlehen zu gewähren. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Offenkundig gehen wir beide davon aus, dass die Aus- Unter diesen gesamten Gesichtspunkten besteht keine gaben der Bundesagentur in diesem Jahr deutlich steigen. Veranlassung, an der finanziellen Sicherheit der Bun- Die Online-Ausgabe der Bild-Zeitung vermeldet zum desagentur für Arbeit für 2010 zu zweifeln. Beispiel heute, dass unter anderem die Ausgaben für In- solvenzgeld dramatisch gestiegen seien. Bereits im ers- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ten Quartal sind 82 Millionen Euro mehr ausgegeben Jetzt hat noch der Kollege Volker Schneider das Wort. worden als geplant. Man geht davon aus, dass der für In- solvenzgeld vorgesehene Topf bereits im August dieses Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): (B) Jahres ausgeschöpft sein wird. Vermehrte Kurzarbeit und (D) Herr Staatssekretär, nach der letzten Antwort ringe steigende Arbeitslosigkeit führen zum Beispiel dazu, ich etwas um Fassung ob Ihres grenzenlosen Optimis- dass die Einnahmen sinken usw. Welche Konsequenzen mus, den Sie auch schon zu dem Zeitpunkt hatten, als ergeben sich daraus aus Sicht der Bundesregierung für wir dringend davor gewarnt hatten, die Beitragssätze ab- Leistungen der Bundesagentur an die Arbeitslosen? Um zusenken. es deutlich auf den Punkt zu bringen: Befürchtet auch die Bundesregierung Kürzungen von Maßnahmen der Bun- Aber ich komme zu meiner Frage. Sie hatten eben an- desagentur? Das wäre meine erste Frage. gesprochen, dass die Mittel im Dezember ausgezahlt werden. Dass ist der Fall, weil Sie die Auszahlung dieser Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Mittel, die aus dem Mehrwertsteuertopf stammen und minister für Arbeit und Soziales: vorher monatlich gezahlt wurden, in den Dezember ver- Die Bundesregierung befürchtet keine Kürzungen legt haben. Auch das ist für mich angesichts der abseh- von Maßnahmen durch die Bundesagentur. Alle in Form baren finanziellen Entwicklung bei der Bundesagentur eines Rechtsanspruchs zugesagten und gesetzlich festge- für Arbeit schwer nachzuvollziehen. Wird denn daran legten Maßnahmen werden pünktlich und ordentlich er- gedacht, diese Entscheidung möglicherweise zugunsten bracht werden. Insgesamt gibt es keinen Grund, auf- der Bundesagentur wieder rückgängig zu machen? grund der Finanzlage an Leistungskürzungen zu denken. Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: minister für Arbeit und Soziales: Eine zweite Nachfrage? Herr Kollege Schneider, Sie haben keinen Grund, die Solidität der Finanzpolitik der Bundesregierung hin- sichtlich der Bundesagentur in Zweifel zu ziehen. Ich Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): habe erklärt, dass alle Leistungen pünktlich erfüllt wer- Das gilt hoffentlich auch für die Zeit nach der Bun- den. Entsprechende Rücklagen sind vorhanden. Daraus destagswahl. – Sie haben vorhin auf den Vermerk für können Sie schließen, dass auch das notwendige Finanz- den Nachtragshaushalt der Bundesagentur vom Februar volumen vorhanden ist. dieses Jahres verwiesen. In diesem Vermerk geht die Bundesagentur davon aus, dass die Wirtschaftsleistung Das, was für 2010 eingeplant ist, ist durch entspre- um 2,25 Prozent sinkt. Nach meiner Kenntnis will auch chende zusätzliche Leistungen der Bundesregierung aus die Bundesregierung ihre Wirtschaftsprognosen inzwi- dem Bundeshaushalt gesichert. Insofern verbietet sich schen deutlich nach unten korrigieren, weil auch eine jede Verunsicherung in diesem Bereich. 23448 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Parl. Staatssekretär Klaus Brandner (A) Außerdem weise ich darauf hin, dass die Ausgaben Trifft es zu, dass die Bundesregierung, wie der Bundesmi- (C) für die ersten drei Monate dieses Jahres geringer ausge- nister für Arbeit und Soziales, , in der Sitzung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union fallen sind, als die Bundesagentur für Arbeit es selbst des Deutschen Bundestages am 25. März 2009 berichtete, vorgesehen hat. zum derzeit verhandelten Vorschlag der Europäischen Kom- mission für eine Rahmenrichtlinie zum Schutz vor Diskrimi- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Beim nierung außerhalb des Berufslebens bisher keine Position hat, Insolvenzgeld nicht!) und inwiefern ist es zutreffend, dass die Bundesregierung in den entsprechenden Sitzungen des EU-Ministerrats und der – Frau Enkelmann, das Insolvenzgeld ist eine Leistung, Ratsarbeitsgruppen dennoch die Position vertritt, dass die die nicht durch Beiträge, sondern durch eine Umlage fi- Rechtsgrundlage für diesen Richtlinienvorschlag fehle, und nanziert wird, und steht bezüglich der Leistungsgewäh- aus diesem Grund den Richtlinienvorschlag ablehnt? rung nicht in Zweifel. Insofern ist eine solche Vermen- Bitte schön, Herr Kues. gung in der Sache nicht angebracht. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Alles Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Zahlungen der BA!) Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. – Die Bundesregierung hat ihre Vor- Jetzt folgt noch eine Frage des Kollegen Werner schläge in die Verhandlungen über den Entwurf einer Dreibus. Richtlinie zur Anwendung des Grundsatzes der Gleich- berechtigung eingebracht und deutlich gemacht, welche Positionen und Fragen geklärt werden müssen. Diese Werner Dreibus (DIE LINKE): wurden innerhalb der Bundesregierung vor jeder Sitzung Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich vermute oder der zuständigen Ratsarbeitsgruppe „Sozialfragen“ sowie unterstelle – übrigens nicht zur Verunsicherung, sondern vor den Tagungen des Ministerrates abgestimmt. Es hat zugunsten der Sicherheit der Bürger –, dass das Bundes- auch ausführliche Berichte über den Stand der Beratun- ministerium über ein einfaches statistisches Mittel wie gen und die Positionen der Ressorts sowie umfassende die Modellrechnung verfügt. Unterstellen wir einmal, Bewertungen gegeben. dass nicht die Annahme der Bundesagentur für Arbeit den tatsächlichen Verlauf der Arbeitslosigkeit und die weiteren Folgen der Krise auf dem Arbeitsmarkt wider- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: spiegelt, sondern dass wir beispielsweise von 5 Millio- Bitte schön, eine Nachfrage. nen Arbeitslosen, einer deutlich gestiegenen Zahl von (B) Kurzarbeitern und weiteren zusätzlichen Ausgaben auch Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (D) der aktiven Arbeitsmarktpolitik auszugehen haben. Kön- Herr Präsident! Herr Staatssekretär, in der Europa- nen Sie uns sagen, wie unter solchen Annahmen bei ei- ausschusssitzung zu diesem Thema am 25. März hat nem Rückgang des Bruttosozialprodukts um 5 Prozent Bundesminister Scholz deutlich gemacht, dass es keine die Haushaltslage der Bundesagentur am Ende dieses Position der Bundesregierung zu diesem Richtlinienent- Jahres aussehen wird und welche Rückwirkungen das wurf gebe. Gleichzeitig haben wir durch Unterrichtung, auf den Bundeshaushalt hat? wie Sie es eben dargelegt haben, erfahren, dass die Bun- desregierung zwar die inhaltlichen Positionen vertritt, Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- aber die Richtlinie an sich ablehnt, weil aus Sicht der minister für Arbeit und Soziales: Bundesregierung keine Rechtsgrundlage existiert, um Die Bundesregierung geht, wie Sie wissen, nicht von die Richtlinie durchzusetzen. Ich frage mich nun, was einem Anstieg der Zahl der Arbeitslosen auf 5 Millionen stimmt: Hat Bundesminister Scholz mit seiner Aussage, aus, Herr Abgeordneter. Grundsätzlich gibt es zwar Mo- es gebe keine Position der Bundesregierung, unrecht, dellrechnungen, die aber keinen Anstieg der Arbeitslo- oder vertritt die Bundesregierung Positionen im Euro- senzahl in dieser Größenordnung beinhalten. päischen Rat, die nicht zwischen allen Ressorts der Bun- desregierung abgestimmt sind? (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf!) Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wie ich eben sagte, sind die Fragen, die wir geklärt Vielen Dank. Damit ist die dringliche Frage beant- haben möchten, zwischen allen Ressorts abgestimmt. wortet. Bundesminister Scholz hat sich im EU-Ausschuss allge- mein zum Antidiskriminierungsrecht in der EU und ins- Wir setzen die Fragestunde in der üblichen Reihen- besondere in Deutschland geäußert. Das stellt meine folge fort und beginnen mit dem Geschäftsbereich des Aussage nicht infrage, dass Deutschland hier bislang Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und stets abgestimmte Stellungnahmen vorgetragen hat. Wir Jugend. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parla- haben keine abschließende Erklärung vorgegeben. Es mentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfü- stellt sich im Zusammenhang mit diesem neuen Richt- gung. linienentwurf aber die Frage, ob dies zum von der Bun- Wir beginnen mit der Frage 1 des Kollegen Manuel desregierung für richtig gehaltenen Subsidiaritätsprinzip Sarrazin: – was die Nationalstaaten alleine lösen können, sollen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23449

Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues (A) sie auch alleine lösen – passt. Wir haben die entspre- Gesetzesblatt des Landes Niedersachsen nachlesen kön- (C) chenden Fragen formuliert. Wir stimmen uns auch mit nen. Dort ist dargelegt, dass eine Voraussetzung zur An- anderen Ländern ab. Ende April wird es die erste Ar- erkennung als Kurort ist, dass eine entsprechende Luft- beitsgruppensitzung unter tschechischer Präsidentschaft qualität vorgehalten wird, dass zur Überprüfung dieser dazu geben. Dann wird weiter zu entscheiden sein. Luftqualität gegebenenfalls Gutachten angefordert wer- den können und dass dann, wenn die Kriterien nicht ein- Die Aussage von Bundesminister Scholz stellt also gehalten werden, es zu einer Aberkennung des Prädikats keinen Gegensatz zum Fragenkatalog, den Sie kennen, Kurort kommen kann. und unseren Positionen dar. Wir wollen beispielsweise geklärt haben, ob diese Richtlinie mit anderen Regelun- In die Verfahren ist die Bundesregierung nicht einge- gen vereinbar ist, wie sich die bisherigen Richtlinien, die bunden. Sie kann deswegen keine Aussagen zum Einzel- wir gerade umsetzen, ausgewirkt haben und welche fall treffen. Das ist eine rein landesrechtliche Bestim- rechtlichen Fragen sich ergeben haben. Es gibt nun ei- mung. Wenn man überlegt, dass dort Kuren und nige Bemühungen seitens der EU, hier nachzufragen. Rehabilitationen vorgenommen werden sollen, dann ist Das alles passt absolut zur Aussage von Minister Scholz. klar, dass eine der Voraussetzungen dafür ist, dass die entsprechenden Einrichtungen vor Ort vorgehalten wer- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den und auch die Umgebungsparameter stimmen. Die Eine weitere Nachfrage, bitte. Art und den Umfang aber legt das jeweilige Bundesland fest. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verstehe ich es richtig, dass die Bundesregierung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nicht die Position vertritt, dass die Kommission keine Nachfrage? – Bitte, Frau Connemann. Regelungsgrundlage im EU-Vertrag findet, um diesen Richtlinienentwurf vorzulegen, sondern dass die Bun- desregierung lediglich darum gebeten hat, zu prüfen, ob Gitta Connemann (CDU/CSU): eine Rechtsgrundlage vorliegt? Ich denke, dass man eine Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich habe vernom- Rechtsgrundlage auch herleiten kann. men, dass sich die Anerkennung nach Landesrecht rich- tet. Ich werde mich entsprechend informieren. Sie haben Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär bei der aber auch darauf hingewiesen, dass die Umgebungspara- Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- meter eine entscheidende Rolle spielen. Ich hatte bereits gend: in der Fragestunde am 25. März 2009 an das Bundes- (B) Man kann sagen, dass die Bundesregierung eine äu- ministerium für Umwelt die Frage gerichtet, ob eine all- (D) ßerst skeptische Haltung gegenüber dem gesamten Ent- gemeine Gefährdung durch die Vermischung natürlicher wurf der Richtlinie einnimmt; das ist die einvernehm- Meeresaerosolen mit Feinstäuben untersucht worden ist. liche Auffassung. Es stellt sich unter anderem die Frage, Das Bundesumweltministerium antwortete mit dem Hin- ob dafür eine Rechtsgrundlage im EU-Vertrag vorhan- weis, dass Untersuchungen nicht bekannt sind. Sind dem den ist; das muss geprüft werden. Wir befinden uns noch Bundesgesundheitsministerium Untersuchungen bekannt, in der Diskussion. oder sind solche an anderer Stelle durchgeführt worden?

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Wir kommen zum Bundesministerin für Gesundheit: Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesund- Wenn das ein landesrechtlicher Vorgang ist und das heit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Land entscheidet, welche Kriterien für einen Kur- und Staatssekretärin Marion Caspers-Merk zur Verfügung. Erholungsort festgelegt werden, und wenn die Anerken- Wir kommen zur Frage 2 der Kollegin Gitta nung bzw. Aberkennung auf Landesrecht fußt, dann ist Connemann: klar, dass wir als Bundesregierung keine Erkenntnisse haben, welche Art von Gutachten verlangt werden, ob Kann durch den Bau von Kohlekraftwerken, wie diese jetzt in Eemshaven, Niederlande, in unmittelbarer Nachbar- überhaupt welche eingeholt wurden und ob welche vor- schaft zur Insel Borkum entstehen, die Prädikatisierung zulegen waren. Das können wir nicht wissen, und wir „Nordseeheilbad“ Borkum gefährdet sein? haben praktisch auch keine Zugriffsmöglichkeit auf der- Bitte schön, Frau Staatssekretärin. artige Informationen. Generell ist darauf hinzuweisen, dass es nicht entscheidend ist, ob ein Kraftwerk dort ge- baut wird, sondern dass die Art der Emissionen und die Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der generelle Belastung der Struktur und der Region eine Bundesministerin für Gesundheit: Rolle spielt. Die Bundesregierung kann nicht beurteilen, Frau Kollegin Connemann, Sie fragen danach, ob die ob der Bau, den Sie anführen, diese Qualitätskriterien er- Bundesregierung hierzu Erkenntnisse hat. Es ist zuerst füllt oder nicht erfüllt. darzulegen, dass sich die Anerkennung von Orten als Kurort nach den jeweils landesrechtlichen Bestimmun- gen richtet. Im Fall des Nordseeheilbads Borkum ist dies Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: die Verordnung über die staatliche Anerkennung von Eine zweite Nachfrage, Frau Connemann? – Bitte Kur- und Erholungsorten vom 22. April 2005, die Sie im schön. 23450 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

(A) Gitta Connemann (CDU/CSU): die Verbraucher weiterzugeben, was in unser aller Inte- (C) Vielen Dank, Herr Präsident. – Gestatten Sie mir dann resse ist. eine konkrete Nachfrage. Es geht bei der Frage nach ei- Wir haben die rechtlichen Rahmenbedingungen dahin ner Gefährdung durch das Zusammentreffen von natürli- gehend geändert, dass auf dem Gasmarkt mehr Wettbe- chen Aerosolen von Salzpartikeln mit Feinstäuben nicht werb herrscht. Gott sei Dank gibt es schon heute Regio- allein um diesen speziellen Fall. Vielmehr stellt sich nen mit mehreren Anbietern, zum Beispiel Berlin mit 18, diese Frage auch außerhalb von Borkum und außerhalb Köln mit 5 und München mit 10. Wir appellieren immer des Landes Niedersachsen. Denn es betrifft die allge- wieder an die Verbraucher, die Möglichkeit zu nutzen, meine Volksgesundheit. Deshalb noch einmal meine den Anbieter zu wechseln. Das wird in unseren Augen Frage: Ist dieses Phänomen in Gänze an irgendeiner noch nicht so in Anspruch genommen, wie es sein sollte. Stelle in Deutschland untersucht worden, und, wenn Vielleicht müsste in diesem Bereich ein bisschen mehr nicht, gibt es Planungen seitens des Bundes dazu? Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden.

Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der Unser Ziel, für mehr Wettbewerb auf dem Gasmarkt Bundesministerin für Gesundheit: durch mehr Anbieter zu sorgen, versuchen wir zurzeit auch dadurch zu erreichen, dass wir die Gasnetzzu- Für das Bundesgesundheitsministerium kann ich ant- gangsverordnung ändern. worten, dass beim Bundesgesundheitsministerium hie- rüber keine Informationen und Gutachten vorliegen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Frage 3 der Kollegin Cornelia Hirsch – Ge- Nach der Veröffentlichung unserer Gasstudie hat Mi- schäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und nister Guttenberg in einem Spiegel-Interview Folgendes Forschung – soll schriftlich beantwortet werden. Sie hat gesagt: ja im Moment eine andere wichtige Aufgabe. Mein Haus überarbeitet derzeit die Gasnetzzu- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis- gangsverordnung, um durch verbesserte Bedingun- teriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwor- gen noch mehr Anbietern Zugang zum Markt zu tung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Dagmar verschaffen. Wöhrl zur Verfügung. (B) Das ist eine gute Sache. Der entscheidende Punkt, um (D) Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Bärbel Höhn auf: mehr Wettbewerb in den Markt zu bringen, ist, dass man Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregie- die Anzahl der Marktgebiete verringert. Momentan wer- rung, um die Forderung vom Bundesminister für Wirtschaft den die Kosten für den Transport von Gas, zum Beispiel und Technologie, Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, von Norden nach Süden, dadurch erhöht, dass das Gas an die Gasversorger, die durch die Ölpreisentwicklung gesun- womöglich durch verschiedene Gebiete transportiert kenen Gasbezugspreise in vollem Umfang und schnell an die Verbraucher weiterzugeben, durchzusetzen, und warum wur- werden muss. Wer diese Kosten zu tragen hat, ist nicht den entsprechende Maßnahmen nicht schon vor Bekanntwer- konkurrenzfähig. Ich wiederhole: Der entscheidende den der letzte Woche veröffentlichten Gaspreisstudie ergrif- Punkt ist, dass man die Anzahl der Marktgebiete verrin- fen? gert. Bitte schön, Frau Staatssekretärin. Sie ist schon in den letzten zwei Jahren von 19 auf 12 reduziert worden; es gibt High Gas und Low Gas. Unter Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Wettbewerbsgesichtspunkten wäre es optimal, wenn wir minister für Wirtschaft und Technologie: zwei Gebiete hätten: eines für High Gas und eines für Vielen herzlichen Dank. – Ich beantworte die Frage Low Gas. Dadurch würden wir mehr Wettbewerb in den wie folgt: Die Bundesregierung strebt keine flächen- Markt bringen. Plant das Bundeswirtschaftsministerium deckende Preisregulierung an, sondern setzt auch im mit der angekündigten Änderung der Gasnetzzugangs- Gasmarkt auf Wettbewerb und die Verbesserung der verordnung, mehr Rechtssicherheit zu schaffen, damit Voraussetzungen für wettbewerbliche Marktstrukturen die Bundesnetzagentur die Anzahl der Marktgebiete ver- sowie deren Erhaltung. Die Kartellbehörden werden ringern kann und damit die Verbraucher am Ende gerin- auch in Zukunft nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen gere Gaspreise bezahlen müssen? eingreifen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass marktbeherrschende Gasversorger ihre Marktmacht nut- Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- zen, um missbräuchlich hohe Preise von den Verbrau- minister für Wirtschaft und Technologie: chern zu verlangen. Das Ganze ist in der Diskussion; aber wir sind noch Sie haben auch gefragt, welche Schritte die Bundes- zu keiner abschließenden Beurteilung in diesem Bereich regierung schon früher unternommen hat. Wir haben im gekommen. Herbst letzten Jahres auch mit den großen Gasanbietern Gespräche geführt. Bereits da haben wir die Gaswirt- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schaft angemahnt, sinkende Gasbezugskosten rasch an Zweite Nachfrage, bitte. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23451

(A) Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C) Unsere Studie enthält einen weiteren sehr spannenden minister für Arbeit und Soziales: Vorschlag der Experten für die Schaffung von mehr Sehr geehrter Herr Abgeordneter Schneider, die Bundes- Wettbewerb. Einer der entscheidenden Punkte ist, dass regierung teilt die in der Bundestagsdrucksache 16/12358 diejenigen, die Gas importieren oder über die Kapazitä- zitierten Auffassungen der Koalitionsfraktionen, wonach ten von Kuppelstellen oder Ferngasleitungen verfügen, für die Anrechnungsfreiheit der Umweltprämie eine ge- eine Überkapazität an Gas haben, die ihre Kunden nicht setzliche Änderung erforderlich ist. benötigen; sie bunkern dieses Gas in Speichern, ver- Im Übrigen hat die Bundestagsfraktion der CDU/ knappen das Angebot und treiben den Gaspreis damit CSU in der Sitzung des Bundestagsausschusses für Ar- letzten Endes nach oben. Der Vorschlag lautet, einen dis- beit und Soziales vom 18. März 2009 erklärt, für eine kriminierungsfreien Zugang zu den Gasspeichern zu Gesetzesänderung brauche man allerdings länger, als die schaffen. Wie die Bundesnetzagentur festgestellt hat, ha- Prämie zur Verfügung stehe. Diese Äußerung bezog sich ben wir da nämlich große Defizite. Ein weiterer Vor- erkennbar auf das ursprüngliche Fördervolumen in Höhe schlag lautet: Die Gasanbieter müssen für den folgenden von 1,5 Milliarden Euro und nicht auf die vom Bundes- Tag offenlegen, wie viel überschüssiges Gas sie haben; kabinett am 8. April 2009 beschlossene Erhöhung des der Rest wird auktioniert, damit der Wettbewerb größer Fördervolumens auf 5 Milliarden Euro. und die Konditionen für den Verbraucher besser werden. Wie beurteilt das Bundeswirtschaftsministerium die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vorschläge, für einen diskriminierungsfreien Zugang zu Herr Kollege Schneider, haben Sie eine Nachfrage? den Gasspeichern zu sorgen und überschüssiges Gas zu auktionieren, um für mehr Wettbewerb auf dem Markt Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): zu sorgen? Herr Kollege Brandner, die zentrale Frage beantwor- ten Sie erneut nicht, nämlich ob die Bundesregierung Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- angesichts der Tatsache, dass die Abwrackprämie ver- minister für Wirtschaft und Technologie: längert worden ist, nicht von dieser Argumentation abrü- Sie sind auf das Gutachten eingegangen, das Sie cken und aus meiner Sicht folgerichtig sagen müsste: selbst in Auftrag gegeben haben. Jetzt ist genügend Zeit, diesen Missstand zu beseitigen. – Ich weise übrigens am Rande darauf hin, dass die er- (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wähnte Aussage der Kolleginnen und Kollegen der Aber es ist nicht schlecht, oder?) CDU/CSU im Ausschuss für Arbeit und Soziales exakt (B) am selben Tag erfolgt ist, an dem mitgeteilt wurde, dass (D) – Ich äußere mich dazu nicht. – Es ist bei uns zurzeit die Abwrackprämie verlängert wird, also zu dem Zeit- keine Diskussionsgrundlage. punkt, als sie gemacht wurde, erkennbar eine Ausrede war. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist spannend!) Würden Sie mir bitte hier erklären, ob Sie diese Ge- setzesänderung durchführen wollen oder ob das nicht be- absichtigt ist? Heute war ja in der Presse schon zu lesen, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dass Sie sich jetzt endlich an diesem Punkt erfolgreich Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Die Frage 5 der haben zum Jagen tragen lassen. Kollegin Kotting-Uhl soll schriftlich beantwortet wer- den. Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun- minister für Arbeit und Soziales: desministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwor- Ich habe hier erläutert, wie der Sachverhalt in der tung der Fragen steht nach der Beantwortung der dringli- Ausschusssitzung war, an der Sie teilgenommen haben. chen Frage erneut der Parlamentarische Staatssekretär Ob die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion von dem An- Klaus Brandner zur Verfügung. sinnen der Bundesregierung schon Kenntnis hatten, kann ich Ihnen aus der Sicht des Bundesministeriums für Ar- Wir kommen zur Frage 6 des Kollegen Volker beit und Soziales nicht beantworten. Schneider: Ihre Frage geht ansonsten meines Erachtens von dem Teilt die Bundesregierung die Auffassung – bitte begrün- fehlerhaften Verständnis aus, dass die Prämie in jedem den –, wonach die sogenannte Abwrackprämie nur durch Ge- setzesänderung nicht als geldwerter Vorteil auf Leistungen Fall bis Ende 2009 gezahlt wird. Dazu will ich deutlich nach dem SGB II anrechenbar sei und dieses aufgrund der sagen: Das ist nicht so. Die Prämie wird nur so lange ge- Dauer eines solchen Gesetzgebungsverfahrens nicht vor Aus- währt, bis das Fördervolumen ausgeschöpft ist. Sie kann laufen der Prämie möglich sei (vergleiche Beschlussempfeh- längstens bis Ende 2009 beantragt werden. Wann das lung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Bundestags- Fördervolumen ausgeschöpft sein wird, kann heute nicht drucksache 16/12358 vom 20. März 2009, Begründung der Fraktion der CDU/CSU) auch vor dem Hintergrund der zwi- mit ausreichender Sicherheit vorhergesagt werden. schenzeitlich vom Bundeskabinett am 8. April 2009 beschlos- senen Verlängerung der Prämie bis Ende 2009? Um es deutlich zu sagen: Unterstellt, das Fördervolu- men ist Ende dieses Jahres noch nicht ausgeschöpft, so Bitte schön, Herr Brandner. ist es bei Vorliegen der erforderlichen Mehrheiten im 23452 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Parl. Staatssekretär Klaus Brandner (A) Deutschen Bundestag und im Bundesrat und gegebenen- Die öffentliche Äußerung von Herrn Masuch hat das (C) falls erforderlichen Fristverkürzungen nicht ausge- BMAS jedoch zum Anlass genommen, nachzufragen. schlossen, dass eine entsprechende Gesetzesvorlage des Auf diese Nachfrage teilte der Präsident des Bundes- Deutschen Bundestages oder des Bundesrates zur Nicht- sozialgerichts am 2. April 2009 mit, dass das Bundes- anrechnung der Umweltprämie auf Leistungen nach dem sozialgericht durch seine Urteile und Beschlüsse spre- Sozialgesetzbuch II rechtzeitig vor diesem Termin be- che, dass es bislang keine Entscheidung zur Anrechnung schlossen, ausgefertigt und verkündet werden kann. der Umweltprämie getroffen habe und dass derzeit kein Revisionsverfahren anhängig sei. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine zweite Nachfrage. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. – Eine Zusatzfrage der Kollegin Enkelmann. Bitte schön. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Nichtsdestotrotz möchte ich noch einmal ganz kurz Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): zurück vor den Punkt der Notwendigkeit einer solchen Eine ähnliche Fehlentscheidung hat die Bundesregie- Gesetzesänderung und noch einmal die Frage aufwerfen, rung schon einmal getroffen, als es nämlich um die ob es denn nun tatsächlich zwingend war, zu sagen, es Eigenheimzulage ging. Auch da musste erst ein Gericht handele sich hier um einen geldwerten Vorteil. Faktisch nach einer Klage entscheiden: Es ist eine zweckbe- ist es ja so, dass derjenige, der die Abwrackprämie bean- stimmte Zuwendung und insofern nicht anzurechnen. – tragt, diese nur im Zusammenhang mit dem Kauf eines Hat das bei den Überlegungen der Bundesregierung eine entsprechenden Pkw erhält. Es ist völlig unmöglich, die- Rolle gespielt, um rechtzeitig eine richtige Entscheidung ses Geld zum Beispiel so einzusetzen wie den Regelsatz treffen zu können? für den Lebensunterhalt. Es gab in der Vergangenheit ja schon eine Reihe von Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Fragen, etwa die schriftlichen Fragen der Kollegin minister für Arbeit und Soziales: Katrin Kunert oder auch Fragen im Ausschuss, auf die Die Bundesregierung hat die aufgeworfenen Fragen Sie immer sehr ausweichend geantwortet haben, das sei geprüft und ist zu dem Ihnen bekannten Urteil gekom- ein geldwerter Vorteil. Deshalb möchte ich an der Stelle men. Deshalb gibt es daran momentan nichts zu verän- schon ganz genau wissen, wie dieser geldwerte Vorteil dern. Wenn das Parlament eine entsprechende Klarstel- gegebenenfalls zu realisieren wäre. lung will, liegt es in den Händen des Parlaments, diese letztlich zu erwirken. (B) Es würde mich auch interessieren, ob sich die Ein- (D) schätzung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Der les unter dem Eindruck der Aussage des Präsidenten des Antrag der Linken lag vor!) Bundessozialgerichts geändert hat, der nun eindeutig ge- sagt hat: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. Die Abwrackprämie ist aus meiner Sicht als zweck- bestimmte Einnahme zu werten, die laut Sozialge- Die Fragen 7 und 8 der Kollegin Kunert sollen setzbuch nicht als Einkommen zu berücksichtigen schriftlich beantwortet werden. ist. Alle Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesminis- teriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- schutz sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden; minister für Arbeit und Soziales: das sind die Frage 9 des Kollegen Spieth, die Fragen 10 Die Bundesregierung geht nach wie vor davon aus, und 11 der Kollegin Dr. Tackmann, die Frage 12 der dass für eine Anrechnungsfreiheit eine gesetzliche Rege- Kollegin Höfken und die Frage 13 der Kollegin Höhn. lung notwendig ist. Die Bundesregierung geht davon Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- aus, dass die Umweltprämie, wenn sie gewährt wird, ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Einkommen bedeutet. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staats- sekretärin Karin Roth zur Verfügung. Zu der Aussage des Präsidenten des Bundessozialge- richts, die der Bundesregierung bekannt ist, möchte ich Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Jan Mücke auf: feststellen, dass er diese als Privatperson gemacht hat. Er Ist die öffentliche Aussage der Sprecherin des Bundes- hat als Privatperson erklärt, die Umweltprämie sei seines ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Erachtens nicht als Einkommen bei der Berechnung von BMVBS: „Es gibt vom Bund aus unserem Ministerium ein Angebot an Sachsen, sich zur Erhaltung des Welterbes an der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Finanzierung einer Untertunnelung zu beteiligen“ vom 5. Juli dem Sozialgesetzbuch II zu berücksichtigen. Damit 2008 – vergleiche dpa-Meldung vom 5. Juli 2008; diese Aus- weicht diese Rechtsauffassung von der des Bundes- sage bezieht sich auf die Diskussion um den Bau der Wald- ministeriums für Arbeit und Soziales ab. Unterschiedli- schlößchenbrücke in Dresden – mit Wissen und Wollen des che Rechtsansichten – das wissen Sie, Herr Schneider – zuständigen Bundesministers getroffen worden, und, falls ja, hält das BMVBS diesen Vorschlag vor sind insbesondere unter Juristen nichts Außergewöhnli- dem Hintergrund des Urteils des Verwaltungsgerichts Dres- ches. den vom 30. Oktober 2008 (Az. 3 K 923/04) aufrecht? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23453

