Nr. 1 Außerordentliche Sitzung Des Landesvorstands Der Christlich
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10. Dezember 1946 39 Nr. 1 Außerordentliche Sitzung des Landesvorstands der Christlich-Sozialen Union am 10. Dezember 1946 in München Tagesordnung1: 1. Anwesenheit von Vertretern der amerikanischen Militärregierung 2. Besprechung der politischen Lage 3. Endgültige Festlegung der Tagesordnung für die Landesversammlung am 14./15. Dezem- ber 1946 in Eichstätt Tagungsort: München, Prinzregentenstraße 28, Wirtschaftsministerium Anwesend2: Arnold, Birkl, Donsberger, Ehard, Eichhorn, Gamperl, Grasmann, Hahn, Haunhorst, Haußleiter, Helmerich, Horlacher, Hundhammer, Kroll, Kübler, A. Lang, Lie- dig, Martin, Mayr, Meyer-Spreckels, J. Müller, Muhler, Probst, Rindt, Rucker, Sauer, Schmid, Sedlmayr, Semler, Steber, Strauß, ferner: ein Vertreter der amerikanischen Militärregierung Beginn: 11 Uhr ACSP, LGF-LV Ein Vertreter der Militärregierung ist anwesend. Zu dieser Tatsache folgende Stel- lungnahme: Dr. Müller. Es ist besser, wenn ein Mann der Militärregierung anwesend ist, um irreführende Darstellungen von anderer Seite zu vermeiden, wie es in der „Isar Post" wegen der Drohung bei der Schäffer-Krise3 geschehen ist4. Rucker: Die Militärregierung will nur in bestimmten Kreisen [sie!] ihr Veto ein- legen. Nach wie vor auf dem Standpunkt, daß die Militärregierung nicht das Recht in Anspruch nehmen kann, zu den internsten Sitzungen einen Vertreter zu schik- ken. Wenn wir hier einen Vertreter zulassen, so geht das über die letzten Erlasse der Militärregierung in bezug auf die demokratische Selbstregierung hinaus. ' Tagesordnungspunkt 1 ist dem Protokoll entnommen, die Punkte 2 und 3 dem von Franz Liedig gezeichneten Einladungsschreiben vom 8. 2. 1946; ACSP, LGF-LV 10. 12. 1946. : ACSP, LGF-LV 10. 12. 1946, Anwesenheitsliste zur außerordentlichen Sitzung des Landesvor- stands am 10. 12. 1946; der Name des Vertreters der Militärregierung ist handschriftlich eingetragen („Seebald"), ließ sich aber nicht verifizieren. Die Anwesenheitsliste wurde anhand des Protokoll- textes ergänzt. 3 Die amerikanische Militärregierung verhängte am 24. 4. 1946 ein politisches Betätigungsverbot ge- gen Fritz Schäffer, das damit begründet wurde, daß der Staatsrat stets ein Vertreter nationalistischen und militaristischen Gedankenguts gewesen sei und als Ministerpräsident die amerikanische Entna- zifizierungs- und Entmilitarisierungspolitik obstruiert habe. Da Schäffer der gefährlichste Kontra- hent Müllers war, wurden rasch Gerüchte laut, der Ochsensepp habe erfolgreich gegen den ehema- ligen BVP-Vorsitzenden intrigiert. Vgl. Henzler, Fritz Schäffer, S. 190-199, und Fait, Anfänge, 5. 77-88. 4 Der CSU-Vorsitzende spielte hier darauf an, daß seine Aussage, er sei noch nie dafür verantwortlich gewesen, daß jemand ins Gefängnis gekommen sei, obwohl er im Krieg die Möglichkeit dazu ge- habt habe (vgl. Protokoll der Sitzung des Landesarbeitsausschusses der CSU am 1. 5. 1946 in Mün- chen, in: Protokolle und Materialien, Bd. 1, S. 199 f.), wiederholt wahrheitswidrig - etwa von Alois Hundhammer (vgl. ebenda, S. 202, und Protokoll der Sitzung des Landesausschusses der CSU am 6. 12. 