Leuchtturm Im Ozean
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„Fide´lite´“, Treue, ist eine der geheilig- ten Vokabeln im gaullistischen Kate- Katholiken chismus. Noch tiefer als Balladurs angebliche Illoyalität hat Chirac die Desertion ei- nes anderen alten Weggefährten zur Leuchtturm im Ozean „Judas-Fraktion“ getroffen: Innenmini- ster Charles Pasqua, lange Chiracs ver- Eugen Drewermann über den französischen Bischof Jacques Gaillot läßlicher Haudegen, hat ihm die Gefolg- schaft gekündigt. Die Skrupellosigkeit des wegen seiner Härte gegenüber Aus- ein, die Amtsenthebung des Bi- als denen, die ihn aufwecken und ihm ländern und Kriminellen beliebten In- schofs von Evreux ist keine inner- das Leben wiedergeben wollen.“ nenministers könnte die gaullistische Nfranzösische Angelegenheit. Die Diese Worte, geschrieben am Anfang Basis anstecken; bislang halten noch 95 Affäre um Bischof Jacques Gaillot legt des Jahrhunderts, haben sich am Ende von 100 Departement-Verbänden zu vielmehr erneut die Strukturkrise des dieses Jahrhunderts auf das bitterste als Chirac. hierarchischen Systems der römischen immer noch wahr erwiesen. Pasquas Scheidebrief an Chirac („Sei, Kirche bloß; sie zeigt, daß der vatikani- Jetzt hört man, Jean-Marie Kardinal mein lieber Jacques, meiner aufrichtigen sche Zentralismus an Macht und Unter- Lustiger, der Bischof von Paris, habe in Freundschaft versichert“) hat zwei werfung weit mehr interessiert ist als an Manila sein Bedauern über die Amts- Gründe: Der Innenminister glaubt nicht Menschlichkeit und Menschenrecht. enthebung seines „Amtsbruders“ beteu- mehr an die politische Zukunft seines „Im heutigen Katholizismus“, sagte ert. Doch solche Lippenbekenntnisse Kampfgefährten. Und, wichtiger noch: Romain Rolland in seinem Entwick- sind nichts als der übliche Versuch, die Der Korse will nach der Präsidenten- lungsroman „Jean-Christophe“, „lebt Protestwoge der Gläubigen am inner- wahl Chirac die Parteiführung entrei- eine mörderische Beharrungskraft. Viel kirchlichen Deichsystem aufzufangen ßen; er hält sich für den einzigen, der die eher würde er seinen Feinden vergeben und Hoffnungen zu nähren, wo es sie, beiden Lager wieder aussöhnen könnte. Generation um Generation, Inzwischen haben auch die letzten nicht gibt, nicht geben darf. Spötter begriffen, daß sie „Seine Suffi- Wie oft hat man Bischof Gaillot zienz“ Balladur, die „Schmalz-Sirene“, im Schatten der vatikanischen den „Ballamouchi“ – eine freche An- Zensur im Abseits stehenlas- spielung auf Balladurs türkische Ge- sen, nur weil er den Mut besaß, burtsstadt Izmir –, wohl unterschätzt ha- weniger der „Loyalitätspflicht ben. Daß drei seiner Ex-Minister unter im Amt“ als den Fragen der Korruptionsvorwürfen stehen, hält den Menschen zu folgen. Premier nicht ab, sich als „Erneuerer Das frühe Trauma dieses der bürgerlichen Moral“ feilzubieten. Mannes war der Freiheits- Und kein bißchen erschüttert den einsti- kampf der Algerier gegen die gen Finanzminister der Vorwurf, er sei französische Kolonialherr- „einfallslos“, habe noch bei jedem Kon- schaft. Gab es damals ein klares flikt nachgegeben und könne „außer Veto der katholischen Kirche frommen Sprüchen kein Programm“ gegen die Staatsverbrechen