SWR2 Musikstunde Der Klang Der Moderne – Wien Um 1900 (1-5) Folge 5: Zwischenkriegszeit, Zweite Wiener Schule Und Zersprengung Von Andreas Maurer
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SWR2 Musikstunde Der Klang der Moderne – Wien um 1900 (1-5) Folge 5: Zwischenkriegszeit, Zweite Wiener Schule und Zersprengung Von Andreas Maurer Sendung vom: 13. August 2021 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2021 SWR2 können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Die SWR2 App für Android und iOS Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt, online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören bereit. Nutzen Sie die neuen Funktionen der SWR2 App: abonnieren, offline hören, stöbern, meistgehört, Themenbereiche, Empfehlungen, Entdeckungen … Kostenlos herunterladen: www.swr2.de/app Lange schwankte die Habsburger Monarchie zwischen Schönheit und Abgrund. Nun ist der Erste Weltkrieg vorbei. Die Monarchie ist Geschichte, die Republik wird ausgerufen. Doch was ist mit der Kunst passiert? Herzlich Willkommen zum 5. und letzten Teil unserer Musikstunde zur Wiener Moderne. Mein Name ist Andreas Maurer, schön, dass Sie wieder dabei sind. Wien 1918. Nichts ist nach dem Ersten Weltkrieg wie zuvor. Die Stadt ist erschüttert, Familien zerrissen. Das Jahr beginnt mit Streiks der Arbeiterbewegung. Unweit des Stephansdoms, in der Kärtnerstrasse, reißt ein wütender Mob den Doppeladler von den Wänden der Hoflieferanten. Hunger und Unterernährung, extremer Mangel, Kälte, Krankheiten und Epidemien wie die Spanische Grippe oder die Tuberkulose fordern viele Tote. Vier Hauptprotagonisten der Wiener Moderne - Gustav Klimt, Egon Schiele, Otto Wagner und Kolo Moser – sterben noch im selben Jahr. Der Komponist Gottfried von Einem wird geboren. In Budapest feiert Bela Bartoks „König Blaubart“ Weltpremiere, die Frankfurter Oper bringt Franz Schrekers Stück „Die Gezeichneten“. Der Weltkrieg scheint auch die Moderne zerstört zu haben. Und doch finden genau in diesem Trümmerfeld einige Komponisten die Grundbausteine für eine neue Tonsprache. Josef Matthias Hauer wird der erste sein. M 1 Josef Matthias Hauer: Nomos op. 19, Ausschnitt Herbert Henck (Klavier) Wergo WER 66092, 3367073 013, 3‘06 In den Räumen des Musikvereins nimmt die Idee der Salzburger Festspiele Gestalt an, Richard Strauss "Frau ohne Schatten" feiert Premiere, Igor Stravinsky präsentiert seinen "Feuervogel". 1919 komponiert auch Josef Matthias Hauer sein Opus 19 „Nomos“. Herbert Henck spielte einen Ausschnitt. Zwar finden sich auch in Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ oder in Mozarts „Dissonanzen Quartett“ 12-Ton Reihen. Der Unterschied liegt jedoch in der Vorsätzlichkeit. Gleich auf der ersten Seite dieses Klavierwerkes präsentiert Hauer eine kompromisslose 12Ton- Reihe in Oktavparallelen. Ebenso radikal geht es auch weiter: Statt die 12 Töne einfach nacheinander abzuspielen teilt Hauer sie in 5er Gruppen ein und verweilt auf jeder 5. Note etwas länger. Die Primzahl lässt eine weitere 12Tonreihe entstehen. Erst nach 60 Anschlägen findet sich der Pianist in der ursprünglichen Ausgangslage wieder. Die versteckte Codierung wirkt fast barock. Und ähnlich ist auch die Suche des Komponisten nach 2 einem übergeordneten Weltmodell. In einem TV-Interview von 1958, das man übrigens auf Youtube nachsehen kann – meint Hauer daher auch, dass er nichts Neues "er"-funden, sondern lediglich etwas uraltes "ge"-funden hätte. Denn in der 12-Tonmusik sei alles da, was das Wesen der Musik überhaupt ausmacht: Melos, Harmonie und Rhythmus. Wie es dazu kam? 1919 trifft Hauer im Ausstellungsraum der „Freien Bewegung“ in der Wiener Kärntnerstraße auf den Schweizer Maler Johannes Itten. Adolf Loos hat die Schau ermöglicht. Itten präsentiert dort abstrakte geometrische Kompositionen, die jeweils auf 12 Farben des Farbenkreises aufbauen. Das Bild-Erlebnis führt zu einer neuer Ton-Erkenntnis, kurze Zeit später bringt Hauer die erste 12Tonkomposition aufs Papier. Heute würde man auf gut Wienerisch sagen „da haben sich 2 gefunden“. In weiterer Folge wird Hauer sogar Farb-Ton Kreise zeichnen und Intervallen in kalte und warme einteilen. Itten zieht es dann ans Bauhaus, Hauer soll eigentlich nachkommen, wird aber abgelehnt und gerät schließlich nahezu in Vergessenheit. Denn: Hauer versammelt keine Schüler um sich, denen er seine Lehre weitergibt. Er trifft sich lieber mit Philosophen und bildenden Künstlern. 