1946 in München, in: Protokolle und Materialien, Bd. 1, S. 809 f.) - als Drohung ausgelegt worden sei. Vgl. auch Isar Post vom 6. 12. 1946: „Fall Dr. Müller". 40 Nr. 1 Dr. Hundhammer: Ich bin heute früh zu Major Leading5 geführt worden. Die Militärregierung hat natürlich das Recht und die Möglichkeit, jede Anordnung zu treffen, die richtig erscheint. Die Militärregierung München vertritt den Stand- punkt, daß sie einen Vertreter in diesen Sitzungen der Partei, selbst in internen, da- bei haben will. Deshalb ist jede Diskussion über diese Frage zwecklos. Heute vor- mittag Unterredung zwischen Leading und Burns6 von der Militärregierung von Bayern: Es ist also auch jetzt der Standpunkt der Militärregierung für Bayern. Da müssen wir uns fügen. Karl Schmid·. Ist der Vertreter der Militärregierung auch bei anderen Parteien anwesend? Der Vertreter der Militärregierung (Lenert?): Ja, ich war auch bei einer Vor- standssitzung der KPD. Gamperl·. Wir haben gar keinen Grund zu wünschen, daß die Militärregierung sich nicht beteiligt. Wir spielen mit offenen Karten. Die Militärregierung interes- siert sich für den Aufbau. Wir sehen es nicht ungern.... Zur Tagesordnung: Hundhammer. Ich muß wieder zur Militärregierung. Ich möchte nicht den Ein- druck erwecken wie im vergangenen Landesausschuß, daß ich in entscheidenden Punkten nicht dabei bin und meine Meinung ausdrücke7. Ich möchte deshalb zu dem Hauptpunkt Stellung nehmen. Zu der Frage der Position des künftigen Mi- nisterpräsidenten8 und Parteivorsitzenden. Aus allem bisherigen heraus bin ich der Meinung, daß es nicht richtig wäre, Herrn Dr. Müller für den Posten des Mi- nisterpräsidenten herauszustellen. Ich bin der Meinung, daß es richtig wäre, daß Herr Dr. Müller vorerst auf jede Tätigkeit in der Öffentlichkeit verzichtet. Dr. Kroll: Wir haben uns das lange und reiflich überlegt. Die Situation ist fol- gende: Dr. Müller ist gesagt worden, es sei ungewiß, ob er für den Fall, daß er kan- didiere, unter das Gesetz9 falle. Bekannt ist seine Arbeit in der Canaris10-Gruppe. Es ist für uns eine Frage, wie wir uns zu der amerikanischen Erklärung stellen. Ich würde dazu erklären, wenn nicht etwas ganz anderes ans Tageslicht gebracht wird, dann möchte ich sagen, das sind Angriffe auf die junge Demokratie. Wenn die 5 Nicht ermittelt. 6 Paul Burns, Lieutenant Colonel, 1946-1948 in verschiedenen Funktionen bei der Civil Admini- stration Division von OMGBY, so als Leiter der Political Activities Branch, der Civil Service Branch und als amtierender Leiter der Field Operations Branch. In der Vorlage irrtümlich „Byr- nes". 7 Hundhammer spielt hier auf einen Disput während der Sitzung des Landesausschusses der CSU am 6. 12. 1946 in München an; Protokolle und Materialien, Bd. 1, S. 808 f. 8 Nach der Landtagswahl vom 1. 12.1946, die die CSU mit absoluter Mehrheit gewonnen hatte, ent- brannte in der Partei die Auseinandersetzung über die Person des künftigen Ministerpräsidenten in voller Schärfe. Dabei wurde einer der aussichtsreichsten Kandidaten, Josef Müller, mit Vorwür- fen konfrontiert, die sein Verhalten als BVP-Politiker 1932/33 und seine Tätigkeit als Wirtschafts- jurist während der NS-Zeit betrafen. Zum Fall Müller und zur Regierungsbildung im Dezember 1946 vgl. Hettler, Josef Müller, S. 274-305; Fait, Anfänge, S. 145-187; Schlemmer, Aufbruch, S. 168-186; Karl-Ulrich Gelberg, Einleitung zu: Kabinett Ehard I, S. XXV-LXI. 9 Gemeint ist das Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5.3. 