Österreich Im 20. Jahrhundert – Im Prisma Eines Politischen Lebens
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Anton Pelinka Österreich im 20. Jahrhundert – im Prisma eines politischen Lebens Karl Waldbrunner als Repräsentant seiner Zeit Vorbemerkung: Dieser Aufsatz stützt sich, was seine biographischen Aspekte be- trifft, auf die in diesem Buch veröffentlichte Arbeit „Karl Waldbrunner: Schnitt- stellen eines Lebens zwischen Industrie und Politik“ von Manfred Zollinger. Die biographischen Hinweise folgen Zollingers umfassender Darstellung. Karl Waldbrunner war österreichischer Sozialdemokrat. Als Arbeiterkind wurde er nach seinem Studium Repräsentant der „technischen Intelligenz“ der Partei. Ab 1945 prägte er – als Zentralsekretär und als Bundesminister – die SPÖ, die Bun- desregierung und damit auch die Nachkriegszeit. Er steht, neben anderen, für den sozialdemokratischen Anteil an dem, was als Erfolgsgeschichte der Zweiten Repu- blik gilt. Sein Leben und seine Politik reflektieren das Auf und Ab, das Österreich im 20. Jahrhundert durchzumachen hatte. Karl Waldbrunners politische Karriere war in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Viele Aspekte seiner Laufbahn wichen von den herrschenden Mustern ab. Er war Angehöriger der „technischen Intelligenz“, Akademiker. In 1. seiner Generation, die ihre entscheidende Prägung in der Ersten Republik erhielt, waren Personen mit diesem Hintergrund nur selten Sozialisten – wenn nicht der deutschnationale und der christlichsoziale Antisemitismus sie, ihrer jüdischen Herkunft wegen, zu Sozialisten machte. Waldbrunner repräsentierte die kleine Minderheit der nicht- jüdischen sozialistischen Intelligenz. Wer war, wer wurde am Beginn des 20. Jahrhunderts in Österreich Sozialdemokrat, Sozialdemokratin? Die große Mehrheit der Arbeiterschaft identifizierte sich mit dem sozialistischen Lager. Für das Proletariat waren die Sozialdemokratische Ar- beiterpartei und die Freien Gewerkschaften – Victor Adlers „siamesische Zwillinge“ – so etwas wie eine Heimat. Man wählte die Partei – und war auch in vielen Fäl- len deren Mitglied. Und man sah in den sozialdemokratischen Richtungsgewerk- schaften, den „Freien“, den bestmöglichen Schutz am Arbeitsplatz. 187 Anton Pelinka Höhere Bildung, dieser Einstieg in ein – mögliches – bürgerliches Leben, wurde zwar propagiert. Die Sozialdemokratie hatte auch ihre Gegenkultur – Volkshoch- schulen, die Arbeiter-Hochschule und andere Einrichtungen, die dem Proletariat Bildungschancen eröffnen sollten. Doch von denjenigen, die nicht in der Gegen- kultur, sondern in der herrschenden – bürgerlichen – Kultur ihre höhere Bildung erwarben, ihre Matura und ihren Hochschulabschluss, ging kaum jemand zur Sozi- aldemokratie. Zu sehr waren im Österreich des frühen 20. Jahrhunderts die Stätten höherer Bildung den Angehörigen der beiden bürgerlichen Lager vorbehalten. Zu sehr war höhere Bildung „bürgerlich“ besetzt. Diejenigen, die trotz der bürgerlichen Hegemonie im Bildungssektor nach einem akademischen Abschluss zur Sozialdemokratie fanden, waren vor allem Angehörige der jüdischen Bourgeoisie. Diesen verwehrte der rabiate Antisemitismus vor allem des deutschnationalen, aber auch des katholisch-konservativen Lagers die Integra- tion in die politische Landschaft des österreichischen Bürgertums. Abgestoßen von den politischen Bewegungen, die eigentlich ihrem ökonomischen Status entspro- chen hätten, wurde die „jüdische Intelligenz“ zu einem erheblichen Teil in der So- zialdemokratie heimisch. Karl Waldbrunner war, als Nicht-Jude, in diesem Sinn atypisch: Wie der deutlich ältere Karl Renner, wie der ebenfalls ältere Adolf Schärf fand er zur Sozialdemo- kratie, ohne durch die persönliche Erfahrung der Entfremdung durch den Antise- mitismus gehen zu müssen. Als Arbeiterkind, das allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz zur höheren Bildung fand, neigte er – Renner und Schärf nicht unähnlich – zu einem pragmatischen Politikverständnis, das ihn zur Zeit der Theoriedebatten rund um Renner, Otto Bauer und Max Adler eher zu einem „Rechten“ innerhalb der Sozialdemokratie machte. Dem späteren Waldbrunner sagte zwar niemand nach, ein „Rechter“ zu sein. Aber in den Programm- und Ideologiedebatten der Zweiten Republik war er, eine Schlüsselfigur seiner Partei, eher abstinent. Waldbrunner war, als politisch insgesamt links einzuordnender Techniker, 2. mehrere Jahre in der Sowjetunion tätig – und das, ohne Kommunist zu sein; auch ohne die Sowjetunion als Exilland gewählt zu haben, wie das viele der nach dem 12. Februar 1934 Emigrierten getan hatten. Waldbrunner war, innerhalb seines Lagers und seiner Partei, gegenüber der Kommunistischen Partei ganz offensichtlich immun. Die zunächst extrem kleine Kommunistische Partei hatte am Ende der Ersten Re- publik und insbesondere nach dem Bürgerkrieg des Februar 1934 an Anziehungs- kraft