2019 hätte seine erste, bzw. die erste 12Ton Komposition ihren hundertsten Geburtstag gefeiert. Hätten Sie´s bemerkt? M 2 Arnold Schönberg: Quintett für Bläser op. 26, Rondo - 4.Satz Aulos Bläserquintett Koch 311632H1, M0000767 004, 2‘25 Nicht nur Hauer – die ganze Kunstwelt scheint nach dem Krieg nur eines zu suchen: Ordnung. Auch Arnold Schönberg ruft kurz nach Kriegsende seinen „Verein für musikalische Privataufführungen“ ins Leben und landet schließlich ebenso bei einer Kompositions-Methode mit 12 Tönen. Zu hören war der 4. Satz aus seinem Bläserquintett op. 26. Jedem der 4 Sätze liegt darin die gleiche 12Tonreihe zugrunde. Das Aulos Bläserquintett hat gespielt. Doch Schönberg nähert sich den 12 Tönen anders als Hauer, weniger radikal. Seine Überzeugung lautet: "Man folgt der Reihe, komponiert aber im Übrigen wie vorher. Die Technik, die Theorie passiert im Verborgenen, Vorrang hat die Ästhetik. Beim Hören soll die Methode vergessen werden, diese sei eine reine Familienangelegenheit“, so Schönberg. Im Gegensatz zu Hauers "Nomos", ist das Ende von Schönbergs Reihen daher auch nicht mit einer Zäsur gekennzeichnet. Doch 12Töne hier oder dort - der Einfluss von Hauer und Schönberg zieht sich durch die gesamte Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. 3 Zwar übersiedelt Hauer nicht von Wien nach Dessau ans Bauhaus, seine Musik aber schon. Man wird sie bei einigen Gelegenheiten dort spielen - vielleicht auch vor den Malern Paul Klee oder Lyonel Feininger. Der Komponist und Theoretiker Othmar Steinbauer wird sich in seiner Klangreihenlehre auf Hauer beziehen, Herbert Eimert – Begründer des weltweit ersten Studios für elektronische Musik - ist ein ehemaliger Hauer-Schüler. Eng arbeitet Eimer mit Karlheinz Stockhausen zusammen. Und selbst John Cage hält an der UCLA Vorträge mit dem Titel "an Hour with Hauer“. M 3 Josef Matthias Hauer: Zwölftonspiel für Kammerorchester, Violine, Cello, Akkordeon, und Klavier vierhändig Ensemble Avntgarde MDG, 6131060-2, 7364096 001, 2‘53 Noch einmal Musik von Josef Matthias Hauer. Ein Zwölftonspiel aus dem Jahr 1957 - für Kammerorchester, Violine, Cello, Akkordeon, und Klavier vierhändig. Das Ensemble Avantgarde hat gespielt. Musik der Wiener Moderne - diese Woche in der SWR2 Musikstunde. Wobei es heute um die Zwischenkriegszeit und vor allem um die Auswirkungen der Wiener Moderne geht. Denn die sind bis heute hör- und spürbar. Auch Hanns Eisler, einer der einflussreichsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts kommt aus der "Wiener Schule" rund um Arnold Schönberg. Später wird Eisler die DDR-Hymne schreiben und sich auf dem Sektor des politischen Arbeiterliedes verdient machen. Er wird die Mauern des Konzertsaales durchbrechen und seine Musik an die Arbeiterschaft, die breite Öffentlichkeit richten. Zusammen mit Berthold Brecht etabliert er das Massenlied, nach seiner Emigration in die USA verfasst er ein Buch über das "Komponieren von Filmmusik" Doch zuvor legt Eisler - wie Alban Berg - als Opus 1 eine Klaviersonate vor. Die bewegt sich noch nahe am Stil seines Lehrers. Doch bereits mit seinem Opus 5, "Palmström" emanzipiert sich Eisler von der "Wiener Schule". Auf Lyrik von Christian Morgenstern entwirft er Studien über 12Ton Reihen, Die Sprechstimme und die Besetzung dieser "Parodien" erinnert an Schönbergs Pierrot Lunaire. 4 M 4 Hanns Eisler: „Galgenbruders Frühlingslied“ aus Palmström op. 5, Parodien für eine Singstimme, Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello Roswitha Trexler (Sopran) und ein Instrumentalensemble Leitung: Hans Jürgen Wenzel Berlin Classics 0092312 BC, M0253229 005, 0’51 "Galgenbruders Frühlingslied" (und das "Couplet von der Tapetenblume") aus Hanns Eislers Opus 5 - Palmström. Parodien für eine Singstimme, Flöte, Klarinette, Violine und Violoncello. Text: Christian Morgenstern. Roswitha Trexler, Friedrich Carl Erben, Arnim Orlamünde, Wolfgang Bernhardt, Wilfried Winkelmann und Oskar Michallik haben musiziert. Hans Jürgen Wenzel war am Pult. Die Jahre 1919/20 markieren eine Zeit des Auf- und Umbruchs. Die Kompassnadel der europäischen Gesellschaft richtet sich neu aus: Picasso wird klassizistisch, Mondrian hat seinen ersten Auftritt. In der Donaumetropole denkt die Sozialdemokratische Stadtregierung über ihre Realutopie des "Roten Wien" nach, bei anderen Partien regen sich nationalistische Allmachtsphantasien. Karl Kraus legt sein Monumentalwerk „Die letzten Tage der Menschheit“ vor. Die weltweit erste Radioübertragung eines Weihnachtskonzertes geht in die Geschichte des Hörfunks ein. In Salzburg ruft der Jedermann von Hugo von Hofmannsthal den Beginn der Salzburger Festspiele aus. Max Reinhardt führt Regie. Und: Erich Wolfgang Korngolds Oper "Die tote Stadt" feiert Premiere. Die Handlung spielt zwar in Brügge, lässt sich aber ebenso auf Wien übertragen. Denn die "tote Stadt" eine, die vor allem in der Vergangenheit lebt und einen "Tempel der Erinnerungen" kultiviert. Es ist bereits das dritte Bühnenwerk des erst 20jährigen Wunderkindes und Zemlinsky-Schülers. Schnell entwickelt sich Korngold, neben