1946. 10 Wilhelm Canaris (1887-1945), Admiral, 1935-1944 Chef des militärischen Geheimdienstes, im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, am 9. 4. 1945 im KL Flossenbürg hingerichtet. 10. Dezember 1946 41 Amerikaner erklären, den oder den anderen mögen wir nicht... Dann ist das ein Marionettentheater. Strauß: Ich möchte etwas Prinzipielles feststellen: Ich war durch Herrn Liedig zu der Fraktionssitzung am Montag ausdrücklich eingeladen. Auch Sedlmayr und Muhler waren anwesend. Nachmittags wurden dann Fragen der Regierungspoli- tik erörtert, als einziges Thema: Koalition oder nicht? Die Sachlage hatte sich so herausgebildet, daß sich die Jungen für eine reine CSU-Regierung entschieden, die alten Praktiker aber dagegen waren. Ich habe auf dem vorgeschriebenen Formular um das Wort gebeten. Der geschäftsführende Landesvorstand hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Hundhammer habe aber abgelehnt, ihn zu Wort kommen zu lassen. Da könne man nur sagen, das sei eine Hanswurstiade. Was heißt da, ge- meinsame Beratung? Als ich dann vorgeschlagen wurde zu dem Gremium der Koalitionsbildung, wurde auch das abgelehnt. Es geht nicht an, daß wir aus for- mal-juristischen Gründen einen Maulkorb umgehängt bekommen". [...] Müller vertritt die Auffassung, daß die Landesvorstandschaft die Möglich- keit haben muß, an irgendwelchen Parteisitzungen teilzunehmen12. Die Herren der Fraktion würden nicht gewählt werden, wenn die Partei nicht vorgearbeitet hätte. Es geht nicht, daß nachher die Parteileute rausgeworfen werden. Das geht nicht mehr hin, daß wie in der letzten Fraktion selbst Leute des Verfassungsaus- schusses nicht zugezogen werden13. Dann sehe ich nämlich nicht ein, warum wir überhaupt arbeiten. Formeller Entschluß: Daß der Parteivorstand darauf besteht, daß mindestens Delegierte der Parteivorstandschaft an jeder Sitzung teilnehmen dürfen. Haußleiter: Es ist klar, daß eine solche Frage durch Mehrheitsbeschluß in der Fraktion geklärt werden muß. Die Fraktion wird immer dazu neigen, auf ihrem Recht zu bestehen. Ich habe deshalb den gestrigen Versuch für taktisch falsch ge- halten, weil die Fraktion immer auf der Wahrung ihrer Rechte besteht. Meiner Ansicht nach muß der Fraktionsvorstand stärker als bisher in Erscheinung treten. Grundsätzlicher Beschluß, daß Fragen, die das Verhältnis der Partei zu der Frak- tion betreffen, gemeinsam zwischen Partei- und Fraktionsvorstand besprochen werden. Diese zehn Leute werden für alle Fälle eine Einigung finden, damit die Auseinandersetzungen zwischen Partei und Fraktion vermieden werden. 11 Als Franz Josef Strauß, der als Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU an der konstituierenden Sitzung der Landtagsfraktion teilnahm, zu den Abgeordneten sprechen wollte, wehrte sich Hundhammer. Der Fraktionsvorsitzende ließ darüber abstimmen, ob Strauß das Wort ergreifen dürfe; 42 Abgeordnete votierten dagegen, lediglich 34 dafür. ACSP, LTF-P, Protokoll der Fraktionssitzung am 9. 12. 1946.