| Die Selzstellung in Rheinhessen KAPITEL 09
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76 TEIL III – DER ÄUSSERE FESTUNGSRING KAPITEL 09 | Die Selzstellung in Rheinhessen Kaiser Wilhelm II. hatte im Juni 1897 entschieden, Planungen für eine Selzstellung dass der deutsche Festungsbau neue Wege gehen musste. Kaiser Wilhelm II. hatte den Weg für die Selzstellung mit Ziel war es nicht mehr alleine, die alten Forts mit Beton und seiner Allerhöchsten Kabinettsorder im Januar 1900 bereitet. Eisen zu verstärken. Moderne Festungen sollten aus klei- Die sich hieran anschließenden Planungen hatten mehrere neren, stark betonierten Anlagen bestehen. Diese sollten in Jahre gedauert. Verschiedene Varianten mit unterschied- »aufgelöster Bauweise« über das Gelände verstreut werden, lichen Linienführungen wurden geprüft und verworfen. um aus der gegebenen Landschaft einen möglichst großen Klein / Lacoste berichten in ihrem Buch zum Fort Biehler von taktischen Vorteil zu ziehen. Im Kapitel 6 ist diese moderne anfänglichen Überlegungen, »Befestigungsgruppen in leich- Art des Festungsbaus ausführlich beschrieben. Frankreich terem Ausbau und leichter Panzerung bei Ober-Ingelheim, hatte hierfür eine eigene Bezeichnung gefunden: »Les grou- Sauer-Schwabenheim, auf dem Hippberg bei Essenheim pes fortifiés de nouvelle génération«. In England sprach man (auf der Karte findet sich ein Hieberg westlich und ein Hich- in diesem Zusammenhang von einem »new system of fortifi- berg östlich von Essenheim) und auf dem Wortgewann oder cations known as ›Befestigungsgruppen‹ or ›Festen‹«. am Tunnel von Klein Winternheim und auf den Flügeln auf Solche Festen entstanden in Metz, Diedenhofen (Thionville) dem Lenia-Berge (vermutlich Lenneberg) und dem Heidel- oder in Mutzig bei Straßburg. Gemeinsam war diesen, dass berg (südwestlich von Laubenheim)« zu bauen. Aus Kosten- sie in aufgelöster Bauweise errichtet, von Grabenwehren gründen wurde diese Planung allerdings nicht umgesetzt. umgeben, mit Batterien unter Panzerschutz ausgestattet Später war geplant, Mainz durch Panzeranlagen auf der und nach allen Richtungen zu verteidigen waren. Die Selz- Hechtsheimer und der Laubenheimer Höhe zu verstärken. stellung war an dieses Konzept angelehnt, sie war jedoch Auch diese Planungen wurden verworfen. keine Feste. Mit diesen verband die Selzstellung, dass sie Die abschließende Entscheidung über den Verlauf der Selz- nach modernen Gesichtspunkten gebaut war und dass ihre stellung fiel schließlich 1907. Am 17. Januar hatte der deut- betonierten Festungswerke die Landschaft in aufgelöster sche Kaiser in einer Allerhöchsten Kabinettsorder grünes Bauweise nutzten. Anders als bei den Festen war die Selz- Licht für den weiteren Ausbau der Festung Mainz gegeben stellung jedoch nicht auf einem begrenzten Raum in sich und entschieden, dass »auf dem linken Rhein ufer in der Linie geschlossen. Sie bildete vielmehr eine langgezogene, sich der zukünftigen Befestigungen Wackernheim-Ober-Olm- über viele Kilometer erstreckende Linie. Das ändert jedoch Ebersheimer-Plateau-Laubenheim (…) Befest igungsanlagen für ihre fortifikatorische Einordnung nichts daran, dass die auszuführen« sind. Selzstellung nach dem neusten Stand der Technik erbaut