Arnold Schönberg: Hitlers Kulturbolschewisten
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ANHANG 1 Arnold Schönberg: Hitlers Kulturbolschewisten Der Herr Anstreichermeister - pardon: Gesell äfft nun auch Mussolinis Kunstbanausenturn nach. Der Maurer als Architekt, der Anstreicher als Maler: es wird ein gutes Handwerk sein, dieses Gebäude fascistischer Kunstanschauung. Das Mundwerk übertrifft es allerdings: es ist himmelschreiend. Kein anderer Architekt könnte [esp besser aufreissen, kein anderer Maler ihm höheren Glanz verleihen als die von solchem Mundwerk leben. Vom Mund in die Hand und vom Handwerk das Mundwerk. Himmelschreiend oder nicht: es ist schreiend. Wie ein Maurer, wie ein Tapeziere? die Kunst ansieht! Ja wie sollten sie denn anders, als alle übrigen Maurer, als alle übrigen Tapezierer. Warum sollten sie ander Dinge hassen oder lieben, warum andere Trivialitäten über sie - gut oder böse, lobend oder beschimpfend, denn zum Tadel fehlt ihnen die Vorbildung- sagen als Leute ihres Horizonts. Ich bin kein Cubist, kein Futurist, kein Dadaist. Aber wenn ich gefragt werde warum, so kann ich das haargenau sagen, ohne zu beschimpfen, obwohl der Gegensatz zwischen meinem Können und dem dieser Cubisten, Futuristen, Dadaisten sicherlich zehn mal (wie bescheiden ich bin) größer ist, als der zwischen Hitler und ihnen { H : C F D = (C F D) 10 : Sch } Mit einem Wort (es ist ein Akt meiner Verschwendungssucht, dass ich dieses eine, dieses ernste Wort daran wende); mit einem Wort, also: sie alle unterscheiden sich voneinander und von Hitler und Mussolini nur durch den Stil, von mir aber durch den Gedanken. Wie sich der Hider (oder ist es doch der Rosenberg? - jedenfalls: wie sich der kleine Moritz) den jüdischen Intellektualismus vorstellt! - Vorerst: gegen alle diese Behauptungen bin ich der extremste Gegenbeweis. Jeder kann sehen, dass Werke wie z.B. Pierrot nicht anders geschaffen sein können, als auf dem Wege Das Wort ist unleserlich; ursprünglich: "ihn", vermutlich überschrieben mit "es". 2 Statt ,,Anstreicher" bzw. ,,Anstreichermeister" (Zeile 1) hatte Schönberg zunächst "Tapezierermeister" und "Tapezierer" geschrieben. Erst nachträglich korrigierte er dies allerdings nur bei den ersten heiden Erwähnungen. Die übrigen "Tapezierer" blieben unverbessert, sind aber unzweifelhaft als ,,Anstreicher" gemeint. 391 unmittelbarer Empfängnis; ich erinnere mich, dass Mahler von seiner VIII. erzählt habe, er habe sie wie im Traum geschrieben, und ich selbst habe 100te Male das Gefühl gehabt und es auch ausgesprochen, dass mir meine Werke diktiert wurden, dass ich nur das Gefäss bin, dass ich nur eine mir auferlegte Angabe3 erfülle. Aber ausserdem habe ich 1910 in meiner Harmonielehre gesagt (ich weiss den Wortlaut nicht): [,,] ... so möge denn für eine Zeit wenigstens das Gefühl .... " und habe von der" - Reduction des Vorstellbaren aufs Ausdrückbare .. " gesprochen - wohl einige Zeit bevor Herr Hitler und Herr Rosenberg in der Lage waren über derlei "selbst" nachzudenken. Fortsetzen, obwohl mich der Unsinn eigentlich langweilt Handschriftliches Fragment, undatiert, 2 Blätter Quelle: Arnold Schoenberg Institute, Los Angeles Signatur: MOR 389 © 1994 Belmont Music Publishers, Pacific Palis