der vorweisen (Chirac-Berater Pierre Lel- Grande Nation? louche). Was war mit der Zustim- Le Monde schaffte es, alle program- mung der französischen Bi- matischen Ankündigungen des Premiers schofskonferenz zur Atomrü- auf 20 Zeilen einzudicken. Statt mit kon- stung? Tausendmal Hiroschi- kreten Aussagen die von den Konkur- ma als Christenpflicht? renten sehnlichst erwarteten Angriffsflä- Was war mit Amerikas Krieg chen zu bieten, poliert Großbourgeois gegen den Irak, der durch Ver- Balladur lieber weiter an seiner Aura: handlungen vermeidbar gewe- Wie de Gaulle und Mitterrand setzt er sen wäre, wie damals sogar der auf die Faszination der Franzosen fürs Papst, doch nicht die französi- Majestätische und Väterliche. Dagegen schen oder deutschen Bischöfe kann der kalte, wenig charismatische meinten? Gaillot lebt seit 1991 Chirac schwer an. in seiner kleinen Wohnung in Vorigen Montag ließ der Regierungs- DAHMANE / GAMMA / STUDIO X Evreux demonstrativ mit Ira- chef sich bei Brest auf dem U-Boot „Le kern zusammen. Triomphant“ als Garant von Frank- Bischof Jacques Gaillot Was war, als 1992 der „Welt- reichs atomarer Unabhängigkeit huldi- katechismus“ zum unseligsten gen – ein Übergriff in die Domäne des verlor Mitte Januar auf Anordnung von Johan- Male die Todesstrafe alslegitim Präsidenten. Freitags weihte der Elyse´e- nes Paul II. seine Diözese Evreux westlich von hinstellte? „Der Vatikan“, Kandidat, jeder Zoll ein Staatsmann, Paris. Gaillot, 59, hatte den Zorn des Papstes schrieb Gaillot postwendend den „Pont de Normandie“, die größte erregt, weil er sich für Pille und Präservativ in Le Monde, „fällt damit Schrägseilbrücke der Welt, über die Sei- einsetzte. Noch bleibt der Rebell im Schoß der den Menschenrechtsbewegun- ne-Mündung ein. Kirche – als neuer Titularbischof des Bistums gen in den Rücken.“ Doch Der sonst ins Zeremoniell verliebte Partenia in Mauretanien, das seit Jahrhunder- eben: Er schrieb es allein. Mitterrand überließ seinem Premier den ten nicht mehr existiert. Der Theologe und Weiter: Darf man Atom- Staatsakt – als ob er sich schon in die Papstkritiker Drewermann ist mit ihm befreun- kraftgegner kriminalisieren? Unausweichlichkeit der Machtübergabe det. Darf man, wie die römische füge. Y Moral es fordert, Homosexuel- DER SPIEGEL 4/1995 129 . AUSLAND len verbieten, glücklich zusammenzule- als Dienst an den Menschen. „Eine Kir- „Von Menschen gesetzt“ – das heißt: ben? Darf man im Kampf gegen Aids che, die nicht dient, dient zu nichts“, eine funktionale Verwaltungsgröße, de- Kondome verteufeln? Erfüllt es nicht lautet eine seiner sprichwörtlichen For- mokratisch wählbar, demokratisch ab- den Tatbestand fahrlässiger Tötung, mulierungen. Jedoch: In dieser Weise setzbar, unterstellt dem Evangelium wenn der Papst in Uganda, wo jeder von unten her zu denken ist unvereinbar und dem „Volk“ der Gläubigen. zehnte HIV-infiziert ist, der Regierung mit dem seit dem 11. Jahrhundert in der „Von Gott gesetzt“ – das heißt: die ins Gewissen redet, nur ja keine künstli- römischen Kirche dogmatisch verordne- Auflösung der christlichen Existenz in che Empfängnisverhütung zu dulden? ten Denken von oben. eine absolutistische Priesterherrschaft; Und was erst angesichts eines Bevöl- Auch