(A) Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Jan Mücke (FDP): (C) minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ich verstehe Sie richtig, dass auch Sie den Tunnel Verehrter Kollege Mücke, die Aussage der Sprecherin nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtes nicht mehr für des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent- möglich halten und dass nur noch die Alternativlösung wicklung vom 5. Juli 2008 bezog sich auf das Angebot Nichtbau oder Bau einer irgendwie gearteten Brücke in- des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwick- frage kommt? lung, sich an den Mehrkosten einer welterbeverträgli- chen Lösung – sei dies eine Brücken- oder eine Tunnel- Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- lösung – zu beteiligen. minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Im Übrigen verweise ich auf meine Antwort auf Ihre Das ist die Entscheidung des Freistaates Sachsen und mündliche Frage 43 in der Fragestunde vom 25. März der Stadt Dresden. 2009. Es hat sich also nichts geändert. Jan Mücke (FDP): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielen Dank. Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege Mücke? – Bitte schön. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Behm auf: Jan Mücke (FDP): Wie ist der genaue Zeitplan für die Unterzeichnung des Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, jetzt bin ich et- deutsch-polnischen Staatsvertrages zur Hohensaaten- was verwirrt. Auf meine Frage in der letzten Frage- Friedrichsthaler Wasserstraße, HoFriWa, und zur Oder sowie die daran anschließenden Planungsschritte bis zum Ausbau? stunde, ob denn Herr Bundesminister Tiefensee seinen Kompromissvorschlag zum Bau eines Tunnels im Lichte Bitte schön, Frau Roth. des Urteils des Verwaltungsgerichts Dresden aufrecht- erhält – das Gericht hat in seinem Urteil ausgeführt, dass Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- ein Tunnel rechtlich nicht zulässig ist, dass nur für eine minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Brücke ein Baurecht erteilt wird und damit auch nur für Herr Präsident! Liebe Kollegin Behm! Ein erster Ent- eine Brücke ein Planfeststellungsbeschluss rechtlich zu- wurf des Vertragstextes wurde den zuständigen Ressorts lässig ist –, haben Sie mir geantwortet, er habe einen sol- zur Beteiligung übermittelt. Das Bundesministerium für chen Vorschlag nie gemacht. Sie haben mir außerdem Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geht davon aus, dass geantwortet, dass er sich nur für eine welterbeverträgli- die Ressortabstimmung in der ersten Jahreshälfte 2009 che Lösung einsetzt, aber keinesfalls für einen Tunnel. (B) abgeschlossen werden kann. Dieser Entwurf wird dann (D) Jetzt habe ich hier diese dpa-Meldung vom 5. Juli vereinbarungsgemäß über das Auswärtige Amt zur wei- 2008, in der die Sprecherin des Ministeriums wie folgt teren Abstimmung an Polen weitergeleitet. Zur Dauer zitiert wird: des gesamten Verfahrens können zurzeit keine konkreten Angaben gemacht werden. Es gibt vom Bund aus unserem Ministerium ein Angebot an Sachsen, sich zur Erhaltung des Welt- Die Planungen für den Ausbau der Hohensaaten- erbes an der Finanzierung einer Untertunnelung zu Friedrichsthaler Wasserstraße sollen parallel wieder auf- beteiligen. genommen werden. Mit der Erlangung der Baureife kann aber erst in fünf Jahren gerechnet werden. Es muss Daraus schließe ich, dass der Minister – oder das Minis- zunächst einen Staatsvertrag geben; dann erst kann das terium – doch einen Tunnel möchte. Projekt begonnen werden. Nach dem Gerichtsurteil, das Sie kennen – ich habe Sie das letzte Mal danach gefragt, ob Sie es kennen –, ist Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: für mich die Frage, ob denn das Ministerium daran fest- Nachfrage, Frau Behm? hält, dass in Dresden ein Tunnel gebaut werden kann. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Es minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: wirkt auf den Außenstehenden so, als würde ein Vertrag Herr Kollege Mücke, es ist ganz einfach. Ich habe Ih- geschlossen, der im Grunde genommen nur eine einzige nen deutlich gemacht: Wir haben eine welterbeverträgli- Ausbauvariante vorsieht. Ich würde von Ihnen gerne che Lösung unabhängig von der Frage des Wie angeregt. wissen, welche Auswirkungen ein nationalstaatlicher Da ist eine Brücke genauso möglich wie ein Tunnel. Vertrag zwischen Deutschland und Polen mit der Festle- 2008, vor ungefähr einem Jahr, ist die dpa-Meldung he- gung auf eine einzige Ausbauvariante auf das darauf fol- rausgegangen. Wir haben uns aber nicht festgelegt, weil gende Planfeststellungsverfahren hätte. die Klärung der Frage, in welcher Weise die Querung der Elbe erfolgt, eine Sache des Freistaates Sachsen und der Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Stadt Dresden ist. minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Anhand des Entwurfs des Vertrages zwischen Polen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: und Deutschland wird erst einmal geprüft, inwieweit und Zweite Nachfrage, bitte. ob überhaupt das Vorgehen vonseiten Polens akzeptiert 23454 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Parl. Staatssekretärin Karin Roth (A) wird. Dann wird ein normales Planfeststellungsverfah- Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C) ren mit den Auflagen, die daraus resultieren, erfolgen. desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Aber zunächst geht es um die Abstimmung zwischen Das war geplant. Aber Ulrich Kasparick wird in der Polen und Deutschland, auch bezüglich der Übernahme Anhörung zur Flugsicherung festgehalten, sodass ich die der Kosten. Insofern ist der Staatsvertrag, der dann auch Beantwortung dieser Frage übernommen habe, Herr Prä- hier im Parlament zur Abstimmung stehen wird, die Vo- sident. raussetzung für die Durchführung dieser Maßnahme ge- meinsam mit Polen. In welcher Weise das geschieht, Frau Behm, die 2004 erstmals in den Bedarfsplan für wird dann im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens die Bundesfernstraßen aufgenommenen Ortsumgehun- weiter geklärt werden. gen Berge und Lietzow im Zuge der Bundesstraße B 5 stehen in Konkurrenz zu vielen anderen vordringlich eingestuften Projekten in Brandenburg, vor allem auch Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zu den im Bau befindlichen Maßnahmen. In Abstim- Zweite Nachfrage, bitte. mung mit der Straßenbauverwaltung des Landes Bran- denburg werden die Planungen für die Ortsumgehungen Berge und Lietzow nicht zulasten anderer Projekte des Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vordringlichen Bedarfs des Bedarfsplanes für die Bun- Es wirkt allerdings so, als würde bei der Festlegung desfernstraßen forciert. Von der zuständigen Straßenbau- auf eine einzige Ausbauvariante das Planfeststellungs- verwaltung des Landes Brandenburg werden in den verfahren quasi vorweggenommen. Ortsdurchfahrten Berge und Lietzow im Zuge der B 5 nur solche Erhaltungsmaßnahmen zulasten des Bundes Ich würde gerne noch wissen, welche Maßnahmen durchgeführt, die aufgrund des Zustandes der Ortsdurch- nach Meinung der Bundesregierung notwendig sind, um fahrten trotz der vorgesehenen Ortsumgehungen zwin- den Einsatz der tiefgängigen polnischen Eisbrecher si- gend erforderlich sind. cherzustellen, um die es bei diesen Verhandlungen eben- falls geht, und welche alternativen Maßnahmen geprüft worden sind, um nicht einen weiteren Ausbau der Oder Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: in Kauf nehmen zu müssen. Eine Nachfrage, Frau Behm?

Karin Roth, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Ja. – Ich würde gerne wissen, welche Erkenntnisse der Bundesregierung über Mautumfahrungsverkehr auf Kollegin Behm, zunächst einmal ist festzustellen, der B 5 zwischen den Anschlussstellen der A 10 bei (B) dass wir keinen Ausbau planen. Das ist sehr wichtig. Vor (D) Nauen und den Anschlussstellen der A 24 zwischen allen Dingen wollen wir im Zusammenhang mit diesen Hamburg und Berlin vorliegen und welche Maßnahmen Maßnahmen den Hochwasserschutz verbessern, weil wir dagegen erwogen werden? wissen, dass gerade durch das Eis das Problem des Hochwassers beständig zunimmt. Das heißt, es geht hier auch um Prävention, um Hochwasserschutz für die dorti- Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- gen Gebiete. Wir haben geprüft, in welcher Weise wir desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: diese Maßnahmen durchführen können. Es geht hier also Da diese Frage nicht unmittelbar in Zusammenhang nicht um einen Ausbau, sondern um eine Maßnahme, die mit der zuvor gestellten Frage steht, haben Sie bitte Ver- dazu führt, dass die Eisbrecher fahren können, um das ständnis dafür, Frau Kollegin, dass ich zunächst einmal Eis wegzuschaffen und damit den Hochwasserschutz zu allgemein auf Umgehungsverkehre eingehe. gewährleisten. Es gab in diesem Gebiet schon einmal die Wir haben mit den Ländern vereinbart, dass nach Ein- Situation, in der das nicht mehr möglich war, wodurch führung der Maut an vielen Zählstellen geprüft wird, wie Hochwasser entstanden ist. sich die Verkehre entwickeln, und daraus Schlussfolge- rungen gezogen werden, ob es zu Mautumgehungsver- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: kehren kommt. Die Länder hatten dann, wenn sie zu der Vielen Dank. Erkenntnis kamen, dass auf einer dieser Strecken die Mautumfahrung eine sehr große Rolle spielt, die Mög- Wir kommen zur Frage 16 der Kollegin Behm: lichkeit, diese Strecken nachträglich zur Maut anzumel- Wie ist es zu verstehen, dass für die Ortsumgehungen den. Das heißt, es gibt ein Verfahren – es muss mit Brüs- Berge und Lietzow bei Nauen, die in der Anlage der aktuellen sel abgestimmt werden –, dass man auch für bestimmte Fassung des Fernstraßenausbaugesetzes des Bundes vom Teilstücke von Bundesstraßen eine Maut einführen kann, 9. Dezember 2006 als Vordringlicher Bedarf vermerkt sind, um Mautumfahrungen unmöglich zu machen, weil dies obwohl sie nicht Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans für denjenigen, der diese Strecken befährt, finanziell auf vom 2. Juli 2003 ist, bisher keine Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen wurden, wohingegen aber derzeit die Ertüchtigung das gleiche Ergebnis hinausläuft. der Ortsdurchfahrten Berge und Lietzow in Angriff genom- men wird? Brandenburg hat bisher keine Bundesstraße und auch kein Teilstück einer Bundesstraße zu diesem Zwecke an- Da gibt es einen Wechsel: Zur Beantwortung steht der gemeldet, woraus ich zunächst einmal schließen muss, Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick zur dass der Anteil der Mautumfahrungen am Gesamtver- Verfügung. kehr eine Prozentzahl ausmacht, wie wir ihn von einigen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23455

Parl. Staatssekretär Achim Großmann (A) anderen Straßen kennen: Das ist teilweise ein Anteil von Die Instandhaltung von Bundesstraßen und Ersatz- (C) 3 bis 5 Prozent, sodass diese Maßnahme nicht in Erwä- maßnahmen werden mit Bundesmitteln finanziert. Dafür gung gezogen wurde. Ich füge allerdings hinzu: Ich geben wir den Ländern einen pauschalen Betrag, den sie würde gern die Situation im Hinblick auf das Teilstück, nach eigenem Ermessen einsetzen können. Das heißt, bei nach dem Sie gefragt haben, in unserem Hause prüfen, kleineren Reparaturmaßnahmen müssen sie nicht die um Ihnen eine präzisere Antwort geben zu können. Ich Genehmigung des Bundes einholen, sondern es gibt ei- konnte Ihnen jetzt nur das allgemeine Prozedere schil- nen Topf, den die Länder selbst verwalten. dern. Selbst wenn die Ortsumgehung morgen eingeweiht werden würde – ich übertreibe jetzt mal ein bisschen –, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: würde man so vorgehen. Wir als Bund legen großen Zweite Nachfrage? Wert darauf, dass die Straße, wenn wir sie in eine andere Baulast übergeben – es könnte eine Landesstraße oder Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): eine kommunale Straße werden –, in einem ordnungsge- mäßen Zustand ist. Sie fällt ja nicht ersatzlos weg; das ist Ja. – Ich habe die Nachfrage ganz bewusst deshalb eine Straße, die durch die Orte führt. gestellt, weil ich einen Zusammenhang sehe. Nach einer Pressemeldung des Brandenburgischen Infrastrukturmi- (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nisteriums vom 17. April 2007 – zugegeben, das ist nicht NEN]: Also definitiv mit Bundesmitteln?) gerade die aktuellste Meldung – heißt es: Nach den letz- – Ja. ten Verkehrszählungen passieren täglich 25 000 Autos diese genannten Ortsdurchfahrten. – Da ist es schon irri- (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tierend, dass ein Ausbau der Ortsdurchfahrten vorge- NEN]: Vielen Dank!) nommen wird, obwohl Planungen im Hinblick auf den Bau von Ortsumgehungen vorliegen. Können Sie mir sa- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen, wieso und mit welchen Geldern diese Ortsdurch- Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Dr. Anton fahrten ausgebaut oder ertüchtigt werden sollen? Hofreiter sowie die Frage 19 des Kollegen Dr. Ilja Seifert sollen schriftlich beantwortet werden. Vielen Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- Dank, Herr Staatssekretär Großmann. desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Ich will dies in zwei Teilen beantworten. In Art. 85 nisteriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- und Art. 90 des Grundgesetzes ist im Zusammenhang heit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische (B) mit dem föderalen Aufbau unseres Bundesstaates vorge- (D) Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung. Die Fra- sehen, dass für die Planung von Ortsumgehungen, für gen 20 und 21 des Kollegen Jörg Tauss sowie die Fragen die Begleitung des Ausbaus, für den Erhalt und den Be- 22 und 23 des Kollegen Hans-Josef Fell sollen ebenfalls trieb von Bundesstraßen und Bundesautobahnen die schriftlich beantwortet werden. Länder zuständig sind, sodass es in der alleinigen Ent- scheidung des Landes Brandenburg liegt, zu welchem Ich rufe Frage 24 der Kollegin Brigitte Pothmer auf: Zeitpunkt es Planungen für den Bau einer Ortsumgehung Auf Grundlage welcher Genehmigungen sind Giftstoffe aufnimmt. wie beispielsweise Arsen, Blei und Quecksilber oder auch Tierkadaver im Atommülllager Asse II eingelagert worden, Sie haben selber in Ihrer Frage angedeutet, dass die und welche Herkunft haben die eingelagerten Giftstoffe und Ortsumgehungen, über die wir hier sprechen – Berge Kadaver jeweils? und Lietzow –, vom Parlament in den Vordringlichen Bitte schön, Herr Staatssekretär. Bedarf aufgenommen worden sind. Das heißt, erst seit 2004 gibt es einen gesetzlichen Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Planungsauftrag für diese Straßen, während für viele an- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: dere Straßen in Brandenburg dieser gesetzliche Pla- Liebe Kollegin, Sie greifen die Presseberichterstat- nungsauftrag schon seit längerer Zeit besteht. Es gibt tungen auf. Ich will erst einmal allgemein sagen, dass also bisher nur Vorplanungen; daher haben wir diese sich das Wissen über die in die Schachtanlage Asse II Maßnahme nicht in den Investitionsrahmenplan bis 2010 eingelagerten chemotoxischen Abfällen, insbesondere aufgenommen. Das muss man wissen, um zu verstehen, Arsen, Quecksilber und Blei, aus zwei Inventarberichten in welcher Taktzahl sozusagen Brandenburg seine Stra- ergibt. Diese Inventarberichte liegen dem BfS vor. Sie ßen plant. werden vor allem auch im Zusammenhang mit dem jetzt notwendig gewordenen atomrechtlichen Planfeststel- Wenn Sie das Gefühl haben, dass die Verkehrsbelas- lungsverfahren benötigt. Sie sind allerdings schon seit tungen eine schnellere Planung notwendig machen, dem Jahre 2007 bekannt. würde ich Ihnen raten, mit der Auftragsverwaltung oder mit dem Landesverkehrsministerium entsprechende Ge- Bei dem Abfallinventar in der Schachtanlage Asse II spräche aufzunehmen. Aus den Gesprächen auf der handelt es sich den Berichten zufolge um 496 Kilogramm Fachebene und aus den Baubesprechungen ist uns das Arsen, 1,1 Kilogramm Quecksilber bzw. Quecksilber- nicht bekannt; dies ist uns auch nicht von Brandenburg verbindungen, 14 771 Kilogramm Blei und 1 049 Kilo- genannt worden. gramm Zyanide. Derartige chemotoxische Stoffe sind in 23456 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Parl. Staatssekretär Michael Müller (A) der Regel Bestandteil von radioaktiven Abfällen. Bei Zu den Tierkadavern: Begleitschreiben aus dem (C) den eingelagerten Arsenverbindungen handelt es sich Jahre 1967 entnehmen wir, dass es sich hierbei um Tiere auch um arsenhaltige Pflanzenschutzmittel. Zudem lie- aus dem Forschungszentrum Jülich handelt, denen zu gen Begleitscheine vor, die eine Einlagerung von Tierka- Forschungszwecken bewusst radioaktive Stoffe verab- davern belegen. Nach Auskunft des Helmholtz-Zen- reicht worden sind. trums handelt es sich hierbei um Versuchstiere, vor allem aus dem Forschungszentrum Jülich, denen radio- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: aktive Substanzen zugeführt wurden. Ihre Nachfrage bitte, Frau Pothmer. Sie fragen vor allem nach den Genehmigungen. Für die Einlagerungen schwachradioaktiver Abfälle, also für Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die von mir genannten Stoffe und Mengen, lagen vier An- Herr Staatssekretär, ich beziehe mich auf einen Pres- träge der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltfor- seartikel aus der Braunschweiger Zeitung vom 17. April schung, also der GSF, bzw. vier Einlagerungsgenehmi- 2009. Daraus geht hervor, dass in der Asse auch radioak- gungen des Bergamtes vor. In dem Zeitraum, in dem diese tive Abfälle der Bundeswehr eingelagert worden sind. Genehmigungen erteilt wurden, erfolgte die Einlagerung Verwiesen wird dabei auf die Aufstellung des früheren dieser arsenhaltigen Abfälle in der Kammer 4/750. Es Betreibers vom März 2004. Unklar ist allerdings, wel- handelt sich um einen Antrag aus dem Jahr 1966, zwei cher Art diese militärischen Abfälle sind. Aus der Auf- Anträge aus dem Jahr 1967 und einen Antrag aus dem stellung geht nicht hervor, ob es sich dabei um radioak- Jahr 1970. Durch die Genehmigungen wurde die Einlage- tive Leuchtmunition oder Reste alliierter Atomwaffen rung radioaktiver Rückstände bewilligt. Es wurden Vor- handelt. Ich frage Sie: Welche Kenntnis hat die Bundes- gaben hinsichtlich der Aktivität, der Dosisleistung und regierung von Anordnungen oder Genehmigungen, auf der Art der Abfälle, also ob sie beispielsweise fest sind, deren Basis militärische Abfälle in der Asse eingelagert verpackt oder einbetoniert werden müssen, und hinsicht- worden sind, und was weiß sie über die Herkunft der mi- lich der Fassanzahl der einzulagernden Menge gemacht. litärischen Abfälle? Einschränkungen im Hinblick auf chemotoxische Stoffe sind weder den Anträgen der GSF noch den Genehmigun- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- gen des Bergamtes zu entnehmen. nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich habe die Bundeswehr bereits erwähnt. Ich will nur In den 60er-Jahren wurden Pflanzenschutzmittel zu darauf hinweisen, dass wir im Augenblick eine Neube- Untersuchungszwecken mit radioaktiven Markern ver- wertung des eingelagerten Abfallinventars durchführen. setzt, um deren Verteilung in Pflanzen zu erforschen. Ob Diese Untersuchung wird vom BfS, also vom Bundes- (B) (D) es sich bei den in Asse befindlichen Arsenverbindungen amt für Strahlenschutz vorgenommen. Abschließende um derartige Pflanzenschutzmittel handelt, ist den uns Aussagen, insbesondere zum chemotoxischen Inventar, vorliegenden Akten leider nicht zu entnehmen. können wir derzeit nicht machen. Wir werden das aber so schnell wie möglich nachholen. Zum chemischen und chemotoxischen Abfallinventar liegen nach jetzigem Auswertungsstand zwei Berichte vor, die im Rahmen der Stilllegungsplanung zum Nach- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: weis der Einhaltung der Schutzziele des Wasserhaus- Zweite Nachfrage, bitte. haltsgesetzes erstellt wurden. Diese Berichte wurden von der GSF erstellt. Über die Herkunft der radioaktiven Ab- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fälle werden in den vorliegenden Unterlagen allerdings Können Sie uns denn etwas über die rechtliche nur allgemeine Angaben gemacht. Als Ablieferer werden Grundlage oder das Genehmigungsverfahren sagen? Kernkraftwerke, Landessammelstellen, Forschungsein- Gab es eine Anordnung der Bundesregierung, militäri- richtungen wie das KfK, aber auch die Industrie und sche Abfälle der Bundeswehr in der Asse einzulagern? sonstige Ablieferer, beispielsweise die Bundeswehr, ge- nannt. Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Die Herkunft der arsenhaltigen Abfälle konnte aus nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: den Angaben in den Berichten sowie für drei Fässer an- Auch zu dieser Nachfrage werde ich Ihnen nachträg- hand einer vorliegenden Kopie der Fasskontrolle ermit- lich Auskunft geben. Ich kann Ihnen jetzt nur einen telt werden. Danach sind diese drei Fässer mit Arsenver- Sachstandsbericht geben, der auf dem beruht, was wir in bindungen von der Landwirtschaftlichen Genossenschaft den Akten haben. Schöppenstedt angeliefert und 1968 in der Kammer ein- gelagert worden. Außerdem existiert ein Beleg über ein Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: weiteres Fass, in dem arsenhaltige Pflanzenschutzmittel Vielen Dank, Herr Staatssekretär. einzementiert sind, die von der Landwirtschaftlichen Die Frage 25 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl Genossenschaft Rosenheim 1967 angeliefert wurden. und die Frage 26 der Abgeordneten Gudrun Kopp sollen Dem Schriftwechsel zufolge, der dem BMU vorliegt, schriftlich beantwortet werden. wurde die zuständige Bergbehörde zumindest über die Einlagerung dieses Fasses frühzeitig und genau infor- Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Gitta Connemann miert. auf: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23457

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wie beurteilt die Bundesregierung, ob die europäische standen, dass dies aus Ihrer Sicht keinen Grund für eine (C) Richtlinie zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Verschärfung der Grenzwerte darstellt? Großfeuerungsanlagen in die Luft mit ihren Emissionsgrenz- werten nur für sogenannte Normalluftbereiche definiert ist und ob diese Grenzwerte auch den besonderen Erfordernissen Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- von Reinluftgebieten wie der Insel Borkum, auf die sich Men- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- schen zur Gesundung und Rehabilitation zurückziehen, ge- recht werden oder nicht niedrigere Grenzwerte bei solchen heit: Heilbädern und Luftkurorten zugrunde gelegt werden müss- Die Schlüsselfrage ist, wie das Kohlekraftwerk ausge- ten? legt ist. Da gilt – das darf ich noch sagen – die Richtlinie 2001/80/EG; es stellt sich im Speziellen die Frage, wie Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- die Schadstoffemissionen begrenzt werden. Natürlich minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- muss man die Bewertung im Fall von Borkum daran heit: festmachen, wie hoch die Emissionen des Kraftwerks Wenn ich das richtig sehe, geht es um das geplante sein werden. Aber die Pflicht zur internationalen Zusam- Kohlekraftwerk in den Niederlanden und die Auswir- menarbeit beinhaltet auch, eine Anlage möglichst opti- kungen auf die Insel Borkum. Unsere Antwort ist: In der mal im Hinblick auf die Luftqualität auszulegen. Wir Richtlinie über die Emissionen von Großfeuerungsanla- müssen vor allem dafür sorgen, dass die Auflagen an gen werden unabhängig von besonderen lokalen Schutz- dieses geplante Kohlekraftwerk zur Reduzierung von anforderungen in erster Linie Mindestanforderungen zur Staubemissionen möglichst hoch sein werden. Begrenzung der Emissionen festgelegt. Das ist konform mit der Richtlinie 96/61/EG der Europäischen Gemein- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schaft über die sogenannte integrierte Vermeidung und Zweite Nachfrage, bitte. Verminderung der Umweltverschmutzung geregelt. Das ist die IVU-Richtlinie, die seit dem Jahr 1996 gilt. Gitta Connemann (CDU/CSU): Zusätzlich gelten seit dem Jahre 2008 neue Anforde- Sie haben gerade gesagt, Herr Staatssekretär: Wir rungen hinsichtlich der Luftqualität durch die Richtlinie müssen dafür sorgen. – Wie sorgt die Bundesregierung 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft. Beide dafür? Wird auch berücksichtigt, dass zum Beispiel nach Richtlinien sind auf jeden Fall einzuhalten. Es gilt also Eemshaven die Kohle mit Frachtern transportiert werden nicht nur eine der beiden Richtlinien, sondern beide wird, deren Emissionen nicht der EU-Kontrolle unterlie- Richtlinien müssen beachtet werden. Bei der zweiten gen, etwa hinsichtlich Katalysatoren oder der Verbren- Richtlinie geht es insbesondere darum, dass Genehmi- nung von schwerem Heizöl? (B) gungen von Anlagen schärfere Anforderungen als die (D) der sogenannten besten verfügbaren Technik enthalten Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- können, sofern dies die lokale Luftqualität erfordert. Das minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- ist natürlich immer eine Frage der individuellen Verhält- heit: nisse. Aber es gibt einen Ansatzpunkt, hier erforderli- chenfalls Anforderungen zu verschärfen. In Bezug auf die Schifffahrt sind wir dabei, neue Re- gelungen zu finden. Dies gilt vor allem vor dem Hinter- Ansonsten gibt es die Pflicht zur grenzüberschreiten- grund, dass der Anteil der Emissionen aus der Schiff- den Zusammenarbeit. Darauf haben wir in den Antwor- fahrt – das wissen nur wenige – sehr hoch ist. Es wird ten im März schon hingewiesen. Ich will noch hinzufü- sich dabei um Regelungen handeln, die in der Zukunft gen, dass für die staatliche Anerkennung und Bewertung sowohl für den Flugverkehr als auch für die Schifffahrt von Heilbädern vor allem die Kurgesetze – das hat auch gelten sollen. Ich sage noch einmal: Die Luftqualitäts- die Kollegin Caspers-Merk schon ausgeführt – entschei- richtlinie der Europäischen Union erfordert eine grenz- dend sind. überschreitende vertrauensvolle Zusammenarbeit. Das muss die Bundesregierung natürlich beachten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Vielen Eine Nachfrage, Frau Connemann? Dank!)

Gitta Connemann (CDU/CSU): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ja. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Sie haben da- Vielen Dank. – Die Fragen 28 und 29 der Abgeordne- rauf hingewiesen, dass nach den zitierten Richtlinien ten Dr. Gesine Lötzsch sowie die Frage 30 des Abgeord- Verschärfungen durchaus möglich sind, wenn die Um- neten Dr. Ilja Seifert – es handelt sich um Fragen aus dem stände es erfordern. Ich hatte in meiner Frage sehr kon- Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundes- kret angesprochen, dass ein Nordseeheilbad, in das Men- kanzleramtes – sollen schriftlich beantwortet werden. schen zur Gesundung und Rehabilitation kommen, Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen unabhängig davon, nach welchem Gesetz es zugelassen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister ist, gegebenenfalls anders als ein Kurort im Binnenland Dr. Gernot Erler zur Verfügung. zu beurteilen ist. Dies gilt vor allem in Bezug auf die be- sonderen Luftverhältnisse, die für Therapiezwecke vo- Die Frage 31 des Abgeordneten Omid Nouripour soll rausgesetzt werden. Habe ich Ihre Antwort richtig ver- wiederum schriftlich beantwortet werden. 23458 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wir kommen nun zur Frage 32 des Kollegen Hellmut Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- (C) Königshaus: gen Amt: Das waren zwei Fragen. Zu Ihrer ersten Frage kann Welchen genauen Wortlaut hat der bisher unveröffent- lichte Teil der in Brüssel getroffenen Vereinbarung des ich Ihnen nur sagen: Es ist für uns völlig unerfindlich, NATO-Rates vom 4. Oktober 2001, über die der Europarat- wie der Sonderermittler Dick Marty zu seinen Erkennt- Sonderermittler Dick Marty in öffentlicher Sitzung des 1. Un- nissen gekommen ist; leider hat er nicht kundgetan, auf tersuchungsausschusses am 26. März 2009 berichtet hat was er sich dabei bezieht. Ich kann Ihnen nur noch ein- – Duldung von Operationen von US-Dienststellen zur Terror- mal versichern, dass es im NATO-Rat im Oktober 2001 bekämpfung auf europäischem Boden, Schutz und die keine zusätzlichen Verabredungen gegeben hat, die über Straffreiheit der an solchen Maßnahmen beteiligten US-Be- diensteten sowie die restriktive Handhabung der Informatio- das hinausgehen, was auch in der Presseerklärung von nen der jeweiligen Regierungen über durchgeführte Aktionen, Lord Robertson – dabei geht es um acht verschiedene „need to know“ –, und haben der damalige Bundeskanzler, an- Punkte – steht. dere Mitglieder der Bundesregierung oder Staatssekretäre – bitte namentlich auflisten – daran mitgewirkt bzw. davon Was die Geheimhaltung angeht, so ist dies das bei sol- Kenntnis erhalten? chen Beschlüssen übliche Verfahren. Hier handelte es sich allerdings um eine Premiere, denn zum ersten Mal Bitte schön, Herr Staatsminister. ist der Beistandsfall ausgesprochen worden; insofern war das ein besonderer Fall. In der Pressemitteilung wer- den, wie gesagt, auch die Details der Beschlusslage sehr Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- weit gehend wiedergegeben. gen Amt: Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Königshaus, meine Antwort lautet wie folgt: Der NATO- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Generalsekretär, Jaap de Hoop Scheffer, hat in seinem Zweite Nachfrage. – Bitte. Schreiben an den Vorsitzenden des 1. Untersuchungsaus- (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE schusses, MdB Siegfried Kauder, vom 12. September GRÜNEN]: Eigentlich ist es schon die dritte! 2007 ausgeführt, dass die Entscheidung des NATO-Ra- Er hat nämlich schon zwei Fragen gestellt!) tes vom 4. Oktober 2001 in der dem Schreiben beigefüg- ten Presseerklärung des damaligen NATO-Generalsekre- Hellmut Königshaus (FDP): tärs Lord Robertson vom 4. Oktober 2001 zutreffend Herr Staatsminister, das, was in der Pressemitteilung wiedergegeben wurde. Im Übrigen unterliegt die Ent- steht, ist zwar sehr weit gehend, gibt aber nur einen sehr scheidung des NATO-Rates vom 4. Oktober 2001 der (B) groben Rahmen wieder. Dort steht beispielsweise: (D) Geheimhaltung. Die Bundesregierung kann daher zu „… provide access for the United States and other Allies Einzelheiten der Entscheidung keine über das Schreiben to ports and airfields on the territory …“. Uns geht es um des NATO-Generalsekretärs hinausgehenden Angaben die Renditions – das ist der Punkt, über den wir uns un- machen. terhalten – und darum, was das konkret bedeutet. Die Bundesregierung legt jedoch Wert auf die Fest- Da Sie gesagt haben, das sei die vollständige Verein- stellung, dass die in der Frage aufgeführten angeblichen barung, frage ich Sie: Hat es denn nie jemand für nötig Maßnahmen allesamt nicht Gegenstand einer Entschei- befunden, einmal bei den Amerikanern nachzufragen, dung des NATO-Rates waren. Die Presseerklärung des wie sie diese Vereinbarung verstehen und umsetzen, ob NATO-Generalsekretärs vom 4. Oktober 2001 gibt die sie deutsche Flughäfen wie in Ramstein beispielsweise Entscheidung des NATO-Rates zutreffend und inhaltlich nutzen, um Renditions durchzuführen und Gefangene vollständig wieder. Somit konnte es auch keine Mitwir- unter unwürdigen Umständen umzuladen? kung bzw. Kenntnisnahme von Mitgliedern früherer Bundesregierungen an bzw. von diesen angeblichen Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- Maßnahmen geben. gen Amt: Herr Kollege Königshaus, bei dieser Thematik müs- sen Sie bedenken, dass wir über den 4. Oktober 2001 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sprechen – wir befinden uns also nur wenige Wochen Ihre erste Nachfrage, bitte, Kollege Königshaus. nach den Ereignissen des 11. September 2001 – und dass Voraussagen über die konkrete Nutzung der NATO-An- gebote zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich waren. Hellmut Königshaus (FDP): Ich wiederhole: In der Presseerklärung, die Sie kennen Herr Staatsminister, worauf führen Sie dann die Be- und die offen zugänglich ist, werden diese acht Punkte richte zurück, die dem Ermittler Dick Marty von aller- nicht nur zutreffend, sondern auch inhaltlich vollständig dings nicht näher bezeichneten Quellen gegeben wur- wiedergegeben. Genauere Ausführungen sind auch in den, dass es sehr wohl einen geheim gehaltenen dem Originalbeschluss nicht enthalten. Zusatzteil dieser Abmachung gegeben habe? Worauf führen Sie dann insbesondere die sehr restriktive Hand- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: habung der Bekanntgabe des offiziellen Beschlusses, Dann kommen wir zur Frage 33 des Kollegen den Sie gerade bestätigt haben, zurück? Königshaus: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23459

