„Verstehst Du, Was Da Läuft?“
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Deutschland absegnen kann. Sogar Oppositionspoliti- bleme zu finden – vom „Bündnis für Ar- Den Einfluss solcher Gremien zeigt die ker lassen sich inzwischen lieber in Regie- beit“ bis zum „Rat für Nachhaltige Ent- Brühler Kommission, eine 20-köpfige Trup- rungsrunden einbinden, als im Plenum Ra- wicklung“ (siehe Grafik Seite 45). Hinzu pe aus Finanz- und Abgabenexperten: Sie batz gegen Rot-Grün zu machen. kommen unzählige wissenschaftliche Bei- lieferte Finanzminister Hans Eichel die Acht große Konsensrunden und „Räte“ räte, die im Auftrag der einzelnen Minis- Blaupause für die rot-grüne Steuerreform. hat der Kanzler seit Mai 1999 ins Leben ge- terien werkeln. SPD-Fraktionschef Struck Dem Kreis, noch von Oskar Lafontaine rufen, um Lösungen für schwierige Pro- schätzt ihre Zahl auf „etwa 100“. einberufen, gehörten renommierte Öko- sie auf, dass genügend Parlamentarier bleiben, um die Abstimmungen zu ge- winnen. Wer bis nach 20 Uhr ausharrt, „Verstehst du, was da läuft?“ darf in eine braune DIN-A4-Tüte langen und sich eine weiße Praline oder ein „Mondscheindebatten“ – Leerstunden der Demokratie Karamellbonbon angeln. Nach einer Stunde sind zwei pralle Tüten verputzt. orletzten Donnerstag, 20.30 Uhr, meisten schwatzen mit ihren Bank- Auf der Regierungsbank langweilen unter der Reichstagskuppel: Im nachbarn. sich drei Gestalten, die abkommandiert VParlament herrscht gähnende Nicht, dass man beim Thema Islam sind, den Respekt vor der Würde des Leere. Die Themen, die gerade die keinen Spaß haben könnte. Ein SPD- Parlaments zu demonstrieren. Fritz Ru- „Tagesschau“ dominierten – verratene Quartett schüttet sich aus vor Lachen. dolf Körper (SPD), Staatssekretär im Botschafterprotokolle und ein Piloten- Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Innenministerium, scheint so entkräf- streik –, fanden hier mit keinem Wort Schmidt und sein Berliner Genosse Dit- tet, dass er vom Stuhl zu rutschen droht. Erwähnung. Die zwölfte Stunde des Sit- mar Staffelt albern herum wie zwei Die Grünen-Staatssekretärinnen Simo- zungstages gilt der Situation des Islam Lümmel von der hintersten Schulbank. ne Probst (Umwelt) und Margareta Wolf in Deutschland. „Mondscheindebatte“ Am Rednerpult muss die CDU-Ab- (Wirtschaft) kichern um die Wette. Zur heißt die Szenerie im Parlamentsjargon. geordnete Beatrix Philipp mit den Rü- EU-Nachhaltigkeitsstrategie erwarten Anders als die Abgeordnetenbänke cken der heiteren Genossen vorlieb neh- sie offenkundig keine Anregungen. sind die Zuschauertribünen dicht be- men und dringt, trotz kräftiger Stimme, Bis kurz vor Mitternacht soll das hier setzt. Stunden haben die Touristen an- nicht durch. „Wenn ich die Herren zu noch weitergehen. Auch „Perus Rück- gestanden, um zur Kuppel aufsteigen sehr störe“, hebt sie an und blickt Hilfe kehr zur Demokratie“ und das „Gesetz zu können. Nun dürfen sie je eine Vier- suchend zur Bundestagsvizepräsidentin zur Änderung des Gesetzes über Ar- telstunde den Volksvertretern lauschen. Das Wort hat der Abge- ordnete Ruprecht Polenz. Der Ex-CDU-Generalsekretär und leidenschaftliche Parlamen- tarier hält eine flammende Rede für den „Dialog zwi- schen den Religionen und Kulturen“. Doch zu den Bän- ken vor ihm will der Funke nicht überspringen. Dann ist Edzard Schmidt- Jortzig an der Reihe. Der FDP-Mann hat herausgefun- den, dass die Anhängerschaft des Islam wächst. Conclusio des Juraprofessors: „In con- creto hat der festgestellte DPA Sachverhalt Folgen, spezielle Touristen vor dem Reichstag: Stundenlang Schlange stehen und generelle.“ Im Plenarsaal greifen jüngere Abge- Petra Bläss hoch. Doch die PDS-Frau ist beitnehmer-Erfindungen“ harren der ordnete zu „Kürschners Volkshand- ebenfalls in ein lustiges Gespräch ver- parlamentarischen Erledigung. Doch buch“. Das Nachschlagewerk, in dem tieft. „… und wenn ich auch Sie störe, gegen 20.40 Uhr erklärt Vizepräsident alle 668 Abgeordneten abgebildet sind, Frau Präsidentin“, droht Philipp, „dann Hermann Otto Solms mit der Stimm- ist ein unentbehrliches Hilfsmittel im kann ich ja aufhören zu reden.“ modulation der telefonischen Zeitansa- größten Parlament der EU. Obwohl Doch selbst jetzt hört niemand im Ho- ge vier von sechs folgenden Tagesord- Schmidt-Jortzig der letzte Justizminister hen Haus der Rednerin zu. Regungslos nungspunkten für erledigt: Die Reden in der Ära Kohl war, hatten die New- verfolgt das Volk die demokratische zum „Importverbot für qualgezüchtete comer sein Gesicht schon vergessen. Leerstunde unter dem Bundesadler. Tiere“ werden „zu Protokoll gegeben“. Wer nicht im „Kürschner“ blättert, Einen schweren Job hat nur noch Su- „Verstehst du, was da unten läuft?“, greift sich zerlesene Zeitungen. In sanne Kastner, Parlamentarische Ge- fragt ein Rentner auf der Tribüne sei- den SPD-Bänken sortiert einer Zettel schäftsführerin der SPD-Fraktion. Als nen Nachbarn. „Nee, du?“ – „Nee.“ von roten in grüne Mappen um. Die Hüterin der Regierungsmehrheit passt Petra Bornhöft der spiegel 22/2001 49.