Gedenkstätten-Rundschau Wird Herausgegeben Von
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Gedenkstätten- Nr. 13 / Nov. 2014 / 1,– Euro Rundschau Gemeinsame Nachrichten der Gedenkstätten KZ Bisingen, KZ-Gedenkstätten Eckerwald/Schörzingen und Dautmer- gen-Schömberg, Ehemalige Synagoge Haigerloch, KZ Gedenkstätte Hailfi ngen · Tailfi ngen, Alte Synagoge Hechingen, Stauffenberg Gedenkstätte Albststadt-Lautlingen, Löwenstein-Forschungsverein Mössingen, Ehemalige Synagoge Rexingen, Gedenkstätte Synagoge Rottenburg-Baisingen, Ehemalige Synagoge Rottweil, Geschichtswerkstatt Tübingen Schutzhaft und Dienstentlassung in der Zeit des National- sozialismus am Beispiel von Rudolf Linkenheil aus Schramberg Carsten Kohlmann, Oberndorf am Neckar Über achtzig Jahre nach dem Beginn Schubladen wurde er auf eine Map- entdeckte Quelle zum Gedenktag für der nationalsozialistischen Gewalt- pe mit den Aufzeichnungen über die die Opfer des Nationalsozialismus der herrschaft am 30. Januar 1933 und Schutzhaft und Dienstentlassung sei- Öffentlichkeit vorgestellt. In der fast siebzig Jahre nach ihrem Ende nes Vaters aufmerksam. In der Familie Präsentation trug Rolf Linkenheil mit der bedingungslosen Kapitula- war zwar ab und zu einmal über diese einige Auszüge aus den Aufzeich- tion des Deutschen Reiches am 8. Aufzeichnungen gesprochen worden, nungen seines Vaters selbst vor. Mai 1945 ist die Literatur über diese eine Gelegenheit zur Einsichtnahme Bei den Aufzeichnungen handelt es Zeit mittlerweile fast nicht mehr zu hatte sich aber für Rolf Linkenheil bis sich um drei maschinenschriftliche übersehen. zu seinem Ruhestand nicht Dennoch ist bei weitem noch nicht ergeben. alles bekannt und erforscht – gerade Als er beim ersten aus lokalgeschichtlichem Blickwinkel Überfl iegen las, dass sein gibt es trotz mittlerweile langjähriger Vater in der Zeit des Forschung in unserer Region noch Nationalsozialismus als viele Lücken. Und nach wie vor „Landesverräter“ diffa- werden gerade aus Nachlässen neue miert worden war, ver- Quellen bekannt, die das Bild ver- stärk te sich sein Interesse vollständigen. Mit den Aufzeich- an den Aufzeichnungen: nungen des Katastergeometers und „Ich, der Sohn eines Krimi- Vermessungsrates Rudolf Linkenheil nellen, eines Verbrechers? (1880-1939) über seine Schutzhaft Jetzt begann ich damit, sie und Dienstlassung in der Zeit des genau zu lesen und sie Nationalsozialismus wurde dem abzuschreiben. Als mein Stadtarchiv Schramberg im Jahr 2012 Vater starb, war ich knapp eine solche Quelle zugänglich ge- vier Jahre alt. Heute mit macht, die aufgrund ihres außerge- 78 Jahren vermag ich zu wöhnlichen Inhalts und Umfangs sagen: Jetzt erst hast du sogar als landesgeschichtlich bedeut- deinen Vater wirklich sam einzustufen ist. entdeckt.