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Weshalb behauptet die Bundesregierung in ihrer am Hellmut Königshaus (FDP): (C) 8. April 2009 gezeichneten Antwort auf meine schriftliche Ich weiß, dass das passieren kann. Doch gerade von Frage 11 vom 1. April 2009 auf Bundestagsdrucksache 16/12601, ihr sei „weder eine NATO-Tagung Anfang Oktober Staatsminister Erler hätte ich nicht erwartet, dass er die 2001 in Athen noch eine anlässlich einer solchen Tagung ge- Frage nicht beantwortet. troffene Vereinbarung bekannt“, obgleich ausweislich einer Erklärung des NATO-Hauptquartiers vom 4. Oktober 2001 der NATO-Rat an jenem Tag in Brüssel – nicht, wie Dick Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- Marty irrtümlich sagte, in Athen – tagte, dort Entscheidungen gen Amt: zu genau jenen Themen getroffen wurden und es über deren Herr Kollege, außerhalb Ihrer Nachfrage kann ich Ih- Grundzüge sogar eine Presseerklärung des Generalsekretärs Lord George Robertson gibt, und sind das beharrliche nen sagen: Ihre Frage ist damit beantwortet. Sie haben Schweigen des damaligen Bundesministers des Innern, Otto vielleicht nicht genau zugehört: Die Grundlage Ihrer Schily, über seine Kenntnisse von der Entführung und Ver- Frage entfällt durch meinen Hinweis darauf, dass die bringung des deutschen Staatsangehörigen Khaled el-Masri Vorwürfe Herrn Martys, die Sie zitiert haben, völlig un- nach Afghanistan ebenso wie das offenkundige Nichtwissen begründet sind. des Auswärtigen Amts auf den Grundsatzteil „need to know“ dieser Vereinbarung zurückzuführen? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- Nachfrage? – Bitte. gen Amt: Herr Kollege Königshaus, die Bundesregierung weist Hellmut Königshaus (FDP): die Unterstellung zurück, Ihre schriftliche Frage Nr. 11 Herr Staatsminister, wenn es eine solche Vereinba- vom 1. April 2009 auf Bundestagsdrucksache 16/12601 rung nicht gab und insbesondere nicht den, wie Dick unzutreffend beantwortet zu haben. Ihre Frage vom Marty behauptet hat, Grundsatz „need to know“ – dass 1. April 2009 war explizit auf eine Vereinbarung bei ei- nicht alle Behörden, die eigentlich informiert werden ner NATO-Tagung in Athen Anfang Oktober 2001 ge- müssten, informiert werden sollen, sondern nur die, die richtet. Von einer solchen Tagung hatte und hat die Bun- es ohnehin erfahren –, wie erklären Sie sich dann, dass desregierung keine Kenntnis, was in der schriftlichen der Bundesinnenminister vom US-Botschafter über ei- Beantwortung der Frage vom 8. April 2009 zutreffend nen Verschleppungsfall informiert wurde, die Bundes- zum Ausdruck gebracht wurde. regierung im Übrigen darüber jedoch nicht informiert Ein Zusammenhang zwischen den NATO-Entschei- wurde, auch diejenigen nicht, die darüber informiert sein dungen vom 4. Oktober 2001 und den in der Fragestel- müssen, beispielsweise das Auswärtige Amt, der Bun- lung unterstellten angeblichen Vorgängen, über die wir deskanzler, möglicherweise auch der Chef des Kanzler- (B) eben gesprochen haben, und daraus abgeleiteten Ein- amtes – weil er für die Geheimdienste zuständig ist –, (D) schätzungen besteht unter keinen ersichtlichen Umstän- oder waren die informiert? den. Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen Amt: Nachfrage? Herr Kollege Königshaus, Ihre Frage richtet sich da- rauf, ob es auf dieser Tagung des NATO-Rats im Okto- ber 2001 irgendwelche Nebenverabredungen oder sogar Hellmut Königshaus (FDP): geheime Verabredungen gegeben hat. Ich kann nur noch Herr Präsident, ich würde doch bitten, dass, bevor ich einmal betonen, dass es solche Verabredungen nicht ge- meine Nachfragen verbrauchen muss, der Herr Staats- geben hat und dass deswegen jeder Verdacht, dass es da minister auch den zweiten Teil meiner Frage beantwor- irgendetwas gab, nichtig ist. tet, nämlich die Frage nach Herrn Schilys Verhalten. (Ute Kumpf [SPD]: Das muss dem Staats- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: minister überlassen bleiben!) Zweite Nachfrage? – Bitte.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Hellmut Königshaus (FDP): Wie der Herr Staatsminister die Fragen beantwortet, Herr Staatsminister, auch wenn es keine dieser Verab- ist allein seine Verantwortung. redungen gab, wenn es keine geheimen Verabredungen gab, haben doch irgendwann das Kabinett, der Bundes- Hellmut Königshaus (FDP): kanzler, der Bundesminister des Auswärtigen, mögli- Das stimmt schon; aber er hat sie eben in diesem cherweise auch der Chef des Kanzleramtes davon erfah- Punkt nicht beantwortet. ren, dass es diesen Vorgang gab, dass ein deutscher Staatsbürger verschleppt worden ist, dass der US-Bot- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das schafter den Bundesinnenminister – der dafür gar nicht passiert hier öfter! – Ute Kumpf [SPD]: Das zuständig war – darüber informiert hat, dieser aber alle passiert schon mal!) Informationen für sich behalten hat, anstatt sie pflichtge- mäß weiterzugeben. Was hat die Bundesregierung nach Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kenntnis dieser Umstände eigentlich unternommen, dis- Das ist auch seine Verantwortung. ziplinarrechtlich oder in welcher Form auch immer? 23460 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

(A) Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- natürlich vor dem Hintergrund der Beitrittsverhandlun- (C) gen Amt: gen der EU mit der Türkischen Republik. Herr Kollege Königshaus, es tut mir leid: Es wird nicht funktionieren und kann nicht funktionieren, dass Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie hier Fragen stellen, die den 1. Untersuchungsaus- Eine weitere Nachfrage? – Bitte. schuss beschäftigt haben. Sie können nicht erwarten, dass hier ein Staatsminister des Auswärtigen Amtes Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): (Hellmut Königshaus [FDP]: Die Wahrheit Danke, Herr Präsident. – Wie sieht die Bundesregie- sagt!) rung die in der Türkei gegen regierungskritische Medien- Ihnen aus der Problematik hilft, dass Sie in diesem Un- gruppen verhängten immens hohen Strafen? Beispielsweise tersuchungsausschuss offenbar nicht zu den Ergebnissen waren es bei der Dogan-Gruppe 385 Millionen Euro, nur gekommen sind, die Sie sich erhofft hatten. Ich kann das weil irgendetwas verspätet eingereicht worden ist. Mei- nicht nachliefern. nen Sie nicht, dass hierbei wiederum die regierungskriti- schen Medien mundtot gemacht werden sollen oder die Pressefreiheit ganz erheblich eingeschränkt werden soll? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Alexander Bonde Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- sollen schriftlich beantwortet werden. gen Amt: Wir kommen somit zur Frage 36 des Kollegen Sollte das der Fall sein, was Sie hier sagen, Herr Kol- Dr. Hakki Keskin: lege Keskin, dann wäre dies ein Verstoß gegen die Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus, dass Grundsätze, Prioritäten und Bedingungen der Beitritts- im Rahmen der umstrittenen Ergenekon-Razzien in der Tür- partnerschaft, und dann hätte dies für die Türkei durch- kei zahlreiche Professorinnen und Professoren, Präsidenten aus Folgen im Hinblick auf den gesamten Beitrittspro- einiger Hochschulen, Medienvertreter und jüngst Mitglieder zess. Wir setzen uns überall auf der Welt – auch in der des Vereins zur Förderung des modernen Lebens – Cagdas Yasami Destekleme Dernegi –, die vor allem für die Förde- Türkei – für die Pressefreiheit ein und werden dies auch rung von sozial benachteiligten Studentinnen zuständig sind, weiterhin tun. verhaftet worden sind? Herr Staatsminister. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nun kommen wir zur Frage 37 des Abgeordneten Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- Dr. Hakki Keskin: (B) gen Amt: Gedenkt die Bundesregierung, sich aktiv dafür einzuset- (D) Herr Kollege Professor Keskin, meine Antwort lautet zen, dass in der Türkei die Repressionen gegen Laizisten und Kritiker der Regierung möglichst bald ein Ende finden? so: Der Bundesregierung sind die jüngsten Verhaftungen im Rahmen der sogenannten Ergenekon-Verfahren am 13. April 2009 bekannt. Die Bundesregierung nimmt al- Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- lerdings keine Stellung zu laufenden Gerichtsverfahren. gen Amt: Herr Kollege Professor Keskin, die Bundesregierung setzt sich weltweit für die Durchsetzung der Meinungs- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: freiheit ein; insofern habe ich eben schon ein Stück der Eine Nachfrage, Herr Keskin? Antwort vorweggenommen. Die Erwartungen, die sie in diesem Bereich an die Türkei als einen Beitrittskandida- Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): ten für die EU hat, sind in den Grundsätzen, Prioritäten Herr Staatsminister Dr. Erler, im Laufe dieses Verfah- und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Tür- rens sind unzählige insbesondere laizistisch orientierte kei eindeutig festgelegt. Sie sind feste Bestandteile des Rektoren, Professoren und Medienvertreter verhaftet politischen Dialogs, den die Bundesregierung mit der worden. Die einschlägigen Organisationen, darunter der Türkei führt, sei es bilateral, sei es auf Ebene der EU. Verband türkischer Richter und Staatsanwälte, warnen vor einer Politisierung des Justizwesens und vor einer Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Gefährdung des Rechtsstaats und der Demokratie in der Unter den Verhafteten, Herr Staatsminister, sind, wie Türkei. Dies dürfte, glaube ich, der Bundesregierung ich sagte, Menschen, die zwar gegen den Staat gerichtete nicht gleichgültig sein. rechtswidrige Handlungen begangen haben sollen, die aber in keiner Weise derartige Motive haben können. Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- Beispielsweise wurde die 74-jährige Frau Professor gen Amt: Saylan verhaftet, die mit ihrer Organisation nichts ande- Das habe ich auch in keiner Weise zum Ausdruck res tut, als sozial benachteiligten Kindern aus Anatolien bringen wollen. Ich habe nur gesagt, dass wir keine eine Bildung zu ermöglichen oder Studenten ein Stipen- Kommentare zu einem laufenden Gerichtsverfahren ab- dium zu organisieren. Diese Repressalien dauern an. geben können. Aber ich kann Ihnen versichern, Herr Weil wir gar nicht wissen, wie lange dieser Prozess dau- Kollege Keskin, dass die Bundesregierung sehr auf- ert, können wir nicht sagen: Warten wir es ab! Es sitzen merksam diese Vorfälle beobachtet, die schon an den seit einem Jahr immer noch Menschen in Haft, ohne dass Anfang des letzten Jahres zurückgehen, ganz besonders sie wüssten, weshalb sie in Haft sitzen. Daher können Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23461

Dr. Hakki Keskin (A) wir nicht so lange abwarten, bis der Prozess abgeschlos- (Dr. Hakki Keskin [DIE LINKE]: Besteht die (C) sen sein wird. Chance, noch eine Frage zu stellen?)

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen Amt: Nein, ich kann Ihnen keine weitere Nachfrage einräu- Herr Kollege Keskin, es geht auch nicht darum, zu men. Es sind noch viele Fragen anhängig. sitzen, zu warten und nichts zu tun. Sie haben jetzt einen Die Frage 38 des Kollegen Volker Beck soll schrift- Fall aus diesem Komplex herausgegriffen. Ich weiß, lich beantwortet werden. dass Sie ein guter Kenner dieser Materie sind, und ich habe auch Ihren sehr ausführlichen offenen Brief ge- Vielen Dank, Herr Staatsminister. lesen, den Sie in dieser Sache geschrieben haben und aus Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- dem deutlich wird, wo Ihre Sympathie in dieser auch nisteriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parla- politischen Auseinandersetzung liegt, die in der Türkei mentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfü- im Augenblick offensichtlich stattfindet. gung. Ich habe eben ja schon darauf hingewiesen: Die ein- Die Frage 39 des Kollegen Volker Beck soll wie- zige Möglichkeit für uns, solche Dinge anzusprechen, derum schriftlich beantwortet werden. ist, dies in dem politischen Dialog mit der Türkei zu tun. Das tun wir auch. Wir erinnern dabei immer wieder an Ich rufe die Frage 40 der Kollegin Silke Stokar von die Prinzipien, zu deren Einhaltung sich die Türkei ver- Neuforn auf: pflichtet hat und die eine wichtige Rolle in dem Beitritts- Plant die Bundesregierung in einem weiteren Reform- prozess spielen. Etwas anderes können wir auch gar abschnitt der Bundespolizei, die bahnpolizeilichen Aufgaben nicht tun. an die Länder zu übertragen, und hat es bereits Gespräche mit Polizeigewerkschaften und Personalräten zur Abgabe der bahnpolizeilichen Aufgaben an die Länder gegeben? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte, Herr Staatssekretär. Nachfrage, bitte.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): nister des Innern: Ich habe eine letzte Bitte bzw. Frage. Ich frage des- Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Kollegin Stokar halb immer wieder nach, weil die Bundesrepublik von Neuforn, ich kann Ihre Frage sehr kurz beantworten: Deutschland sehr gute und freundschaftliche Beziehun- (B) Die Bundesregierung plant keinesfalls, die bahnpolizei- (D) gen zu der Türkei hat. Gerade aufgrund dieser freund- lichen Aufgaben an die Länder zu übertragen. Es ist viel- schaftlichen Beziehungen frage ich Sie: Meinen Sie mehr so, dass die Aufgabe der Bahnpolizei eine wichtige nicht, dass Sie darauf einwirken könnten, dass Leute, die und bedeutende Säule im Aufgabenspektrum der Bun- eine laizistisch-demokratische Überzeugung haben, despolizei ist und in Zukunft auch bleiben soll. nicht mit Repressalien bedroht werden, weil sie regie- rungskritisch sind? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfragen? Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärti- gen Amt: Ich will ja gar nicht ausschließen, dass man diese Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE Dinge anspricht, wobei wir natürlich aufpassen, dass wir GRÜNEN): nicht Partei für eine Gruppierung innerhalb der Türkei Ja. – Herr Staatssekretär, ich danke für Ihre klaren ergreifen. Unser Eindruck ist – ich glaube, diesen teilen Worte hier. Vielleicht sind sie dabei hilfreich, eine ge- Sie letzten Endes ja auch –, dass es sich um eine Ausei- wisse Unruhe innerhalb der Bundespolizei, die vorhanden nandersetzung zwischen zwei sehr heterogenen Gruppen sein muss, da sie mein Büro, das Büro einer grünen Ab- – auf der einen Seite die sogenannten anatolischen Auf- geordneten, erreicht hat, wieder zu beseitigen. Das kann steiger und auf der anderen Seite die alten kemalisti- ja vielleicht auch etwas mit mangelnder Transparenz hin- schen Eliten – handelt. Das ist ja wohl der soziologische sichtlich der weiteren Reformschritte zu tun haben. Hintergrund der Auseinandersetzungen. Meine Anschlussfrage: Hat es Gespräche mit der Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass es Deutschen Bahn – ich weiß, dass die Ära Mehdorn been- zum Beispiel während der letzten spektakulären Verhaf- det ist – hinsichtlich einer Neuaufteilung der bahnpoli- tungswelle umfangreiche Waffenfunde gab. Offenbar zeilichen Aufgaben auch in Richtung Privatisierung oder sind bei dieser Auseinandersetzung also doch ernsthafte verstärkter Doppelstreifen in Bahnhöfen gegeben? Befunde zu berücksichtigen. Insofern bleibt uns nichts anderes übrig – ich kann das nur noch einmal wiederho- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- len –, als diese Dinge in dem politischen Dialog immer nister des Innern: wieder anzusprechen und zu mahnen, dass die Prinzi- Frau Kollegin Stokar, Sie wissen wahrscheinlich, dass pien, die für die Türkei gelten sollen – sie werden von es zwischen der DB AG und der Bundespolizei und dem der Türkei auch akzeptiert –, auch tatsächlich angewandt Bundesinnenministerium eine Sicherheitspartnerschaft werden. gibt. Diese Sicherheitspartnerschaft ist von der Vorgän- 23462 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Parl. Staatssekretär Peter Altmaier (A) gerregierung – von Herrn Schily – geschlossen worden. wie die Fragen 45 und 46 der Abgeordneten Sevim (C) Die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn ist sehr Dağdelen sollen schriftlich beantwortet werden. vielfältig, weil die Deutsche Bahn beispielsweise auch Ich komme zur Frage 47 der Kollegin Karin Binder. die Gebäude zur Verfügung stellt, in denen die Bundes- polizei ihre bahnpolizeilichen Aufgaben auf dem Ge- Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Um- stand, dass die französische Polizei bei den Demonstrationen lände der jeweiligen Bahnhöfe ausübt. Es ist selbstver- am 4. April 2009 in Straßburg Tausende friedlicher Demonstran- ständlich, dass nach Abschluss der Bundespolizeireform ten unter stundenlangen Tränengasbeschuss genommen hat auch mit der Deutschen Bahn darüber geredet worden und Schallgranaten auf sie abfeuerte? ist, welche Konsequenzen sich daraus für die konkrete Bitte, Herr Staatssekretär. Unterstützung der Bundespolizei durch die Deutsche Bahn ergeben. Dies wird in regelmäßigen Abständen ge- tan. Ich kann Ihnen aber noch einmal versichern, dass Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- die Wahrnehmung der der Bundespolizei gesetzlich zu- nister des Innern: gewiesenen bahnpolizeilichen Aufgaben dabei nicht zur Frau Kollegin, zu Ihrer Frage kann ich Ihnen nur sa- Disposition steht. Insofern sehe ich keinen Grund für ir- gen, dass die Bundesregierung keine Stellung zu Maß- gendwelche Besorgnisse, die es in der vergangenen Zeit nahmen nimmt, die in der Verantwortung eines anderen gegeben haben mag. Landes oder eines Bundeslandes liegen. Frankreich ist ein anderes Land. Deshalb bitte ich, mir nachzusehen, dass wir uns dazu im Detail nicht äußern. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weitere Nachfrage? Vizepräsidentin : Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Karin Binder (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage. Sie be- Herr Staatssekretär, die Bundesregierung war letztlich gannen mit dem Satz: „Frau Kollegin, Sie wissen ...“. Mitveranstalterin und Mitgastgeberin dieses Gipfels. Ich muss Ihnen hier sagen: Ich weiß nicht, obwohl ich Der Gipfel war ganz bewusst eine zweiseitige Veranstal- mehrfach schriftlich und auch unter Bezugnahme auf das tung, nämlich von Baden-Baden über Kehl nach Straß- Informationsfreiheitsgesetz darum gebeten habe, Ein- burg. Nach meiner Erkenntnis war Bundespolizei mit blick in die Verträge zwischen dem BMI und der Deut- auf französischer Seite. Daraus schließe ich, dass eine schen Bahn AG zu erhalten. Bereits Ihr Vorgänger, unser enge Zusammenarbeit zwischen französischen und deut- (B) damaliger Koalitionspartner, Bundesinnenminister Schily, schen Behörden und letztlich zwischen französischer (D) hat dies mit großer Empörung zurückgewiesen und auf und deutscher Polizei stattgefunden haben muss. Des- Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verwiesen. Deswe- halb bin ich der Meinung, dass die Bundesregierung eine gen kann ich nach wie vor nichts wissen. Auffassung dazu haben muss, wie ihr Partner – in dem Fall Frankreich – mit Grundrechten umgeht. Sie haben eben gesagt, die Bahnpolizei werde nicht zur Disposition gestellt. Davon bin ich auch nicht ausge- Meine erste Nachfrage lautet: Sind Sie davon in gangen. Sind Sie bereit, so transparent und offen zu sein, Kenntnis gesetzt worden, wie die französische Polizei dem Innenausschuss oder mir als Abgeordnete die Frage vorzugehen gedenkt? zu beantworten, ob es Pläne gibt, Aufgaben der Bahnpo- lizei in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn auch Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- unter dem Stichwort „Privatisierung“ neu zu bewerten nister des Innern: und neu zu organisieren? Frau Kollegin, man muss da sehr genau unterscheiden – das sollte sich auch in Ihrer Frage widerspiegeln –: Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Das eine ist die Tatsache, dass wir gemeinsam einen nister des Innern: NATO-Gipfel durchgeführt haben. Das andere ist der Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass ich natür- Aspekt, dass jedes Land im Rahmen seiner eigenen ge- lich nicht überblicken kann, welche Anfragen Sie an den setzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben für die vorangegangenen Minister und seine Staatssekretäre ge- Sicherheit auf seinem Territorium zu sorgen hat. Dem- richtet haben. Sie wissen aber auch, dass der Staatssekre- entsprechend oblag die Aufrechterhaltung von Sicher- tär, der heute die Fragen beantwortet, im Innenausschuss heit und Ordnung auf der deutschen Seite den deutschen im Allgemeinen als auskunftsfreudig gilt. Deshalb bin Behörden, in diesem Fall den Behörden des Landes Ba- ich gern bereit – selbstverständlich im Rahmen der den-Württemberg; die Sicherheit auf französischer Seite rechtlichen und gesetzlichen Möglichkeiten –, Auskunft oblag den französischen Behörden. zu diesen Fragen zu geben. Die Frage ist, inwieweit man sich dabei gegenseitig – auch grenzüberschreitend – unterstützt. Sie wissen, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dass es rechtlich möglich ist, Einheiten der Bundespoli- Vielen Dank. zei sowohl den Polizeien der Bundesländer als auch grenzüberschreitend den Polizeien anderer Mitgliedstaa- Die Fragen 41 und 42 der Abgeordneten Ulla Jelpke, ten zu unterstellen. Genau dies geschieht seit vielen Jah- die Fragen 43 und 44 der Abgeordneten Inge Höger so- ren immer wieder und ist auch in Straßburg erfolgt. Ich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23463

Parl. Staatssekretär Peter Altmaier (A) weise in diesem Zusammenhang beispielsweise darauf 220 Beamtinnen und Beamte aus elf verschiedenen eu- (C) hin, dass wir seit dem Jahr 2003 jährlich anlässlich des ropäischen Ländern in Deutschland im Einsatz waren. Weltwirtschaftsforums in Davos etwa 70 Beamte mit Sie haben ihre Befugnisse nach deutschem Recht – auf Wasserwerfern zur Unterstützung der Schweizer Kan- der Grundlage des Bundespolizeigesetzes – und unter tonspolizei einsetzen der Verantwortung der deutschen Bundespolizei ausge- übt. Dies ist ein Beispiel dafür, wie weit die Zusammen- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: arbeit im europäischen Rahmen inzwischen gediehen ist. Sehr gut!) Das ist aus der Sicht der Bundesregierung ein sehr posi- und der Schweizer Polizei unterstellen. Wir haben auch tives Zeichen dafür, dass man sich in Europa gegenseitig im Rahmen des NATO-Doppelgipfels zwei Einsatzhun- unterstützt. dertschaften und vier technische Einheiten mit Gerät – unter anderem auch sechs Wasserwerfer einschließlich Vizepräsidentin Petra Pau: Besatzung – der französischen Polizei unterstellt. Ein Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Silke solcher Einsatz in Straßburg erfolgt selbstverständlich Stokar von Neuforn das Wort. nach französischem Recht und in der Verantwortung Frankreichs. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE Sie haben davon gesprochen, dass bestimmte Grund- GRÜNEN): rechte nicht eingehalten worden sind. Das kann ich nicht Herr Staatssekretär, Sie haben hier zu Recht ausge- beurteilen, weil dies nach französischem Recht und vor führt, dass es eine länderübergreifende Polizeikonzep- französischen Gerichten zu überprüfen ist. Frankreich ist tion zum NATO-Gipfel gegeben hat. Den Innenpoliti- ein Mitgliedstaat der Europäischen Union. Damit spricht kern ist sicherlich bekannt, dass das jeweilige viel dafür, dass Frankreich genau wie Deutschland ein Landespolizeirecht Gültigkeit hat. Da es auch in Rechtsstaat ist und die dortigen Polizeibefugnisse nach Deutschland des Öfteren Unterstellungsverhältnisse zwi- rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgeübt werden. Ich schen den Bundesländern nach den jeweiligen Polizeige- habe jedenfalls keine anderen Erkenntnisse. setzen gibt, ist mir bekannt, dass vor einer Unterstellung Gespräche über eine gemeinsame Einsatzkonzeption ge- Vizepräsidentin Petra Pau: führt werden. Ich würde es begrüßen, wenn die Bundes- Ihre zweite Nachfrage. polizei und die Vertretung des BMI bei zukünftigen An- lässen versuchten, anderen europäischen Ländern, insbesondere den Ländern, die über Gendarmerieeinhei- Karin Binder (DIE LINKE): ten verfügen, die in Deutschland gewachsenen Deeska- (B) Verstehe ich es also richtig, dass die deutsche Bundes- lationskonzepte inklusive Konfliktmanagement und Prä- (D) polizei auf französischem Boden quasi auf Anweisung vention gegen Gewalt näherzubringen. der französischen Polizei gehandelt hat? War das auch der Grund dafür, dass zum Beispiel ein deutsches Feuer- Meine Frage an Sie lautet: Gibt es neben der Unter- wehrfahrzeug nicht zum Löschen des Brandes an der stellung nach der jeweils geltenden Rechtslage gemein- Zollstation, der sich über Stunden hinzog, durchgelassen same Gespräche über eine deeskalierende Einsatzkon- wurde? Ich verstehe in diesem Zusammenhang einiges zeption, und müsste es nicht Voraussetzung sein, dass es, nicht. Ich war vor Ort und konnte vieles beobachten, bevor sich die Bundespolizei italienischen – ich erinnere über das ich nur den Kopf schütteln kann. Ich verstehe nur an Genua – oder französischen Gendarmerieeinhei- nicht, wie die deutschen Behörden da einfach zuschauen ten unterstellt, eine Verständigung darüber gibt, wie man konnten. mit friedlichen Demonstranten umgehen möchte?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister des Innern: nister des Innern: Frau Kollegin, Sie werden mir recht geben, dass es Ich will eines zunächst klarstellen: Ich habe in meinen keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Ausführungen nicht gesagt, dass es eine gemeinsame Einsatz der technischen Einheiten und der Wasserwerfer Einsatzkonzeption gegeben hat. Vielmehr habe ich ge- und den Problemen gibt, die es möglicherweise mit dem sagt, dass es eine Zusammenarbeit gegeben hat. Eine Feuerwehrfahrzeug gegeben hat. Mir ist ein solcher Zu- solche Zusammenarbeit gibt es inzwischen bei vielen in- sammenhang nicht bekannt. Deshalb halte ich es auch ternationalen Großveranstaltungen wie Weltwirtschafts- nicht für zulässig, dass man ihn andeutet oder insinuiert. gipfeln, Weltwirtschaftsforen sowie Fußballwelt- und Die Kräfte der deutschen Bundespolizei, die der franzö- Fußballeuropameisterschaften, genauso wie bei diesem sischen Polizei unterstellt worden sind, haben ihre Auf- NATO-Doppelgipfel. Das ist der erste Punkt. gaben im Rahmen der französischen Einsatzleitung nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt. Daran habe ich Der zweite Punkt ist: Es ist richtig, dass es in Europa keinen Zweifel. durchaus unterschiedliche Einsatzkonzeptionen und Polizeikulturen, Kulturen der Polizeiarbeit, gibt. Ich Im Übrigen sind in der Vergangenheit auch schon Po- möchte dem Eindruck entgegentreten, dass unsere Poli- lizeikräfte aus befreundeten EU-Mitgliedstaaten der zeikultur immer die bessere wäre und dass deswegen alle deutschen Polizei unterstellt worden. Ich darf daran erin- anderen von uns zu lernen hätten. Ich glaube, wir können nern, dass bei der Fußballweltmeisterschaft etwa in Europa einiges voneinander lernen. Ein Ziel der euro- 23464 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Parl. Staatssekretär Peter Altmaier (A) päischen Innenpolitik, die der Bundesinnenminister seit oder italienischen Parlament über den Einsatz der Bun- (C) nunmehr vier Jahren verfolgt, ist, dass sich schrittweise despolizei in Deutschland diskutiert würde. Das, was eine gemeinsame Polizeikultur bzw. Gemeinsamkeiten den Einsatz der französischen Polizei in Frankreich, einer Polizeikultur in Europa durch solche Zusammenar- auch bei diesem NATO-Gipfel, betrifft, sind Fragen, die beiten, aber auch durch gemeinsame Ausbildungs- und von der französischen Öffentlichkeit und im französi- Schulungsmaßnahmen für Polizeibeamte, Polizeioffi- schen Parlament und in den dafür vorgesehenen Aus- ziere und Grenzpolizisten herausbilden. Es wird ein schüssen diskutiert werden und die gegebenenfalls durch wichtiger Aspekt bei der Erarbeitung des Stockholmer französische Gerichte überprüft und von diesen entschie- Programms, das an die Stelle des Programms von den werden, so wie es umgekehrt in Deutschland der Tampere und des Haager Programms treten soll, sein, Fall wäre. Ich glaube, das ist ganz normal in einer demo- dass wir uns in dieser Hinsicht entwickeln. Ich vertrete kratisch verfassten Gesellschaft. Deshalb sollten wir das aber nach wie vor nachdrücklich die Auffassung, dass akzeptieren. Sie haben die Möglichkeit, im Rahmen der dies nicht bedeutet, dass bis zu einem solchen Zeitpunkt europäischen Zusammenarbeit mit Kolleginnen und sämtliche Zusammenarbeit mit Polizeien in den Nach- Kollegen diese Fragen in der französischen Assemblée barstaaten einzustellen ist. Wir halten eine solche Zu- nationale und im französischen Senat, also dort, wo sie sammenarbeit für richtig, geboten und gerechtfertigt. Im hingehören, zu thematisieren. Übrigen erfolgt sie auf der Grundlage des Vertrages von Prüm, der von diesem Hohen Haus ratifiziert und be- Vizepräsidentin Petra Pau: schlossen wurde. Genau dort steht drin, dass es möglich Eine weitere Nachfrage stellt nun der Kollege Bodo ist, deutsche Polizeieinheiten beispielsweise französi- Ramelow. schen, niederländischen oder belgischen Polizeien zu unterstellen. Das tun wir mit Augenmaß und im Hinblick auf die gemeinsame Sicherheit. Bodo Ramelow (DIE LINKE): Herr Staatssekretär Altmaier, ich kann Sie informie- ren, dass im Thüringer Landtag die CDU einmal den Po- Vizepräsidentin Petra Pau: lizeieinsatz in Berlin thematisiert hat, weil es ihr gerade Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Heike opportun erschien, über Vorkommnisse am 1. Mai zu re- Hänsel das Wort. den, um von Ereignissen in Thüringen abzulenken. Aber ich pflichte Ihnen bei: Eigentlich gehört sich das nicht; Heike Hänsel (DIE LINKE): das ist jeweils dort zu klären, wo die Verantwortung Herr Staatssekretär, wenn man einen weltweiten Ver- liegt. gleich anstellt, dann muss man sagen, dass es viele Län- (B) Die Frage, über die wir gerade reden, betrifft aber (D) der gibt, in denen sich die Bundesregierung sehr aktiv Folgendes: Wenn deutsche Staatsbürger im Rahmen ei- einmischt und sich dazu äußert, wie sich die jeweiligen nes Polizeieinsatzes außerhalb des deutschen Staatsge- Polizeien verhalten. Wir kritisieren Menschenrechtsver- biets, an dem deutsche Polizeibeamte beteiligt sind, in letzungen in verschiedenen Ländern der Erde. Ich denke, eine solche Situation kommen, wird man doch im Deut- in Frankreich gab es massive Übergriffe, übrigens auch schen Bundestag darüber reden können. Die deutschen auf deutsche Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. Es wa- Polizisten unterliegen doch weiterhin dem deutschen ren auch etliche Abgeordnete dieses Parlaments unter Dienstrecht. Ich gehe doch recht in der Annahme, dass denen, die von massivem Tränengaseinsatz und von An- sie disziplinarrechtlich weiterhin unserer Diensthoheit griffen mit Blend- und Schockgranaten betroffen waren. unterliegen? Kann ich davon ausgehen, dass Sie sagen, Frankreich sei ein Rechtsstaat und insofern interessiere Sie das Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nicht, es werde schon alles seinen richtigen Gang ge- nister des Innern: nommen haben, oder – wenn dem nicht so ist – was ge- Herr Kollege Ramelow, man muss genau differenzie- denken Sie zu tun, um diesen Vorfällen nachzugehen ren. Sie haben jetzt danach gefragt, wie sich deutsche und aufzuklären, ob das Recht von deutschen Staatsbür- Polizisten in Frankreich verhalten haben. Mir ist nicht gerinnen und Staatsbürgern auf Demonstrationsfreiheit bekannt, dass von irgendeiner Stelle Vorwürfe gegen verletzt worden ist? deutsche Polizisten, die in Frankreich eingesetzt worden sind, erhoben worden wären. Sollte dies der Fall sein, Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- würde ich dem selbstverständlich nachgehen. nister des Innern: Frau Kollegin, ich habe nicht gesagt, dass man be- Vizepräsidentin Petra Pau: stimmten Vorwürfen nicht nachgehen soll. Nur, man Herr Kollege Ramelow, Sie haben nur eine Nach- muss immer genau unterscheiden, wer ihnen nachgeht frage. und wo man ihnen nachgeht. So wie Sie es mit Recht für verwunderlich hielten, wenn beispielsweise im Bayeri- Ich rufe jetzt die Frage 48 der Kollegin Karin Binder schen Landtag über den Einsatz der Polizei im Land Ber- auf: lin diskutiert würde, bei dem möglicherweise bayerische Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass die po- Touristen in der Landeshauptstadt beteiligt waren, so lizeilichen Maßnahmen, wie zum Beispiel die Art der Grenz- kontrollen, die Aus- bzw. Einreiseverbote, der Beschuss der würde man es mit Recht auch für befremdlich halten, Demonstrationsteilnehmer und -teilnehmerinnen mit Tränen- wenn beispielsweise im spanischen, portugiesischen gas und Schallgranaten, die Blockade der Abschlusskundge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23465

