Niemals Wie Die Eltern Tergrundkämpferin Der RAF, Zur Gesuchten Terroristin Wurde
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Deutschland Spannend, dramaturgisch dicht, durch- aus selbstkritisch und gut geschrieben er- ZEITGESCHICHTE zählt die heute 51-jährige Margrit Schiller von jenem Jahrzehnt ihrer Jugend, in dem sie von der braven Bürgerstochter zur Un- Niemals wie die Eltern tergrundkämpferin der RAF, zur gesuchten Terroristin wurde. Es ist auch ein typisch Margrit Schiller, in den Siebzigern Mitglied der RAF, hat ihre deutsches Drama von der ewigen Suche nach Wahrheit und Identität, vom schwär- Autobiografie geschrieben. Überraschend merischen Idealismus, der in der Katastro- packend erzählt sie ihre tragische Guerrilla-Geschichte. phe von Lüge und Gewalt endet. Ebenso wie der zeitliche Abstand der rst durch die Begegnung mit An- fern ist. War da was, und was war es ei- Jahre mag die geografische Distanz zum dreas Baader, Gudrun Ensslin und gentlich? Ort des Geschehens geholfen haben, sich EUlrike Meinhof wurde der jungen Margrit Schiller, von 1971 bis 1979 Mit- der Vergangenheit zu nähern: 1985 ging sie Frau glasklar: „Ich war mein Leben lang glied der RAF, weiß es genau. Dennoch nach Kuba, heiratete einen Kubaner und belogen worden.“ Margrit Schiller, da- brauchte sie, von alten Freunden und Ge- lebt heute mit ihren beiden Kindern in mals 22 Jahre alt, Psychologiestudentin nossen immer wieder gebremst und ver- Montevideo, der Hauptstadt Uruguays. und aktives Mitglied des „Sozialistischen unsichert, viele Jahre, um ihren „Lebens- Zudem: Margrit Schiller war, obwohl sie Patientenkollektivs“ (SPK), hatte die bericht aus der RAF“ unter dem Titel „Es von Anfang an mit dem Gründungskern der Gründertruppe der „Roten Armee Frak- war ein harter Kampf um meine Erinne- RAF zusammentraf, eine Randfigur. Das tion“ (RAF) mehrere Wochen lang in ih- rung“ tatsächlich zu veröffentlichen**. Das mag ihr eine vergleichsweise aufrichtige rer Heidelberger Wohnung beherbergt und Buch ist einer der wenigen authentischen Rückschau erleichtert haben. Sie hat nie- in dieser Zeit „Ursachen und Zusammen- Prosatexte aus den Reihen der ersten RAF- manden getötet, niemanden verletzt, nie ge- hänge“ entdeckt – und das Motto des Generation um Baader und Meinhof, die schossen. Zweimal, 1973 und 1976, wurde sie großen antiimperialistischen Aufbruchs: nicht im RAF-Kauderwelsch von revo- wegen Ausweisfälschung, unerlaubten Waf- „Aus dem Leiden die Kraft zum Kampf lutionären Kommandoerklärungen, Kassi- fenbesitzes und Unterstützung beziehungs- entwickeln“. ber-Infos oder pseudotheoretischen Recht- weise Zugehörigkeit zu einer kriminellen Es war zugleich ein ganz persönliches fertigungsschriften abgefasst sind: eine Vereinigung verurteilt und saß dafür insge- Motiv: „Darin konnte ich mich erkennen. kleine Perle, ein zeitgenössisches Fund- samt mehr als sechs Jahre im Gefängnis. Den Stein meiner Einsamkeit und Ver- stück, das man nicht ohne Erschütterung Dennoch: Das individuelle Drama der zweiflung am Leben aufzuheben und ihn zu Ende liest. intelligenten, schönen jungen Psycholo- gegen seine Ursache zu wer- giestudentin – Gegenstand des fen.