“ Am 27. Januar 2014 hat das Stadtarchiv Der Sohn des Vermessungsrates, der Schramberg die neu Historiker und Journalist Rolf Linken- heil, hatte die Aufzeichnungen selbst Rudolf Linkenheil (1880- erst einige Jahre zuvor entdeckt, als 1939) auf einem Foto aus den er sich einem Sekretär seines Vaters 1930er-Jahren. Privatbesitz Rolf zuwandte. Bei der Durchsicht der Linkenheil Manuskripte. Der erste Teil trägt den Linkenheil zum Kataster- Titel „Meine erste politische Schutz- geometer der Amtskörper- haft“ (21 Seiten), der zweite Teil den schaft Oberndorf in Titel „Meine zweite politische Schutz- Schramberg ernannt, stieg haft“ (30 Seiten) und der dritte Teil im Lauf seiner Berufstätig- schließlich den Titel „Meine Dienst- keit zum Oberamtsgeome- entlassung“ (25 Seiten). Den größten ter und wurde zum Teil der Aufzeichnungen hat Rudolf Vermessungsrat ernannt. Linkenheil aus dem unmittelbaren Über die Mitgliedschaft in Erleben heraus wahrscheinlich noch der linksliberalen Freisin- im Jahr 1933 verfasst. Ein Nachtrag nigen, seit 1910 Fort- am Ende des dritten Teiles schildert schrittlichen Volkspartei kurz einige weitere Ereignisse aus dem kam er in der Weimarer Jahr 1934. Die Anfertigung und Republik zur Deutschen Aufbewahrung solcher Aufzeich- Demokratischen Partei nungen erforderte viel Mut, da sie bei (DDP) und wurde zum einer Hausdurchsuchung als Bela- Vorsitzenden der Orts- stungsmaterial gegolten hätten. Eine gruppe Schramberg Edition des dreiteiligen Manuskriptes gewählt. Von 1909 bis bleibt einem späteren Zeitpunkt 1917 war er Mitglied des vorbehalten. Der vorliegende Aufsatz Gemeinderates der Stadt muss sich auf eine Zusammenfassung Schramberg. 1919 kandi- mit einigen kommentierenden Hin- dierte er mit Erfolg für die weisen zu den Personen und den verfassungsgebende zeitgeschichtlichen Umständen Landesversammlung des beschränken. Volksstaates Württemberg Rudolf Linkenheil wurde am 14. und gehörte ihr bis 1920 April 1880 in Calw geboren im an. Siegfried Kummer (1905-1967) in SA-Uniform auf einem württembergischen Schwarzwald und Nach der nationalsozia- Foto aus dem Jahr 1933. Stadtarchiv Schramberg (Bestand wurde von 1896 bis 1901 zum listischen Machtübernah- Foto Kasenbacher GmbH). Katastergeometer ausgebildet. Nach me veranstaltete die seiner Berufsausbildung und seinem DDP-Ortsgruppe Schramberg kurz vor 1930 Amtsrichter in Oberndorf am Militärdienst war er zu städtebau- der Reichstagswahl am 5. März 1933 Neckar und SA-Standartenführer, lichen Studien außerhalb des König- eine letzte Kundgebung mit dem durch den Polizeikommissar für das reichs Württemberg und verheiratete Landtagsabgeordneten Johannes Land Württemberg zum Unterkom- sich am 3. Mai 1904 im pfälzischen Fischer (1880-1942) und dem Jung- missar für die Oberämter Balingen, Landau mit Anna Karoline Steigel- demokratenführer Heinz Zanke unter Horb, Oberndorf, Rottweil, Spaichin- mann (1882-1932). Der berufl ich und der Leitung von Rudolf Linkenheil, der gen und Sulz ernannt und damit ehrenamtlich beeindruckend aktive auch auf der Landesliste seiner Partei beauftragt, die politischen Gegner Mann musste auf seinem Lebensweg kandidierte. In seinen Aufzeichnungen auszuschalten. In Schramberg erhielt mehrfach schwere Schicksalsschläge schrieb er später – vielleicht um sich der damals 28 Jahre alte NS-Aktivist hinnehmen. Nach dem Tod seiner bei einer möglichen Entdeckung der Siegfried Kummer (1905-1967) die ersten Tochter im Alter von nur 13 Niederschrift zu schützen –, dass er in Aufgabe, als „Sonderkommissar für Jahren verstarb auch seine Ehefrau im dieser Kundgebung als Beamter die polizeiliche Angelegenheiten“ daran Alter von nur 50 Jahren. Auch um Rechtmäßigkeit der neuen