Vizepräsidentin Petra Pau (A) bung und andere Repressionsmaßnahmen, schwerwiegende Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- (C) Eingriffe in die demokratischen Grundrechte der NATO-Kriti- nister des Innern: ker und -Kritikerinnen darstellen, und wie begründet sie ihre Auffassung? Das will ich gerne tun, Frau Präsidentin. – Zum einen zu der zeitlich befristeten Wiedereinführung von Grenz- Der Herr Staatssekretär hat weiterhin das Wort. kontrollen: Das europäische Recht gibt uns dazu die Möglichkeit. Es muss begründet werden; es gibt Verfah- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- ren dazu. Wir haben dies bei ähnlichen Ereignissen, etwa nister des Innern: dem G-8-Gipfel in Rostock und Heiligendamm, bei der Ich kann die Frage für die Bundesregierung wie folgt Fußballweltmeisterschaft, bei der Fußballeuropameister- beantworten: Erstens. Das Grundrecht auf Versamm- schaft, in der Vergangenheit getan. Es gibt keinerlei lungsfreiheit war und ist gewährleistet. Hinweise darauf, dass eine solche Maßnahme die Ge- waltbereitschaft von Demonstranten steigert. Ganz im Zweitens. Zu Maßnahmen, die in der Verantwortung Gegenteil: Wir haben in der Vergangenheit die Erfah- eines anderen Landes liegen, nimmt die Bundesregie- rung gemacht, dass allein die Ankündigung, dass solche rung keine Stellung. Die Veranlassung sicherheitspoliti- Grenzkontrollen punktuell möglicherweise wieder statt- scher Maßnahmen anlässlich dieses Gipfels lag in der finden – zeitlich befristet –, dazu führt, dass gewaltbe- Verantwortung der zuständigen Behörden; das habe ich reite Demonstranten abgeschreckt werden. Das ist eine bereits ausgeführt. Wirkung, die beabsichtigt war und ist. Ich glaube, das Was die Grenzkontrollen der Bundespolizei angeht hat auch bei dem NATO-Gipfel durchaus dazu beigetra- – das ist etwas, was in die Verantwortung des Bundesin- gen, dass es auf der deutschen Seite der Grenze jeden- nenministeriums fällt –, kann ich Ihnen sagen, dass sie falls nicht zu schweren Ausschreitungen gekommen ist zeitlich und örtlich flexibel erfolgt sind und sich an dem und dass die Demonstranten, die auf der deutschen Seite notwendigen Maß der Kontrollintensität orientiert ha- demonstriert haben, in ihrer ganz großen Mehrheit fried- ben. Das heißt, wir haben uns bemüht, die Menschen so lich und friedliebend waren. wenig wie möglich in ihrer Mobilität und Reisefreiheit Was nun die Sperrung der Brücke über den Rhein an- zu beeinträchtigen. Sofern im Einzelfall hinreichende In- geht: Dies war eine Einsatzmaßnahme, über die unter dizien vorlagen, dass sich Personen an gewalttätigen Würdigung der Gesamtumstände vor Ort von der zustän- Ausschreitungen beteiligen, hat die Bundespolizei ge- digen Polizei – das war die Polizei des Landes Baden- mäß der geltenden Rechtsvorschriften Ausreiseuntersa- Württemberg – zu entscheiden war; darüber ist also nicht gungen bzw. Einreiseverweigerungen verfügt. Das war von der Bundesebene entschieden worden. Ich kann da- allerdings nur in Einzelfällen der Fall. her dazu nicht en détail Stellung nehmen. Ich will aber (B) sagen, dass nach meiner Kenntnis die Überlegung, die (D) Vizepräsidentin Petra Pau: dazu geführt hat, die Brücke zu sperren – das war keine Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Entscheidung, die einem leichtfällt; schließlich ist die Demonstrationsfreiheit ein hohes Gut –, dadurch mit be- Karin Binder (DIE LINKE): dingt war, dass es auf der einen Seite der Brücke, auf deutscher Seite, friedliche Demonstranten gab, und dass Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, dass es auf der anderen Seite der Brücke, auf französischer die Maßnahmen, die im Vorfeld dieses Gipfels getroffen Seite, zu schweren Ausschreitungen gekommen war, un- wurden – gerade was die Themen „Ein- und Ausreise“, ter Beteiligung einer erheblichen Anzahl gewaltbereiter die Kontrollen und die Polizeipräsenz angeht –, eher Demonstranten. provozierend als deeskalierend gewirkt haben? Nun war die Absicht, zu verhindern, dass sich beide Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal an- Demonstrantengruppen vermischen, um Übergriffe und sprechen, dass ein ordnungsgemäß angemeldeter De- Auswirkungen von Gewalt auf unschuldige und friedli- monstrationszug nicht stattfinden konnte; der Zugang che Demonstranten zu vermeiden. Das hat zu der Sper- zur Europabrücke nach Straßburg wurde verwehrt. Es rung der Brücke geführt, die ich nicht kommentieren war Abgeordneten, die sich ein Bild vor Ort machen kann, weil sie nur unter Kenntnis der genauen Situation wollten, definitiv nicht möglich, den Demonstranten vor Ort, die sich zu diesem Zeitpunkt gestellt hat, zu be- dazu zu verhelfen, ihr Grundrecht wahrzunehmen, das urteilen ist. heißt das Grundrecht wahrzunehmen, über die Brücke nach Straßburg zu gehen, um dort mit friedlichen De- monstranten, die auf der anderen Rheinseite auf den De- Vizepräsidentin Petra Pau: mozug aus Kehl warteten, auf einer dort angemeldeten Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. – Sie Kundgebung eine gemeinsame Aktion durchzuführen. verzichten. Ich muss einfach sagen: Mir reichen Ihre Ausführun- Dann hat der Kollege Ramelow das Wort zu einer gen leider nicht. Nachfrage.

Vizepräsidentin Petra Pau: Bodo Ramelow (DIE LINKE): Kollegin Binder, Sie hatten Ihre Frage schon am An- Herr Staatssekretär Altmaier, mein Hinweis gerade fang formuliert. Ich rege an, dem Herrn Staatssekretär bestand aus einer Feststellung und einer abstrakten die Möglichkeit zu geben, die Frage zu beantworten. Frage. Die Feststellung war: Wenn Parlamentarier des 23466 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Bodo Ramelow (A) Deutschen Bundestages in einem anderem Land durch ligt werden, bei denen Mittel angewandt werden, die mit (C) Polizeimaßnahmen oder durch andere Umstände in kriti- deutschem Verfassungsrecht und damit auch mit deut- sche Situationen kommen, ist es durchaus üblich, dass schem Polizeirecht vereinbar sind. wir hier darüber debattieren. Ich erinnere daran, dass, nachdem Volker Beck in Russland auf schlimme Art und Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Weise zusammengeschlagen worden ist, darüber hier im nister des Innern: Parlament debattiert worden ist. – Das war eine Feststel- Liebe Frau Kollegin, da Sie eine anerkannte Expertin lung. auf dem Gebiet Polizei und Polizeirecht sind, werden Sie Meine Frage bezog sich auf das Dienstrecht für die wahrscheinlich wissen, dass wir es in den letzten Beamten. Ich habe keinen Vorwurf erhoben, sondern 60 Jahren nicht einmal in Deutschland geschafft haben, habe Sie nach dem Dienstrecht gefragt. Meine Frage ein einheitliches Polizeirecht für alle Bundesländer zu war: Wenn deutsche Beamte einer anderen Polizeifüh- schaffen. Jedes Bundesland hat ein eigenes Polizeirecht rung unterstellt werden, unterliegen sie dann nicht dem mit zum Teil anderen Ausformungen, was Eingriffsvo- deutschen Dienstrecht und dem deutschen Disziplinar- raussetzungen angeht. Es gab in den 80er-Jahren einen recht? Musterentwurf für ein einheitliches Polizeirecht, aber wir haben bis heute kein bundeseinheitliches Polizei- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- recht. nister des Innern: Wenn wir nicht einmal innerstaatlich ein einheitliches Dem unterliegen sie selbstverständlich. Ich möchte Polizeirecht haben, dann muss man auch akzeptieren Ihnen vorschlagen, dass wir die Antwort auf die Frage, und damit leben – das zu sagen ist, glaube ich, nicht ver- welche dienstrechtlichen Konsequenzen sich während messen –, dass es in den 27 zum Teil sehr unterschiedli- des Unterstellungszeitraumes im Einzelnen ergeben, chen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unter- schriftlich nachreichen, weil ich vermeiden möchte, dass schiedliche Polizeirechte gibt. ich Ihnen sozusagen aus der hohlen Hand heraus unge- nau antworte. Das bedeutet nicht, dass wir unterschiedliche Grund- rechtsstandards haben. Die wesentlichen Grundrechte sind Im Übrigen ist es selbstverständlich das gute Recht in allen Mitgliedstaaten gleich. Es gibt die Möglichkeit, jedes Parlamentes, darüber zu diskutieren, wenn einzel- vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nen seiner Mitglieder in rechtswidriger Weise Schaden in Straßburg und vor dem Europäischen Gerichtshof in zugefügt worden ist. Das ist aber eine Feststellung, die in Luxemburg bestimmte europäische Grundrechtsverbür- den Fragen, die der Bundesregierung hier vorliegen, gungen einzuklagen; das geschieht auch in vielen Fällen. (B) nicht enthalten war. (D) Wenn es also kein gemeinsames Polizeirecht gibt, we- Vizepräsidentin Petra Pau: der für die Bundesländer noch auf europäischer Ebene, Dann hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn das dann verwundert es nicht, dass es auch auf der unteren Wort zu einer Nachfrage. Ebene unterschiedliche Vorstellungen über Einsatzkon- zeptionen gibt und dass Einsatzkonzeptionen, die wir in Deutschland beispielsweise ganz selbstverständlich zu- Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE grunde legen, in anderen Ländern differenziert, mit Ab- GRÜNEN): weichungen, anders gehandhabt werden. Würde man die Herr Staatssekretär, ich will vorwegschicken: Ich teile Zusammenarbeit im europäischen Rahmen jeweils da- durchaus die Auffassung und halte es auch für eine von abhängig machen, dass man gemeinsame taktische Selbstverständlichkeit, dass das Versammlungsrecht nur Einsatzkonzeptionen entwickelt, dann würde es in vielen friedlich und gewaltfrei wahrgenommen werden kann, Fällen zu solchen Einsätzen nicht kommen. und ich verurteile die organisierten Ausschreitungen, die auch immer ein Angriff auf die Versammlungsfreiheit Genauso ist es in der Bundesrepublik Deutschland. anderer sind. Ich habe das in meinem Leben oft genug Wenn die Polizei des Landes Niedersachsen der baden- erlebt. Dennoch stellt sich für mich bei diesen europäi- württembergischen Polizei Einheiten unterstellt oder das schen Polizeieinsätzen die Frage der Bindungswirkung Umgekehrte geschieht – das kommt wahrscheinlich häu- zum Beispiel des Brokdorf-Urteils auf deutsche Polizei- figer vor –, dann wird man vorher nicht in allen Einzel- beamte. heiten über gemeinsame Einsatzkonzeptionen reden, sondern man hat Vertrauen in die Polizei des anderen Ich möchte deshalb noch einmal das Thema Vorge- Bundeslandes. Ich denke, dass man ein gewisses Grund- spräche ansprechen. Es kann meiner Auffassung nach maß an Vertrauen in die Polizei von Nachbarländern wie nicht sein, dass in einem gemeinsamen Einsatz französi- Frankreich oder den Niederlanden oder Belgien oder Lu- scher und deutscher Polizisten der Einsatzleiter zu den xemburg voraussetzen kann, auch wenn nicht alles, was Franzosen sagt: Nehmt ihr mal die Schallgranaten, dort für sinnvoll gehalten wird, von uns als richtig erach- nehmt ihr mal die Einsatzmittel, die aufgrund der Vorga- tet wird und umgekehrt. ben des Bundesverfassungsgerichtes in Deutschland ver- boten sind. Das dürfen wir nicht, das könnt ihr jetzt ma- Wenn es im Einzelfall zu nicht rechtmäßigem Verhal- chen. – Nach meiner Meinung muss es bei einer ten einzelner Polizistinnen oder Polizisten kommen gemeinsamen Einsatzbesprechung Klarheit darüber ge- sollte – das kann in allen Ländern geschehen, auch in ben, dass deutsche Polizeibeamte nur an Einsätzen betei- Deutschland –, dann muss das mit allen Mitteln des Dis- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23467

Parl. Staatssekretär Peter Altmaier (A) ziplinarrechts und notfalls auch mit allen Mitteln des Vizepräsidentin Petra Pau: (C) Strafrechts verfolgt und geahndet werden. Das geschieht Wir kommen zur Frage 49 der Kollegin Heike auch immer wieder. Wir haben in allen Ländern der Eu- Hänsel: ropäischen Union eine unabhängige Gerichtsbarkeit, die Wie beurteilt die Bundesregierung die Abriegelung der sich dieser Aufgabe stellt. Europabrücke deutsche Seite – Kehl – durch Landes- und Bundespolizei am 4. April 2009, die einen angemeldeten De- monstrationszug über die Brücke verhinderte und es auch Vizepräsidentin Petra Pau: mehreren Mitgliedern des Deutschen Bundestages der Frak- Die letzte Nachfrage zur Frage 48 stellt nun die Kol- tion Die Linke – namentlich Sevim Dağdelen, Heike Hänsel – erst nach mehrmaligem Protest und halbstündiger Wartezeit legin Heike Hänsel. ermöglichte, die Brücke bis zur Mitte zu passieren, während der Durchgang für andere Mitglieder des Deutschen Bundes- tages – namentlich Hans-Christian Ströbele, Sylvia Kotting- Heike Hänsel (DIE LINKE): Uhl – von der Polizei an gleicher Stelle schneller organisiert Herr Staatssekretär, Sie haben sich noch einmal zur wurde? Sperrung der Europabrücke geäußert. Das war aber nicht Bitte, Herr Staatssekretär. die einzige Sperrung. Es waren zahlreiche Brücken über den Rhein mehrere Tage lang gesperrt, auch noch bis Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Sonntag. Das gilt gleichfalls für etliche Autobahnaus- fahrten und -zufahrten. Straßburg/Kehl, die gesamte Re- nister des Innern: gion, war großflächig abgesperrt. Ich glaube, ich habe diese Frage bereits in der Diskus- sion eben beantwortet. Wie ich es auch beurteile, dass es Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang fragen: mehreren MdBs der Fraktion Die Linke – namentlich Ih- Halten Sie das für verhältnismäßig und auch angemessen nen selbst und Frau Dağdelen – erst nach mehrmaligem angesichts der Tatsache, dass auf Straßburger und auf Protest und halbstündiger Wartezeit möglich war, die Kehler Seite Demonstrationen, Friedenskonferenzen, Brücke bis zur Mitte zu passieren, und dass die Passage Camps, umfassende Aktionen stattfinden sollten, die alle für andere MdBs – namentlich Hans-Christian Ströbele angemeldet und genehmigt waren? Der Zugang dazu und Sylvia Kotting-Uhl – von der Polizei an gleicher war Tausenden von Menschen gar nicht möglich, weil Stelle schneller organisiert wurde: Die polizeilichen Ab- sie stundenlange Umwege fahren mussten und zum Teil sperrungen oblagen dem einsatzführenden Land Baden- gar nicht mehr zu den Veranstaltungsorten kamen. Ich Württemberg, und der Bundesregierung lagen dazu selbst habe für die Strecke von Kehl nach Straßburg fast keine Kenntnisse vor. Aber dass der Kollege Ströbele eine Stunde gebraucht. und die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl es offenbar ge- (B) schafft haben, in einer angemessenen Zeit die Brücke zu (D) passieren, zeigt, dass die Kolleginnen und Kollegen in Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Baden-Württemberg vor Ort sich sehr wohl darum be- nister des Innern: müht haben, den Bundestagsabgeordneten im Rahmen Frau Kollegin, ich kann nur wiederholen, dass zu den ihrer Möglichkeit die Arbeit zu erleichtern. einsatzleitenden Entscheidungen der Polizei in Baden- Württemberg von hier aus nicht Stellung genommen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – werden kann; das wäre völlig unverantwortlich. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Bloß ein bisschen selektiv!) Im Übrigen ist mein Eindruck, dass die große Mehr- zahl der vielen angemeldeten Aktionen und auch De- Vizepräsidentin Petra Pau: monstrationen, von denen Sie gesprochen haben, stattge- Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte. funden hat. Es spricht, glaube ich, auch für die Demonstrations- Heike Hänsel (DIE LINKE): freiheit in Deutschland, dass es trotz der Behinderungen Genau, Herr Staatssekretär. Aber wie mir scheint, aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen – die im wurde der Durchlass entsprechend der Gesinnung er- Übrigen gerade wegen der Anwesenheit von Staats- und möglicht. Ich glaube, dass wir ein solches Verhalten der Regierungschefs aus so vielen NATO-Ländern zu stellen Polizei grundsätzlich – da möchte ich wirklich an das waren, denn wir waren ja auch für die Sicherheit der aus- Parlament appellieren – ablehnen müssten. Das ist mir ländischen Gäste verantwortlich – gelungen ist, in die- auch nicht zum ersten Mal passiert. Mir ist während der sem sehr kleinräumigen Gebiet, das sehr dicht besiedelt G-8-Veranstaltungen an vielen Polizeiabsperrungen das- ist, den Sicherheitsaspekt und den Demonstrations- selbe passiert: Ich habe meinen Abgeordnetenausweis aspekt, denen aufgrund der großen Anzahl von auslän- vorgezeigt, in dem eindeutig steht, dass ich unterstützt dischen Gästen einerseits und der sehr großen Anzahl werden muss, egal von welcher Polizeibehörde, dass ich von – auf deutscher Seite ganz überwiegend friedlieben- durch Absperrungen durchgelassen und zur Not, in einer den – Demonstrantinnen und Demonstranten anderer- gefährlichen Situation, mit polizeilichem Schutz durch- seits Rechnung zu tragen war, in einer schonenden geführt werde, und wurde zuerst nach der Parteizugehö- Weise zum Ausgleich zu bringen. Das ist, wie ich finde, rigkeit gefragt. Ich halte das – man kann das natürlich alles in allem sehr gut gelungen. Da gibt es auch keinen amüsant finden, wenn man einer anderen Partei ange- Anlass, der baden-württembergischen Polizei oder ir- hört – grundsätzlich für einen Skandal, weil sich hier die gendeiner anderen Stelle einen Vorwurf zu machen. Exekutive über die Legislative stellt. Insofern meine 23468 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Heike Hänsel (A) Nachfrage: Wie reagieren Sie auf solche Beschwerden? darüber nicht transparent gemacht zu haben und die oben an- (C) Werden Sie ihnen nachgehen, auch wenn das nicht direkt gegebenen Mitglieder des Deutschen Bundestages auf dem Rückweg zur deutschen Seite – Kehl – wiederum mehrmals in Ihre Hoheit fällt? Werden Sie Gespräche mit den Lan- aufgehalten und unnötig kontrolliert zu haben? desbehörden führen? Denn dieser Vorfall ist in meinen Augen nicht zu akzeptieren und generell zu hinterfragen. Das Wort hat der Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister des Innern: nister des Innern: Frau Kollegin, ich habe Ihren Fragen immer noch Sie sprechen diese Fragen jetzt mehrfach und immer nicht entnehmen können, was konkret Sie den Polizeibe- wieder an. Das ändert nichts daran, dass die Entschei- hörden des Landes Baden-Württemberg vorwerfen oder dung über die Sperrung der Europabrücke vor Ort – das unterstellen. Wenn es der Vorwurf sein sollte, dass Ent- habe ich jetzt schon drei- oder viermal gesagt – unter scheidungen nach Gesinnung getroffen werden, dann Abwägung aller Umstände von der einsatzführenden ba- muss ich Ihnen sagen, dass ich das schlechterdings für den-württembergischen Polizei zu treffen war. Ich habe nicht vorstellbar halte. Wenn Sie allerdings der Auffas- Ihnen die Gründe genannt, die nach meiner Kenntnis sung sind, dass Sie begründeten Anlass zur Klage haben, letzten Endes zu dieser Sperrung geführt haben. Weitere ist der normale Weg, dass Sie sich an den Bundestags- Aussagen dazu kann die Bundesregierung nicht machen, präsidenten wenden. Sofern wir von dem Herrn Bundes- da ihr keine eigenen Erkenntnisse vorliegen. tagspräsidenten dazu aufgefordert würden, würden wir uns selbstverständlich um entsprechende Auskünfte be- mühen. Vizepräsidentin : Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Vizepräsidentin Petra Pau: Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, genau deswegen möchte ich Ih- Heike Hänsel (DIE LINKE): nen meine Erkenntnisse mitteilen. Vielleicht kommen Mein konkreter Vorwurf ist, dass an derselben Stelle Sie dann zu neuen Erkenntnissen. Denn als Augenzeugin und zur gleichen Uhrzeit – nicht versetzt – beim Durch- kann ich beurteilen, dass die Sperrung der Brücke im lassen durch eine Absperrung eine unterschiedliche Be- Hinblick auf die Gefahr, die von der anderen Seite handlung von Abgeordneten stattgefunden hat, von ein drohte, völlig unverhältnismäßig war. Es gab auf der Brücke ein Verhandlungsteam, das in Absprache mit der (B) und derselben Polizeieinheit. Das halte ich für inakzep- (D) tabel. Das dürfte kein Parlamentarier und keine Parla- deutschen Polizei vereinbart hatte, den Demonstrations- mentarierin hier in irgendeiner Form akzeptieren. Meine zug über diese Brücke zu leiten. Aufgrund des Verhal- Frage lautet: Teilen Sie diese Auffassung? tens der deutschen Polizei wurde diese Absprache dann nicht eingehalten. Ich würde gerne von Ihnen, wenn Sie ein Erkenntnisinteresse haben, eine neue Einschätzung Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- dazu bekommen. nister des Innern: Liebe Frau Kollegin, ich kann noch nicht einmal be- urteilen, ob es so war, wie Sie es sagen, Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister des Innern: (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Da gibt es Zeu- Frau Kollegin, ich möchte darauf hinweisen – ich gen und Zeuginnen!) habe es auch im Innenausschuss mehrfach gesagt –, dass weil ich persönlich nicht dabei war und die Bundesregie- wir im Rahmen der Deeskalationsstrategie, die die deut- rung über keine eigenen Erkenntnisse verfügt. Deshalb schen Sicherheitsbehörden nicht zum ersten Mal, son- würde ich Ihnen vorschlagen, dass Sie Ihr Anliegen auf dern bei allen ähnlichen Großereignissen verfolgen, mit den dafür vorgesehenen parlamentarischen Wegen ver- allen Veranstaltern, die Demonstrationen und Aktivitä- folgen. Dann sollte entsprechend für Aufklärung gesorgt ten organisiert haben, Gespräche geführt haben, dass wir werden. bereit waren, die Veranstalter einzubinden, und dass wir auf Veranstalter zugegangen sind. Das ändert aber nichts daran, dass die Verantwortung für die Aufrechterhaltung Vizepräsidentin Petra Pau: von Sicherheit und Ordnung auf der Brücke und bei den Damit kommen wir zur Frage 50 der Kollegin Hänsel: Demonstrationen letztendlich nicht vom Organisations- Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten von Lan- oder Verhandlungskomitee übernommen werden konnte. des- und Bundespolizei am 4. April 2009 gegenüber mehreren Diese Verantwortung oblag vielmehr der Polizei des Mitgliedern des Deutschen Bundestages der Fraktion Die Linke – namentlich Sevim Dağdelen, Inge Höger, Ulla Jelpke, Landes Baden-Württemberg. Ausweislich der Ergeb- Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel – sowie einem Mitglied des nisse, die auf deutscher Seite unbestritten sind – die De- Europäischen Parlaments der Fraktion GUE/NGL, Confederal monstrationen sind friedlich verlaufen –, bin ich der Group of the European United Left/Nordic Green Left – na- Auffassung, dass die Polizei in Baden-Württemberg mentlich Tobias Pflüger –, auf der Mitte der Europabrücke, diese Aufgabe unter schwierigen Umständen sehr gut trotz Verhandlungsbemühungen und Zusage für eine Freigabe der Europabrücke für die angemeldete Demonstration diese gelöst hat und dass alle Beteiligten dafür unsere Aner- Zusage nicht eingehalten zu haben, die Entscheidungswege kennung verdient haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23469