Kurze Zeit später kam es zu einer zehn Tage dauernden worden war und für die Militärs einen wichtigen Bestandteil Festungsgeneralstabsreise, die unter Leitung des General- bei der Umsetzung des Schlieffenplans bildete. stabschefs des XVIII. Armeekorps abgehalten wurde und an Abb. 100: Ausschnitt eines aus zwei Karten zusammengefügten Übersichtsplans aus dem Jahr 1909. Er zeigt die ursprünglichen Planungen für den Bau von fünf modernen Festungswerken in Ebersheim, Zornheim und Nieder-Olm. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges wurde allein der Infanteriestützpunkt »Auf der Muhl« fertiggestellt. Mit dem Bau des Infanteriestütz- punktes »Auf dem Dechenberg« wurde begonnen. Die Arbeiten mussten aber nach Beginn des Krieges eingestellt werden. TEIL III | Der äußere Festungsring 77 Die Selzstellung in Rheinhessen | KAPITEL 09 78 der die Stabsoffiziere des Generalstabes, der Fußartillerie In den sechs Jahren zwischen dem Baubeginn und dem Be- und des Ingenieurkorps, sowie jüngere Offiziere der Pio- ginn des Ersten Weltkrieges veränderte Rheinhessen mit der niere und der Infanterie teilnahmen. Untersucht wurde auf Selzstellung sein Gesicht. Neue Straßen wurden gebaut und dieser Reise, ob und wie die Festung Mainz ihren militäri- viele Kilometer Schienen verlegt. Angebunden hieran wur- schen Auftrag, den Rückzug einer deutsche Armee über den den zwölf Festungswerke, die fast alle mit neuen Wasser- Rhein zu sichern, erfüllen kann. Im Ergebnis verständigte leitungen und modernen Telegraphen- oder Fernsprech- man sich darauf, befestigte Gruppen bis an die nördlichen kabeln verbunden waren. In fünf Ortschaften wurden große Talränder der Selz vorzuschieben und den Westerberg in Plätze vorbereitet, auf denen Baumaterial für die zu erwar- Ingel heim einzubeziehen. Außerdem sollte mit dem Ausbau tende Armierung lagerte. zeitnah begonnen werden. Hinter dieser Entscheidung stand Konkret vorstellen konnte sich in der rheinhessischen Bevöl- die Auffassung, dass ein neuer Krieg mit einem möglichen kerung noch niemand das Ausmaß der zukünftigen Bauar- Kampfplatz in Rheinhessen immer wahrscheinlicher wurde beiten. In der größten zusammenhängenden Baumaßnah- und die Festung Mainz als stärkstes Bollwerk am mittleren me, die es in Rheinhessen je gegeben hat, würden bis April Rheinabschnitt demnach zügig weiter aufgerüstet werden 1916 von mindestens 30.000 Arbeitern und Soldaten mehr musste. als 350 Festungswerke mit vielen Kilometern Schützen- gräben und Drahthindernissen gebaut werden. Die Bauarbeiten beginnen Mit preußischer Gründlichkeit begann 1908 der Bau der Ausbaustand vor dem Krieg Selzstellung von Heidenfahrt über Ingelheim, Wackernheim, Blicken wir jedoch zunächst zurück auf die Baumaßnahmen Ober-Olm, Nieder-Olm, Ebersheim, Harxheim, Gau-Bischofs- vor 1914. Wie sah die Selzstellung vor Beginn des Ersten heim bis Laubenheim. Zuständig für die Umsetzung war die Weltkrieges aus? Fortifikation Mainz. Eine der ersten Aufgaben dieser Behörde Als »Gerippe« der Selzstellung wurden zwischen 1908 und war der Ankauf des erforderlichen Geländes. »In der hiesigen 1914 mehrere Festungswerke und eine leistungsfähige Gemarkung hat der Militärfiskus etwa 30 Morgen Ackerland Infra struktur fertiggestellt: angekauft. Das Gelände wird zum Bau eines Forts der Fes- › 23,6 km Militärstraßen (1908 -1909), tung Mainz verwendet«, hieß es am 24. September 1908 im › 40 km Festungsbahn mit 600 mm Spurbreite (1909 -1911), Ingelheimer Anzeiger. Später wurde auf diesem Grundstück › 6,2 km Festungsbahn mit 1000 mm Spurbreite (1912 -1913), das so genannte »Fort Rabenkopf« gebaut. › der Infanteriestützpunkt »Auf der Muhl« (Fort Muhl) auf Der Bau der Festungswerke erfolgte in mehreren Schrit- der Grenze von Ebersheim und Nieder-Olm (1909 -1911), ten. Die Selzstellung war, wie auch die Festungen Bres- › Teile des Infanteriestützpunktes »Auf dem Dechenberg« lau und Neubreisach, als sogenannte »Depotfestung« oder (Fort Dechenberg) (1909 -1913), »Gerippstellung« geplant. Solche Festungen erhielten im › ein großes Festungswerk auf dem Rabenkopf (Fort Raben- Frieden relativ wenige Werke. Der kriegsgemäße Ausbau kopf) mit einer Befehlsstelle, einer Telegraphen-Betriebs- musste erst nach der Mobilmachung auf der Grundlage stelle und einem Munitionsraum (1910), eines Armierungsentwurfs erfolgen. Abb. 101: Karte mit dem Verlauf der Selzstellung und der vorgeschobenen Stellung Zornheim um 1912. Eingezeichnet sind die Festungswerke, die in Friedenszeiten errichtet wurden. Dabei handelt es sich um das Fort Muhl (Stpt. Muhl), drei Munitionsräume (M.R.), sieben Telegraphen-Betriebsstellen (T.B.), fünf Lagerplätze (L.Pl.) und zwei Wasserbehälter (W.B.). Die neu gebauten Militärstraßen (rot), die Trasse der Festungsbahn (lila) sowie die militärischen Wasserleitungen (blau) sind auf der Karte farblich gekennzeichnet. TEIL III | Der äußere Festungsring 79 Die Selzstellung in Rheinhessen | KAPITEL 09 80 › das Hauptquartier für die Selzstellung mit einer Tele- tere Militärstraßen. Eine Stichstraße ging ab 1909 zum Fort graphen- Betriebsstelle in Marienborn (1909), Muhl in Ebersheim, die später zum geplanten »Infanterie- › fünf weitere Befehlsstellen für die Abschnitte und Unter- stützpunkt auf dem Dechenberg« im heutigen Zornheim abschnitte der Selzstellung mit integrierten Telegraphen- verlängert wurde. Schließlich wurde auch ein Zufahrtsweg Betriebsstellen (1909), von der Kreisstraße Essenheim-Jägerhaus zum Lagerplatz › Telegraphen- und Fernsprechkabel für die Kommunikation, Ober-Olmer-Wald gebaut. › militärische Wasserleitungen entlang der Militärstraßen Bis 1914 hatten die Militärstraßen eine Gesamtlänge von und zu den Festungswerken (1909 -1913), 23,6 km erreicht. Heute werden viele dieser Straßen für die › zwei betonierte Wasserbehälter (1908 - 1913), Landwirtschaft und als Fahrradwege genutzt. › ein Pulvermagazin in der Nähe von Hechtsheim, › ein Munitionsdepot in Uhlerborn, Die Festungsbahn › zwei große Munitionsräume bei Wackernheim und Ebers- Ab 1908 führte die Fortifikation Mainz Verhandlungen mit heim (1910), den rheinhessischen Gemeinden über den Bau einer Fes- › fünf Lagerplätze in Wackernheim, Ebersheim, Zornheim, tungsbahn. Diese begannen am 16. Mai 1908 in Hechtsheim, im Kesseltal und im Ober-Olmer-Wald sowie wo die Linienführung dem Gemeinderat vorgestellt wurde. › Maskenpflanzungen auf den Grundstücken der geplanten Am 18. August 1908 berichtete die Mainzer Zeitung, dass Armierungswerke. in der