das vielgelobte Zweite Vatika- das heißt im Jahre 2000 nach Christus kerungswachstums, das einer sozialen nische Konzil wollte und konnte dem der Status des ägyptischen Pharao um und ökologischen Apokalypse gleich- Grundsatz nicht widersprechen, wonach 2000 vor Christus; das heißt, daß alles kommt? Darf da kein „antivatikani- der Bischof von Rom als „pater pa- umsonst war, was Jesus wollte, als er scher“ Widerspruch sein unter denkfähi- trum“, als Papst eben, von Amts wegen seinen Jüngern auftrug: „Laßt ihr euch gen, redlichen „Amtsinhabern“ der rö- „unfehlbar“ ist und, in Einheit mit ihm, nicht ,Vater‘ nennen. Ein einziger sei mischen Kirche? auch die Bischöfe an dem unfehlbaren euer ,Vater‘ – der im Himmel ist!“ Was ist mit dem Status wiederverhei- „Lehramt“ der römischen Kirche „teil- (Matthäus 23,9). rateter Geschiedener? Was mit dem haben“. Deren Hierarchen, so will es Diese Worte bedeuteten das Ende des Status der Algerier in Frankreich heute, das römische Autostereotyp, haben die religiös abgesegneten Patriarchalismus. nach all der Zeit des Unrechts der Kolo- Pflicht, die ganze Wahrheit Christi, wie Das war der Anfang der Unmittelbar- nialherrschaft? Die französische Kirche der Papst sie diktiert und garantiert, keit des Menschen vor Gott. Das römi- zeigt bis heute so wenig Mut, der Regie- dem „Volk der Gläubigen“ vorzulegen. sche Papsttum in seiner gegenwärtigen rung in dieser Frage entgegenzutreten, Ein Bischof ist da nur ein Bischof, solan- Gestalt kann sich allenfalls auf den Kai- serkult der Antike, keinesfalls aber auf die Botschaft Jesu be- rufen. Inzwischen steht der römi- schen „Kirche“ nicht mehr nur das „Gottesrecht“, sondern das „einfache“ Menschenrecht ent- gegen. Pressefreiheit, Ver- sammlungsfreiheit, Gewissens- freiheit – all das ist nichtig in den Dogmen des absolutisti- schen Kirchenstaats. Ein Beispiel: Am 12. April 1994 traf sich Jacques Gaillot als mein Freund, als mein „Mitbruder“ (diese Phrase des klerikalen Sprachgebrauchs kann, selten genug, hier einmal die Wahrheit bezeichnen) an- läßlich eines Vortrags in Straß- burg mit mir zu einer Sendung im Arte-Kanal. Der Titel: „Probleme der Kirche“. Das Übliche: Ein verheirateter AFP / DPA Priester schilderte seinen Le- Johannes Paul II. in Manila: Absolutistische Priesterherrschaft bensweg, eine Gruppe homose- xueller Priester, mit Masken wie der deutsche Katholizismus gegen- ge er mit dem Papst übereinstimmt, so vor dem Gesicht, deklamierte: „Wir über der Politik Kanthers und Kohls. wie ein Priester dieser Kirche nur ein sind die Kirche . .“ Es stimmt überhaupt nicht, wenn die Priester ist aufgrund der „Sendung“ Es genügte, daß der Bischof von FAZ schreibt, Gaillot sei seit einigen durch seinen Bischof. Evreux nicht lauthals widersprach, es Jahren „durch ungewöhnliche Äußerun- Solange der Papst sich ernsthaft als genügte, daß er mit mir, einem von der gen“ aufgefallen, und diesen Vorwurf der Stellvertreter Christi auf Erden aus- Kirche mit Lehrverbot und Amtsenthe- mit den Themen „Abtreibung, Homose- gibt und die Bischöfe sich als Nachfolger bung bestraften Theologen, sprach. Der xualität, Aids-Vorsorge und Zölibat“ der Apostel von Amts wegen betrach- Bischof von Straßburg erteilte Gaillot