gegenüber der von den Misserfolgen der Sozialdemokratie enttäuschten Lin- 188 Österreich im 20. Jahrhundert – im Prisma eines politischen Lebens ken gewonnen. Intellektuelle wie Ernst Fischer und proletarische Kämpfer des 12. Februar sahen in der Sowjetunion die einzige Kraft, die den Aufstieg des Faschis- mus brechen könnte. In der Illegalität nach dem Februar 1934 und im Exil wurde die KPÖ zu einem ernst zu nehmenden Rivalen der Sozialdemokratie und ihrer illegalen bzw. im Aus- land etablierten Organisationen. Es sollte die einzige Periode der österreichischen Kommunisten sein, in der ihre Attraktivität der der Sozialdemokratie wirklich Konkurrenz zu machen in der Lage war. Die Hoffnung, dies auch nach der Wie- derherstellung der Demokratie fortsetzen zu können, wurde dann ab 1945 zerstört. Die Sozialdemokratie konnte überraschend schnell ihr De-facto-Monopol inner- halb der Linken wiederherstellen. Für Österreicher, die in den 1930er-Jahren längere Zeit in der Sowjetunion ver- brachten, ist eine politische Interpretation naheliegend: Angezogen vom Auf- bau einer sozialistischen Gesellschaft und eingeladen von der antifaschistischen Politik der Sowjetregierung fanden sich Menschen aus Österreich in einer Ge- sellschaft, die hinter der heroischen Fassade von einer sich rasch steigernden to- talitären Repression gekennzeichnet war. Viele, die vor der austrofaschistischen Diktatur geflohen waren, wurden zu Opfern der kommunistischen Diktatur. Ein besonders tragisches Schicksal traf diejenigen, die zur Zeit der engen Ko- operation der UdSSR mit dem Hitler-Regime von Stalin an die Todesschergen Hitlers ausgeliefert wurden. Die von der Sowjetunion angezogenen Sozialdemokraten konnten sich auch auf Otto Bauers Konzept vom „integralen Sozialismus“ berufen. Bauer hatte, unter dem Schock des Endes der Republik, der Sowjetunion ausdrücklich das Markenzeichen „Sozialismus“ zuerkannt – ohne selbst Kommunist zu werden. Das allein erklärt den Mythos Sowjetunion: Während in weiten Teilen Europas der Faschismus im Vormarsch war und die westlichen Demokratien sich – zunächst – zu ernsthaftem Widerstand als unfähig erwiesen, schien im Osten eine neue, starke Gesellschaftsordnung heraufzudämmern, deren Methoden Bauer keineswegs propagierte, deren Resultate aber einladend genug waren, um die Rivalität zwischen Sozialdemokratie und Kommunis- mus für sekundär zu erklären. Das alles liest sich in der Biographie Karl Waldbrunners ganz anders. Er ging 1932 in die Sowjetunion – aus eindeutig wirtschaftlichen Gründen. Dass er die Zerschla- gung der Republik und der Sozialdemokratie nicht persönlich erleben konnte, mag eine Rolle gespielt haben, dass das sowjetische Experiment keineswegs so attraktiv wirkte wie auf diejenigen, für die der Februar 1934 ein unmittelbares Erlebnis war. Auch sein Abschied aus der Sowjetunion, 1937, war frei von der Dramatik, die das Leben derjenigen Österreicher bestimmte, die von den Massensäuberungen des Stalinismus unmittelbar bedroht waren. 189 Anton Pelinka Waldbrunner war – bei seiner Rückkehr aus der Sowjetunion – der Polizei 3. der ständestaatlichen Diktatur als Gegner bekannt, ohne aber als Aktivist im Widerstand aufzufallen. Nach dem „Anschluss“ im März 1938 blieb er auch dem neuen Regime gegenüber distanziert. Weder versuchte er, sich rhetorisch anzupassen – wie der Karl Renner des Jahres 1938; noch war er im Widerstand aktiv – in diesem Punkt war er dem Renner der Jahre 1938 bis 1945 gleich. Karl Waldbrunner hatte sich gegenüber der Ausstrahlungskraft des sowjetischen Modells immun erwiesen. Er sollte sich ebenso immun gegenüber den Einla- dungen der beiden Konkurrenzfaschismen erweisen, die in dem Österreich, in das Waldbrunner zurückkehrte, gegeneinander kämpften und daher interessiert waren, enttäuschte Linke für sich zu gewinnen. Es war weniger der autoritäre Ständestaat, der sich erfolgreich um heimatlos gewordene Linke bemühte; es war vor allem die NSDAP. Diese wurde zwar in einem vulgärmarxistischen Kurzschluss als „bürgerlich“ abgetan. Die NSDAP war aber – in Deutschland und in Österreich – eine moderne „catch all“-Partei, vielleicht der erste Typus einer Volkspartei in Europa, wie er nach 1945 unter dem Stichwort „Amerikanisierung“ seinen Siegeszug antreten und auch die So- zialdemokratie verwandeln sollte. Die NSDAP war von Anfang an auch eine Arbeiterpartei. Und als im Gefolge der von der Weltwirtschaftskrise ausgelösten Massenarbeitslosigkeit das sozialdemokratische Konzept der Eroberung der Staatsmacht mit dem Stimmzettel in einer Sackgasse schien, da war es keineswegs nur die KPÖ, die von der Desillusionierung vieler Lin- ker profitierte. Auch und mehr noch konnte die NSDAP ihre sozialistische Etikette erfolgreich für einen Einbruch in die Anhängerschaft der Sozialdemokratie nutzen. Anders als die KPÖ verlangte die NSDAP aber eine besondere Qualität: Juden