ades Schönbergs Glosse bezieht sich auf einen amerikanischen Zeitungsartikel mit dem Titel Hitler Forecasts Stable 1,000 Years, der von einer Rede Hitlers zu den kulturellen Zielen des Nationalsozialismus berichtet und als Ausschnitt ebenfalls in seinem Nachlaß erhalten ist (undatiert und ohne Quellenangabe). Aufgrund der darin zitierten Ausführungen Hiders handelt es sich zweifellos um einen Bericht über die Rede, die Adolf Hitler als Reichskanzler am 5. September 1934 auf der Kulturtagung des Nürnberger Reichsparteitags der NSDAP gehalten hat. Vermutlich ist Schönbergs Entwurf ebenfalls 1934 entstanden (jedenfalls noch nicht 1933, wie die verschiedenen Archivverzeich nisse nahelegen). 3 Evt. auch: ,,Au[flgabe". 392 Anmerkungen zu Schönbergs Text: - ,,Anstreicher": Die Metapher des ,,Anstreichers" war - vor allem in den ersten Jahren des "Dritten Reiches" - ein beliebtes Wort der Hitler-Gegner. Bertolt Brecht beispielsweise hat es ausgiebig in seinen Gedichten verwendet; vgl. z.B. Das Lied vom Anstreicher Hitler (1933)4. - ,,Mussolinis Kunstbanausentum": V gl. dazu auch die Schön berg-Texte Faschismus ist kein Exportartikel (1935)5 und Macht, Mehrheit, Demokratie, Faschismus etc. Insbesondere Mussolini (1932), ein Manuskript, das sich ebenfalls im Nachlaß befllldet6. - "Ich bin kein Cubist, kein Futurist, kein Dadaist": Schönberg bezog sich dabei auf eine Passage der Hitler-Rede. Sie lautete: "Das ganze Kunst- und Kulturgestotter von Kubisten, Futuristen, Dadaisten und so weiter ist weder rassisch begründet noch volklich erträglich,,7. - "Stil" und "Gedanke": Dies waren grundlegende Kategorien in Schönbergs Denken; vgl. dazu seine gesammelten Schriften, denen diese zwei Begriffe nicht von ungeflihr den Titel geben; darin z.B. Neue und veraltete Musik, Stil und GedAnke (1930-1933), S.466-477. - "jüdischer Intellektualismus": Auch hierbei bezog sich Schönberg direkt auf die Rede Hitlers, über die in seinem Zeitungsartikel berichtet wurde: "National socialism, he [= Hitler] continued, was a reaction to 'Jewish intellectualism' and areturn to instinctive intuition and an organie conception of civilization." Schönberg hat hierbei die Worte ,,instinctive intuition" unterstrichen. Dies erklärt die Argumentation seines Entwurfs einer Entgegnung. 4 In: B. Brecht, Die Gedichte in einem Band, FrankfUrt a.M. 1981, S.441/442. 5 In: A. Schönberg, Stil und GedAnke. Aufiätze zur Musik, hg. v. Ivan Vojtech, FrankfUrt a.M. 1976, S.313-319. 6 V gI. dazu M. Mäckelmarm, Amold Schönberg und dAs Judentum. Der Komponist und sein religiöses, nationales undpolitisches Selbstverständnis nach 1921, Hamburg 1984, S.296. 7 Schönberg kannte diese Äußerung allerdings wohl nur durch den amerikanischen Zeitungsbericht, in dem es hieß: "The ' cultural stutterings and stammerings' of the cubists, futurists and dadaists, the Chancellor asserted, were neither racially founded nor tolerable from the national standpoint and they deserved to be appraised as an expression of a decadent world philosophy." Die Worte "the cubists, futurists and dadaists" hatte Schönberg unterstrichen. - Der Originalton dieser Hitlerrede ist zu hören auf Entartete Musik. Eine Tondokumentation zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938, zusammengestellt v. Albrecht Dümling, Berlin 1988 (POOL Musikproduktion 57265022), I.Lp, Nr.2. 