“ Die Ursache war, na Vordiploms: eine experimentel- klar, „die kapitalistische Gesell- le Arbeit zur Wahrnehmungs- schaftsordnung“. Punktum und psychologie –, die ihre besten fertig. „Aus der Krankheit eine Jahre in bedrückenden, die spä- Waffe machen!“, lautete die dia- tere Isolationshaft gleichsam lektische Konsequenz des SPK. vorwegnehmenden „illegalen“ Am Ende wurde aus der Waf- Wohnungen, in Gefängnissen fe selbst eine Krankheit, Irrtum und auf der Flucht zugebracht und Verhängnis einer Genera- hat, reflektiert sie selber kaum. tion, die – auf dem Weg zur Umso schärfer tritt in der Be- Weltbefreiung – das Private mit schreibung ihres damaligen Le- dem Politischen derart ver- bens die Perspektive des Tra- mählen wollte, dass schließlich gisch-Absurden hervor. beides auf der Strecke blieb. Vor den Augen des aufmerk- Für die „Generation Berlin“, samen Lesers entfaltet sich ein die Dreißigjährigen am Rande kleines Panorama der siebziger des Millenniumswahns, sind das Jahre, die extreme ideologische Märchen aus dem Mittelalter – Durchdringung des „progressi- die RAF allenfalls ein fer- ven Alltags“, Miniatur eines nes Zeitgeist-Label, kulturelles radikal antibürgerlichen „Bil- Markenzeichen wie Velvet Un- dungsromans“: die Biografie ei- derground, Wrangler-Jeans und DDR, abgesunken in die Un- tiefen des historischen Be- wusstseins, das hier und da noch auf vollgesprayten Mau- ern in Kreuzberg zu entzif- * Links: bei der zwangsweisen Vorführung vor der Presse im Hamburger Polizeiprä- sidium 1971; Mitte: bei der Festnahme in Frankfurt am Main 1972; rechts: bei einer Demonstration in Berlin 1970. ** Margrit Schiller: „Es war ein harter Kampf um meine Erinnerung. Ein Le- bensbericht aus der RAF“. Hrsg. Jens SPIEGEL TV Mecklenburg. Konkret Literatur Verlag, DPA Hamburg; 272 Seiten; 39 Mark. RAF-Mitglieder Schiller, Baader, Meinhof*: Endlich radikal, ganz und gar Opfer sein, die körperliche 46 der spiegel 51/1999 ner jungen Deutschen, die illegalen Wohnung in Ham- dem autoritären Elternhaus burg –, geriet sie bei Freiburg entflieht, um schließlich Sinn zusammen mit einem Ge- und Abenteuer des Lebens nossen in eine Fahrzeug- bei der „Stadtguerrilla“ zu kontrolle der Polizei. Der Be- suchen, einer verschworenen gleiter schoss, beide konnten Gruppe, die dem Staat den flüchten. Kurz darauf wurde bewaffneten Kampf angesagt sie in Hamburg, von Ulrike hatte und nicht zuletzt an Meinhof und Gerhard Mül- ihren dogmatisch-autoritä- ler begleitet, in eine weitere ren, ja spätstalinistischen Schießerei mit der Polizei Strukturen zu Grunde ging. verwickelt. Müller tötete, so Mehr als 50 Tote blieben auf Schillers Darstellung, einen dem „Schlachtfeld“ liegen. AP Beamten.Wenig später wur- Nie wollte sie leben wie Buchautorin Schiller de Margrit Schiller zum ers- die Eltern, kleinbürgerlich, ten Mal verhaftet. Vom Vor- eng, spießig. Der Vater, der ihr „starke se- wurf des Polizistenmordes wurde Müller xuelle Gefühle“ entgegengebracht habe, 1976 mangels hinreichender Beweise frei- war Major des Militärischen Abschirm- gesprochen. dienstes, die Mutter Grundschullehrerin „Warum hast du nicht geschossen?