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: (Jörn Thießen [SPD]: Nein! Was war vor (C) Kollegin Hänsel, Sie haben das Recht zu einer zwei- 1994?) ten Nachfrage. Ich bitte darum, sich jetzt auf die Frage Die Urteilsbegründung liegt zwar noch nicht vor, aber zu beschränken. Wir haben die für die Fragestunde vor- aus persönlichem Erleben kann ich versichern: Die gesehene Zeit inzwischen erschöpft. mündliche Urteilsbegründung lässt keinerlei Interpreta- tionsspielraum. Selbst der Revision vor dem BVG wurde Heike Hänsel (DIE LINKE): keine Erfolgsaussicht bescheinigt. Fast 600 000 Euro Wie beurteilen Sie dann die Tatsache, dass uns die Steuergelder hat das Verfahren bisher allein auf der Seite Polizei vor Ort als Grund für die Fortführung der Sper- des Verteidigungsministeriums gekostet. Meine Fraktion rung und Nichtöffnung der Brücke genannt hat, dass der teilt daher das völlige Unverständnis für jeden weiteren französische Präfekt in Straßburg ihnen gesagt habe, juristischen Schritt. Weitere Jahre Verfahrensauseinan- dass sie die Brücke nicht öffnen sollten, und sie sich da- dersetzungen und offene Entscheidungen eines Planfest- ran hielten? stellungsverfahrens – ich erinnere nur an den BBI – sind absolut inakzeptabel. Sie verlängern nur die Blockade Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- der Entwicklung einer ganzen Region. Der Verzicht auf nister des Innern: das Bombodrom wäre dagegen das beste regionale Kon- junkturprogramm. Ich kann das nicht beurteilen, weil es mir nicht be- kannt ist. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens. Das Bombodrom ist politisch nicht durch- Vizepräsidentin Petra Pau: setzbar. Der Konflikt muss nicht juristisch, sondern poli- Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. tisch gelöst werden. Die Region wehrt sich mit einer übergroßen partei- und länderübergreifenden demokrati- Die übrigen Fragen – die Fragen 51 bis 53 – werden schen Mehrheit gegen das Bombodrom. Friedensbewe- entsprechend unserer Geschäftsordnung schriftlich be- gung, Umwelt- und Naturschutzgruppen sowie regionale antwortet. Unternehmerschaft kämpfen in einer einmaligen Allianz Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Seite an Seite für ein gemeinsames Ziel. Aktuelle Stunde (Jörn Thießen [SPD]: „Seite an Seite“ ist ganz auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE wichtig!) Konsequenzen aus dem Urteil des Oberver- War ursprünglich die Bürgerinitiative „Freie Heide“ der (B) waltungsgerichtes Berlin-Brandenburg zur Motor des Widerstands, beleben unterdessen auch die (D) militärischen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Aktionsgemeinschaft „Freier Himmel“ und die Unter- Heide vom 27.03.2009 (Bombodrom) nehmerinitiative „Pro Heide“ die Debatte. Verschiedene politische Preise zeigen die hohe gesellschaftliche Aner- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- kennung für dieses bürgerschaftliche Engagement. Zu- gin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke. letzt war es übrigens der Regine-Hildebrandt-Preis der deutschen Sozialdemokratie. Aber was nutzt ein solcher Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Preis, wenn die SPD die politische Macht nicht ge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und braucht, um das Ziel zu erreichen? Kollegen! Liebe Gäste! Das OVG hat dem Bundesver- (Beifall bei der LINKEN) teidigungsministerium bescheinigt, jenseits des Rechts- staates versucht zu haben, die Nutzung von 120 Quadrat- Die wiederholten Entscheidungen von drei Landes- kilometern Kyritz-Ruppiner Heide als Bombodrom parlamenten – Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern durchzusetzen. Damit wurden die Urteile aus den drei und Berlin – genauso wie der offene Brief von 260 Kom- Musterverfahren vor dem Brandenburger Verwaltungs- munalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker werden gericht aus dem Jahr davor bestätigt. Die Linke hat heute ignoriert. Aber die Gründungen weiterer Initiativen zei- dazu eine Aktuelle Stunde verlangt, weil das Parlament gen: Die Bewegung nimmt nicht ab, sie wird eher noch unserer Meinung nach auf eine so schallende Ohrfeige breiter. Der Verzicht auf das Bombodrom ist deshalb aus für die aktuelle Bundesregierung reagieren muss. Sicht der Linken ein Gebot der Demokratie. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Aus Sicht meiner Fraktion erzwingt dieses Urteil ge- Drittens. Das Bombodrom ist wirtschaftsschädigend. radezu einen sofortigen Verzicht auf das Bombodrom, Das schreibt auch das Bundesamt für Bauwesen und und zwar aus folgenden Gründen: Raumordnung in einer Studie von 2006. „Pro Heide“ sagt, dass 15 000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Dass die Erstens. Juristisch steht die Bundesregierung mit dem Bundeswehr behauptet, Tourismus und Bombodrom Rücken an der Wand. Es waren Verteidigungsminister seien verträglich, ist absurd; das weiß man, wenn man einer rot-grünen und einer schwarz-roten Regierung, die die Region kennt. Mit mehr als 1 Milliarde Euro öffentli- 2003 und 2005 die Inbetriebnahme des Bombodroms an- cher und privater Fördermittel Geschaffenes würde ent- geordnet haben. Durch über 20 erfolgreiche Klagen seit wertet. Man kann das auch als Teilenteignung einer gan- 1994 ist diese Inbetriebnahme bisher verhindert worden. zen Region bezeichnen. 23470 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Dr. Kirsten Tackmann (A) Viertens. Das Bombodrom ist militärisch nicht not- Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C) wendig, und ein Verzicht darauf ist friedenspolitisch ge- desminister der Verteidigung: boten. Laut dem Bundesrechnungshof nutzt die Bundes- Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! wehr vorhandene Übungskapazitäten nur minimal. In Weder der Deutsche Bundestag noch die Gerichte kön- den 17 Jahren ohne Bombodrom war eine Lücke in der nen es sich so einfach machen, wie wir es gerade gehört Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr nicht erkennbar. haben. Konsequenzen aus einem Urteil kann man, jeden- falls bei der in diesem Fall unstrittig vorhandenen sehr (Bodo Ramelow [DIE LINKE]: Doch! Am komplizierten rechtlichen Materie, erst dann ziehen, Hindukusch! Zwischen Remscheid und Hin- wenn die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt; denn dukusch!) nur das ist seriös. Die liegt aber noch nicht vor. Daher Die Linke fordert darüber hinaus: Weder auf dem kommt diese Aktuelle Stunde zu früh. Bombodrom noch in der Nordhorn Range oder in Sie- (Lachen bei der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann genburg soll das geübt werden, was anderswo zu Krieg [DIE LINKE]: Darauf hoffen Sie!) und Elend führt. Es ist in der Tat so, dass dies nicht das erste Urteil (Beifall bei der LINKEN) zum Bombodrom ist. Von den 241 Verfahren, die in die- Wir bleiben verlässlich bei dem, was wir immer gesagt ser Angelegenheit den Status einer rechtlichen Ausei- haben, und zwar im Parlament, in rot-roten Regierungen nandersetzung erhalten haben, sind 221 abgeschlossen. und bei den Protesten vor Ort: kein Bombodrom – nir- 219 sind entweder in der Hauptsache für erledigt erklärt gends! oder von der Bundeswehr gewonnen worden. Zwei Ver- fahren sind nicht gewonnen worden, eines davon auch in (Beifall bei der LINKEN) zweiter Instanz nicht; darüber sprechen wir heute. Ange- sichts der insgesamt langen Zeit, die wir uns mit diesem Die Linke unterstützt die Forderung nach einer Ent- Thema schon beschäftigen, erlaubt es sich die Bundesre- scheidung vor der Wahl. Nur das ist verlässlich. Die SPD gierung, auf die schriftliche Urteilsbegründung zu war- kann sich auch nicht mit dem Verweis auf den Koali- ten. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Ber- tionspartner herausreden. Für solche Fälle gibt es das lin-Brandenburg wird, wenn sie schriftlich vorliegt, im Mittel des Gruppenantrages. Was bei den Themen Einzelnen juristisch sehr sorgfältig ausgewertet werden Stammzellforschung und Patientenverfügung möglich müssen. Erst im Anschluss daran lässt sich eine endgül- ist, das muss auch hier möglich sein. Die Linke ist dafür, tige Aussage über das weitere Vorgehen treffen. die Grünen – jetzt in der Opposition – sind es auch. Gestatten Sie mir daher, die Gelegenheit zu nutzen, (B) (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE kurz auf die Entwicklung der Diskussion über Wittstock (D) GRÜNEN]: Vorher auch! Aber da waren Sie einzugehen. Die Erinnerung einiger, die früher mittelbar noch nicht im Parlament!) oder unmittelbar Verantwortung für unsere Bundeswehr Die SPD hat in ihrem gerade verabschiedeten Wahlpro- getragen haben, scheint mir ein wenig lückenhaft zu gramm geschrieben: sein. Es schadet nie, sich an die Fakten, auch an die his- torischen, zu erinnern. Als wir in den Jahren 1992 und Wir treten dafür ein, den Rechtsstreit um die künf- 1993 im Deutschen Bundestag intensive Diskussionen tige Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide zu be- über das Truppenübungsplatzkonzept der Bundeswehr enden und auf eine militärische Nutzung zu ver- führten, war ein zentraler Aspekt, dass die mit dem zichten. Übungsbetrieb zwangsläufig verbundenen Belastungen regional möglichst ausgewogen zu verteilen sind. Das Damit stünde die rot-rot-grüne Mehrheit. Die CDU- war damals im Grundsatz einvernehmlich die Position Abgeordneten aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom- aller im Bundestag vertretenen Parteien. mern und Berlin müssten aufgrund der Beschlüsse der Landesparlamente zustimmen. Das würde eventuelle (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Abweichler von SPD und Grünen ausgleichen. NEN]: Das stimmt nicht! Nein! Die SPD hat dagegen gestimmt!) (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der SPD) Dieses Haus hat im Januar 1993 dem Truppenübungs- platzkonzept zugestimmt. Sowohl die Bundesminister Aus meiner Sicht ist jetzt die SPD am Zug. Scharping und Struck – Herr Kollege, ich vermute, das Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. gilt auch für die die damalige Regierung tragende Koali- tion – als auch der Deutsche Bundestag haben die militä- (Beifall bei der LINKEN – Christian Lange rische Nutzung des Truppenübungsplatzes Wittstock als [Backnang] [SPD]: So stellt sich also die PDS notwendig angesehen. Demokratie vor!) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mehr- heitlich wir nicht! Wir nicht!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundesta- Christian Schmidt. ges hat mehrheitlich festgestellt, dass die Luft-Boden- Schießausbildung in Deutschland künftig auf den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Übungsplätzen Nordhorn, Siegenburg und Wittstock Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23471

Parl. Staatssekretär Christian Schmidt (A) ausgewogen stattfinden soll. Der Kollege Kues, der Sie wollen eine andere Konzeption. Sagen Sie ehrlich, (C) nachher das Wort ergreifen wird, der Kollege Götzer und worum es Ihnen geht, und spielen Sie nicht durch irre- andere haben sich zu Wort gemeldet und die Sicht ihrer führende Begrifflichkeiten mit Ängsten und Sorgen von Region dargelegt. Dies ist von den zuständigen Fachaus- Menschen. schüssen des Deutschen Bundestages in der Folge – ich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie denke, zum letzten Mal im Jahr 2005 – immer wieder bei Abgeordneten der SPD) bestätigt worden. Ich möchte Sie an etwas erinnern: Als die Rote Ar- Ich sage das nicht vorwurfsvoll. Ich will nur deutlich mee seinerzeit diesen Übungsplatz nutzte, und zwar in machen, dass es sich bei der Entscheidung zu Wittstock einer Art und Weise, wie es für die Bundeswehr gänzlich um eine nicht nur juristisch, sondern auch militärisch undenkbar wäre, sehr komplexe Angelegenheit handelt, sodass der Blick nicht nur auf Wittstock gerichtet werden kann. ( [CDU/CSU]: So ist es!) Diejenigen, die für die Einsatzfähigkeit unserer Streit- hat die SED einzelne Protestierende, die versucht haben, kräfte, aber auch für die angemessene Verteilung von sich zu wehren, massiv unterdrückt. Auch das gehört zur Übungsbelastungen auf die Bevölkerung in ganz Wirklichkeit dieser Geschichte. Deutschland Verantwortung tragen, müssen sehr sorgfäl- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten tig bewerten und entscheiden. Wir alle wissen, dass die der CDU/CSU und der SPD – Dr. Kirsten gegenwärtige Belastung insgesamt erfreulicherweise in Tackmann [DIE LINKE]: Was rechtfertigt keiner Weise mit derjenigen zu vergleichen ist, die wir in denn das?) früheren Zeiten, als die sowjetischen Truppen diesen Platz genutzt haben – damals hatte der Begriff Bombo- Ich möchte eine Bemerkung an die Grünen richten. drom eine Berechtigung –, erlebt haben. Solange die Da Sie nach uns sprechen werden, haben wir dann nicht Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr mit Zustim- mehr die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Liebe Kolle- mung der Mehrheit des Deutschen Bundestages in ge- ginnen und Kollegen von den Grünen, auch Ihre Glaub- fährliche Einsätze entsandt werden – das gilt auch für die würdigkeit in dieser Frage ist nicht wirklich gegeben. Luftwaffe –, steht für unser Haus grundsätzlich die Ver- (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- antwortung für deren angemessene Ausbildung an erster NEN]: Sie haben nur nicht aufgepasst! – La- Stelle. Wir nehmen diese Verantwortung ernst. Diese chen bei Abgeordneten der SPD) Ausbildung muss für das gesamte Auftragsspektrum deutscher Streitkräfte auch in Deutschland möglich sein. Die Sache ist ganz einfach, Herr Kollege Nachtwei: Sie hätten in Ihrer Regierungszeit, also unter Rot-Grün, die (B) Nur so kann die erforderliche Flexibilität gewährleistet (D) werden. Gelegenheit gehabt, diesen Übungsplatz aus der Kon- zeption herauszunehmen. Die gerichtlichen Entscheidungen von heute haben (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ihre Grundlage im Jahr 2003. Es wäre unseriös, über die NEN]: Ich kann dokumentieren, was wir da Konsequenzen aus einem Urteil abschließend zu spre- gemacht haben!) chen, dessen schriftliche Urteilsgründe noch nicht vor- liegen. Wir werden dies dann zu bewerten und im Lichte Das haben Sie nicht getan. Im Gegenteil: Sie haben diese aller genannten Erwägungen und Überlegungen zu ent- Konzeption unterstützt. Heute sagen Sie etwas anderes. scheiden haben. Das ist keine redliche Art. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ich möchte eine grundsätzliche Bemerkung machen. Wer die Bundeswehr für nötig hält, wer will, dass die Bundeswehr für den Schutz der Freiheit, für unseren Vizepräsidentin Petra Pau: Schutz, eintritt, wer die Bundeswehr in Auslandseinsätze Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Birgit schickt, der muss dafür sorgen, dass sie die nötige Aus- Homburger das Wort. rüstung, aber auch eine fundierte Ausbildung und die nö- tigen Möglichkeiten zum Üben erhält. Diese Verantwor- tung haben alle: sowohl die Bundesregierung als auch Birgit Homburger (FDP): der Deutsche Bundestag. Die Bundeswehr ihrerseits aber Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hat die Verpflichtung, ihren Übungsbedarf sauber zu be- Die Linken haben heute eine Aktuelle Stunde zum Luft- gründen, die Belastungen für die Bevölkerung so niedrig Boden-Schießplatz in Wittstock beantragt. Ich will zu- wie möglich zu halten und sich um einen Interessenaus- nächst eine Vorbemerkung machen: Liebe Kolleginnen gleich zwischen Bundeswehr und Bevölkerung zu bemü- und Kollegen, es geht Ihnen nicht um Wittstock. Wo hen. auch immer es Bürgerinitiativen gegen die Bundeswehr gibt, sind die Linken dabei. Hier sind wir beim aktuellen Fall Wittstock. Das Bun- desverteidigungsministerium – Herr Staatssekretär, das (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich möchte ich Ihnen heute öffentlich in aller Deutlichkeit wohne in der Region!) sagen – hat all das nicht geschafft. Sie haben es nicht ge- 23472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Birgit Homburger (A) schafft, öffentlich zu erklären, warum ausgerechnet Übungsplatz Wittstock gibt es sachliche Argumente, die (C) Wittstock gebraucht wird. Sie haben es vor Gericht nicht man vortragen und auf die man sich konzentrieren sollte. geschafft, sauber die Notwendigkeit zu begründen. Was Sachliche Argumente finden wir in zwei offiziellen Pa- ich noch viel schlimmer finde: Sie haben nie versucht, pieren der letzten Jahre, sowohl im Konzept für die Nut- einen Kompromiss auf politischem Wege zu finden. Alle zung von Luft-Boden-Schießplätzen der Bundeswehr Versuche, die in diesem Parlament auch vonseiten der vom August 2008 als auch im Bericht des Bundesrech- FDP-Fraktion gemacht worden sind, sind von Ihnen re- nungshofes vom November 2007. gelmäßig niedergestimmt worden. Ich will mit Letzterem beginnen. Der Bericht des (Beifall bei der FDP – Dr. Kirsten Tackmann Bundesrechnungshofes über Wittstock ist, mit Verlaub, [DIE LINKE]: Ein bisschen schwanger geht vernichtend. Der Bericht widerlegt sämtliche Argumente nicht!) der Bundeswehr für die Einrichtung des Übungsplatzes. Ich will Ihnen deutlich sagen: Die Menschen vor Ort Der Bericht legt präzise dar, dass die Bundeswehr nur haben spezifische Erfahrungen. Ihre Ängste und Be- noch ein Drittel der veranschlagten Übungskapazitäten fürchtungen müssen ernst genommen werden. Deswe- ausnutzt und dass nur noch 26 Prozent der im Ausland gen erwarte ich, dass man auf diese Dinge eingeht, und verfügbaren Kapazität genutzt werden. Der Bericht zwar im Gespräch vor Ort. Das Bundesministerium der macht deutlich, dass von der Notwendigkeit einer soge- Verteidigung macht hier nicht nur keine gute Figur. Viel- nannten gerechten Lastenverteilung zwischen Ost und mehr ist die Geschichte von Wittstock für das Bundes- West nicht die Rede sein kann, da in Wittstock verteidigungsministerium ein Armutszeugnis. 1 700 Einsätze geplant sind und in Siegenburg im Jahr 2005 gerade einmal acht Stunden im Jahr geübt (Beifall bei der FDP) wurde. Dass die Kosten für dieses Projekt 270 Mil- Am Beispiel Wittstock werden darüber hinaus kon- lionen Euro betragen sollen, sei, so der Bundesrech- zeptionelle Versäumnisse deutlich. Man kann nämlich nungshof, angesichts dieser Bedarfsanalyse wirtschaft- nicht nur über Wittstock reden. Untrennbar damit ver- lich nicht begründbar. bunden sind auch die Übungsplätze in Nordhorn, Nie- Sämtliche Argumente, die im Hinblick auf die Be- dersachsen und in Siegenburg, Bayern, sowie die dort le- darfsplanung für den Übungsplatz Wittstock angeführt benden Menschen. werden, stammen aus dem Jahr 1992, aus einer Zeit, in (Beifall bei der FDP) der die Bundeswehr eine andere Bundeswehr als heute war. Als es im Jahr 2008 um das Luftwaffenkonzept Die FDP hat lange Zeit ein Gesamtkonzept gefordert. ging, war das Bundesministerium der Verteidigung lei- (B) Weil kein Gesamtkonzept vorgelegt wurde, sind wir im der nicht in der Lage, die Argumente, die der Bundes- (D) Herbst 2007 massiv geworden. Mehrfach sind wir auch rechnungshof ein Jahr zuvor in seinem Bericht angeführt im Verteidigungsausschuss initiativ geworden. Ende hatte, ausreichend zu widerlegen. Ganz im Gegenteil, es September 2008 ging beim Verteidigungsausschuss end- wurde erneut auf einen Bedarf in der Größenordnung lich ein überarbeitetes Übungskonzept ein. Aber auch von 2 200 Einsätzen im Jahr hingewiesen. Das ist deut- damit ist es dem Bundesministerium der Verteidigung lich weniger als die veranschlagte Kapazität in Höhe von nicht gelungen, zu überzeugen, weder was die Notwen- über 6 000 möglichen Einsätzen, die aus dem Jahr 2001 digkeit, noch was die Nutzungskonzeption insgesamt, stammt. noch was den dringend nötigen Interessenausgleich an- geht. Wie die im Zusammenhang mit dem Übungsbetrieb entstehenden Lasten verteilt werden, ist nach meinem Ich sage für meine Fraktion: Es kann keine singuläre Dafürhalten alles andere als gerecht. In Wittstock finden Entscheidung geben. Das wäre unfair gegenüber den 1 700 Einsätze statt, in Nordhorn 1 000 und in Siegen- Menschen in Nordhorn und Siegenburg. Deshalb fordert burg 300. Ich bin mir nicht sicher, ob das Argument der die FDP-Bundestagsfraktion die Bundesregierung auf: Lastenverteilung zwischen Ost und West – man könnte Arbeiten Sie endlich auf eine tragfähige politische Lö- auch sagen: zwischen Nord und Süd oder zwischen den sung hin, und legen Sie ein überarbeitetes Übungskon- einzelnen Bundesländern – wirklich stichhaltig ist. Wir zept für die Luftwaffe vor, das sowohl fachlich als auch sollten uns vielmehr mit der Frage beschäftigen: Wo sind politisch Bestand hat. die richtigen Plätze für die Boden-Luft-Übungen der Vielen Dank. Bundeswehr? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Außerdem haben wir nach wie vor im Ausland Kapa- der CDU/CSU) zitäten, die es ermöglichen, die Übungen dort durchzu- führen. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Andreas Weigel für die Ich sage deshalb sehr deutlich: Aus der heutigen Per- SPD-Fraktion. spektive ist Wittstock Geschichte. Wir sollten das akzep- tieren. Andreas Weigel (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der FDP, der LINKEN und des BÜNDNIS- Jenseits aller emotionalen Diskussionen über den SES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23473

Andreas Weigel (A) Der 1992 errechnete Bedarf ist nicht mehr vorhanden. der letzten Zeit hat sich das ein bisschen gebessert. Aber (C) Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Wie sieht es bleibt dabei: Militärisch zwingend notwendig ist ein realistischer Übungsbedarf der Bundeswehr tatsäch- Wittstock nicht. Wie sonst wäre erklärbar, dass in den lich aus? Heutzutage sind mehr taktische Übungen mit vergangenen 17 Jahren – ohne Wittstock – nie eine Ge- gelenkter Munition notwendig. Dazu braucht es geeig- fährdung der Einsatzfähigkeit der bundesdeutschen Luft- nete Übungsplätze. Im Übrigen: Nordhorn ist dazu nicht waffe gemeldet worden ist? in der Lage. Ich habe am 27. März den Prozess beim Oberverwal- Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, ob die tungsgericht Berlin-Brandenburg miterlebt. Man muss ausländischen Übungsplätze, die zur Verfügung stehen, sagen: Das Urteil ist sehr abgewogen, sehr differenziert, nicht ausreichend sind. Wir müssen uns mit der Frage keineswegs sicherheitspolitische Amtsanmaßung. Die beschäftigen, wie wir gemeinsam in Europa und inner- Kammer hat sich darauf beschränkt, etwas zu den pla- halb der NATO geeignete Möglichkeiten finden, die ge- nungsrechtlichen Verfahren zu sagen. Man hat schlicht- meinsamen Luftübungen, die durchzuführen sind, dort weg festgestellt, dass eine Anforderung, die sich aus durchzuführen, wo geeignete Plätze zur Verfügung ste- dem inzwischen gewachsenen materiellen Planungsrecht hen, nicht über dichtbesiedeltem Gebiet. ergibt, nicht erfüllt worden ist: Eine Abwägung zwi- schen wichtigen verteidigungspolitischen Bedürfnissen Als Verteidigungspolitiker will ich jedoch nicht ver- und kleineren, individuellen Bedürfnissen hat nicht statt- hehlen: Wir müssen – bei aller Emotionalität, mit der die gefunden. Das ist ein grundsätzlicher und massiver Ver- Debatte über dieses Thema geführt wird – die Einsatz- fahrensmangel. fähigkeit unserer Luftwaffe gewährleisten. Dazu braucht es die richtigen konzeptionellen Überlegungen. Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN glaube daher, dass es wichtig ist, dass das Bundesminis- sowie bei Abgeordneten der SPD) terium der Verteidigung jetzt nicht in weitere Prozesse geht, sondern sich Gedanken macht, wie unsere Luft- Was sind die politischen Konsequenzen? Strittig war waffe rechtzeitig und in absehbarer Zeit die notwendigen das Vorhaben Luft-Boden-Schießplatz Wittstock von Übungen durchführen kann, entweder hier in Deutsch- Anfang an, schon als die damalige Koalition das Trup- land oder in Europa oder in Nordamerika. Das ist die penübungsplatzkonzept inklusive Wittstock im Jahre Aufgabe, vor der wir stehen. 1993 hier im Bundestag beschlossen hat. Die damaligen Oppositionsfraktionen Bündnis 90, PDS und SPD haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) übrigens in einer namentlichen Abstimmung geschlos- sen dagegengestimmt. Vizepräsidentin Petra Pau: (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der und bei der LINKEN sowie des Abg. Detlef Kollege Winfried Nachtwei das Wort. Dzembritzki [SPD]) Inzwischen dauert dieser politische Streit seit 17 Jah- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ren an. Drei Landtage und drei Landesregierungen haben Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sich einmütig dagegenbekannt. Der Rechtsstreit dauert Ich spreche zu diesem Thema als Mitglied des Verteidi- mittlerweile 15 Jahre. Herr Staatssekretär Schmidt, un- gungsausschusses und als Sicherheitspolitiker, ich spre- sere Zählungen, was die verlorenen Verfahren angeht, che zu diesem Thema aber auch als Abgeordneter, der sind höchst gegensätzlich. Wir haben von sehr kompe- seinen Wahlkreis nicht in dieser Region hat, sondern aus tenten Leuten die Information bekommen, dass seit 1995 dem fernen Münster kommt, und ich spreche zu diesem vom Bund 25 Verfahren in Folge verloren wurden. Ich Thema als jemand, der seit 1996 so oft in dieser Region habe selbst zentrale Verfahren vor dem Bundesverwal- war wie sonst nur auf dem Balkan und in Afghanistan. tungsgericht, vor dem Verwaltungsgericht Potsdam und Ich muss sagen, ich habe diese Region und ihre Men- jetzt vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Branden- schen dabei sehr schätzen gelernt. burg mitbekommen. Das zuletzt genannte Gericht be- Meine Aufgabe – das ist unsere Aufgabe insgesamt – scherte dem Bund eine krachende Niederlage; das muss ist, abzuwägen zwischen dem Übungsbedarf der Luft- man wirklich so sagen. waffe, wie er dem politisch gesetzten Auftrag entspricht, In 17 Jahren war dieser Luft-Boden-Schießplatz nicht und den Belangen der betroffenen Bevölkerung und durchsetzbar. Es ist keine vage Prognose, sondern mit Wirtschaft. Seit inzwischen zehn Jahren beschäftige ich Sicherheit anzunehmen, dass er auch in den nächsten mich intensiv mit der vermeintlichen Notwendigkeit die- zehn Jahren nicht durchsetzbar sein wird. Daher hätte ses Übungsplatzes sowie des Übungsbetriebes der Luft- ein weiteres Festhalten an diesem Vorhaben Schaden für waffe im Luft-Boden-Spektrum überhaupt. alle Beteiligten zur Folge: Das Ergebnis ist: Wittstock ist aus Sicht der Luftwaffe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – na klar – wünschenswert. Die entscheidende Frage ist und bei der LINKEN sowie des Abg. Detlef allerdings: Ist Wittstock militärisch unverzichtbar? Da Dzembritzki [SPD]) habe ich seit der rot-grünen Zeit, schon gegenüber Mi- nister Struck, sehr deutlich Einwände erhoben. Auf diese für die Region selbst Planungsunsicherheit und Investi- Einwände ist – diese Erfahrung habe ich über die Jahre tionsunsicherheit, wie sie bisher schon zu spüren waren, gemacht – ausgesprochen schludrig reagiert worden. In und für die Bundeswehr ebenfalls Planungsunsicherheit 23474 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Winfried Nachtwei (A) und zumindest in zwei Bundesländern einen Akzeptanz- Unsere Luftwaffenpilotinnen und -piloten benötigen (C) verlust, der sich gewaschen hat. In Einsatzländern würde aber hinreichende Möglichkeiten zum Üben verschiede- sich die Bundeswehr niemals das erlauben, was man sich ner Einsatzverfahren, um allen denkbaren Szenarien ge- in Brandenburg erlauben zu können meint. Daran ist recht zu werden. Wir als Parlamentarier tragen die Ver- übrigens nicht einfach die Bundeswehr schuld, sondern antwortung dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten das Verteidigungsministerium. Dem vor Ort befindli- nicht nur die beste Ausrüstung erhalten, sondern auch chen Oberstleutnant Engel kann man das als Letztem die optimale Ausbildung. Dieser Verantwortung stellen vorwerfen. Schließlich hätten auch die Parteien der Gro- sich CDU und CSU uneingeschränkt – nicht nur in der ßen Koalition ihren Schaden davon. Vergangenheit, sondern auch in Zukunft. Meiner Auffassung nach ist es also ein Gebot realpo- In dem Konzept der Luftwaffe ist der Betrieb der drei litischer Klugheit, jetzt das Vorhaben zu stoppen. Ge- Übungsplätze in Nordhorn, Siegenburg und Wittstock sichtswahrend ist es obendrein. vorgesehen. Das wurde übrigens Anfang der 90er-Jahre im Deutschen Bundestag beschlossen. Damit ist neben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie nationalen Trainingsmöglichkeiten auch eine möglichst des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD]) gerechte Lastenverteilung in unserem Land gewährleis- tet. Dieser Solidaritätsaspekt ist neben den erwähnten Über Sie, Herr Schmidt, spreche ich jetzt den Minister operativen Aspekten ebenfalls zu beachten. direkt an: Niemand im Verteidigungsministerium kann vom Verteidigungsminister erwarten, dass er sich für Einen Großteil ihrer Ausbildung führt die Luftwaffe eine aussichtslose Sache verkämpft. Mein Appell des- im Ausland und über See durch. Allerdings muss sie halb an Minister Jung: Zeigen Sie Klugheit und Stärke auch Gelegenheit haben, in Deutschland zu üben. Die im Amt! Es wäre ein Gewinn für die demokratische Kul- Bundeswehr hat seit dem 22. Dezember 1993, an dem tur unseres Landes und kein Schaden für die Sicherheit sie Wittstock übernahm, fast fünfzehneinhalb Jahre lang Deutschlands, wenn Sie dem politischen und juristischen versucht, eine Betriebserlaubnis zu erhalten. Es ist eine Dauerstreit ein Ende machten. schwere Hypothek für die Bewohner der Region – egal, ob Gegner oder Sympathisanten der Bundeswehr –, mit Danke schön. dieser unbefriedigenden Situation zu leben. Der Rechts- streit währt nun bereits über eineinhalb Jahrzehnte. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zeigt, dass alle Parteien ihre Interessen mit großer Über- des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD]) zeugung vertreten. Dazu gehören die Interessen der Streitkräfte und der Sicherheitsvorsorge für Deutschland Vizepräsidentin Petra Pau: ebenso wie die der Anwohner und der betroffenen Wirt- (B) (D) Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Bernd schaft. Siebert das Wort. Nun müssen wir ein neues Urteil des Oberverwal- tungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Kenntnis nehmen. Bernd Siebert (CDU/CSU): Ohne eine Bewertung der schriftlichen Begründung, die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! in circa sechs Wochen zu erwarten ist, macht es meiner Wir beschäftigen uns heute mit einem komplexen Sach- Ansicht nach aber nur wenig Sinn, eine Entscheidung verhalt, wie die Diskussionsbeiträge eben schon gezeigt über das weitere Vorgehen zu treffen. Ich denke, dass haben. Auf Antrag der Fraktion Die Linke diskutieren nach fast 20-jähriger Auseinandersetzung dann die Zeit wir heute im Rahmen dieser Aktuellen Stunde über zahl- reif für eine Entscheidung ist. Meiner Ansicht nach kann reiche Facetten des Fliegerübungsplatzes Wittstock/ dies nur ein Kompromiss zwischen den berechtigten In- Kyritz-Ruppiner Heide, den seine Gegner emotional auf- teressen aller Betroffenen sein. Dabei müssen die touris- geladen – so steht es auch in dem Antrag für die heutige tische Entwicklung und die Lebensqualität der Anwoh- Aktuelle Stunde – als „Bombodrom“ bezeichnen. ner, aber auch die nationalen Sicherheitsinteressen, die Qualität der Ausbildung unserer Flugzeugbesatzungen Diese Bezeichnung hat allerdings auf die Situation bis und die Solidarität mit unseren Verbündeten in der 1990 trefflich gepasst, als das Gelände vom sowjeti- NATO und den Anwohnern der anderen Übungsplätze in schen Militär besetzt war, die Eigentümer enteignet wa- Deutschland berücksichtigt werden. ren – das war damals Enteignung – und ein Bomben- Wir können unsere Piloten nicht ohne eine optimale abwurfplatz mit einer Fläche von 12 000 Hektar errichtet Vorbereitung in den Einsatz schicken. Es macht anderer- wurde. Die UdSSR hatte dort 8 000 Soldaten stationiert, seits jedoch nur wenig Sinn, endlose Jahre bis zur juristi- flog 24 000 Einsätze im Jahr – auch nachts und an Sonn- schen Entscheidung zu warten, und Feiertagen – und nahm weder auf Fragen der Lärm- belästigung und der Umwelt noch auf die Menschen (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Rücksicht. Allein schon die Tatsache, dass Sie die Bun- GRÜNEN]: Sehr richtig!) deswehr, die sich selbst strengsten Umwelt- und Lärm- von der wir nicht wissen, lieber Winfried Nachtwei, wie beschränkungen unterwirft, in gedanklicher Linie mit ei- sie letztendlich ausfallen wird. ner Besatzungsarmee nennen, zeigt, welche emotionalen Bindungen Sie nutzen wollen. Aber wer die Bundeswehr Nach der Beurteilung bzw. Bewertung der Begrün- abschaffen will, braucht sich auch über die Ausbildung dung des Urteils und unabhängig davon, ob in der Zu- keine soliden Gedanken zu machen. kunft weitergeklagt wird oder nicht, muss hinsichtlich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23475