393 ANHANG 2 Überblick der verschiedenen Beiträge und Positionen in der Reichstagsdebatte 1931 über "Kulturbolschewismus" Ausgangspunkt der Debatte war die Stellungnahme Wirths im Rahmen der Haushaltsberatungen des Reichstags für 1931, über die berichtet wurde: "Reichsminister des Innern Dr. Wirth erklärte, er habe seit Jahren die kommunistische Bewegung sehr sorgfältig verfolgt. Er habe sich auch in die kommunistische Literatur vertieft. Auf Grund dieser Studien könne er sagen, daß es sich um mehr als um klassenmäßige Arbeiterfragen handele. Es handele sich in Wahrheit um den Einbruch einer neuen Ideenwelt in das mitteleuropäische Kulturgebiet. Dieser Einbruch geschehe aufbreitester Basis mit allen Mitteln großer Propaganda. [... ] Der Minister habe das Buch 'Der junge Gottlose' mit Entsetzen gelesen. Was dort der Jugend geboten werde, sei geistige Dürre, Haß und Lächerlichkeit. Es schaudere einem, wenn -man bedenke, mit welcher Ver antwortungslosigkeit hier die europäische Geistesentwicklung um drei Jahrtau sende zurückgebogen werde. [... ] Dazu kommen die unerhörten Beschimpfungen der christlichen Welt durch die kommunistische Literatur und Presse. Es habe immer Freidenker gegeben, es habe auch immer Vorkämpfer großer neuer Ideen gegeben, aber es habe wohl bisher noch nie ein Freidenkerturn gegeben, das so frei vom Denken war, wie das kommunistische."l Zum umstrittenen Remarque-Film erklärte Wirth, daß nicht er die Filmzensur ausübe, allerdings auch keine Veranlassung sehe, diesen Film in Schutz zu nehmen: "Die Schupo sei ihm zu gut dazu, um ihre Kraft zu verbrauchen zum Schutz dieses Films. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus werde nicht um diesen Film gefohrt."2 Am Tag darauf erhielt Wirth Schützenhilfe vom Zentrumsabgeordneten Dr. Georg Schreiber. Dieser wandte sich "scharf gegen die bolschewistische Propaganda und gegen die destruktiven Tendenzen der Gottlosen-Abende, die mit Wort und Bild und in Unterhaltungs- 1 Die bolschewistische Kulturgefohr, in: Berliner Börsen-Zeitung, 20. Febr. 1931 (Nr.85). 2 Parlamentarische Nachrichten [vom 19. Fehr.], in: Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1931, Nr.44 (21. Fehr.), S.3. 394 auffiihrungen in einer Weise das deutsche Kulturleben und die Autorität des Staates zu untecwühlen suchen, die vollkommen unerträglich geworden sei.,,3 Wirth selbst gab - nach dem Bericht des "Staatsanzeigers" - "eine ausführliche Darstellung über die Schriftenpropaganda der russischen Kommunisten in Deutschland" (ebd.). Es handelte sich im einzelnen um diverse Publikationen und Zeitschriften des Moskauer Zentralen Volksverlages, des Exekutivkommitees der kommunistischen Internationale, der Roten Gewerkschaftsinternationale, der kommunistischen Jugendinternationale, des Bundes der kämpfenden Gottlosen und um die (deutschsprachige) "Moskauer Rundschau". Wirth konstatierte erneut: "Diese bolschewistischen Propagandaschriften bedeuten einen Einbruch in die westeuropäische Kultur, der schwer erträglich ist. [... ] Es ist ein Einbruch der Barbarei und Unkultur in ein Kulturland und in einen Kontinent, der der Träger der Kultur durch