Literatur (Rymkiewicz, Wodin) Und Comic (Hoven) 21
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Opfernarrative in transnationalen Kontexten Medien und kulturelle Erinnerung Herausgegeben von Astrid Erll · Ansgar Nünning Wissenschaftlicher Beirat Aleida Assmann · Mieke Bal · Vita Fortunati · Richard Grusin · Udo Hebel Andrew Hoskins · Wulf Kansteiner · Alison Landsberg · Claus Leggewie Jeffrey Olick · Susannah Radstone · Ann Rigney · Michael Rothberg Werner Sollors · Frederik Tygstrup · Harald Welzer Band 3 Opfernarrative in transnationalen Kontexten Herausgegeben von Eva Binder, Christof Diem, Miriam Finkelstein, Sieglinde Klettenhammer, Birgit Mertz-Baumgartner, Marijana Milošević und Julia Pröll Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF): PUB-754-Z Diese Publikation wurde außerdem gefördert durch die Universität Innsbruck: die Philologisch- Kulturwissenschaftliche Fakultät, den Forschungsschwerpunkt „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“ und das Vizerektorat für Forschung. Die einzelnen Beiträge wurden durch ein Double Blind Peer Review-Verfahren geprüft. ISBN 978-3-11-067359-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-069346-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-069348-5 ISSN 2629-2858 DOI https://doi.org/10.1515/9783110693461 Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-4.0 Lizenz. Weitere Informationen finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/. Library of Congress Control Number: 2020910899 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Eva Binder, Christof Diem, Miriam Finkelstein, Sieglinde Klettenhammer, Birgit Mertz-Baumgartner, Marijana Milošević, Julia Pröll, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Dieses Buch ist als Open-Access-Publikation verfügbar über www.degruyter.com. Coverabbildung: Ye. I. Chubarov: Victims to the Totalitarian Regime, 1980s, Moscow; Foto: © Eva Binder Printing and binding: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com Inhalt Einleitung 1 Repräsentation(en) Gudrun Heidemann Eingeblendete NS-Opfernarrative: Generationsübergreifende Latenz-Effekte in Literatur (Rymkiewicz, Wodin) und Comic (Hoven) 21 Ljiljana Radonić Opfer ausstellen: Individuelle und kollektive Opfernarrative in postsozialistischen Gedenkmuseen 49 Hajnalka Nagy Die Geschichte des/der Anderen: Zum Umgang mit dem österreichischen Täter- Opfer-Gedächtnis bei Maja Haderlap und Hamid Sadr 73 Artikulation(en) Anna Brod Anerkennung als Opfer und Überwindung von Viktimisierungen: Zwei Theaterstücke zum NSU im Vergleich 95 Maria Loreto Vilar „Er hat all die Jahre geschwiegen“: Zwischen Tabu und Tabubruch in Memoiren von Gulag-Opfern aus der DDR 117 Ingeborg Jandl Weder Held noch Opfer: Trauma, Identität und die gesellschaftliche Position von Kriegsheimkehrern bei Svetlana Aleksievič, Faruk Šehić und Andrej Gelasimov 137 Konkurrenz(en) und Ambivalenz(en) Dagmar Gramshammer-Hohl Wer hat mehr gelitten? Konfrontationen zwischen Emigrierten und im Land Gebliebenen 169 VI Inhalt Franziska Mazi, Andrea Zink Kritik der Empathie – oder: Das Opfer beißt zurück: Vladimir Arsenijevićs Predator 185 Yaraslava Ananka, Heinrich Kirschbaum Der Fluch des Viktimismus: Die belarussische Gegenwartsdichtung im Teufelskreis der Martyrologie 203 Transgression(en) Torsten Voß Opfertäter und Täteropfer als Figurationen des Dritten? Versuch über ein dialektisches Narrativ in der Auseinandersetzung mit totalitären Gesellschaften (Tišma, Tellkamp, Antunes) 237 Maria Roca Lizarazu Liaisons Dangereuses: Nachbarn, (Mit-) Täter und implicated subjects in Katja Petrowskajas Vielleicht Esther 259 Eva Kowollik Das Leiden der Anderen? Scheitern und Chancen dialogischen Erinnerns in Goran Vojnovićs Jugoslavija, moja dežela 281 Ioannis Pangalos Die Überwindung traditioneller Opfernarrative in spanischen und griechischen Bürgerkriegsromanen seit den späten 1990er Jahren 299 Cécile Wajsbrot W wie ihr Name/Avec un double v 323 Beiträger*innen 331 Personenregister 337 Einleitung Opferdiskurse und Opfernarrative – und damit verbunden die Figur des Opfers – haben in den vergangenen Jahrzehnten intensive wissenschaftliche wie auch gesellschaftliche Debatten ausgelöst. Grundsätzlich lässt sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs insbesondere in den westlichen Ländern ein Paradig- menwechsel beobachten, der – pointiert formuliert – einen „Wandel von einem Diskurs der Heroisierung zu einem Diskurs der Viktimisierung“ (Assmann 2013a, 144) einleitet. Das Deutsche kann diese Wende sprachlich allerdings nur schlecht wiedergeben, enthält der Begriff des ‚Opfers‘ doch zwei unterschiedliche Bedeu- tungsaspekte, die in anderen Sprachen lexikalisch klar getrennt sind. So umfasst ‚Opfer‘ einerseits das aktiv dargebrachte