“, und CDU-Stadtverordnete in Bonn. Mit 15 brüllte Holger Meins sie einmal an. Und trat Margrit Schiller aus der Kirche aus, schon litt sie wieder an ihrer „Unfähigkeit, mit 18 verließ sie das Elternhaus, unter des- selbst Gewalt anwenden zu können“. sen „brachialer Gewalt“ sie gelitten hatte. Ganz ohne Zynismus: Die Lektüre des Unter Freunden diskutierte sie über Sartres Buchs drängt geradezu den Gedanken auf, Existenzialismus und genoss es, „wegzu- dass die Leiden im Gefängnis, dass all die gehen, wann ich wollte“, oft in die Disco, Hungerstreiks gegen die Haftbedingungen, um „wild zu tanzen“. Die Rolling Stones, die brutalen Auseinandersetzungen inner- Animals, Cream und Janis Joplin – das halb der RAF – oft reine Denunziationen – „war meine Musik“. Dennoch fühlte sie und die täglichen Überlebenskämpfe in der sich „sehr einsam“, das „grundlegende Le- Zelle den geheimen Sinn der ganzen Sache bensgefühl, seit ich denken konnte“. ausmachten. Endlich radikal, ganz und gar 1968 dann der weltweite, faszinierende Opfer, „aufgehoben“ sein, die körperlich- Protest: Vietnam, Rudi Dutschke, Ché Gue- seelische Verschmelzung des eigenen vara. Doch für Politik im strengen Sinne in- Elends mit dem der Welt erleben – Iden- teressierte sie sich wenig. Umso mehr sehn- tität! Endlich konnte sie sich als anerkann- te sie sich nach „irgendeinem Sinn für mein ter Teil jenes „Unterdrückungszusammen- Leben“. So ging sie auf die Suche. Erst fand hangs“ fühlen, den es zu zerschlagen galt. sie ein „Release“-Projekt der Heidelberger Doch in diesem ebenso abstrakten wie hy- Drogenhilfe, eine „bis dahin unbekannte permoralischen Betroffenheitssystem hat Welt“. Dann, von der Szene auf Dauer doch Mitleid für einen getöteten Polizeibeamten eher abgestoßen, fand sie zum SPK und keinen Platz – offenbar bis heute nicht. dem Konzept revolutionärer Anti-Psychia- Das von Ulrike Meinhof verfasste „Kon- trie: Hilfe zur Selbsthilfe. Von dort aus war zept Stadtguerrilla“ aber, die Bibel der es nur noch ein kleiner Schritt zur RAF, RAF, durch die sie sich „quälte“, hatte sie der sich fast zufällig ergab. Sie verbrannte überfordert. Sie äußerte keine Meinung: all ihre „Fotos, Erinnerungsstücke und Brie- „Dazu war ich außer Stande.“ Immer wie- fe“ in der Toilette, löste ihre Wohnung auf, der brachen Ratlosigkeit,Verwirrung und ließ dem Vermieter mitteilen, sie habe einen Überforderung durch: „Ich konnte kein schweren Unfall erlitten und tauchte ab. Ziel entdecken, für das unser Handeln ei- Schon wenige Monate nachdem sie im nen Sinn gemacht hätte. Mein Kopf war Frühjahr 1971 in den Kreis der kämpfenden leer, ohne Phantasie. Alles blieb grau.“ Truppe aufgenommen worden war – erste Es ist kein Zufall, dass sie erst in der Bewährungsprobe: die Anmietung einer Haft intensiv die linken Klassiker las und damit eine theoretische Begründung für ihre Entscheidung nachzuholen versuchte, die sie ins Gefängnis gebracht hatte. Nie war Margrit Schiller wirklich Subjekt gewesen, schon gar kein „revolutionäres“ – dafür immer getrieben und fremd- bestimmt, als ob ein endloses Echo aus Kindheit und Jugend sie verfolgte: ei- ne andauernde Tragödie nie errungener Selbstbestimmung. Ihre fragmentarische Autobiografie aber ist ein aufregendes Lehrstück über den unendlich schwierigen Ausgang des Menschen aus seiner selbst- K. MEHNER verschuldeten Unmündigkeit. Verschmelzung mit dem Elend der Welt erleben Der Kampf geht weiter. Reinhard Mohr der spiegel 51/1999 47.