Bernd Siebert (A) der Neuausrichtung eines Ausbildungs- und Nutzungs- len, dass das, was die NATO unter Partnerschaft für Frie- (C) konzepts zumindest ein Nachdenkensprozess in Gang den betreibt, nichts anderes ist als das Betreiben von tat- gesetzt werden. Weder den Menschen vor Ort noch der sächlichen Kriegsübungen. Bundeswehr selbst ist es zuzumuten, weitere lange Jahre (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der in Ungewissheit zu leben. CDU/CSU: Quatsch!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Weder in Afghanistan noch sonst wo auf der Welt gibt es des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ein Bedrohungsszenario, das das Üben erforderlich Ich bin deshalb davon überzeugt, dass sich das Bun- macht, Menschen mittels Luftwaffe durch Bombarde- desministerium der Verteidigung mit Nachdruck für ein ments zu bedrohen oder sie gar zu töten. Deutsche Au- Konzept einsetzen wird, mit dem das vollständige Aus- ßenpolitik sei Friedenspolitik, heißt es allenthalben bildungsprogramm unserer Flugzeugführer langfristig schönfärberisch. Sicher ist nur eines: Die Sicherheitsfra- und zuverlässig gewährleistet werden kann, aber auch gen von heute und auch die der Zukunft können nur ge- die Interessen der Bevölkerung berücksichtigt werden. löst werden, wenn der Einsatz militärischer Mittel aufge- Ich halte es für dringend notwendig, dass unsere Partner geben wird. Nur wenn endlich der Weg der Abrüstung in Europa mit in die Überlegungen zu diesem Konzept und der Demilitarisierung gegangen wird, hat der Frie- einbezogen werden. den eine Chance. Deshalb sind die Fragen im Zusam- menhang mit dem Bombodrom auch so politisch. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb wollen wir die definitive Schließung. Vizepräsidentin Petra Pau: Wie gesagt, alle Pläne haben mit der NATO zu tun. Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die Wir wollen, dass von dem Boden dieser Region keine Fraktion Die Linke. Übung für eine Weltpolizeirolle der NATO ausgeht. Wir (Beifall bei der LINKEN) Linken wollen dafür keinen Boden bereitstellen. Es ist notwendig, hervorzuheben, dass das Bombodrom eine ganz neue Bestimmung bekommen soll, nämlich eine zi- Monika Knoche (DIE LINKE): vile Bestimmung. Die 1 000 Menschen, die nachdrück- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und lich gegen die militärische Nutzung vorgehen, haben Damen! Schon seit 17 Jahren ist die Geschichte der Frieden und Sicherheit in ihrem ganz konkreten Alltag Kyritz-Ruppiner Heide eine Geschichte der verhinderten im Sinn. Sie haben aber auch im Blick, dass der Frieden (B) Schließung. für die Menschen in der Welt nicht gewährleistet werden (D) Diese begann – das möchte ich sagen – unter Rot- kann, wenn bei ihnen zu Hause diese Übungen durchge- Grün. Im entsprechenden Koalitionsvertrag wurde ver- führt werden. Deshalb denken diese Menschen weit über sprochen, die Schließung zu prüfen. Tatsächlich haben ihr regionales Interesse hinaus. aber sowohl Verteidigungsminister Struck als auch vor- (Beifall bei der LINKEN) her Herr Scharping nichts anderes angepeilt, als dieses Bombodrom zu betreiben, das heißt: Täuschung und Sie haben natürlich auch im Sinn, dass dort endlich ein Enttäuschung in dieser Frage. naturverbundener Tourismus entstehen kann und dass Arbeitsplätze in einer Region entstehen können, die von (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch beim überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit betroffen ist. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer von Ihnen will diesen Menschen ernsthaft diese Zu- Auch die jetzige Regierung hat nichts anderes im kunftsoptionen nehmen? Wenn ein Bombodrom kommt, Blick, als dort das Bombardierungstraining vornehmlich ist all diese Planung passé. Sagen Sie den Menschen für deutsche und andere NATO-Soldaten durchführen zu bitte vor Ort, dass Sie ihre wirtschaftliche und soziale lassen. Das hat einen Grund im strategischen Konzept Entwicklung nicht fördern wollen. der NATO. Dieses wurde während des Jugoslawien- (Beifall bei der LINKEN) angriffskriegs beschlossen. Es sieht vor, dass diese Luft- kriegsübungen mit einer Obergrenze von 1 700 Luft- Jene, die das Bombodrom aber ablehnen, haben eine waffeneinsätzen pro Jahr trainiert werden können. friedliche Welt vor Augen. Sie haben auch die Bilder der Gegen einen solchen Übungsplatz hat die Friedensbewe- bombardierten Städte und Dörfer in Jugoslawien, im gung gerade jetzt an Ostern mit 12 000 Menschen de- Irak, im Kaukasus, in Gaza und in Afghanistan vor Au- monstriert. Dazu möchte ich diesen Menschen jetzt noch gen. Sie sind mit den Opfern solidarisch und sagen des- gratulieren. halb Nein zur Luftwaffe vor ihrem Haus. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie sind durch einen Gerichtsentscheid des Oberverwal- Ich möchte hier noch kurz erwähnen, dass bekannt ist, tungsgerichts Berlin-Brandenburg von Ende März ge- dass der NATO-Gipfel in Straßburg seine Zukunftspla- stützt. Man höre, das Verteidigungsministerium spricht nungen wieder einmal hinter verschlossenen Türen davon, dass es für den Afghanistan-Einsatz notwendig durchführen will und eine Expertengruppe einberufen sei, Luftnahunterstützung zu üben. Deshalb hält man am hat, die eine neue Legitimationsberechtigung für die Bombodrom fest. Wollen wir doch also einmal klarstel- NATO ersinnen soll. Was soll das anderes heißen, als der 23476 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Monika Knoche (A) NATO neue Kriegsführungsgründe zu geben? Die demo- Hause leichtfertig beschließt, sollen wir Soldaten, die in (C) kratische Befassung mit den Zielen der NATO ist dem der Luft oder am Boden eingesetzt sind, und natürlich in Parlament, der Öffentlichkeit und den politischen Par- erster Linie Unschuldige und Zivilistinnen und Zivilisten teien vorzubehalten und nicht in geheimen Zirkeln aus- schützen. Das verlangt man von uns militärisch, und zubaldowern und uns dann als neue Sicherheitsstrategie man verlangt es von uns politisch. zu präsentieren. Ich vermute, dass diejenigen, die heute leichtfertig (Beifall bei der LINKEN) bereit sind, auf den Platz in Wittstock zu verzichten, uns morgen fragen werden, ob wir alles Nötige getan haben, Wir brauchen auch in diesem Wahljahr eine öffentli- damit die Ausbildung möglichst gut, präzise und reali- che Befassung mit der Frage, wie Friedenspolitik in Eu- tätsnah durchgeführt werden kann. Dann fällt die Ant- ropa, wie Zukunftssicherung mit nichtmilitärischen Mit- wort nicht leicht, auch deswegen, weil wir aufgrund der teln erreicht werden kann. Dafür brauchen wir keine zukünftigen Einsatzszenarien die Ausbildung verbessern NATO. Dafür brauchen wir keine Truppenübungsplätze. müssen und weil uns der Schutz in der Luft und am Bo- Insofern ist die Linke absolut solidarisch mit dem, was den besonders am Herzen liegt und politisch dringend die Bevölkerung dort seit Jahr und Tag fordert. Wir un- notwendig ist. terstützen das. Das sind die Gründe, die für eine seriöse Debatte ge- Danke schön. sprochen haben und bis heute dafür sprechen. Dennoch (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ist es wahr: Sehr viele Prozesse sind verloren worden. Winkelmeier [fraktionslos] – Winfried (Zuruf von der LINKEN: Aha!) Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt ein Bärendienst!) Wir haben weniger Einsatzflugzeuge denn je, und ein zeitnahes Ende der juristischen Verhandlungen ist – so Vizepräsidentin Petra Pau: habe ich auch den Kollegen Siebert verstanden – kaum Das Wort hat der Kollege Jörn Thießen für die SPD- abzusehen. Letzten Endes bin ich auch dafür, dass das Fraktion. BMVg daraus die nötigen Konsequenzen zieht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Jörn Thießen (SPD): CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Nachtwei Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit einer sol- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) chen Rede, wie meine Vorrednerin sie gehalten hat, er- Deshalb regen wir an, auf den juristischen Widerspruch weist sie auch den Gegnerinnen und Gegnern dieses gegen Wittstock zu verzichten, Herr Staatssekretär und (B) Übungsplatzes einen Bärendienst. Es ist erschütternd, (D) Herr Bundesminister. Wir regen ebenso an, darauf zu was man sich hier anzuhören hat. achten, dass dies nicht automatisch bzw. gar nicht zu ei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ner Mehrbelastung in Nordhorn und Siegenburg führt, CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Monika weil bestimmte Szenarien dort auch gar nicht geübt wer- Knoche [DIE LINKE]) den können. Es gibt gute Gründe dafür, dass auch in Deutschland (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE gut geübt wird. Es hat über Jahre unter seriösen Men- GRÜNEN]: Richtig!) schen gute Gründe gegeben, auch über den Luft-Boden- Ebenso wichtig ist, dass optimale Übungsbedingungen Schießplatz Wittstock zu diskutieren. Dass wir Prozesse hergestellt werden. Sofern sie nicht schon bestehen, verlieren, bedeutet nicht, dass die politischen und militä- müssen wir uns darum kümmern. rischen Gründe sofort obsolet werden, die dazu geführt haben, dass eine ernsthafte Diskussion geführt worden Als Letztes – das ist das Schwierigste – werden wir ist, wie wir auch ernsthaft über die anderen Luft-Boden- uns auf der administrativen wie auf der politischen Seite Übungsplätze diskutiert haben – Kollege Nachtwei weiß mit einem europäischen Übungskonzept befassen müs- das genauso gut wie ich –: über Siegenburg und Nord- sen. Denn am Ende bleibt es unsere Verantwortung in horn, die Belastung der Bevölkerung, die Verantwort- diesem Hohen Hause, für den bestmöglichen Schutz von lichkeit solcher Einsätze und insbesondere darüber, dass Zivilisten und Soldaten zu sorgen. Dies wird zu meinem Soldaten und vor allen Dingen Piloten üben müssen. eigenen Bedauern, aber realistischerweise höchstwahr- scheinlich ohne den Platz in Wittstock möglich sein Das ist nämlich eine Verpflichtung, der wir politisch müssen. und militärisch nachkommen müssen. Dies bedeutet Üben unter verlässlichen und realistischen Bedingungen. Danke schön. Unter diesen Bedingungen wäre genau dieser Platz in Wittstock in der Bundesrepublik Deutschland am besten (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf geeignet. Das ist Fakt. Darüber kann man nicht hinweg- von der SPD: Wenn das Bedauern nicht gewe- sehen. sen wäre, hätte ich jetzt geklatscht!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Es geht darum, dass Menschen geschützt werden. Bei Das Wort hat der Kollege Michael Stübgen für die notwendigen Einsätzen, die kein Mensch in diesem Unionsfraktion. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23477

(A) Michael Stübgen (CDU/CSU): ten braucht. Auch ist in Vergessenheit geraten, dass die (C) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und durch die Übungsplätze betroffenen Menschen in Sie- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskus- genburg und Nordhorn bis heute vergebens auf die zuge- sion über die militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner sagte Entlastung warten. Heide währt seit bald 20 Jahren. Es ist völlig ausge- (Zuruf von der LINKEN: Die sind doch entlas- schlossen, in fünf Minuten auch nur annähernd ausrei- tet!) chend alle Facetten dieser Geschichte zu beleuchten. Trotzdem will ich einige Punkte dieser Geschichte auf- Auf drei Punkte zur aktuellen Situation und als Emp- führen. fehlung für das weitere Vorgehen möchte ich eingehen. Erstens. Nach meiner Meinung ist das Projekt Luft-Bo- Kollege Nachtwei hat schon darauf hingewiesen: den-Schießplatz Kyritz-Ruppiner Heide politisch am 1993 hat der Deutsche Bundestag das Truppenübungs- Ende. Es ist völlig ausgeschlossen, dass es, selbst wenn platzkonzept zur gerechten Lastenverteilung zwischen eventuell eine Inbetriebnahme juristisch durchsetzbar den drei Luft-Boden-Schießplätzen in Nordhorn, Sie- wäre, auch nur ansatzweise eine Akzeptanz bei der be- genburg und Wittstock beschlossen; Sie haben auch über troffenen Bevölkerung in der Region geben wird. das damalige Abstimmungsverhalten berichtet. 1994 hat der SPD-Kanzlerkandidat bei einem Zweitens. Auch juristisch ist das Verfahren in einer Vor-Ort-Besuch in Wittstock das Wahlversprechen abge- Sackgasse, nicht weil es keine Rechtsmittel mehr gäbe geben, als Bundeskanzler die militärische Nutzung der – diese wird es wahrscheinlich noch 10 oder 20 Jahre ge- Kyritz-Ruppiner Heide aufgeben zu wollen. Bundes- ben –, nein, sondern weil ich der Überzeugung bin, dass kanzler ist er nicht geworden, wohl aber 1998 Bundes- weitere jahrelange Prozesse nicht der Weg zum Ziel sein verteidigungsminister. Als Bundesverteidigungsminis- können. Wir müssen politisch entscheiden. ter hat Rudolf Scharping die militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide nachhaltiger vorangetrieben als Drittens. Es ist nach meiner Überzeugung notwendig, sein Vorgänger im Amt. dass die Bundesregierung ein Alternativkonzept erarbei- tet. Dabei sind auch mögliche naheliegende ausländische, Im Grundsatzurteil aus dem Jahr 2000 hat das Bun- insbesondere europäische Standorte einzubeziehen, auf desverwaltungsgericht festgestellt, dass das Gelände denen zum einen die notwendige Übungsfähigkeit der grundsätzlich für militärische Zwecke genutzt werden Luftwaffe sichergestellt wird und wobei zum anderen die darf, aber als Voraussetzung ein Anhörungsverfahren mit militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide aufge- Folgenabschätzung festgelegt. Auf dieser Grundlage hat geben und die vor fast 20 Jahren versprochene Entlastung die damalige rot-grüne Bundesregierung ein entspre- von Siegenburg und Nordhorn umgesetzt werden kann. chendes Anhörungsverfahren eingeleitet. Nachdem sich (B) (D) in diesem Anhörungsverfahren 21 von 22 Beteiligten Ich respektiere, dass sich der Bundesverteidigungsmi- nachhaltig gegen eine militärische Nutzung ausgespro- nister vorbehält, vor einer Entscheidung über eine Revi- chen hatten, hat der Verteidigungsminister – mittlerweile sion die Urteilsbegründung, die hoffentlich bald vorlie- Peter Struck – die Betriebsgenehmigung mit sofortiger gen wird, gründlich zu analysieren. Für unwahrscheinlich Vollziehung angeordnet. Diese damalige Anordnung war halte ich, dass sich meine Meinung und Überzeugung der Ausgangspunkt einer Prozessflut, die mit der Ent- nach intensivem Studium der Urteilsbegründung ändert. scheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Branden- Ich habe die Hoffnung, dass auch die Bundesregie- burg am 27. März 2009 ihr vorläufiges Ende genommen rung zu dieser Überzeugung kommt. hat. Warum sage ich „vorläufiges Ende“? Ostern dieses Jahres macht Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier den Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. „Scharping rückwärts“. Er erklärt, dass er nun gegen die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide ist. Die der SPD – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ SPD hat die Aufgabe dieses Projektes in ihr Bundestags- DIE GRÜNEN]: Das war eine aufrechte wahlprogramm aufgenommen, erklärt aber auch, dass Rede!) sie gegen eine Abstimmung im Bundestag ist. Gleichzei- tig erwägt die Bundesregierung, in Revision zu gehen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nach diesem in den letzten 18 Jahren leider sehr oft Nächster Redner ist der Kollege Ernst Bahr für die von partei- und wahltaktischem Theater überschatteten SPD-Fraktion. Prozess darf sich keiner von uns hier im Hause darüber wundern, dass die Akzeptanz bei den betroffenen Bürge- Ernst Bahr (Neuruppin) (SPD): rinnen und Bürgern in Wittstock und Umgebung bei null Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! liegt. Was die Aktuelle Stunde eigentlich bringen soll, haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. die Rednerinnen der Fraktion, die sie beantragt hat, deut- Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich gemacht. Es geht ihnen nur vordergründig um die NEN]) Schließung dieses Platzes. Dahinter stehen ganz andere Ziele. Leider ist in diesem lautstarken öffentlichen Gezänk auch die Tatsache fast vollständig in Vergessenheit gera- Die Geschichte der Behandlung dieses Themas im ten, dass eine leistungsfähige Luftwaffe – und die große Bundestag zeigt deutlich, wie schwierig es ist, mit Mehrheit dieses Hauses will diese – Übungsmöglichkei- rechtsstaatlichen und demokratischen Mitteln bestimmte 23478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Ernst Bahr (Neuruppin) (A) Themen zu einem Erfolg zu führen. Dass alle Seiten ihre annähernd dem Bedarf entsprechen. Die tatsächliche (C) Möglichkeiten haben, in der Auseinandersetzung die In- Nutzung der inländischen Schießplätze ging seit der For- strumente zu nutzen, die Demokratie und Rechtsstaat derung nach zusätzlichen Übungsmöglichkeiten im bieten, zeigt sich exemplarisch an diesem Beispiel. Jahre 1992 bis 2004 um 86 Prozent zurück. Dass die Bundeswehr üben muss, ist völlig klar. Das Ich bin davon überzeugt, dass es nicht wieder zu einer stelle ich überhaupt nicht infrage. Die Frage ist nur, ob militärischen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide kom- sie diesen Platz braucht. Deshalb möchte ich gern die men wird. Lage aus meiner Sicht darstellen. Die Schwierigkeit der Herzlichen Dank. Auseinandersetzung zeigt sich zweifellos auch in meiner eigenen Partei und in meiner eigenen Fraktion. Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denke, das braucht man im Rahmen einer demokrati- schen und rechtsstaatlichen Auseinandersetzung auch Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nicht zu leugnen. Nun hat der Kollege Dr. Hermann Kues für die CDU/ Seit 17 Jahren finden in der Kyritz-Ruppiner Heide CSU-Fraktion das Wort. keine militärischen Übungen mehr statt, und das ist auch gut so. Zum 25. Mal entschieden Gerichte gegen die Ein- Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): richtung dieses Übungsplatzes. Das Engagement und der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erfolg der Bürgerinitiativen zeigen, wie Demokratie Ich spreche hier als Bundestagsabgeordneter für die funktioniert. Grafschaft Bentheim und für das Emsland. Dort liegt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nordhorn Range. Ich habe mich eben gefragt, was den Menschen dort durch den Kopf geht, die diese Debatte Auf allen politischen Ebenen hat die SPD die Bürger- verfolgen. initiativen stets dabei unterstützt, unser gemeinsames Ziel zu erreichen. Wir haben es in den letzten Jahren ge- (Beifall des Abg. Jörn Thießen [SPD]) schafft, die bundesweite Bedeutung eines scheinbar re- Im Zusammenhang mit der Kyritz-Ruppiner Heide wird gionalen Themas klarzumachen, und wir haben dafür ge- von 17 Jahren gesprochen. Den Bombenabwurfplatz in sorgt, dass das Thema im Bewusstsein des Parlaments Nordhorn gibt es seit Mitte des Zweiten Weltkriegs, also präsent bleibt. seit fast 70 Jahren. Seit dieser Zeit werden Übungsflüge durchgeführt, weil man sagt: Wenn wir eine Luftwaffe (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach haben wollen, dann muss sie auch üben können, dann so?) (B) braucht sie für diese Übungen einen Platz. (D) Wir haben innerhalb der SPD-Fraktion die Meinungs- Ich finde, wir in Deutschland machen es uns etwas zu bildung der Unterstützer für eine freie Heide vorange- einfach. Wir führen Standortdiskussionen. Wir betrach- trieben. Der Hamburger Bundesparteitag der SPD hat ten die jeweiligen Standorte und benennen die dortigen sich Ende Oktober 2007 mit eindeutigen Beschlüssen für Probleme. Im Grunde genommen müssten wir Bundes- eine friedliche Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide aus- politiker es doch leisten, auch für den Bund und nicht gesprochen. Darin wird das Bundesverteidigungsminis- nur für unsere Heimatregion die Verantwortung zu tra- terium aufgefordert, ohne Zeitverzug die Pläne für die gen. Das ist ganz wichtig; darauf müssen wir Wert legen. Errichtung eines Luft-Boden-Schießplatzes aufzugeben. Vor allem wird geltend gemacht, dass die Regionalent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wicklungen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpom- Ich erwarte im Grunde genommen, dass wir die Aus- mern eine zügige Entscheidung benötigen. Wirtschafts- und Tourismusentwicklung sind gerade auch in dieser sagen, die wir bezüglich Wittstock treffen, auch bezüg- Region sehr wichtig und würden von einem Truppen- lich Nordhorn treffen. Wir sollten den Menschen in Nordhorn das Gleiche wie den Menschen in Wittstock übungsplatz zu stark beeinträchtigt werden. sagen. In dem Entwurf für unser zukünftiges Regierungspro- (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das gramm haben wir die Forderung einer friedlichen Nut- haben wir getan!) zung der Kyritz-Ruppiner Heide fest verankert, und das ist zu Recht geschehen. Wir als SPD treten dafür ein, den Ich erwarte das auch von den Parteien: Ich erwarte das Rechtsstreit um die zukünftige Nutzung der Kyritz-Rup- von der CDU; ich erwarte es aber auch von der SPD. piner Heide zu beenden und auf eine militärische Nut- zung zu verzichten. Sämtliche Fakten sprechen für eine Ich habe in den letzten 15 Jahren Erfahrungen gesam- freie Heide. melt. Ich habe viele Kanzlerkandidaten kommen und gehen sehen; die meisten sind nie Kanzler geworden. Der Bundesrechnungshof hat dem Deutschen Bundes- Derjenige, der es geschafft hat – er hatte kürzlich Ge- tag Ende November 2007 einen Bericht zur Auslastung burtstag –, hat, schon als er Ministerpräsident werden von Übungsmöglichkeiten der Bundeswehr übermittelt. wollte, in Nordhorn erklärt: Wenn ich erst Ministerpräsi- Der Bericht bekräftigt ausdrücklich die Argumentation der dent bin, ist dieser Platz in null Komma nichts weg. Als Gegner eines Truppenübungsplatzes in der Kyritz-Rup- er dann Ministerpräsident war, hat er gesagt: Das kann piner Heide. So beanstandet der Bundesrechnungshof, das Land gar nicht entscheiden; aber wenn ich Bundes- dass die Nutzungskonzepte der Luftwaffe nicht mehr kanzler bin, ist dieser Platz in null Komma nichts weg. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23479

Dr. Hermann Kues (A) Ich habe viele Verteidigungsminister erlebt, die das als die Rote Armee dort tätig war. Diese Begrifflichkeit (C) Gesamtkonzept, das irgendwann gemeinsam beschlos- versuchen Sie jetzt politisch zu nutzen. Das ist schäbig sen worden ist – zu einem Zeitpunkt, zu dem ich dem und trägt nicht zu einer Lösung der Problematik bei. Bundestag noch gar nicht angehört habe –, vertreten ha- ben. Ich sage ausdrücklich: Viel zu viele machen es sich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- bei diesem Thema zu einfach; sie machen sich einen wie der Abg. [SPD]) schlanken Fuß. Das kann ich nicht akzeptieren. Ich kann nur sagen: Wir brauchen ein Gesamtkon- zept. Das Thema „Standortübungsplätze/Luft-Boden- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Schießplätze“ ist eine unendliche Geschichte. Ich ver- der SPD) lange für die Grafschaft Bentheim und das Emsland das Das ist Handeln nach dem Sankt-Florians-Prinzip. Das gleiche Recht wie für andere Regionen Deutschlands; kann man auch auf andere Politikbereiche anwenden. ich nehme an, der Kollege Dieter Steinecke wird das ge- nauso tun. Es kann nicht sein, dass man die verschiede- Auch ich bin nicht begeistert, was die planungsrecht- nen Seiten gegeneinander ausspielt. Das, was mit Blick lichen Abläufe angeht, und über das, was das Verteidi- auf Wittstock versprochen wird – von dem einen oder gungsministerium dort offenkundig über viele Jahre zu- anderen auch im Wahlprogramm –, kommt mir sehr be- wege gebracht hat. Ich habe erlebt, dass wir über kannt vor; das hat es alles schon gegeben. Ich verlange Konzepte für Luftwaffenstandorte geredet haben. Ich ein Gesamtkonzept, und ich verlange, dass die Men- war immer dafür, dort, wo es Belastungen gibt, auch at- schen in Nordhorn und im Emsland nicht anders behan- traktive Einrichtungen zu schaffen. Für Wittstock reden delt werden als die Menschen in Wittstock. wir sogar darüber, bei Nordhorn Range war das nicht möglich – meines Erachtens wider besseres Wissen. Es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – kann nicht sein, dass man den einen sagt: „Ihr könnt Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da ha- keine Belastung tragen“, und den anderen sagt: „Ihr ben Sie vollkommen recht!) müsst sie auf Dauer tragen“. Ich will etwas zu der Größenordnung sagen. Nord- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: horn Range umfasst 2 200 Hektar. Wittstock umfasst da- Nächster Redner ist der Kollege Dieter Steinecke für gegen 12 000 Hektar. Es ist kaum vorstellbar, dass Witt- die SPD-Fraktion. stock nicht in Betrieb genommen wird – auch wenn wichtige Argumente dafürsprechen, etwa „Tourismus“; Dieter Steinecke (SPD): alle diese Argumente gelten für Nordhorn aber in glei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) cher Weise – und dass die Belastung Nordhorns bleibt. Hermann Kues hat mich schon angekündigt als Abge- (D) Ich will ausdrücklich sagen: Die Gesamtbelastung Nord- ordneten der Grafschaft Bentheim und des südlichen horns ist in den vergangenen Jahren reduziert worden; Emslandes. Insofern wird man auch meine Ausführun- dort haben wir eine ganze Menge erreicht. gen unter diesem Aspekt einordnen müssen. Ich bin bereit, über ein gesamteuropäisches Konzept Ich verstehe natürlich die Sorgen und Ängste der zu reden; das ist in Ordnung. Wir, Deutschland, müssen Menschen rund um die Kyritz-Ruppiner Heide gut. Na- uns irgendwann fragen, ob wir Belastungen immer ins türlich, so möchte ich hinzufügen, verstehe ich sie sehr Ausland verlagern wollen, während interessante Stand- gut; denn in meiner Heimat gehören Lärm und Gefahr orte bei uns angesiedelt werden sollen. Ich finde, wir durch tieffliegende Militärflugzeuge, durch Schieß- und sind nicht ganz ehrlich. Bombardierungsübungen zum Alltag – Hermann Kues hat schon darauf hingewiesen –, und das nicht erst seit Was die Spaziergänge in der Ruppiner Heide angeht, gestern, sondern seit 70 Jahren. sage ich unmissverständlich: Die Medien sind nicht ganz fair, weil sie diesen komplexen Sachverhalt in der Regel Seit mehr als 50 Jahren wird der Übungsplatz Nord- nicht vollständig darstellen. Darüber berichten häufig horn Range von der Luftwaffe der Bundeswehr und von diejenigen, die eine Leidenschaft für die Ruppiner Heide fliegenden Einheiten unserer Verbündeten genutzt, tags haben. Diese Leidenschaft habe ich auch; ich bin da und nachts. Mehr als 75 Prozent aller derartigen Übun- ebenfalls schon unterwegs gewesen. Es ist eine wunder- gen und 100 Prozent aller Nachtübungen auf dem deut- schöne Gegend. Ich kann Ihnen aber sagen: Nordhorn im schen Festland entfallen auf die Nordhorn Range. Emsland ist ebenso schön. Wenn Sie dort einmal gewe- sen sind – ich habe eben die Größenordnung genannt –, Das bedeutet eine seit Jahrzehnten andauernde Belas- dann wissen Sie, was für eine Belastung die militärische tung und Gefährdung der Menschen in der Grafschaft Nutzung für diese Region ist. Bentheim und im südlichen Emsland. Diese Region ist nicht gerade dünn besiedelt. In unmittelbarer Nähe von (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich war Nordhorn Range wohnen 300 000 Menschen. Der dort!) Übungsplatz grenzt unmittelbar an die 50 000-Einwoh- ner-Stadt Nordhorn, das ebenso große Lingen mit sei- – Auch Sie sind da gewesen; das weiß ich. Allerdings nem Atomkraftwerk liegt nur wenige Flugsekunden ent- sind Sie – damit meine ich nicht Sie persönlich, sondern fernt. Ihre politische Ausrichtung – überhaupt nicht glaubwür- dig. Sie arbeiten aus polemischen Gründen mit Begriffen Seit Jahren und Jahrzehnten kämpfen die Bürgerinnen wie Bombodrom, die etwas mit der Zeit zu tun haben, und Bürger in meiner Heimat für eine Schließung der 23480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

Dieter Steinecke (A) Range, und ich kämpfe mit ihnen. Das macht uns übri- gen unserer Luftwaffe und der anderen NATO-Staaten in (C) gens keineswegs zu Gegnern jener Menschen, die sich unbesiedelte Gebiete der nordatlantischen Bündnisge- gegen die Inbetriebnahme des Übungsplatzes bei Neu- meinschaft verlagert werden. Auch das ist heute schon ruppin wenden. häufiger angesprochen worden. (Beifall der Abg. Cornelia Behm [BÜND- Die bislang geltende Beschlusslage ist folgende: So- NIS 90/DIE GRÜNEN]) lange in unserem Land in geringen Höhen geflogen, auf unserem Boden geschossen werden muss, so lange muss Im Gegenteil: Wir unterstützen einander gegenseitig, eine Lastengerechtigkeit angestrebt werden. Dazu stehe weil wir wollen, dass alle Menschen überall möglichst ich uneingeschränkt. Daraus folgt für mich: Wenn ein unbehelligt leben können. Standort auf Null gesetzt wird, so heißt das Null für alle; (Beifall des Abg. Dirk Manzewski [SPD]) denn nur dann ist es gerecht. Anders und vielleicht klarer ausgedrückt: Wenn die Planungen für Wittstock einge- Die Bürgerinnen und Bürger im nördlichen Brandenburg stellt werden, dann gehören Nordhorn Range und Sie- und im südlichen Mecklenburg-Vorpommern haben genburg dichtgemacht, dann brauchen wir ein vollstän- vollkommen recht, wenn sie sich wehren gegen Lärm dig neues Konzept. und Gefahr. Danke. – Dass es keinen Beifall für meinen Redebei- Meine Damen und Herren, ich vertrete also keine trag gibt, war mir klar. Politik nach dem berüchtigten und in jeder Hinsicht frag- würdigen Sankt-Florians-Prinzip. Was mich allerdings (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der umtreibt, ist die Frage nach Gerechtigkeit und Solidari- CDU/CSU) tät, weil Sankt Florian immer in zwei Richtungen wirkt. Die Landesverteidigung und die Bündnisverpflichtungen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der Bundesrepublik bringen Lasten mit sich – darüber Nun hat das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Götzer wurde heute schon genug gesprochen –, und diese müs- für die CDU/CSU-Fraktion. sen gerecht verteilt werden; auch das ist heute schon ge- sagt worden. Nicht zuletzt deshalb wurden ja überhaupt die Planungen angestellt, den Schießplatz in Branden- Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): burg wieder in Betrieb zu nehmen. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Ich spreche heute hier als Vertreter des Wahlkreises Den Menschen rund um Nordhorn wurde in den letz- Landshut/Kelheim, in dem der Luft-Boden-Schießplatz ten Jahren und Jahrzehnten immer wieder gesagt: Die Siegenburg liegt. Übungen bei euch müssen sein; die können wir nicht ins (B) (D) Ausland verlagern. – Jetzt liegt folgende Situation vor: Der Kollege Kues hat darauf hingewiesen, dass Nord- Der Platz bei Wittstock geht vorerst nicht in Betrieb, und horn bereits seit dem Zweiten Weltkrieg in Betrieb ist. alles, was eigentlich schon jetzt dort stattfinden sollte, Siegenburg noch etwas länger: Siegenburg ist sozusagen wird woanders geflogen. der dienstälteste Luft-Boden-Schießplatz auf deutschem Boden. Er besteht seit den 30er-Jahren. Auch wenn, wie Die Bürgerinnen und Bürger in meiner Heimat fühlen ich gern einräume, die Einsatzzahlen in der Region seit sich mittlerweile, gelinde gesagt, verschaukelt. Sie kom- den 90er-Jahren deutlich rückläufig sind – mit der Be- men zu mir und sagen: Siehst du, auf einmal geht es völkerung freue ich mich darüber –, bleibt das natürlich woanders doch. – Für uns vor Ort gibt es da eine klare eine große Belastung für die Menschen dort. Glaubwürdigkeitslücke, und daher fordere ich an dieser Stelle: Wenn Nordhorn Range auf längere Sicht schein- Herr Kollege Weigel, Sie haben im Zusammenhang bar der einzige brauchbare Luft-Boden-Schießplatz in mit Siegenburg von einer Übungszeit von acht Stunden Deutschland bleibt, dann müssen grundsätzlich neue im Jahr gesprochen. Sie stützen sich dabei auf Angaben Übungskonzepte her. des Bundesrechnungshofes. Ich halte diese Zahl für schlicht abenteuerlich. Ihr ist nicht nur vom Verteidi- Wenn die Inbetriebnahme des Platzes in Nordbran- gungsministerium widersprochen worden; mir liegen denburg zum Schutz der Menschen unterbleiben muss, ganz andere Zahlen vor. dann muss dieser Schutz auch für die Menschen in mei- ner Heimat gelten, übrigens auch für die Menschen rund Im Jahr 2005 – der Bundesrechnungshof hat für die- um den geringer genutzten Schießplatz bei Siegenburg. ses Jahr von jener Einsatzzeit von acht Stunden gespro- Das heißt im Klartext: Wenn in der Kyritz-Ruppiner chen – gab es über Siegenburg rund 200 Einsatzflüge. Heide nicht geübt werden darf, darf nirgendwo in Man geht von einer durchschnittlichen Übungszeit von Deutschland geübt werden. 10 bis 20 Minuten pro Einsatz aus. Danach können Sie selbst ausrechnen, dass man niemals nur auf acht Stun- (Beifall bei der LINKEN) den kommt, sondern auf ein Vielfaches. Wenn allerdings auch in Zukunft in Deutschland geflo- Im Übrigen möchte ich sagen: Man kann hierbei nicht gen und geschossen wird, dann darf das nicht allein auf mit Zeitkriterien arbeiten. In dem Moment, in dem die der Nordhorn Range und bei Siegenburg geschehen. Flugzeuge sozusagen über die Köpfe der Menschen hin- Unser Ziel ist: Die Menschen in Deutschland müssen wegdonnern, ist die psychische, die gesundheitliche Be- so weit wie möglich vor unnötigen Belastungen und Ge- lastung da. Das hat nichts mit Sekunden oder Minuten zu fährdungen geschützt werden. Am besten sollten Übun- tun. Wenn das einmal oder zweimal am Tag der Fall ist, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23481