Opfer, das im Kontext von Krieg und Kampf als Heldentat verstanden wird und im Diskurs darüber die Figur des poli- tischen Märtyrers hervorbringt. Diesem im Englischen als sacrifice bezeichneten heroischen Opfer steht andererseits das passive Opfer – engl. victim – gegenüber, dem durch Krieg, Verfolgung oder rassistisch und ethnisch motivierte Gewalt, insbesondere im zwanzigsten Jahrhundert, Leid zugefügt wurde. Die weitreichenden Implikationen dieses „passive turn from sacrifice to victim as current predominant semantics in the post-heroic, western societies“ (Fischer 2006, 69) wurden in den letzten Jahren in den Kultur- und Sozialwissenschaften intensiv diskutiert. So spricht unter anderem der Zeithistoriker Martin Sabrow von einem gesamteuropäischen „Paradigmen wechsel von der historischen Heroi- sierung zur historischen Viktimisierung“, der eine Abkehr von den „historischen Meistererzählungen, die die Nation als Held darstellen, ihren Aufstieg feiern und ihren Abstieg beklagen“, mit sich bringt. An deren Stelle tritt die Figur des Opfers, die das Interesse auf die „historischen Verletzungen, die Menschen erlitten und Menschen verursacht haben“ (2012, 10), konzentriert. Die Hinwendung zum pas- siven Opfer impliziert für Sabrow jedoch weit mehr, manifestiert sich doch in dieser Figur ein radikaler Wandel der politischen Gegenwartskultur, die inner- halb kurzer Zeit ihre Ausrichtung auf die Zukunft aufgegeben und „das zukunfts- orientierte Leitbild des Fortschritts durch das vergangenheitsorientierte Leitbild des Gedächtnisses ausgetauscht hat“ (2012, 14). Auf diese Weise wird Erinnerung, so Sabrow, zu einer Pathosformel des Umgangs mit der Vergangenheit im Sinne von Aby Warburg – zu einem politischen Leitbegriff der Gegenwartskul tur, der politische Gegensätze und Grenzziehungen zu überwinden und einen politischen und erinnerungskulturellen Rahmenkonsens herzustellen vermag. Nichts ver- deutlicht den tiefgreifenden Zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen Kult um Gedenkstätten und Gedenktage, Erinnerungsorte und Museen einerseits und der Privilegierung des passiven Opfers in der gesellschaftlichen Wahrnehmung Open Access. © 2020 Eva Binder, Christof Diem, Miriam Finkelstein, Sieglinde Klettenhammer, Birgit Mertz-Baumgartner, Marijana Milošević, Julia Pröll, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz. https://doi.org/10.1515/9783110693461-001 2 Einleitung andererseits mehr als die vermehrt zu vernehmende Rede vom Holocaust als „‚Gründungsmythos Europas‘“ (Assmann 2013a, 157). Die Privilegierung des passiven Opfers in der kulturellen Erinnerung korre- liert mit einer Wende im Wissenschaftsdiskurs, die nach 1945 einsetzt und in den 1960er und 1970er Jahren an Konturen gewinnt. So kommt es in der Historiografie im Zuge dieser komplexen Prozesse zu einer Pluralisierung und Ausdifferenzie- rung der Perspektiven und methodischen Zugänge, wie Alltagsgeschichte, Oral History oder historische Anthropologie veranschaulichen. Das Paradigma der Erinnerung erfährt eine Erweiterung von einem bloß individuellen hin zu einem sozialen und kollektiven Phänomen – ein Prozess, an dessen Beginn die Wieder- entdeckung der Schriften des französischen Soziologen Maurice Halbwachs in den späten 1960er Jahren steht, der im KZ Buchenwald umgekommen war. Halb- wachs betonte, dass das kollektive Gedächtnis auf das individuelle Gedächtnis angewiesen sei, „in dem sich das Erleben der Erinnerungen vollzieht“. Indivi- duen seien „stets die Träger kollektiver Erinnerungen“ (1991, 31, zitiert nach Ech- terhoff und Saar 2002, 21), was die Vorstellung eines universalen Gedächtnisses und den Objektivitätsanspruch der Historiografie in Frage stellte. Die wissen- schaftliche Perspektive auf Erinnerung und Gedächtnis als Vergegenwärtigung der Vergangenheit, die nur in ihrer kommunikativen Prozesshaftigkeit zu erfas- sen ist, erwies sich nicht nur für die Geschichtswissenschaften, sondern insbe- sondere auch für die Literaturwissenschaften und die „Beschreibung und Syste- matisierung literaturwissenschaftlicher Gedächtniskonzepte“ (Erll und Nünning 2005, 1) als produktiv. Die enge Verknüpfung mit Fragen der kollektiven Identität ließen das Erinnerungsparadigma seit den 1990er Jahren schließlich zu einem Leitkonzept der sich herausbildenden Kulturwissenschaften werden. Der konstatierte Paradigmenwechsel „von der historischen Heroisierung zur historischen Viktimisierung“ (Sabrow 2012, 10) ist mit dem Aufstieg von Erin- nerung und Gedächtnis zu kulturwissenschaftlichen Schlüsselkategorien und dem mit ihnen verbundenen Paradigma der kollektiven Identität eng verknüpft. Der bulgarisch-französische Wissenschaftler und Schriftsteller Tzvetan Todorov brachte diesen Zusammenhang von kollektiver