Reichsre- mitzuwirken. Am 22. März 1933 seine eigene Gesundheit stand es gierung anerkannt habe. Nach dem wurde unter seiner Führung auch nicht gut, da er ein schweres Gallen- Pressebericht in der „Schramberger Rudolf Linkenheil verhaftet, dessen und Blasenleiden hatte. Zeitung“ vom 2. März 1933 hat er Aufzeichnungen mit der atmosphä- Zum 1. Januar 1905 wurde Rudolf jedoch deutlich mutiger seine Mei- risch eindrücklichen Darstellung der nung ausgesprochen: „Der freie Hausdurchsuchung und Festnahme Die Drucklegung der Gedenk- Bürger, der sich nicht willenlos zur beginnen. Aufgrund bei ihm gefun- stätten-Rundschau Nr. 13 wurde heutigen Regierung bekenne, sei dener, aber falsch ausgelegter Unter- gefördert durch den Landkreis heute in seinen Handlungen einge- lagen wurde er des Landesverrates Rottweil. engt, die Parteien, die eine andere beschuldigt und über das Polizeiamt Der Vorstand und die Mitglieds- Anschauung hätten, würden terrori- Schramberg in das Amtsgerichtsge- initiativen des Gedenkstätten- siert, die Pressefreiheit sei kolossal fängnis nach Oberndorf gebracht. verbundes danken für diese beschnitten worden.“ In der Schutzhaft im Amtsgerichts- Unterstützung. Am 15. März 1933 wurde Dr. gefängnis Oberndorf bereitete Rudolf Hermann Mattheiß (1893-1934), seit Linkenheil sein Gallen- und Blasenlei- 2 für seinen Fall zuständig und gab ihm am 29. März 1933 seine Entlassung aus der Schutzhaft bekannt, die mit der Aufl age verbunden war, sich nicht mehr politisch zu betätigen. Siegfried Kummer ist in Schramberg vor allem als Pionier der „Da-Bach- na-Fahrt“ in Erinnerung geblieben, der am 26. Februar 1936 mit Kapi- tänsmütze und Ledermantel als Startfahrer das damals noch als „Kanalfahrt“ bezeichnete Fastnachts- spektakel des „Jungen Parlaments“ eröffnet hat. Nach dem Ende der NS-Zeit gab er sich in der Entnazifi zie- rung wie viele andere ehemalige Nationalsozialisten als Unschulds- lamm. In einer zusätzlichen Erklärung zu dem für die alliierte Militärregie- rung auszufüllenden Fragebogen erklärte er: „Ich glaubte, wie viele Millionen, an das Gute der Sache […] Als ich aber 1934 merkte, dass das Spiel ein Falsches war […] als die Willkürherrschaft der Parteibonzen oben und unten allmählich klar zu Tage trat, habe ich meinerseits die Konsequenz gezogen. Ich habe mich aber nicht damit begnügt, mich nur von der Partei zurückzuziehen, sondern ich habe diesen Kampf in aktivster Form unter vollem Einsatz meiner Person […] durchgeführt.“ Am 8. Oktober 1948 folgte der Kreisausschuss für politische Säube- rung seinem Antrag, als „entlastet“ eingestuft zu werden. Die Spruchkam- mer V des Staatskommissariats für die politische Säuberung im Land Württ- emberg-Hohenzollern bestätigte am 9. Dezember 1948 diese Sichtweise. Siegfried (Josef) Kummer wurde am 16. Mai 1905 in Schramberg geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters machte er sich mit einer kleinen Fabrik für Uhrenbestandteile selbständig und trat als „Kaufmann“ und „Fabrikant“ auf. Am 30. März 1928 verheiratete er sich mit Cornelia Dellinger (1905- 1967), deren Eltern in Schramberg ein Pressemitteilung von Unterstaatskommissar Dr. Hermann Mattheiß im „Schwarzwälder Tagblatt“ vom 23. März 1933. Stadtarchiv Schramberg Bekleidungshaus