Dr. Wolfgang Götzer (A) dann ist das heftig genug. Deswegen ist die Zahl der Ein- glaube ich, alle Kollegen einig – sieht das anders aus. (C) sätze hier entscheidend. Übrigens gilt diese Zahl von un- Solange sie aber notwendig sind – die Experten sagen gefähr 200 Einsatzflügen nicht nur für das Jahr 2005, uns, dass sie nach wie vor nicht verzichtbar sind –, ste- sondern nach meinen Informationen auch in etwa für die hen wir dazu, dass man diese Lasten tragen muss, auch Jahre davor und bis heute. im Raum Siegenburg. Aber es geht eben um eine ge- rechte Lastenverteilung. Das ist, glaube ich, nicht zu viel Herr Kollege Weigel, ich muss mich noch einmal an verlangt. Sie wenden. Sie haben von 270 Millionen Euro Kosten allein für Wittstock gesprochen. Sie müssten allerdings Das gilt gerade dann, wenn man auf die Bevölke- fairerweise dazusagen, dass der Löwenanteil dieses Be- rungsdichte schaut. Sie ist in unserem Raum und im trages, nämlich 230 Millionen Euro, für die Beseitigung Raum Nordhorn, Kollege Kues, sehr viel höher als etwa von Munition und nicht für den Betrieb des Luft-Boden- in Wittstock. Es sind viel mehr Menschen betroffen als Schießplatzes vorgesehen ist. in der Region dort. Herr Kollege Weigel, ich verstehe, (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!) dass Sie dafür kämpfen, dass Ihr Standort nicht wieder in Betrieb genommen wird. Aber bitte verstehen Sie auch, Dann ergibt sich schon ein ganz anderes Bild. dass wir sagen: Solange die Einsätze notwendig sind, Sie werden verstehen, dass ich als Vertreter des Wahl- wollen wir eine gerechte Lastenverteilung. Die Men- kreises Landshut/Kelheim, in dem, wie gesagt, Siegen- schen in unserer Region haben ein Recht darauf. burg liegt, ganz klar für eine gerechte Lastenverteilung Danke. eintrete. Das hat gar nichts mit dem Sankt-Florians-Prin- zip zu tun. Wer den Sankt-Florians-Spruch kennt, der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weiß, dass es darum geht, verschont zu bleiben. Wir sind seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht ver- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: schont geblieben, sondern bei uns wird geübt, und des- Die Aktuelle Stunde ist beendet. wegen wissen wir, wovon wir reden. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages- Die Menschen im Raum Siegenburg sind ganz sicher ordnung. bereit, Belastungen auf sich zu nehmen, wenn sie für un- sere Verteidigung, für unsere Sicherheit notwendig sind. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel; das hat sich in destages auf morgen, Donnerstag, 23. April 2009, 9 Uhr, all den Jahren, in denen ich Wahlkreisabgeordneter bin, ein. immer wieder bestätigt. Wenn das aber einmal nicht Die Sitzung ist geschlossen. (B) mehr notwendig sein sollte, wenn wir solche Übungs- (D) plätze nicht mehr brauchen, dann – darin sind sich, (Schluss: 16.50 Uhr)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23483

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 22.04.2009 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 22.04.2009 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN

Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 22.04.2009 Wieczorek-Zeul, SPD 22.04.2009 Heidemarie Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 22.04.2009 DIE GRÜNEN Wolff (Wolmirstedt), SPD 22.04.2009 Waltraud Becker, Dirk SPD 22.04.2009 Zapf, Uta SPD 22.04.2009 Beckmeyer, Uwe SPD 22.04.2009

Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ 22.04.2009 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union DIE GRÜNEN ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Bierwirth, Petra SPD 22.04.2009

Bodewig, Kurt SPD 22.04.2009** Anlage 2 Antwort Dr. Botz, Gerhard SPD 22.04.2009 des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage (B) Dağdelen, Sevim DIE LINKE 22.04.2009 der Abgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE) (D) (Drucksache 16/12641, Frage 3): Ernstberger, Petra SPD 22.04.2009 Welche Erkenntnisse bzw. Befunde lieferte die Befragung der Geförderten der Begabungsförderungswerke durch die Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 22.04.2009 HIS Hochschul-Informations-System GmbH, die laut Anga- ben der Bundesregierung am 28. Februar 2009 abgeschlossen Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 22.04.2009 worden sein soll, und wann werden diese Ergebnisse der Öf- fentlichkeit präsentiert? Dr. Geisen, Edmund FDP 22.04.2009 HIS Hochschul-Informations-System GmbH hat zwar die Befragung der Geförderten inzwischen abgeschlos- Gleicke, Iris SPD 22.04.2009 sen der Bericht ist dem BMBF jedoch erst für die zweite Mai-Hälfte zugesagt worden und wird anschließend ver- Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 22.04.2009 öffentlicht. DIE GRÜNEN

Hirte, Christian CDU/CSU 22.04.2009 Anlage 3 Dr. h. c. Kastner, SPD 22.04.2009 Antwort Susanne der Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl auf die Frage Dr. Scheer, Hermann SPD 22.04.2009 der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 5): Schily, Otto SPD 22.04.2009 Welche Mitarbeiter der Bundesanstalt für Geowissen- schaften und Rohstoffe, BGR, erhielten den Abschlussbericht Schmidt (Nürnberg), SPD 22.04.2009 „Bestimmung des Inventars an chemischen und chemotoxi- schen Stoffen in den eingelagerten radioaktiven Abfällen der Renate Schachtanlage Asse“ zur Kenntnis, und wie ging man in der BGR mit der darin enthaltenen Information um, dass im Schmitt (Berlin), Ingo CDU/CSU 22.04.2009* Atommülllager Asse II auch diverse nicht radioaktive Gift- stoffe wie Arsen, Pflanzenschutzmittel etc. entsorgt wurden? Schwabe, Frank SPD 22.04.2009 Der Bericht – Abschlussbericht März 2004 – wurde vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, Tauss, Jörg SPD 22.04.2009 LBEG, routinemäßig an die Gutachter der Genehmi- 23484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

(A) gungsbehörde versandt – darunter auch die BGR, Ein- Besteht für einen in einer landwirtschaftlichen Kranken- (C) gang 19. Mai 2004. Von der im Titel genannten fachli- kasse freiwillig Versicherten, der außerhalb der Landwirt- chen Fragestellung war die BGR nicht betroffen, da sie schaft als Angestellter tätig ist, wie für jeden in einer anderen Kassenart versicherten Angestellten Anspruch auf Kranken- auftragsgemäß ausschließlich Gutachten zur Gebirgsme- geld auch über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hi- chanik und Seismologie gefertigt hat. Der Vorgang hat naus, oder war es die Intention des Gesetzgebers, mit dem den von der Geschäftsordnung der BGR vorgeschriebe- Zweiten Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte, nen Weg vom Präsidenten bis zum Sachbearbeiter KVLG 1989 (§ 63 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 12 durchlaufen. KVLG 1989) – im Vorgriff auf die 1996 eingeführte Weiter- versicherung in der landwirtschaftlichen Krankenkasse, LKK –, die in einer anderen Kassenart versicherten Angestellten ge- genüber den nicht landwirtschaftlich angestellten LKK-Versi- Anlage 4 cherten zu privilegieren? Antwort Bei der in der Frage angesprochenen Vorschrift des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der des Parl. Staatssekretärs Klaus Brandner auf die Fragen Landwirte (KVLG 1989) handelt es sich um eine Über- der Abgeordneten Katrin Kunert (DIE LINKE) gangsbestimmung als Folge der Agrarsozialreform 1995. (Drucksache 16/12641, Fragen 7 und 8): Im Rahmen der Agrarsozialreform 1995 wurde auch der Bleibt die Bundesregierung auch nach Beschlussfassung versicherte Personenkreis in der landwirtschaftlichen über die Aufstockung der Abwrackprämie auf 5 Milliarden Euro bei ihrer Auffassung, dass Arbeitslosengeld-II-Bezie- Krankenversicherung neu geordnet. Als Folge dieser hende weiterhin de facto keinen Anspruch auf diese Prämie Neuordnung wurde denjenigen Personen, die aus der haben sollen und eine Anrechnung auf die Grundsicherung Versicherungspflicht ausschieden, die Möglichkeit eröff- gerechtfertigt sei? net, der Versicherung weiterhin als freiwilliges Mitglied Wie begründet die Bundesregierung in diesem Zusam- anzugehören. menhang die Ungleichbehandlung der einzelnen Antragstel- ler? Für diese freiwilligen Mitglieder sowie für Landwirte mit einer außerlandwirtschaftlichen Saisonbeschäfti- Zu Frage 7: gung, die ab 1995 ebenfalls einer landwirtschaftlichen Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt die Krankenkasse angehören können, wurde ein Anspruch Auffassung vertreten, dass Bezieherinnen und Bezieher auf Krankengeld eingeführt. Dies war notwendig, um den von Arbeitslosengeld II – de facto – keinen Anspruch Verlust des außerlandwirtschaftlichen Entgelts ausglei- auf die Umweltprämie haben sollen: Arbeitslosengeld-II- chen zu können. Nähere Bestimmungen zu diesem Kran- Bezieher haben ebenso wie alle anderen, die die Voraus- kengeldanspruch enthält das KVLG 1989 nicht, vielmehr setzungen für die Umweltprämie erfüllen, einen An- werden die entsprechenden Bestimmungen des allgemei- (B) spruch darauf. Allerdings wird sie – wenn sie dann fließt – nen Krankenversicherungsrechts für anwendbar erklärt. (D) als Einkommen berücksichtigt. Seit Bestehen dieser Regelung gab es bei deren An- Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Auffassung, wo- wendung keine Probleme. Nach Ihrer Fragestellung nach die Umweltprämie als Einkommen zu berücksichti- scheint dieser in beiden Versicherungssystemen gleiche gen ist, um den Umfang der Hilfebedürftigkeit und die Leistungsanspruch in einem Einzelfall streitig zu sein. Höhe eines Anspruchs auf Leistungen nach dem Zweiten Ohne diesen Fall zu kennen, ist eine Stellungnahme dazu Buch Sozialgesetzbuch feststellen zu können. Der Be- nicht möglich. Ich schlage daher vor, dass Sie die entspre- schluss, das Fördervolumen zu erhöhen, hat auf diese chenden Unterlagen dem BMELV zugänglich machen, Bewertung keinerlei Einfluss. das dann gerne – gegebenenfalls unter Einschaltung der zuständigen Aufsichtsbehörde – der Sache nachgeht. Zu Frage 8: Eine unterschiedliche Behandlung bei der Gewährung der Umweltprämie je nach dem, ob es sich bei den An- Anlage 6 tragstellern um Arbeitslosengeld-II-Bezieher handelt oder Antwort nicht, findet nicht statt. In jedem Einzelfall findet eine Einkommens- und Vermögensprüfung statt, anhand derer des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage das Vorliegen und der Umfang der Hilfebedürftigkeit der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LIN- festzustellen und gegebenenfalls in entsprechender Höhe KEN) (Drucksache 16/12641, Frage 10): Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu ge- Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über bereits währen ist. vor dem Verbot von Genmais MON 810 am 14. April 2009 mit selbigem bestellte Flächen, und welche Konsequenzen hat Daher kann die Bundesregierung nicht erkennen, wel- das für diese landwirtschaftlichen Betriebe? che Ungleichbehandlung gemeint ist. Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse darüber, dass vor der Ankündigung der Schutzmaßnahme am 14. April 2009 und der Verhängung durch das Bundes- Anlage 5 amt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Antwort am 17. April 2009 Landwirte bereits MON 810 ausgesät haben. des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage des Abgeordneten Frank Spieth (DIE LINKE) (Druck- Mit Verhängung der Schutzmaßnahme ist der Anbau sache 16/12641, Frage 9): von MON 810 unzulässig und die Länder hätten dies ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23485

(A) genüber den betroffenen Landwirten gegebenenfalls mit den in diesem Zeitraum durch MON 810 entstanden (C) einer Anordnung des Umbrechens durchzusetzen. sind, liegen der Bundesregierung keine konkreten Er- kenntnisse vor.

Anlage 7 Es ist nicht möglich, im Rückblick Erkenntnisse da- rüber zu erlangen, in welchem Umfang sich Gefahren Antwort für die Umwelt durch die Aussaat von MON 810 seit des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage dem Jahr 2005 verwirklicht haben bzw. welche Umwelt- der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) schäden in diesem Zeitraum durch MON 810 entstanden (Drucksache 16/12641, Frage 11): sind. Welche „unabhängigen Experten“ (Pressemitteilung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz vom 14. April 2009) werden oder sind mit der Anlage 10 Erarbeitung des Strategiepapiers zur Agro-Gentechnik beauf- tragt, und welcher konkrete inhaltlich-zeitliche Arbeitsplan Antwort liegt dem Vorhaben zugrunde? des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fra- Das weitere Vorgehen zur Erarbeitung einer Strategie gen des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜND- für den Umgang mit der Agro-Gentechnik und damit NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Fra- auch die Frage der Einbindung von Experten wird an- gen 17 und 18): lässlich einer Besprechung der beteiligten Bundesres- Welche Annahmen legte die Bundesregierung der Ermittlung sorts auf Abteilungsleiterebene erörtert werden. der zukünftigen Lkw-Mauteinnahmen in den Wirtschaftlich- keitsuntersuchungen für die Pilotprojekte für das Betreiber- modell für den mehrstreifigen Autobahnausbau – A-Modell – Anlage 8 zugrunde, und für wie plausibel hält die Bundesregierung die Abschätzung der Lkw-Mauteinnahmen? Antwort Wie erklärt die Bundesregierung, dass die Schätzungen der erfolgreichen Bieter um bis zu 75 Prozent über denen des des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage Bundes lagen, und mit welchem Ergebnis hat die Bundesre- der Abgeordneten Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE gierung die Schätzungen der erfolgreichen Bieter kritisch hin- GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 12): terfragt? Umfasst das in der Pressemitteilung des Bundesministe- riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Zu Frage 17: vom 14. April 2009 angekündigte Verbot des Anbaus der gen- (B) technisch veränderten Maissorte MON 810 auch die durch Die nach bestem Wissen erstellten Prognosen des (D) das Bundessortenamt für 2009 angemeldeten Sorten-Wertprü- Bundes zur Abschätzung der Mauteinnahmen für die fungen von MON-810-Varianten und, falls nein, mit welcher A-Modell-Strecken werden als diejenigen mit der höchs- Begründung? ten Eintrittswahrscheinlichkeit angesehen. Hinweise auf Die vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Le- Implausibilitäten der Abschätzungen liegen der Bundes- bensmittelsicherheit am 17. April 2009 verhängte regierung nicht vor. Schutzmaßnahme umfasst auch den Anbau in Form von Sorten-Wertprüfungen von MON-810-Varianten durch Wesentliche Prognosegrundlagen bilden insbeson- das Bundessortenamt. dere: Realisierungsstudien zu den A-Modell-Projekten, bisherige Entwicklung von Fahrleistung und Mautauf- kommen auf den A-Modell-Strecken, Beanstandungs- Anlage 9 quoten bei den Mautkontrollen, Verkehrszählungen auf den relevanten Strecken, Annahmen zur Entwicklung Antwort des Flottenmixes hinsichtlich der Mautkategorien, An- des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage nahmen zur Infrastrukturentwicklung (relevante Paral- der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE lel- oder Zulaufstrecken), Annahmen zur Entwicklung GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 13): der generellen Einflussfaktoren für den Güterverkehr (Sendungsgröße, Produktionsstrukturen, Globalisie- Hat die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- rung), Annahmen zur künftigen Wirtschafts- und Preis- braucherschutz, , das Verbot der Aussaat von gen- entwicklung und regionalisierte Bevölkerungsprognosen technisch verändertem Mais der Sorte MON 810 mit von dem des Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Genmais ausgehenden Gefahren für die Umwelt begründet hat, konkrete Erkenntnisse darüber, in welchem Umfang sich diese Gefahren durch die Aussaat von MON 810 seit der Ge- Zu Frage 18: nehmigung durch den ehemaligen Bundesminister für Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, , Im Rahmen der Angebotswertung wurde lediglich der im Jahr 2005 verwirklicht haben bzw. welche Umweltschäden methodische Umgang der Bieter mit dem Thema Ver- dadurch entstanden sind, und plant die Bundesregierung wei- kehrsprognostik gewürdigt. Eine inhaltliche Würdigung tere Untersuchungen oder Forschungsaufträge, um Erkennt- der Annahmen erfolgte mangels Wertungsrelevanz nicht. nisse darüber zu erlangen? Da der Bund an den Bieterprognosen nicht mitgewirkt Zu der Frage, in welchem Umfang sich Gefahren für hat, entziehen sich die Beweggründe der Bieter für ge- die Umwelt durch die Aussaat von MON 810 seit dem wählte Ansätze und getroffene Annahmen seiner Kennt- Jahr 2005 verwirklicht haben bzw. welche Umweltschä- nis. 23486 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

(A) Möglicherweise könnten die Bieterprognosen auch hende unmittelbare Gefahr für Mensch und Umwelt (C) durch strategische Überlegungen geprägt gewesen sein, einzudämmen. die auch durch die Wertungssystematik bei den Pilotpro- jekten – allein ausschlaggebend war im Wesentlichen die Angaben der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) Höhe der Anschubfinanzierung bzw. des Abzugsbetra- zufolge treten auch heute noch radioaktive Stoffe durch ges – begünstigt worden sein könnten. Öffnungen im „Sarkophag“ aus – Gesamtfläche mehrere 100 Quadratmeter – oder gelangen über den Abluftka- Dies wurde im Auswertungsbericht des Bundesminis- min des Lüftungssystems in die Umwelt. Bisher gibt es teriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom trotz gezielter Untersuchungen keine Hinweise, dass aus Herbst 2007 auch als ein Aspekt für die Weiterentwick- dem Sarkophag radioaktive Flüssigkeiten in das Grund- lung der A-Modell-Projekte identifiziert, die Wertungs- wasser gelangen. Messungen des Grundwassers aus Be- systematik für die künftigen Projekte wird daher inzwi- obachtungsbrunnen in der Umgebung des Standorts er- schen insofern überarbeitet. gaben, dass die Kontamination des Grundwassers in den letzten Jahren stark abnahm und sich derzeit auf niedri- gem Niveau bewegt. Das heißt, außerhalb der 30-Kilo- Anlage 11 meter-Sperrzone werden die strengen Trinkwassergrenz- Antwort werte, die in der Ukraine gültig sind, für Radionuklide sicher unterschritten. Für Strontium 90 zum Beispiel des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Frage liegt der Grenzwert in der Ukraine nach Auskunft des des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) BfS bei 2 Bq/l, die WHO empfiehlt 10 Bq/l. (Drucksache 16/12641, Frage 19): Um die Strahlenexposition in der Umgebung des Sar- Wie viele von den über 250 beantragten Förderprojekten (siehe Pressemitteilung 065/2009 des Bundesministers für Ver- kophags zu ermitteln, werden in der Regel zweimal mo- kehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee, vom natlich an mehreren Stellen die aus der Luft abgelagerten 4. April 2009) widmen sich speziell der Schaffung von Barrie- Aerosole gemessen. Die Messungen weisen aus, dass die refreiheit, und welche der noch nicht barrierefreien Welterbe- Aktivitätskonzentrationen für die radioaktiven Spaltpro- stätten können mit dem „Förderprogramm UNESCO-Welterbe- stätten“ barrierefrei umgestaltet werden, sofern das jeweilige dukte in der Umgebungsluft gegenwärtig unter einigen 3 Projekt der Antragsteller eine zustimmende Empfehlung von Tausendstel Bq/m und für Transurane (wie Plutonium, dem „unabhängigen Expertengremium“ und ein entsprechen- Americium) unter einigen Zehnmillionstel Bq/m3 liegen. des Votum des Ministeriums erhält? Die luftgetragenen radioaktiven Ableitungen konnten Bis zum 31. März 2009 sind rund 250 Projektanträge nach Angaben der GRS durch die Staubbindung dras- von Kommunen mit Welterbestätten beim Bundesinstitut tisch reduziert werden. Die für den Standort Tschernobyl (B) für Bau-, Stadt- und Raumforschung eingegangen. Die geltenden Grenzwerte für diese Ableitungen werden ein- (D) Projektanträge werden derzeit noch auf ihre Vollständig- gehalten. keit und die Übereinstimmung mit den Förderbedingun- gen hin überprüft. Zur langfristigen Sicherung und zur Ermöglichung des geordneten Abbaus von Block 4 ist jedoch die Er- Förderfähig sind: investive Maßnahmen an oder in richtung der neuen Schutzhülle, des New Safe Confine- baulichen Anlagen, investive Maßnahmen im städtebau- ment (NSC), unabdingbar. lichen Umfeld sowie investitionsvorbereitende und kon- zeptionelle Maßnahmen. Dieser Rahmen umfasst grundsätzlich auch Maßnah- Anlage 13 men zur Sanierung und Weiterentwicklung des Bestands, wie etwa Maßnahmen zur Schaffung oder Verbesserung Antwort der Barrierefreiheit. des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Frage des Abgeordneten Jörg Tauss (SPD) (Drucksache 16/12641, Frage 21): Anlage 12 Welche Maßnahmen wurden in den letzten vier Jahren ein- Antwort geleitet, um das havarierte AKW in Tschernobyl und den um- gebenden Betonmantel weiter abzusichern? des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Frage des Abgeordneten Jörg Tauss (SPD) (Drucksache 16/12641, Mit der Stabilisierung des „Sarkophags“ in den letz- Frage 20): ten vier Jahren ist nicht nur eine Sicherheitsverbesse- Wie stellt sich vor dem Hintergrund, dass sich am rung, sondern auch eine der technischen Voraussetzung 26. April 2009 das Kraftwerksunglück von Tschernobyl zum für die Errichtung des New Safe Confinement um den 23. Mal jährt, die Situation des havarierten Atomkraftwerks, „Sarkophag“ geschaffen worden. Zu den Stabilisierungs- AKW, und die von diesem ausgehende Gefahr aus Sicht der maßnahmen gehörten insbesondere die Absicherung der Bundesregierung dar? Westwand durch schrittweise Übertragung eines Groß- Nach Abschluss der Stabilisierungs- und Abdich- teils der Dachlast auf eine vorgebaute Gerüstkonstruk- tungsmaßnahmen im Jahr 2008 ist der alte „Sarkophag“ tion sowie die Abdichtung der Dachkonstruktion selbst. in der Zeit bis zur geplanten Errichtung und Inbetrieb- Damit ist das Einsturzrisiko des „Sarkophags“ vorläufig nahme der neuen Schutzhülle geeignet, die vom hava- abgewehrt, der Austritt radioaktiver Stoffe aus Lüftungs- rierten Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl ausge- klappen im Dach gebremst. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23487

(A) Der Auftrag zum Bau der neuen sicheren Schutzhülle Materialermüdung beschleunigt, würde die Lebens- (C) (NSC) wurde im September 2007 vergeben. Er be- dauer der Anlage bei häufigem Lastwechsel erheblich inhaltet in einem ersten Schritt die Ausführungsplanung reduziert. Die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden lassen inklusive deren Genehmigung, mit der noch in 2009 ge- sich regelmäßig darüber berichten, inwieweit die rechnet wird. In einem zweiten Schritt folgt der Bau der Materialermüdung fortgeschritten ist. Schutzhülle selbst. Der benötigte Stahl soll noch in die- sem Jahr bestellt werden. Das Gelände zur Vorfertigung der NSC-Konstruktion ist inzwischen vorbereitet. Anlage 16 Antwort Anlage 14 des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 25): des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Frage Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE Vorkommen der Chemikalie TMDD in deutschen Gewässern, GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 22): und welche Gefahren gehen von TMDD für Mensch und Um- welt aus? Welche Fälle sind der Bundesregierung international be- kannt, bei denen Computersysteme von Atomkraftwerken mit Die Chemikalie TMDD (2,4,7,9-Tetramethyl-5- schädlichen Programmen bzw. Programmteilen wie unter an- decyn-4,7-diol, CAS-Nr.: 126-86-3) ist ein gut wasser- derem Viren, Würmern, Trojanern, Rootkits befallen bzw. in- löslicher farbloser Feststoff, der als nichtionisches Ten- fiziert wurden, und gab es dabei auch Fälle, in denen diese Programme bzw. Programmteile dazu beigetragen haben, dass sid und Netzmittel eingesetzt wird. TMDD wird vor al- die Performance des Kraftwerks bzw. von Kraftwerksteilen lem eingesetzt, um die Oberflächenspannung wässriger wie zum Beispiel dem Computersystem von deren Standard- Formulierungen zu erniedrigen. Darüber hinaus hat Performance abwich? TMDD schaumhemmende Eigenschaften. Hauptanwen- Der Bundesregierung ist ein Fall im Ausland bekannt, dungen sind Druckertinten, Dispersionsmittel, Pflanzen- in dem in einem Kernkraftwerk der Anlagen-Prozess- schutzmittel, Farben, Klebstoffe sowie die Oberflächen- rechner mit einem Computervirus infiziert war. Dadurch beschichtung von Papier-, Holz- oder Plastikprodukten. war zunächst das Anzeigesystem für Sicherheitsparame- TMDD ist ein zugelassener Kosmetikinhaltstoff und hat ter beeinträchtigt und fiel für einige Stunden aus. Eben- auch hier die Funktion der Schaumverminderung. falls war der Anlagen-Prozessrechner für circa 6 Stun- Die US-Umweltbehörde EPA stuft TMDD als eine den nicht verfügbar. Die automatisierten Sicherheits- Verbindung mit geringer akuter Toxizität für Fische und (B) und Betriebsfunktionen der Anlage waren hiervon nicht aquatische Wirbellose bzw. mit mäßiger akuter Toxizität (D) beeinträchtigt. für Algen ein. Es gibt keine Hinweise für eine mutagene Die Schadsoftware drang über eine ungeschützte Da- oder kanzerogene Wirkung von TMDD. In Reproduk- tenverbindung ein und nutzte eine nicht rechtzeitig ge- tionsstudien (Ratten) wurden Auffälligkeiten erst ab schlossene Sicherheitslücke eines Datenbankprogram- 1 000 mg/kg Körpergewicht/Tag festgestellt. mes. Entsprechende Software zum Schließen dieser In dem „Gemeinsamen zentralen Stoffdatenpool von Lücke war verfügbar. Bund und Ländern“ (GSBL) ist der Stoff als schwach wassergefährdend eingestuft (Wassergefährdungsklasse 1). Er hat die Gefahrstoffkennzeichnung „Reizend“ und fol- Anlage 15 gende R- und S-Sätze: R: 36 (Reizung der Augen), S: 26–37/39. Die S-Sätze verdeutlichen aufgrund der Antwort Reizwirkung auf das Augengewebe und auf die Haut so- des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Frage wie der Gefahr des Verschluckens eine mögliche Ge- des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE sundheitsgefährdung bei Kontakt mit der unverdünnten GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 23): Chemikalie. Es gibt keine Hinweise auf mutagene oder Wie schätzt die Bundesregierung die Fähigkeit von Atom- kanzerogene Wirkung. Auch in Reproduktionsstudien kraftwerken ein, beim Auftreten von starken Fluktuationen in- wurden keine Auffälligkeiten festgestellt. Der Stoff ist nerhalb eines Tages in der sonstigen Stromerzeugung hoch- biologisch nicht vollständig abbaubar. bzw. herunterzufahren, und gibt es eine Einschätzung der Bundesregierung darüber, wie oft Atomkraftwerke – wie zum TMDD wurde in verschiedenen deutschen Flüssen Beispiel Biblis A oder Brunsbüttel – jährlich herauf- und he- überwacht. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Ver- runtergefahren werden können, ohne dass dies Folgen für die braucherschutz in Nordrhein-Westfalen misst TMDD Anlagensicherheit mit sich bringen würde? seit 2005 in seinem Gewässeruntersuchungsprogramm Kernkraftwerke können grundsätzlich kurzfristig hoch- und weist diesen Stoff seitdem in Flüssen des Landes in und runtergefahren werden, auch infolge von starken Konzentrationen von 0,1 bis 3 reg/l nach. Kurzzeitige Fluktuationen in der Stromerzeugung. Das häufige Spitzenwerte, wie sie bei der Überwachung beobachtet Hoch- und Runterfahren ist jedoch mit starken Material- werden, lagen in Einzelfällen auch höher. Die Konzen- ermüdungen verbunden, sodass die Atomkraftwerke trationen sind annähernd konstant. Aufgrund des breiten vorzugsweise mit Vollast betrieben werden. Die Anla- Einsatzbereiches von TMDD in vielen Konsumgütern ist gensicherheit hängt unter anderem vom Materialermü- dieser Befund nicht überraschend. Der Eintrag von dungsgrad ab. Da das Rauf- und Runterfahren die TMDD erfolgt primär über kommunales Abwasser. 23488 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

(A) Nach den bisher vorliegenden Studien und Erkennt- nierungsaufwand von 5 000 Euro pro Quadratmeter aus der (C) nissen zur ökotoxikologischen Bewertung von TMDD Sicht der Bundesregierung gerechtfertigt? kann von einer geringen akuten Toxizität ausgegangen Mit der Konzeption der Bundesregierung für das werden. Die Konzentrationen an TMDD, die in deut- „Sichtbare Zeichen“ (Beschluss des Bundeskabinetts schen Flüssen nachgewiesen wurden, liegen deutlich un- vom 19. März 2008) wurde als Standort das Deutsch- ter der für Fische, Kleinkrebse und Süßwasseralgen er- landhaus festgelegt. Aus baufachlicher Sicht wurde die mittelten akut toxischen Konzentrationen. Eine akute Sanierung des gesamten Gebäudes empfohlen. Die Kos- Gefährdung der Tiere und Pflanzen im Gewässer durch tenschätzung für die Gesamtsanierung einschließlich der TMDD ist deshalb nicht wahrscheinlich. Es ergeben sich spezifischen Maßnahmen für die Stiftung Flucht, Ver- daraus auch keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung treibung, Versöhnung beträgt 29 Millionen Euro. der menschlichen Gesundheit über den Wasserpfad. Für die Herrichtung der für die Stiftung Flucht, Ver- treibung, Versöhnung im Deutschlandhaus benötigten Anlage 17 Flächen werden anteilig circa 5,5 Millionen Euro der Kosten für die ohnehin notwendigen Sanierung des Ge- Antwort samtgebäudes berechnet. Hinzu kommen circa 8,5 Mil- des Parl. Staatssekretärs Michael Müller auf die Frage lionen Euro für die nötigen Um- und Ausbauten. der Abgeordneten Gudrun Kopp (FDP) (Drucksache 16/12641, Frage 26): Somit liegt die Kostenschätzung für die bauseitige Herrichtung für die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöh- Wie ist die Haltung der Bundesregierung zu den in der vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak- nung im Deutschlandhaus bei 14 Millionen Euro. Für die torsicherheit herausgegebenen Broschüre „Roadmap Energie- Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Deutsch- politik 2020“ dargestellten Positionen? landhaus sind 2 050 Quadratmeter Ausstellungsnut- Die Broschüre „Roadmap Energiepolitik 2020“ stellt zungsfläche und 1 600 Quadratmeter Nutzungsfläche die Positionen des Bundesministerium für Umwelt, Na- (Dokumentations-/Informationszentrum, Zwischendepots, turschutz und Reaktorsicherheit dar. Die Bundesregie- Büros) vorgesehen. rung kommentiert grundsätzlich keine Publikationen der einzelnen Bundesministerien. Anlage 20 Antwort Anlage 18 (B) Antwort des Staatsministers Bernd Neumann auf die Frage des (D) Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksa- des Staatsministers Hermann Gröhe auf die Frage der che 16/12641, Frage 30): Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Welche der 33 UNESCO-Welterbestätten in Deutschland (Drucksache 16/12641, Frage 28): sind nicht barrierefrei? Trifft es zu, dass die Bundeskanzlerin anlässlich des 60. Geburtstages von Josef Ackermann ein Essen im Bankett- Für detaillierte Informationen, welche der Welterbe- saal des Kanzleramtes für 25 Personen ausgerichtet hat, und stätten nicht barrierefrei sind, wäre eine Abfrage bei den gab es in dieser Legislaturperiode vergleichbare Einladungen zuständigen Ländern erforderlich. Eine solche Abfrage an Personen, die im Bundeskanzleramt ihren Geburtstag ge- war in der Kürze der Zeit nicht möglich. Es liegt jedoch feiert haben? auf der Hand, dass Flächendenkmale unter den Der Chef der Deutschen Bank, Dr. Josef Ackermann, UNESCO-Welterbestätten, wie zum Beispiel die Stadt hat seinen 60. Geburtstag nicht im Bundeskanzleramt Quedlinburg oder das Mittelrheintal dem Anspruch auf gefeiert. Es gibt auch keine anderen Personen, deren Ge- Barrierefreiheit weniger entsprechen können als Einzel- burtstagsfeiern oder vergleichbare private Anlässe die denkmale. Bundeskanzlerin im Bundeskanzleramt ausgerichtet hätte. Den 60. Geburtstag des Chefs der Deutschen Bank hat Nach Kenntnis der Bundesregierung sind sich die die Bundeskanzlerin vielmehr zum Anlass genommen, Welterbestätten ihrer Verantwortung gegenüber behinder- am Dienstag, dem 22. April 2008, im repräsentativen ten Menschen und der Notwendigkeit eines gleichberech- Bereich ihres Kanzlerbüros ein Abendessen mit Vertre- tigten Zugangs aller bewusst. Eine Berücksichtigung tern aus Wirtschaft und Gesellschaft auszurichten. dieser Personengruppe ist vielfach auch ausdrücklich in den Denkmalschutzgesetzen der Länder vorgesehen. Diese werden flankiert von den Behindertengleichstel- Anlage 19 lungsgesetzen und Bauordnungen der Länder, die Fragen der Barrierefreiheit auf Landesebene im Einzelnen re- Antwort geln. Nach Kenntnis der Bundesregierung sind Länder des Staatsministers Bernd Neumann auf die Frage der und Kommunen regelmäßig bestrebt, einvemehmliche Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Lösungen mit der UNESCO bei der Erhaltung der Welt- (Drucksache 16/12641, Frage 29): erbestätten zu finden, die die Anforderungen der Barriere- freiheit gleichermaßen berücksichtigen (Beispiel: Bei Wie erklärt sich die Kostenschätzung von 30 Millionen Euro für circa 6 000 Quadratmeter für die Einrichtung einer der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel Dokumentationsstätte „Sichtbares Zeichen“, und ist ein Sa- ist ein Seitenaufzug vorhanden). Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23489

(A) Anlage 21 Anlage 22 (C) Antwort Antwort des Staatsministers Dr. h. c. Gernot Erler auf die Frage des Staatsministers Dr. h. c. Gernot Erler auf die Frage des Abgeordneten Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ des Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 34): DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 31): Welche konkreten Schritte plant die Bundesregierung, um Wie bewertet die Bundesregierung die Ankündigung des den vom Bundesminister des Auswärtigen avisierten Abzug US-Präsidenten Barack Obama, in Afghanistan nicht mehr die der US-Atomwaffen in die Wege zu leiten, und welchen kon- Demokratisierung des Landes zu verfolgen (CBS-Interview, kreten Zeithorizont hat sie sich dafür gesetzt? März 2009), und was ist für die Bundesregierung das Ziel des Einsatzes in Afghanistan? Die Bundesregierung setzt sich für konkrete Fort- schritte in der Abrüstung und Rüstungskontrolle von US-Präsident Barack Obama führte im März 2009 Kernwaffen ein. zwei Interviews mit Afghanistan-Bezug mit CBS-Kor- respondenten. Beide Interviews enthalten nicht die in der Die Bundesregierung strebt bei der Überprüfungskon- ferenz 2010 eine umfassende Stärkung des Nuklearen Frage behauptete Aussage. Präsident Barack Obama Nichtverbreitungsvertrags an, der die Grundlage für die stellte vielmehr die Eckpunkte der neuen US-Strategie nukleare Abrüstung bildet. zu Afghanistan und Pakistan dar. Diese Strategie war von den USA nach umfassender Überprüfung der eige- Die Bundesregierung setzt sich in diesem Rahmen so- nen bisherigen strategischen Ausrichtung sowie Konsul- wie mit Blick auf die von US-Präsident Barack Obama tation mit Bündnispartnern und mit Partnern aus der Re- und dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew an- gion Afghanistan-Pakistan erstellt worden. gestrebten weiteren Reduzierungen der nuklearen Arsenale auch für die glaubhafte und überprüfbare Reduzierung Die Elemente der neuen US-Strategie sind bekannt. der substrategischen Nuklearwaffen aller Staaten ein. Gebündelt dienen sie dem unverändert bestehenden Hauptziel des US-Engagements: der Abwehr der terro- Ein konkreter Zeithorizont lässt sich für diesen Pro- ristischen Bedrohung gegenüber den USA sowie den zess derzeit nicht benennen. Verbündeten. Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind ne- ben dem bis auf Weiteres notwendigen Einsatz militäri- scher Kräfte vor allem der deutlich verstärkte Aufwuchs Anlage 23 ziviler Maßnahmen. Dazu gehört auch die Fortsetzung Antwort der Aufbauarbeit, um die weitere Demokratisierung des (B) (D) Landes voranzutreiben – unter anderem Maßnahmen zur des Parl. Staatssekretärs Dr. h. c. Gernot Erler auf die Sicherung der Präsidentschaftswahlen im August 2009. Frage des Abgeordneten Alexander Bonde (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 35): Die Bundesregierung begrüßt die neue US-Strategie Welche Linie in Bezug auf die nukleare Abrüstung wird und teilt die von Präsident Barack Obama postulierten die Bundesregierung auf der dritten Sitzung der PrepCom, Ziele. Europa und die USA ziehen strategisch an einem Preparatory Committee, zur NVV-Überprüfungskonferenz – NVV: Nuklearer Nichtverbreitungsvertrag – im Mai 2009 Strang. Die neue US-Strategie bedeutet auch eine Annä- sowie im Rahmen der NATO vertreten: die Ankündigung des herung an den von der Bundesregierung seit Langem Bundesministers des Auswärtigen, alle Atomwaffen aus verfolgten umfassenden zivil-militärischen Ansatz. Deutschland abzuziehen, oder die im Vorfeld des NATO-Gip- fels von der Bundeskanzlerin vorgetragene Position, an der Prioritär für die Stabilisierung des Landes, so auch nuklearen Teilhabe und damit auch an den in Deutschland ge- Präsident Obama im Interview vom 29. März 2009, ist lagerten US-Atomwaffen festzuhalten? der nachhaltige Aufbau der afghanischen Sicherheits- Beim NATO-Gipfel am 4. April 2009 wurde von der kräfte und deren allmähliche Befähigung zur eigenstän- Bundesregierung und ihren NATO-Partnern eine „Erklä- digen Gewährleistung der Sicherheit in Afghanistan, die rung zur Sicherheit des Bündnisses“ verabschiedet. In Schaffung glaubwürdiger afghanischer Institutionen dieser heißt es zum Thema Abschreckung: durch Stärkung guter Regierungsführung sowie der Ein- Eine Abschreckung, die sich auf eine geeignete Mi- satz für den zivilen Wiederaufbau und Entwicklung schung aus nuklearen und konventionellen Fähig- Afghanistans zur Verbesserung der Lebensbedingungen keiten stützt, bleibt ein Kernelement unserer Ge- der afghanischen Bevölkerung. samtstrategie. Die NATO wird weiterhin ihren Teil Die Bundesregierung wird ihr Engagement wie zur Verstärkung der Rüstungskontrolle und Förde- bereits bisher auch in Zukunft darauf ausrichten, Afgha- rung der nuklearen und konventionellen Abrüstung nistan in einem schwierigen regionalen Umfeld zu stabi- im Einklang mit dem Vertrag über die Nichtverbrei- lisieren und aufzubauen. Am Ende dieses Aufbaupro- tung von Kernwaffen sowie zu den Anstrengungen zesses soll eine staatliche Ordnung stehen, die auf dem Gebiet der Nichtverbreitung beitragen. fundamentale Voraussetzungen politischer Legitimität In der im Dezember 2008 vom Europäischen Rat in- erfüllt. Die für 2009 und 2010 beabsichtigten Wahlen dossierten „Erklärung zur Stärkung der internationalen sind Beleg dafür, dass die internationale Gemeinschaft Sicherheit“ ruft die EU die internationale Gemeinschaft gemeinsam mit dem afghanischen Volk auf die Errei- zur Unterstützung für ihre Initiative zur „Berücksichti- chung dieses Ziels hinarbeitet. gung der taktischen Kernwaffen durch die Staaten, die 23490 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

(A) solche Waffen besitzen, in ihren allgemeinen Rüstungs- Anlage 25 (C) kontroll- und Abrüstungsprozessen im Hinblick auf ihre Antwort Reduzierung und Beseitigung“ auf. des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage des An diese beiden Erklärungen anknüpfend beabsich- Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE tigt die Bundesregierung im EU-Rahmen, unter anderem GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 39): bei der Sitzung des Vorbereitungsausschusses zur Über- Wie hoch ist der Anteil von Homosexuellen unter den jetzt prüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsver- durch Deutschland und andere Mitgliedstaaten der EU aufge- trags im Mai 2009 die übergreifende Frage der Einbezie- nommenen Irakflüchtlingen, und plant die Bundesregierung hung der substrategischen Nuklearwaffen aller Staaten angesichts der besonderen Bedrohungslage für Homosexuelle im Irak, diese ebenso wie verfolgte Christen verstärkt aufzu- in den Abrüstungsprozess zu thematisieren. nehmen, gegebenenfalls warum nicht? Im Rahmen des deutschen Aufnahmeverfahrens wer- den entsprechend der Ratsschlussfolgerungen der Euro- Anlage 24 päischen Union vom 27. November 2008 irakische Antwort Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien aufgenommen, die ein besonderes Schutzbedürfnis aufweisen. Grundsätz- des Staatsministers Dr. h. c. Gernot Erler auf die Frage lich kommen hierbei Personen in Betracht, die keine des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Aussicht auf Rückkehr in den Irak und auch keine Aus- DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 38): sicht auf eine Integration in Syrien bzw. Jordanien ha- ben. Hierzu gehören insbesondere Angehörige verfolgter Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Si- tuation der Homosexuellen im Irak – die sich nach verschie- Minderheiten im Irak, insbesondere religiöser Minder- denen Presseberichten in den letzten Wochen massiv ver- heiten, Personen, die besonderer medizinischer Hilfe be- schlechtert haben soll –, insbesondere über durchgeführte und dürfen sowie alleinstehende Frauen mit familiären Un- geplante Hinrichtungen, Verhaftungen, Verurteilungen, Ent- terhalts- bzw. Betreuungspflichten. führungen und andere Übergriffe – Zahl, Orte, Namen der Be- troffenen – durch staatliche Organe und Milizen (vergleiche Dieses die Aufnahme rechtfertigende besondere New York Times vom 8. April 2009: „Iraq’s Newly Open Gays Schutzbedürfnis wird zunächst durch den UNHCR fest- Face Scorn and Murder“, Seite A 1, www.nytimes.com sowie gestellt, der dann entsprechende Aufnahmevorschläge www.telegraph.co.uk, www.ggg.at, www.queer.de), und wie an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in haben sie und die Europäische Union bislang darauf reagiert? Nürnberg übermittelt. Bei der Registrierung der Flücht- Die derzeitige Situation im Irak ist weiterhin gekenn- linge und der Vorauswahl durch den UNHCR wird das (B) zeichnet durch die Schwäche staatlicher Institutionen, Vorliegen der Schutzbedürftigkeit aufgrund der von den (D) insbesondere der Polizei und Sicherheitskräfte. Antragstellern vorgebrachten Informationen festgestellt. Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens wird Homo- Trotz einer relativen Verbesserung der allgemeinen sexualität nicht gesondert erfasst. Aus diesem Grunde Sicherheitslage seit einigen Monaten haben Milizen und lässt sich der Anteil von Homosexuellen unter den be- Banden religiöser Parteien weiterhin großen Einfluss. reits von Deutschland und auch anderen EU-Mitglied- Aufgrund des allgemein immer noch hohen Gewalt- staaten aufgenommenen irakischen Flüchtlingen nicht ermitteln. niveaus und der immer noch sehr schlechten Sicherheits- lage lassen sich die Hintergründe im Einzelfall aller- Die Bundesregierung beabsichtigt, dass Aufnahme- dings schlecht verifizieren. verfahren weiterhin auf Grundlage der bestehenden Auf- nahmekriterien durchzuführen. Im Irak gibt es ein aus dem Jahre 1969 stammendes, nach derzeitigen Erkenntnissen weiterhin gültiges Straf- gesetz, das für homosexuellen Geschlechtsverkehr zwi- Anlage 26 schen Personen über 18 Jahren drei Jahre Haft vorsieht. Antwort Die Bundesregierung steht mit der irakischen Regie- des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage der rung in einem konstruktiven Dialog über die Verbesse- Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Drucksache rung des Menschenrechtsschutzes. Auf Einladung des 16/12641, Frage 41): Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter In wie vielen Fällen hat das Bundeskriminalamt, BKA, ge- Steinmeier, hat im Juli 2008 die irakische Menschen- genüber der NATO eine Negativempfehlung über Journalis- rechtsministerin, Wijdan Mikhail Salim, Berlin besucht. tinnen und Journalisten gegeben, die eine Akkreditierung zum Dieser Kontakt wurde bei dem Besuch von Bundes- NATO-Gipfel in Straßburg/Kehl/Baden-Baden beantragt hat- minister Dr. Steinmeier in Bagdad im Februar erneuert. ten, und wie begründet die Bundesregierung dies vor dem Hintergrund, dass einer der abgelehnten Journalisten, ein Im Rahmen dieses Dialoges werden auch die Rechte und Mitarbeiter der Le Monde diplomatique, im vorigen Jahr beim der Schutz homosexueller Iraker und Irakerinnen erör- G-8-Gipfel dabei war, ohne dass er dabei in irgendeiner Form tert. Eines der bisherigen Resultate dieses Dialoges ist auffällig geworden ist und eine Gefahr für die Sicherheit es, dass das Deutsche Institut für Menschenrechte dem höchstrangiger Politiker darstellte? Irak bei der Etablierung eines eigenen Instituts für Men- Um Journalisten den Zugang zu Sicherheitsbereichen schenrechte helfen wird. des NATO-Gipfels zu ermöglichen, hatte die NATO ein Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23491

(A) Akkreditierungsverfahren eingerichtet, an dem 3 854 Jour- hohen Sicherheitsstandards unterlag, Zugang zu Sicher- (C) nalisten teilgenommen haben. Die NATO hat die An- heitsbereichen und einen privilegierten Nahkontakt zu träge an das BKA weitergeleitet und es um ein Sicher- besonders gefährdeten Schutzpersonen erhalten. Es liegt heitsvotum gebeten. Das BKA war nach § 5 des Bundes- – zumal für berufserfahrene Journalisten – auf der Hand, kriminalamtgesetzes (BKAG) zuständig für den Schutz dass eine solche Zugangsprüfung Sicherheitsbelange der teilnehmenden deutschen Regierungsmitglieder und einschließt und dazu die hierfür zuständigen Behörden der Staats- und Regierungschefs, die während des Gip- beteiligt werden. fels Gast in Deutschland waren. In Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes hatte das Bei den 3 854 Anträgen hat das BKA in zwei Fällen VG Wiesbaden diese Auffassung nicht geteilt und die gegenüber der NATO Negativvoten abgegeben. In bei- Übermittlungen als rechtswidrig angesehen. Der Hessi- den Fällen lagen Gefährdungserkenntnisse vor, die dage- sche Verwaltungsgerichtshof hat diese Entscheidungen gen sprachen, den Betroffenen Zugang zum Nahumfeld indes aufgehoben. Eine abschließende Klärung wird ge- der Schutzpersonen während des NATO-Gipfels zu ge- gebenenfalls in den Hauptsacheverfahren erfolgen. währen. Das Bundesministerium des Innern sieht die Daten- Gegen den einen Betroffenen wird derzeit nach ge- übermittlung des BKA – die sich auf das Negativvotum richtlicher Zulassung der Anklage die Hauptverhandlung beschränkte und keine sensiblen Einzelerkenntnisse ent- wegen eines besonders schweren Falls des Landfriedens- hielt – angesichts der Einwilligung der Betroffenen nach bruchs durchgeführt. Da dem Angeklagten eine § 4 Abs. 1 i. V. m. § 4 a des Bundesdatenschutzgesetzes – schwere – politisch motivierte Straftat zur Last gelegt (BDSG) als zulässig an. Unabhängig von der Einwil- ligung der Betroffenen hat das BKA im Übrigen auch wird, gehen von ihm gerade zu einer hochpolitischen seine gesetzliche Personenschutzaufgabe nach § 5 Veranstaltung wie dem NATO-Gipfel relevante Gefähr- BKAG wahrgenommen. dungen aus. Nach dem Gefährdungslagebild war mit mi- litanten Aktionen aus der gleichen politischen Richtung Das BKA wird künftig verstärkt darauf hinwirken, zu rechnen. dass der Transparenzstandard des deutschen Akkreditie- rungsverfahrens, soweit möglich, auch von internationa- Der andere Betroffene ist ebenfalls wiederholt als po- len Organisationen bei deutscher Beteiligung berück- litisch-motivierter, gewaltbereiter Störer durch Verstöße sichtigt wird. gegen das Versammlungsgesetz – auch durch Wider- stand gegen Vollstreckungsbeamte – polizeilich in Er- scheinung getreten. Bei einer Vorkontrolle im Zusam- Anlage 28 menhang des G-8-Gipfels 2007 in Heiligendamm wurden (B) bei ihm mehrere von ihm mitgeführte Waffen beschlag- Antwort (D) nahmt. des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage der Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksache 16/12641, Frage 43): Anlage 27 Wer ist verantwortlich dafür, dass am 4. April 2009 die Antwort Europabrücke von Kehl nach Straßburg für Tausende von De- monstranten des Ostermarsches aus Kehl geschlossen blieb? des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke (DIE LINKE) (Drucksache Die Sperrung der Europabrücke erfolgte aus ver- 16/12641, Frage 42): sammlungsrechtlicher Sicht und oblag auf deutscher Seite dem einsatzführenden Land Baden-Württemberg. Ist die Bundesregierung der Ansicht, das BKA habe eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Weiterleitung personen- gebundener Daten über diese Journalisten an die NATO, oder inwiefern beabsichtigt sie gegebenenfalls, Rechtsgrundlage Anlage 29 bzw. Praxis des BKA zu ändern? Antwort Die beiden Betroffenen haben bei ihrem Akkreditie- rungsantrag einer Verwendung ihrer Daten im Zusammen- des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage der hang der Akkreditierung zugestimmt. Die von der NATO Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksache dabei gegebenen Hinweise zur weiteren Datenverwen- 16/12641, Frage 44): dung entsprechen nicht dem Detaillierungsstandard, den In welcher Form haben sich deutsche Polizisten am Vorge- beispielsweise das Presse- und Informationsamt der hen gegen Demonstrantinnen und Demonstranten in Straß- Bundesregierung bei seinen Akkreditierungsverfahren burg beteiligt, und welche Mittel haben sie dabei verwendet? praktiziert. So war – entgegen deutscher Praxis – kein Die Bundespolizei unterstellte der französischen Poli- ausdrücklicher Hinweis auf die Beteiligung von Sicher- zei unter anderem eine technische Einsatzhundertschaft heitsbehörden enthalten. mit zwei Wasserwerfereinheiten. Der Einsatz in Straß- Gleichwohl kann nach dem konkreten Zusammen- burg erfolgte ausschließlich nach französischem Recht hang unter Würdigung des Empfängerhorizonts noch und lag somit in der Verantwortung Frankreichs. Nach von einer informierten Einwilligung ausgegangen wer- Anordnung der zuständigen französischen Polizeifüh- den. Zu berücksichtigen ist dabei bereits, dass die Be- rung wurden lediglich die Wasserwerfer im Bereich der troffenen Berufserfahrung als Journalisten besitzen. Im gewalttätigen, unfriedlichen Demonstrationen einge- Übrigen sollten sie bei einer Veranstaltung, die evident setzt. 23492 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009

(A) Anlage 30 schuldung bis einschließlich 2015 vor. In dieser (C) Übergangszeit ist das strukturelle Defizit des Jahres Antwort 2010 in gleichmäßigen Schritten abzubauen. Auch die des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage der Länder sollen gemäß Art. 143 d des Grundgesetzes im Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck- Zeitraum von 2011 bis einschließlich 2019 nach Maß- sache 16/12641, Frage 45): gabe des geltenden Landesrechts von den Vorgaben des Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass Art. 109 Abs. 3 des Grundgesetzes abweichen können. Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die Linke an den poli- Die Länder Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt zeilichen Absperrungen an der Brücke von Kehl nach Straß- und Schleswig-Holstein erhalten zudem für den Zeit- burg nicht durchgelassen wurden, während Abgeordnete der raum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen in Höhe von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dagegen unter Polizeischutz 800 Millionen Euro jährlich. an der Absperrung vorbei auf die Brücke geleitet wurden, und wie bzw. womit ist diese Ungleichbehandlung zu begründen? Diese Übergangsregelung ist bewusst auch angesichts Die thematisierten polizeilichen Maßnahmen lagen in der derzeitigen Rezession formuliert worden. Sie ermög- der Verantwortung des Landes Baden-Württemberg. Sei- licht Bund und Ländern ein sukzessives Abschmelzen tens des BKA wurden weder für Mitglieder des Bundes- der durch die Krise und die dagegen unternommenen tages der Partei Die Linke, noch für Mitglieder des Maßnahmen deutlich angestiegenen strukturellen Defi- Bundestages der Partei Bündnis 90/Die Grünen Perso- zite, sodass nach der Übergangsfrist die Einhaltung der nenschutzmaßnahmen getroffen. neuen Schuldenregel mit einer Strukturkomponente von 0,35 Prozent in Relation zum BIP des Bundes und ohne strukturelle Neuverschuldung der Länder gewährleistet Anlage 31 werden kann. Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage der Anlage 33 Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck- Antwort sache 16/12641, Frage 46): Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage lange nach Brandbeginn des Zollhauses und des Hotels Ibis des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- auf der Straßburger Seite die französische bzw. die deutsche NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 52): Feuerwehr eintraf? Was genau hindert die Bundesregierung, von Finanzinsti- Die Einsatzbewältigung auf französischem Territo- tuten und anderen Unternehmen, denen sie Bürgschaften, (B) rium oblag ausschließlich den Sicherheitsbehörden Kredite oder sonstige Finanzhilfen gewährt, als Bedingung (D) oder Auflage zu fordern oder zu vereinbaren, dass die Emp- Frankreichs. Der Bundesregierung liegen dazu keine Er- fänger Spenden an Parteien unterlassen (Antwort der Parla- kenntnisse vor. mentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Fi- nanzen, Nicolette Kressl, vom 11. Februar 2009 auf die schriftlichen Fragen des Abgeordneten Dr. , Bundestagsdrucksache 16/11955, Seite 28 f.), und sieht die Anlage 32 Bundesregierung eine Zusage oder Leistung von Parteispen- den durch Empfänger solcher staatlicher Finanzleistungen als Antwort Verstoß gegen das Parteiengesetz oder EU-Regelungen, insbe- der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage sondere wegen Wettbewerbsverzerrungen, oder als „unanstän- dig“ an? des Abgeordneten Bodo Ramelow (DIE LINKE) (Drucksache 16/12641, Frage 51): Wie bereits in der von Ihnen zitierten Antwort zur Welche Auswirkungen und welchen Umfang werden die Anfrage des Abgeordneten Dr. Schick ausgeführt, ist es Steuerausfälle in diesem Jahr für den Bund, die einzelnen eine rein unternehmerische Entscheidung, ob und in wel- Länder und die Gemeinden haben, und welche Konsequenzen chem Umfang Finanzinstitute und andere Unternehmen, sieht die Bundesregierung im Hinblick auf die geplante Ein- denen die Bundesregierung Bürgschaften, Kredite oder führung der Schuldenbremse? sonstige Finanzhilfen gewährt, Spenden an politische Der Umfang möglicher Steuerausfälle in diesem Jahr Parteien tätigen. Diese Entscheidung fällt nicht in den im Vergleich zur letzten Steuerschätzung wird sich für Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Bundes- Bund, Länder und Gemeinden auf der Grundlage einer regierung. Auf die in der Bundestagsdrucksache 13/6149 aktualisierten gesamtwirtschaftliehen Vorausschätzung dargestellte Abgrenzung der Verantwortungsbereiche erst nach der Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschät- zwischen der Bundesregierung und der von natürlichen zungen“ vom 12. bis 14. Mai 2009 beziffern lassen. oder juristischen Personen des Privatrechts wird erneut verwiesen. Aus den Entwicklungen der Einnahmen des laufen- den Jahres ergeben sich unmittelbar keine Konsequen- Mit der Finanzmarktstabilisierungsfondsverordnung zen für die geplante Einführung der Schuldenregel. § 9 (FMStFV) hat die Bundesregierung von der Verord- des Ausführungsgesetzes zum Art. 115 des Grundgeset- nungsermächtigung von § 10 Abs. 2 des Finanzmarktsta- zes sieht auf der Grundlage der Übergangsregelung in bilisierungsfondsgesetzes (FMStFG) Gebrauch gemacht Art. 143 d Grundgesetz das Inkrafttreten der Schuldenre- und Bedingungen für die Gewährung von Stabilisie- gel zum 1. Januar 2011 mit der Möglichkeit einer Ab- rungsmaßnahmen in § 5 FMStFV geregelt. Werden Un- weichung von den Vorgaben für die strukturelle Neuver- ternehmen des Finanzsektors Stabilisierungsmaßnahmen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 22. April 2009 23493

(A) gemäß FMStFG gewährt, so können diese im Rahmen Anlage 34 (C) des § 5 FMStFV an Auflagen geknüpft werden. Das Un- terlassen von Spenden an politische Parteien oder die Antwort Rückzahlung bereits getätigter Spenden gehört aus den soeben dargestellten Gründen jedoch nicht zu den mögli- der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage chen Auflagen. des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/12641, Frage 53): Soweit sich der erste Teil der Frage auf Maßnahmen Wie beurteilt die Bundesregierung, dass der ehemalige außerhalb des FMStFG bezieht, möchte ich Folgendes IKB-Aufsichtsrat, Ministerialdirektor sowie heutige Staats- bemerken. sekretär beim Bundesminister der Finanzen, Jörg Asmussen, „das wohl größte Verbriefungsprogramm … in Europa“, das Im Bereich der Bürgschaftsbanken engagiert sich der die Weltfinanzkrise mit ausgelöst hat, persönlich mitinitiierte Bund (gemeinsam mit dem jeweiligen Land) nur über und noch 2006 trotz erkennbarer Risiken lobte: „Die staatsei- Rückbürgschaften. Der Bund ist daher in Einzelfallent- gene KfW, über die das BMF die Aufsicht führt, hat mit den scheidungen der Bürgschaftsbanken nicht eingebunden Promise- und Provide-Programmen zur synthetischen Ver- briefung seit 2000 in Zusammenarbeit mit den Banken das und kann schon aus diesem Grund keine Auflagen festle- wohl größte Verbriefungsprogramm (58 Transaktionen) in gen. Europa geschaffen“ und: „Seitens des BMF wird im Umset- zungsprozess der Basel-II-Regeln für ABS vor allem auch Auch Bürgschaften, Kredite oder sonstige Finanzhil- darauf geachtet werden, dass den Instituten keine unnötigen fen an Unternehmen sollten nicht mit sachfremden Über- Prüf- und Dokumentationspflichten entstehen werden, wenn legungen verknüpft werden. Der Staat sollte die Ent- sie in ‚gängige‘ ABS-Produkte mit gutem Rating investieren“ scheidungsfreiheit von Wirtschaftsunternehmen nicht (ZfgK 2006, 1016, 1017), und hält die Bundesregierung ge- unnötig einschränken. rade diesen Staatssekretär für geeignet, auf derzeitigem Pos- ten die von ihm persönlich geförderten Fehlstrukturen nach- Zum zweiten Teil der Frage – der Bewertung von haltig zu korrigieren sowie darin gescheiterte Banken mit Hunderten Milliarden Euro staatlicher Stabilisierungsmaß- Parteispenden durch Empfänger staatlicher Finanzleis- nahmen sanieren zu helfen? tungen – weise ich darauf hin, dass § 25 Parteiengesetz (PartG) abschließende Regelungen zu Spendenannahme- Die Bundesregierung weist die in der Frage enthalte- verboten der Parteien enthält. Danach dürfen Parteien un- nen Unterstellungen als sachlich unzutreffend zurück: ter anderem keine Spenden von Unternehmen annehmen, Die Verbriefungsprogramme der Banken, die der TSI, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen True Sale Initiative, angeschlossen sind, werden eigen- Hand stehen oder von ihr verwaltet oder betrieben wer- verantwortlich von diesen Banken ohne Beteiligungen den, sofern die direkte Beteiligung der öffentlichen Hand von Beamten des Bundesministeriums der Finanzen ini- (B) 25 Prozent übersteigt (§ 25 Abs. 2 Nr. 5 PartG). Darüber tiiert und durchgeführt. Außerdem ist die Aussage nicht (D) hinaus dürfen keine Spenden angenommen werden, die haltbar, die Verbriefungsprogramme der TSI hätten die der Partei erkennbar in Erwartung oder als Gegenleistung Weltfinanzkrise ausgelöst. Nach übereinstimmender eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vor- Auffassung führender Finanzmarktexperten hatte die teils gewährt werden (§ 25 Abs. 2 Nr. 7 PartG). Des Wei- Krise ihren Ursprung in Unregelmäßigkeiten in einem teren geht die Bundesregierung davon aus, dass die Teilbereich des US-amerikanischen Marktes für Hypo- Unternehmen über ausreichende interne Kontrollmecha- thekendarlehen, dem sogenannten US-Subprime Market. nismen verfügen, um Parteispenden, die nicht unter die genannten Spendenannahmeverbote fallen, aber für das Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage nach der Unternehmen aus finanziellen oder sonstigen unterneh- Eignung des Staatssekretärs vollkommen deplaziert. Die merischen Gründen nicht vertretbar wären, zu verhin- Bundesregierung weist die Frage als ungerechtfertigt zu- dern. rück.

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